TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/21 W164 2187315-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.06.2021
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Entscheidungsdatum

21.06.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28

Spruch


W164 2187315-1/34E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. Afghanistan, ehemals vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst, gem. GmbH, nun vertreten durch Verein ZEIGE, Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, vom 11.01.2018, Zl. 1087973206-151386805, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom 06.11.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 19.09.2015 nach illegaler Einreise den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und gab im Wesentlichen an, er habe seit seiner Kindheit illegal in Pakistan gelebt und sei dort bei einem Anschlag verletzt worden. Auch seine wirtschaftliche Lage in Pakistan sei schlecht gewesen.

Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vom 08.11.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im folgenden BFA) gab der BF an, er gehöre der Volksgruppe der Hazara an, und bekenne sich zum schiitischen Glauben. Seine Muttersprache sei Dari, er spreche auch Pashtu, Urdu und ein bisschen Deutsch. Der BF sei in der Provinz Uruzgan geboren. Im Alter von sechs Jahren habe ihn sein Onkel mütterlicherseits nach Pakistan mitgenommen, nachdem seine Eltern von Taliban entführt worden seien. Der BF habe mit seiner Schwester fortan in Pakistan gelebt, habe dort nur ein paar Monate die Schule besucht und dann im Haushalt mitgeholfen. Ab etwa 15 Jahren habe der BF drei Jahre eine Lehre bei einem Tischler gemacht. Das Zusammenleben mit dem Onkel sei schwierig gewesen. Dieser sei drogensüchtig gewesen. Nachdem der Onkel den BF im Streit verletzt hatte, habe dieser den Lehrherrn aufgesucht und habe dort ein paar Tage wohnen können. Der Lehrherr habe dem BF mitgeteilt, dass er einen Teil des Lehrlingsentgelts einbehalten habe und dem BF nun damit die Ausreise Europa finanzieren könne. Der BF habe eingewilligt und sei auf diesem Weg nach Österreich gekommen. In Österreich habe der BF Deutschkurse besucht und sich ehrenamtlich engagiert. Er plane, Koch zu werden. Der BF pflege nach wie vor Kontakt zu seiner Schwester und zu seinem pakistanischen Lehrherrn.

Mit Bescheid des BFA vom 11.01.2018 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass dem BF in Afghanistan keine Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara drohe. Zur Entführung seiner Eltern habe der BF widersprüchliche Angaben gemacht, denn bei der Erstbefragung habe er sie gar nicht erwähnt. Der BF sei gesund und arbeitsfähig, verfüge über Verwandte bzw. Bekannte in Pakistan, auf deren Unterstützung er vertrauen könne, er habe Schulbildung und Berufserfahrung, sei mit den kulturellen Gepflogenheiten seiner Heimat vertraut. Er könne sich gefahrlos in Kabul ansiedeln und dort für seinen Unterhalt sorgen. Der BF habe eine starke Bindung zu seinem Heimatstaat. In Österreich habe er keine Angehörigen und keine besonderen sozialen Kontakte. Der BF sei illegal eingereist, habe in Österreich nur einen vorläufigen Aufenthaltsstatus gehabt. Sein Asylantrag habe sich als unrechtmäßig herausgestellt. Der BF hätte sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein müssen. Der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung komme hoher Stellenwert zu.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht durch seine damalige Rechtsvertretung Beschwerde und brachte vor, er befürchte, aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara in Afghanistan verfolgt zu werden. Er sei seit seiner Flucht im sechsten Lebensjahr nicht mehr in Afghanistan gewesen, habe dort keine sozialen Anknüpfungspunkte und würde dort in eine unzumutbare Notlage geraten. Zum Zeitpunkt der Entführung seiner Eltern sei der BF ein Kleinkind und schwer traumatisiert gewesen. Dies sei im Rahmen der Beweiswürdigung nicht berücksichtigt worden. Die Erstbefragung habe primär der Ermittlung des Fluchtwegs gedient. Eine Befragung zu den näheren Fluchtgründen sei bei der Erstbefragung nicht vorgesehen. Der BF sei im Zuge der Erstbefragung nicht gefragt worden, warum er Afghanistan im Alter von sechs Jahren verlassen habe. Dass bereits konkrete Verfolgungshandlungen gegen ihn stattgefunden hätten, sei für die Annahme der Flüchtlingseigenschaft nicht erforderlich. Die Sicherheitslage in Afghanistan habe sich verschlechtert. Es sei zu zahlreichen Anschlägen auf schiitische Hazara gekommen. Eine Verfolgung dieser Gruppe könne als notorisch vorausgesetzt werden. Eine Ansiedlung in Kabul wäre dem BF mangels Bestehens eines starken sozialen Netzwerks nicht zumutbar. Kabul gelte mittlerweile als einer der gefährlichsten Orte für Zivilisten und zudem als sehr teure Stadt. Das in Afghanistan ursprünglich geltende Solidarsystem habe seine Gültigkeit verloren. Der BF verwies auf Friederike Stahlmann „Überleben in Afghanistan“. Dem Afghanischen Staat und den internationalen Organisationen fehle es an administrativen Kapazitäten, Rückkehrer aufnehmen zu können. Zudem konzentriere sich der afghanische Staat auf die Versorgung von Rückkehrern aus angrenzenden Ländern. Der BF wäre als Rückkehrer aus Europa und als Hazara von allgemeiner Ausgrenzung und von Diskriminierung bei der Jobsuche betroffen. Der BF halte sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf und bemühe sich um Integration. Er spreche sehr gut Deutsch, mache seinen Hauptschulabschluss und habe eine Lehrstelle zugesagt bekommen. Er habe in Österreich Freunde gefunden und achte die österreichischen Gesetze. Die Schutzwürdigkeit seines Privatlebens hätte angemessen in die Interessensabwägung einbezogen werden müssen.

