TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/28 W226 1302833-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.06.2021
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Entscheidungsdatum

28.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W226 1302833-3/2E


IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. WINDHAGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Mag. Christian Hirsch, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.05.2021, Zl.: 750000503-201206165 zu Recht:

A) Der Beschwerde wird mit der Maßgabe stattgegeben, als das Einreiseverbot auf die Dauer von vier Jahren herabgesetzt wird. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung

I. Verfahrensgang:

1.1 Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe sowie dem muslimischen Glauben zugehörig, gelangte am 31. Dezember 2004 gemeinsam mit seinen Eltern XXXX und XXXX sowie seinen Geschwistern auf österreichisches Bundesgebiet und stellte am 1. Januar 2005 einen Antrag auf Gewährung von Asyl.

1.2 Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahmen durch das Bundesasylamt am 10. Januar 2005, am 19. Januar 2005 und am 26. Mai 2006 führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, er sei in XXXX geboren und habe dort bei seinen Eltern und Geschwistern gelebt. Im Jahre 2002 seien in der Stadt sogenannte Säuberungsaktionen durchgeführt worden und hätten Soldaten im März 2002 nach seinem Vater gesucht, da dieser am ersten Tschetschenienkrieg teilgenommen habe. Nachdem sie diesen nicht im Haus seiner Familie gefunden hätten, seien sein Bruder und er von den Soldaten mitgenommen und zusammen mit anderen Burschen zwei Tage festgehalten und auch geschlagen worden. Sein Bruder und er hätten Verletzungen durch die Schläge der Soldaten erlitten, sie seien jedoch gegen Bezahlung eines Lösegeldes freigelassen worden. Nachdem russische Soldaten am 22. November 2003 erneut zu ihnen nach Hause gekommen seien, hätte seine Mutter beschlossen, mit der gesamten Familie zu fliehen. Im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat befürchte er erneut verfolgt zu werden; er werde auch in ganz Russland behördlich gesucht.

1.3 Mit Bescheid vom 08. Juni 2006, Zl. 05 00.005-BAT, wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 ab (Spruchteil I.) und erklärte in Spruchteil II. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl. 101/2003 in die Russische Föderation für zulässig; weiters verfügte das Bundesasylamt in Spruchteil III. gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 idF BGBl I Nr. 101/2003 die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation.

1.4 Aufgrund der gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung des Beschwerdeführers behob der Unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 09. Februar 2007, GZ. 302.833-C1/4E-IX/27/06, gemäß § 66 Abs. 2 AVG iVm § 38 Abs. 1 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 den Bescheid und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück, da sich das erstinstanzliche Verfahren insgesamt als so mangelhaft erweise, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheine.

1.5 Bei seiner darauffolgenden ergänzenden niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesasylamt am 24. Juli 2007 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, er habe sich bis zu seiner Flucht im November 2003 ständig in Tschetschenien aufgehalten. Als maskierte Leute ins Haus der Familie gekommen seien und die Ausweise aller Familienmitglieder überprüft hätten, sei sein Vater nicht auffindbar gewesen, da sich dieser woanders versteckt gehalten habe. Unter dem Vorwand, dass deren Daten genauer kontrolliert werden müssten, seien sein Bruder und er von den maskierten Leuten mitgenommen worden. Sie seien zu Kontrollposten außerhalb ihres Dorfes gebracht und dort nach deren Vater befragt worden. Der Grund für die Mitnahme sei eigentlich legal gewesen, sie hätten nur eine Ausrede gebraucht. Man könne sagen, dass es eine allgemeine Säuberungsaktion gewesen sei, sie seien auch in anderen Häusern gewesen. Seinem Bruder sei bei der Anhaltung ein Zahn ausgeschlagen worden und er selbst hätte noch immer Narben von den bei der Anhaltung erlittenen Schlägen. In der Folge seien sein Bruder und er jedoch freigekauft worden und hätten sofort ihr Heimatdorf verlassen, seien jedoch in ständigem Kontakt mit deren Familie gestanden. Als am 22. November 2003 wieder Soldaten in deren Haus gekommen seien, hätte die gesamte Familie am folgenden Tag die Flucht aus dem Heimatstaat ergriffen. Bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat sei sein Leben und das Leben seiner gesamten Familie in Gefahr.

