TE Bvwg Beschluss 2021/8/9 W122 2240332-1

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Veröffentlicht am 09.08.2021
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Entscheidungsdatum

09.08.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
GehG §23a
GehG §23c
VwGVG §28 Abs3 Satz2
WHG §4 Abs1 Z1

Spruch


W122 2240332-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Gregor ERNSTBRUNNER als Einzelrichter über die Beschwerde XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch RA Dr. Hermann RIEDER, in 6020 Innsbruck, Stiftgasse 23, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Tirol vom 04.02.2021, Zl. PAD/20/38000/001/AA:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3, zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Am 15.07.20219 verrichtete der KontrInsp XXXX seinen Dienst auf der Polizeiinspektion XXXX . Während seines Dienstes startete er eine Radtour mit seinem Mountainbike. Es kam dann zu einem Unfall, wobei die Lenkerin des PKW, XXXX , XXXX mit dem Fahrzeug erfasste, dieser auf die Motorhaube flog und im Anschluss auf die Gegenfahrbahn geschleudert wurde und gegen den PKW, gelenkt von XXXX katapultiert wurde. XXXX ist in Folge der Verletzungen verstorben.

Mit 27.11.2019 bzw. 11.12.2019 wurde von der Beschwerdeführerin der Antrag auf besondere Hilfeleistung gemäß §23 ff Gehaltsgesetz an die Landespolizeidirektion Tirol gestellt.

Mit Bescheid vom 04.02.2021 wurde dieser Antrag von der Landespolizeidirektion Tirol abgewiesen. Im Wesentlichen führte die Behörde dabei aus: „Da sich der Unfall jedoch während der Ausübung des Dienstsportes […] ereignete, fehlt das Kriterium, der unmittelbaren Ausübung dienstlicher Pflichten im Sinne, dass der Bedienstete den Dienstunfall in einem örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit dem der Dienstpflicht des Wachbediensteten eigenen Element des Aufsuchens der Gefahr (Einsatzort) oder des Verbleibens im Gefahrenbereich erleidet (Tatort).“

Mit 08.03.2021 langte gegen diesen Bescheid eine Beschwerde bei der Landespolizeidirektion Tirol ein. Im Wesentlichen wurde darin vorgebracht, dass eine Unterscheidung in Dienstunfälle aus gefahrengeneigten dienstlichen Tätigkeiten außerhalb und während des Dienstsports mit Artikel 7 B-VG und Artikel 18 B-VG unvereinbar sei.

Die Landespolizeidirektion Tirol legte die Beschwerde mit 11.03.2021, unter Anschluss des Aktes dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Hinterbliebene des KontrInsp XXXX . Dieser stand als Kommandant der Polizeiinspektion XXXX in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.

Der Verkehrsunfall am XXXX , durch welchen XXXX infolge von schweren Verletzungen XXXX erlegen ist, ereignete sich während seines Dienstes und wurde durch die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter als Dienstunfall anerkannt.

XXXX übte während dieses Unfallzeitpunktes, Dienstsport in Form von Individualsportstunden aus. Er ging dabei seinen dienstlichen Verpflichtungen nach.

XXXX ist die Witwe und XXXX die Tochter des verunglückten XXXX .

Die Lenkerin des PKW, XXXX die den Unfall verursacht hatte, wurde vom Bezirksgericht Zell am Ziller schuldig gesprochen.

Die Landespolizeidirektion Tirol (in Folge: belangte Behörde) hat der Witwe und der Tochter keine besondere Hilfeleistung zugesprochen, da ihres Erachtens der Dienstunfall nicht im Zuge eines Einsatzes oder des Verbleibens an einem Tatort eingetreten ist. Sämtliche – aufgrund der Qualifikation des Dienstsports als Dienstpflicht – erforderlichen Ermittlungen unterblieben dabei.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus der unbedenklichen Aktenlage und dem Bescheid der Landespolizeidirektion Tirol vom 04.02.2021, Zl. PAD/20/38000/001/AA, sowie dem Schreiben der BVA vom 16.12.2019, Aktenzeichen: 3149 020759-005, im welchem festgestellt wurde, dass der Vorfall vom 15.07.2019 als Dienstunfall anerkannt wurde.

Zum Dienstsport regelt der Erlass der belangten Behörde vom 29.12.2015, dass dieser unter den dort näher genannten Bedingungen verpflichtend ist (zB S. 10: „durchzuführen … ist …“). Die Qualifikation des Dienstsports als Dienst wurde daher auch von der belangten Behörde nicht in Frage gestellt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit – mangels derartiger gesetzlicher Bestimmungen – Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Da sich im vorliegenden Fall der hier relevante Sachverhalt der nicht erfolgten Ermittlungsschritte aus den Akten ergibt und es sich auch um keine übermäßig komplexe Rechtsfrage handelt, kann von einer mündlichen Verhandlung, abgesehen werden.

