TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/11 W222 2178807-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.08.2021
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Entscheidungsdatum

11.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §53
FPG §55

Spruch


W222 2178807-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch seine Richterin Mag. Obregon als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.05.2020, 1090866910/190203345, nach Durchführung einer Verhandlung am 22.06.2021 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. II., und III. gemäß §§ 10 Abs. 3, 55 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG iVm §§ 46, 52 Abs. 3 und Abs. 9, 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Dauer des befristeten Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG auf ein Jahr herabgesetzt wird.

III. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. wird insoweit stattgegeben, als gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte am 12.10.2015 nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher in zweiter Instanz mit hg. Erkenntnis vom 04.06.2018, W169 2178807-1/2E, vollinhaltlich abgewiesen wurde; weiters wurde mit diesem Erkenntnis dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig sei und ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise in der Dauer von 14 Tagen ab Rückkehrentscheidung der Rückkehrentscheidung gesetzt.

Der Beschwerdeführer kam seiner ihm mit dieser Entscheidung rechtskräftig auferlegten Ausreiseverpflichtung nicht nach, sondern zog es vor, seinen – nunmehr illegalen – Aufenthalt im Bundesgebiet fortzusetzen.

Am 14.01.2019 wurde der Beschwerdeführer zur Identitätsfeststellung und Vorbereitung der Erlangung eines Heimreisezertifikates vor dem BFA niederschriftlich einvernommen.

Am 27.02.2019 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen „Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK ‚Aufrechterhaltung des Privat und Familienlebens‘ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG“. Diesem Antrag schloss der Beschwerdeführer ein Konvolut an Dokumenten an, darunter ein Schriftsatz, in dem der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter vorbringt, seit 2015 in Österreich zu sein und es hätten sich seit der „Ausweisungsentscheidung“ in seinem „Asylverfahren“ vielfältige Sachverhaltsänderungen ergeben. So spreche der Beschwerdeführer nunmehr Deutsch und er habe seine soziale sowie berufliche Integration intensiviert. Er bemühe sich stark um Integration in Österreich, sei drei Jahre in Österreich, wobei der Aufenthalt zum überwiegenden Teil rechtmäßig gewesen sei. Der Beschwerdeführer würde im Falle der Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgrund seiner Arbeitswilligkeit und des ihm zur Verfügung stehenden Umfeldes keinesfalls zu einer Belastung für eine Gebietskörperschaft darstellen.

Der Beschwerdeführer habe zahlreiche Freunde und daher eine entsprechend „große“ Bindung an Österreich. Der Beschwerdeführer sei hilfsbereit und er bemühe sich zunehmend für ein harmonisches Miteinander. Die Beziehungen des Beschwerdeführers hätten ein derartiges Niveau erreicht, dass „mit einer Rückführung ein schwerer Eingriff in das Privatleben vieler getätigt“ werde

Aus wirtschaftlicher Sicht sei eine Integration des Beschwerdeführers deutlich. Er sei bemüht, einen Beitrag für die österreichische Gesellschaft zu leisten. Diese Bemühung trete durch seine Arbeitswilligkeit in Erscheinung, weil er sowohl im Rahmen eines Gewerbes als auch im Rahmen der selbstständigen Arbeit Erfahrung vorzuweisen habe und vor allem seine Bereitschaft nachweise, aktiv tätig zu sein und den Staat nicht zu belasten.

Am 03.12.2019 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenswesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei ergab sich im Wesentlichen folgendes:

„…

F: Fühlen Sie sich psychisch, sowie physisch in der Lage der Einvernahme zu folgen?

A: Ja.

Ihr Antrag auf internationalen Schutz wurde in 2. Instanz mit 04.06.2018 negativ beschieden, diese Entscheidung wurde mit einer Rückkehrentscheidung verbunden und besteht somit eine rechtskräftige und durchsetzbare Ausreiseentscheidung gegen Ihre Person.

F: Sind Sie sich bewusst, dass sie sich aufgrund der negativen Asylentscheidung unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten?