1.6 Mit Bescheid vom 16. Oktober 2007, Zl. 05.00.005-BAT, wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers vom 1. Januar 2005 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I) und gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 festgestellt, dass dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 8 Absatz 2 AsylG 1997 idF BGBl I Nr. 101/2003 wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

1.7 Der vom Beschwerdeführer dagegen erhobene Beschwerde wurde schließlich vom Asylgerichtshof am 14. Jänner 2010 stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG 1997 festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Der Asylgerichtshof begründete dies ua folgendermaßen:

„Der Vater des Beschwerdeführers nahm während der Tschetschenienkriege zwar nicht aktiv an Kampfhandlungen teil, besuchte jedoch politische Versammlungen und hatte die Aufgabe als Chauffeur zu fungieren. Als solcher transportierte er je nach Bedarf Lebensmittel, tschetschenische Kämpfer zu Objekten und Einsatzorten, verwundete Kämpfer aus den Kampfzonen und hochrangige tschetschenische Militärangehörige. Diese Tätigkeiten blieben für den Vater des Beschwerdeführers zunächst ohne Folgen, jedoch wurde ihm im Jahr 2002 von einem Bekannten, welcher Mitarbeiter des FSB gewesen ist, mitgeteilt, sein Name würde zwischenzeitlich auf einer Liste von gesuchten Personen aufscheinen. Nach dem Vater des Beschwerdeführers wurde in weiterer Folge mehrmals in seinem Haus gesucht, jedoch konnte er sich jedes Mal rechtzeitig vor den Kontrollen bei Freunden verstecken. Bei einer dieser Kontrollen im März 2002 wurden der Beschwerdeführer und sein Bruder an Stelle ihres Vaters mitgenommen. Es wurden ihnen Säcke über den Kopf gestülpt und wurden sie zu einem Kontrollposten außerhalb ihres Dorfes mitgenommen, dort nach ihrem Vater befragt und auch geschlagen. Dem Bruder des Beschwerdeführers wurde dabei ein Zahn ausgeschlagen, er selbst wurde auch am Kopf verletzt. Der Beschwerdeführer und sein Bruder konnten nach zwei Tagen jedoch freigekauft werden.

Am 22. November 2003 sind erneut russische Soldaten zur Familie des Beschwerdeführers nach Hause gekommen, wobei der Vater des Beschwerdeführers erneut nicht auffindbar war, und wurde damals die Mutter des Beschwerdeführers von den russischen Soldaten geschlagen.

Aus Angst vor weiteren – im Zusammenhang mit der seinem Vater unterstellten Unterstützung von tschetschenischen Kämpfern und der in diesem Zusammenhang zu erwartenden - Übergriffen bzw. Angst vor Verfolgungshandlungen durch russische bzw. prorussische Militärs hat der Beschwerdeführer mit seiner Familie das Gebiet der Tschetschenischen Republik am 23. November 2003 verlassen.

[…]

Wie bereits bei der Beweiswürdigung ausgeführt, weicht das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers vom rechtskräftig als glaubhaft festgestellten Vorbringen der Familienmitglieder nicht ab und war daher auch dem Beschwerdeführer die Glaubhaftigkeit des Vorbringens nicht zu versagen. Der Vater des Beschwerdeführers war während des ersten Tschetschenienkrieges politisch tätig und geriet deswegen in den Blickwinkel der russischen Behörden. Der Beschwerdeführer wurde einmal aufgrund dieses familiären Hintergrundes festgenommen und zwei Tage festgehalten und misshandelt. Erst gegen Hinterlegung einer Schmiergeldzahlung kam er wieder auf freien Fuß. Damit hat sich bereits gezeigt, dass dem Beschwerdeführer von den russischen Sicherheitskräften eine solche Nähe zu separatistischen Kreisen unterstellt wurde, die ihn auch künftig im Hinblick auf Misshandlungen als gefährdet erscheinen lässt. Er gehört zu einem Personenkreis, dem ein Naheverhältnis zum tschetschenischen Widerstand unterstellt wird und der deshalb von anti-separatistischen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung besonders betroffen ist. Gemäß den vom erkennenden Senat übernommenen Länderfeststellungen der belangten Behörde ist weiterhin von Einzelaktionen staatlicher Sicherheitskräfte vor allem gegen Personen auszugehen, denen separatistische bzw. terroristische Aktivitäten zuzurechnen sind oder zumindest unterstellt werden.“

Auch bezüglich der Asylanträge der Eltern und Geschwistern des Beschwerdeführers stellte der Asylgerichtshof mit Erkenntnissen vom 12. Februar 2009 bzw 6. April 2009 fest, dass ihnen Asyl gewährt wird und damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

1.8 Am XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls gemäß §§ 15, 127 StGB, wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. Fall, 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG sowie wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels gemäß § 28a Abs. 1 4. Fall, 5. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon 10 Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

1.9 Am 11. November 2019 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Vater des Beschwerdeführers den Status des Asylberechtigten aufgrund einer Änderung der maßgeblichen Umstände ab, was das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 10. August 2020 aufgrund der Beschwerde des Vaters des Beschwerdeführers hinsichtlich der Aberkennung des Asylstatus und der Nicht-Gewährung von subsidiärem Schutz bestätigte.