Zu A.)

Gemäß § 28 Abs. 3, zweiter Satz, Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz BGBl I 2013/33 idF BGBl I 2020/119 (im Folgenden: „VwGVG“) kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 VwGVG voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts in Bezug auf die Anspruchsbemessung durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

§ 23a GehG lautet:

„Besondere Hilfeleistungen

§ 23a. Der Bund hat als besondere Hilfeleistung die vorläufige Übernahme von Ansprüchen zu erbringen, wenn

1. eine Beamtin oder ein Beamter

a) einen Dienstunfall gemäß § 90 Abs. 1 des Beamten-Kranken-und Unfallversicherungsgesetzes – B-KUVG, BGBl. Nr. 200/1967, oder

b) einen Arbeitsunfall gemäß § 175 Abs. 1 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955,

in unmittelbarer Ausübung ihrer oder seiner dienstlichen Pflichten erleidet, und

2. dieser Dienst- oder Arbeitsunfall eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung zur Folge hatte und

3. der Beamtin oder dem Beamten dadurch Heilungskosten erwachsen oder ihre oder seine Erwerbsfähigkeit voraussichtlich durch mindestens zehn Kalendertage gemindert ist.“

§ 23c GehG lautet (auszugsweise):

„Besondere Hilfeleistung an Hinterbliebene

§ 23c. (1) Der Bund hat eine besondere Hilfeleistung auch an Hinterbliebene zu erbringen, wenn

1.eine Beamtin oder ein Beamter einen Dienst- oder Arbeitsunfall im Sinne des § 23a Z 1 erleidet und

2.dieser Dienst- oder Arbeitsunfall den Tod der Beamtin oder des Beamten zur Folge hatte.

(2) Hinterbliebene im Sinne der §§ 23a bis 23f sind die Ehegattin, der Ehegatte, die eingetragene Partnerin, der eingetragene Partner und Kinder, für die die Beamtin oder der Beamte zu sorgen hatte, wenn ihnen durch den Tod der Beamtin oder des Beamten der Unterhalt entgangen ist.

(3) […]
(4) Der Bund erbringt eine einmalige Geldleistung an die Hinterbliebenen in der Höhe des 45-fachen Referenzbetrages gemäß § 3 Abs. 4. Bevorschusste Bestattungskosten sind von der Höhe der einmaligen Geldleistung in Abzug zu bringen.

(5) Der Bund hat die besondere Hilfeleistung an Beamtinnen und Beamte oder Hinterbliebene auch zu erbringen, wenn die Beamtin oder der Beamte einen Dienst- oder Arbeitsunfall im Zuge einer Ausbildung erleidet, der sie oder er sich im Hinblick auf die Notwendigkeit unterzieht, im Rahmen seines Dienstes Gefahr aufzusuchen oder im Gefahrenbereich zu verbleiben.“

Durch die Novelle BGBl. I Nr. 87/2001 wurde in § 4 Abs. 1 Z 1 WHG der letzte Teilsatz durch die Wortfolge "in unmittelbarer Ausübung seiner exekutivdienstlichen Pflichten erleidet" ersetzt. In den Gesetzesmaterialen (ErläutRV 636 BlgNR 21. GP, 88) zu dieser Novelle wurde dazu ausgeführt:

"Nach dem derzeit geltenden § 4 Abs. 1 WHG hat ein Wachebediensteter nur dann Anspruch auf besondere Hilfeleistungen, wenn er einen Dienst- oder Arbeitsunfall erleidet, der in einem örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit dem der Dienstpflicht des Wachebediensteten eigenen Element des Aufsuchens der Gefahr und des Verbleibens im Gefahrenbereich steht. Im praktischen Vollzug haben sich aber diese Anspruchsvoraussetzungen als zu eng erwiesen (tödlicher Unfall von zwei Polizisten auf der Südosttangente bei einer Verkehrskontrolle) und sollen nun in Anbetracht des häufig unter besonders gefährlichen Umständen auszuübenden Exekutivdienstes auf Dienst- und Arbeitsunfälle erweitert werden, die sich in unmittelbarer Ausübung der exekutivdienstlichen Pflichten ereignen."