Mit 12.11.2018 gab der Verein ZEIGE, Zentrum für Europäische Integration und globalen Erfahrungsaustausch, seine Bevollmächtigung bekannt und legte Nachweise über den Besuch eines Vorbereitungskurses auf den Pflichtschulabschluss, sowie Zeugnisse über bereits bestandene Teilabschlüsse dieser Prüfung vor. Mit 06.05.2019 legte der BF durch seine nunmehrige Rechtsvertretung das positive Jahreszeugnis betreffend die erste Fachklasse für den Lehrberuf Koch vor, mit 16.05.2019 eine Arbeitsbestätigung seines nunmehrigen Lehrherrn.

Mit Schreiben vom 18.10.2019 gab der BF durch seine Rechtsvertretung bekannt, dass er seit 05.04.2018 als Kochlehrling im Landgasthof XXXX , aufrecht beschäftigt sei und das erste Jahr der Berufsschule im März 2019 positiv absolviert habe. Sein Lehrherr und Dienstgeber bestätigte schriftlich, dass der BF auch in der Praxis über gute Fachkenntnisse verfüge. Er erledige spezifische Aufgaben bei Seminar- und Bankettveranstaltungen eigenständig. Seine Arbeit sei von hoher Qualität. Der BF zeichne sich durch ausgeprägtes Pflichtbewusstsein, Einsatzfreude und gute Zusammenarbeit im Team aus. Seine im gleichen Betrieb tätigen Arbeitskollegen würden die gute Zusammenarbeit, seine Geduld in Stresssituationen, seine Pünktlichkeit und Hilfsbereitschaft schätzen.

Beim Bundesverwaltungsgericht wurde am 06.11.2019 eine mündliche Verhandlung abgehalten, an der der BF im Beisein seines nunmehrigen Rechtsvertreters und eines Dolmetschers für die Sprache Dari teilnahm. Auch eine Vertreterin des BFA nahm an der Verhandlung teil.

Der BF machte zusammengefasst die folgenden Angaben: Sein Name sei XXXX . Er habe sich auch immer mit diesem Namen vorgestellt. In die Protokolle sei dann aber der Name XXXX geschrieben worden. Warum, sei ihm nicht erklärlich.

Der BF habe keine Kindheitserinnerungen an seine Eltern und an den Vorfall, als die Eltern verschleppt wurden. Auch seine Schwester habe von damals nichts erzählen können. Der BF wisse nur, was sein Onkel erzählt habe, nämlich, dass die Eltern von Taliban verschleppt wurden und dass der Onkel dann mit dem BF und seiner Schwester nach Pakistan geflohen sei. Der BF habe mit 15 Jahren bei einem Tischler, seinem pakistanischen Lehrherrn zu arbeiten und zu lernen begonnen und weiterhin bei seinem Onkel gewohnt. Während dieser Jahre habe ihn ein Freund, der ihn im Geschäft besuchte, ein paar Monate hindurch von Zeit zu Zeit privat Englisch unterrichtet, hauptsächlich mündlich und auch ein wenig schriftlich. In seiner Muttersprache könne der BF nicht lesen und schreiben. In diesen drei Jahren seiner Beschäftigung sei der BF auch einmal, als er etwas von einem anderen Ort abholen sollte, in die Nähe einer Bombenexplosion geraten und erst wieder im Spital aufgewacht. Dies habe er bei der Erstbefragung erwähnt. Von seinem Onkel weggelaufen sei der BF im Alter von 18 Jahren, nachdem ihn dieser geschlagen habe. Der BF sei zu seinem Lehrherrn gegangen und habe bei diesem ein paar Tage wohnen können. Dann habe ihm der Lehrherr gesagt, dass etwas geschehen müsse, der BF könne nicht bei ihm bleiben. Der Lehrherr habe dem BF mitgeteilt, dass er vom Lohn des BF Geld für den BF zurückgelegt habe. Der Lehrherr habe angeboten, mit einem Bekannten zu reden, damit dieser dem BF helfen würde, aus Afghanistan wegzukommen. Dieser Bekannte habe den BF an die Grenze zum Iran begleitet und dort an einen anderen Bekannten übergeben. Dass sein Lehrherr Geld für ihn gespart hatte, habe der BF bis dahin nicht gewusst. Er habe bis dahin ein geringes Entgelt von seinem Lehrherrn erhalten.