Zur Aberkennung des Asylstatus führte das Bundesverwaltungsgericht folgendes aus:

„Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat im angefochtenen Bescheid im Ergebnis zutreffend aufgezeigt, dass die Umstände, welche zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Beschwerdeführer im Jahr 2009 geführt haben, zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr vorliegen und eine aktuelle Rückkehrgefährdung nicht besteht XXXX Der Beschwerdeführer hat im nunmehrigen Verfahren jedoch XXXX hinsichtlich einer ihm im Falle einer Rückkehr möglicherweise nach wie vor drohenden gezielten Verfolgung vorgebracht. Soweit er sich in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt darauf berufen hat, er werde eine Rückkehr mit Sicherheit nicht überleben, zumal es vorkomme, dass Leute in Tschetschenien verschwinden würden, so handelt es sich XXXX ersichtlich machen und die auch im Beschwerdeschriftsatz keine nähere Konkretisierung erfahren haben. Dem Beschwerdeführer wurde vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl durch wiederholte Nachfragen nach seinen Rückkehrbefürchtungen die Möglichkeit eingeräumt, eine aktuell (fort)bestehende Bedrohungslage ins Treffen zu führen, er hat jedoch nicht im Ansatz konkret aufgezeigt, weshalb er sich im Fall einer Rückkehr XXXX der Widerstandsbewegung nach wie vor als gefährdet erachten. Den im angefochtenen Bescheid ersichtlichen Länderberichten lässt sich entnehmen, dass sich der Fokus der tschetschenischen Sicherheitsbehörden nicht länger auf Kämpfer der beiden Tschetschenienkriege richte, sondern auf Personen, welche aktuell gegen das tschetschenische Regime tätig wären bzw. mit dem IS in Verbindung gebracht würden. Hinweise auf Verfolgungshandlungen gegen Kämpfer der beiden Tschetschenienkriege würden demgegenüber nicht vorliegen.

[…]

Dem Beschwerdeführer wurde der Status des Asylberechtigten zuerkannt, da er während der Tschetschenienkriege zwar nicht an Kampfhandlungen teilgenommen hatte, jedoch als Chauffeur fungiert und je nach Bedarf Lebensmittel, tschetschenische Kämpfer zu Objekten und Einsatzorten, verwundete Kämpfer aus den Kampfzonen und hochrangige tschetschenische Militärangehörige transportiert hätte und diese Unterstützung der Widerstandsbewegung wohl im Jahr 2002 an russische Militärangehörige verraten worden wäre, welche in der Folge wiederholt nach dem Beschwerdeführer gesucht und seine beiden Söhne mitgenommen und misshandelt hätten, als der Beschwerdeführer nicht zu Hause angetroffen worden sei. Nachdem der Beschwerdeführer im November 2003 neuerlich nicht daheim angetroffen worden sei, hätten Soldaten die damalige Lebensgefährtin des Beschwerdeführers misshandelt, in der Folge sei die Familie aus dem Herkunftsstaat geflüchtet.

Den im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Länderberichten lässt sich entnehmen, dass Hinweise auf nach 2011 stattgefundene Verfolgungshandlungen tschetschenischer Behörden gegen Kämpfer der beiden Tschetschenienkriege nicht vorliegen würden. Nach Ansicht der Österreichischen Botschaft Moskau konzentrieren sich die russischen und tschetschenischen Behörden bei der Strafverfolgung mittlerweile auf IS-Kämpfer/Unterstützer bzw. auf Personen, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen. Es kann demnach nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund des Sachverhaltes, welcher ursprünglich zur Gewährung von Asyl geführt, unverändert einer Verfolgung durch die Behörden seines Herkunftsstaates unterliegen würde. „

Allerdings erteilte das Bundesverwaltungsgericht dem Vater des Beschwerdeführers eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 AsylG 2005 aus den folgenden Überlegungen:

„Allerdings ist im vorliegenden Verfahren neben der XXXX des Beschwerdeführers zu berücksichtigen, dass dessen engste Familienangehörige allesamt in Österreich leben, wohingegen er in der Russischen Föderation nur noch entfernte verwandtschaftliche bzw. soziale Bindungen hat. So leben in Österreich die gemeinsam mit ihm eingereisten sechs (zwischenzeitig) volljährigen Kinder, die ehemalige Lebensgefährtin sowie zwölf Enkelkinder des Beschwerdeführers. Es besteht demnach jedenfalls ein gewichtiges Interesse des Beschwerdeführers, den XXXX durch einen Verbleib im Bundesgebiet fortzusetzen.

