TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/23 G313 2217916-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.06.2021
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Entscheidungsdatum

23.06.2021

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch


G313 2217916-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Polen, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.02.2021 zu Recht erkannt:

A)             Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)             Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) vom 26.02.2019 wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG gegen die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs. 3 FPG der BF kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.), und einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

2. Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

3. Am 25.04.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) mit Beschwerdevorlage-Schreiben vom 18.04.2019 die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein.

4. Mit Schreiben des BVwG vom 01.07.2020 erging an den ehemaligen Dienstgeber der BF die Aufforderung, innerhalb einer Frist von zwei Wochen dem BVwG mitzuteilen, ob die BF durchgehend an der Adresse ihrer Arbeitsstelle aufhältig war oder ob sie das Bundesgebiet zwischenzeitlich verlassen hat (AS 23).

5. Mit E-Mail des BVwG vom 16.09.2020 wurde an ACCORD eine Anfrage bezüglich Behandlungsmöglichkeiten für paranoide Schizophrenie bzw. der Möglichkeit auf Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher in Polen gestellt.

Die diesbezügliche Anfragebeantwortung (a-11384) langte am 08.10.2020 per E-Mail beim BVwG ein.

6. Am 16.02.2021 fand vor dem BVwG, Außenstelle Graz, mit der BF, ihrer Rechtsvertreterin und dem für die BF zuständigen klinischen Sozialarbeiter eine mündliche Verhandlung statt – mit der in einer bestimmten Justizanstalt aufhältigen BF per Videokonferenz.

7. Am 25.03.2021 wurde dem BVwG von dem für die BF zuständigen klinischen Sozialarbeiter ein Gerichtsbeschluss über die Notwendigkeit deren weiteren Anhaltung in einer Anstalt vom 08.01.2021 nachgereicht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF ist Staatsangehörige von Polen.

1.2. Sie ist ledig und hat in Polen eine erwachsene Tochter, zu welcher sie eine enge Beziehung hat, drei Enkelkinder, eine Schwester und einen Bruder. In Österreich hat sie hingegen keine Familienangehörigen.

1.3. Die BF hat sich in Polen auf eine Annonce hin als Altenbetreuerin ausbilden und nach Österreich vermitteln lassen. Sie war im Zeitraum vom 08.06.2010 bis 31.07.2018 über eine polnische Agentur mit einer Außenstelle in Österreich im österreichischen Bundesgebiet als Altenbetreuerin im Rahmen einer 24-Stunden-Betreuung als gewerblich selbstständig Erwerbstätige gemeldet bzw. in nachfolgenden Zeiten erwerbstätig:

vom 28.05.2010 bis 20.08.2010, 22.10.2010 bis 07.01.2011, 04.02.2011 bis 29.04.2011, 22.07.2011 bis 14.10.2011, 06.01.2012 bis 30.03.2012, 22.06.2012 bis 14.09.2012, 09.11.2012 bis 04.01.2013, 01.03.2013 bis 03.05.2013, 05.07.2013 bis 06.09.2013, 25.10.2013 bis 20.12.2013, 14.02.2014 bis 11.04.2014, 13.06.2014 bis 16.08.2014, 10.10.2014 bis 19.12.2014, 20.02.2015 bis 01.05.2015, 03.07.2015 bis 04.09.2015, 30.10.2015 bis 18.12.2015, 05.02.2016 bis 25.03.2016, 13.05.2016 bis 01.07.2016, 19.08.2016 bis 07.10.2016, 25.11.2016 bis 13.01.2017, 03.03.2017 bis 07.04.2017, 28.04.2017 bis 09.06.2017, 28.07.2017 bis 15.09.2017, 27.10.2018 bis 22.12.2017, 02.02.2018 bis 23.03.2018 und vom 18.05.2018 bis 11.07.2018 – der Tag, an dem die BF das Haus in Brand setzte.

Die BF war auch sozial- bzw. krankenversichert und bezieht nunmehr seit 01.08.2018 Invaliditätspension.

1.4. Sie war im Zeitraum vom 07.06.2010 bis 12.07.2018 an ihrem Arbeitsort in Österreich mit Nebenwohnsitz gemeldet und hielt während ihren Arbeitszeiten in Österreich und während ihren arbeitsfreien Zeiten in Polen auf. Anreise zur und Abreise von der Arbeitsstelle erfolgte stets über die polnische Arbeitsagentur.

Abgesehen von ihrer Nebenwohnsitzmeldung vom 07.06.2010 bis 12.07.2018 weist die BF im österreichischen Bundesgebiet vom 11.07.2018 bis 07.01.2020 eine Hauptwohnsitzmeldung an einer und seit 07.01.2020 eine Nebenwohnsitzmeldung an einer anderen Justizanstalt auf.

1.5. Die Anhaltung der BF in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher folgte auf folgende Handlungen der BF:

Die BF hat am 11. Juli 2018 an einem bestimmten im Strafrechtsurteil angeführten Ort unter dem Einfluss eines ihre Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades, nämlich einer paranoiden Schizophrenie (F 20.0), beruht,

I.       an einer fremden Sache ohne Einwilligung des Eigentümers eine Feuersbrunst verursacht, indem sie im Haus des (…) im Fußbereich des Bettes, indem (…) schlief, weiters in dem ihr als Pflegerin zugewiesenen Zimmer und im Badezimmer Feuer legte, während im Haus auch noch (…) und (…) schliefen,

II.      durch die zu I. genannten Tathandlung (…), (…) und (…) zu töten versucht.

III.    Die BF hat hiedurch Taten begangen, die ihr, wäre sie zu den Tatzeitpunkten zurechnungsfähig gewesen,

zu I. als das Verbrechen der Brandstiftung nach § 169 Abs. 1 StGB,

zu II. als die Verbrechen des Mordes nach den §§ 15, 75 StGB zuzurechnen gewesen wären.

Im (rechtskräftigen) Strafrechtsurteil von Februar 2019 wurde zudem festgehalten:

Da zu befürchten ist, dass (…) sonst unter dem Einfluss ihrer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgende begehen werde, wird gemäß § 21 Abs. 1 StGB die Unterbringung der (…) in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet. (AS 63)

Begründend dafür wurde im Urteil Folgendes ausgeführt:

„(…) Ausgehend vom Wahrspruch der Geschworenen war die Betroffene zum Zeitpunkt der Tathandlungen nicht in der Lage, das Unrecht ihrer Taten einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

(…)

Die Betroffene leidet an einer paranoiden Schizophrenie (ICD 10 F. 20). Die Tatbegehung fand unter dem Einfluss dieser Erkrankung statt. Das Zustandsbild der Betroffenen im Tatzeitpunkt entspricht dem einer geistigen bzw. psychischen Abnormität höheren Grades. Die Tathandlungen stehen mit der schweren psychopathologischen Grundstörung der Betroffenen in Zusammenhang. Bei der Betroffenen liegt unter dem Einfluss ihrer psychiatrischen Störung eine hochgradige Gefährlichkeit vor. Es ist zu befürchten, dass die Betroffene auch künftig wieder vergleichbare Handlungen – insbesondere Brandstiftungen, Körperverletzungen bis hin zu Mordversuchen – infolge ihrer seelisch geistigen Abartigkeit höheren Grades begehen wird.

