TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/30 W164 2180211-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.06.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

30.06.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28

Spruch


W164 2180211-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 20.11.2017, Zl. 1093986607/151726207, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I.       Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte I., II., und III. des angefochtenen Bescheides richtet, als unbegründet abgewiesen.

II.      Soweit sich die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides richtet, wird ihr Folge gegeben und es wird in Abänderung des angefochtenen Bescheides festgestellt:

II.1.   Gemäß § 9 Abs 2 und 3 BFA-VG ist eine Rückkehrentscheidung gegen XXXX auf Dauer unzulässig.

II.2.    XXXX wird gemäß §55 Abs 1 und Abs 2 iVm §58 Abs 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

III.    Die Spruchpunkte V. und VI. des angefochtenen Bescheides werden aufgrund ihrer Gegenstandslosigkeit ersatzlos behoben.

B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 08.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. und wurde am selben Tag von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes befragt. Am 11.10.2017 wurde der BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl befragt. Der BF machte zusammenfassend die folgenden Angaben: Er sei im Jahr 1987 im Iran, in einem Dorf nahe der Stadt XXXX geboren und sei afghanischer Staatsbürger. Seine Eltern hätten Afghanistan schon vor der Geburt des BF verlassen. Der Vater sei mittlerweile im Alter von etwa 78 Jahren gestorben. Der BF habe im Iran sieben Jahre die Schule besucht. Er habe die Schule beenden müssen, da er keine Bewilligung des Bildungsministeriums zum Besuch des nächsten Schuljahres mehr erhalten habe. Der BF habe dann in diversen Dörfern auf Baustellen und als Fliesenleger gearbeitet und habe ansonsten bei seiner Familie gelebt. Sein ältester Bruder habe geheiratet und danach getrennt von der Familie gelebt. Die kinderreiche Familie habe der Vater, der nächst ältere Bruder und der BF erhalten, bzw. mit der Zeit nur mehr der nächst ältere Bruder und der BF. In Afghanistan habe der BF niemals eine Wohnadresse gehabt. Er habe sich lediglich im Jahr 2004 gemeinsam mit seinem nächst älteren Bruder für zwei Monate in Kabul aufgehalten, um eine Tazkira und einen Reisepass zu beantragen und deren Ausstellung abzuwarten. Der Pass habe dann ein auf nur drei Monate befristetes Visum gehabt. Im Jahr 2005 sei der BF von der Polizei aufgegriffen und nach Herat abgeschoben worden. Seine Aufenthaltsberechtigungskarte sei damals vernichtet worden. Der BF habe sich dann einen gefälschten Reisepass besorgt und sei wieder in den Iran gereist. Dieser Pass habe wieder ein nur dreimonatiges Visum gehabt. Der BF sei 2005 also noch einmal nach Afghanistan gefahren und habe sich um eine „Visumsverlängerung“ gekümmert. Der BF habe so Schwierigkeiten mit den iranischen Behörden vermeiden wollen. Schlussendlich habe er ohne Pass heimlich im Iran gelebt und gearbeitet. In Afghanistan habe der BF nicht bleiben können, weil dort Krieg war. Der BF habe in Afghanistan niemanden und kenne das Land nicht. Ferner sei er Hazara und Shiit. Im Iran habe er ständig Angst gehabt, nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Die Polizei würde Afghanen ohne Aufenthaltsberechtigung auch zwangsweise nach Syrien schicken. 2015 sei der BF sei gemeinsam mit seinem ältesten Bruder XXXX , sowie mit dessen Frau und seinen zwei Kindern, nach Österreich gereist.

3. Mit Bescheid des BFA vom 20.11.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Schließlich wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, aus den Vorbringen des BF lasse sich keine individuelle Verfolgungsgefährdung ableiten. Prüfungsrelevant sei nur der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitze. Der BF sei drei Mal in Afghanistan aufhältig gewesen und habe bei seiner Einreise immer eine offizielle Grenze passiert. Aus seinen Aussagen sei abzuleiten, dass er in Afghanistan keiner staatlichen Verfolgung ausgesetzt wäre. Eine etwaige Verfolgung seiner Familie habe der BF nicht behauptet. Eine Rückkehr nach Kabul wäre dem BF zumutbar. Dieser habe Berufserfahrung, sei arbeitsfähig und gesund. Seine im Iran aufhältige Familie könnte ihn finanziell unterstützen. Ein schützenswertes Familien- oder Privatleben iSd Art. 8 EMRK in Österreich liege nicht vor.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften. Begründend wurde ausgeführt, die Sicherheitslage sei in ganz Afghanistan überaus prekär und angespannt. Für den BF bestehe im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan das reale Risiko einer Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK, was den Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtfertigen würde. Auch falle der BF, da er sich im wehrfähigen Alter befinde und schiitischer Hazara sei unter Risikoprofile der UNHCR-Richtlinie zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender zu subsummieren. Aufgrund der bescheinigten fortgeschrittenen Integration des BF hätte die Behörde jedenfalls eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklären und dem BF eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zusprechen müssen.

5. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 19.05.2021 eine mündliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein seiner Rechtsvertretung und einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi teilnahm. Das ebenfalls geladene BFA nahm an der Verhandlung nicht teil. Das BFA erhielt das Verhandlungsprotokoll samt den vom BF anlässlich der Verhandlung vorgelegten Integrationsnachweisen im Wege des schriftlichen Parteiengehörs zur Kenntnis.

Der BF gab im Wesentlichen ergänzend an, er sei der dritte in der Geschwisterkette von sieben Kindern gewesen. Er habe zwei ältere Brüder, drei jüngere Schwestern und einen jüngeren Bruder. Neben seinen sechs Geschwistern habe der BF noch fünf Halbgeschwister, die ebenfalls im Iran, aber weit entfernt leben würden. Der BF habe nur spärliche Erinnerungen an deren vereinzelte Besuche. Ihr aktueller Aufenthalt sei ihm nicht bekannt. Der BF habe im Iran bereits als Jugendlicher seinem Vater als Hirte geholfen, später ab seinem 17 Lebensjahr als Bauarbeiter und Fliesenleger (als Gehilfe) gearbeitet und habe, wenn er nicht auf der Baustelle war, bei seiner Familie gelebt. Eine Lehre als Fliesenleger habe der BF mangels einer entsprechenden Berechtigungskarte im Iran nicht abschließen können. Er habe im Iran auch nicht legal arbeiten können. Der BF habe zuletzt mit seinem Einkommen im Wesentlichen den Lebensunterhalt der Familie bestritten – der Vater sei bereits alt gewesen und sei 2016 verstorben. Aktuell würden mehrere Geschwister arbeiten. Sie würden Getreide verpacken. Dies sei keine ständige Arbeit. Die finanzielle Situation der Familie sei derzeit nicht mehr gut.

Im Laufe des Verfahrens wurden folgende Unterlagen vorgelegt:

?        Teilnahmebestätigung des XXXX – „Deutschkurs für Asylwerber A1“ – Teil 1+2 (75+75 UE) vom 06.09.2016 und 13.12.2016

?        ÖSD-Zertifikat A1 „gut bestanden“ vom 02.01.2017

?        Teilnahmebestätigung des XXXX – „Deutschkurs für Asylwerber A2“ – Teil 1 (75 UE) vom 28.02.2017

?        ÖSD-Zertifikat A2 „gut bestanden“ vom 17.05.2017

?        Teilnahmebestätigung des XXXX – „Deutschkurs für Asylwerber B1“ – Teil (75 UE) vom 20.09.2017

?        Unterstützungserklärung der Stadträtin für Soziales und Integration von XXXX vom 08.10.2017

?        Unterstützungserklärung eines Ehepaares aus XXXX vom 10.10.2017

?        Unterstützungserklärung einer Flüchtlingsbetreuerin der XXXX vom 09.10.2017

?        Bestätigung der ehrenamtlichen Tätigkeit als XXXX 2016-2018

?        Bestätigung des Stadtamtes XXXX über ehrenamtliche Tätigkeit beim XXXX im Ausmaß von 303 Stunden vom 09.10.2017

?        Zeugnis zur Integrationsprüfung Sprachniveau B1 vom 21.10.2020 des Österreichischen Integrationsfonds

?        Tazkira samt Übersetzung

?        Arbeitszeugnis über eine aufgrund einer befristeten Bewilligung ausgeübte Beschäftigung als Hausmeister / Abwäscher bei XXXX GmbH (02.12.2019-20.05.2020) mit lobenden Bemerkungen der Dienstgeberseite

?        Bestätigung des Stadtamts XXXX über seine Tätigkeiten im Rahmen des BBG im Bereich XXXX im Ausmaß von 529 Stunden vom 18.05.2021

?        Antrag auf Beschäftigungsbewilligung vom 17.05.2021;

Der BF brachte dazu vor, dass er bereits eine Einstellungszusage habe, für den Fall, dass er die entsprechenden fremdenrechtlichen Bewilligungen vorlegen könne.