Nicht verkannt wird, dass der Beschwerdeführer zwei aus den Jahren 2016 und 2017 stammende Verurteilungen wegen XXXX aufweist, vor deren Hintergrund seine Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet eine beträchtliche Relativierung erfahren. Aufgrund der dargestellten stark ausgeprägten familiären Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sowie dessen bereits langjähriger Aufenthaltsdauer ist in einer Gesamtabwägung mit den in ihrem XXXX jedoch von einem aktuellen Überwiegen der Interessen des Beschwerdeführers an einer Aufrechterhaltung seines Familien- und Privatlebens im Bundesgebiet auszugehen, XXXX Zwar stellen die Vergehen der gefährlichen Drohung sowie der Körperverletzung grundsätzlich ein mit einem Gefährdungspotential einhergehendes Fehlverhalten dar; fallgegenständlich war jedoch zu berücksichtigen, dass XXXX auch aus spezialpräventiven Erwägungen als ausreichend erachtet haben. Den Ausführungen im angefochtene Bescheid hinsichtlich eines vom Beschwerdeführer ausgehenden derart hohen Gefährdungspotentials, welches eine Aufenthaltsbeendigung trotz der engen familiären Bindungen im Bundesgebiet und der mehr als 15-jährigen Aufenthaltsdauer im öffentlichen Interesse als geboten erscheinen ließe, kann demnach nicht gefolgt werden kann.“

1.10 Am XXXX wurde der Beschwerdeführer durch das Landesgericht XXXX wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 28a Abs. 1 5. Fall, Abs. 3 1. Fall SMG und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. und 2. Fall, Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.

1.11 Am 29. April 2021 wurde der Beschwerdeführer bezüglich der Aberkennung seines Asylstatus vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen, wobei der BF angab seit 2018 einen Bandscheibenvorfall zu haben und dagegen Lyrica für die Schmerzen und Sirdalud für die Muskelentspannung zu nehmen. Er müsse Physiotherapie machen, bevor er den Bandscheibenvorfall operieren könne. Er sei ledig und habe einen Sohn und drei Töchter. Mit der Kindesmutter, XXXX , habe der Beschwerdeführer aufgrund seiner Drogenprobleme nie eine fixe Beziehung gehabt, sie seien mal getrennt, mal zusammen gewesen. Seit acht oder zehn Monaten lebe er getrennt von der Kindesmutter und seinen Kindern, davor hätten sie aber auch nicht immer in einem gemeinsamen Haushalt gelebt, sondern „mal so oder so“. Er zahle Alimente für die Kinder, gehe keiner Erwerbstätigkeit nach und erhalte Sozialleistungen. Im Herkunftsland habe der Beschwerdeführer drei Tanten mütterlicherseits, Onkel väterlicherseits, zu welchen er vor zwei oder drei Jahren das letzte Mal Kontakt gehabt habe. Befragt zu seinen Rückkehrbefürchtungen, brachte der Beschwerdeführer vor, dass er Angst davor habe, ermordet zu werden aus den gleichen Gründen, die ihn zur Ausreise veranlasst hätten. Seinem Bruder drohe eine zwanzig jährige Gefängnisstrafe, falls dieser zurückkehren würde. Nach seinem Bruder werde bereits gefahndet, das habe er von seiner Cousine gehört. Nach dem Beschwerdeführer werde nicht offiziell gefahndet. Er wäre dort aber trotzdem gefährdet, auch in Österreich lasse Kadyrow alle umbringen.