Aktuell ist die Behandlung unter geschlossenen Bedingungen durch gelindere Mittel nicht substituierbar. Die Zukunftsprognose lässt befürchten, dass es zu weiteren strafbaren Handlungen bezogen auf Rechtsgüter anderer kommt. Eine Prognosetat liegt ebenso vor. Es liegen somit sämtliche Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Anstalt für zurechnungsunfähige, geistig abnorme Rechtsbrecher im Sinne des § 21 Abs. 1 StGB vor.

Aktuell kann der Gefährlichkeit der Betroffenen außerhalb einer Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB nicht entgegengewirkt werden.

Die Feststellungen zur psychischen Erkrankung der Betroffenen beruhen auf dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Prim. Dr. (…). Die persönlichen Verhältnisse der Betroffenen ergeben sich aus ihrer Einlassung vor der Sicherheitsbehörde, vor Gericht und der eingeholten Strafregisterauskunft.“ (AS 63f)

1.5.1. Dieses Strafrechtsurteil von Februar 2019 stützt sich auf ein Gutachten einer Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie vom 20.10.2018, welches von der Sachverständigen im Zuge der Hauptverhandlung vor dem zuständigen Straflandesgericht am 07.02.2019 aufrecht gehalten und, wie folgt, näher erörtert wurde:

„(…) die schizophrene Erkrankung ist eine primär chronische Erkrankung, die den Betroffenen, wenn er sie einmal hat, lebenslang begleitet. Die endet nicht mehr. Das ist eine primär neurodegenerative Erkrankung, die auch zum Verlust von Hirnsubstanz führt. Also eine schwere, wenn nicht die schwerste psychische Erkrankung, die man kriegen kann und man kriegt sie schicksalhaft. Menschen erkranken und andere erkranken nicht. (…) Die Erkrankung ist nur insoferne behandelbar, als man mit Medikamenten die Symptome zurückdrängen kann, man kann sie aber nicht heilen. Die Frau (…) war aber offenbar der Meinung, dass das jetzt ausgeheilt ist und dass man daher auch mit der Behandlung aufhören kann und dann ist das passiert, was praktisch immer passiert, wenn man mit der Medikation bei einer chronischen Erkrankung aufhört: Die Erkrankung hat wieder Oberhand gewonnen und hat sich verschlechtert. (…)

Gibt es eine auf einer höhergradig seelisch-geistigen Abnormität beruhende Störung? Ja. Wie schon ausgeführt, ist die Schizophrenie eine schwere, wenn nicht die schwerste Geisteskrankheit, an der man leiden kann und sie ist chronisch. Das heißt, es ist zu erwarten, dass Frau (…) in zehn Jahren noch genauso krank ist. Es wird überdauernd erforderlich sein, sie medikamentös zu behandeln und es wird erforderlich sein, sie in ein sehr stabiles Umfeld hinein zu bringen, wo wenige Stressoren sind, wo wenig potentielle Auslöser einer Verschlechterung sind. Es ist nicht so, dass die Behandlung mit Sicherheit die Erkrankung hintanhalten kann. Wenn der emotionale Stress wieder zunimmt, kann es sein, dass die Medikation nicht ausreicht, um den neuerlichen Ausbruch von Symptomen hintanzuhalten. (…)

Man muss also schauen, dass sie in ein ganz geordnetes, betreutes Setting kommt. Sie wäre auch, so, wie sie aktuell beisammen ist, nicht in der Lage, sich selbst ausreichend zu versorgen. Die Erkrankung wird auch trotz Behandlung insoferne weiter fortschreiten, als eben dieser schon angeführte Abbau von Hirnsubstanz eintreten wird. Das heißt, es wird sich langsam aber sicher ein Residualzustand oder Defektzustand entwickeln. Das ist die Endstrecke der Erkrankung, an der die Betroffenen des Antriebs weitgehend verlustig gehen und zu kaum etwas motiviert werden können und auch deshalb Betreuung brauchen, weil sie mit alltäglichen Anforderungen überfordert sind.

Was die Frage nach der künftigen Gefährlichkeit betrifft, ist das insofern sehr schwierig, weil Frau (…) über ihr eigenes Erleben (…) kaum redet. Sie berichtet nur sehr rudimentär darüber, was in der Erkrankung bei ihr los war. (…)

Was man aber weiß (…) ist, dass diese befehlserteilenden Stimmen oder diese befehlserteilenden Halluzinationen prompt von ihr umgesetzt werden und dass diese befehlserteilenden Halluzinationen solcherart waren, dass für andere eine massive Gefährdung daraus entstanden ist. Wenn man jetzt die allgemeinen prognostischen Kriterien hernimmt, die man für Schizophreniekranke kennt, dann sind befehlserteilende Stimmen ein großes Risiko. Und der prognostisch wesentlichste Faktor für künftiges Verhalten ist vergangenes Verhalten. Das heißt: das, was Patienten in ihrem Krankheitszustand schon einmal gemacht haben, das ist auch pro futuro mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Es ist also zu befürchten, dass Frau (…) auch künftig unter dem Einfluss ihrer Erkrankung wieder Stimmten hören wird und diese Stimmen prompt in Handlungen umsetzen wird, (…) Das Wahnsystem, das bei ihr besteht, dürfte vielgestaltig sein. Es hat viele religiöse Komponenten, es kommt aber auch das FBI irgendwie vor. Das sieht man aber immer nur punktuell. Das ganze Wahngebäude kann man nicht explorieren, dazu gibt es keine Auskunft, da verstummt Frau (…). Aber mit Sicherheit muss man erwarten, wenn Frau (…) wieder kränker wird, was nicht völlig ausgeschlossen ist, wie sie auch wieder entsprechende Befehle erhalten und diese Befehle umgehend umsetzen und dann werden diese Befehle mit hoher Wahrscheinlichkeit auch wieder Handlungen beinhalten, die andere massiv gefährden, die also schwere Körperverletzungen anderer zur Folge haben. Beruhend darauf, dass der wesentliche Prädikator für künftiges Verhalten das vergangene Verhalten ist. Es ist vor allem deshalb prognostisch beängstigend, weil eben von Frau (…) für diese massiven Handlungen überhaupt kein Widerstand gekommen ist. (…)