Der BF sei ferner – gemeinsam mit seinem Bruder und dessen Familie in der Pfarre XXXX ehrenamtlich engagiert. Er habe auf diesem Weg Freunde und Förderer gefunden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:

Der strafrechtlich unbescholtene Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger, führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er wurde im Iran geboren, wuchs mit seinen Eltern und seinen sechs Geschwistern in einem Dorf nahe der Stadt XXXX auf und besuchte insgesamt sieben Jahre die Schule. Bereits als Jugendlicher hat er seinem Vater als Hirte in der Landwirtschaft geholfen. Nach Beendigung der Schule hat der BF als Bauarbeiter und Gehilfe eines Fliesenlegers gearbeitet. Nachdem der ältere Bruder eine Familie gegründet hatte, und der Vater alt wurde, hat der BF zeitweise gemeinsam mit seinem nächst älteren Bruder, zeitweise auch allein den Lebensunterhalt seiner Familie bestritten. Sein Vater ist mittlerweile verstorben. Seine Mutter lebt weiterhin mit dem nächst älteren Bruder und den jüngeren Geschwistern im Iran. Aus der ersten Ehe des Vaters hat der BF Halbgeschwister, die er jedoch nur flüchtig kennt.

In Österreich hat der BF zunächst die Deutsch-A1 und A2-Prüfung nach GER abgelegt. Die Folgen des Lock-downs nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat der BF dazu genutzt, sich intensiv auf die Integrationsprüfung, Sprachniveau Deutsch B1 nach GER, vorzubereiten und hat diese – schwierige - Prüfung im Jahr 2020 erfolgreich bestanden. In seiner Wohngemeinde und in der Pfarre hat sich der BF laufend ehrenamtlich engagiert und hat sich auf diesem Weg einen Freundeskreis aufgebaut. Nach Erlangung einer saisonalen Bewilligung hat der BF ferner ein Arbeitsverhältnis absolviert und ein ausgezeichnetes Arbeitszeugnis erhalten. Aktuell strebt der BF aktiv nach einer weiteren Beschäftigungsmöglichkeit. Er hat bereits eine Einstellungszusage.

Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

Quellen: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 11.06.2021, EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2019:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen bis 39 Millionen Menschen (LIB, S 23).

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die Afghan National Defense Security Forces aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen um Provinzhauptstädte herum stationierte Koalitionstruppen. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (LIB, S 34).

Drei Behörden sind für die Sicherheit in Afghanistan zuständig: Das afghanische Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das Nationale Direktorat für Sicherheit (NDS). Die dem Innenministerium unterstellte Afghanische Nationalpolizei (ANP) trägt die Hauptverantwortung für die innere Ordnung und für die Afghan Local Police (ALP), eine gemeindebasierte Selbstverteidigungstruppe, die rechtlich nicht in der Lage ist, Verhaftungen vorzunehmen oder Verbrechen unabhängig zu untersuchen. Im Juni 2020 kündigte Präsident Ghani Pläne an, die afghanische Lokalpolizei in andere Zweige der Sicherheitskräfte einzugliedern, vorausgesetzt, die Personen können eine Bilanz vorweisen, die frei von Vorwürfen der Korruption und Menschenrechtsverletzungen ist. Ende 2020 war die Umsetzung dieser Pläne im Gange. Die Major Crimes Task Force, die ebenfalls dem Innenministerium unterstellt ist, untersucht schwere Straftaten, darunter Korruption der Regierung, Menschenhandel und kriminelle Organisationen. Die Afghanische Nationalarmee (ANA), die dem Verteidigungsministerium untersteht, ist für die äußere Sicherheit zuständig, ihre Hauptaufgabe ist jedoch die Aufstandsbekämpfung im Inneren. Das NDS fungiert als Nachrichtendienst und ist für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, die die nationale Sicherheit betreffen (USDOS 30.3.2021). Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanischen bzw. Koalitionskräften unterstützt (USDOD 1.7.2020). (LIB S 266)

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB S 239).

Die Ergebnisse des AIHRC zeigen, dass Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger das häufigste Ziel von gezielten Angriffe waren. Im Jahr 2020 verursachten gezielte Angriffe 2.250 zivile Opfer, darunter 1.078 Tote und 1.172 Verletzte. Diese Zahl macht 26% aller zivilen Todesopfer im Jahr 2020 aus (LIB S 37)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17), landesweit betrug die Zahl 88. Angriffe auf hochrangige Ziele setzen sich im Jahr 2021 fort.

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich fort. Der Großteil der Anschläge richtet sich gegen die ANDSF und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in der Provinz Nangarhar zu einer sogenannten ’green-on-blue-attack’: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens sechs Personen getötet und mehr als zehn verwundet. Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt.

Seit Februar haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen um Provinzhauptstädte – wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden (USDOD 1.7.2020). Die Taliban setzten außerdem bei Selbstmordanschlägen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh an Fahrzeugen befestigte improvisierte Sprengkörper (SVBIEDs) ein.

Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden (LIB S 27f).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt. Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt, was den afghanischen Friedensprozess gefährden könnte (LIB S 34f).

UNHCR: Afghanistan ist weiterhin von einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt betroffen, bei dem die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF), unterstützt von den internationalen Streitkräften, mehreren regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) gegenüberstehen.