Mit der Dienstrechts-Novelle 2018 erfolgte die Eingliederung der Kernbestimmungen des Wachebediensteten-Hilfeleistungsgesetzes WHG, BGBl. Nr. 177/1992 in das Gehaltsgesetz 1956. Mit dieser Novelle wurde dieses Tatbestandselement dahin geändert, dass alle Arbeits- und Dienstunfälle erfasst wurden, die „in unmittelbarer Ausübung ihrer oder seiner dienstlichen Pflichten“ erlitten wurden, und eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung zur Folge hatten. In den dortigen Gesetzesmaterialen (ErläutRV 196 BlgNR 26. GP, 9) heißt es:

„Die Hilfeleistungen des Bundes sind von Amts wegen für alle Bundesbediensteten (Beamtinnen und Beamte sowie Vertragsbedienstete) gleichermaßen zu erbringen, weil in den vergangenen Jahren neben anderen Dienst- und Arbeitsunfällen vermehrt tätliche Übergriffe auf Bedienstete festzustellen sind, die nicht ausschließlich einer gefahrengeneigten Tätigkeit nachgehen und derartigen Angriffen schutzlos ausgesetzt sind. Dies zeigt nicht zuletzt die ansteigende Zahl an Übergriffen etwa auf Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher oder die tragische Ermordung einer Rechtspflegerin durch eine Partei. § 23a GehG enthält die Voraussetzungen, die für die Erbringung der besonderen Hilfeleistung durch den Bund vorliegen müssen.“

In seinem Erkenntnis vom 20.10.2014, 2010/12/0178 hielt der Verwaltungsgerichtshof dazu fest: „Durch die Novelle BGBl. I Nr. 87/2001 sollte - dies geht aus den soeben wiedergegebenen Gesetzesmaterialien eindeutig hervor - der Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 WHG gegenüber der Fassung vor dieser Novelle erweitert werden. Wie aus den wiedergegeben Gesetzesmaterialen ersichtlich, erfolgte die Änderung des Tatbestands insbesondere, weil sich die Einschränkung auf Arbeits- und Dienstunfälle, die in einem örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit dem der Dienstpflicht des Wachbediensteten eigenen Element des Aufsuchens der Gefahr oder des Verbleibens im Gefahrenbereich stehen, in Anbetracht des häufig unter besonders gefährlichen Umständen auszuübenden Exekutivdienst als zu eng erwies. Mit dieser Novelle wurde dieses Tatbestandselement dahin geändert, dass alle Arbeits- und Dienstunfälle erfasst wurden, die in unmittelbarer Ausübung exekutivdienstlicher Pflichten erlitten wurden, und eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung zur Folge hatten.“

Die von der belangten Behörde ins Treffen gebrachten Elemente des Aufsuchens der Gefahr und des Verbleibens im Gefahrenbereich finden – abgesehen von Fällen spezieller Ausbildungen nach § 23c Abs. 5 GehG – nunmehr keine Deckung im Gesetz.

Zur Zurückverweisung berechtigende Ermittlungslücken hat der VwGH auch dann angenommen, wenn das Verwaltungsgericht rechtliche Aspekte ins Spiel bringt, die von der Verwaltungsbehörde noch nicht berücksichtigt worden waren und bezüglich derer sie daher keine Ermittlungen angestellt hatte; auch wenn die Ermittlungen in einem solchen Fall nicht absichtlich unterlassen wurden um sie dem Verwaltungsgericht zu überlassen, darf dieses in einer solchen Situation die Rechtssache an die Verwaltungsbehörde zurückverweisen.
(Thienel, Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, ZVG 2018, 180 [182]).

Aus den oben zitierten Gesetzesmaterialien und der gesetzlichen Bestimmung nach dem Wortlaut von § 23 a Z 1 (i.V.m. § 23 c Abs. 1) Gehaltsgesetz 1956, ist erkennbar, dass die belangte Behörde bei der Feststellung des Sachverhaltes im Bescheid vom 04.02.2021, Zl. PAD/20/38000/001/AA die Prinzipien der außer Kraft getretenen Rechtslage angewendet hat. Eine Unterscheidung von Dienstunfällen außerhalb und während des Dienstsportes, hält weder dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung stand, noch entspricht dies dem Willen des Gesetzgebers.

Die belangte Behörde hat aufgrund der Heranziehung zusätzlicher Anforderungen (Aufsuchen der Gefahr) an einen Dienstunfall, die erforderlichen weiteren Ermittlungsschritte hinsichtlich der aushaftenden Ansprüche unterlassen.

Zu B). Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Wie oben dargestellt wurde, ist die hier zu lösende Rechtsfrage angesichts der klaren Sach- und Rechtslage puncto Ermittlungspflicht als geklärt zu betrachten.

Schlagworte

besondere Hilfeleistung Dienstsport Dienstunfall Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Tod

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W122.2240332.1.00

Im RIS seit

22.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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