In Österreich habe der BF zwei Teilprüfungen des Pflichtschulabschlusses (Englisch und Gesundheit und Soziales) geschafft. Den Pflichtschulabschluss werde er noch nachholen. Derzeit besuche er die Berufsschule für den Fachberuf Koch. Deutschprüfungen habe er nicht abgelegt, jedoch habe er in der Berufsfachschule das Fach Deutsch, dieses sei im Zeugnis positiv benotet. Der BF habe vor allem beim Lesen und Schreiben Probleme. Er plane, ein guter Koch zu werden. Er sei mit einem Kollegen und einer Kollegin befreundet und treffe diese auch in der Freizeit, um mit ihnen etwas zu unternehmen. Der BF wohne im Betrieb seines nunmehrigen Lehrherrn.

Der BF legte Lohn- und Gehaltsabrechnungen aus seinem aktuellen Lehrverhältnis und ein Empfehlungsschreiben seines Lehrherrn vor, mit dem dieser die Ehrlichkeit, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Teamfähigkeit des BF hervorhob.

Seitens des BFA wurde vorgebracht, dass sich aus den Ausführungen des BF kein besonders schützenswertes Privat- und Familienleben ergebe. Es sei auch keine besondere Integrationsverfestigung erkennbar. Allein das Lehrverhältnis bilde keine besondere Integration. Der BF habe sich seines ungewissen Aufenthalts bewusst sein müssen.

Im Jänner 2020 legte der BF einen Nachweis für sein bis 04.04.2021 aufrechtes Lehrverhältnis vor. Mit 20. Februar 2020 legte der BF Empfehlungsschreiben vor, die seine engagierte ehrenamtliche Tätigkeit im Altenwohnhaus „ XXXX bestätigen. Mit 08.06.2020 legte der BF ein positives Jahreszeugnis über die dritte Klasse (12. Schulstufe) der Landesberufsschule XXXX vor, mit 23. Juli 2020 legte der BF eine Weiterbeschäftigungszusage seines Lehrherrn für die Zeit ab Abschluss der Lehrzeit vor. Mit 19.02.2021 legte der BF eine Bestätigung über die Teilnahme am Vorbereitungskurs auf die Lehrabschlussprüfung für Kochlehrlinge des Wifi XXXX und ein positives (Noten von sehr gut bis befriedigend) Jahres- und Abschlusszeugnis der Landesberufsschule XXXX vom 05.02.21 vor, womit der BF das Bildungsziel der Berufsschule für den Lehrberuf erreicht und die Berufsschulpflicht in diesem Lehrberuf erfüllt hat. Der BF legte ferner eine Teilnahmebestätigung an der Tourismusakademie des Wifi (1.2.21 bis 8.2.21) vor (Abschlussprüfung mit ausgezeichnetem Erfolg).

Mit Schreiben vom 01.06.2021 gab der BF auf Nachfrage durch seine Rechtsvertretung bekannt, dass die Lehrabschlussprüfung als Folge der COVID-Einschränkungen leicht verspätet also erst im Juli 2021 stattfinden werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:

Der strafrechtlich unbescholtene BF führt den Namen XXXX ; er wurde am XXXX in Afghanistan in der Provinz Uruzgan geboren, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zum schiitischen Glauben. Seine Muttersprache ist Dari. Der BF verbrachte nur seine erste Kindheit mit seinen Eltern und seiner Schwester in Afghanistan. Als er sechs Jahre alt war, verlor seine Eltern. Sein Onkel mütterlicherseits nahm ihn und seine Schwester zu sich und zog mit den beiden Kindern nach Pakistan, wo sie fortan lebten. Durch Erzählungen seines Onkels erfuhr der BF, dass seine Eltern von Taliban entführt wurden. Der BF besuchte keine Schule und kann in seiner Muttersprache nicht lesen und schreiben. Er half im Haushalt. Mit etwa 15 Jahren begann er bei einem Tischler zu arbeiten und zu lernen. In dieser Zeit nahm er auch bei einem Freund Privatstunden und lernte Englisch. Da der Onkel drogensüchtig war, wollte der BF nicht länger bei ihm leben. Mit Unterstützung seines Lehrherrn wurde der BF an einen Schlepper vermittelt, der ihn in den Iran brachte. Der BF gelangte auf diesem Weg nach Europa.

In Österreich hat der BF zwei Teilprüfungen der Pflichtschulabschlussprüfung abgelegt. Er absolviert seit April 2018 eine Lehre als Koch und steht unmittelbar vor der Lehrabschlussprüfung.

Allgemeine Lage im Herkunftsstaat:

Quellen: UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR); EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO); Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 11.06.2021 (LIB).