1.12 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10. Mai 2021 wurde dem Beschwerdeführer der ihm mit Erkenntnis vom 14.01.2010 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Absatz 1 Ziffer 2 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, aberkannt. Gemäß § 7 Absatz 4 AsylG wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) wurde dem Beschwerdeführer nicht zuerkannt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Unter Spruchpunkt VII. wurde gegen den Beschwerdeführer ein befristetes Einreiseverbot auf die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte zur Aberkennung des Asylstatus des Beschwerdeführers aus, dass der Beschwerdeführer zwar lediglich vage in den Raum gestellt habe, nach wir vor noch einer Verfolgung ausgesetzt zu sein, er habe jedoch nicht einmal ansatzweise glaubhaft darlegen können, im Falle Ihrer Rückkehr tatsächlich eine aktuelle sowie individuelle Gefährdungslage befürchten zu müssen. Es gäbe in den Länderberichten keine Hinweise, weshalb die russischen bzw. tschetschenischen Behörden mehr als 16 Jahre nach der Ausreise des Beschwerdeführers aus seinem Heimatland ein Interesse hätten, diesen zu verfolgen. Weiters verwies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auf die Aberkennung des Asylstatus des Vaters des Beschwerdeführers. Da der Beschwerdeführer aufgrund seines familiären Hintergrundes zu einem Personenkreis, dem ein Naheverhältnis zum tschetschenischen Widerstand unterstellt wurde, gehört habe, schlug die Verfolgung seines Vaters auf diesen durch. Da seinem Vater aufgrund der Aberkennung also im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation keine aktuelle Gefährdungslage mehr drohe, lasse sich auch nicht mehr eine Gefährdungslage des Beschwerdeführers ableiten.

Auch subsidiärer Schutz sei dem Beschwerdeführer nicht zu gewähren, da aufgrund seiner grundsätzlichen Selbsterhaltungsfähigkeit, im Herkunftsstaat bestehenden verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte sowie der Möglichkeit, als russischer Staatsbürger Leistungen des Sozialhilfesystems in Anspruch zu nehmen, kein Risiko erkannt werden könne, dass er nach einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde. Es könnten seitens der Behörde auch keine derart exzeptionellen Umstände im Hinblick auf die Russische Föderation festgestellt werden, die einer in Art. 2 und/oder Art. 3 EMRK genannten Gefährdung gleichzuhalten wären. Bezüglich des Bandscheibenvorfalls des Beschwerdeführers führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass dies mit einfachen medizinischen Mitteln zu behandeln sei und damit nicht in den Bereich einer Lebensbedrohlichkeit falle. Außerdem bleibe der Beschwerdeführer trotzdem arbeitsfähig. Er sei damit zwar vorerst von gewissen Tätigkeiten „ausgeschlossen“, es gäbe aber ein durchaus weites Spektrum an alternativen Arbeitsmöglichkeiten. Die medizinische Versorgung in der Russischen Föderation habe sich in den letzten Jahren an die hohen Standards der mitteleuropäischen Gesundheitssysteme angepasst und sei kostenfrei für alle Staatsbürger zugänglich, sodass der Beschwerdeführer auf solche medizinischen Versorgungseinrichtungen zurückzugreifen könne.

Zur Rückkehrentscheidung führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass der Beschwerdeführer über keinen gemeinsamen Haushalt mit der Kindesmutter oder seinen Kindern verfüge. Auch in finanzieller Hinsicht lasse sich keine Abhängigkeit erkennen, da vielmehr der österreichische Staat dessen Kinder finanziell unterstütze. Es seien keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine enge Bindung zu seinem Sohn und zu seinen Töchtern feststellen ließen oder die erkennen lassen würden, dass der Beschwerdeführer darauf bedacht wäre, sämtliche Möglichkeiten auszuschöpfen, um seiner Rolle als Vater auch gerecht zu werden. Bei der Abwägung seiner familiären Interessen mit jenen der Öffentlichkeit, sei zu Gunsten der Allgemeinheit und der Sicherung des rechtskonformen Miteinanders zu entscheiden, da der Beschwerdeführer in Österreich bereits zwei Mal rechtskräftig verurteilt worden sei. Er habe mit der wiederholten Begehung von mit mehrjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Straftaten zudem eine Trennung von seinen Angehörigen sowie Kindern bewusst in Kauf genommen. Die Suchtgiftkriminalität sei in höchstem Maße sozialschädlich, da durch sie eine Gesundheitsgefährdung in großem Ausmaß entstehen könne. Der Beschwerdeführer habe dadurch auch besonders schutzwürdige jugendliche Personen gefährdet. Sein Fehlverhalten sei daher außerordentlich gravierend und gefährde massiv die öffentliche Ordnung und Sicherheit.

Das zehnjährige Einreiseverbot begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl damit, dass wie bereits festgestellt, das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit die familiären und privaten Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in Österreich überwiegen würden und das den Verurteilungen des Beschwerdeführers zugrunde liegende Fehlverhalten nicht nur geeignet sei, die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit in einem hohen Maße zu gefährden, sondern auch die Volksgesundheit nachhaltig zu beeinträchtigen. Es sei zudem nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer sein Verhalten dahingehend in Zukunft ändern würde. Aufgrund der Art und Schwere der Straftaten des Beschwerdeführers und seinen fehlenden integrativen Bindungen zu Österreich erscheine das Ausmaß des Einreiseverbotes verhältnismäßig.

