TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/23 W209 2198622-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.06.2021
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Entscheidungsdatum

23.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a

Spruch


W209 2198622-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Mag. Wolfgang AUNER, Rechtsanwalts-Kommandit-Partnersch.KG, Parkstraße 1, 8700 Leoben, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.05.2021, Zl. 1094988802/210100510, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG (Spruchpunkte I. und II.), Versagung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkte III.), Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkte IV.), Feststellung gemäß § 52 Abs. 9 FPG, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.), Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1a FPG (Spruchpunkt VI.) und Erlassung eines befristeten Einreiseverbotes für die Dauer von zwei Jahren gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG (Spruchpunkt VII.) zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (in der Folge BF) stellte erstmals am 16.11.2015 in Österreich einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz. In seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF zu seinem Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, dass er und seine Familie persönliche Feinde und Probleme mit den Taliban gehabt hätten. Der Mullah des Dorfes habe gewollt, dass der BF nach Pakistan gehen solle, um dort zu einem Selbstmordattentäter zu werden. Daraufhin seien sie geflohen. Im Falle seiner Rückkehr befürchte der BF umgebracht zu werden.

2. Am 23.06.2016 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) niederschriftlich einvernommen. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme gab der BF an, er sei uneingeschränkt gesund und strafrechtlich unbescholten und habe anlässlich seiner Ersteinvernahme stets die Wahrheit gesagt. Seine Angaben seien auch richtig protokolliert worden. Er befinde sich aktuell in Grundversorgung und verfüge im Bundesgebiet über eine Tante mütterlicherseits, die sich mit ihrer Familie ebenfalls im Asylverfahren befinde und noch keine Entscheidung erhalten habe. Er besuche eine Neue Mittelschule, betreibe in seiner Freizeit regelmäßig Sport und habe auch an einem Schwimmkurs teilgenommen. Er habe sieben Jahre lang (bis 2014) eine Schule in der Stadt KUNDUZ besucht. Daneben habe er auch in einer Apotheke gearbeitet, die teilweise im Eigentum seiner Familie gestanden und integraler Bestandteil einer Privatklinik gewesen sei. Sein Vater habe sich hauptberuflich als Autoverkäufer betätigt. Seine Familie halte sich gegenwärtig in der Provinz HERAT auf. Der BF sei zwar gemeinsam mit seinen Angehörigen ausgereist, im Iran jedoch von diesen getrennt worden. Dort sei seine Familie von der Polizei aufgegriffen und in ihr Heimatland überstellt worden, wo sie schließlich geblieben sei. Finanziell gehe es seiner Familie nach wie vor verhältnismäßig gut, zumal ein Großonkel mütterlicherseits weiterhin in KUNDUZ lebe und von dort aus die Einnahmen aus der Apothekenbeteiligung sowie dem Autohandel an den Vater des BF schicke. Darüber hinaus seien auch noch diverse Tanten sowie eine Großmutter in Afghanistan, konkret in KUNDUZ und KABUL, wohnhaft; seine Geschwister würden weiterhin die Schule besuchen. Der BF stehe via SKYPE regelmäßig in Kontakt mit seinen Angehörigen. Die wirtschaftliche Situation seiner Familie qualifizierte der BF wörtlich als „sehr gut“. Der BF habe ursprünglich mit seiner Familie in einem Dorf namens XXXX gewohnt. Später sei die ganze Familie in die bloß 20 Minuten Autofahrt entfernte Stadt KUNDUZ übersiedelt, wobei sein Vater das bisherige Wohnhaus weitervermietet habe. Fluchtauslösend sei der Vorschlag eines Mullahs seiner Koranschule gewesen, der den BF wegen dessen außergewöhnlich guten Gedächtnisses nach Pakistan schicken habe wollen, damit sich dieser dort weiterbilden könne. Der BF habe seinem Vater von der Idee des Mullahs berichtet, welcher sich daraufhin im Dorf umgehört habe, wo ihm zugetragen worden sei, dass die Schüler, die nach Pakistan geschickt werden, dort zu Selbstmordattentätern ausgebildet würden. Daraufhin habe sein Vater den Mullah bei der örtlichen Polizeidienststelle angezeigt, woraufhin dieser zunächst auch festgenommen worden sei. Nach einigen Tagen sei der Mullah jedoch wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Einige Tage später habe sich ein Überfall auf seinen Vater ereignet, in dessen Verlauf dieser von drei oder vier vermummten Personen auf offener Straße verprügelt worden sei. Die Verletzungen seien so schwer gewesen, dass sein Vater seinen Kopf im Krankenhaus habe bandagieren lassen müssen. Mehrere Tage nach dieser Prügelattacke habe sein Vater einen Anruf erhalten, in dem er dazu aufgefordert worden sei, den BF in den Jihad zu schicken, weil er aufgrund seiner Tätigkeit in einer Apotheke über medizinischen Kenntnisse verfüge. Andernfalls würde die gesamte Familie des BF ausgelöscht werden. Zum Beweis seines Vorbringens legte der BF die Kopien zweier Drohbriefe sowie eine schriftliche Anzeige bei der Terrorismusbekämpfungsbehörde der Stadt KUNDUZ vor. Das erste Schreiben sei unter der Haustür durchgeschoben, das zweite unter den Scheibenwischer des Autos des Vaters gesteckt worden. Die Originale befänden sich noch immer in Afghanistan bei einem Onkel. Diese Drohbriefe seien hauptausschlaggebend für die Wohnsitzverlegung der Familie in die Stadt gewesen. Das habe der BF aber erst später erfahren. Darüber hinaus sei sein Vater von den Taliban telefonisch aufgefordert worden, seinen Bruder und zugleich Onkel des BF zur Beendigung seiner Zusammenarbeit mit der Regierung zu bewegen. Letzterer habe als Mechaniker in seiner eigenen Werkstatt regelmäßig beschädigte Fahrzeuge repariert, die von der afghanischen Regierung genutzt worden seien. Ungefähr vor eineinhalb Jahren seien dann besagter Onkel und dessen Sohn während eines Gesprächs mit dem Leiter der Verkehrsbehörde durch einen Selbstmordanschlag getötet worden. Dieser Vorfall habe dann die Familie letztendlich zur Übersiedlung in die Stadt veranlasst. Die Anzeige bei der Behörde für Terrorismusbekämpfung habe nicht den gewünschten Erfolg gebracht, zumal KUNDUZ kurze Zeit später von den Taliban eingenommen worden sei. Als erste Reaktion habe ein Onkel den BF am schnellste Wege mit dem Auto aus der Stadt in die Provinz TAKAR gebracht und in weiterer Folge auch den Rest der Familie vor Ort zusammengeführt. Anschließend sei man gemeinsam nach KABUL aufgebrochen, von wo aus der Vater des BF den Schlepper respektive die Ausreise organisiert habe. Derzeit habe seine Familie keine Probleme mit den Taliban, zumal letztere keine Kenntnis vom aktuellen Aufenthaltsort seiner Familie hätten. Sollte sich dies jedoch ändern, würden sie wahrscheinlich Schwierigkeiten bekommen. Der BF selbst habe zu keinem Zeitpunkt persönliche Drohungen erhalten. Da die Taliban aber nichts vergessen würden, könnte es sein, dass sie den BF noch irgendwo gebrauchen könnten. Für diesen Fall befürchte der BF, gegen seinen Willen zur Kooperation mit den Taliban gezwungen oder schlimmstenfalls sogar ermordet zu werden.