Aktuell sind die Voraussetzungen dafür, dass man Frau (…) ohne eine Gefährdung befürchten zu müssen, wieder in die Gesellschaft entlässt, aus psychiatrischer Sicht nicht gegeben. Bevor man das tun kann, muss man sicher noch länger beobachten, wie er Verlauf ist, ob es wieder zu Durchbrüchen der Erkrankung kommt. Man müsste auf jeden Fall versuchen, eine Depotbehandlung, und damit eine gesicherte Behandlung, zu etablieren. Und man müsste – und das ist in ihrem Fall ganz speziell schwierig – den sozialen Empfangsraum vorbereiten. Man müsste wissen, wohin kann man sie hintun, wer kümmert sich um sie. Wo ist dieser möglichst stressfrei gesicherte Empfangsraum, in dem sie dann leben kann, ohne durch irgendwelche Ereignisse wieder völlig aus dem Konzept und aus ihrer prekären Stabilität gebracht zu werden. Das ist deshalb besonders schwierig, weil das ein länderübergreifendes Unterfangen wird. Frau (…) will ja nicht in Österreich bleiben. Und jetzt noch dazu, wo sie jetzt auch noch ihr ganzes Deutsch verlernet hat. Sondern sie möchte eigentlich nach Polen zurück. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass das nicht so einfach ist, von einer österreichischen psychiatrischen Klinik einen sozialen Empfangsraum in Polen vorzubereiten. Das stellt einen vor gewisse Herausforderungen. Noch dazu ist ja auch nicht ganz klar, welche Betreuung dort überhaupt zur Verfügung gestellt werden kann. Welche Betreuungssysteme es dort gibt. Die Tochter ist zwar prinzipiell zugewandt und auch kontaktwillig, aber die hat auch noch keinen Plan, was man da machen könnte. Also dieses Umfeld, in das man Frau (…) entlassen könnte, wodurch man auch ihre Risikofaktoren minimieren könnte, ist bei weitem noch nicht etabliert und es ist momentan leider noch nicht absehbar, wenn das etabliert werden kann, weil da noch einige Schwierigkeiten sind. Üblicherweise wollen solche Einrichtungen zuerst auch ein Probewohnen der Betroffenen. Auch das wird länderübergreifend nicht möglich sein. Man kann Frau (…) jetzt nicht zum Probewohnen nach Polen schicken, das wird nicht gehen. Es spricht momentan noch einiges dafür, dass der Aufenthalt der Frau (…) in der stationäre-psychiatrischen Einrichtung noch ein längerer sein wird.

Was vielleicht von ihr beantragt werden könnte, ist eine Änderung des Vollzugs der Maßnahme in ihrem Heimatland, von wo es dann einfacher wäre, die entsprechenden Entlassungsschritte vorzubereiten. Das ist aber eine Rechtsfrage, die ich nicht bewerten kann.

Aktuell ist es so, dass man weiterhin von einer höhergradigen seelisch-geistigen Abnormität beruhenden Störung ausgehen muss und auch in Zukunft ausgehen wird müssen und dass die Voraussetzungen für eine gelindere Maßnahme zum Hintanhalten der daraus resultierenden Gefährlichkeit noch nicht vorliegen.

(…)

Über Befragen, ob, dass, wenn man davon ausgeht, dass die Betroffene im April 2018 ihre Medikation abgesetzt und am 11. Juli 2018 die gegenständliche Anlasstat begangen hat, es aus medizinischer Sicht nachvollziehbar ist, dass innerhalb dieser ca drei Monate die Krankheit wieder so weit fortschreitet, dass diese die Betroffene wieder komplett einnimmt:

Die Frage, ob innerhalb eines Drei-Monats-Zeitraums ein derartiger Erkrankungsausbruch und eine derartige Erkrankungsintensität nach Absetzen der Medikation möglich oder denkbar ist, ist auf jeden Fall zu bejahen.

(…).

Schizophrenie ist eine Krankheit, die viele Ursachen hat, deren Ursachen man letztendlich sicher nicht alle kennt. ES gibt eine genetische Disposition, wobebi es aber nicht DAS „Schizophrenie-Gen“; gibt, sondern es sind diverse Stellen an unterschiedlichen Genen für diese Schizophrenie-anfällige Konstitution verantwortlich. Manche sind halt anfällig dafür, diese Krankheit zu kriegen, sowie jeder von uns einen gewissen Krankheitsschwerpunkt hat oder eine wunde Stelle, die dann vielleicht anfälliger ist und in speziellen Belastungssituationen zum Erkrankungsausbruch führt. Es gibt diese Neigung bzw. diese latente Neigung zur Erkrankung. Ohne der wird man nicht krank werden, egal, wie viel Belastung man erlebt. Das kann genetisch sein, das kann man aber nicht immer nachvollziehen. Die schizophrene Erkrankung tritt in Familien gehäuft auf. Das spricht auch für eine genetische Komponente dieser Erkrankung. Und dann ist es so, wie bei fast allen anderen Erkrankungen auch Pech. Manche werden krank und manche nicht. Und nicht bei jedem kann man sagen, das ist passiert, weil … Sondern Erkrankungen treten auch schicksalhaft auf. Und dann weiß man, wenn eine solche Latenze vorhanden ist, sehr emotional belastende Lebensereignisse eben dann den Erkrankungsausbruch auslösen können. Und dieses emotional belastende Ereignis im Leben der Frau (…) war ganz sicher der Tod der Mutter. Sie ist eine Person, die, glaube ich, sowie sie beschreibt, immer sehr zurückgezogen gelebt hat, wenig Außenkontakte gehabt hat und auch sehr selbstgenügsam war, wenn man so will. Und ihre ganzen Kontakte waren familiäre. Sie hat einen engen Kontakt zur Mutter gehabt, mit der hat sie zusammengewohnt. Und sie hat einen Kontakt zur Tochter gehabt und zu den Geschwistern. Wobei der Kontakt zu den Geschwistern nicht sehr häufig war. Zur Tochter gibt es eine enge Beziehung, das wird auch von der Tochter so beschrieben. Außenkontakte gab es kaum. Und diese schwere Erkrankung und absehbare Tod der Mutter waren für sie sicher ganz, ganz belastend und das ist dann das, was die Erkrankung zum Ausbruch gebracht hat. (…) “ (Strafverhandlungsprotokoll vom 07.02.2019, S. 8, 10-14, 17)

1.6. Es ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die schwere Erkrankung der Mutter der BF und deren absehbarer Tod der Auslöser für den Ausbruch der Geisteskrankheit der BF war, zeigten sich in Zusammenhang damit doch erste Krankheitssymptome. (Strafverhandlungsprotokoll vom 07.02.2019, S. 7)

Als die Mutter der BF dann verstorben ist, hat sich die Symptomatik bei der BF verschlechtert, woraufhin die Tochter der BF mit ihrer Mutter zu einem Psychiater gegangen ist (Strafverhandlungsprotokoll vom 07.02.2019, S. 8).

1.7. Die BF wurde wegen ihrer Schizophrenie bereits in Polen – medikamentös – behandelt, hat eine Zeit lang das Medikament „Risperidone“ (in Tablettenform) genommen, welches sie jedoch wieder abgesetzt hat.

In Österreich bekam sie zunächst dasselbe Medikament wie in Polen, ab Februar 2020 dann das Haldol-Depot bzw. alle 14 Tage eine Depotspritze.

1.8. Bei der im Februar 2020 stattgefundenen Überprüfung durch das Strafgericht, ob die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung der BF in der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gegeben sind, wurde deren Notwendigkeit festgestellt.

Mit Gerichtsbeschluss vom 08.01.2021 folgte eine weitere „Entscheidung über die Notwendigkeit der weiteren Anhaltung in einer Anstalt“, mit folgender Begründung:

„(…)

Die nun 57-jährige (…) wurde mit Urteil des Landesgerichtes (…) als Geschworenengericht vom 7. Februar 2019, (…), in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB eingewiesen, (…).

Die Maßnahme nach § 21 Abs. 1 StGB wird – nach vorangehender Anhaltung – seit 07.02.2019 im (…) Universitätsklinikum, Abteilung für Psychiatrie 4 mit forensischem Schwerpunkt – (…) vollzogen.