1.13 Die vom Beschwerdeführer gegen diese Entscheidung vollumfänglich erhobene Entscheidung monierte insbesondere Verfahrensmängel sowie eine unrichtige rechtliche Beurteilung. Auch wäre festzustellen gewesen, dass der Beschwerdeführer eine Familie mit kasachischer Herkunft habe, was in Verbindung mit seiner tschetschenischen Herkunft eine unveränderte Bedrohungssituation darstelle.

Zur Aberkennung des Asylstatus führte die Beschwerde aus, dass es sich bei den Verurteilungen bloß um zwei Vergehen mit sehr moderaten Strafaussprüchen gehandelt habe und, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines kasachischen Familienursprunges, seiner Nähe zu separatistischen Gruppierungen und aufgrund seiner Flucht massiven Übergriffen in der Russischen Föderation ausgesetzt sei und sein Leben bedroht sei, was die Länderfeststellungen belegen würden. Der BF habe nur „zwei Vergehen mit sehr moderaten Strafaussprüchen“ begangen, dies würde kein besonders schweres Verbrechen darlegen.

Zum Spruchpunkt der Nicht-Gewährung von subsidiärem Schutz, brachte der Beschwerdeführer vor, dass aus den Länderberichten hervorgehe, dass er unmenschlicher Behandlung ausgesetzt wäre, seine Situation schlechter sei als vom Rest der Bevölkerung der russischen Föderation, er seinen Lebensunterhalt dort nicht sichern könne und aufgrund seines Bandscheibenvorfalls sowie der wirtschaftlichen Situation in seinem Herkunftsstaat in eine existenzielle Notlage geraten würde.

Zur Rückkehrentscheidung führte der Beschwerdeführer aus, dass ihm der Aufenthaltstitel besonderer Schutz bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte erteilt werden müssen. Zudem sei ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG zu erteilen, da der Beschwerdeführer trotz On-Off Beziehung mit der Kindesmutter ein gutes Verhältnis zu seinen Kindern habe. Im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sei ein weiterer Kontakt nur über elektronische Medien zu seinen Kindern nicht zumutbar. Da die Möglichkeit wechselseitiger, regelmäßiger und längerfristiger Besuche tatsächlich nicht gegeben sei, würde es sich um eine dauerhafte Trennung handeln. Weiters weise das Strafausmaß seiner zweiten Verurteilung darauf hin, dass eine Schwere der Tat und eine besondere Gefährlichkeit der Person des Beschwerdeführers nicht vorliege. Ebenso sei der Beschwerdeführer gut integriert, da er seit 17 Jahren in Österreich sei, eine Familie gegründet habe, vor seinem Bandscheibenvorfall am Arbeitsmarkt integriert gewesen sei und Freunde gefunden habe.

Das zehnjährige Einreiseverbot sei angesichts der familiären Bindungen des Beschwerdeführers in Österreich als völlig verfehlt anzusehen. Das Strafausmaß seiner letzten Verurteilungen zeige eindeutig, dass eine Gefährlichkeit des Beschwerdeführers nicht anzunehmen sei, vielmehr von einer „positiven Zukunftsprognose“ ausgegangen werde.

1. Feststellungen:

1.1 Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, Zugehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und bekennt sich zum muslimischen Glauben.

1.2 Er wuchs in Tschetschenien auf, wo er gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern bis zu seiner Ausreise nach Europa lebte. Nach der Einreise in Österreich, stellte die Familie am 1.1.2005 Asylanträge. Der BF war zur Zeit der Antragstellung fast zwanzig Jahre alt.

1.3 Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 14. Jänner 2010 wurde dem BF gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG 1997 festgestellt, dass dem BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Der Asylgerichtshof begründete dies ua damit, dass das Fluchtvorbringen des BF vom rechtskräftig als glaubhaft festgestellten Vorbringen der Familienmitglieder nicht abweicht und daher auch dem BF die Glaubhaftigkeit des Vorbringens nicht zu versagen war. Der Vater des BF war während des ersten Tschetschenienkrieges politisch tätig und geriet deswegen in den Blickwinkel der russischen Behörden. Der BF wurde einmal aufgrund dieses familiären Hintergrundes festgenommen und zwei Tage festgehalten und misshandelt. Erst gegen Hinterlegung einer Schmiergeldzahlung kam er wieder auf freien Fuß. Damit habe sich bereits gezeigt, dass dem BF von den russischen Sicherheitskräften eine solche Nähe zu separatistischen Kreisen unterstellt wurde, die ihn auch künftig im Hinblick auf Misshandlungen als gefährdet erscheinen lasse. Er gehöre zu einem Personenkreis, dem ein Naheverhältnis zum tschetschenischen Widerstand unterstellt wird und der deshalb von anti-separatistischen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung besonders betroffen ist. Gemäß den vom erkennenden Senat übernommenen Länderfeststellungen der belangten Behörde sei weiterhin von Einzelaktionen staatlicher Sicherheitskräfte vor allem gegen Personen auszugehen, denen separatistische bzw. terroristische Aktivitäten zuzurechnen sind oder zumindest unterstellt werden.