Dem UN-Generalsekretär zufolge steht Afghanistan weiterhin vor immensen sicherheitsbezogenen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Sicherheitslage soll sich insgesamt weiter verschlechtert und zu einer sogenannten „erodierenden Pattsituation“ geführt haben. Berichten zufolge haben sich die ANDSF grundsätzlich als fähig erwiesen, die Provinzhauptstädte und die wichtigsten städtischen Zentren zu verteidigen, im ländlichen Raum hingegen mussten sie beträchtliche Gebiete den Taliban überlassen.

Von dem Konflikt sind weiterhin alle Landesteile betroffen. Seit dem Beschluss der Regierung, Bevölkerungszentren und strategische ländliche Gebiete zu verteidigen, haben sich die Kämpfe zwischen regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) und der afghanischen Regierung intensiviert. Es wird berichtet, dass regierungsfeindliche Kräfte immer öfter bewusst auf Zivilisten gerichtete Anschläge durchführen, vor allem durch Selbstmordanschläge mit improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und komplexe Angriffe. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) setzen ihre groß angelegten Angriffe in Kabul und anderen Städten fort und festigen ihre Kontrolle über ländliche Gebiete. Es wurden Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit und Effektivität der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) geäußert, die Sicherheit und Stabilität in ganz Afghanistan zu gewährleisten.

Trotz der ausdrücklichen Verpflichtung der afghanischen Regierung, ihre nationalen und internationalen Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, ist der durch sie geleistete Schutz der Menschenrechte weiterhin inkonsistent. Große Teile der Bevölkerung einschließlich Frauen, Kindern, ethnischer Minderheiten, Häftlingen und anderer Gruppen sind Berichten zufolge weiterhin zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch unterschiedliche Akteure ausgesetzt.

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden laut Berichten in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betreffenden Gebiete tatsächlich kontrolliert. In von der Regierung kontrollierten Gebieten kommt es Berichten zufolge regelmäßig zu Menschenrechtsverletzungen durch den Staat und seine Vertreter. In Gebieten, die (teilweise) von regierungsnahen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, begehen diese Berichten zufolge straflos Menschenrechtsverletzungen. Ähnlich sind in von regierungsfeindlichen Gruppen kontrollierten Gebieten Menschenrechtsverletzungen, darunter durch die Etablierung paralleler Justizstrukturen, weit verbreitet. Zusätzlich begehen sowohl staatliche wie auch nicht-staatliche Akteure Berichten zufolge außerhalb der von ihnen jeweils kontrollierten Gebiete Menschenrechtsverletzungen. Aus Berichten geht hervor, dass besonders schwere Menschenrechtsverletzungen insbesondere in umkämpften Gebieten weit verbreitet sind.

Sogar dort, wo der rechtliche Rahmen den Schutz der Menschenrechte vorsieht, bleibt die Umsetzung der nach nationalem und internationalem Recht bestehenden Verpflichtung Afghanistans diese Rechte zu fördern und zu schützen, in der Praxis oftmals eine Herausforderung. Die Regierungsführung Afghanistans und die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit werden als besonders schwach wahrgenommen.

Beobachter berichten von einem hohen Maß an Korruption, von Herausforderungen für effektive Regierungsgewalt und einem Klima der Straflosigkeit als Faktoren, die die Rechtsstaatlichkeit schwächen und die Fähigkeit des Staates untergraben, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten. Berichten zufolge werden in Fällen von Menschenrechtsverletzungen die Täter selten zur Rechenschaft gezogen und für die Verbesserung der Übergangsjustiz besteht wenig oder keine politische Unterstützung.

Gemäß der Verfassung darf niemand ohne ordentliches Gerichtsverfahren festgenommen oder inhaftiert werden. Die Verfassung enthält außerdem ein absolutes Verbot des Einsatzes von Folter. Der Einsatz von Folter stellt nach dem Strafgesetzbuch eine Straftat dar, während die harte Bestrafung von Kindern durch das Jugendgesetz untersagt ist. Darüber hinausverabschiedete das Oberhaus der Nationalversammlung im Januar 2018 den konsolidierten Wortlaut eines neuen Anti-Folter-Gesetzes.

