Index
L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art116 Abs2Leitsatz
Zurückweisung des Individualantrags einer Gemeinde auf Aufhebung von Bestimmungen des Nö StandortabgabeG 1992 hinsichtlich der Ermächtigung der Gemeinde zur Erhebung einer Standortabgabe für Mülldeponien nur unter bestimmten Voraussetzungen mangels Eingriffs in die Rechtssphäre der Gemeinde; kein Rechtsanspruch auf eine bestimmte Regelung der den Gemeinden zur Ausschreibung überlassenen Abgaben durch den zuständigen GesetzgeberSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. §2 des Niederösterreichischen Standortabgabegesetzes 1992, LGBl. 8241-0, (NÖ Standortabgabegesetz 1992) ermächtigt gemäß §8 Abs5 F-VG 1948 die Gemeinden, eine Standortabgabe für das Verwenden von Grund in der Gemeinde für das Betreiben einer Deponie zu erheben. Wird der Standort einer Deponie durch eine Verordnung der Landesregierung (§17 Niederösterreichisches Abfallwirtschaftsgesetz 1992, LGBl. 8240, im folgenden: NÖ AWG 1992) bestimmt, besteht diese Ermächtigung nach §2 Abs2 und 3 NÖ Standortabgabegesetz 1992 allerdings nur dann, wenn
"1. das Verfahren zur Erlassung der Verordnung über Vorschlag der Standortgemeinde eingeleitet worden ist (§17 Abs1 zweiter Satz, NÖ AWG 1992, LGBl. 8240), oder
2. die Standortgemeinde der Verordnung zugestimmt hat (§17 Abs2 und 5, NÖ AWG 1992, LGBl. 8240)"
sowie in die Deponie auch Abfälle eingebracht werden, die nicht im Gebiet der Standortgemeinde anfallen.
§8 Abs3 NÖ Standortabgabegesetz 1992 legt fest, daß "§2 Abs2 ... sinngemäß für Standorte (gilt), die durch eine Verordnung der Landesregierung gemäß §22 NÖ AWG, LGBl. 8240, bestimmt wurden".
2. Mit ihrem auf Art140 B-VG gestützten Antrag begehrt die antragstellende Gemeinde, §2 Abs2 und §8 Abs3 NÖ Standortabgabegesetz 1992, in eventu eine der beiden genannten Bestimmungen, wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben.
Zur Antragslegitimation bringt die antragstellende Gemeinde vor:
Die im Gemeindegebiet befindliche Restmülldeponie sei nicht nach den Bestimmungen des NÖ AWG 1992 verordnet worden, sondern nach dem zuvor in Kraft gestandenen NÖ AWG. Die antragstellende Gemeinde habe die Erlassung einer solchen Verordnung weder beantragt noch derselben zugestimmt. Eine solche Zustimmung bzw. Antragsmöglichkeit sei auch gesetzlich nicht vorgesehen gewesen. Die in der Gemeinde Seebenstein gelegene Restmülldeponie Seebenstein sei die einzige Deponie im gesamten Bundesland Niederösterreich, auf welche die "(einschränkenden) Voraussetzungen des §2 Abs2 NÖ Standortabgabegesetz 1992 zutreffen".
Die antragstellende Gemeinde werde durch die angefochtenen Bestimmungen unmittelbar in ihren Rechten verletzt; diese Bestimmungen würden für sie ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam. Ein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr dieses Eingriffes stehe der antragstellenden Gemeinde nicht zur Verfügung.
3. Die Niederösterreichische Landesregierung beantragt in ihrer Äußerung, den Antrag mangels Legitimation der antragstellenden Gemeinde zurückzuweisen, in eventu dem Antrag keine Folge zu geben.
Der antragstellenden Gemeinde sei zuzustimmen, daß die Gewährung des "freien Beschlußrechtes" nach §8 Abs5 F-VG 1948 bzw. dessen Beschränkung durch die angefochtenen Bestimmungen in das Recht der Gemeinde nach Art116 Abs2 B-VG, Abgaben auszuschreiben, eingreife. Sie werde allerdings durch §2 Abs2 NÖ Standortabgabegesetz 1992 keinesfalls in ihrer Rechtssphäre aktuell berührt, sondern allenfalls durch §8 Abs3 NÖ Standortabgabegesetz 1992. Der antragstellenden Gemeinde mangle es aber auch an der Legitimation zur Anfechtung des §8 Abs3 NÖ Standortabgabegesetz 1992, da ein anderer zumutbarer Weg des Rechtsschutzes zur Verfügung stehe:
Die antragstellende Gemeinde könne eine Verordnung über die Erhebung einer Standortabgabe erlassen. Gemäß Art119 a Abs6 B-VG und §88 Abs1 Niederösterreichische Gemeindeordnung 1973 sei die Gemeinde verpflichtet, im eigenen Wirkungsbereich erlassene Verordnungen der Landesregierung als Aufsichtsbehörde mitzuteilen. Die Landesregierung habe gesetzwidrige Verordnungen nach Anhörung der Gemeinde durch Verordnung aufzuheben. Diese Verordnung der Niederösterreichischen Landesregierung könne gemäß Art139 Abs1 B-VG beim Verfassungsgerichtshof angefochten werden und dann die nunmehr behauptete Verfassungswidrigkeit des NÖ Standortabgabegesetzes 1992 releviert werden.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit des Antrages erwogen:
1. Gemäß Art140 Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, daß das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Hiebei ist vom Antragsvorbringen auszugehen (vgl. VfSlg. 12097/1989).