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen bis 39 Millionen Menschen (LIB, S 23).

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die Afghan National Defense Security Forces aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen um Provinzhauptstädte herum stationierte Koalitionstruppen. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (LIB, S 34).

Drei Behörden sind für die Sicherheit in Afghanistan zuständig: Das afghanische Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das Nationale Direktorat für Sicherheit (NDS). Die dem Innenministerium unterstellte Afghanische Nationalpolizei (ANP) trägt die Hauptverantwortung für die innere Ordnung und für die Afghan Local Police (ALP), eine gemeindebasierte Selbstverteidigungstruppe, die rechtlich nicht in der Lage ist, Verhaftungen vorzunehmen oder Verbrechen unabhängig zu untersuchen. Im Juni 2020 kündigte Präsident Ghani Pläne an, die afghanische Lokalpolizei in andere Zweige der Sicherheitskräfte einzugliedern, vorausgesetzt, die Personen können eine Bilanz vorweisen, die frei von Vorwürfen der Korruption und Menschenrechtsverletzungen ist. Ende 2020 war die Umsetzung dieser Pläne im Gange. Die Major Crimes Task Force, die ebenfalls dem Innenministerium unterstellt ist, untersucht schwere Straftaten, darunter Korruption der Regierung, Menschenhandel und kriminelle Organisationen. Die Afghanische Nationalarmee (ANA), die dem Verteidigungsministerium untersteht, ist für die äußere Sicherheit zuständig, ihre Hauptaufgabe ist jedoch die Aufstandsbekämpfung im Inneren. Das NDS fungiert als Nachrichtendienst und ist für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, die die nationale Sicherheit betreffen (USDOS 30.3.2021). Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanischen bzw. Koalitionskräften unterstützt (USDOD 1.7.2020). (LIB, S 266)

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB S 239).

Die Ergebnisse des AIHRC zeigen, dass Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger das häufigste Ziel von gezielten Angriffe waren. Im Jahr 2020 verursachten gezielte Angriffe 2.250 zivile Opfer, darunter 1.078 Tote und 1.172 Verletzte. Diese Zahl macht 26% aller zivilen Todesopfer im Jahr 2020 aus (LIB S 37)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17), landesweit betrug die Zahl 88. Angriffe auf hochrangige Ziele setzen sich im Jahr 2021 fort.

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich fort. Der Großteil der Anschläge richtet sich gegen die ANDSF und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in der Provinz Nangarhar zu einer sogenannten ’green-on-blue-attack’: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens sechs Personen getötet und mehr als zehn verwundet. Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt.

Seit Februar haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen um Provinzhauptstädte – wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden (USDOD 1.7.2020). Die Taliban setzten außerdem bei Selbstmordanschlägen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh an Fahrzeugen befestigte improvisierte Sprengkörper (SVBIEDs) ein.

Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden (LIB, S 27f).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt. Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt, was den afghanischen Friedensprozess gefährden könnte (LIB, S 34f).

UNHCR: Afghanistan ist weiterhin von einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt betroffen, bei dem die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF), unterstützt von den internationalen Streitkräften, mehreren regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) gegenüberstehen.

Dem UN-Generalsekretär zufolge steht Afghanistan weiterhin vor immensen sicherheitsbezogenen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Sicherheitslage soll sich insgesamt weiter verschlechtert und zu einer sogenannten „erodierenden Pattsituation“ geführt haben. Berichten zufolge haben sich die ANDSF grundsätzlich als fähig erwiesen, die Provinzhauptstädte und die wichtigsten städtischen Zentren zu verteidigen, im ländlichen Raum hingegen mussten sie beträchtliche Gebiete den Taliban überlassen.

Von dem Konflikt sind weiterhin alle Landesteile betroffen. Seit dem Beschluss der Regierung, Bevölkerungszentren und strategische ländliche Gebiete zu verteidigen, haben sich die Kämpfe zwischen regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) und der afghanischen Regierung intensiviert. Es wird berichtet, dass regierungsfeindliche Kräfte immer öfter bewusst auf Zivilisten gerichtete Anschläge durchführen, vor allem durch Selbstmordanschläge mit improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und komplexe Angriffe. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) setzen ihre groß angelegten Angriffe in Kabul und anderen Städten fort und festigen ihre Kontrolle über ländliche Gebiete. Es wurden Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit und Effektivität der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) geäußert, die Sicherheit und Stabilität in ganz Afghanistan zu gewährleisten.

Trotz der ausdrücklichen Verpflichtung der afghanischen Regierung, ihre nationalen und internationalen Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, ist der durch sie geleistete Schutz der Menschenrechte weiterhin inkonsistent. Große Teile der Bevölkerung einschließlich Frauen, Kindern, ethnischer Minderheiten, Häftlingen und anderer Gruppen sind Berichten zufolge weiterhin zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch unterschiedliche Akteure ausgesetzt.