Zuletzt wurde die Notwendigkeit der weiteren Anhaltung im hg Verfahren (…) geprüft und mit Beschluss des Vollzugsgerichtes vom 03.02.2020 festgestellt.

Vorliegend erfolgt eine weitere amtswegige Prüfung der Notwendigkeit der Anhaltung gemäß § 25 Abs. 3 StGB. Dazu wurde eine Stellungnahme des (…) Universitätsklinikums eingeholt und eine Anhörung der Betroffenen durch das Vollzugsgericht durchgeführt. Die Staatsanwaltschaft beantragt die Fortsetzung der Unterbringung.

Aus der Stellungnahme des (…) Universitätsklinikums ist festzustellen, dass bei der Betroffenen eine paranoide Schizophrenie (F.20.0) vorliegt, welche sich in der Retrospektive erst relativ spät, im Frühjahr 2017 (im 53. Lebensjahr), allenfalls getriggert durch den Tod der Mutter bei fortgesetzt chronischer Belastung durch die Arbeitssituation (Pflegehelferin in Österreich, Aufenthalt abwechselnd in Österreich und Polen), entwickelte. Das Anlassdelikt wurde bei Medikamentenkarenz unter dem unmittelbaren Einfluss der paranoid-halluzinatorischen Symptomatik (imperative akustische Halluzinationen, wahnhafte Überzeugung von Dämonen besessen zu sein), Ich-Grenzstörungen, desorganisiertem Denken und einer schweren Affektstörung gesetzt. Seitens der behandelnden Abteilung wird zum Behandlungsverlauf weiter ausgeführt, dass seit der Anhörung zur bedingten Entlassung am 03.02.2020 unter der aktuell etablierten Medikation (Haldol Depot, Dominal) keine weiteren relevanten Veränderungen berichtet werden könnten. Psychopathologisch persistiere die bereits ausgeführte schwere Affektstörung und Denkhemmung samt einem deutlichen Mangel an Initiative. Die floride Symptomatik bestehe im Hintergrund, habe aber an handlungsleitender Dynamik verloren. Es fänden sich unverändert erste Ansätze von Einsichten. Die Patientin sei im Alltag nach wie vor hoch zuverlässig und paktfähig. Die Einnahme der Medikation und die Verabreichung des antipsychotischen Depots erfolgte problemlos. Die weitere Gestaltung des Maßnahmenvollzugs werde allerdings durch fremdenrechtliche bzw. vollzugstechnische Abläufe blockiert: Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) habe mit Februar 2019 ein Aufenthaltsverbot erlassen; dieses befinde sich seit März 2019, damit seit 1 Jahr und 8 Monaten, im Rechtsmittelverfahren. Seitens des Sozialen Dienstes sei ein Fristsetzungsantrag am Bundesverwaltungsgerichtshof (stattdessen: „Bundesverwaltungsgericht“) samt Antrag auf Verfahrenshilfe eingebracht worden. Die Verfahrenshilfe sei mit 02.11.2020 genehmigt worden, weitere Entscheidungen seien noch offen.

Seitens der Justizanstalt sei der Vollzug im Heimatland nach § 42 EU-JZG, § 9 ARHG amtswegig eingeleitet worden. Die geplante Strafübernahme gestalte sich aber schwierig. Aufgrund des unklaren Aufenthaltstitels hätten bis dato weder unbegleitete Lockerungen unternommen werden können, noch ein sozialer Empfangsraum in Österreich etabliert werden können. Die Patientin selbst habe keinerlei soziale oder familiäre Kontakte in Österreich und wünsche sich eine Übernahme in den polnischen Vollzug, um hierdurch ihrer Familie näher zu sein und Besuch empfangen zu können. Auch seitens des (…stattdessen: „der psychiatrischen Abteilung“) sei eine Übernahme in den polnischen Maßnahmenvollzug dringend empfohlen worden. Zusammenfassend werde aufgrund der unvollständigen Besserung der Psychopathologie und auch in Hinblick auf die Schwere des Anlassdelikts ein schrittweiser, professionell begleiteter und kontrollierter, langfristig umsetzbarer Ausgliederungsprozess empfohlen; eine bedingte Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug nach § 21 Abs. 1 StGB könne seitens der behandelnden Abteilung aus fachärztlich-psychiatrischer und aus klinisch psychologischer Sicht derzeit nicht befürwortet werden.

Im Rahmen der Anhörung wurde die Stellungnahme des (…) Universitätsklinikums aufrechterhalten und von einer bedingten Entlassung zum aktuellen Zeitpunkt abgeraten. Die Untergebrachte selbst strebt in erster Linie eine Übernahme des Vollzuges in Polen an und zeigt Einsicht zur derzeitigen Notwendigkeit des weiteren Maßnahmenvollzuges.

Aufgrund der dargestellten Umstände liegen die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung der (…) nicht vor. Eine solche ist nach § 47 Abs. 2 StGB zu verfügen, wenn nach der Aufführung und der Entwicklung eines Betroffenen in einer Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und nach seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen anzunehmen ist, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die Unterbringung richte, nicht mehr besteht. Dies ist bei (…) der Fall. Vielmehr ist aufgrund der unbedenklichen Stellungnahme des (…) Universitätsklinikums davon auszugehen, dass eine Reduzierung der Gefährlichkeit noch nicht erreicht werden konnte und keine realisierbare Alternative zur derzeitigen Anhaltung ersichtlich ist.“

1.9. Die BF möchte nach Polen zurückkehren, um dort ihrer Familie näher zu sein und von ihnen Besuche empfangen zu können.

Auf die Frage in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, ob es für die BF einen Grund gebe, in Österreich zu bleiben, antwortete die BF: „Ich habe keinen Grund“. (VH-Niederschrift, S. 9).

2. Behandlungs- und Betreuungsmöglichkeiten für paranoide Schizophrenie in Polen

2.1. Behandlungsmöglichkeiten für paranoide Schizophrenie

Die polnische Agentur für die Bewertung von Gesundheitstechnologien und Tarife (Agencja Oceny Technologii Medycznych), ist eine staatliche Organisation, die unter anderem Gesundheitsdienste und Arzneimittel bewertet (AOTMiT, ohne Datum). In einer Publikation zum Medikament Lyogen Depot, mit dem Wirkstoff Fluphenazin decanoat, aus dem Jahr 2014 schreibt AOTMiT, dass die Zahl der Patienten mit Schizophrenie in Polen auf ca. 4000.000 geschätzt werde. Die paranoide Schizophrenie sei die häufigste Form der Schizophrenie und ihre Prävalenz werde in Polen auf 150.000 und 200.000 Patienten geschätzt.