2.a. Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß ein Eingriff in das - in diesem Zusammenhang allein in Frage kommende (s. zur Rechtssphäre der Gemeinde als Gebietskörperschaft VfSlg. 11873/1988; vgl. auch VfSlg. 8394/1978) - Recht auf Selbstverwaltung einer Gemeinde nur vorliegt, wenn eine nach Inhalt der Gesetze oder Verordnungen des Bundes oder Landes zu besorgende Angelegenheit der Gemeinde als Selbstverwaltungskörper - entgegen der Bundesverfassung - vorenthalten oder entzogen und einer staatlichen Behörde oder der Gemeinde im übertragenen Wirkungsbereich zur Besorgung zugewiesen oder von einer solchen Behörde tatsächlich besorgt wird (s. VfSlg. 11873/1988, 12097/1989). Wird einer Gemeinde durch Gesetz oder Verordnung aufgetragen, eine bestimmte Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches auf bestimmte Weise im eigenen Wirkungsbereich hoheitlich zu besorgen, so liegt darin kein Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht (VfGH 15.12.1994, G245/93).
b. Das F-VG 1948 überträgt in seinem §3 die Verteilung der Besteuerungsrechte und Abgabenerträge zwischen dem Bund und den Ländern (Gemeinden) in die Kompetenz der Bundesgesetzgebung. Die Qualifikation von Abgaben iS des in §6 leg. cit. vorgegebenen Gliederungsschemas - wie etwa als ausschließliche Gemeindeabgabe (§6 Abs1 Z5 leg.cit.) - und deren Regelung ist gemäß den Bestimmungen der §§7 und 8 F-VG 1948 Sache der Bundes- und der Landesgesetzgebung.
§7 Abs5 F-VG 1948 und §8 Abs5 F-VG 1948 zufolge kann der Bundes- bzw. Landesgesetzgeber Gemeinden - entweder alle oder Gruppen von Gemeinden oder einzelne Gemeinden (VfSlg. 5028/1965) - ermächtigen, bestimmte Abgaben auf Grund eines Beschlusses der Gemeindevertretung auszuschreiben bzw. zu erheben.
Ein auf einer solchen Ermächtigung beruhendes freies Beschlußrecht der Gemeinden fällt in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gemäß Art118 Abs2 B-VG iVm. Art116 Abs2 B-VG, der ua. das Recht umfaßt, (nur) im Rahmen der Finanzverfassung Abgaben auszuschreiben (VfGH 15.12.1994, G245/93).
Die Gemeinden als abgabeberechtigte Gebietskörperschaften haben allerdings, wie der Verfassungsgerichtshof mehrfach (vgl. VfSlg. 8394/1978, S. 157; VfGH 15.12.1994, G245/93) betonte, keinen Rechtsanspruch darauf, daß eine ihnen zur Ausschreibung überlassene Steuer von dem für deren Regelung zuständigen Gesetzgeber auf eine bestimmte Weise geregelt wird. Insbesondere können die Gemeinden - es sei denn als Abgabepflichtige - durch gesetzliche Steuerbefreiungen und durch die Regelung von Steuertatbeständen nicht in ihrer Rechtssphäre berührt sein.
c. Nach den Bestimmungen des NÖ Standortabgabegesetzes 1992 ist die Standortabgabe als eine ausschließliche Gemeindeabgabe zu qualifizieren. Dadurch, daß der Landesgesetzgeber die Ermächtigung zur Erhebung einer Standortabgabe gemäß §2 Abs2 leg. cit. (§8 Abs3 leg. cit.) nur unter bestimmten Voraussetzungen gewährt, wird die Rechtssphäre von Gemeinden noch nicht berührt.
Die Gemeinden als abgabeberechtigte Gebietskörperschaften haben sohin keinen Rechtsanspruch darauf, daß die Standortabgabe von dem für ihre Regelung zuständigen Gesetzgeber auf eine bestimmte Weise (vgl. hiezu VfGH 15.12.1994, G245/93) oder für alle Gemeinden in gleicher Weise geregelt wird. Auch wenn eine solche Regelung entgegen §8 Abs3 F-VG 1948 getroffen wird, kann dadurch die Rechtssphäre der Gemeinden als abgabenberechtigte Gebietskörperschaften nicht verletzt sein.
3. Der Antrag der Gemeinde Seebenstein war sohin schon deswegen zurückzuweisen, weil die angefochtenen Gesetzesbestimmungen nicht in deren Rechtssphäre eingreifen, ohne daß auf die von der Niederösterreichischen Landesregierung aufgeworfene Frage einzugehen war, ob der Gemeinde ein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung steht, die behauptete Verfassungswidrigkeit des NÖ Standortabgabegesetzes 1992 an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.
Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG vom Verfassungsgerichtshof ohne vorangegangene Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Finanzverfassung, Abgaben Gemeinde-, Gemeinderecht, Selbstverwaltungsrecht, Wirkungsbereich eigener, VfGH / Individualantrag, Abfallwirtschaft, Mülldeponie, Abgaben Mülldeponie, StandortabgabeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:G44.1993Dokumentnummer
JFT_10049693_93G00044_00