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden laut Berichten in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betreffenden Gebiete tatsächlich kontrolliert. In von der Regierung kontrollierten Gebieten kommt es Berichten zufolge regelmäßig zu Menschenrechtsverletzungen durch den Staat und seine Vertreter. In Gebieten, die (teilweise) von regierungsnahen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, begehen diese Berichten zufolge straflos Menschenrechtsverletzungen. Ähnlich sind in von regierungsfeindlichen Gruppen kontrollierten Gebieten Menschenrechtsverletzungen, darunter durch die Etablierung paralleler Justizstrukturen, weit verbreitet. Zusätzlich begehen sowohl staatliche wie auch nicht-staatliche Akteure Berichten zufolge außerhalb der von ihnen jeweils kontrollierten Gebiete Menschenrechtsverletzungen. Aus Berichten geht hervor, dass besonders schwere Menschenrechtsverletzungen insbesondere in umkämpften Gebieten weit verbreitet sind.

Sogar dort, wo der rechtliche Rahmen den Schutz der Menschenrechte vorsieht, bleibt die Umsetzung der nach nationalem und internationalem Recht bestehenden Verpflichtung Afghanistans diese Rechte zu fördern und zu schützen, in der Praxis oftmals eine Herausforderung. Die Regierungsführung Afghanistans und die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit werden als besonders schwach wahrgenommen.

Beobachter berichten von einem hohen Maß an Korruption, von Herausforderungen für effektive Regierungsgewalt und einem Klima der Straflosigkeit als Faktoren, die die Rechtsstaatlichkeit schwächen und die Fähigkeit des Staates untergraben, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten. Berichten zufolge werden in Fällen von Menschenrechtsverletzungen die Täter selten zur Rechenschaft gezogen und für die Verbesserung der Übergangsjustiz besteht wenig oder keine politische Unterstützung.

Gemäß der Verfassung darf niemand ohne ordentliches Gerichtsverfahren festgenommen oder inhaftiert werden. Die Verfassung enthält außerdem ein absolutes Verbot des Einsatzes von Folter. Der Einsatz von Folter stellt nach dem Strafgesetzbuch eine Straftat dar, während die harte Bestrafung von Kindern durch das Jugendgesetz untersagt ist. Darüber hinausverabschiedete das Oberhaus der Nationalversammlung im Januar 2018 den konsolidierten Wortlaut eines neuen Anti-Folter-Gesetzes.

Trotz dieser Rechtsgarantien bestehen Bedenken hinsichtlich des Einsatzes von Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gegenüber Häftlingen, insbesondere von im Zusammenhang mit dem Konflikt verhafteten Personen, denen Unterstützung von regierungsfeindlichen Kräften zur Last gelegt wird und die in Gefängnissen des Inlandsgeheimdienstes (NDS), der afghanischen nationalen Polizei (ANP) (einschließlich der afghanischen nationalen Grenzpolizei ANBP), der afghanischen nationalen Streitkräfte (ANA) und der afghanischen lokalen Polizei (ALP) inhaftiert sind. UNAMA berichtete 2017, dass in vom Inlandsgeheimdienst (NDS) betriebenen Gefängnissen in fünf Provinzen „systematisch oder regelmäßig und weitverbreitet“ gefoltert wird und dass „ausreichend glaubhaften und verlässlichen Berichten zufolge in 17 anderen Provinz- oder staatlichen Einrichtungen des Inlandsgeheimdienstes gefoltert wird“. UNAMA dokumentierte außerdem „systematische Folterung und Misshandlung” in Haftanstalten der afghanischen nationalen Polizei (ANP) oder der afghanischen nationalen Grenzpolizei (ANBP) in den Provinzen Kandahar und Nangarhar sowie „Berichte über Verstöße in 20 anderen Provinzen, wobei die Behandlung von Häftlingen durch die ANP in den Provinzen Farah und Herat” besondere Sorge bereitet. Unter den Inhaftierten, bei denen die Anwendung von Folter festgestellt wurde, befanden sich auch Kinder.

UNHCR ist der Auffassung, dass Personen, die einem oder mehreren der folgenden Risikoprofile entsprechen, abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles möglicherweise internationalen Schutz benötigen:

(1) Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte, verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen;

(2) Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen;

(3) Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Zusammenhang mit der Einberufung von Minderjährigen und der Zwangsrekrutierung;

(4) Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden;

(5) Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen die Scharia verstoßen haben;

(6) Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung regierungsfeindlicher Kräfte verstoßen haben;

(7) Frauen mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

(8) Frauen und Männer, die angeblich gegen gesellschaftliche Normen verstoßen haben;

(9) Personen mit Behinderungen, insbesondere geistigen Beeinträchtigungen, und Personen, die unter psychischen Erkrankungen leiden;

(10) Kinder mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

(11) Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind;

(12) Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder Geschlechtsidentität;

(13) Angehörige gewisser Volksgruppen, insbesondere ethnischer Minderheiten;

(14) An Blutfehden beteiligte Personen, und

(15) Geschäftsleute und andere wohlhabende Personen (sowie deren Familienangehörige).