Trotz dieser Rechtsgarantien bestehen Bedenken hinsichtlich des Einsatzes von Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gegenüber Häftlingen, insbesondere von im Zusammenhang mit dem Konflikt verhafteten Personen, denen Unterstützung von regierungsfeindlichen Kräften zur Last gelegt wird und die in Gefängnissen des Inlandsgeheimdienstes (NDS), der afghanischen nationalen Polizei (ANP) (einschließlich der afghanischen nationalen Grenzpolizei ANBP), der afghanischen nationalen Streitkräfte (ANA) und der afghanischen lokalen Polizei (ALP) inhaftiert sind. UNAMA berichtete 2017, dass in vom Inlandsgeheimdienst (NDS) betriebenen Gefängnissen in fünf Provinzen „systematisch oder regelmäßig und weitverbreitet“ gefoltert wird und dass „ausreichend glaubhaften und verlässlichen Berichten zufolge in 17 anderen Provinz- oder staatlichen Einrichtungen des Inlandsgeheimdienstes gefoltert wird“. UNAMA dokumentierte außerdem „systematische Folterung und Misshandlung” in Haftanstalten der afghanischen nationalen Polizei (ANP) oder der afghanischen nationalen Grenzpolizei (ANBP) in den Provinzen Kandahar und Nangarhar sowie „Berichte über Verstöße in 20 anderen Provinzen, wobei die Behandlung von Häftlingen durch die ANP in den Provinzen Farah und Herat” besondere Sorge bereitet. Unter den Inhaftierten, bei denen die Anwendung von Folter festgestellt wurde, befanden sich auch Kinder.

UNHCR ist der Auffassung, dass Personen, die einem oder mehreren der folgenden Risikoprofile entsprechen, abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles möglicherweise internationalen Schutz benötigen:
(1) Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte, verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen;

(2) Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen;

(3) Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Zusammenhang mit der Einberufung von Minderjährigen und der Zwangsrekrutierung;

(4) Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden;

(5) Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen;

(6) Personen, die vermeintlich gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) verstoßen;

(7) Frauen mit bestimmten Profilen oder Frauen, die unter bestimmten Bedingungen leben;

(8) Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen;

(9) Personen mit Behinderung, insbesondere geistiger Behinderung, und Personen, die an einer psychischen Erkrankung leiden

(10) Kinder mit bestimmten Profilen oder Kinder, die unter bestimmten Bedingungen leben;

(11) Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind;

(12) Personen mit unterschiedlichen sexueller Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten;

(13) Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen;

(14) An Blutfehden verwickelte Personen, und

(15) Geschäftsleute und andere wohlhabende Personen sowie deren Familienangehörige.

Ad 3: UNHCR ist der der Ansicht, dass für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die in Gebieten leben, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte befinden oder in denen regierungsnahe und regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) und/oder mit dem Islamischen Staat verbundene bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen, – abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles – ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer (ihnen zugeschriebenen) Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor dieser von AGEs ausgehenden Verfolgung zu bieten, bestehen kann. Auch für Männer im wehrfähigen Alter und Kinder, die sich der Zwangsrekrutierung entweder durch einen staatlichen oder einen nichtstaatlichen Akteur widersetzen, kann aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer (ihnen zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aus anderen relevanten Gründen Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz gegeben sein.

Ad 13: Die Bevölkerung Afghanistans besteht aus mehreren unterschiedlichen ethnischen Gruppen, die traditionell ein hohes Maß an Autonomie gegenüber der Zentralregierung besitzen. Infolge verschiedener historischer Bevölkerungsbewegungen in der Vergangenheit – freiwilliger und erzwungener Art – wohnen einige Angehörige ethnischer Gruppen mittlerweile außerhalb der Gebiete, in denen sie traditionell der Mehrheit angehörten. Daher können Personen, die einer der größten ethnischen Gruppe des Landes angehören, tatsächlich an ihrem Wohnort zu einer ethnischen Minderheit gehören und dementsprechend aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit mit Diskriminierung oder Misshandlungen an ihrem Wohnort konfrontiert sein. Hingegen besteht möglicherweise für ein Mitglied einer ethnischen Gruppe oder eines Clans, der bzw. die auf nationaler Ebene eine Minderheit darstellt, kein Risiko aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit in Gebieten diskriminiert zu werden, in denen diese ethnische Gruppe bzw. dieser Clan lokal die Mehrheit bildet.

Es sei auch darauf hingewiesen, dass die unterschiedlichen ethnischen Gruppen nicht notwendigerweise homogene Gemeinschaften bilden. Unter Paschtunen können beispielsweise starke Rivalitäten zwischen verschiedenen Untergruppen Spannungen und Konflikte verursachen. Es sei ferner darauf hingewiesen, dass ethnische Zugehörigkeit und Religion oftmals untrennbar miteinander verbunden sind, insbesondere in Bezug auf die ethnische Gruppe der Hazara, die vorwiegend schiitisch ist. Daher ist es nicht immer möglich, zu unterscheiden, ob Religion oder die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe als primärer Grund für Vorfälle oder Spannungen anzusehen ist. Da die politische Zugehörigkeit wiederum oftmals von der ethnischen Zugehörigkeit abhängt, können (vermeintliche) politische Überzeugungen und ethnische Zugehörigkeit untrennbar miteinander verbundene Elemente in Konflikten und Spannungen zwischen verschiedenen Gruppen sein.

