Entscheidungsdatum
15.06.2021Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W195 2180625-1/32E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch seinen Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch die XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.11.2017, XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.02.2021, am 31.03.2021 und am 27.04.2021, zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 FPG auf Dauer unzulässig ist.
III. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und dieser Spruchpunkt ersatzlos behoben.
IV. XXXX wird gemäß § 55 Abs. 1 Z 2 2. Fall AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 18.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Im Rahmen einer am 19.09.2017 erfolgten Erstbefragung gab der BF vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu seinen Fluchtgründen zu Protokoll, dass es im Jänner 2015 Gemeindewahlen in seiner Ortschaft gegeben habe. Er und sein Bruder hätten freiwillig den Kandidaten der BNP unterstützt, welcher auch die Wahlen gewonnen habe. In Folge einer Auseinandersetzung mit den Anhängern der gegnerischen Partei, der Awami League, sei es zu einer Schlägerei gekommen, bei der mehrere Personen verletzt wurden. In der Nacht sei die Polizei gekommen, jedoch waren die Brüder bereits gewarnt gewesen und geflüchtet. Danach hätten sie das Land von Dhaka per Flugzeug in die Türkei verlassen.
I.3. Am 26.07.2017 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen.
Dabei gab der BF an, dass er und sein Bruder gemeinsam geflüchtet seien. Sie seien Bengalen, Moslems, beide ledig und ohne Kinder. Der Vater sei bereits im Jahr 2007 an Krebs verstorben, die Mutter und zwei verheiratete Schwestern würden samt weiteren Verwandten in Bangladesch leben.
Der BF habe nach der Grundschule und dem College den „Bachelor of Arts“ studiert, er habe „Commerce“ gelernt. Er habe als Student bei der Chattro Dal freiwillig und unentgeltlich mitgewirkt. Von 2011 bis 2013 sei er organisatorischer Angestellter gewesen, 2013 sei er zum Organisationssekretär gewählt worden. Als er politisch aktiv gewesen sei, nämlich im Jahr 2005, sei er verhaftet worden, aber sein Vater habe ihn mit Zahlung einer Kaution frei bekommen.
Er habe bei der größten bengalischen Transportfirma gearbeitet, er sei senior officer gewesen und sei der Chef von 15 Personen gewesen. Seine Tätigkeiten seien Instandhaltung und Distribution gewesen.
Sein Vater habe auch eine kleine Transportfirma gehabt.
Der BF habe noch Kontakt zu Bangladesch.
Der BF habe einen weit verwandten Cousin in Österreich. Er habe sonst keine Beziehung in Österreich. Er habe Freunde, etwa vom Fitnesscenter, zwei Österreicher, Bengalen und auch arabische Freunde sowie Afghanen. Er lebe von der Grundversorgung.
Er gehe Radfahren und schwimmen. Er habe einen Deutschkurs gebucht.
Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, dass der bei der Wahl zum Bürgermeister den Kandidaten der BNP unterstützt habe. Nachdem dieser gewonnen habe, habe es ein Fest gegeben, wobei es mit der gegnerischen Awami-League zu einer Schlägerei mit verletzten gekommen sei. Sein Bruder und er seien nach Hause gegangen, seien aber vom neuen Bürgermeister per Telefon gewarnt und mit einem Freund per Pkw zur Schwester nach Dhaka geflohen. Danach hätten sie sich bei einem Freund versteckt, bevor sie – schlepperunterstützt – am 12.02.2015 das Land verlassen hätten. Sie seien am 19.09.2015 in Österreich illegal eingereist.
Der BF sei niemals religiös, politisch, konkret und persönlich einer Verfolgung ausgesetzt gewesen.
Nunmehr, am 30.04.2017, sei eine Anzeige gegen sie eingebracht worden. Der BF habe die Anzeige „vor zwei Tagen“ erhalten.
I.4. Eine in der Einvernahme vorgelegte Anzeige wurde über Veranlassung des BFA ins Deutsche übersetzt (vgl AS 117–123).
Aus der Übersetzung des vom BF vorgelegten Dokumentes ergibt sich, dass er und sein Bruder als auch als Drittgenannter der Vater der beiden Brüder sowie zwei weitere unbekannte Personen XXXX angezeigt worden seien (Anzeige XXXX beim XXXX ). In der behaupteten Anzeige wird – zusammengefasst – ausgeführt:
Die beiden Brüder sowie die unbekannten Personen hätten den Anzeiger, einen „junior officer“ eines Spitals am XXXX um 20 Uhr beraubt, ihm den Monatslohn von März in der Höhe von 30.000 Taka sowie sein Mobiltelefon, im Wert von 15.000 Taka, entwendet. Als der Meldungsleger Widerstand geleistet habe, sei er mit einem Messergriff geschlagen worden. Der Anzeiger sei zum Haus der Beschuldigten gegangen und hätte Gerechtigkeit verlangt, worauf der Vater der beiden BF – der Beschuldigte Nr 3 – den Anzeiger ebenfalls bedroht hätte. Als der Ankläger danach untertags eine Anzeige bei der Polizeistation legen hätte wollen, sei eine solche nicht aufgenommen worden, weil man Angst vor den Beschuldigten habe; man habe nur unter der Nr. XXXX vom XXXX ein general diary (G.D.) angelegt. Deswegen seien der Anzeiger und seine Familie weiterhin von den Beschuldigten bedroht worden und hätten die Beschuldigten 1, 2, und 3 vor dem Haus des Anzeigers geschimpft, gegen die Tür getreten und den Anzeiger geohrfeigt.
I.5. Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 27.11.2017, wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, der BF habe eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.
Konkret führte das BFA aus, dass es nicht glaubwürdig sei, dass zwei Jahre nach der Ausreise aus Bangladesch plötzlich eine Anzeige wegen eines Vorfalles aus 2017 eingebracht worden sei. Da auch keine Gefährdung des BF bei einer Rückkehr ins Heimatland erkennbar sei, werde dem Antrag auf internationalen Schutz keine Folge gegeben.
I.6. Mit Schriftsatz vom 21.12.2017 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des – im Beschwerdezeitpunkt durch die XXXX vertretenen – BF zur Gänze angefochten.