Die Behandlung von Schizophrenie basiere hauptsächlich auf Pharmakotherapie, wobei sich Krankenhausaufenthalte positiv auf den Therapieverlauf auswirken würden. Die Behandlung ziele darauf ab, die Schwere der Symptome zu verringern und Rückfälle zu verhindern. Schizophrenie werde vor allem mit Antipsychotika der ersten und zweiten Generation therapiert. Nach polnischen Richtlinien solle, laut der Agentur für die Bewertung von Gesundheitstechnologien, bei der Behandlung der ersten psychotischen Episode ein Medikament der zweiten Generation gegeben werden, da diese besser verträglich seien. Nur bei Kontraindikationen für eine Anwendung von Arzneimitteln der zweiten Generation solle ein klassisches Neuroleptikum gegeben werden. Experten würden darauf hinweisen, dass die derzeitige klinische Praxis bei der Behandlung von paranoider Schizophrenie in Polen durch Haloperidol, Olanzapin, Risperidon und Zupentixol in Tabletten- und Depotform erfolgte. In Übereinstimmung mit einer Mitteilung des Gesundheitsministers vom Dezember 2013, werde eine Reihe von Antipsychotika sowohl der ersten als auch der zweiten Generation aus öffentlichen Mitteln finanziert. (AOTMiT, 10. Februar 2014, S. 23-3, Arbeitsübersetzung unter Verwendung von technischen Übersetzungshilfen)

Laut einer Webseite des polnischen Gesundheitsministeriums erstattet das Ministerium 192 Medikamente für die Indikation psychische Erkrankung (zaburzenia psyhiczne), darunter Medikamente für Schizophrenie, schizotypische und wahnhafte Störungen. Krankenversicherte PatientInnen, inklusive PatientInnen mit psychischen Erkrankungen, würden Anspruch auf Erstattung von Medizinprodukten haben. (Gesundheitsministerium, aktualisiert 27. Oktober 2017)

2.2. Allgemeine Informationen und rechtliche Grundlagen zur forensischen Psychiatrie in Polen

Im Mai 2017 besuchte eine Delegation des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (European Committee fort he Prevention of Torture and Inhuman od Degrading Treatment or Punishment, CoE-CPT) drei psychiatrische Einrichtungen in Polen: 1. Das Regionale Zentrum für forensische Psychiatrie in Gostynin (Woiwodschaft Masowien), 2. Das Nationale Zentrum zur Verhinderung von dissozialem Verhalten in Gostynin (Woiwodschaft Masowien) und 3. Das psychiatrische Krankenhaus in der Stadt Toszek (Woiwodschaft Schlesien). In dem Bericht zu dem Besuch vom Mai 2017 erläutert das CoE-CPT, dass die rechtlichen Bedingungen für forensische psychiatrische PatientInnen im polnischen Strafgesetzbuch festgelegt seien. Wenn eine Person laut Artikel 31 des polnischen Strafgesetzbuches, eine verbotene Handlung begangen habe, die einen erheblichen Schaden für die Gemeinschaft bedeute und sie während des Begehens dieser Handlung psychisch krank gewesen sei und eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sie eine solche Handlung erneut begehe, könne das Gericht sie in eine geeignete psychiatrische Einrichtung einweisen. Bevor das Gericht über eine Inhaftierung in einer solchen Einrichtung entscheide, würde es die Meinung von zwei PsychiaterInnen und einer Psychologin oder einem Psychologen anhören. Eine forensische psychiatrische Maßnahme könne entweder ambulant oder stationär durchgeführt swerden. Stationäre Maßnahmen gebe es in drei Sicherheitsstufen (elementar, erweitert und maximal): … (CoE-CPT, 25. Juli 2018, S. 50)

(…)

Der polnische Ombudsmann für PatientInnenrechte ist laut seiner Webseite eine Einrichtung der polnischen Regierung, die für den Schutz von PatientInnenrechte zuständig ist (Ombudsmann für PatientInnenrechte, ohne Datum (a)). Auf seiner Webseite finden sich folgende Informationen zu Abteilungen der forensischen Psychiatrie in Polen:
„Die forensische Psychiatrie betreut Menschen, die:

?        Unter Einfluss einer geistigen Erkrankung eine verbotene Handlung begangen haben, die einen erheblichen sozialen Schaden verursacht hat; aufgrund einer psychischen Erkrankung, einer geistigen Behinderung oder einer anderen Störung der geistigen Aktivitäten zum Zeitpunkt einer solchen Handlung konnten sie die Bedeutung der Handlung nicht erkennen oder ihr Verhalten nicht richtig lenken;

?        Störungen der sexuellen Vorlieben zeigen;

?        ein Verbrechen gegen die sexuelle Freiheit begangen haben;

?        eine Straftat im Zusammenhang mit Alkoholabhängigkeit begangen haben.

Bei solchen Personen entscheiden die Gerichte unter anderem über eine Schutzmaßnahme, zum Beispiel über die Unterbringung in einer geeigneten geschlossenen psychiatrischen Einrichtung oder über die Behandlung einer Drogenabhängigkeit.

Ein Antrag auf Entscheidung, Änderung oder Widerruf einer Schutzmaßnahme kann vom Leiter einer forensischen Einrichtung oder vom Leiter der medizinischen Einrichtung gestellt werden, in der sich der Täter einer Therapie oder Suchttherapie unterzieht.

In der forensischen Psychiatrie unterscheiden wir:

Elementare Sicherheitsabteilungen – Diese Abteilungen können auch in allgemeinen psychiatrischen Abteilungen organisiert sein. Täter, auf die das grundlegende Sicherheitsniveau zutrifft, haben die Möglichkeit, sich vorübergehend außerhalb der Einrichtung unter der Obhut einer Familie oder einer vertrauenswürdigen Person aufzuhalten, wenn dies aus therapeutischen Gründen oder wichtigen familiären Erwägungen gerechtfertigt ist und wenn nur eine unbedeutende Gefahr besteht, dass der Täter, der sich außerhalb der Einrichtung aufhält, eine verbotene Handlung begeht oder sein eigenes Leben oder seine Gesundheit bedroht.

Erweiterte Sicherheitsabteilungen – Diese Abteilungen haben ein weniger strenges Sicherheitssystem als solche mit maximaler Sicherheit.

Abteilungen für maximale Sicherheit – diese Abteilungen haben die strengsten Sicherheitsmaßnahmen – für die Sicherheit der Patienten dort arbeitenden Personen ist Sicherheitspersonal verantwortlich. Darüber hinaus haben die Eingänge zum Gebäude und die einzelnen Abteilungen mehrere Sicherheitsstufen.

Der Ort, an dem die Schutzmaßnahme vollzogen wird, wird von der psychiatrischen Kommission für Schutzmaßnahmen beim Gesundheitsminister angegeben. Jede Person, die oben genannte Straftaten oder Verbrechen begangen hat, wird individuelle bewertet – es wird unter anderem das Risiko berücksichtigt, dass diese Person das Leben oder die Gesundheit anderer Menschen gefährdet, sowie das Risiko eines Risikos im Zusammenhang mit ihrer vorsätzlichen Abreise.

Während seines Aufenthalts auf der gerichtlich angeordneten Abteilung unterliegt der Täter einem angemessenen Behandlungs-, Therapie- und Rehabilitationsverfahren. Die Rehabilitation des Patienten zielt darauf ab, den Gesundheitszustand und sein Verhalten so weit zu verbessern, dass er wieder in die Gesellschaft zurückkehren und unter Bedingungen außerhalb der Einrichtung weiterbehandelt werden kann. Mindestens alle sechs Monate sendet der Leiter der psychiatrischen Einrichtung eine Stellungnahme an das Gericht, auf deren Grundlage das Gericht über die weitere Anwendung der Maßnahme oder die Freilassung des Täters entscheidet.“ (Ombudsmann für PatientInnenrechte, ohne Datum (b), Arbeitsübersetzung unter Verwendung von technischen Übersetzungshilfen)

2.3. Psychiatrische Krankenhäuser in Polen und Regionale Zentren für forensische Psychiatrie

Laut dem Mental Health Atlas der WHO, der zuletzt 2017 aktualisiert wurde, verfügt Polen über 48 psychiatrische Krankenhäuser („mental hospitals“) und weitere 100 psychiatrische Abteilungen in allgemeinen Krankenhäusern, außerdem über 41 stationäre Einrichtungen für forensische PatientInnen („forensic inpatient units“). Pro 100.000 EinwohnerInnen stünden 5,21 Betten in forensischen Einheiten zur Verfügung. (WHO, aktualisiert 2017)

Eine Webseite des polnischen Gesundheitsministeriums stellt ein Tool zur Verfügung, das die Suche nach psychiatrische Krankenhäusern in Polen ermöglicht:

Dem polnischen Gesundheitsministerium seien gemäß Angaben auf seiner Webseite zwei Regionale Zentren für forensische Psychiatrie (Regionalny Osrodek Psychiatrii Sadowei) unterstellt. Eines befinde sich in Branice, in der Woidschaft Opole, das zweite befinde sich in Staragrad Gdanski, in der Woidschaft Pommern. (Gesundheitsministerium, ohne Datum (c); Gesundheitsministerium, ohne Datum (d)). In diesen Regionalen Zentren finde der Vollzug von Schutzmaßnahmen unter maximalen Sicherheitsmaßnahmen statt.

Die Regionalen Zentren für forensische Psychiatrie erläutern auf ihrer jeweiligen Webseite, dass zu ihren Hauptaufgaben die Durchführung von Schutzmaßnahmen unter den Bedingungen maximaler Sicherheit gehöre, die von Gerichten gemäß Artikel 94 des Strafgesetzbuches festgelegt würden. Die Zentren seien psychiatrische Einrichtungen, die Aktivitäten im Bereich der Diagnose und Behandlung von Tätern verbotener Handlungen im Zusammenhang mit ihrer psychischen Erkrankung, geistigen Behinderung oder anderen psychischen Störungen durchführen würden. Die Zentren würden über hochspezialisierte PsychiaterInnen, PsychologInnen, ErgotherapeutInnen, SozialarbeiterInnen und Fachkräfte aus andern medizinischen Berufen verfügen, die professionelle Aktivitäten zur Rehabilitation der dort internierten StraftäterInnen garantieren würden. (Regionales Zentrum für forensische Psychiatrie Branice, aktualisiert 22. August 2012; Regionales Zentrum für forensische Psychiatrie Staragrad Gdanski, aktualisiert 21. Mai 2020)

Das Regionale Zentrum für forensische Psychiatrie in Staragrad Gdanski informierte auf seiner Webseite außerdem darüber, dass es über 64 Plätze für die Behandlung von psychisch kranken TäterInnen verbotener Handlungen verfüge. Aufgrund der Besonderheiten des Zentrums gebe es Personen, die die schwerwiegendsten verbotenen Handlungen im Zusammenhang mit schweren Körperverletzungen oder Mord begangen hätten. Der Behandlungs- und Rehabilitationsprozess finde in 4 Abteilungen mit jeweils 16 Plätzen statt- zusätzlich stünden den Patienten ein Ergotherapie- und Erholungszentrum sowie Sportplätze zur Verfügung (Regionales Zentrum für forensische Psychiatrie Staragrad Gdanski, aktualisiert 21. Mai 2020)

In dem oben erwähnten Bericht des CoE-CPT vom Mai 2017 wird der Besuch eines weiteren Regionalen Zentrums für forensische Psychiatrie geschildert, das in Gostynin, in der Woiwodschaft Masowien angesiedelt sei. Das Regionale Zentrum für forensische Psychiatrie in Gostynin verfüge laut dem Bericht über reine Kapazität von 32 Plätzen und sei eine psychiatrische Einheit der maximalen Sicherheitsstufe: … (CoE-CPT, 25. Juli 2018, S. 48, S. 51)

Die Delegation des CoE-CPT besuchte außer den Einrichtungen in Gostynin auch das psychiatrische Krankenhaus der Stadt Taszek (Woiwodschaft Schlesien) und berichtet darüber unter anderem, dass es 108 forensische PatientInnen betreue. Die häufigsten Diagnosen seien Schizophrenie, schwere Depression, Persönlichkeitsstörungen, organische Störungen sowie Drogen- und Alkoholabhängigkeit gewesen: … (CoE-CPT, 25. Juli 2018, S. 48)

Der Bericht ergänzt in einer Fußnote zu den genannten 108forensischen PatientInnen, dass 65 von ihnen in forensischen Abteilungen unter verstärkten Sicherheitsmaßnahmen und die übrigen mit zivilen PatientInnen in allgemeinen Abteilungen untergebracht gewesen seien. (CoE-CPT, 25. Juli 2018, S. 48, Fußnote 101)

Zu dem Umgang mit den forensischen PatientInnen in den besuchten Einrichtungen, das Krankenhaus in Toszek und das National Centre in Gostynin, berichtet die Delegation des CpE-CPT, dass an die Delegation während ihres Besuchs keine Meldungen über schlechte Behandlung der PatientInnen herangetragen worden seien und sich viele PatientInnen sehr positiv über ÄrztInnen, PatientInnen und WachbeamtInnen geäußert hätten. In der Einrichtung in Gostynin habe es aber einige Anschuldigungen bezüglich respektlosen Verhaltens vonseiten des Wachpersonals gegeben: … (CoE-CPT, 25. Juli 2018, S. 52)

Quelle:

?        ACCORD-Anfragebeantwortung vom 08.10.2020 (a-11384)

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang beruht auf dem diesbezüglichen Akteninhalt.

2.2. Zur Person der BF und ihren individuellen Verhältnissen:

2.2.1. Die Identität und Staatsangehörigkeit der BF stehen aufgrund des diesbezüglich glaubhaften Akteninhaltes fest.

2.2.2. Die Feststellungen zu den behördlichen Meldungen der BF im österreichischen Bundesgebiet beruhen auf einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Dass die BF im Zeitraum vom 07.06.2010 bis 12.07.2018 an ihrem Arbeitsort in Österreich mit Nebenwohnsitz gemeldet war, ergab sich aus einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Dass sich die BF innerhalb dieses Meldezeitraums nur während den Zeiten, in denen sie in Österreich Dienst versehen hat, im österreichischen Bundesgebiet, in arbeitsfreien Zeiten hingegen in Polen aufgehalten hat, ergab sich aus dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt.