A: Ich bin in Kenntnis der Ausreiseverpflichtung, es tut mir leid, dass ich noch da bin, ich habe Probleme in Indien, daher kann ich nicht zurück. Ich entschuldige mich nochmals, ich respektiere die Gesetzte hier sehr, aber ich habe keine Möglichkeit in mein Land zurückzukehren.

F: Über Ihre Asylgründe wurde abgesprochen und das Verfahren wurde negativ entschieden, sie sind verpflichtet das Land zu verlassen.

A: Ich kann nicht zurück nach Indien, dort ist mein Leben in Gefahr.

F: Bitte legen Sie ein Identitätsdokument bzw. einen Reisepass vor.

A: Ich war sehr oft bei der Botschaft und habe keinen Reisepass bekommen. Ich habe keinen Reisepass und ohne Ihr Schreiben, dass ich einen Aufenthaltstitel bekommen, kann ich auch keinen Reisepass bekommen.

F: Seit wann sind Sie im Bundesgebiet aufhältig?

A: Ich bin seit 4 Jahren und ein Monat in Österreich.

F: Haben Sie Familienangehörige in Österreich und wenn, aufgrund welcher Aufenthaltsberechtigung sind diese in Österreich? Wie ist Ihr Familienstand? Wo lebt Ihre Familie?

A: Nein, ich habe keine Familienangehörigen in Österreich.

F: Haben Sie noch Familienangehörige in der Heimat?

A: In Indien leben nur meine Eltern. Ich habe keine Geschwister.

F: Haben Sie Kinder, eheliche und uneheliche, und wo leben diese?

A: Nein, ich habe keine Kinder.

F: Was können Sie zu Ihrem Privatleben bzw. einem allfälligen Familienleben in Österreich angeben?

A: Mein Leben ist sehr schön, die Leute sind sehr nett und ich bin sehr glücklich hier.

F: Haben Sie hier soziale Kontakte?

A: Ich habe österreichische Freunde, ich kenne auch Inder, die hier die Staatsbürgerschaft haben.

F: Was haben Sie sonst in der Zeit gemacht, seit Sie hier sind, wie haben Sie Ihren Lebensunterhalt erwirtschaftet?

A: Ich bin Essenszuteller.

F: Aufgrund welcher arbeitsmarktrechtlicher Bewilligung?

A: Ich habe einen Kleintransportgewerbeschein und zahle meine Steuern. Ich verdiene ca. € 1.600,-- brutto, nach Abzug aller Abgaben und Steuern verbleiben mir € 800,--.

F: Sind Sie krankenversichert?

A: Ja.

F: Haben Sie eine eigene Wohnung oder wohnen Sie bei jemanden? Wie hoch ist Ihre Miete?

A: Ich habe eine Mietwohnung und zahle ca. € 300,--/Monat Miete und habe noch zwei weitere Mitbewohner. Ich bekomme von jedem Mitbewohner pro Monat € 50,--. Insgesamt kostet die Wohnung mit Strom € 400,--,

F: Wie wollen Sie sich in Zukunft ihr Leben finanzieren?

A: Ich würde gerne in Zukunft als Lieferant arbeiten.

F: Verfügen Sie schon über Zusage eines Unternehmens?

A: Von XXXX hätte ich schon eine Zusage, schriftlich habe ich im Moment noch nichts, kann es jedoch nachreichen.

F: Haben Sie bereits einen Deutschkurs absolviert und sind Sie im Besitz eines Zertifikats mindestens auf dem Level A2?

A: Ja, das Zertifikat liegt dem Antrag bei.

F: Warum streben Sie einen weiteren Aufenthalt in Österreich an?

A: Ich bin hier sicher, die Leute sind hier sehr nett.

F: Welche Folgen hätte eine Rückkehr in Ihre Heimat für Sie?

A: Ich kann dort getötet werden.

F: Möchten Sie abschließend noch etwas angeben.

A: Ich bitte Sie nur, dass Sie mir einen Aufenthaltstitel gewähren.