Nach kurzer Wiedergabe des bisherigen Verfahrensverlaufes und der behaupteten Fluchtgründe wurde dabei zusammengefasst begründend ausgeführt, das BFA habe den Sachverhalt nicht umfassend ermittelt. Es sei nicht ersichtlich, warum das BFA die Angaben des BF für unglaubhaft qualifiziere. Es hätte Vor-Ort-Recherchen durchführen müssen, um zu ermitteln, ob es eine Anzeige gegen den BF gebe und ob im Herkunftsland Konsequenzen für den BF zu erwarten seien. Die Widersprüche in den Aussagen der beiden Brüder würden nur die Authentizität der Aussagen unterstreichen, weil die Aussagen eben nicht abgesprochen seien. Darüber hinaus wurden weitschweifende Ausführungen getätigt, welche sich jedoch nicht mit dem Schicksal und den Fluchtgründen des BF beschäftigten, sondern nur Zusammenstellungen aus Einzelberichten zu Bangladesch waren.
I.7. Mit Schreiben vom 22.12.2017 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
I.8. Am 12.09.2020 ehelichte der BF vor dem Standesamt XXXX XXXX , StA.: Slowakei.
I.9. Am 14.08.2020 legte der „ XXXX eine Vertretungsvollmacht vor.
I.10. Mit der Ladung zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden dem BF das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch, Stand 2020, zur allfälligen Stellungnahme übermittelt.
I.11. Am 08.02.2021 eröffnete das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Vertreters der XXXX ) des BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde. Eingangs legte der BF ein Konvolut an Unterlagen vor. Der BF behauptete Verständigungsprobleme mit dem Dolmetscher in der Erstbefragung. Dargetan wurde, dass der BF Verständigungsprobleme mit dem Dolmetscher nach der Erstbefragung verneint hat (AS 11). Der BF sei am linken Ohr schwerhörig. In Österreich hielten sich der Bruder und die Ehefrau des BF auf. In Bangladesch sei seine Mutter und seine zwei älteren Schwestern. Ihnen ginge es finanziell durchschnittlich gut. Dem BF wurde im Folgenden auf Deutsch befragt, wobei sich folgendes ergab: „VP: Was bedeutet für Sie Integration in die Gesellschaft? BF auf Deutsch: Integration? Ich habe viele Freund, ich habe jemand getroffen mit mein Freund und ich kenn schon... VP: Wer ist Ihr Freund? BF auf Deutsch: Mein Freund ist Peter, Franz, Haslinger und Nico. VP: Was machen Sie gemeinsam? BF auf Deutsch: Manchmal treffen, essen zusammen, Party machen, Disco gehen und spielen Kricket, Badminton, Fußball. VP: Sind Sie schon durch Ö gereist? BF auf Deutsch: Verstehe nicht, bissl lauter. VP wiederholt die Frage. BF auf Deutsch: Ja, aus Wien, Salzburg, Innsbruck, Attersee, Hallstadt und Neusiedler See und Graz. VP: Welche Bildung haben Sie? BF auf Deutsch: In Ö? Ich habe einen BI-Deutschkurs gemacht und ich möchte in der Zukunft eine Automechanikerberuf machen. VP stellt fest, dass mit dem BF eine Konversation in deutscher Sprache möglich ist. Der Sprachwortschatz ist ausreichend. Der BF bemüht sich um Antworten in vollen Sätzen.“ Der BF habe keine Kinder. Er sei – ebenso wie seine Frau – Zusteller bei XXXX . Er bringe Monatlich € 1.500,– ins Verdienen, im letzten und im vorletzten Monat habe seine Frau € 2.500,– verdient, aber es komme immer darauf an, wieviel Arbeit es gebe. Die Fixkosten seien € 604,– für Gas und Strom. Er unterhalte sich auf Englisch mit seiner Frau. Er habe sie 2017 kennengelernt, sie lebe seit 2019 in Österreich.
Zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, er sei Organisationssekretär für die BNP gewesen. Am 05.01.2015 habe es in seinem Polizeiverwaltungsbezirk in XXXX die Wahl des Chairman gegeben. Bei der Wahl habe „unser“ Chairman gewonnen, anschließend habe es eine Siegesfeier gegeben. Da Anhänger der Regierungspartei nämlich die AW-League unseren Sieg nicht annahmen, gab es einen Überfall. Es sei zu Ausschreitungen und Schlägereien gekommen, an diesem Tag kamen wurden ca. 30 bis 40 Personen verletzt, weshalb sie vom Vorfallsort geflüchtet seien. Als sie sich bei ihrer Mutter zuhause versteckt hätten, sei um 23 Uhr nachts die Polizei plötzlich zum BF nachhause gekommen und hätte nach ihnen gesucht. Als die Polizei lautstark an der Tür geklopft habe, habe seine Mutter gefragt, wer da wäre. Sie hätten gehört, dass angegeben worden sei, „die Polizei“. Aus Angst habe ihre Mutter den BF und seinen Bruder sofort zur Hintertür gebracht. Sie seien durch die Hintertür geflohen. Sie seien durchgehend zehn bis 15 Minuten durch die Wälder ihrer Ortschaft zur Busstation gerannt und von dort mit einem Bus zu ihrer älteren Schwester gefahren. Als sie bei ihrer Schwester angekommen seien, hätten sie ihre Mutter angerufen, um zu fragen, ob alles mit ihr in Ordnung sei und was geschehen sei. Sie hätte ihnen gesagt, dass die Polizei nach ihnen suchen würde und sie angegeben hätte, dass der BF und sein Bruder nicht zuhause wären. Die Polizei habe angegeben, dass sie, nachdem sie nachhause zurückgekehrt wären, direkt zur Polizeistation gehen sollten. Seine Mutter habe die Polizei gefragt, was sie verbrochen hätten und warum sie nach ihnen suchen würden. Die Polizei habe angegeben, dass sie bei der Schlägerei mitgewirkt hätten und Gegenstände von Geschäften zerstört hätten. am 06.01. und am 10.01. sei die Polizei erneut zu ihnen nachhause gekommen, um nach ihnen zu suchen. Als seine Mutter und seine Schwestern gesehen hätten, dass die Lage für sie sehr kritisch sei und ihr Leben in Gefahr sei, hätten sie sie sich dazu entschlossen, sie ins Ausland zu bringen, weit weg von Bangladesch. Sein Bruder und der BF seien schlepperunterstützt mit gefälschten Reisepässen über die Türkei mit einem Flugzeug und bis nach Österreich auf dem Landweg geflüchtet.