Der ehemalige Dienstgeber bestätigte einen Aufenthalt der BF am Arbeitsort während ihrer Dienstzeiten – vom 28.05.2010 bis 20.08.2010, 22.10.2010 bis 07.01.2011, 04.02.2011 bis 29.04.2011, 22.07.2011 bis 14.10.2011, 06.01.2012 bis 30.03.2012, 22.06.2012 bis 14.09.2012, 09.11.2012 bis 04.01.2013, 01.03.2013 bis 03.05.2013, 05.07.2013 bis 06.09.2013, 25.10.2013 bis 20.12.2013, 14.02.2014 bis 11.04.2014, 13.06.2014 bis 16.08.2014, 10.10.2014 bis 19.12.2014, 20.02.2015 bis 01.05.2015, 03.07.2015 bis 04.09.2015, 30.10.2015 bis 18.12.2015, 05.02.2016 bis 25.03.2016, 13.05.2016 bis 01.07.2016, 19.08.2016 bis 07.10.2016, 25.11.2016 bis 13.01.2017, 03.03.2017 bis 07.04.2017, 28.04.2017 bis 09.06.2017, 28.07.2017 bis 15.09.2017, 27.10.2018 bis 22.12.2017, 02.02.2018 bis 23.03.2018 und vom 18.05.2018 bis 11.07.2018, konnte jedoch keine Auskunft über ihren genauen Aufenthaltsort außerhalb des Dienstverhältnisses geben und fügte hinzu, es sei allerdings davon auszugehen, dass sich die BF in dieser Zeit in ihrer Heimat in Polen aufhielt.

Dass die Anreise zum und Abreise vom Arbeitsort jeweils über die polnische Arbeitsagentur nach telefonischer Vereinbarung erfolgt ist, gab der ehemalige Dienstgeber der BF dem BVwG ebenso glaubhaft bekannt.

Es war folglich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich die BF nur während der von ihrem ehemaligen Dienstgeber angeführten Dienstzeiten in Österreich, außerhalb ihres Dienstverhältnisses jedoch jeweils in Polen aufgehalten hat – in den Jahren 2010 und 2011 mit einer über sechsmonatigen Abwesenheit.

2.2.3. Die Feststellungen zur rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung der BF von Februar 2019 und die unter dem Einfluss ihrer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades begangenen Straftaten beruhen auf dem diesbezüglichen Strafrechtsurteil im Verwaltungsakt. (AS 59ff)

Dieses Urteil stützt sich auf ein im Zuge der mündlichen strafgerichtlichen Hauptverhandlung am 07.02.2019 von einer Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie erstelltes Gutachten, welches aus dem Strafgerichtsakt kopiert und dem gegenständlichen Akteninhalt beigeschlossen wurde.

Die Feststellungen rund um die Schizophrenie-Erkrankung der BF beruhen auf dem Sachverständigengutachten von Februar 2019 bzw. dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt, darunter auch die Feststellungen, dass die BF bereits in Polen wegen Schizophrenie behandelt wurde, im April 2018 ihre Medikation abgesetzt hat, und in Österreich vormals mit demselben Medikament wie in Polen und dann ab Februar 2020 mit Depotspritzen behandelt wurde.

Nach einer Anhörung der BF wurde, wie aus dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt hervorgehend, mit Beschluss des zuständigen Straflandesgerichts von Februar 2020 die Notwendigkeit der weiteren Anhaltung der BF in der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher festgestellt, ebenso wie mit Beschluss des Straflandesgerichts von Jänner 2021, welche Entscheidung dem BVwG am 25.03.2021 nachgereicht wurde.

2.2.4. Die Feststellungen zu den familiären Verhältnissen der BF beruhen auf dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt samt ihrer glaubhaften Angabe in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, in Österreich keine Familienangehörigen (VH-Niederschrift, S. 9) und in Polen ihre Tochter, drei Enkelkinder und eine Schwester und einen Bruder zu haben (VH-Niederschrift, S. 5).

Aus dem, dem Strafgerichtsakt kopierten und gegenständlichen Bundesverwaltungsgerichtakt eingelegten Strafverhandlungsprotokoll von Februar 2019, in welchem auch die Erörterung des Sachverständigengutachtens vom 20.10.2018 festgehalten wurde, war bezüglich der familiären Situation der BF bzw. einer Bindung der BF zu ihrer Tochter herauszulesen, dass die BF nach dem Tod ihrer Mutter von ihrer Tochter zu einem Psychiater geführt worden ist (Strafverhandlungsprotokoll, S. 7) und zwischen der BF und ihrer Tochter eine enge Beziehung besteht (Strafverhandlungsprotokoll, S. 17).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

3.1.1. Der mit „Aufenthaltsverbot“ betitelte § 67 FPG lautet in Abs. 1 und Abs. 2 wie folgt:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere
1.         der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
2.         auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat,

terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);
3.         auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder
4.         der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(…).“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet in Absatz 1 und 2 wie folgt:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4.         der Grad der Integration,
5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9.         die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.“

3.1.2. Der Europäische Gerichtshof sprach in seinem Urteil vom 17.04.2018 in den verbundenen Rechtssachen C-316/16 und C-424/16 Folgendes aus:

1. Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG ist dahin auszulegen, dass der darin vorgesehene Schutz vor Ausweisung an die Voraussetzung geknüpft ist, dass der Betroffene über ein Recht auf Daueraufenthalt im Sinne von Art. 16 und Art. 28 Abs. 2 dieser Richtlinie verfügt.

2. Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 ist dahin auszulegen, dass im Fall eines Unionsbürgers, der eine Freiheitsstrafe verbüßt und gegen den eine Ausweisungsverfügung ergeht, die Voraussetzung dieser Bestimmung, den „Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat“ gehabt zu haben, erfüllt sein kann, sofern eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte zu dem Schluss führt, dass die Integrationsbande, die ihn mit dem Aufnahmemitgliedstaat verbinden, trotz der Haft nicht abgerissen sind. Zu diesen Gesichtspunkten gehören insbesondere die Stärke der vor der Inhaftierung des Betroffenen zum Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsbande, die Art der die verhängte Haft begründenden Straftat und die Umstände ihrer Begehung sowie das Verhalten des Betroffenen während des Vollzugs.

3. Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 ist dahin auszulegen, dass die Frage, ob eine Person die Voraussetzung dieser Bestimmung, den „Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat“ gehabt zu haben, erfüllt, zu dem Zeitpunkt zu beurteilen ist, zu dem die ursprüngliche Ausweisungsverfügung ergeht.

Mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides des BFA vom 26.02.2019 wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG gegen die BF ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Mit angefochtenem Bescheid des BFA vom 26.02.2019 wurde für die rechtliche Beurteilung der einfache Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 S. 2 FPG herangezogen.

Die BF weist in den Jahren 2010 und 2011 eine jeweils über sechsmonatige Abwesenheit vom österreichischen Bundesgebiet auf, in den weiteren Jahren ab 2012 lag die jährliche Aufenthaltsdauer außerhalb des österreichischen Bundesgebietes unter der Sechsmonatsgrenze.

Die BF ging ab 06.01.2012 in Österreich einer gewerblich selbstständigen Erwerbstätigkeit als Altenbetreuerin nach. Sie hielt sich in einem Zwei- bis Dreimonatsrhythmus entweder arbeitsbedingt in Österreich oder in arbeitsfreien Zeiten in Polen auf.

An dieser Stelle wird der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a Abs. 1 Z. 1 NAG wiedergegeben:

„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von
1.         Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;
(…).“

Festgehalten wird, dass die BF, deren Aufenthaltskontinuität erst ab 06.01.2012 gegeben ist, sich weniger als zehn Jahre und mehr als die in § 53a Abs. 1 NAG angeführten fünf Jahre lang im österreichischen Bundesgebiet aufgehalten hat.

Die BF wurde von einer polnischen Agentur mit einer Außenstelle in Österreich als ausgebildete Altenbetreuerin nach Österreich vermittelt und ging hier bis zum 11.07.2018 als gewerblich selbstständig Erwerbstätige dieser Tätigkeit nach.