Auch bezüglich der Asylanträge der Eltern und Geschwistern des BF stellte der Asylgerichtshof mit Erkenntnissen vom 12. Februar 2009 bzw 6. April 2009 fest, dass ihnen Asyl gewährt wird und damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

1.4 In Österreich befinden sich daher die Mutter, der Vater und die Geschwister des BF. Dem Vater des BF wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.08.2020 rechtskräftig Asyl aberkannt aufgrund Änderung der maßgeblichen Umstände im Herkunftsstaat und eine „Aufenthaltsberechtigung“ erteilt.

1.5 Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 10. Mai 2021 wurde dem BF der ihm mit Erkenntnis vom 14.01.2010 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Absatz 1 Ziffer 2 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, aberkannt. Gemäß § 7 Absatz 4 AsylG wurde festgestellt, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) wurde dem BF nicht zuerkannt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Unter Spruchpunkt VII. wurde gegen den BF ein befristetes Einreiseverbot auf die Dauer von zehn Jahren erlassen.

1.6 Der BF ist ledig, hat allerdings mit XXXX vier minderjährige Kinder, einen Sohn und drei Töchter. Der BF führte mit der Kindesmutter eine „On/ Off“ Beziehung, wobei diese – unter anderem auf Grund der Drogenprobleme des BF - nie durchgehend gemeinsam gewohnt haben und einen gemeinsamen Haushalt hatten. Zuletzt haben sie sich im Juni oder August 2020 getrennt. Der BF zahlt für seine Kinder jeweils 30 Euro an Alimenten. Die gemeinsamen Kinder leben bei der Kindesmutter. Der BF hat Kontakt zu seinen Kindern.

1.7 Der BF ist gesund und leidet an keinen lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Krankheiten. Der BF leidet seit 2018 an einem Bandscheibenvorfall und nimmt dafür Medikamente ein. Er ist zudem an Drogen gewöhnt.

1.8 Der BF spricht und versteht Deutsch. Zusätzlich spricht und versteht er Russisch und Tschetschenisch. Er besuchte die Grundschule in XXXX , Tschetschenien. In Österreich war der BF seit 2010 bis 2017 nur gelegentlich, kurzfristig und unregelmäßig als Arbeiter bzw Angestellter erwerbstätig, insgesamt für einen Zeitraum von etwa einem Jahr und vier Monaten. Abgesehen von diesem kurzen Zeitraum bezog der BF Sozialleistungen, wie auch zum Entscheidungszeitpunkt. Er ist in keinen Vereinen Mitglied. Der BF, ein junger Mann im Alter von XXXX Jahren, ist erkennbar in der Lage, eine Erwerbstätigkeit - zumindest Hilfstätigkeiten – auszuüben und ist auch arbeitswillig.

1.9 Aufgrund von strafrechtlichen Verurteilungen verbrachte der BF ein Jahr im Gefängnis. Der BF wurde zweimal in Österreich rechtskräftig strafrechtlich verurteilt und zwar:

1.)      am XXXX vom Landesgericht XXXX , XXXX wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls gemäß §§ 15, 127 StGB, des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG sowie des Verbrechens des Suchtgifthandels gemäß § 28a Abs. 1 4. und 5. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon 10 Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren, weil der BF vorschriftswidrig Heroin in einer die Grenzmenge (§28b SMG) übersteigenden Menge im Frühjahr 2015 an andere überließ, indem er ab September/ Oktober 2014 ua bei Beschaffungsfahrten in XXXX und XXXX Heroin zum Verkauf erwarb und nach XXXX transportierte, sowie vorschriftswidrig zwischen Herbst 2014 und Herbst 2015 Cannabiskraut, Heroin und Substitol (Morphin) und Cordidol (Dihydrocodein) zum persönlichen Gebrauch erwarb und besaß sowie im Mai 2015 in XXXX fünf Lippenstifte im Gesamtwert von ca EUR 162 der XXXX mit dem Vorsatz wegnahm, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei die Tat beim Versuch blieb. Bei den Strafbemessungsgründe wertete das Gericht das Geständnis des BF und seine Unbescholtenheit als mildernd und das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen als erschwerend. Am 16.05.2019 wurde der bedingte Teil der Freiheitsstrafe endgültig nachgesehen; und