…“

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 28.05.2020 wies das BFA den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG (Spruchpunkt II.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.), gewährte gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers nicht (Spruchpunkt V.) und erkannte gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung ihre aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das BFA zu Spruchpunkt I. soweit wesentlich aus (sprachliche Unzulänglichkeiten bereinigt durch das Bundesverwaltungsgericht):

„Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie.

Sie sind seit Oktober 2015 im Bundesgebiet aufhältig. Ihre gesamte Familie lebt in Indien, in Österreich leben keine Familienangehörigen. Es bestehen somit keine familiären Bindungen im Sinne des Art. 8 EMRK.

Das Recht auf Achtung des Privatlebens sichert dem Einzelnen zudem einen Bereich, innerhalb dessen er seine Persönlichkeit frei entfalten und erfüllen kann.

Sie gehen im Bundesgebiet einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach und sind im Besitz eines Gewerbescheines, welchen Sie während Ihres Verfahrens auf internationalen Schutz – zu diesem Zeitpunkt verfügten Sie über einen rechtmäßigen Aufenthalt – erworben haben.

Nach rechtskräftig negativen Abschluss des Asylverfahrens und dem damit verbundenen Verlust des Aufenthaltsrechtes haben Sie die Gewerbeberechtigung nicht zurückgelegt und arbeiten jetzt widerrechtlich, ohne erforderliche arbeitsmarktrechtliche Bewilligung – somit unrechtmäßig – im Bundesgebiet. Sie sind somit nicht am Arbeitsmarkt als integriert anzusehen.

Gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Das BFA ist eine öffentliche Behörde im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK; der Eingriff ist – wie bereits oben dargestellt – in § 10 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 3 FPG gesetzlich vorgesehen.

Daher ist zu prüfen, ob der Eingriff in Ihr Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK, verfolgt. Es ist eine individuelle Abwägung der betroffenen Interessen vorzunehmen, um festzustellen, ob der Eingriff durch die Rückkehrentscheidung auch als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden kann.

Da Sie den Großteil Ihres Lebens in Indien verbracht haben, somit mit den dortigen Gegebenheiten und der Kultur bestens vertraut sind, der Landessprache mächtig sind, Ihre Familienangehörigen nach wie vor in Indien aufhältig sind und Sie somit innerhalb des Familienverbandes wieder Ihr früheres Leben aufnehmen können, droht Ihnen dort auch keine Gefahr für Leib oder Leben. Sie sind lediglich aus wirtschaftlichen Gründen nach Österreich eingereist, haben hier durch Ihren nunmehr seit 28.06.2018 illegalen Aufenthalt und der illegalen Arbeitsaufnahme laufend gegen die österreichische Rechtsordnung verstoßen. In Österreich besteht weder ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK noch ein verfahrensrelevantes Privatleben, daher muss eine Abwägung Ihrer Interessen an einem Verbleib im österreichischen Bundesgebiet zu den Interessen der Republik Österreich an einem geordneten Fremdenwesen eindeutig zu Ihren Ungunsten ausgehen.

Der Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK ist gem. § 55 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag zu erteilen, wenn dies gem. § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iS des Art. 8 EMRK geboten ist. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 55 AsylG 2005 kam daher nicht in Betracht.“

Zu Spruchpunkt II. hielt das BFA fest, dass die Entscheidung gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 sowie gemäß § 52 Abs. 3 FPG mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden sei. Spruchpunkt III. begründete das BFA mit dem Umstand, dass keine Gefährdung des Beschwerdeführers iSd § 50 Abs. 1 ff. FPG ersichtlich sei. Zu Spruchpunkt IV. führte das BFA aus, dass der Beschwerdeführer durch sein bisheriges Verhalten (unkooperatives Verhalten, Verletzung des FPG und der Einwanderungsvorschriften, bewusstes Missachten der ihm rechtskräftig auferlegten Ausreiseverpflichtung) massiv gegen die Bestimmungen des FPG und die Einreisevorschriften verstoßen habe und dieses Verhalten eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstelle, weshalb dem Beschwerdeführer ein für die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot zu erlassen sei. Zu den Spruchpunkten V. und VI. hielt das BFA fest, das BFA habe gemäß § 55 Abs. 4 FPG das vom Festlegen einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn der Beschwerde die aufschiebende Wirkung abzuerkennen sei. Gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG sei die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen den Bescheid abzuerkennen, weil der Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde.