Ad 13: Die Bevölkerung Afghanistans besteht aus mehreren unterschiedlichen ethnischen Gruppen, die traditionell ein hohes Maß an Autonomie gegenüber der Zentralregierung besitzen. Infolge verschiedener historischer Bevölkerungsbewegungen in der Vergangenheit – freiwilliger und erzwungener Art – wohnen einige Angehörige ethnischer Gruppen mittlerweile außerhalb der Gebiete, in denen sie traditionell der Mehrheit angehörten. Daher können Personen, die einer der größten ethnischen Gruppe des Landes angehören, tatsächlich an ihrem Wohnort zu einer ethnischen Minderheit gehören und dementsprechend aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit mit Diskriminierung oder Misshandlungen an ihrem Wohnort konfrontiert sein. Hingegen besteht möglicherweise für ein Mitglied einer ethnischen Gruppe oder eines Clans, der bzw. die auf nationaler Ebene eine Minderheit darstellt, kein Risiko aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit in Gebieten diskriminiert zu werden, in denen diese ethnische Gruppe bzw. dieser Clan lokal die Mehrheit bildet.

Es sei auch darauf hingewiesen, dass die unterschiedlichen ethnischen Gruppen nicht notwendigerweise homogene Gemeinschaften bilden. Unter Paschtunen können beispielsweise starke Rivalitäten zwischen verschiedenen Untergruppen Spannungen und Konflikte verursachen. Es sei ferner darauf hingewiesen, dass ethnische Zugehörigkeit und Religion oftmals untrennbar miteinander verbunden sind, insbesondere in Bezug auf die ethnische Gruppe der Hazara, die vorwiegend schiitisch ist. Daher ist es nicht immer möglich, zu unterscheiden, ob Religion oder die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe als primärer Grund für Vorfälle oder Spannungen anzusehen ist. Da die politische Zugehörigkeit wiederum oftmals von der ethnischen Zugehörigkeit abhängt, können (vermeintliche) politische Überzeugungen und ethnische Zugehörigkeit untrennbar miteinander verbundene Elemente in Konflikten und Spannungen zwischen verschiedenen Gruppen sein.

Es bestehen weiterhin starke Trennlinien zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen in Afghanistan. Im „Peoples under Threat”-Index von Minority Rights Group International ist Afghanistan als fünftgefährlichstes Land der Welt für ethnische Minderheiten aufgeführt, insbesondere aufgrund der gezielten Angriffe auf Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe und Religion. Der Index weist insbesondere Hazara, Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Turkmenen und Belutschen als gefährdete ethnische Gruppe in Afghanistan aus.

Die Verfassung garantiert die „Gleichheit aller ethnischen Gruppen und Stämme“. Dennoch klagen Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen über Diskriminierung von staatlicher Seite auch in Form von ungleicher Behandlung bei der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst und beim Zugang zu medizinischer Versorgung in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Hazara, die überwiegend Schiiten sind, wurden bereits in der Vergangenheit durch die sunnitische Bevölkerungsmehrheit ausgegrenzt und diskriminiert. Seit dem Ende des Taliban- Regimes im Jahr 2001 haben sie Berichten zufolge erhebliche wirtschaftliche und politische Fortschritte gemacht, doch mehren sich seit den letzten Jahren Berichten zufolge Fälle von Schikanen, Einschüchterung, Entführung und Tötung durch die Taliban, den Islamischen Staat und andere regierungsfeindliche Kräfte.

Uruzgan:

Die Provinz Uruzgan liegt im zentralen Teil Afghanistans und ist auch unter dem Namen Rozgan oder Uruzganis bekannt. Uruzgan grenzt an die Provinzen Daikundi im Norden, Ghazni im Osten, Zabul und Kandahar im Süden und Helmand im Westen. Der Highway von Kandahar nach Uruzgan führt durch die Distrikte Chora und Tirinkot. Sein Ausbau wird durch Talibanaktivitäten seit Jahren verzögert, die Straße wird durch die Taliban beschädigt oder blockiert; die Taliban legen Sprengsätze entlang der Straße und halten Reisende auf. Militärische Operationen werden durchgeführt, um die Straße von den Taliban-Aufständischen zu räumen. Im Winter kann die Straße wegen starken Schneefalls blockiert sein.Der Flughafen Tirinkot wird Stand Anfang Oktober 2020 aus Kabul von Kam Air drei Mal pro Woche mit Linienflügen für Passagiereangeflogen.