Es bestehen weiterhin starke Trennlinien zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen in Afghanistan. Im „Peoples under Threat”-Index von Minority Rights Group International ist Afghanistan als fünftgefährlichstes Land der Welt für ethnische Minderheiten aufgeführt, insbesondere aufgrund der gezielten Angriffe auf Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe und Religion. Der Index weist insbesondere Hazara, Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Turkmenen und Belutschen als gefährdete ethnische Gruppe in Afghanistan aus.

Die Verfassung garantiert die „Gleichheit aller ethnischen Gruppen und Stämme“. Dennoch klagen Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen über Diskriminierung von staatlicher Seite auch in Form von ungleicher Behandlung bei der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst und beim Zugang zu medizinischer Versorgung in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Hazara, die überwiegend Schiiten sind, wurden bereits in der Vergangenheit durch die sunnitische Bevölkerungsmehrheit ausgegrenzt und diskriminiert. Seit dem Ende des Taliban- Regimes im Jahr 2001 haben sie Berichten zufolge erhebliche wirtschaftliche und politische Fortschritte gemacht, doch mehren sich seit den letzten Jahren Berichten zufolge Fälle von Schikanen, Einschüchterung, Entführung und Tötung durch die Taliban, den Islamischen Staat und andere regierungsfeindliche Kräfte.

Bei Mazar- e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, handelt es sich laut EASO um einen jener Landesteile, wo willkürliche Gewalt ein derart niedriges Ausmaß erreicht, dass für Zivilisten im Allgemeinen keine reelle Gefahr besteht, von willkürlicher Gewalt im Sinne von Art 15 (c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen zu sein.

Bezüglich Mazar-e Sharif wird über kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern, meist in der Nähe der blauen Moschee berichtet. Ziel der Anschläge sind oftmals Sicherheitskräfte, es kommt allerdings auch zu zivilen Opfern. Berichtet wird ferner von Straßen-Kriminalität, bewaffneten Raubüberfällen und Kämpfen zwischen Milizführern, lokalen Machthabern und Regierungskräften und Entführungen. Mazar-e Sharif steht unter der Kontrolle der afghanischen Regierung.

Die Stadt Mazar- e Sharif ist über den internationalen Flughafen sicher erreichbar. Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher.

In Mazar- e Sharif besteht laut EASO grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Generell besteht in Mazar- e Sharif laut EASO, trotz der im Umland herrschenden Dürre, keine Lebensmittelknappheit. In Mazar- e Sharif haben die meisten Leute laut EASO Zugang zu erschlossenen Wasserquellen sowie auch zu Sanitäreinrichtungen.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde weiters durch Abhaltung der mündlichen Verhandlung vom 19.05.2021.

Die Feststellungen zur Identität, Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit des BF, ferner zu seiner Schulbildung und Berufserfahrung beruhen auf seinen plausiblen, im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben. Sein aktueller Wohnort ergibt sich aus dem zentralen Melderegister der Republik Österreich. Die strafrechtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus dem österreichischen Strafregister.

Die Feststellungen zu den individuellen Verhältnissen des BF, v.a. hinsichtlich des Fehlens eines familiären oder sozialen Netzes in Afghanistan, beruhen auf seinen diesbezüglich glaubwürdigen Angaben, zuletzt in der mündlichen Verhandlung. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit des BF ergeben sich aus seinem eigenen Vorbringen, zuletzt in der mündlichen Verhandlung.

Betreffend die Integration des BF in Österreich wurden den Angaben des BF im gesamten Verfahren und die im Laufe des Verfahrens vorgelegten Unterlagen den Feststellungen zugrunde gelegt.

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Frage der Asylberechtigung:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256). Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann ferner nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265). Die entfernte Möglichkeit einer solchen Verfolgung reicht für die Feststellung von Asylrelevanz nicht aus (vgl. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185).

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

In seinen Erkenntnissen 2019/14/0566 vom 27.05.2020 und 2019/14/0443 vom 6.4.2020 hat der Verwaltungsgerichtshof bezogen auf gegen eine Asylgewährung erhobene Amtsrevisionen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ausgesprochen, dass ausgehend von den Länderberichten bezogen auf eine Person, die kein „high value target“ bilde, eine Auseinandersetzung mit der Frage zu erfolgen habe, ob diese Person insbesondere in Gebieten die nicht der Kontrolle der Taliban unterstehen über Jahre hinweg wegen der Weigerung, sich den Taliban anzuschließen, gesucht und gefunden werden würde. Eine derartige Annahme bedürfe einer nachvollziehbaren Begründung im Einzelfall. Der bloße Hinweis auf ein „landesweites Netz der Taliban“ überzeuge nicht.