Mit hg. Beschluss vom 01.07.2020, W222 2178807-2/3Z, wurde der Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Am 22.06.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Punjabi und eines Rechtsberaters eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, zu der der Beschwerdeführer erschien.

Mit Schreiben vom 23.06.2021 nahm der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsberater zur Lage in Indien Stellung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.Feststellungen

Der gesunde und arbeitsfähige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien. Er hat in seinem Heimatland zwölf Jahre die Schule sowie drei Jahre ein College, welches er mit einem Bachelortitel abgeschlossen hat, besucht. In Indien halten sich seine Eltern auf. Nachdem er am 12.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte und dieser im Juni 2018 rechtskräftig vollinhaltlich abgewiesen wurde, stellte er am 27.02.2019 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005.

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner illegalen Einreise im Oktober 2015 im österreichischen Bundesgebiet auf. Er kam seiner Ausreiseverpflichtung seit der rechtskräftig vollinhaltlich abweisenden hg. Entscheidung vom 04.06.2018, W169 2178807-1/2E, nicht freiwillig nach. Zu keinem Zeitpunkt seines Aufenthalts in Österreich kam ihm ein nicht auf das AsylG 2005 gestütztes Aufenthaltsrecht zu. In Österreich verfügte er weder über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte, noch lebte er in einer Lebensgemeinschaft. Er eignete sich während seines Aufenthalts Kenntnisse der deutschen Sprache an, eine Deutschprüfung für das Niveau A2 hat er am 28.101.2019 bestanden. Der Beschwerdeführer hatte im Mai 2016 das Gewerbe „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhänger, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt“ angemeldet. Diese Gewerbeberechtigung wurde ihm nach drei Jahren entzogen. Seither arbeitet er als Zeitungszusteller, wofür er keine Bewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz hat. Er verfügte über einen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich und wohnt mit zwei Indern im gemeinsamen Haushalt. Darüber hinaus konnten weitere maßgebliche Anhaltspunkte, die für die Annahme einer besonderen Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht sprechen würden, nicht festgestellt werden.

Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende – Indien, mit Stand 09.08.2021, 31.969.954 Erkrankungen und 428.309 Todesfällen – COVID-19-Pandemie kein Rückkehrhindernis darstellt. Der Beschwerdeführer ist gesund und gehört mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Indien eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

Quelle: WHO, Coronavirus disease (COVID-19), (https://covid19.who.int/region/searo/country/in)

Gemessen an den 1,3 Milliarden Einwohnern liegt das Land in einer Pro-Kopf Statistik noch immer hinter vielen europäischen Ländern.

Zur Lage im Herkunftsstaat:

COVID-19

Letzte Änderung: 21.05.2021

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugangs zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).

Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).

Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrecht erhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID-19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession (PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).

Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).

Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19 Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner Pharmaindustrie, als „Apotheke der Welt“ durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).

Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinuistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen regierung eine „praktizierte Sorglosigkeit“. Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, „Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei“, wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).

Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeionschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staalichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).

Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).

Quellen:

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.5.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw18-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 7.5.2021

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.10.2020): https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw42-2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 12.10.2020

?        DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 18.1.2021

?        FE – Financial Express (20.3.2021): Coronavirus Lockdown 2021 News Highlights: Only partial relaxation from lockdown in Nagpur from Monday, https://www.financialexpress.com/lifestyle/health/coronavirus-lockdown-2021-live-news-coronavirus-india-latest-march-20-updates-narendra-modi-covid-lockdown-night-curfew-maharashtra-mumbai-pune-nagpur-uttar-pradesh-delhi-bengaluru-hyderabad-punjab-gu/2216571/, Zugriff 22.3.2021