Vor dem Standesamt bei der Heirat mit seiner Frau habe der BF einen Reisepass vorgelegt, den er bei der bengalischen Botschaft beantragt habe. Im Zuge dieses Verfahrens habe er seine Weiße Karte, die ja besage, dass er im Asylverfahren sei, gezeigt. Sie hätten ihn auf der Botschaft nicht zum Asyl befragt.
Der BF sei mit seiner Familie regelmäßig in Kontakt.
Befragt, was es für eine Anzeige gegen den BF gebe, führte er aus, Straße XXXX dem Herrn XXXX , welcher mit der Rikscha gefahren ist, gemeinsam mit seinem Bruder und anderen Männern, überfallen zu haben. Es werde behauptet, dass sie ein Messer bei seinem Hals gehalten hätten, ihn bedroht hätten und ihn 30.000 Taka entnommen hätten und weiters sein Smartphone geraubt und ihn geschlagen hätten. In der Anzeige sei ebenso angeführt worden, dass sie ihm gesagt hätten, wenn er diesen Vorfall jemanden bekanntgeben würde, sie ihn töten würden. In der Anzeige werde ebenso angeführt, dass Herr XXXX und XXXX als Zeugen ausgesagt hätten und der Vorfall an einem ruhigen Ort stattgefunden hätte, wo keine Leute anwesend gewesen seien. Es sei jedoch in der Anzeige angegeben worden, dass zwei Zeugen, die genannt worden seien und weitere unbekannte Zeugen den Vorfall miterlebt hätten. In der Anzeige sei erwähnt, dass Herr XXXX am nächsten Tag zur Polizei gegangen sei und ein General Diary erstattet hätte. An diesem Tag gab es nur ein General Diary. Außerdem werde behauptet, dass der BF am 25.04.2017, nachdem er von dem General Diary erfahren habe, angeblich zum Haus von XXXX gegangen sei und seine Mutter gestoßen habe, daraufhin sei sie auf den Boden gefallen, und bedroht habe. Ebenso sei behauptet worden, dass sie an diesem Tag ihn mit dem Tod bedroht hätten und wenn diese Nachricht weiterverbreitet werde, erst recht. Am 27.04.2017 sei gegen sie ein Strafverfahren eingeleitet worden, beim Chief Metropolitan Politan Magistrate Court eingeleitet und angegeben worden, dass sie offensichtliche BNP-Mitglieder seien. Befragt, wie der BF gegen diese Anzeige vorgegangen sei, führte er aus: „Ich bin noch nicht fertig. Ich möchte kurz anführen, dass am 5.7.2017 ein Haftbefehl gegen uns ausgesprochen wurde. Wir können uns gegen die Anzeige nicht wehren, da wir keinen Anwalt beschäftigen können, weil wir nicht in Bangladesch sind. Wie soll das möglich sein? Auch wenn wir in Bangladesch wären, würde kein Anwalt sich für uns einsetzen. Die Anwälte, die Staatsanwaltschaft und die Exekutive, alle sind für die Regierungspartei, sie arbeiten alle mit der Regierung zusammen. Ich hätte also gar keine Möglichkeit, mich dagegen wehren zu können.“
Erst vor Kurzem habe er durch den Kontakt mit seiner Mutter erfahren, dass zwei weitere Strafverfahren gegen ihn eingeleitet worden seien. Eines am 01.06. 2018 und das zweite am 22.06.2019. Der Beschwerdeführer habe die Unterlagen erst letzten Freitag per Post durch meine Mutter erhalten. Die Kläger seien die Regierung und die Polizei selbst. Diese zwei Anzeigen habe er erst am Freitag erhalten und dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
Zu den vorgelegten Anzeigen befragt, ergab sich folgendes: „VP: Woher wusste Ihre Mutter davon? BF: Da die Polizei regelmäßig zu uns nach Hause kommt und meine Mutter die zwei Anzeigen bekannt gegeben hat, haben wir das dadurch erfahren. VP: Wie hat Ihre Mutter diese Anzeigen bekommen? BF: Mein Onkel väterlicherseits wird in dieser Anzeige ebenso als Beschuldigter angeführt, der Anwalt meines Onkels besorgte sich diese Anzeigen und mein Onkel gab diese Anzeigen meiner Mutter. VP: Wird der Onkel in beiden Anzeigen genannt? BF. Nein, ich glaube nur in einer Anzeige, ich habe es mir noch nicht ganz durchgelesen, aber ich befürchte nur in einer Anzeige. VP: Wie heißt Ihr Onkel? BF: XXXX . VP: Der Familienname? BF: Der Familienname ist XXXX . Wir verwenden diesen Familiennamen nicht, allerdings ist das sein vollständiger Name. XXXX . VP: Ist das der offizielle Name? BF: Ja, sein offizieller Name. VP: In welcher dieser beiden Anzeigen ist Ihr Onkel genannt? BF: Es tut mir leid, ich weiß es nicht genau, ich konnte mir die Unterlagen nicht genau durchlesen, da ich sie erst vorgestern, nämlich am Freitag, erhalten habe. Es ist in der Anzeige ersichtlich. VP: Wurde Ihr Onkel 2018 oder 2019 angezeigt? BF: Entweder-oder, ich weiß es nicht genau, ich habe sie nicht angesehen, ich hatte nicht die Gelegenheit dazu. Aber ich habe die Anzeigen nur durch die Hilfe des Anwaltes meines Onkels erhalten. VP: Sie wollen mir ernsthaft erzählen, dass Sie am Freitag zwei Anzeigen gegen Sie persönlich erhalten haben, dass in einer der Onkel vorkommt und Sie mir nicht sagen können, um welche Anzeige, aus weichem Jahr diese stammt, und sie diese nicht genau durchgelesen habe, obwohl sie betroffen sind? BF: Ich habe es am Freitag erhalten. Ich gehe täglich arbeiten, ich hatte dafür nicht die Gelegenheit. In einer dieser zwei Anzeigen ist er erwähnt. VP: Haben Sie Fragen