Sie konnte jedenfalls kein Daueraufenthaltsrecht iSv § 53a Abs. 1 NAG erwerben, sind doch die Integrationsbande, die sie mit dem Aufnahmemitgliedstaat „Österreich“ verbinden, abgerissen. Dies aus den folgenden Gründen:

Im (rechtskräftigen) Strafrechtsurteil von Februar 2019 wurde Folgendes festgehalten:

Die BF hat am 11.07.2018 an einem bestimmten im Strafrechtsurteil angeführten Ort unter dem Einfluss eines ihre Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades, nämlich einer paranoiden Schizophrenie (F 20.0), beruht,

I.       an einer fremden Sache ohne Einwilligung des Eigentümers eine Feuersbrunst verursacht, indem sie im Haus des (…) im Fußbereich des Bettes, indem (…) schlief, weiters in dem ihr als Pflegerin zugewiesenen Zimmer und im Badezimmer Feuer legte, während im Haus auch noch (…) und (…) schliefen,

II.      durch die zu I. genannten Tathandlung (…), (…) und (…) zu töten versucht.

III.    Die BF hat hiedurch Taten begangen, die ihr, wäre sie zu den Tatzeitpunkten zurechnungsfähig gewesen,

zu I. als das Verbrechen der Brandstiftung nach § 169 Abs. 1 StGB,

zu II. als die Verbrechen des Mordes nach den §§ 15, 75 StGB zuzurechnen gewesen wären.

Im Urteil wurde zudem Folgendes festgehalten:

Da zu befürchten ist, dass (…) sonst unter dem Einfluss ihrer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgende begehen werde, wird gemäß § 21 Abs. 1 StGB die Unterbringung der (…) in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet. (AS 63)

Dieses Urteil bzw. diese strafgerichtliche Anordnung stützt sich auf ein Gutachten einer Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie von Februar 2019. Diesem Sachverständigengutachten folgend leidet die BF an einer chronischen schweren, wenn nicht der schwersten Geisteskrankheit, an der man leiden kann, und ist zu erwarten, dass die BF in zehn Jahren noch genauso krank ist wie zum Zeitpunkt der Gutachtenserstellung im Februar 2019, wobei angesichts des vergangenen Verhaltens der BF zukünftig Wiederholungstaten bzw. Handlungen der BF, die andere massiv in ihrer Gesundheit gefährden, nicht ausgeschlossen werden können, zumal es prognostisch beängstigend ist, dass die BF befehlserteilenden Stimmen bzw. Halluzinationen gefolgt ist, ohne dass für diese massiven Handlungen von der BF irgendein Widerstand gekommen wäre.

Genauso wie im Februar 2020 wurde auch im Jänner 2021 die Notwendigkeit der weiteren Anhaltung der BF in der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher festgestellt. Die BF wird dort medikamentös behandelt und von Ärzten und Pflegepersonal betreut.

In Gesamtbetrachtung des Verhaltens der an paranoider Schizophrenie leidenden BF, welcher mit ihren Straftaten ihre in Österreich angeeigneten Deutschkenntnisse entschwunden sind und mit welcher in der Anstalt nur mithilfe eines Dolmetschers für die polnische Sprache kommuniziert werden kann, war von einem Abriss der zu Österreich geknüpften Integrationsbande der BF auszugehen, weshalb die vor Begehung der Straftaten am 11.07.2018 liegende über fünfjährige Aufenthaltsdauer nicht zu einem Daueraufenthaltsrecht iSv § 53a Abs. 1. NAG und folglich auch nicht zur Heranziehung des erhöhten Gefährdungsmaßstabes iSv § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG führen konnte.

Bei der Beurteilung der Gefährdungsprognose kommt somit der einfache Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 Satz 2 FPG zur Anwendung. Nach dieser Bestimmung muss das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Im Rahmen der Gefährdungsprognose hinsichtlich eines Aufenthaltsverbotes ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung eines Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 29.6.2017, Ra 2017/21/0068, sowie schon zur Vorläuferbestimmung des § 86 Abs. 1 FPG VwGH 5.7.2011, 2008/21/0131, jeweils mwN). Für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose ist es nicht ausreichend, wenn lediglich das Gericht, die Urteilsdaten, die maßgeblichen Strafbestimmungen und die verhängte Strafe angeführt werden (vgl. VwGH 19.5.2015, Ra 2015/21/0001; 19.5.2015, Ra 2014/21/0057, mwN). Im Rahmen der zu treffenden Feststellungen kann es fallbezogen mitunter aber auch nicht ausreichend sein, die im Urteilstenor des Strafgerichts zum Ausdruck kommenden Tathandlungen wiederzugeben, sondern es sich als notwendig darstellen, darüberhinausgehende Feststellungen zu treffen, um die Gefährdungsprognose in einer dem Gesetz entsprechenden Weise vornehmen zu können (vgl. VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014, mwN).

Für die Frage, ob ein Aufenthaltsverbot erlassen werden darf, ist vom VwG auf den Zeitpunkt seiner Durchsetzbarkeit abzustellen. Gemäß § 70 Abs. 1 zweiter Satz FrPolG 2005 ist der Eintritt der Durchsetzbarkeit eines Aufenthaltsverbotes aber für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde. Das gilt auch für die Dauer der gemäß § 21 Abs. 1 StGB verfügten Anhaltung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Vor allem bei der Gefährdungsprognose ist daher vom VwG auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der (hypothetischen) Entlassung der Fremden aus der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher abzustellen. Das bedeutet allerdings noch nicht, dass die Gefährdungsprognose jedenfalls zugunsten des Fremden auszufallen hat, weil eine Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug nur bei einem Wegfall der Gefährlichkeit in Betracht kommt. Der Prognose einer vom Fremden ausgehenden Gefahr iSd. § 67 FrPolG 2005 steht nicht entgegen, dass die Gefährlichkeit auf eine Krankheit zurückzuführen ist. Vielmehr hat der Gesetzgeber (sogar) die Möglichkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen auch wegen Tathandlungen vorgesehen, die im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen wurden und zu einer Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher geführt haben. Eine Gefährdung iSd. § 67 FrPolG 2005 kann somit grundsätzlich auch bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung bejaht werden, wenn nicht etwa eine Behandlung und Medikation Gewähr dafür bieten, dass eine derartige Gefährdung künftig auszuschließen sein wird (vgl. VwGH 29.09.2020, Ra 2020/21/0297, mwN).

Im gegenständlichen Fall hat die BF am 11.07.2018 unter dem Einfluss ihrer paranoiden Schizophrenie bzw. ihrer chronischen schweren Geisteskrankheit das Haus an ihrer Arbeitsstelle in Brand gelegt und versucht, eine alte Frau, die sie betreute, zu ermorden.

Es wurde folglich im Februar 2019 ein Gutachten einer Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie eingeholt und mit Strafrechtsurteil von Februar 2019 die Einweisung der BF in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Die BF wird in der Anstalt – medikamentös bzw. mit Depotspritzen – behandelt und von Ärzte- und Pflegepersonal betreut. Da mit ihren Straftaten von Juli 2018 ihre in Österreich erlernten Deutschkenntnisse wieder entschwunden sind

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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