?        FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 22.3.2021

?        GTAI – German Trade & Invest [Deutschland] (3.12.2020): Indien sieht erste Anzeichen einer Konjunkturbelebung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/indien/indien-sieht-erste-anzeichen-einer-konjunkturbelebung-234424, Zugriff 18.1.2021

?        HO – Heise Online (25.4.2021): Telepolis: Corona in Indien: Sorglosigkeit, Mutanten und himmelschreiende Ungleichheit, https://www.heise.de/tp/features/Corona-in-Indien-Sorglosigkeit-Mutanten-und-himmelschreiende-Ungleichheit-6030218.html, Zugriff 7.5.2021

?        HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043608.html, Zugriff 18.1.2021

?        ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

?        PRC – Pew Research Center (18.3.2021): In the pandemic, India’s middle class shrinks and poverty spreads while China sees smaller changes, https://www.pewresearch.org/fact-tank/2021/03/18/in-the-pandemic-indias-middle-class-shrinks-and-poverty-spreads-while-china-sees-smaller-changes/, Zugriff 22.3.2021

?        TOI – Times of India (21.3.2021): Government failed to control Covid spread, must vaccinate all within months: Congress,
http://timesofindia.indiatimes.com/articleshow/81618736.cms?utm_source=contentofinterest&utm_medium=text&utm_campaign=cppst, Zugriff 22.3.2021

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (13.1.2021): Coronavirus: Situation in Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-indien.html, Zugriff 18.1.2021

Politische Lage

Letzte Änderung: 21.05.2021

Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA 27.4.2021; vgl. AA 23.9.2020). Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik (BICC 1.2021).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 30.3.2021). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Ebene der Bundesstaaten (AA 23.9.2020). Im Einklang mit der Verfassung haben die 28 Bundesstaaten und acht Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 30.3.2021).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister der Regierungschef ist (USDOS 30.3.2021). Der Präsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Die politische Macht liegt hingegen beim Premierminister und seiner Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Präsident ist seit 25. Juli 2017 Ram Nath Kovind, der der Kaste der Dalits (Unberührbaren) entstammt (GIZ 1.2021a).

Der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist nach britischem Muster durchgesetzt (AA 23.9.2020). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist verfassungsmäßig garantiert, der Instanzenzug ist dreistufig (AA 23.9.2020). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 1.2021a).

Die Verfassung garantiert Rede- und Meinungsfreiheit (USDOS 30.3.2021). Unabhängigen Medien drücken eine große Bandbreite von Meinungen und Ansichten ohne Einschränkungen aus (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Allerdings haben die Angriffe auf die Pressefreiheit unter der Regierung Modi zugenommen (FH 3.3.2021).

Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern (AA 23.9.2020).

Als deutlicher Sieger mit 352 von 542 Sitzen stellt das Parteienbündnis „National Democratic Alliance (NDA)“, mit der BJP als stärkster Partei (303 Sitze) erneut die Regierung. Der BJP-Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt. Die United Progressive Alliance rund um die Congress Party (52 Sitze) erhielt insgesamt 92 Sitze (ÖB 9.2020; vgl. AA 19.7.2019). Die Wahlen verliefen, abgesehen von vereinzelten gewalttätigen Zusammenstößen v. a. im Bundesstaat Westbengal, korrekt und frei. Im Wahlbezirk Vellore (East) im Bundesstaat Tamil Nadu wurden die Wahlen wegen des dringenden Verdachts des Stimmenkaufs ausgesetzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (AA 19.7.2019). Mit der BJP-Regierung unter Narendra Modi haben die hindu-nationalistischen Töne deutlich zugenommen. Die zahlreichen hindunationalen Organisationen, allen voran das Freiwilligenkorps RSS [Rashtriya Swayamsevak Sangh], fühlen sich nun gestärkt und versuchen verstärkt, die Innenpolitik aktiv in ihrem Sinn zu bestimmen (GIZ 1.2021a). Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende BJP ihre hindunationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundesstaats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung untergraben (SWP 2.1.2020; vgl. TG 26.2.2020). Kritiker der Regierung machten die aufwiegelnde Rhetorik und die Minderheitenpolitik der regierenden Hindunationalisten, den Innenminister und die Bharatiya Janata Party (BJP) für die Gewalt verantwortlich, bei welcher Ende Februar 2020 mehr als 30 Personen getötet wurden. Hunderte wurden verletzt (FAZ 26.2.2020; vgl. DW 27.2.2020).

Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion New Delhi musste die Partei des Regierungschefs Narendra Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi (AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Diese gewann die Regionalwahl erneut mit 62 von 70 Wahlbezirken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal, punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020). Modis Partei hat in den vergangenen zwei Jahren bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand heftige Rückschläge hinnehmen müssen (quanatra.de 14.2.2020; vgl. KBS 12.2.2020).

Bei Regionalwahlen in vier indischen Bundesstaaten und einem Unionsterritorium hat die konservative Regierungspartei BJP von Premierminister Modi offenbar keine Zugewinne erzielt. In Westbengalen liegt die BJP deutlich hinter der Regionalpartei All India Trinamool Congress (TMC) von Chefministerin Mamata Banerjee. Auch in Assam, Tamil Nadu, Kerala und Puducherry fanden Wahlen statt. Nur in Assam konnte die BJP an der Macht festhalten, aber auch dort erzielte sie – wie in den anderen Bundesstaaten – keine Zugewinne. Der Wahlkampf fand inmitten der Corona-Pandemie zum Teil mit riesigen Wahlkundgebungen statt. Viele Experten sehen darin die Ursache für den dramatischen Anstieg der Infektionszahlen im Land. Modi hatte sich im Wahlkampf besonders in Westbengalen engagiert, das an der Grenze zu Bangladesch liegt und eine starke muslimische Minderheit hat. Die BJP versprach, hunderttausende Muslime auszuweisen, die vor Jahrzehnten aus Bangladesch nach Indien geflohen sind (DS 3.5.2021).

Trotz der Annäherung an die USA und der zunehmenden Spannungen mit China betont Indien weiterhin seine strategische Autonomie. Diese beinhaltet auch den Anspruch auf eine eigenständige Rolle im Kontext der geopolitischen Spannungen zwischen China und den USA im Indo-Pazifik. So haben Indien und China in den letzten Jahren auch immer wieder kooperiert, zum Beispiel in der Shanghaier Orga-nisation für Zusammenarbeit. Innerhalb der Quad hat sich Indien für ein inklusives Verständnis des Indo-Pazifiks ausgesprochen, das im Unterschied zu den Vorstellungen der USA bislang immer die Einbeziehung Chinas beinhaltete (SWP 7.2020). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist weiterhin ein strategisches Ziel Indiens (GIZ 1.2021a).

Quellen:

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Sicherheitslage

Letzte Änderung: 28.05.2021

Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik. Das Land ist ein wichtiger Handelspartner der EU und der Vereinigten Staaten (BICC 1.2021).

Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 1.2021a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 1.2021). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (bpb 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 1.2021).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021) und der von separatistischen Gruppen bedrohte Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (im Punjab wurden 2020 insgesamt 18 Vorfälle im Zusammenhang mit Terrorismus registriert (SATP 3.5.2021a). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 3.3.2021). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 3.3.2021).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 812 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 940 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2019 kamen 621 Menschen durch Terrorakte. 2020 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 591 Tote. 2021 wurden bis zum 3. Mai insgesamt 164 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 3.5.2021b).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).

Bauernproteste, die sich gegen die von der indischen Regierung verabschiedeten Gesetze zur Liberalisierung des Agrarsektors richten, dauern seit Monaten an. Widerstand hat sich vor allem bei Sikhs im Punjab – dem Brotkorb Indiens - formiert. Inzwischen protestieren aber auch Bauern in anderen Teilen des Landes. Als im Januar 2021 die Proteste in New Delhi gewalttätig wurden, antwortete die Regierung mit harten Maßnahmen. Da bei den Protesten viele Sikhs beteiligt sind und u.a. eine Sikh-Flagge im Roten Fort in Delhi gehisst wurde, unterstellt die indische Regierung eine Beteiligung der Khalistan-Bewegung an den Protesten (BAMF 22.3.2021).