dazu? BFV: Keine Fragen. VP: In einer Anzeige ist der Onkel erwähnt und er erhielt diese Anzeige über seinen Anwalt. BF: Ja, die zwei Anzeigen erhielt ich durch seinen Anwalt, sie wurden meiner Mutter übergeben. VP: Ich rede von der einen Anzeige wo Ihr Onkel erwähnt ist. diese Anzeige haben Sie über Ihren Onkel erhalten? BF: Ich habe beide Anzeigen durch ihn erhalten. VP: Wieso hat der Anwalt Ihres Onkels die zweite Anzeige bekommen? BF: Da die Polizei meiner Mutter sagte, dass 2 Anzeigen gegen mich erstattet wurden, hat das meine Mutter meinem Onkel bekannt gebeten, sie weiß, dass mein Onkel einen Anwalt hat. sie hat ihn darum gebeten, sich diese 2 Anzeigen zu besorgen. VP: Wann hat Ihre Mutter diese Anzeigen erhalten? BF: Am Mittwoch letzte Woche hat sie die Anzeigen zur Post gebracht, letzte Woche hat sie sie erhalten. VP: Woher wusste Ihr Onkel, dass gegen ihn eine Anzeige besteht? BF: Die Polizei ging ja auch zu ihm nach Hause und gab es ihm bekannt, so wie sie zu uns nach Hause kamen und es meiner Mutter bekannt gaben, dass es Anzeigen gegen uns gibt. VP: Wann hat Ihr Onkel die Anzeige von dem Anwalt erhalten? BF: Das weiß ich leider nicht. Ich weiß nur, dass meine Mutter die Unterlagen letzte Woche erhalten hat und diese zur Post gebracht hat, wir haben sie am Freitag erhalten. VP: Wann war die Polizei bei Ihrem Onkel? BF: Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, wann die Polizei zu uns kam und meine Mutter das über mich und meinen Bruder bekannt gab. VP: Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass die Vorlage von gefälschten Dokumenten Ihre Glaubwürdigkeit massiv erschüttert. BF: Das ist mir bewusst, wenn es gefälscht wäre, würde ich mich nie trauen, Ihnen diese Unterlagen vorzulegen. VP: Wie sind Sie gegen diese Anzeigen vorgegangen? BF: Ich kann mich ja nicht gegen diese Anzeigen wehren, ich kann keinen Anwalt beschäftigen, weder ich, noch miene Mutter oder ein anderes Familienmitglied. Die Polizei und die Regierung sind beide gegen uns. VP: Ich verstehe das überhaupt nicht. Auf der einen Seite sagen Sie, ein Anwalt würde keine Dokumente über Ihre Fälle oder Anzeigen bekommen, auf der anderen Seite legen Sie mir heute zumindest eine Anzeige vor, in der Ihr Onkel nicht genannt wird. So gesehen hätte ein Anwalt diese Anzeige ja gar nicht bekommen können, erklären Sie mir das. BF: Der Anwalt würde ja nicht für mich arbeiten, wer würde sich nicht für mich einsetzen, er hat lediglich sich nur die Anzeige beheben lassen.“ Seit seiner Flucht im Jahr 2015 sei der BF nicht mehr in Bangladesch gewesen. „VP: Die beiden Anzeigen vom 1.6.2018 und 22.6.2019 - betreffen diese beiden Anzeigen auch Ihren Bruder? BF: Am 1.6.2018, ja. VP: Worum geht es bei dieser Anzeige vom 1.6.2018? BF: Ich konnte es mir nicht detailliert durchlesen, ich habe mir das Datum durchgelesen, danach gab es den Vorfall mit meinem Bruder. VP: Worum geht es bei der Anzeige vom 22.6.2019? BF: Ich habe es mir nicht durchgelesen, ich habe mir nur das Datum durchgelesen. Ich hatte die Gelegenheit nicht.“
Der BF sei Mitglied der BNP, Organisationssekretär des Flügels XXXX für einen Gemeindeverband gewesen. Dieser habe 150 bis 200 Arbeiter als einfache Mitglieder gehabt.
Befragt, warum man ihn anzeige, obwohl er ja gar nicht mehr in Bangladesch sei, gab der BF an: „Weil man mir politisch schaden möchte, man möchte mich politisch belasten, weil ich Anhänger der BNP bin. Die Regierungspartei möchte, dass Anhänger der BNP nie ihren Kopf nach oben stellen können und stolz mit offener Schulter gehen können. Sie möchte ebenso, dass Anhänger unserer Partei die schlechten Taten der Regierungspartei nicht aufdecken kann.“
Dargetan wurde, dass die Ehefrau des BF slowakische Staatsangehörige ist, die ihr unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht in Anspruch genommen hat.
I.12. Das Bundesverwaltungsgericht führte die in dem am 08.02.2021 stattgefundenen Teil der Beschwerdeverhandlung vorgelegten bengalisprachigen Dokumente einer Übersetzung zu.
I.13. Mit Schreiben vom 26.03.2021 nahm der BF durch die XXXX zum Verfahren Stellung. Darin bringt er im Wesentlichen zunächst vor, dass seine Ehefrau ihr unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht in Anspruch genommen habe, weshalb die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unzulässig sei. Zudem ist der Stellungnahme ein Schreiben beigelegt, in dem beantragt wird, die Strafverfahren betreffenden Unterlagen kriminaltechnisch untersuchen zu lassen, ein Sachverständigengutachten zur Fairness von Strafverfahren in Bangladesch einzuholen, „der Beweisaufnahme des Special Power Act Gesetzes“ aus Bangladesch, „der Beweisaufnahme des Digital Security Act Gesetzes“ aus Bangladesch (jeweils in Übersetzung in deutscher Sprache).
I.14. Am 31.03.2021 setzte das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerdeverhandlung fort, wobei diese infolge Erkrankung des BF neuerlich vertagt werden musste.