2.)      am XXXX vom XXXX , XXXX wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 27 Abs.1 Z 1 1. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG und des Verbrechens des Suchtgifthandels gemäß §§ 28a Abs. 1 5. Fall, 28a Abs. 3 1. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten (unbedingt), weil der BF vorschriftswidrig Heroin in einer die Grenzmenge (§28b SMG) übersteigenden Menge im Zeitraum von März 2020 bis Oktober 2020 an einen anderen überließ, wobei der BF selbst an Heroin gewöhnt war und die Taten vorwiegend zur Beschaffung von Heroin bzw Geld zu dessen Erwerb beging und vorschriftswidrig Heroin im Zeitraum von Februar 2020 bis November 2020 erwarb und besaß, wobei er die Straftaten ausschließlich zum persönlichen Gebrauch beging. Bei den Strafbemessungsgründe wertete das Gericht das Geständnis des BF als mildernd und die einschlägigen Vorstrafen sowie das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen als erschwerend.

1.10 Nicht festgestellt werden kann, dass der BF in Tschetschenien bzw der Russischen Föderation zum Entscheidungszeitpunkt weiterhin aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Die objektive Lage im Herkunftsstaat hat sich seit der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten maßgeblich verbessert.

1.11 Dem BF droht in der Russischen Föderation keine Doppelbestrafung und auch außerhalb der Strafverfolgung keine Verfolgung auf Grund des der Verurteilung in Österreich zugrundliegenden Verhaltens. Dem BF droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation keine Folter oder unmenschliche Behandlung , ihm droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation auch keine Verfolgung wegen der Asylantragstellung oder wegen des langjährigen Aufenthaltes außerhalb der Russischen Föderation.

Es ist dem BF jedenfalls möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation, entweder in Tschetschenien selbst oder auch in anderen Landesteilen niederzulassen und anzumelden sowie durch eigene Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Viele russische Städte verfügen über eine große tschetschenische Diaspora und bieten die stärkeren Metropolen und Regionen Russlands bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch Chancen für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken. Der BF hat auch Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung. Der BF kann seiner Verpflichtung, Alimente zu zahlen, auch aus dem Ausland, nachkommen, durch Überweisung der entsprechenden Summe.

1.12 Zudem sind Verwandte des BF im Heimatland aufhältig und kann der BF den Kontakt zu diesen Personen (notfalls über seine in Österreich lebenden Eltern) wiederherstellen.

1.13 Zur Lage in der Russischen Föderation/Tschetschenien:

Politische Lage

Letzte Änderung: 04.09.2020

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 7.2020c; vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2020a; vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 7.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden. Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren. Der Volksentscheid über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem er aufgrund der Corona Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der so genannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 7.2020a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 7.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (2.3.2020c): Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 10.3.2020

?        CIA – Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.3.2020

?        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 10.3.2020

?        FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 10.3.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 17.7.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 17.7.2020

?        Global Security (21.9.2016): Duma Election - 18 September 2016, https://www.globalsecurity.org/military/world/russia/politics-2016.htm, Zugriff 10.3.2020

?        Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 10.3.2020

?        MDR 16.7.2020): Mehr als 140 Demonstranten in Moskau festgenommen, https://www.mdr.de/nachrichten/politik/ausland/festnahme-moskau-putin-kritiker-bei-protest-100.html, Zugriff 21.7.2020

?        ORF – Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/, Zugriff 10.3.2020

?        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 10.3.2020

?        Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 10.3.2020

?        RIA Nowosti (23.9.2016): ??? ???????? ?????????? ??????? ? ???????, https://ria.ru/20160923/1477668197.html, Zugriff 10.3.2020

?        Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020

?        Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 10.3.2020

?        Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 10.3.2020

Tschetschenien

Letzte Änderung: 09.04.2020

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

?        FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 5.3.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html, Zugriff 3.3.2020

?        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (29.6.2019): Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlich-zerrissen-ld.1492435, Zugriff 11.3.2020

?        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 10.3.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 09.04.2020

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (19.3.2020a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 19.3.2020

?        BMeiA (19.3.2020): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 19.3.2020

?        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 19.3.2020

?        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.3.2020): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 19.3.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020d): Russland, Alltag, https://www

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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