Indien und Pakistan

Indien und Pakistan teilen sprachliche, kulturelle, geografische und wirtschaftliche Verbindungen, doch sind die Beziehungen der beiden Staaten aufgrund einer Reihe historischer und politischer Ereignisse in ihrer Komplexität verstrickt und werden durch die gewaltsame Teilung Britisch-Indiens im Jahr 1947, dem Jammu & Kashmir-Konflikt und die zahlreichen militärischen Konflikte zwischen den beiden Nationen bestimmt (EFSAS o.D.).

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 1.2021; vgl. BBC 23.1.2018, DFAT 10.12.2020). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften entlang der sogenannten „Line of Control (LoC)“ haben sich in letzter Zeit verschärft und Opfer auf militärischer wie auch auf ziviler Seite gefordert. Seit Anfang 2020 wurden im von Indien verwalteten Kaschmir 14 Personen durch Artilleriebeschuss durch pakistanische Streitkräfte über die Grenz- und Kontrolllinie hinweg getötet und fünf Personen verletzt (FIDH 23.6.2020; vgl. KO 25.6.2020).

Indien wirft Pakistan dabei unter anderem vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Gebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 1.2021). Es kommt immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir (BICC 1.2021). So drang die indische Luftwaffe am 26.2.2019 als Vergeltung für einen am 14. Februar 2019 verübten Selbstmordanschlag erstmals seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum ein, um ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad in der Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, zu bombardieren (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019, WP 26.2.2019).

Modi nutzte den Konflikt mit Pakistan zur politischen Mobilisierung im Wahlkampf 2019. Dadurch wurde die pakistanfeindliche Stimmung in Indien so stark angeheizt, dass eine erneute Annäherung Indiens an Pakistan immer schwieriger wird. Seit der Veränderung des Status von Jammu und Kaschmir haben die Verletzungen des Waffenstillstands am Grenzverlauf zwischen Indien und Pakistan („Line of Control“) deutlich zugenommen (bpb 29.4.2021).

In einer Vereinbarung zwischen Indien und Pakistan mit dem Ziel „einen gegenseitig vorteilhaften und nachhaltigen Frieden zu erreichen“, heißt es, dass nach längeren Verhandlungen die zuletzt bestehende Vereinbarung von 2003 über eine Waffenruhe „in Wort und Geist“ ab dem 25. Februar 2021 umsetzen ist (Gov. o. I. 25.2.2021; vgl. SZ 26.2.2021).

Indien und China

Indien und China teilt eine 4.056 km lange Grenze (DFAT 10.12.2020). Der chinesisch-indische Grenzverlauf im Himalaya ist weiterhin umstritten (FAZ 27.2.2020). Nach wie vor gibt es zwischen Indien und China eine Reihe ungelöster territorialer Streitigkeiten, die 1962 zu einem kurzen Krieg zwischen den beiden Nachbarstaaten und zu mehreren Unruhen führten, darunter 2013, 2017 und 2020. Zusammenstöße zwischen Grenzpatrouillen an der 1996 vereinbarten „Line of Actual Control“ (LAC), der De-facto-Grenze zwischen der von Indien verwalteten Region des Ladakh Union Territory und der von China verwalteten Region Aksai Chin sind häufig (DFAT 10.12.2020; vgl. FIDH 23.6.2020) und forderten am 15.6.2020 mindestens 20 Tote auf indischer Seite und eine unbekannte Anzahl von Opfern auf chinesischer Seite (FIDH 23.6.2020; vgl. BBC 3.7.2020, BAMF 8.6.2020). Dies waren die ersten Todesopfer an der LAC seit 1975. Von beiden Seiten wurden eine Reihe von Gesprächen auf politischer, diplomatischer und militärischer Ebene geführt. Die Situation bleibt jedoch festgefahren (DFAT 10.12.2020). Viele indische Experten sehen in der Entscheidung der Modi-Regierung vom August 2019, den Bundesstaat Jammu und Kaschmir aufzulösen, einen Auslöser für die gegenwärtige Krise (SWP 7.2020; vgl. Wagner C. 2020). Die chinesischen Gebietsübertretungen können somit als Reaktion auf die indische Politik in Kaschmir in der letzten Zeit gesehen werden (SWP 7.2020). Weitere Eskalationen drohen auch durch Gebietsverletzungen an anderen Stellen der mehr Grenze (FAZ 27.2.2020; vgl. SWP 7.2020). Sowohl Indien als auch China haben Ambitionen, ihren Einflussbereich in Asien auszuweiten (BICC 1.2021).