3. In einer schriftlichen Stellungnahme vom 04.07.2016 brachte der BF über seine damalige rechtsfreundliche Vertretung vor, aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der „Familie“ asylrelevant verfolgt zu werden. Zudem würde dem BF von den Taliban eine ihren Interessen entgegenstehende politische und religiöse Gesinnung unterstellt werden. Der afghanische Staat könne keinen effektiven Schutz vor der Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppen bieten.

4. Mit Schriftsatz vom 25.07.2016 präsentierte der BF über seine gewillkürte Vertretung ein Konvolut an Dokumenten, bestehend aus einer Anzeige, der Tazkira im Original, einen Lageplan des Heimatortes, zwei Drohbriefe sowie dem Briefkuvert, in welchem die Dokumente von Afghanistan nach Österreich geschickt worden seien.

5. In einer weiteren Urkundenvorlage vom 01.12.2016 brachte der BF u.a. Bestätigungen betreffend den Tod seines Onkels und dessen Sohnes sowie zwei weitere Bestätigungen über deren Ermordung und zwei Briefumschläge in Vorlage.

6. Mit Bescheid vom 15.05.2018, Zl. 1094988802 – 151785394, wies das BFA den Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Schließlich wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass der BF keinerlei Furcht vor Verfolgung glaubhaft machen habe können. Im vorliegenden Fall habe keine individuelle Gefährdungslage in Bezug auf den Asylwerber festgestellt werden können und sei eine seine Person betreffende Verfolgungshandlung auch nicht für die Zukunft zu befürchten. Es stehe dem BF frei, bei seiner Familie in HERAT zu leben und dort seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Umstand, dass sich die Familie des BF laut dessen Aussage seit geraumer Zeit völlig unbehelligt in der Provinz HERAT aufhalte, lasse zudem den Schluss zu, dass im gegenständlichen Fall entweder gar keine oder zumindest keine landesweite Bedrohung durch die Taliban vorliegen könne. Auch subsidiärer Schutz könne dem BF nicht zuerkannt werden. Als jungem gesunden Mann mit Schulbildung und Berufserfahrung könne dem BF grundsätzlich eine Teilnahme am lokalen Erwerbsleben prinzipiell zugemutet werden; die Provinz HERAT sei über einen eigenen Flughafen problemlos zu erreichen und könne der BF auf die Unterstützung seiner dort ansässigen Familie zählen, zu der er ohnehin regelmäßig Kontakt halte. Darüber hinaus seien ihm sowohl die Landessprache als auch die kulturellen Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut. In einer Gesamtschau könnten daher vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte keinerlei Anhaltspunkte dahingehend erkannt werden, die eine ernsthafte Gefahr für Leben oder Unversehrtheit des Asylwerbers nahelägen. Dass der BF über keinerlei nennenswerte private oder familiäre Bindungen im Bundesgebiet verfüge, ergebe sich aus seinen eigenen diesbezüglichen Angaben. Bei den in Österreich aufhältigen Personen handle es sich lediglich um weitschichtige Verwandte, während die Kernfamilie nach wie vor im Heimatland lebe. Es liege keine berücksichtigungswürdige Eingliederung in die österreichische Gesellschaft vor, es seien lediglich vereinzelte Integrationsschritte gesetzt worden, wie etwa dem Erlernen rudimentärer Deutschkenntnisse.

7. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesveraltungsgerichtes vom 31.08.2020, GZ: W150 2198622-1/10E, als unbegründet abgewiesen und dies (zusammengefasst) damit begründet, dass es dem BF nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention in seinem Herkunftsstaat glaubhaft zu machen. Eine Rückkehr nach HERAT sei möglich und zumutbar. Hinsichtlich der erstmals im Rahmen seiner niederschriftlichen Befragung vor dem Bundesverwaltungsgericht in den Raum gestellten Übersiedelung sämtlicher Familienmitglieder in den Iran respektive den Tod von Tante und Großmutter, jeweils unabhängig voneinander und alles im Jahre 2018, sei auszuführen, dass diese Angaben als reine Schutzbehauptungen zu werten seien. Weder seien in diesem Kontext irgendwelche Beweismittel präsentiert worden, noch habe der BF den genauen Aufenthaltsort seiner Kernfamilie im Iran oder deren Motiv für die Wohnsitzverlegung ins Nachbarland nennen können. Letzteres sei besonders angesichts des vom BF behaupteten permanenten und regelmäßigen Kontakts mit Eltern und Geschwistern unglaubwürdig. Das Vorbringen, dass auch die Großmutter und Tante im selben Jahr aus nicht näher erwähnten Gründen verstorben seien und der bisher als Eigentumsverwalter der Familie tätige Onkel ebenfalls 2018 ohne nachvollziehbarer Erklärung das Land verlassen habe, wodurch letztlich auch die Quelle des bisherigen finanziellen Wohlstandes versiegt sei, sei ausgesprochen lebensfremd, oberflächlich und in der konkret dargelegten Form nicht einmal in Ansätzen glaubwürdig. Es sei daher davon auszugehen, dass entgegen den Angaben des BF sehr wohl noch diverse familiäre Anknüpfungspunkte in HERAT respektive KABUL existierten, der BF diese jedoch vorsätzlich in Abrede gestellt habe, um dadurch einer befürchteten Rückführung in sein Heimatland zu entgehen. Angesichts der bereits in der Vergangenheit unter Beweis gestellten guten Verbindungen nach Afghanistan wäre diesbezüglich zu erwarten gewesen, dass der BF seine diesbezüglichen Ausführungen mit entsprechenden Detailinformationen respektive Beweismitteln glaubhaft machen hätte können; die bloße Behauptung als solche vermöge für sich alleine einen derartigen Schluss objektiv nicht zu rechtfertigen. Auch im Hinblick auf die aktuelle COVID-19-Pandemie könne im Entscheidungszeitpunkt keine Gefährdung nach Art. 3 EMRK erkannt werden. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder die Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reiche nicht aus. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 lägen nicht vor. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung sei im Hinblick auf die schwach ausgeprägten privaten Interessen des BF in Österreich geboten gewesen und auch nicht unverhältnismäßig.

8. Am 25.01.2021 stellte der BF den gegenständlichen Folgeantrag. Anlässlich seiner niederschriftlichen Erstbefragung am selben Tag gab der BF zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass die alten Asylgründe noch immer gelten würden. Sein Vater sei am 09.10.2020 von den Taliban ermordet worden. Das habe ihm seine Familie noch am gleichen Tag am Telefon erzählt. Er fürchte, dass ihn die Taliban ebenfalls töten würden. Weiteren Gründe für eine Asylantragstellung habe er nicht.

9. Am 30.03.2021 wurde der BF in der Erstaufnahmestelle West bezüglich seines Folgeantrages auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er – zu seinem Grund für die neuerliche Stellung eines Asylantrages befragt – im Wesentlichen an, dass sein Vater mittlerweile von den Taliban ermordet worden sei. Am 24.09.2020 sei im vierten Bezirk von KUNDUZ eine Bombe explodiert, wobei sein Onkel mütterlicherseits schwer verletzt worden sei. Dieser Onkel heiße XXXX und sei ein Staatsanwalt von KUNDUZ. Über diese Explosion gebe es ein Video, das er vorlegen könne. Dieses Video habe die Polizei angefertigt, weil es sich bei dem Opfer um einen Staatsanwalt handle. Er habe auch eine Kopie des Dienstausweises seines Onkels und seine Tazkira sowie die Kopie der Todesanzeige seines Vaters. Dieser Onkel sei in ein Spital nach Kabul gekommen. Am 09.10.2020 habe der Vater des BF den Onkel in KABUL im Spital besuchen wollen. Zwischen KUNDUZ und BAGHLAN sei das Auto angehalten und sein Vater festgenommen und ermordet worden. Danach habe ihn seine Mutter sogleich angerufen und ihm vom Tod seines Vaters berichtet. Zu diesem Zeitpunkt sei er in der Schule gewesen, weswegen es Zeugen für diesen Anruf gebe. Es gebe auch ein Video, auf dem man die Leiche seines Vaters sehen könne. Seine Familie habe bis August 2020 im Iran gelebt und sei dann von dort nach Afghanistan abgeschoben worden. In der Folge habe die Familie bei dem Onkel, der Staatsanwalt sei, gewohnt. Sein Großvater mütterlicherseits sei noch am Leben. Die Taliban hätten ihn angerufen und Bescheid gesagt, dass sein Vater tot sei und die Familie kommen solle, um sich um den Leichnam zu kümmern. Er habe dann die Weißbärtigen eingeschaltet. Sein Großvater heiße XXXX und lebe ebenfalls in der Stadt KUNDUZ. Seine Mutter habe den Tod seines Vaters angezeigt. Diese Anzeige sei in Afghanistan elektronisch registriert worden und könne überprüft werden. Was seinem Vater passiert sei, werde auch ihm passieren, wenn er zurückkehre. Die Taliban würden Personen wie seinem Onkel nie verzeihen. Wenn sie ihn finden würden, würden sie ihn umbringen. Das gelte auch für nahe Verwandte seines Onkels und somit auch für den BF. Die Taliban wüssten genau über die Verwandtschaft Bescheid. Der lebende Großvater mütterlicherseits sei der Bruder des Großvaters väterlicherseits des BF. Als sein Onkel angegriffen worden sei, sei sein Leibwächter auch dabei gewesen. Dieser heiße Kommandant XXXX und sei auch schwer verletzt worden. Er habe seine Beine und einen Arm verloren. Diese Person sei auch im Video zu sehen.