I.15. Am 27.04.2021 setzte das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerdeverhandlung fort. Der BF erschien mit einer Vertreterin der XXXX , weiters wurde die Ehefrau des BF einer zeugenschaftlichen Befragung unterzogen.
Dabei monierte der BF eingangs, dass im Verfahren vor dem BFA die von vorlegten Urkunden keiner Überprüfung zugeführt worden seien. Nach seinem Einkommen in Österreich befragt, gab der BF zu Protokoll: „Einkommen? Ich erhalte derzeit 1500 Taka von meiner Arbeit, manchmal sind es auch 1800 Taka oder vielleicht auch 1700 Taka, ich arbeite in der Selbstständigkeit und muss im Monat auch ungefähr 203 Taka an Steuern zahlen, mir bleiben aber 1400 bis 1500 Taka im Monat übrig. Ich versuche aber im Monat 100 bis 200 Taka zu sparen, damit ich am Ende des Jahres die Steuern auch bezahlen kann. Ich meine Euro.“ Der BF wohne gemeinsam mit einer Ehefrau in einer Mietwohnung. Separat in einem eigenen Zimmer lebe auch der Bruder des BF.
Die zeugenschaftlich befragte Ehefrau des BF gab soweit wesentlich zu Protokoll, seit 01.01.2019 in Österreich zu leben. Sie arbeite auf selbstständiger Basis als Essenszustellerin für die Firma XXXX . Früher habe sie in einem Restaurant gearbeitet. Am 12.09.2020 habe sie den BF geehelicht. Sie verdiene € 2.500,?, der BF € 1.500,?. Sie lebe seit 01.01.2019 in Österreich. Seit 2017 führe sie eine Beziehung mit dem BF, 2019 hätten sie beschlossen zu heiraten. Der BF habe Bangladesch aus politischen Gründen verlassen. Zu den Fluchtgründen führte die Zeugin aus: „VP: Können Sie das etwas genauer schildern? Z: Er war Mitglied von einer politischen Gruppe. VP: Wissen Sie wie diese politische Gruppe geheißen hat? Z: Nein. VP: Hat Ihnen der BF etwas erzählt über seine Flucht? Z: Wegen politischen Problemen musste er flüchten. VP: Hat er Ihnen keine Details erzählt? Z: Ich weiß, dass seine Mutter Probleme mit der Polizei hat. Er wird von der Polizei gesucht und manchmal, die Polizisten kommen zu denen und möchten wissen, wo er ist. VP: Wissen Sie, wann der BF aus Bangladesch geflohen ist? Z: Das genaue Datum weiß ich nicht.“ Die Zeugin wurde weiters zum Bruder des Beschwerdeführers befragt. Sodann hieß es weiter: „VP: Hat Ihr Ehemann andere Fluchtgründe außer politische Gründe? Z: Das weiß ich nicht. VP: Haben Sie nie mit Ihrem Ehemann über seine Flucht gesprochen? Z: Ein bisschen haben wir miteinander gesprochen. Ich weiß, dass er aus politischen Gründen flüchten musste. VP: Wie alt war denn Ihr Ehemann, als er aus politischen Gründen Bangladesch verlassen hat? Z: Jetzt ist er 30 Jahre alt und seit fünf Jahren lebt er in Österreich, also war er ca. 25 Jahre alt. VP: Ist Ihr Ehemann allein aus Bangladesch geflohen? Z: Das weiß ich nicht. VP: Wissen Sie wie alt Ihr Schwager war, als er aus Bangladesch geflohen ist? Z: Das weiß ich nicht. VP: Wissen Sie durch welche Länder Ihr Ehemann gekommen ist auf seinem Fluchtweg von Bangladesch nach Österreich? Z: Ich weiß, dass sie nicht mit einem Flugzeug geflogen sind. Sie sind teilweise zu Fuß gegangen und über welche Länder genau das weiß ich nicht. VP: Was war denn das fluchtauslösende Ereignis für Ihren Ehemann? Z: Ich weiß nur, dass er politische Probleme hatte. VP: Gab es irgendeinen besonderen Vorfall, weshalb ihr Ehemann aus Bangladesch geflohen ist? Z: Ich weiß nur, dass er politische Probleme hatte mehr nicht. VP: Wissen Sie welche Fluchtgründe Ihr Schwager hatte? Z: Auch politisch. VP: Waren das die einzigen Fluchtgründe, die Ihr Schwager hatte? Z: Ich weiß nur, dass sie beide politische Probleme hatten.“
Der BF gab an, seiner Frau nicht viel über seine Fluchtgründe erzählt zu haben, keine Details, weil sie dann nur noch mehr Angst bekommen würde und nicht nach Bangladesch reisen würde, auch wenn es in Zukunft möglich werden sollte. Der BF wolle schon mit seiner Ehefrau in Zukunft nach Bangladesch reisen, aber solange die BNP nicht an der Macht sei, könne er nicht nach Bangladesch reisen. Es sei eine Diktatur dort.
Die Zeugin gab an, sich nicht vorstellen zu können, in Bangladesch zu leben. Sie könne sich vorstellen, in der Slowakei zu leben, aber wolle gerne dableiben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:
Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali (AS 1, 117).
Der BF ist im Ort XXXX geboren und aufgewachsen und hat zuletzt dort gelebt (AS 1, 5, 117). Er hat im Heimatland die Grundschule, ein College und eine Universität besucht (AS 1, AS 117). Er hat einen Bachelor in Rechnungswesen abgeschlossen (AS 117; OZ 17Z S 10).
Der BF hat keine Kinder (OZ 17Z S 7). In Bangladesch halten sich die Mutter und zwei Schwestern des BF auf (AS 118; OZ 17Z S 5). Zwischen dem BF und seinen Verwandten besteht aufrechter regelmäßiger Kontakt (OZ 17Z S 5).
Der BF ist im September 2015 illegal in das Bundesgebiet eingereist. Er ist nicht in die staatliche Grundversorgung einbezogen. In Österreich arbeitet der BF für die Firma XXXX als Lebensmittelzusteller und bringt damit zwischen € 1.500,? und € 1.800,? monatlich ins Verdienen (OZ 29Z S 5).