Bezogen auf den vorliegenden Fall ergibt sich daraus:

Der BF stützt sein Asylbegehren zunächst auf seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara. Konkrete Anhaltspunkte für eine dem BF mit maßgebender Wahrscheinlichkeit drohende asylrelevante Verfolgungsgefahr aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara hat dieser allerdings nicht glaubhaft gemacht. Die bloß entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt in diesem Kontext nicht. Nach EGMR (Entscheidung vom 05.07.2016, 29094/09, A.M./Niederlande), führt weder die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara noch die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan als solche zu einem derart hohen Risiko, dass bei einer Rückkehr automatisch die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bestünde. Diese Judikatur wird auch vom Verwaltungsgerichtshof herangezogen (vgl Ra 2018/14/0428 vom28.03.2019). Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als "Verfolgung" iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie).

Soweit sich der BF darauf stützt, dass er ein junger Mann im wehrfähigen Alter sei, ist dem unter Berücksichtigung der oben zusammengefassten Quellen entgegenzuhalten, dass dem BF - er bildet kein „high value target“ im Sinne der oben dargelegten Judikatur - in solchen Gebieten Afghanistans, die nicht der Kontrolle der Taliban unterstehen, aktuell nicht gezielt gesucht werden würde. Die bloß entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt in diesem Kontext nicht. Mazar-e Sharif würde im vorliegenden Fall die Voraussetzungen einer innerstaatlichen Fluchtalternative erfüllen

Soweit sich der BF mit seinem Vorbringen auf im Iran Erlebtes stützt, gilt es festzuhalten, dass eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen sich auf jenes Land beziehen muss, dessen Staatsangehörigkeit der Asylwerber besitzt. Dies wäre im vorliegenden Fall Afghanistan.

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

Zur Frage des Anspruches auf subsidiären Schutz:

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 3 und 6 AsylG ist der Asylantrag bezüglich dieses Status abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann. Daraus und aus mehreren anderen Vorschriften (§ 2 Abs. 1 Z 13, § 10 Abs. 1 Z 2, § 27 Abs. 2 und 4 und § 57 Abs. 11 Z 3 AsylG) ergibt sich, dass dann, wenn dem Asylwerber kein subsidiärer Schutz gewährt wird, sein Asylantrag auch in dieser Beziehung förmlich abzuweisen ist.

Die Zuerkennung von subsidiärem Schutz setzt voraus, dass die Abschiebung des Betroffenen in seine Heimat entweder eine reale Gefahr einer Verletzung insbesondere von Art. 2 oder 3 EMRK bedeuten würde oder für ihn eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Herkunftsstaat des Betroffenen mit sich bringen würde. Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. VwGH vom 26.04.2017, Ra 2017/19/0016).

Für die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK setzt die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Einzelfallprüfung voraus. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, ausgeführt hat, reicht es für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan nicht aus, bloß auf die allgemeine schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu verweisen. Hinsichtlich der Sicherheitslage geht der Verwaltungsgerichtshof von einer kleinräumigen Betrachtungsweise aus, wobei er trotz der weiterhin als instabil bezeichneten Sicherheitslage eine Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere nach Mazar-e Sharif, im Hinblick auf die regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt unterschiedliche Sicherheitslage als nicht grundsätzlich ausgeschlossen betrachtet (vgl. VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0369-11).

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).

Da der BF im Iran geboren und aufgewachsen ist, kann ihm keine „Heimatprovinz“ im eigentlichen Sinne zugewiesen werden.

Zur Frage einer innerstaatlichen Schutzalternative:

Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art. 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) zur Verfügung steht (§ 8 Abs. 3 AsylG). Dies ist gemäß § 11 Abs. 1 AsylG dann der Fall, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort). Für die Frage der Zumutbarkeit (im engeren Sinn) muss daher ein geringerer Maßstab als für die Zuerkennung subsidiären Schutzes als maßgeblich angesehen werden (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 11 AsylG, K15).

Für die Prüfung einer innerstaatlichen Schutzalternative ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Schutzalternative ins Auge gefassten Gebiet Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiären Schutz rechtfertigen würden, gegeben sind. Daher scheidet das ins Auge gefasste Gebiet aus, wenn in dieser Region Verhältnisse herrschen, die Art. 3 EMRK widersprechen. Von dieser Frage ist getrennt zu beurteilen, ob dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann, bzw. dass vom ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, sich in dem betreffenden Gebiet niederzulassen.

Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, muss es dem Asylwerber möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (VwGH 05.04.2018, Ra 2018/19/0154 mit Verweis auf VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, mwN).

UNHCR ist der Auffassung, dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist.

Bei Mazar- e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, handelt es sich laut EASO um einen jener Landesteile, wo willkürliche Gewalt ein derart niedriges Ausmaß erreicht, dass für Zivilisten im Allgemeinen keine reelle Gefahr besteht, von willkürlicher Gewalt im Sinne von Art 15 (c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen zu sein.