10. Am 27.04.2021 wurde der BF erneut vom BFA einvernommen worden. Dabei gab der BF an, dass in seinem Heimatdorf alle gewusst hätten, dass sie mit dem Staatsanwalt verwandt seien. Auf Vorhalt, wieso er dann nicht mit den Problemen mit dem Mullah, die er ihm Erstverfahren als Fluchtgrund angeführt habe, zu seinem Onkel, der Staatsanwalt sei, gegangen sei, führte der BF aus, dass dieser Vorfall schon vor 6 bis 8 Jahren stattgefunden habe, er damals noch sehr jung gewesen sei und auch nicht wisse, ob sein Onkel damals schon Staatsanwalt gewesen sei. Die Frage, wieso er im Erstverfahren nicht von seinem Onkel, dem Staatsanwalt, erzählt habe, beantwortete der BF dahingehend, dass er nur das gesagt habe, was er von seiner Familie erfahren habe. Diese habe ihm erzählt, dass niemand mehr in Afghanistan sei. Erst nachdem sein Vater getötet worden sei, habe man ihm alles erzählt. Die Videos habe er von seinem Onkel erhalten, mit dem er über Facebook Kontakt gehabt habe. Was mit der Anzeige seiner Mutter passiert sei, könne er nicht sagen. In Afghanistan könne sich niemand um die Anzeige kümmern. Seine Mutter habe ein Baby und seine Geschwister seien zu klein. Schließlich ergänzte der BF sein Fluchtvorbringen dahingehend, dass er sich sicher sei, dass ihm in Afghanistan dasselbe Schicksal ereilen würde wie seinem Vater. Er sei der nächste in der Familie, der getötet werde. Wegen dieser Schwierigkeiten sei sein Vater in den Iran gegangen und wegen diesen Schwierigkeiten sei er getötet worden, als der dorthin zurückgekehrt sei.

11. Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 31.05.2021, Zl. 1094988802/210100510, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 25.01.2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkte III.), eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1a FPG nicht gewährt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein befristetes Einreiseverbot für die Dauer von zwei Jahren erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend führte das BFA aus, dass bereits im Vorverfahren festgestellt worden sei, dass die drohende Rekrutierung durch den Mullah und der gewaltsame Tod eines Onkels und dessen Sohns nicht glaubhaft gewesen seien. Im gegenständlichen Verfahren habe er sein nicht glaubhaftes Vorbringen gesteigert. Daher hab sich diesbezüglich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt seit Rechtskraft des Vorverfahrens nicht geändert. Sofern nunmehr ergänzend vorgebracht worden sei, dass der Onkel mütterlicherseits des BF schwer verletzt und der Vater des BF von den Taliban getötet worden sei, komme diesem Vorbringen kein glaubhafter Kern zu. So habe der BF diesen Onkel im Vorverfahren mit keinem einzigen Wort erwähnt, obwohl er ausdrücklich nach in Afghanistan verbliebenen Familienangehörigen gefragt worden sei und umfangreiche, wenngleich widersprüchliche Angaben zum Verbleib seiner Familienangehörigen, einschließlich diverser Onkel und Tanten sowohl mütterlicherseits als auch väterlicherseits gemacht habe. Schließlich habe der BF auch nicht nachvollziehbar darlegen können, wieso sein Vater sich hinsichtlich seiner Probleme mit dem Mullah im Heimatdorf nicht an den Onkel, der Staatsanwalt sei, gewendet habe. Zur vorgelegten Kopie des Dienstausweises sei anzuführen, dass sämtliche Urkunden in Afghanistan problemlos gegen finanzielle Zuwendungen oder aus Gefälligkeit erhältlich seien. Auch die Angaben zum Tod seines Vaters seien nicht schlüssig gewesen. Einerseits habe der BF angegeben, dass der Grund für den Tod seines Vaters in dessen Problemen mit dem eingangs erwähnten Mullah gelegen sei. Andererseits habe er einen Zusammenhang mit dem angeblichen Angriff auf seinen Onkel, der Staatsanwalt sei, hergestellt. Schließlich sei auch der Umstand, dass die gesamte Familie des BF nach wie vor in KUNDUZ lebe, ein Beleg dafür, dass der BF dort keiner Bedrohung ausgesetzt sei. Hinsichtlich der vorgelegten Anzeigebestätigung betreffend die Ermordung des Vaters des BF gelte das oben Gesagte. Auch die vorgelegten Videos und Fotos seien nicht geeignet, das Vorbringen des BF zu untermauern. Aus dem Video vom Anschlag ergebe sich keinerlei Hinweis auf seine Person. Insbesondere werde in dem Video auch nicht der Name des Staatsanwalts erwähnt. Auch beim Video des Begräbnisses ergebe sich weder ein Hinweis darauf, dass die Person, die beerdigt wurde, der Vater des BF sei, noch auf die Todesursache. Schließlich habe sich auch hinsichtlich der Lage im Herkunftsstaat keine entscheidungswesentliche Änderung ergeben. Zwar sei man im Vorverfahren davon ausgegangen, dass die Familie des BF in HERAT lebe und der BF daher nach HERAT zurückkehren könne, wogegen sich nunmehr herausgestellt habe, dass die Familie in KUNDUZ sei. Eine wesentliche Änderung des Sachverhalts ergebe sich dadurch aber nicht, da die Familie des BF den BF auch im Falle einer Rückkehr nach MAZAR-E SHARIF zumindest anfangs unterstützen könne. Aus den Länderinformationen ergebe sich, dass MAZAR-E SHARIF ausreichend sicher sei und auch die Versorgungslage nicht dergestalt sei, dass eine Rückkehr nach MAZAR-E SHARIF den BF in eine ausweglose Lage bringen würde. Da sich die allgemeine Lage wie auch der körperliche Zustand des BF seit der letzten Entscheidung nicht entscheidungswesentlich geändert hätten, könne davon ausgegangen werden, dass eine Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat keine Gefahr der Verletzung der Artikel 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 und 13 zur Konvention bedeuten würde. Hinsichtlich der COVID-19-Pandemie sei schließlich festzuhalten, dass der BF unter keine einschlägige Risikogruppe falle. Für Personen seiner Altersgruppe ohne einschlägige Vorerkrankungen bestehe nur ein minimales Risiko eines schweren Verlaufs und jedenfalls ein noch geringeres Risiko eines tödlichen Verlaufs. Für die Annahme eines „real risk“ gebe es in diesem Zusammenhang somit keinerlei medizinischen Anhaltspunkt. Dies selbst, wenn man ein faktisches Fehlen intensivmedizinischer Betreuung vor Ort in die Entscheidung mit einfließen lasse. Diese Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 lägen nicht vor. Die Rückkehrentscheidung verletze den BF auch nicht in seinem Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens. Die Abschiebung Fremder in einen Staat sei gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würden oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre. Wie bereits unter den Spruchpunkten I. und II. dargelegt, ergebe sich im Fall des BF keine derartige Gefährdung. Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe im Fall einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG keine Frist für die freiwillige Ausreise. Daher sei von einer Erteilung der Frist abzusehen gewesen. Mit einer Rückkehrentscheidung könne vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Dabei sei das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Falls – wie im vorliegenden Fall – keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt oder einer Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen worden sei, müsse die Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen. Angesichts der Weigerung des BF, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen, und seiner Mittellosigkeit, die bereits eine negative Prognose für den weiteren Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet begründe, habe eine Gesamtbeurteilung des Verhaltens des BF, seiner Lebensumstände sowie seiner familiären und privaten Anknüpfungspunkte im Zuge der von der Behörde vorgenommenen Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung eines Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig sei, die vom BF ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern. Das ausgesprochene Einreiseverbot sei daher zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten.

12. Gegen den Bescheid vom 31.05.2021 erhob der BF, zu diesem Zeitpunkt vertreten durch Mag. Wolfgang AUNER, Rechtsanwalts-Kommandit-Partnersch.KG, mit Schreiben vom 11.06.2021 in vollem Umfang Beschwerde. Begründend wurde ausgeführt, dass in Anbetracht der schlüssigen Angaben zum Todesfall des Vaters am 09.10 2020 keinesfalls ausgeschlossen werden könne, dass die Taliban auch nach dem Leben des BF trachten würden, dies vor allem auch unter Bezugnahme auf den Umstand, dass offenkundig ein Onkel des BF als Staatsanwalt in Afghanistan tätig sei, welcher bei einer Explosion am 24.09.2020 schwer verletzt worden sei. Es werde daher der Antrag gestellt, der gegenständlichen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Der BF sei im österreichischen Bundesgebiet unbescholten, habe einen Freundes- und Familienkreis aufgebaut und seien in Hinblick auf sein Vorbringen Beweise von Seiten der belangten Behörde nicht aufgenommen worden. Aufgrund seiner schlüssigen und nachvollziehbaren Angaben sei jedenfalls nicht auszuschließen, dass er, für den Fall der Notwendigkeit der Rückkehr in das Herkunftsland, ebenfalls Widrigkeiten gegen Leib und Leben erfahren müsste, wie dies bereits dem Onkel und seinem Vater, welcher getötet worden sei, widerfahren sei. Es stünden somit keine schwerwiegenden öffentlichen Interessen der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entgegen. Unter anderem habe auch im Herkunftsland des BF die COVID-19-Pandemie zu massiven ökonomischen Verwerfungen geführt und soziale Notlagen verschärft. Der bevorstehende Abzug der Nato-Truppen aus Afghanistan lasse zudem eine weitere Verschärfung der – auch durch die Pandemie verschlechterten, prekären Lage – befürchten. Aktuellen Berichten zufolge rückten die Taliban infolge des Abzugs der internationalen Truppen an die großen Städte heran und brächten Fernstraßen unter ihre Kontrolle (so z.B. Tiroler Tageszeitung 08.06.2021 u.a.). Trotz vermeintlicher Friedensgesprächen würden die Gespräche stocken und die Taliban weiter vorrücken. Aufgrund des Umstandes, dass sowohl der Onkel des BF durch diese zu Schaden gekommen und dessen Vater getötet worden sei, sei, da es sich beim BF nun um das Familienoberhaupt handle, davon auszugehen, dass diesem ebenfalls mit Widrigkeiten gegen Leib und Leben begegnet werden würde.

Zur Beschwerde gegen den beschwerdegegenständlichen Bescheid wurde ausgeführt, dass der BF konkret dargelegt habe, dass er, für den Fall der Notwendigkeit der Rückkehr in das Herkunftsland, fürchte, zu Tode gebracht zu werden. Der BF habe überprüfbar angegeben, dass er erst zum genannten Datum von seiner Familie in Kenntnis gesetzt worden sei, dass sein Vater getötet wurde. In diesem Zusammenhang werde festgehalten, dass seine Bekannten in Österreich von der Todesnachricht durch die Familie erfahren und die entsprechende Betroffenheit und Trauer des BF miterlebt hätten. Diese hätten in diesem Zusammenhang von Seiten der belangten Behörde einvernommen werden müssen. Von seiner Seite sei angegeben worden, dass der Schuldirektor, ein Lehrer und eine Vertrauensperson Zeugen des Anrufs gewesen seien, als dieser die Todesnachricht erhalten habe. Der BF habe konkrete und überprüfbare Angaben dazu machen können, wann und wo der Vater von den Taliban ermordet worden sei. Zudem habe der BF angeführt, dass am 24.09.2020 eine Bombe im Auto des Onkels explodiert sei; auch dies hätte entsprechend überprüft werden können und müssen. Der BF habe konkrete Angaben dazu gemacht, dass der Onkel schwer verletzt worden sei, wie dessen Namen sei und, dass es sich bei dem Onkel um einen Staatsanwalt von KUNDUZ handle. Der BF habe auch dargelegt, dass es ein Video gebe, welches die Explosion veranschaulichen würde. Dementsprechend seien auch USB-Sticks von Seiten des BF zur Vorlage gebracht worden. Von diesem sei zudem angegeben worden, dass er eine Tante in Österreich habe. Im Weiteren habe der BF konkret angegeben, dass seine Mutter den Tod des Vaters in Afghanistan auch entsprechend angezeigt habe; diese Anzeige sei in Afghanistan auch elektronisch registriert worden und überprüfbar. Auch habe der BF dargelegt, dass der Vater den Onkel (Staatsanwalt) besucht und unterstützt habe, nachdem dieser bei einer Explosion, wie oben angeführt, schwer verletzt worden sei. Der BF habe konkrete Angaben zu den von ihm zur Vorlage gebrachten Videos gemacht; dieser habe auch erklärt, um welche Personen es sich handle, welche im Video zu sehen seien. Von Seiten des BF werde angeführt, dass dieser seinen Onkel, Staatsanwalt, in Afghanistan in der Vergangenheit selten gesehen hätte und er sich in der Zeit im Herkunftsland auch nicht interessiert habe, welcher Beschäftigung dieser nachgegangen sei; nach Österreich gekommen, habe zum Onkel kein Kontakt mehr bestanden, weshalb dieser auch im ersten Asylverfahren nicht erwähnt worden sei. Der BF habe auch dargelegt, dass von seiner Mutter Anzeige erstattet worden sei, was den Tod seines Vaters im Herkunftsland betreffe; die Polizei unternehme jedoch offensichtlich nichts. Wenn die Behörde weiters feststelle, dass im Vorverfahren von Seiten des BF nicht erwähnt worden sei, dass er einen Onkel habe, der Staatsanwalt sei, werde dem entgegengehalten, dass aufgrund der aktuellen Situation, nämlich der offenkundig versuchten Tötung dessen, dieser Onkel aktuell von Bedeutung sei und treffe die belangte Behörde keine Feststellung, weshalb der Onkel im Vorverfahren hätte erwähnt werden sollen oder müssen. Zum damaligen Zeitpunkt habe kein Bezug zu diesem bestanden. Soweit diese feststelle, dass der BF im Vorverfahren angegeben habe, dass er in Afghanistan keine Angehörigen hätte, wird dem entgegengehalten, dass allfällige Widersprüche aufgeklärt hätten werden müssen und dem BF die Möglichkeit eingeräumt hätte werden müssen, entsprechend darzulegen, warum er zu dem erwähnten Onkel, welcher Staatsanwalt sei, ursprünglich keine Angaben gemacht habe bzw. ob dieser Onkel nicht ebenfalls entsprechend eine Zeitlang im Iran auffällig gewesen sei. Wie oben erwähnt, habe kein regelmäßiger Kontakt zu diesem bestanden. Da es aber nunmehr zu den Aufgaben des Onkels als Staatsanwalt gehöre, Terrorismus zu bekämpfen, hätte im Weiteren im Rechtshilfeweg/durch einen Vertrauensanwalt bzw. die Beiziehung eines länderkundigen Sachverständigen aus Afghanistan auch der Onkel einvernommen werden können und müssen. Allfällige zeitliche Differenzen bzw. Widersprüche hätten so, entsprechend der Notwendigkeit der Erforschung des maßgebend zugrunde liegenden Sachverhalts, von Seiten der Behörde aufgeklärt werden müssen bzw. dem BF entsprechend die Möglichkeit eingeräumt werden müssen, hierzu entsprechend Stellungnahme abzugeben. Die belangte Behörde ergehe sich in unstatthaften Vermutungen zu Ungunsten des BF, wenn diese anführe, dass die Angaben hinsichtlich des Onkels mütterlicherseits keinesfalls glaubhaft gewesen seien, da nicht nachvollziehbar sei, dass der BF dessen Existenz in den Einvernahmen und Verhandlungen im Vorverfahren nicht erwähnt hätte, wenn er tatsächlich Staatsanwalt in KUNDUZ gewesen wäre. Dazu habe in der Vergangenheit, wie oben dargelegt, kein Grund bestanden. In diesem Zusammenhang werde festgehalten, dass es auch in diesem Zusammenhang, im Sinne der Erforschung des maßgeblich zugrundeliegenden Sachverhalts, entsprechender Fragestellungen und Nachfrage durch die Behörde bedurft hätte. Wenn die Behörde feststelle, dass, selbst bei Wahrunterstellung der Angaben des BF hinsichtlich der Tötung seines Vaters, diese nicht erkennen könne, wieso der BF in Afghanistan einer Bedrohung ausgesetzt wäre, da es dem Amtswissen entspreche, dass es in Afghanistan immer wieder zu Attentaten auf Vertreter der Regierung komme, wird dem entgegengehalten, dass es auch in diesem Zusammenhang entsprechender Einholung weiterer Beweise bedurft hätte. Als ältester Sohn sei der BF nunmehr nach dem Tod seines Vaters als Familienoberhaupt anzusehen und drohe diesem für den Fall der Rückkehr nach Afghanistan dasselbe Schicksal wie den weiteren Männern seiner Familie. Die Feststellung der Behörde, wonach festzuhalten sei, dass es dem BF im Folgeantrag nicht gelungen sei, einen neuen entscheidungswesentlichen Sachverhalt glaubhaft zu machen, sei nicht nachvollziehbar, da nach Ansicht des BF keine entschiedene Rechtssache vorliege, zumal der Umstand der Tötung des Vaters erst nach Abschluss des Vorverfahrens bekannt geworden bzw. dieser erst am 09.10.2020 getötet worden sei. Zwar habe sich eine Behörde von sogenannter Einfachheit, Raschheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis leiten zu lassen, dennoch habe sie den maßgebend zugrundeliegenden Sachverhalt zu erforschen. Nach Ansicht des BF hätte es der Beiziehung eines länderkundigen Sachverständigengutachters bedurft, dies zu den individuellen, konkreten Angaben des BF zum Todeszeitpunkt seines Vaters, dem Anschlag auf seinen Onkel, welcher Staatsanwalt sei, und den Zeitpunkten der Vorfälle und hätte durch Einholung eines Gutachtens auch verifiziert werden können, dass die Angaben über die Anzeige seiner Mutter über den Tod seines Vaters, jene über die Tätigkeit des Onkels und die Vorfälle um diesen der Richtigkeit entsprechen und der BF zu Recht befürchte, aufgrund dieser Vorkommnisse in Afghanistan, für den Fall der Notwendigkeit der Rückkehr in das Herkunftsland, von den Taliban getötet zu werden. Der BF habe schlüssige, nachvollziehbare und überprüfbare Beweise zur Vorlage gebracht, welche durch einen Vertrauensanwalt aus Afghanistan und/oder Beiziehung eines länderkundigen Sachverständigen hätten überprüft werden können und müssen. Die vom BF zur Vorlage gebrachten Beweise seien in sich, entgegen der Ansicht der belangten Behörde, sehr wohl dazu geeignet, das von ihm Vorgebrachte zu beweisen und zu untermauern. Ein Sachverständiger hätte auch die zur Vorlage gebrachten Videos entsprechend verifizieren können und müssen. Nach Aufnahme der entsprechenden Beweise wäre die Behörde nach Ansicht des BF zu einem anderen Bescheidinhalt gelangt. Die Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens werde an dieser Stelle jedenfalls ausdrücklich beantragt.

Den weiteren Feststellungen betreffend die Erlassung eines Einreiseverbotes, wonach das erste Asylverfahren am 03.09.2020 rechtskräftig abgeschlossen worden sei, dem BF eine zweiwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt worden sei, er jedoch diese Frist ungenutzt verstreichen habe lassen, werde entgegengehalten, dass in weiterer Folge, bald darauf, sein Vater, wie von ihm dargelegt, im Herkunftsland ermordet worden sei. Dieser Umstand und die in der weiteren Folge erfolgte weitere Asylantragstellung könne dem BF nicht zum Nachteil gereichen und sei die Verhängung eines Einreiseverbotes bzw. die Dauer dessen in Anbetracht der Unbescholtenheit des BF nicht nachvollziehbar. Entgegen der weiteren Ansicht der belangten Behörde liege auch keine entschiedene Rechtssache vor, zumal vom BF ganz konkrete, überprüfbare Personen, Daten und Ereignisse angeführt worden seien, welche sich nach Rechtskraft des ersten Asylverfahrens ereignet hätten. Wie von Seiten der belangten Behörde richtig angeführt, lägen verschiedene Sachen im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteienbegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten sei oder, wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweiche. Weshalb das überprüfbare Vorbringen des BF keinen glaubhaften Kern habe, sei tatsächlich den Feststellungen der Behörde nicht zu entnehmen, zumal diese nicht schlüssig darlege, weshalb das Vorbringen, dass der Vater zu Tode gebracht bzw. der Onkel schwer verletzt worden sei, nicht weiter hinterfragt worden sei, entsprechend mögliche Beweise nicht aufgenommen und nicht eingeholt worden seien und zudem Zeugen nicht befragt oder einvernommen worden seien. Ohne Überprüfung des maßgebenden Sachverhalts und Einholung der beantragten Beweise, ergehe sich die belangte Behörde in unstatthaften Vermutungen zu Ungunsten des BF. Letzterer habe schlüssig Angaben zu den Verknüpfungen des Todes betreffend seinen Vater und den Verletzungen seines Onkels gemacht und wären auch diese entsprechend überprüfbar gewesen. Zudem seien direkt in Österreich Zeugen vorhanden, welche den BF im Zusammenhang mit der Todesnachricht seines Vaters erlebt und diesen im Weiteren begleitet hätten. Mag der BF auch entsprechend ein junger und gesunder Mann im erwerbsfähigen Alter sein, welcher über Berufserfahrung verfüge, werde dem im Weiteren entgegengehalten, dass sich die Behörde nicht mit der familiären Situation im Herkunftsland des Betroffenen auseinandergesetzt habe; in diesem Zusammenhang sei nicht auf die COVID-19-Situation für die Familie eingegangen worden und werde zudem festgehalten, dass auch nicht weiter hinterfragt worden sei, unter wessen Schutz nunmehr seine Mutter im Herkunftsland stehe, da der Vater verstorben und der Onkel schwer verletzt worden sei. Diese könne lediglich verhüllt aus dem Hause gehen, um nicht entsprechenden Gefahren ausgesetzt zu sein. Von Seiten des BF seien zudem seine Bemühungen um eine Ausbildung, die sprachliche und gesellschaftliche Integration und sein Bekannten- und Freundeskreis dargelegt worden und aufgezeigt worden, dass dieser seit seinem Aufenthalt im Bundesgebiet strafrechtlich unbescholten sei. Die gegenständliche Entscheidung greife daher jedenfalls in die Bestimmung des Art. 8 EMRK, nämlich die Achtung des Privat- und Familienlebens, ein. Der BF habe auch hierzu entsprechende Angaben gemacht und Beweise zur Vorlage gebracht. Dieser habe zudem, für den Fall der Möglichkeit eines entsprechenden Aufenthalts im Bundesgebiet, die Aussicht, auch einer entsprechenden Erwerbstätigkeit nachgehen zu können, dadurch wäre dieser auch entsprechend in der Lage sein Fortkommen aus eigenen Mitteln zu finanzieren und würde dies keine Gefahr der Leistungspflicht einer Gebietskörperschaft bedeuten. Aus den angeführten Gründen sei auch das über den BF verhängte zweijährige Einreiseverbot nicht nachvollziehbar. Der BF habe vom Tod des Vaters in Afghanistan erst nach Abschluss des Verfahrens des ersten Antrags auf internationalen Schutz erfahren und sei im Weiteren aus Angst nicht weiter in sein Herkunftsland ausgereist. Weshalb dieses Verhalten geeignet sei, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden, sei für den BF nicht nachvollziehbar. Dieser sei im österreichischen Bundesgebiet unbescholten und sein Verhalten angesichts der ihm übermittelten Vorfälle im Herkunftsland lediglich als eine geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Interessen zu werten, dies entgegen den Feststellungen der Behörde.

13. Am 17.06.2021 einlangend legte die belangte Behörde die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zur Person und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der BF gibt an XXXX zu heißen, am XXXX geboren und afghanischer Staatsangehöriger zu sein sowie der Volksgruppe der Paschtunen anzugehören. Seine Muttersprache ist Dari.

Die Identität des BF steht für das vorliegende Verfahren ausreichend fest.

Der BF reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 16.11.2015 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid vom 15.05.2018, Zl. 1094988802 – 151785394, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde.

Als Fluchtgrund brachte der BF in diesem Verfahren im Wesentlichen vor, dass er vom Mullah seines Heimatdorfes als Selbstmordattentäter rekrutiert werden hätte sollen, sich sein Vater diesem Wunsch entgegengesetzt und den Mullah bei der Polizei angezeigt habe und auf diese Weise seine gesamte Familie ins Visier der Taliban geraten sei. Darüber hinaus habe ein Onkel mütterlicherseits, der Automechaniker sei, für die Regierung Fahrzeuge repariert, weswegen die Taliban auf diesen Onkel einen Anschlag verübt hätten, bei welchem der Onkel und dessen Sohn getötet worden seien. Aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der „Familie“ werde auch der BF wegen der Tätigkeit seines Onkels mütterlicherseits für die Regierung von den Taliban mit dem Tod bedroht. Zum Verbleib seiner Familie befragt, gab der BF an, dass diese 2018 aufgrund der von den Taliban ausgehenden Bedrohung von KUNDUZ in den Iran flüchten habe wollen, jedoch kurz nach dem Grenzübertritt von der iranischen Polizei aufgegriffen und nach Afghanistan zurückgeschoben worden sei und seitdem versteckt in der Provinz HERAT lebe.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.08.2020, GZ: W150 2198622-1/10E, wurde die gegen den Bescheid vom 15.05.2018 erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Das Erkenntnis blieb unbekämpft.

Am 25.01.2021 stellte der BF den gegenständlichen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen zunächst damit, dass die alten Asylgründe noch immer gelten würden. Als neuer Fluchtgrund sei nunmehr hinzugetreten, dass sein Vater am 09.10.2020 (somit nach Abschluss des Erstverfahrens) von den Taliban ermordet worden sei. Das habe ihm seine Familie noch am gleichen Tag am Telefon erzählt. Er fürchte, dass ihn die Taliban ebenfalls töten würden. Weiteren Gründe für eine Asylantragstellung habe er nicht.

Bei der Befragung durch die belangte Behörde ergänzte der BF sein Fluchtvorbringen dahingehend, dass ein (weiterer) Onkel mütterlicherseits ein Staatsanwalt von KUNDUZ sei. Als seine Familie 2020 aus dem Iran zurückgekehrt sei, habe sie bei diesem Onkel in KUNDUZ gewohnt. Der Onkel sei bei einem Bombenattentat am 24.09.2020 schwer verletzt worden und habe ins Krankenhaus müssen. Sein Vater habe sich um den Onkel gekümmert und ihn mehrmals im Spital in KABUL besucht. Durch die Unterstützung des Staatsanwaltes sei sein Vater ins Visier der Taliban geraten und schließlich auf dem Weg ins Krankenhaus zum Onkel nach Kabul am 09.10.2020 von den Taliban getötet worden. Der BF sei nunmehr das Familienoberhaupt und werde daher aufgrund der Unterstützung des Staatsanwalts durch seinen Vater ebenfalls von den Taliban mit dem Tod bedroht.

Das neue Fluchtvorbringen des BF, er sei ein naher Verwandter eines Staatsanwaltes von KUNDUZ und aus diesem Grund asylrelevanter Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt bzw. sein Vater sei wegen der nahen Verwandtschaft mit diesem Staatsanwalt von den Taliban ermordet worden, weist keinen glaubwürdigen Kern auf, wie der Beweiswürdigung weiter unten zu entnehmen ist.

Ob der Vater des BF aufgrund der im Erstverfahrens geschilderten Umstände von den Taliban ermordet wurde, kann gegenständlich dahingestellt bleiben, wie der rechtlichen Würdigung weiter unten zu entnehmen ist.

Der BF verfügt über Berufserfahrung und eine Schulausbildung und wurden in Afghanistan sozialisiert.

Er leidet an keiner schweren, lebensbedrohlichen Krankheit.

Eine Tante des BF lebt samt ihrer Familie in Österreich. Ein gemeinsamer Haushalt zwischen der Tante und dem BF besteht nicht. Zu keinem seiner Verwandten in Österreich besteht ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

Seit rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens hat der BF keine außergewöhnlichen Integrationsschritte gesetzt, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass er seiner Verpflichtung zur Ausreise nicht nachgekommen ist und daher allenfalls gesetzte Integrationsschritte größtenteils auf einem unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet beruhten.

Der BF verfügt über keine eigenen Mittel zur Bestreitung seines Unterhalts.

1.2 Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan aus dem COI-CMS in der Fassung vom 11.06.2021 (LIB)

COVID-19

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a).

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; vgl. IOM 18.3.2021).

Die WHO äußerte ihre Besorgnis über die Gefahr der Verbreitung mutierter Viren in Afghanistan. In Pakistan ist bereits ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit einer neuen Variante, die potenziell ansteckender ist und die jüngere Bevölkerung trifft, festgestellt worden. Das afghanische Gesundheitsministerium bereite sich auf eine potenzielle dritte Welle vor. Die Überwachung an der Grenze soll ausgeweitet und Tests verbessert werden. Angesichts weiterer Berichte über unzureichende Testkapazitäten im Land bleibt die Wirkung der geplanten Maßnahmen abzuwarten (BAMF 29.3.2021).

Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen (BAMF 31.5.2021; vgl. TG 25.5.2021, DW 21.5.2021, UNOCHA 3.6.2021). Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen (UNOCHA 3,6,2021; vgl. TG 25.5.2021). Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an (WHO 4.6.2021; vgl. TN 3.6.2021, UNOCHA 3.6.2021). Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021). Mit Stand 3.6.2021 wurden der WHO offiziell 75.119 Fälle von COVID-19 gemeldet (WHO 3.6.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams“ sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020).

Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021). Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (ACCORD 25.5.2021).

Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden.

Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. NachAngaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion „unterstützen und erleichtern“ (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 7.4.2021). Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).

Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in Taliban-Gebieten arbeiten (NH 7.4.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt (NH 7.4.2021).

Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang verfügbar sind. Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten mehr als ein Viertel - als „schwer erreichbar“ gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (NH 7.4.2021).

Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (TN 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im AlfalahLabor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021). Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (UNOCHA 3.6.2021).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden (UNOCHA 3.6.2021; vgl. IPC 22.4.2021). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis…) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).

Die Lebensmittelpreise haben sich m

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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