Zwar hat der amerikanisch-chinesische Handelskrieg die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und China gestärkt und neue Möglichkeiten für indische Unternehmen auf dem chinesischen Markt geschaffen, dennoch fühlt sich Indien von Peking geopolitisch herausgefordert, da China innerhalb seiner „Neuen Seidenstraße“ Allianzen mit Indiens Nachbarländern Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka geschmiedet hat. Besonders der Wirtschaftskorridor mit dem Erzfeind Pakistan ist den Indern ein Dorn im Auge (FAZ 27.2.2020).

Indien und Bangladesch

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert (GIZ 1.2021a). In Nordost-Indien leben etwa 100.000 illegal eingewanderte Personen aus Bangladesch. Diese Einwanderer werden als ein erhöhtes Konfliktpotential wahrgenommen (BICC 1.2021). Auch bestehen kleinere Konflikte zwischen den beiden Ländern (BICC 1.2021).

Indien und Nepal

Die Beziehungen zwischen Indiens zu Nepal haben sich im Laufe des vergangenen Jahres [2020] verschlechtert (HRW 13.1.2021), nachdem das nepalesische Parlament im Juni 2020 eine Aufnahme dreier umstrittener Grenzgebiete in das nepalesische geographische Kartenwerk abgesegnet hat. Die kratographische Erfassung der umstrittenen Gebiete ist eine Reaktion auf den Bau einer Straße durch eines der umstrittenen Gebiete durch Indien, von welchem in einer im November 2019 überarbeitete Karte als zu Indien gehörig ausgewiesen wurde (HRW 13.1.2021). Nepal ist für Indien von besonderer sicherheitspolitischer Bedeutung (GIZ 1.2021a). Indien unterstützt die nepalesische Regierung mit Waffen und Gerät in ihrem Kampf gegen die maoistischen Guerilla (BICC 1.2021).

Indien und Sri Lanka

Die beiden Staaten pflegen ein eher ambivalentes Verhältnis (GIZ 1.2021a). Indien belieferte in der Vergangenheit Waffen die LTTE („Tamil Tigers“) in Sri Lanka (BICC 1.2021). Die tamilische Bevölkerungsgruppe in Indien umfasst ca. 65 Millionen Menschen, woraus sich ein gewisser Einfluss auf die indische Außenpolitik ergibt (GIZ 1.2021a). Indiensetzt sich für einen Prozess der Versöhnung der ehemaligen Gegnerschaften des Bürgerkrieges in Sri Lanka ein (HRW 13.1.2021).

Quellen:

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(SWP Comment, 39/2020). Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik -SWP- Deutsches Institut für Internationale Politik
und Sicherheit. https://doi.org/10.18449/2020C39, Zugriff 22.10.2020

?        WP – The Washington Post (26.2.2019): India strikes Pakistan in severe escalation of tensions between nuclear rivals, https://www.washingtonpost.com/world/pakistan-says-indian-fighter-jets-crossed-into-its-territory-and-carried-out-limited-airstrike/2019/02/25/901f3000-3979-11e9-a06c-3ec8ed509d15_story.html?utm_term=.ee5f4df72709, Zugriff 6.8.2019

Punjab

Letzte Änderung: 31.05.2021

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarä

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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