In Österreich halten sich die Ehefrau des BF, die slowakische Staatsbürgerin ist, sowie sein Bruder auf. Die Ehefrau des BF arbeitet wie der BF als Lebensmittelzustellerin für die Firma XXXX (OZ 17Z S 7; OZ 29Z S 7). Darüber hinaus ist er in Österreich Mitglied in einem bengalischen XXXX verein (AS 123).
Der BF hat Deutschkurse besucht (AS 69 ff.). Mit dem BF ist eine Konversation in deutscher Sprache möglich. Der Sprachwortschatz ist ausreichend. Der BF bemüht sich um Antworten in vollen Sätzen (OZ 17Z S 6). Er ist strafrechtlich unbescholten.
Der BF ist am linken Ohr schwerhörig. Darüber hinaus ist er gesund und er nimmt auch keine Medikamente (OZ 17Z S 5).
II.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:
Nicht festgestellt werden kann eine konkrete Verfolgung des BF in Bangladesch.
Festgestellt wird, dass die Fluchtgeschichte des BF mit der Fluchtgeschichte seines Bruders, der gemeinsam mit ihm geflohen ist, nicht in Details übereinstimmt. Dies betrifft etwa die „Flucht“ aus dem Heimatdorf (eine Geschichte: per Bus; andere Erzählung: mit dem Auto eines Freundes), die Fluchtroute (Flugzeug versus Landweg), die Nennung des „Vaters bzw Onkels“ in der Anzeige.
Es wird daher festgestellt, dass der BF in keine politischen Auseinandersetzungen mit Mitgliedern der AL involviert war. Er wurde in Bangladesch nicht polizeilich verfolgt. Er ist auch nicht vor der Polizei geflohen und er wurde in Bangladesch auch nicht angezeigt.
Gegen den BF werden keine Strafverfahren geführt.
Im Falle einer Rückkehr könnte sich der BF allfälligen Behelligungen durch eine Niederlassung in anderen Landesteilen entziehen.
II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:
COVID-19:
Letzte Änderung: 11.11.2020
Die COVID-Krise trifft Bangladesch sehr hart, nachdem am 8.3.2020 die ersten Fälle nachgewiesen wurden. Die Regierung verhängte ab dem 22.3.2020 einen umfassenden Lockdown, der jedoch de facto immer brüchig war und einmal mehr und einmal weniger eingehalten wurde. Am 30.5.2020 wurde der Lockdown wieder aufgehoben, da eine weiter Fortsetzung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war (ÖB 9.2020). Die bangladeschische Regierung hat im April 2020 Hilfspakete mit einem Volumen in Höhe von 12 Milliarden USD beschlossen. Die Konjunkturmaßnahmen zielen unter anderem auf eine Stützung von für die Wirtschaft bedeutende Industriezweige wie die Textil- und Bekleidungsherstellung sowie den Agrar- und Nahrungsmittelsektor ab (GTAI 21.9.2020a). Im Zuge der COVID-Krise 2020 verloren nach Schätzungen der Bangladesh Economic Association etwa 36 Mio. Menschen während des Lockdowns ihre Arbeit, 25 Mio. rutschen zurück in die absolute Armut (ÖB 9.2020).
Das ohnehin schwache Gesundheitssystem Bangladeschs ist mit der Pandemie völlig überlastet (ÖB 9.2020). Durch die Coronakrise gerät das seit Jahrzehnten unterfinanzierte staatliche Gesundheitswesen in Bangladesch enorm unter Druck und die Versorgung von Covid-19-Patienten stößt an ihre Grenzen (GTAI 21.9.2020b). So sind landesweit nur etwas mehr als knapp 1.000 Intensivbetten verfügbar (GTAI 21.9.2020; vgl. WKO 4.2020). Davon sind 400 für die Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen ausgerüstet. Während es in der Hauptstadt Dhaka 400 Intensivbetten gibt, stehen in 47 der insgesamt 64 Verwaltungsbezirke überhaupt keine zur Verfügung (GTAI 21.9.2020).
Eine weitere Problemstellung für das Land stellen die zahlreichen Rückkehrer aus den Ländern des Nahen Ostens dar. Auf Grund der beengten Arbeits- und Lebensverhältnissen in den Gastländern sind diese Arbeiter besonders von Ansteckungen mit dem Virus betroffen. Darum, aber auch wegen des mit COVID verbundenen weltweiten Wirtschaftsabschwungs, schicken vor allem die Staaten des Nahen Osten tausende Arbeiter wieder zurück nach Bangladesch. Viele bringen so das Virus auf ihrem Heimweg mit ins Land. Da viele Migranten aus Bangladesch im Nahen Osten im Zuge der COVID-Krise ihre Arbeit verloren haben und ausgewiesen wurden, ist in den kommenden Jahren mit einem vermehrten Aufkommen von AsylwerberInnen aus Bangladesch in (West-)Europa zu rechnen (ÖB 9.2020).
Quellen:
? GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020a): Covid-19: Maßnahmen der Regierung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/covid-19-massnahmen-der-regierung-260866, Zugriff 5.11.2020
? GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020b): Covid-19: Gesundheitswesen in Bangladesch: https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/bangladeschs-wirtschaft-behauptet-sich-trotz-coronakrise-260868, Zugriff 5.11.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch
? WKO – Wirtschaftskammer Österreich (25.4.2020): Coronavirus: Situation in Bangladesch, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-bangladesch.html, Zugriff 8.5.2020
Politische Lage:
Letzte Änderung: 16.11.2020
Bangladesch ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Auf einer Fläche von ca. 148.000 km² leben etwa 163 Millionen Einwohner (CIA 4.11.2020; vgl. GIZ 5.2020, AA 6.11.2020).
Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 492 Polizeidistrikte (Thana/Upazila), mehr als 4.500 Gemeindeverbände (Unions) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (ÖB 9.2020). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 9.2020). Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).
Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 direkt gewählten Abgeordneten (ÖB 9.2020) sowie zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 11.2019a). Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 9.2020).
Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien AL und BNP bestimmt (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020, BS 29.4.2020). Klientelismus und Korruption sowie mafiöse Strukturen sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 21.6.2020; vgl. DGVN 2016). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 2020). Wie in der Region üblich, geht es bei politischen Parteien weniger um Ideologie, als um einzelne Persönlichkeiten und deren Netzwerke, die im Falle eines Wahlsieges auch finanziell profitieren, in dem sie mit wichtigen Staatsposten versorgt werden (ÖB 9.2020).
Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen überragenden Sieg (ÖB 9.2020) mit 96 Prozent der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. DT 27.1.2019, DW 14.2.2019).
Die Wahlen vom 30. Dezember 2018 waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und einem harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 31.12.2018). Frühzeitig wurde die Wahl durch die Wahlkommission als frei und fair bezeichnet. Unregelmäßigkeiten wurden nicht untersucht. Stattdessen wurden Journalisten wegen ihrer Berichterstattung verhaftet (HRW 14.1.2020). Es wurden rund 20 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet und Tausende verletzt (ÖB 9.2020; vgl. Reuters 1.1.2019). Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce“ und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen (ÖB 9.2020).
Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a).
Da die Politik in Bangladesch generell extrem korrupt ist, sind die Grenzen zwischen begründeter Strafverfolgung und politisch motivierter Verfolgung fließend. Sicherheitskräfte sind in jüngster Vergangenheit sowohl bei Demonstrationen von Anhängern der beiden Großparteien, als auch bei islamistischen oder gewerkschaftlichen Protesten mit Brutalität vorgegangen. Im Zuge des Wahlkampfes Ende 2018 wurden gegen Anhänger und KandidatInnen der oppositionellen BNP durch die Sicherheitsbehörden falsche Anzeigen verfasst (ÖB 9.2020).
Im Vorfeld der elften Parlamentswahl in Bangladesch wurden nach Angaben der Opposition seit Anfang November 2018 bis zu 21.000 ihrer Mitglieder und Aktivisten verhaftet. Mehrere Menschenrechtsgruppen haben seit Anfang 2018 einen dramatischen Anstieg von fingierten Klagen gegen Gegner der Regierungspartei festgestellt. Unter den Verhafteten befinden sich prominente Führer des Oppositionsbündnisses, wie Mainul Hosain wegen krimineller Diffamierung und Dr. Zaffrullah Chowdhury wegen Verrats, Erpressung und Fischdiebstahls (FIDH 9.1.2019). Die BNP-Vorsitzende, Khaleda Zia, war von März 2018 bis März 2020 aufgrund von Korruptionsvorwürfen im Gefängnis (AA 21.6.2020; vgl. NAU 25.3.2020). Seit Zia auf freiem Fuß ist, sind praktisch keine Aktivitäten der BNP mehr wahrnehmbar (ÖB 9.2020).
Nachdem die oppositionelle BNP nunmehr nicht existent ist und im politischen Prozess kaum bis gar keine Rolle mehr spielt, ist eine Verfolgung, bzw. Unterdrückung ihrer AnhängerInnen aus Sicht der Regierung offenbar nicht mehr nötig. Anzumerken ist, dass seit März 2020 das politische Geschehen vollständig von der COVID-Krise überlagert wird. Von einer staatlichen Überwachung der politischen Opposition ist auszugehen (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (6.11.2020): Bangladesch – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/-/206322, Zugriff 10.11.2020
? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
? BBC – British Broadcasting Corporation (31.12.2018): Bangladesh election: PM Sheikh Hasina wins landslide in disputed vote, https://www.bbc.com/news/world-asia-46718393, Zugriff 11.11.2020
? BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029402/country_report_2020_BGD.pdf, Zugriff 10.11.2020
? CIA – Central Intelligence Agency (4.11.2020): The World Factbook – Bangladesh, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/bg.html, Zugriff 10.11.2020
? DT – Dhaka Tribune (27.1.2019): Ruling party's Dr Younus Ali Sarker wins Gaibandha 3 by-polls, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2019/01/27/voting-in-gaibandha-3-by-polls-underway, Zugriff 10.11.2020
? DW – Deutsche Welle (14.2.2019): Bangladesh PM Sheikh Hasina hints at last term as prime minister, https://www.dw.com/en/bangladesh-pm-sheikh-hasina-hints-at-last-term-as-prime-minister/a-47513555, Zugriff 10.11.2020
? DGVN – Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (2016): EWP – Eine Welt Presse . Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, https://nachhaltig-entwickeln.dgvn.de/fileadmin/publications/PDFs/Eine_Welt_Presse/20170119_EWP_Arbeitsbedingungen_Nachdruck-web.pdf, Zugriff 9.11.2020
? FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.11.2020
? FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (9.1.2019): Joint statement [by AHRC - Asian Human Rights Commission; ANFREL - Asian Network for Free Elections; GNDEM - Global Network of Domestic Election Monitors; FIDH - International Federation for Human Rights; CMEV - Centre for Monitoring Election Violence, Sri Lanka] on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 10.11.2020
? GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2019a): Bangladesch – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 10.11.2020
? GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020): Bangladesch – Überblick, https://www.liportal.de/bangladesch/ueberblick/, Zugriff 10.11.2020
? Guardian, The (31.12.2018): Bangladesh PM Hasina wins thumping victory in elections opposition reject as 'farcical', https://www.theguardian.com/world/2018/dec/30/bangladesh-election-polls-open-after-campaign-marred-by-violence, Zugriff 10.11.2020
? Hindu, The (1.1.2019): Hasina’s triumph: on Bangladesh election results, https://www.thehindu.com/opinion/editorial/hasinas-triumph/article25874907.ece, Zugriff 10.11.2020
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 11.11.2020
? NAU – Schweizer Nachrichtenportal (25.3.2020): Bangladeschs Oppositionsführerin Zia aus Haft entlassen, https://www.nau.ch/politik/international/bangladeschs-oppositionsfuhrerin-zia-aus-haft-entlassen-65684195, Zugriff 10.11.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch, per E-Mail
? Reuters (1.1.2019): Western powers call for probe into Bangladesh election irregularities, violence, https://www.reuters.com/article/us-bangladesh-election/western-powers-call-for-probe-into-bangladesh-election-irregularities-violence-idUSKCN1OV1PK, Zugriff 10.11.2020
? USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 10.11.2020
Sicherheitslage:
Letzte Änderung: 16.11.2020
Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere der Awami League (AL) und der Bangladesh Nationalist Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende AL hat ihre politische Macht durch anhaltende Schikanen gegenüber der Opposition und den als mit ihr verbündet wahrgenommenen Personen sowie gegenüber kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft gefestigt (FH 2020). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).
Von nichtstaatlichen Akteuren (insbesondere der Opposition, Islamisten, Studenten) geht in vielen Fällen nach wie vor Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 21.6.2020).
Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020; vgl. AA 28.7.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 12.11.2020a).
Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna (UKFCO 12.11.2020b). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für solche Vorfälle sind (AA 21.6.2020).
In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 28.7.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Der inter-ethnische Konflikt in Myanmar wirkt sich auf Bangladesch aus. Er hat politische und soziale Spannungen insbesondere aufgrund der Ankunft von rund einer Million Rohingya-Flüchtlingen seit August 2017 verstärkt. Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben (HRW 18.9.2019; vgl. AnAg 5.11.2019, TDS 24.8.2019). Die Schutzfähigkeit staatlicher Behörden ist grundsätzlich gering. Die Behörden sind in der Regel keine neutralen Akteure, sondern unterstützen die politischen Ziele der jeweiligen Machthaber (ÖB 9.2020).
An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzsicherungsorganen. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKFCO 12.11.2020a). Auch wenn sich die dortige Lage zeitweise etwas entspannt, bleibt sie grundsätzlich labil (EDA 14.8.2020).
Das South Asia Terrorism Portal (SATP) verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2018 insgesamt 135 Vorfälle terrorismusrelevanter Gewalt im Land. Im Jahr 2019 wurden 104 solcher Vorfälle, bis zum 8.11.2020 wurden im Jahr 2020 insgesamt 82 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 8.11.2020).
Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) verzeichnet im Berichtzeitraum 2019 insgesamt 1.713 Konfliktvorfälle (angeführt werden beispielsweise Demonstrationen, Ausschreitungen, Kampfhandlungen, Gewalthandlungen gegen Zivilpersonen u.a.) bei denen 337 Personen getötet wurden (ACCORD 29.6.2020). 2020 wurden bis Ende Oktober in insgesamt 1.189 Konfliktvorfällen 244 Personen getötet (ACLED 4.11.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (28.7.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 9.11.2020
? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
? ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (29.6.2020): Bangladesh, year 2019: Update on incidents according to the Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2032553/2019yBangladesh_en.pdf, Zugriff 5.11.2020
? ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (4.11.2020): South Asia Regional Overview: Bangladesh, https://acleddata.com/2020/11/04/regional-overview-south-asia25-31-october-2020/, Zugriff 5.11.2020
? ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 5.11.2020
? AnAg – Anadolu Agency (5.11.2019): Bangladesh rejects Amnesty report on Rohingya killings, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/bangladesh-rejects-amnesty-report-on-rohingya-killings/1636457, Zugriff 13.11.2020
? AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023864.html, Zugriff 13.11.2020
? BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres (6.8.2020): Bangladesch – Reiseinformation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 16.11.2020
? EDA - Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (14.8.2020): Bangladesch, Spezifische regionale Risiken, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/bangladesch/reisehinweise-fuerbangladesch.html#par_textimage, Zugriff 10.11.2020
? FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 16.11.2020
? HRW – Human Rights Watch (18.9.2019): Spate of Bangladesh ‘Crossfire’ Killings of Rohingya, https://www.hrw.org/news/2019/09/18/spate-bangladesh-crossfire-killings-rohingya, Zugriff 16.11.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch
? SATP – South Asia Terrorism Portal (8.11.2020): Data Sheet – Bangladesh, Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 10.11.2020
? TDS – The Daily Star (24.8.2019): Jubo League leader killed by ‘Rohingyas’, https://www.thedailystar.net/frontpage/news/jubo-league-leader-killed-rohingyas-1789726, Zugriff 16.11.2020
? UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020a): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/safety-and-security, Zugriff 16.11.2020
? UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020b): Foreign travel advice Bangladesh – Terrorism, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/terrorism, Zugriff 16.11.2020
Rechtsschutz / Justizwesen:
Letzte Änderung: 11.11.2020
Die Justiz ist überlastet. Überlange Verfahrensdauern, Korruption und politische Einflussnahme behindern die Unabhängigkeit. Presseberichten zufolge kommt es in ländlichen Gebieten zu Verurteilungen durch unbefugte Dorfälteste oder Geistliche nach traditionellem, islamischem „Scharia Recht“. Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 8.2019). Nicht immer greifen die Behörden ein (AA 21.6.2020).
Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen Common Law. Die erstinstanzlichen Gerichte bestehen aus „Magistrates“, die der Exekutive zuzurechnen sind, sowie Session und District Judges, die der Judikative angehören. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem High Court, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem Appellate Court, dessen
Entscheidungen alle übrigen Gerichte, einschließlich des High Court, binden. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 9.2020).
Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 9.2020). Die Einflussnahme der Regierungspartei auf Parlament und Justiz haben deren Unabhängigkeit inzwischen weitgehend beseitigt (AA 21.6.2020).
Auf Grundlage des „Public Safety Act“, des „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, „Women and Children Repression Prevention Act” sowie des „Special Powers Act“ wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen – es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Speedy Trial Tribunals haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zu Tode verurteilt (ÖB 9.2020).
Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 2020). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom Dezember 2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018).
Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese „Gerichte“ eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 5.8.2020
? FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020
? FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 3.4.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch
Sicherheitsbehörden:
Letzte Änderung: 16.11.2020
Die Polizei ist beim Ministerium für Inneres angesiedelt und hat das Mandat, die innere Sicherheit sowie Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Armee, die dem Büro des Ministerpräsidenten untersteht, ist für die äußere Sicherheit zuständig, kann aber auch für innerstaatliche Sicherheitsaufgaben herangezogen werden. Zivile