Immer wieder kommt es zu Konflikten zwischen den in der Provinz Uruzgan beheimateten ethnischen Gruppen der Paschtunen und Hazara. Ende Oktober 2018 kam es im Distrikt Khas Uruzgan zu gezielten Angriffen der Taliban auf Hazara, was den Tod von Dutzenden Zivilisten und die Vertreibung von mindestens 500 Familien zur Folge hatte. Die Taliban kontrollieren die ländlichen Gebiete der Provinz. Speziell die Provinzhauptstadt Tirinkot hat seit der Verlautbarung der Frühjahrsoffensive der Taliban im Jahr 2019 einen Anstieg an Aufständischenaktivitäten registriert. Die Zentralregierung hat nur geringe Kontrolle in der Provinz, so werden 80% aller Rechtsstreitigkeiten der Provinz werden von Talibangerichten entschieden. U.a. im Distrikt Dehrawud verteilen und verkaufen die Taliban staatliches Land und heben Steuern ein. Die afghanische Regierung war dort in den letzten zehn Jahren nicht in der Lage, die regulären Steuern einzuheben).

Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 182 zivile Opfer (61 Tote und 121 Verletzte) in der Provinz Uruzgan. Dies entspricht einem Rückgang von 26% gegenüber 2019. Die Hauptursachen für die Opfer waren Bodenkämpfe gefolgt improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und Luftangriffen. Im Juni 2019 wurde berichtet, dass sich die Sicherheitslage in manchen Distrikten in den vorangegangenen Monaten verschlechtert hat. Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt. In der Provinz kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen und Luftangriffen, bei denen Aufständische getötet oder Gefangene der Taliban befreit werden.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, durch Abhaltung der mündlichen Verhandlung vom 06.11.2019 und durch Einsichtnahme in die nachfolgend vorgelegten Integrationsnachweise, wie einleitend unter Punkt I., „Verfahrensgang“ angeführt. Die strafrechtliche Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus dem Strafregister der Republik Österreich. Die vom BF vorgebrachte Lebensgeschichte erscheint soweit hier wesentlich unbedenklich. Soweit dem BF im angefochtenen Bescheid widersprüchliche Angaben vorgehalten werden, da er die Entführung seiner Eltern in der Erstbefragung nicht erwähnt hat, ist dem zunächst entgegenzuhalten, dass dass die Erstbefragung gemäß § 19 AsylG primär der Ermittlung der Identität und der Reiseroute der Fremden zu dienen hat sich aber nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Vor diesem Hintergrund kann dem BF nicht vorgehalten werden, dass er seine Geschichte anlässlich der Erstbefragung nicht vollständig erzählt hat. Dass der BF die meiste Zeit seiner Kindheit und Jugend bei seinem Onkel mütterlicherseits in Pakistan gelebt hat, hat er durchgehend widerspruchsfrei dargelegt. Seine Ausführungen, wonach er dort nur ein paar Monate und dann nicht mehr zur Schule gehen durfte, stattdessen im Haushalt half und zwischen 15 und 18 bei einem Tischler arbeitete und lernte, erscheinen unbedenklich und wurden auch von der belangten Behörde nicht angezweifelt.

Da der BF im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat, dass sein Familienname XXXX laute und dass dieser Name offenbar durch einen Schreibfehler auf „ XXXX “ verkürzt wurde, war der Familienname des BF entsprechend zu ändern.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Frage der Asylberechtigung:

Gemäß § 3 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in der Folge GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; Neufassung) verweist.

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Für eine „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.02.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 09.03.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183; VwGH 18.02.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, 94/18/0263; VwGH 01.02.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, 98/01/0370; VwGH 22.10.2002, 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, 98/01/0503 und 98/01/0648).

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. z.B. VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; VwGH 15.03.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „inländischen Flucht- oder Schutzalternative“ (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539).

Bezogen auf den vorliegenden Fall ergibt sich daraus:

Der BF stützt sein Asylbegehren im Wesentlichen auf seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara. Konkrete Anhaltspunkte für eine dem BF mit maßgebender Wahrscheinlichkeit drohende asylrelevante Verfolgungsgefahr aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara hat dieser allerdings nicht glaubhaft gemacht. Die bloß entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt in diesem Kontext nicht. Nach EGMR (Entscheidung vom 05.07.2016, 29094/09, A.M./Niederlande), führt weder die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara noch die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan als solche zu einem derart hohen Risiko, dass bei einer Rückkehr automatisch die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bestünde. Diese Judikatur wird auch vom Verwaltungsgerichtshof herangezogen (vgl Ra 2018/14/0428 vom28.03.2019). Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

Zur Frage des Anspruches auf subsidiären Schutz:
Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 3 und 6 AsylG ist der Asylantrag bezüglich dieses Status abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann. Daraus und aus mehreren anderen Vorschriften (§ 2 Abs. 1 Z 13, § 10 Abs. 1 Z 2, § 27 Abs. 2 und 4 und § 57 Abs. 11 Z 3 AsylG) ergibt sich, dass dann, wenn dem Asylwerber kein subsidiärer Schutz gewährt wird, sein Asylantrag auch in dieser Beziehung förmlich abzuweisen ist.

Die Zuerkennung von subsidiärem Schutz setzt voraus, dass die Abschiebung des Betroffenen in seine Heimat entweder eine reale Gefahr einer Verletzung insbesondere von Art. 2 oder 3 EMRK bedeuten würde oder für ihn eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Herkunftsstaat des Betroffenen mit sich bringen würde.

Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. VwGH vom 26.04.2017, Ra 2017/19/0016).

Für die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK setzt die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Einzelfallprüfung voraus. In diesem Zusammenhang sind konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, ausgeführt hat, reicht es für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan nicht aus, bloß auf die allgemeine schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu verweisen. Hinsichtlich der Sicherheitslage geht der Verwaltungsgerichtshof von einer kleinräumigen Betrachtungsweise aus, wobei er trotz der weiterhin als instabil bezeichneten Sicherheitslage eine Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere nach Mazar-e Sharif, im Hinblick auf die regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt unterschiedliche Sicherheitslage als nicht grundsätzlich ausgeschlossen betrachtet (vgl. VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0369-11).

Dem BF steht eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Uruzgan nicht offen, da er diese im Kindesalter verließ, dort über keine Angehörigen mehr verfügt und Uruzghan zu den volatilen Provinzen Afghanistans gehört.

Zur Frage einer innerstaatlichen Schutzalternative:

Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art. 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) zur Verfügung steht (§ 8 Abs. 3 AsylG).

Für die Prüfung einer innerstaatlichen Schutzalternative ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Schutzalternative ins Auge gefassten Gebiet Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiären Schutz rechtfertigen würden, gegeben sind. Daher scheidet das ins Auge gefasste Gebiet aus, wenn in dieser Region Verhältnisse herrschen, die Art. 3 EMRK widersprechen. Von dieser Frage ist getrennt zu beurteilen, ob dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann, bzw. dass vom ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, sich in dem betreffenden Gebiet niederzulassen.

Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, muss es dem Asylwerber möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (VwGH 05.04.2018, Ra 2018/19/0154 mit Verweis auf VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, mwN).

UNHCR ist der Auffassung, dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist.

Bei der Provinz Balkh, mit deren Hauptstadt Mazar- e Sharif, handelt es sich laut EASO um einen jener Landesteile, wo willkürliche Gewalt ein derart niedriges Ausmaß erreicht, dass für Zivilisten im Allgemeinen keine reelle Gefahr besteht, von willkürlicher Gewalt im Sinne von Art 15 (c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen zu sein.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt. Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben.

Die Stadt Mazar- e Sharif ist über den internationalen Flughafen sicher erreichbar. Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher.

In Mazar- e Sharif besteht laut EASO grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Generell besteht in Mazar- e Sharif laut EASO, trotz der im Umland herrschenden Dürre, keine Lebensmittelknappheit. In Mazar- e Sharif haben die meisten Leute laut EASO Zugang zu erschlossenen Wasserquellen sowie auch zu Sanitäreinrichtungen.

Mazar-e Sharif und die Provinz Balkh sind historisch betrachtet das wirtschaftliche und politische Zentrum der Nordregion Afghanistans. Mazar-e Sharif profitierte dabei von seiner geografischen Lage, einer vergleichsweise effektiven Verwaltung und einer relativ guten Sicherheitslage (STDOK 21.7.2020; vgl. GoIRA 2015). Mazar-e Sharif gilt als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (GoIRA 2015). Die Arbeitsmarktsituation ist auch in Mazar-e Sharif eine der größten Herausforderungen. Auf Stellenausschreibungen melden sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele Bewerber und ohne Kontakte ist es schwer, einen Arbeitsplatz zu finden. In den Distrikten ist die Anzahl der Arbeitslosen hoch. Die meisten Arbeitssuchenden begeben sich nach Mazar-e Sharif, um Arbeit zu finden (STDOK 21.7.2020) (LIB s 367f ).

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt (ILO 5.2012; vgl. ACCORD 7.12.2018). Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (FAO 23.11.2018; vgl. Haider/Kumar 2018), wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hatte (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 7.2019). 45% aller Beschäftigen arbeiten im Agrarsektor, 20% sind im Dienstleistungsbereich tätig (STDOK 10.2020; vgl. CSO 2018). Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014-2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird (WB 8.2018; vgl. STDOK 10.2020). Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Das Wirtschaftswachstum konnte sich zuletzt aufgrund der besseren Witterungsbedingungen für die Landwirtschaft erholen und lag 2019 laut Weltbank-Schätzungen bei 2,9%. Für 2020 geht die Weltbank COVID-19-bedingt von einer Rezession (bis zu -8% BIP) aus (AA 16.7.2020; vgl. WB 4.2020). Eine Reihe von U.S.- Wirtschafts- und Sozialentwicklungsprogrammen haben ihre Ziele für das Jahr 2020, aufgrund COVID-19-bedingter Einschränkungen nicht erreicht (SIGAR 30.1.2021). (LIB S 356f).

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018 (USAID, 12.1.2021; vgl. UNOCHA 19.12.2020, UNOCHA 12.11.2020). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten.

Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021). Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt.

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass d

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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