Bezüglich Mazar-e Sharif wird über kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern, meist in der Nähe der blauen Moschee berichtet. Ziel der Anschläge sind oftmals Sicherheitskräfte, es kommt allerdings auch zu zivilen Opfern. Berichtet wird ferner von Straßen-Kriminalität, bewaffneten Raubüberfällen und Kämpfen zwischen Milizführern, lokalen Machthabern und Regierungskräften und Entführungen. Mazar-e Sharif steht unter der Kontrolle der afghanischen Regierung.

Die Stadt Mazar- e Sharif ist über den internationalen Flughafen sicher erreichbar. Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher.

In Mazar- e Sharif besteht laut EASO grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Generell besteht in Mazar- e Sharif laut EASO, trotz der im Umland herrschenden Dürre, keine Lebensmittelknappheit. In Mazar- e Sharif haben die meisten Leute laut EASO Zugang zu erschlossenen Wasserquellen sowie auch zu Sanitäreinrichtungen.

Mazar-e Sharif und die Provinz Balkh sind historisch betrachtet das wirtschaftliche und politische Zentrum der Nordregion Afghanistans. Mazar-e Sharif profitierte dabei von seiner geografischen Lage, einer vergleichsweise effektiven Verwaltung und einer relativ guten Sicherheitslage (STDOK 21.7.2020; vgl. GoIRA 2015). Mazar-e Sharif gilt als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (GoIRA 2015). Die Arbeitsmarktsituation ist auch in Mazar-e Sharif eine der größten Herausforderungen. Auf Stellenausschreibungen melden sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele Bewerber und ohne Kontakte ist es schwer, einen Arbeitsplatz zu finden. In den Distrikten ist die Anzahl der Arbeitslosen hoch. Die meisten Arbeitssuchenden begeben sich nach Mazar-e Sharif, um Arbeit zu finden (STDOK 21.7.2020) (LIB S 367f).

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt (ILO 5.2012; vgl. ACCORD 7.12.2018). Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (FAO 23.11.2018; vgl. Haider/Kumar 2018), wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hatte (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 7.2019). 45% aller Beschäftigen arbeiten im Agrarsektor, 20% sind im Dienstleistungsbereich tätig (STDOK 10.2020; vgl. CSO 2018). Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014-2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird (WB 8.2018; vgl. STDOK 10.2020). Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Das Wirtschaftswachstum konnte sich zuletzt aufgrund der besseren Witterungsbedingungen für die Landwirtschaft erholen und lag 2019 laut Weltbank-Schätzungen bei 2,9%. Für 2020 geht die Weltbank COVID-19-bedingt von einer Rezession (bis zu -8% BIP) aus (AA 16.7.2020; vgl. WB 4.2020). Eine Reihe von U.S.- Wirtschafts- und Sozialentwicklungsprogrammen haben ihre Ziele für das Jahr 2020, aufgrund COVID-19-bedingter Einschränkungen nicht erreicht (SIGAR 30.1.2021) (LIB S 356f).

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018 (USAID, 12.1.2021; vgl. UNOCHA 19.12.2020, UNOCHA 12.11.2020). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten.

Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021). Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt.

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch langanhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020). Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2020 um mehr als 5% geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021) (LIB S 17f).

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt (AA 16.7.2020; AF 2018). Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Es wird erwartet, dass 2021 bis zu 18,4 Millionen Menschen (2020: 14 Mio. Menschen) auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden (UNGASC 9.12.2020); .(LIB S 358f)).

Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibt eine zentrale Herausforderung für Afghanistan (AA 16.7.2020; vgl. STDOK 10.2020). Der Arbeitsmarkt ist durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert (STDOK 10.2020; vgl. Ahmend 2018; CSO 2018). 80% der afghanischen Arbeitskräfte befinden sich in „prekären Beschäftigungsverhältnissen“, mit hoher Arbeitsplatzunsicherheit und schlechten Arbeitsbedingungen (AAN 3.12.2020; vgl.: CSO 2018). Schätzungsweise 16% der prekär Beschäftigten sind Tagelöhner, von denen sich eine unbestimmte Zahl an belebten Straßenkreuzungen der Stadt versammelt und nach Arbeit sucht, die, wenn sie gefunden wird, ihren Familien nur ein Leben von der Hand in den Mund ermöglicht (AAN 3.12.2020). Nach Angaben der Weltbank ist die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung in den letzten Jahren zwar gesunken, bleibt aber auf hohem Niveau und dürfte wegen der COVID-19-Pandemie wieder steigen (AA 16.7.2020; cf. IOM 18.3.2021) ebenso wie die Anzahl der prekär beschäftigten (AAN 3.12.2020), auch wenn es keine offiziellen Regierungsstatistiken über die Auswirkungen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt gibt (IOM 23.9.2020). Schätzungen zufolge sind rund 67% der Bevölkerung unter 25 Jahren alt (NSIA 1.6.2020; vgl. STDOK 10.2020). Am Arbeitsmarkt müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (STDOK 4.2018). Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftig

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten