Entscheidungsdatum
17.08.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W200 2234731-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SCHERZ als Vorsitzende und den Richter Dr. KUZMINSKI und den fachkundigen Laienrichter Mag. SVOBODA als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien vom 15.07.2020, Zl. 214-615638-003, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte am 22.06.2016 einen Antrag auf Ersatz des Verdiensteinganges aufgrund eines Verbrechens durch einen namentlich bekannten Täter, der gemäß § 83 Abs. 1 und § 84 Abs. 1 StGB vom Landesgericht für Strafsachen verurteilt wurde. Dieser hatte dem Beschwerdeführer einen Bruch der linken Augenhöhle und des linken Jochbeins sowie einen Bluterguss im Bereich der linken Augenhöhle zugefügt, indem er ihn nach anfänglichen wechselseitigen Stößen von hinten in den Schwitzkasten nahm, wodurch beide zu Boden stürzten und nachdem sie von anderen Personen getrennt waren, ging der Täter erneut auf den Beschwerdeführer los und versetzte ihm zumindest je einen Fußtritt gegen den Bauch und einen Faustschlag gegen das Gesicht, wobei die Tat an sich eine schwere Körperverletzung – die angeführten Brüche – sowie aufgrund der Behandlungsdauer und der aufgrund des Vorfalls erlittenen posttraumatischen Belastungsstörung eine Gesundheitsschädigung und eine Berufsunfähigkeit von mehr als 24 tägiger Dauer zu Folge hatte.
Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 17.01.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 12.08.2016 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension abgewiesen, weil keine Berufsunfähigkeit vorliege.
Mit Bescheid des Sozialministeriumservice vom 24.07.2017 wurde dem Ansuchen um Ersatz des Verdienstentgangens vom 22.06.2016 gemäß § 1 Abs. 1 und 3 sowie § 3 Abs. 1 VOG bis 05.11.2016 bewilligt. Die Ersatzleistungen für Jänner 2016 bis 05.11.2016 wurde entsprechend beziffert.
Begründend wurde festgehalten, dass mit der für die Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststehe, dass der Beschwerdeführer am 11.09.2015 durch eine mit mehr als 6-monatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung (Verurteilung nach § 83 Abs. 1 und § 84 Abs. 1 StGB) eine schwere Körperverletzung (Bruch der linken Augenhöhle und des linke Jochbeines, Bluterguss im Bereich der linken Augenhöhle, posttraumatische Belastungsstörung) erlitten habe.
Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 13.07.2018 wurde aufgrund des vor dem zuständigen Gericht am 07.05.2018 geschlossenen Vergleiches der Anspruch auf Berufsunfähigkeitsperson für die Zeit von 01. September 2016 bis 31. Mai 2019 anerkannt, sowie die Pension ziffernmäßig festgelegt.
Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 16.07.2018 erfolgte neuerlich eine Festlegung eines Pensionsbetrages ab 26. Juni 2018.
Mit Bescheid vom 07.11.2018 bewilligte das Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien aufgrund der Schädigung vom 11.09.2015 für die Zeit vom 06.11.2016 bis 31.12.2018 den Ersatz des Verdienstentganges. Weiters wurde eine Summe ziffernmäßig festgestellt.
Mit Bescheid des Sozialministeriums, Landesstelle Wien vom 14.03.2019 wurde im Anschluss an den Bescheid vom 07.11.2018 abermals der Ersatz des Verdienstentganges wegen der Schädigung vom 11.09.2015 bewilligt und eine entsprechende Ersatzleistung ziffernmäßig bis 31.05.2019 festgestellt.
Das Sozialministeriumservice forderte von der Pensionsversicherungsanstalt Kopien des Bescheides über die nunmehr unbefristete Berufsunfähigkeitspension und allfälliger dem Bescheid zugrundeliegender ärztlicher Gutachten an.
Das von der PVA eingeholte psychiatrische Gutachten vom 10.04.2019 ergab Folgendes:
„(…)
1. Anamnese:
Anamnese: siehe psychiatrisches VGA vom 19.10.2016: Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt, Zervikalsyndrom ohne neurologische Ausfälle, Lumbalgie ohne neurologische Ausfälle.
Zwischenanamnese: Befindet sich in ambulanter psychiatrischer Behandlung bei Hrn Dr. XXXX , monatliche Kontrollen. Zusätzlich besteht ambulante Psychotherapie bei Fr. XXXX , Sitzungen wöchentlich. November bis Dezember 2017 erfolgte tagesklinische Behandlung im LK Baden/Mödling (kein Befund vorliegend).
Psychiatrische Rehab-Behandlung im Therapiezentrum Justuspark Bad Hall erfolgte vom 11.09.2018 bis 23.102018 (siehe Befundkopie): Diagnosen: andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, posttraumatische Belastungsstörung, Z.n. psychischen und Verhaltensstörungen durch Alkohol, gegenwärtig abstinent, Thrombozytopenie in Observation, Zervikalsyndrom, St.p. Commotio und Jochbeinbruch, Vitamin-B12-Mangel, Schulterläsion rechts bei Sturz am 04.10.2018.
Tagesstruktur: unterschiedlich aufstehen zwischen 6 und halb 10 Uhr, frühstücken, Öfter noch einmal niederlegen, Hausarbeit erledigt er selbst je nach Tagesverfassung, oft bleibt etwas liegen, er versucht einkaufen zu gehen, bei Menschenansammlungen muss er wieder umdrehen, er kocht nicht, Schnell- und Fertiggerichte aufwärmen
Interessen und Hobbies: Hat alle Hobbies und Interessen verloren, tut den ganzen Tag gar nichts, er traut sich nicht fernsehen, er liest nicht, weil er negative Sachen nicht aushält, ganz wenig spazieren gehen, sitzt viel auf seinem Balkon, „Derzeit macht mir wenig Freude." allgemein biographische Anamnese: siehe VGA Ausbildung und Berufslaufbahn: siehe VGA
Grund der Antragsstellung: Weitergewährung
Führerschein: vorhanden, fährt bekannte Kurzstrecken
2. Derzeitige Beschwerden:
Auf die Frage, warum PW um Pension angesucht hat wird Folgendes angegeben: "Körperlich bin ich in Behandlung wegen meinem Nacken und meinem Rücken, da bin ich in physikalischer Behandlung zwei Mal wöchentlich in der Therme Wien Med Oberlaa, das tut mir gut. In letzter Zeit habe ich wieder sehr starke Weinkrämpfe, Angstzustände, Schweißausbrüche und Panikattacken, das war wieder stark mit dem Autounfall im Herbst vorigen Jahres und jetzt wieder seit zwei Monaten circa. Meine Stimmung und mein Befinden beschreibe ich mies, ich habe ganz wenig Antrieb, Freuden und Interessen habe ich wenig bis gar keine, ich kann nicht einmal mein Enkelkind sehen, ich habe auch Angstzustände, ich habe eigentlich vor allem Angst, wenn ich rausgehe."
Selbstmordgedanken: keine.
Selbstbewusstsein: „Kann ich eigentlich nicht feststellen wie das einzuschätzen ist, weil ich ja nicht unter Leute komme."
Selbstvorwürfe: „Schlechtes Gewissen habe ich schon. Ich glaube immer, dass ich schuld daran bin."
Denken und Konzentration: „Ich kann mich sehr schwer konzentrieren, vergesslich bin ich, ich bin durcheinander. Zukunftsperspektive: „Ich möchte wieder auf Reha fahren in den Justuspark, das hat mir sehr gut getan.
Schlaf: gelegentliche Ein- und regelmäßige Durchschlafstörungen
Appetit: manchmal gar keinen, Geschlechtskrankheiten: verneint. Drogenkonsum: verneint.
3. Derzeitige Therapie:
Adjuvin 100mg 1-0-0-0, Quetialan 50mg Seroquel 50mg 0-0-0-1 Mirtabene 30mg 00-1
4. Allgemeine Angaben:
Harn: häufiges Harnlassen Stuhl: o.B. Allergien: keine bekannt Nic.: verneint Alk.: verneint
5. Gesamteindruck:
PW wird von einer Bekannten zur Untersuchung gebracht.
Äußeres Erscheinungsbild: gepflegt, durchtrainiert und muskulös.
Kontakt- und Auskunftsfähigkeit: freundlich und kooperativ, Blickkontakt gelingt mühelos, Mimik und Gestik sehr redselig, ständige Beschwerdenschilderungen, Sprache gut moduliert.
Gut geh- und stehfähig.
An- und Auskleiden selbständig möglich. PW ist Rechtshänder.
6. Status: (Verweisung auf vorhandene Fachgutachten zulässig)
Größe: 176 cm Gewicht: 70 kg RR:
Status psychicus:
Bewusstseinslage: wach und klar
Orientierung: in allen Qualitäten erhalten
Aufmerksamkeit: ungestört, Auffassung: ungestört, Konzentration: ungestört
Merkfähigkeit: erhalten, Kurzzeitgedächtnis: erhalten, Langzeitgedächtnis: erhalten
Ductus: logorrhoisch, kohärent und zielführend, inhaltlich ausschließlich negative Gedankeninhalte und ständige Beschwerdenschilderungen
Intelligenz: durchschnittlich, keine Abbauzeichen
Kritikfähigkeit: erhalten
Stimmung: gedrückt, klagsam, Befindlichkeit negativ getönt
Affektlage: modulationsarm
Affizierbarkeit: ausschließlich im negativen Skalenbereichen erhalten
Antrieb: leicht vermindert
Krankheitseinsicht: vorhanden
Suizidalität: keine, Selbstgefährdung: keine, Fremdgefährdung: keine
Persönlichkeitsmerkmale: neurotisch strukturiert keine phobischen Symptome, keine anankastischen Symptome
Biorhythmusstörung: gelegentliche Ein- und regelmäßige Durchschlafstörungen
Status neurologicus:
Kopf: Meningismus: keiner
Visus: zum Lesen ausreichend, konfrontationsperimetrisch keine Gesichtsfeldeinschränkung
Hörvermögen: Umgangssprache wird aus 2 Meter Entfernung verstanden
Pupillen: rund, mittelweit, isocor, reagieren prompt und seitengleich auf Licht und Konvergenz. sonstige Hirnnerven: frei HNAP: kein Druckschmerz
Tonus, Kraft, Motorik, Sensibilität und MER: seitengleich normal AVV, FNV: o.B.
Faustschluss, Pinzettengriff und Finger spreizen: o.B. Knips-Trömner: neg.
Tonus, Kraft, Motorik, Sensibilität und MER: seitengleich normal, Lasegue: neg.
Beinhalteversuch: o.B., Pyramidenzeichen: neg., Dorsalflexion der Großzehe: o.B. Gelenksbeweglichkeit: frei
Stand und Gang:
Zehenspitzenstand und —gang, Fersenstand und —gang: beidseits demonstrativ erschwert
Romberg: o.B.
Unterberger: abgehakt durchführbar Einbeinstand: o.B.
HWS: frei beweglich
WS: nicht klopfdolent, keine Fehlhaltung
7. Zusatzbefunde I mitgebrachte Befunde: Mitgebrachte Befunde wurden eingesehen.
8. Diagnosen in deutscher Sprache:(Maßgeblich für die Minderung der Erwerbsfähigkeit)
a. Hauptdiagnose:
ICD-IO: F32.O leichte depressive Episode
b. Nebendiagnosen:
ICD-IO: F60.3 emotional-instabile Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Zügen auf hohem BorderlineNiveau
ICD-IO: M54.2 Zervikalsyndrom ohne neurologische Ausfälle
ICD-IO: M54.4 Lumbalgie ohne neurologische Ausfälle
9. Ärztliche Beurteilung der Leistungsfähigkeit:
Klinisch/psychiatrisch zeigt sich bei der heutigen Untersuchung PW in gedrückt klagsamer Stimmungslage bei negativ getönter Befindlichkeit, der Affekt ist modulationsarm, die Affizierbarkeit überwiegend im negativen Skalenbereich erhalten, der Antrieb ist leicht vermindert, der Gedankengang ist logorrhoisch, kohärent und zielführend, inhaltlich finden sich vorwiegend negative Gedankeninhalte und ständige Beschwerdenschilderungen, die Intelligenz ist durchschnittlich, die noopsychischen Leistungen sind intakt, die Persönlichkeit ist neurotisch strukturiert, PW gibt gelegentliche Ein- und regelmäßige Durchschlafstörungen an.
Psych-Test vom 07.05.2019: siehe psychodiagnostischer Untersuchungsbericht.
Die SLICK-Kriterien weisen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Aggravationstendenz hin, weshalb dem klinischen Eindruck teils mehr Gewicht zukommt als den einzelnen Testergebnissen. Diagnostisch zeigt sich eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Zügen auf hohem Borderline-Niveau, welche durch eine derzeit abgeklungene posttraumatische Belastungsstörung 2015 dekompensiert ist.
Aus psychologischer Sicht ist in der Gesamtschau überwiegend forciertes Arbeitstempo bei geistig mäßig schwierigem Leistungsvermögen zumutbar. Die psychische Belastbarkeit ist als durchschnittlich einzustufen.
Psychisch/geistiges Leistungsvermögen siehe MELBA.
Klinisch neurologisch zeigt sich ein altersentsprechend unauffälliger Befund, vorbekannt findet sich ein chronisches Zervikalsyndrom ohne neurologische Ausfälle und eine chronische Lumbalgie, ebenfalls ohne neurologische Ausfälle.
Zusammengefasst sind Tätigkeiten entsprechend dem umseitigen Leistungskalkül möglich und zumutbar.
10. Sind weitere Facharztgutachten erforderlich? Ja Welche? PSY-Gutachten
(…)
14. Ist eine Besserung des Gesundheitszustandes möglich? In welchem Zeitraum? 9 Monaten. Begründung: Weiterführung der bisherigen Behandlung
(…)“
Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 02. Juli 2019 wurde die befristet zuerkannte Berufsunfähigkeitspension unbefristet für die weitere Dauer der Berufsunfähigkeit weiter gewährt.
Das Sozialministeriumservice holte ebenfalls ein Gutachten einer Fachärztin für Psychiatrie ein, das sich wie folgt gestaltete (Gutachten vom 20.01.2020):
„Sachverhalt
Hr. XXXX wurde bei Ausübung seiner Funktion als Trainer von Rapid Oberlaa am 11.09.2015 von einem Zuschauer tätlich angegriffen und dabei schwer verletzt.
Durch den Vorfall erlebte er Kopf- und Gesichtsverletzungen sowie eine posttraumatische Belastungsstörung.
Aufgrund des vorm Gericht geschlossenen Vergleiches wurde dem AW eine befristete Berufsunfähigkeitspension vom 1.09.2016 bis 31.05. 2019 zuerkannt. Die Arbeitsunfähigkeit bis 31.05.2019 wurde mit kausaler Gesundheitsschädigung (posttraumatischen Belastungsstörung) begründet.
Aus der medizinischen Dokumentation im Akt
Seit Oktober 2015 befand sich Hr. XXXX in psychiatrischer und auch psychotherapeutischer Behandlung.
Mit Juli 2018 hat er einen Kassenplatz für psychotherapeutische Behandlung erhalten.
Befundberichte vom 17.05.2016 und 13.04.2017, Dr. XXXX . FÄ f. Psychiatrie
Behandlung seit 2.10.2015 bei der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nach Verletzung am 11.9.2015; Therapie: Präparate mit Wirkstoff Sertralin 100 mg morgens, Alprazolam 0,5 mg bei Bedarf, Psychotherapie wurde empfohlen.
Gerichtlich beauftragtes psychiatrisch neurologisches Gutachten, Univ.Doz. Dr. K. XXXX vom 16.06.2017
Anamnestisch: Die Mutter des Untersuchten litt an Depressionen. Depressive Verstimmung bei Belastung durch Scheidung; schädlicher Alkoholgebrauch; Therapie im Anton- Proksch-Institut.
Diagnostisch: sensitive und phobische Persönlichkeitsstruktureigenschaften; posttraumatische Belastungsstörung als kausale Gesundheitsschädigung.
Besserung im Laufe der nächsten Monate unter Weiterführung der Therapie (medikamentös und psychotherapeutisch) möglich.
Psychologischer Befund Dr. XXXX , klinischer Psychologe, Untersuchung am 8.05.2017
Unter Anwendung von operationalisierten Verfahren ergab sich eine durchschnittliche intellektuelle Leistungsfähigkeit, unauffällige Aufmerksamkeit, Konzentration und Kurzzeitgedächtnis; Einbuße in der psychovisuellen Merkfähigkeit.
Befund berichte der Psychotherapeutin Fr. XXXX vom 01.09.2016, 10.10.2016, 12.01.2017 und 18 01.2017
Psychotherapeutische Behandlung seit 15.10.2015; Diagnose posttraumatische Belastungsstörung.
Befundberichte vom 13.02.2017 und vom 8.05.2017 Dr. XXXX . FA f. Neurologie Diagnosen: posttraumatische Belastungsstörung; fragliches SHT (Commotio), Depression und Angst; die medikamentöse Therapie wurde mit Dominal Forte 80 mg bei Schlafstörung erweitert.
EEG vom 16.02.2017: Normaler Befund
MRT Gehirnschädel und Angiographie vom 20.04.2017: Kein pathologischer Befund
Ärztlicher Entlassungsbericht Therapiezentrum Bad Hall vom 27.08.2016; Aufenthalt vom 27.06.2016 bis 8.08.2016
Diagnosen: posttraumatische Belastungsstörung; psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol, Abhängigkeitssyndrom gegenwärtig abstinent; Tinnitus rechts
Besserung der Stimmung und des Antriebs; Medikamentöse Therapie wird fortgeführt, regelmäßige psychiatrische Kontrollen und Psychotherapie angezeigt.
Rehabilitationsaufenthalt in Bad Hall vom 30.05.2017 bis 11.07.2017
Therapiebericht nicht vorliegend.
Rehabilitationsaufenthalt in Therapiezentrum Bad Hall vom 11.09. bis 23.10.2018
Diagnose: andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung; posttraumatische Belastungsstörung; psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol, gegenwärtig abstinent; Cervikalsyndrom; Schulterläsion rechts bei Sturz im Oktober 2018.
Aufnahme bei zunehmender Angstsymptomatik und Ärger-/Aggressionsbereitschaft, Hyperarousal, Vermeidungsverhalten und Erschöpfung; gute Therapieerfolge; psychische Stabilisierung.
Medikamentöse Therapie sollte fortgeführt werden, regelmäßige psychiatrische fachärztliche Kontrollen, Psychotherapie.
In operationalisierten Verfahren: BDI Hinweise auf leichte depressive Symptomatik; in der Symptom Checkliste SCL-90 psychische Belastung klinisch relevant; klinisch relevante Ergebnisse in Bereichen: Aggressivität/Feindseligkeit, Depressivität, paranoides Denken, phobische Angst, Psychotizismus, Unsicherheit im Sozialkontakt, Zwanghaftigkeit und Ängstlichkeit; überdurchschnittliche Symptomausprägung auf der Somatisierungsskala; maladaptive stressvermehrende Strategien. In Bezug auf Emotionen schlechte Selbstkontrolle, Schamgefühl für eigene Emotionen.
Gerichtlich beauftragtes unfallchirurgisches Gutachten vom 1.09.2016: Dr. XXXX , FA f. Unfallchirurgie
Diagnosen: Hautabschürfungen und Würgemale, Bruch der Augenhöhlenwand und des Jochbogens links.
Ärztliches Gesamtgutachten der PVA vom 19.10.2016
Diagnosen: Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt, Cervikalsyndrom ohne neurologische Ausfälle, Lumbalgie ohne neurologische Ausfälle, Hinweise auf eine neurotische Persönlichkeitsstruktur.
Der Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension wurde abgewiesen.
Psychiatrisches Gutachten der PVA vom 18.05.2019. Dr. XXXX FÄ f. Psychiatrie
Eigene Angaben: ambulante psychiatrische Behandlung bei Dr. XXXX , monatliche Kontrollen, Einzelpsychotherapie einmal die Woche; stationäre Behandlung November bis Dezember 2017 im LKH Baden (kein Befund vorliegend); physikalische Behandlung wegen „Nacken und Rücken"; starke Weinkrämpfe, Angstzustände, Schweißausbrüche und Panikattacken verstärkt durch den Autounfall im Herbst 2018 und aktuell seit zwei Monaten. Persönlichkeitsmerkmale: neurotisch strukturiert, keine phobischen Symptome, keine Zwangssymptome, Biorhythmusstörung, Ein- und regelmäßige Durchschlafstörungen.
Diagnosen: leichte depressive Episode; emotional instabile Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Zügen auf hohem Borderline Niveau, welche durch abgeklungene posttraumatische Belastungsstörung 2015 dekompensiert war.
Psychodiagnostische Untersuchung der PVA vom 7.05.2019 liegt nicht vor.
Nachgereichte Befunde
Befundbericht vom 20.08.2019 Dr. XXXX . FA f. Neurologie
Diagnose: posttraumatische Belastungsstörung, andauernde Persönlichkeitsänderung; degenerative WS Veränderungen mit Discopathie HWS und lumbal; Cervikalsyndrom; depressive Anpassungsstörung, agitierte Episode; Dysphorie, Somatisierungstendenz.
Bestätigungen der behandelten Psychotherapeutin XXXX vom 7.08.2019 und 11.9.2019
Psychotherapeutische Behandlung seit Februar 2018 bei der Diagnose: posttraumatische Belastungsstörung; Pensionierung aufgrund psychischer Probleme; lebenslange Psychotherapie empfohlen.
Gutachterliche Untersuchung am 25.10.2019
Eigene Angaben:
Der AW gibt an:
Seit September 2015 sei er nicht mehr berufstätig, habe die Arbeit nicht mehr ausüben können. Die Kündigung sei ein Schock gewesen.
Alkohol im Zuge der Scheidung, 2001-2002 habe sich gehen lassen, habe den Job verloren. Behandlung im Anton-Proksch-Institut. Nach Entlassung habe dort als Haustechniker bis 2003 (geringfügig) gearbeitet.
Danach im erlernten Beruf gearbeitet. Habe viele gute Arbeitsangebote bekommen, konnte sich die Firma aussuchen.
An den Unfall könne er sich gut erinnern, er wurde am Kehlkopf gepackt, habe eine Jochbein Fraktur erlitten, diese musste nicht operiert werden, da nicht verschoben.
Nach dem Unfall leide er an Gedächtnislücken.
Er sei dreimal auf Rehabilitation in Bad Hall gewesen. In Bad Hall sei er im Park spazieren gewesen. In Bad Hall habe man ihn bremsen müssen, er habe zu viel getan.
Er sei in tagesklinischer Behandlung in Baden und Ende 2017 im Krankenhaus gewesen. Die Medikamente seien umgestellt worden. Diese werden gut vertragen.
Seinem Ansuchen um weitere stationäre Rehabilitation wurde stattgegeben, der Aufenthalt wurde für Juni 2020 terminisiert.
Er habe ein Haus in der Steiermark.
In Himberg habe er eine Wohnung mit Balkon, fahre viel mit Fahrrad.
Er sei oft zusammengebrochen, habe unter depressiven Stimmungen gelitten. In Dezember sei es seinem Vater schlecht gegangen
Er habe große finanzielle Belastungen wegen Wohnung und Haus. Einige Male sei er in der Steiermark zusammengebrochen, es sei eine Art Burnout gewesen, er habe zu viel am Haus gearbeitet, wenn er etwas beginne, könne er nicht mehr loslassen.
Wenn er unruhig werde, könne sich nicht aus eigener Kraft entspannen.
Er habe sich oft Vorwürfe gemacht, habe sich minderwertig gefüllt.
Auf die Aggressionsausbrüche angesprochen, gibt der AW an, es komme auf die Situation an. Er vertrage keine Aggression, weiche den Ausländern aus. Es sei früher nie aggressiv gewesen. Wenn er ungerecht behandelt werde, werde er aggressiv.
Aktuell stehe eine Zahnsanierung im Vordergrund.
Er leide unter Angstzuständen, Albträumen, Panikattacken, welche nun weniger geworden sind. Diese treten vor allem auf, wenn es sich auf der Straße unter vielen Menschen befinde. Er verspüre Beklemmungen in der Brust.
Er habe sich von seiner Freundin getrennt, sie sei vor 6 Wochen ausgezogen. Die Beziehung habe zehn Jahre angedauert, fünf Jahre habe er mit ihr zusammengewohnt. Es habe seit längerer Zeit getrennte Schlafzimmer gegeben.
Er habe eine Meniskusläsion im linken Bein, habe HWS und LWS-Probleme bei Bandscheibenvorfällen.
Er leide unter Kopfschmerzen, diese würden ohne Medikamente vergehen.
2016 sei er von einem Hund am linken Unterschenkel gebissen worden. Er habe in der letzten Zeit mit vielen schweren Krankheitsfällen (Taufpate, Onkel, Vater) zu tun gehabt.
2018 habe er einen Autounfall gehabt, wurde von einem anderen „abgeschossen". Das Verfahren sei noch nicht abgeschlossen
Orientierender somatischer/neurologischer Befund:
AW erscheint allein, Gesamteindruck gepflegt.
Hirnnerven o.B., Trigeminusaustrittspunkt frei, kein DS, Pupillenreaktionen regelrecht, kein Nystagmus, kein Meningismus, bd. Schläfe - kein Hinweis auf eine Arteriitis temporalis.
M. Trapezius links druckdolent, Kribbeln bis in den Unterarm ausstrahlend wird angegeben. Keine Beeinträchtigungen der Sinneswahrnehmungen, keine Störung der Koordination, MER regelrecht, kein Hinweis auf eine radikuläre Symptomatik.
Psychischer Befund:
Bei der psychiatrischen Untersuchung ist Herr XXXX bemüht und kooperativ. Die konzentrative Belastbarkeit, Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit, klinisch untersucht, ist gegeben, Schwingungsfähigkeit des Affektes deutlich begrenzt, kein Hinweis auf eine Affektlabilität, die Stimmung ist klagsam, der Antrieb leicht gemindert. Dissoziative Zustände, auch in Bezug auf Vergangenes wurden verneint.
Der AW ist zu Ort, Situation und Person vollständig orientiert. Das Denken ist ausladend, an Einzelheiten haftend, ausreichend geordnet, inhaltlich auf Vorbringen der Beschwerden und Befürchtungen eingeengt. Über Nachfragen, auch über andere Lebensbereiche, werden ausführliche Angaben getätigt. Noopsychische Leistungen sind regelrecht.
In eigener Untersuchung und im Längsschnitt lässt sich Neurotizismus mit maladaptiven Copingstrategien als Persönlichkeitsvariable feststellen. Hinzu gehören: chronische negative Affekte inklusive Ängstlichkeit, Anspannung, Irritabilität, Ärger, fehlende Flexibilität in Bereich der Emotionen und Handlungen, Schwierigkeiten in der Impulskontrolle, perfektionistische Ansprüche an sich selbst, sowie unbegründeter Pessimismus.
Beantwortung der Fragestellungen
1. Welche psychische Gesundheitsschädigungen liegen bei dem AW vor?
a) welche sind kausal?
b) welche sind akausal?
Ad. 1 V.a. eine Persönlichkeitsstörung mit neurotischen, ängstlichen Zügen ICD 10 F. 60.6. Depressive Störung, leichte Episode F32.0 - DD - Dysthymie F34.1 als akausale Gesundheitsschädigungen.
Zum Zeitpunkt der Untersuchung lässt sich keine kausal bedingte Gesundheitsschädigung erkennen.
2. Welche der kausalen Gesundheitsschädigungen sind bereits folgenlos abgeheilt bzw. besserungsfähig, mit welchem Zeitpunkt, bzw. Dauerschäden?
Ad 2. Als folgenlos abgeheilte kausale Gesundheitsschädigung kann anhand der Aktenlage eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt werden. Die Erstmanifestation dieser Störung und der Zeitpunkt des Abklingens der Symptome sind der medizinischen Dokumentation nicht zu entnehmen.
Als diagnostische Leitlinie gilt, dass dieses Krankheitsbild diagnostiziert werden kann, wenn es verzögert, jedoch innerhalb von sechs Monaten nach einem Trauma von außergewöhnlicher Schwere aufgetreten ist. Die Störung klingt in der Regel innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten ab der Erstmanifestation ab. Es gibt jedoch auch chronische Verläufe und in Einzelfällen ein verzögertes Auftreten der Störung mehrere Monate nach der Traumatisierung (nicht Jahre!). Wenn die Störung chronisch fortbesteht muss die Diagnose einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung ICD-10 F 62.0 angenommen werden. (N. Nedopil,JL. Müller: Forensische Psychiatrie; Thieme 4. Auflage)
Die andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung wurde beim Reha Aufenthalt der AW in Bad Hall diagnostiziert.
Nach Zusammenschau der gesamten medizinischen Dokumentation und anhand der eigenen Untersuchung muss festgestellt werden, dass die bei Herrn XXXX im Bad Hall erhobene andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung nicht den Vorgaben des ICD 10 Klassifikationssystems entspricht.
3. Ist der AW aufgrund der kausalen Gesundheitsschädigungen ab 01.06.2019 als arbeitsunfähig einzustufen?
Um genaue Begründung, sowohl bei Bejahung als auch bei Verneinung dieser Frage wird gebeten,
a) wenn ja, bis wann bzw. in welchem Zeitraum?
b) ist eine Besserung möglich?
Ad 3. Das psychische Leistungsvermögen von Herrn XXXX erlaubt (siehe MELBA Einschätzung vom 18.05.2019, PVA Gutachten) ein vollschichtiges Arbeiten. Die posttraumatische Belastungsstörung als kausale Gesundheitsschädigung (siehe Beantwortung der Frage 2.) ist folgenlos abgeheilt.
4. Wenn Arbeitsunfähigkeit vorliegt, kann davon ausgegangen werden, dass der AW auch ohne die kausalen Gesundheitsschädigungen arbeitsunfähig wäre?
Ad 4. Entfällt.
5. Ist eine Nachuntersuchung erforderlich, ggf. wann?
Ad 5. Nein“
Im gewährten Parteiengehört monierte der Beschwerdeführer, dass die von der Gutachterin getroffene Einschätzung den Einschätzungen der ihn behandelnden Neurologin und Psychotherapeutin widersprechen würde. Er leide an Schlafstörungen, Albträumen, immer wieder kehrenden Erinnerungen an den Angriff und großer Schreckhaftigkeit, Schuldgefühlen und sozial anhaltendem Rückzug, Konzentrationsstörungen und Vertrauensverlust gegenüber Mitmenschen. Es plagen ihn auch Zukunfts- bzw. Existenzängste. Er sein unverschuldet in diese Situation geraten und seine langanhaltende Krankheit lasse ihn immer mehr verzweifeln und die Hoffnungslosigkeit bedrücke ihn oft. Angeschlossen waren eine Bestätigung der ihn behandelnden Psychotherapeutin und ein neurologischer Befundbericht.
In einem Ergänzungsgutachten vom 24.06.2020 wurde dazu wie folgt ausgeführt:
„Das Ergänzungsgutachten gründet sich auf Einsichtnahme in die neuerlich vom Herrn XXXX vorgelegten Befunde:
1. Befundbericht Dr. XXXX , FA f. Neurologie vom 1.03.2020
2. Bestätigungsschreiben Fr. XXXX Psychotherapeutin vom 4.03.2020
Aus den vorgelegten Urkunden lassen sich weder neue Anknüpfungstatsachen noch neu aufgetretenen Symptome oder Diagnosen erkennen.
Weder der Befundbericht von Dr. XXXX noch das Bestätigungsschreiben der Psychotherapeutin sind geeignet, eine Änderung der im eigenen Gutachten vom 28.01.2020 getroffenen Diagnosen und der und sich daraus ergebenden kausalen Zuordnung des Leidens herbeizuführen.
Zu posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) wird nochmals verdeutlichend ausgeführt, dass die diagnostischen Kriterien der PTBS nach ICD 10 bei Herrn XXXX nicht erfüllt sind.
(Dreßing Kriterien bei der Begutachtung der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS))
Für den begutachtenden Arzt ist es notwendig, dass er sich hierbei weder von den Interessen und Wünschen des zu begutachtenden Probanden noch von möglichen Intentionen des Gutachtenauftraggebers beeinflussen lässt, sondern sich strikt an die professionellen Regeln der Diagnostik und Begutachtung hält.
Die an PTBS leidenden Menschen müssen vom Gesundheitssystem ernst genommen werden Dies darf aber nicht zu einem leichtfertigen Umgang mit dieser Diagnose und einer unkritischen Ausweitung von Traumafolgestörungen führen.
Die Symptome einer PTBS sind grundsätzlich unspezifisch (anders gesagt, sie treten auch bei anderen psychiatrischen Erkrankungen vor) und führen erst in einer zueinanderstehenden Verbindung als ein Symptomkomplex zu einer PTBS Diagnose. Das Vorhandensein einzelner Kriterien reicht für die Diagnose einer PTBS nicht aus, sohin ist eine PTBS Diagnose aufgrund einzelner Symptome im Sinne einer „subsyndromalen PTBS", wie in beiden Urkunden vergeben, nicht zulässig.
Zu der von Dr. XXXX gestellten Diagnose einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung wird wie folgt ausgeführt:
Die Diagnose einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung darf nicht gleichzeitig mit der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gestellt werden.
Aus der Anamnese dürfen keine Persönlichkeitsstörungen oder akzentuierte Persönlichkeitseigenschaften des Erwachsenenalters (welche bei dem AW vorbestanden haben) und keine Persönlichkeits- und Entwicklungsstörungen des Kindes- oder Jugendalters, welche die augenblicklichen Persönlichkeitseigenschaften erklären könnten, bekannt sein.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 15.06.2020 wurde der Ersatz des Verdienstentganges gemäß § 1 Abs. 1 und 3, § 3 Abs. 1 sowie § 10 Abs.2 VOG mit 1. Juni 2019 eingestellt.
Als maßgebend für die Entscheidung wurde begründet, dass laut dem eingeholten schlüssigen allgemein- und nervenfachärztlichen Sachverständigengutachten vom 28.01.2020 die posttraumatische Belastungsstörung als kausale Gesundheitsschädigung folgenlos abgeheilt sei.
Die Gutachterin führte darin aus, dass sich zum Zeitpunkt der Untersuchung keine kausal bedingte Gesundheitsschädigung erkennen lasse. Als akausale Gesundheitsschädigungen lägen eine Persönlichkeitsstörung mit neurotischen, ängstlichen Zügen sowie eine depressive Störung, leichte Episode vor.
Weiters wurde auch die im medizinischen Gutachten der Pensionsversicherungsanstalt vom 18.05.2019 durchgeführte MELBA-Einschätzung hinzugezogen, in welcher festgestellt wurde, dass das psychische Leistungsvermögen ein vollschichtiges Arbeiten erlaube.
Somit seien die Voraussetzungen für eine Hilfeleistung im Sinne des Verbrechensopfergesetzes (Ersatz des Verdienstentganges) nicht mehr gegeben.
Auch laut neuerlicher Stellungnahme der Gutachterin zu den Ausführungen im Parteiengehör ergebe sich keine Änderung der diagnostischen Einschätzung des bei der gutachterlichen Untersuchung vom 25. Oktober 2019 festgestellten Leidenszustandes. Aus den vorlegten Urkunden ließen sich weder neue Anknüpfungstatsachen noch neu aufgetretene Symptome oder Diagnosen erkennen. Weder der Befundbericht von Dr. XXXX noch das Bestätigungsschreiben der Psychotherapeutin seien geeignet, eine Änderung der im eigenen Gutachten vom 28. Jänner 2020 getroffenen Diagnosen und der und sich daraus ergebenden kausalen Zuordnung des Leidens herbeizuführen. Zur posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) werde nochmals verdeutlichend aufgeführt, dass die diagnostischen Kriterien der PTBS nach ICD 10 beim Beschwerdeführer nicht erfüllt seien.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1.
Der österreichische Beschwerdeführer stellte am 22.06.2016 (einlangend) beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, einen Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen für Opfer nach dem Verbrechensopfergesetz in Form des Ersatzes des Verdienstentganges.
1.2.
Am 11.09.2015 hat ein namentlich bekannter Täter dem Beschwerdeführer einen Bruch der linken Augenhöhle und des linken Jochbeins sowie einen Bluterguss im Bereich der linken Augenhöhle zugefügt, indem er ihn nach anfänglichen wechselseitigen Stößen von hinten in den Schwitzkasten nahm, wodurch beide zu Boden stürzten und nachdem sie von anderen Personen getrennt waren, ging der Täter erneut auf den Beschwerdeführer los und versetzte ihm zumindest je einen Fußtritt gegen den Bauch und einen Faustschlag gegen das Gesicht, wobei die Tat an sich eine schwere Körperverletzung – die angeführten Brüche – sowie aufgrund der Behandlungsdauer und der aufgrund des Vorfalls erlittenen posttraumatischen Belastungsstörung eine Gesundheitsschädigung und eine Berufsunfähigkeit von mehr als 24 tägiger Dauer zu Folge hatte.
Mit Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 23.03.2016 wurde der namentlich genannte Täter
wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 1 StGB verurteilt.
1.3.
Mit Bescheid vom 07.11.2018 bewilligte das Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien aufgrund der Schädigung vom 11.09.2015 für die Zeit vom 06.11.2016 bis 31.12.2018 den Ersatz des Verdienstentganges. Weiters wurde eine Summe ziffernmäßig festgestellt.
Mit Bescheid des Sozialministeriums, Landesstelle Wien vom 14.03.2019 wurde im Anschluss an den Bescheid vom 07.11.2018 abermals der Ersatz des Verdienstentganges wegen der Schädigung vom 11.09.2015 bewilligt und eine entsprechende Ersatzleistung ziffernmäßig bis 31.05.2019 festgestellt.
Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 13.07.2018 wurde aufgrund des vor dem Gericht am 07.05.2018 geschlossenen Vergleiches der Anspruch auf Berufsunfähigkeitsperson für die Zeit von 01.09.2016 bis 31.05.2019 anerkannt, sowie die Pension ziffernmäßig festgelegt, mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 16.07.2018 erfolgte neuerlich eine Festlegung eines Pensionsbetrages ab 26.06.2018.
1.4.
psychiatrische Krankheitsbilder
a. Am 19.04. und 08.05.2017 litt der Beschwerdeführer an einer posttraumatischen Belastungsstörung als kausale Gesundheitsschädigung.
(psychiatrisches Gutachten vom 16.06.2017).
b. Am 10.04.2019 litt der Beschwerdeführer an einer leichten depressive Episode sowie einer emotional-instabile Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Zügen auf hohem BorderlineNiveau, die durch eine abgeklungenen posttraumatische Belastungsstörung 2015 dekompensiert ist. Ein überwiegend forciertes Arbeitstempobei war zumutbar. Die psychische Belastbarkeit wurde als durchschnittlich eingestuft. Das psychisch-geistige Leistungsvermögen war durchschnittlich.
(psychiatrisches Gutachten vom 10.04.2019).
c. Am 25.10.2019 bestand beim Beschwerdeführer der Verdacht auf eine Persönlichkeitsstörung mit neurotischen, ängstlichen Zügen und es lag eine depressive Störung, leichte Episode F32.0 - DD - Dysthymie F34.1 vor – beide als akausale Gesundheitsschädigungen.
Zum Zeitpunkt der Untersuchung ließ sich keine kausal bedingte Gesundheitsschädigung erkennen.
(psychiatrisches Gutachten im Verfahren des SMS vom 20.01.2020 und 24.06.2020).
1.5.
Ein verbrechenskausaler Verdienstentgang ab 01.06.2019 kann mit erforderlicher Wahrscheinlichkeit nicht festgestellt werden.
2. Beweiswürdigung:
Ad 1.1. - 1.3.: Die Feststellungen ergeben sich aus dem Verwaltungsakt.
Ad 1.4.: Die Feststellungen zu den beim Beschwerdeführer vorliegenden Krankheitsbildern ergeben sich aus dem vom BG Favoriten eingeholten psychiatrischen Gutachten vom 16.06.2017, dem von der PVA eingeholten psychiatrischen Gutachten vom 10.04.2019 und dem von der belangten Behörde eingeholten psychiatrischen Gutachten vom 20.01.2020 samt Ergänzungsgutachten vom 24.06.2020.
Da die beiden für den entscheidungsrelevanten Zeitraum – ab 01.06.2019 - relevanten Gutachten (1.4.b und 1.4.c.) ein gleichgelagertes Bild des Beschwerdeführers darstellen, gab es für den erkennenden Senat keinen Grund an den gleichlautenden Ergebnissen zu zweifeln.
In beiden Gutachten wurde eine leichte Depression diagnostiziert. Die vom SMS bestellte Psychiaterin äußerte auch den Verdacht auf eine Persönlichkeitsstörung mit neurotischen, ängstlichen Zügen und stellte zu beiden Leiden fest, dass diese nicht durch das Verbrechen verursacht wurden.
Sie hielt schlüssig fest, dass die früher festgestellte kausale Gesundheitsschädigung PTBS folgenlos abgeheilt ist.
Erklärend gibt sie dazu an, dass für die PTBS als diagnostische Leitlinie gelte, dass diese diagnostiziert werden könne, wenn es verzögert, jedoch innerhalb von sechs Monaten nach einem Trauma von außergewöhnlicher Schwere aufgetreten sei. Die Störung klinge in der Regel innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten ab der Erstmanifestation ab. Es gebe jedoch auch chronische Verläufe und in Einzelfällen ein verzögertes Auftreten der Störung mehrere Monate nach der Traumatisierung (nicht Jahre!). Wenn die Störung chronisch fortbestehe, müsse die Diagnose einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung ICD-10 F 62.0 angenommen werden. Diese Ausführungen belegt sie auch durch entsprechende Literatur (N. Nedopil,JL. Müller: Forensische Psychiatrie; Thieme 4. Auflage).
Eine Einsicht in die Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme unter F 43.1 (Posttraumatische Belastungsstörung) bestätigt die Ausführungen der Gutachterin, da dort ua festgehalten wird: „Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.“
Aufgrund der mit dem Parteiengehör vorgelegten medizinischen Unterlagen holte das SMS ein Ergänzungsgutachten der befassten Medizinerin ein, in dem sie nachvollziehbar die Ausführungen des behandelnden Arztes entkräftete, da dieser in seinem Befundbericht gleichzeitig eine Posttraumatische Belastungsstörung und eine andauernde Persönlichkeitsänderung diagnostizierte. Einerseits schließen diese beiden Diagnosen sich laut der vom SMS bestellten Gutachterin nach der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme jedoch aus und andererseits darf eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung nur diagnostiziert werden, wenn aus der Anamnese keine Persönlichkeitsstörungen oder akzentuierte Persönlichkeitseigenschaften des Erwachsenenalters (vgl. Alkoholabusus,…), die beim Beschwerdeführer vorgelegen haben, und keine Persönlichkeits- und Entwicklungsstörungen des Kindes- oder Jugendalters, welche die augenblicklichen Persönlichkeitseigenschaften erklären könnten, bekannt seien.
Nicht außer acht gelassen werden darf natürlich, dass sich grundsätzlich ein Verhältnis einer Person zu einem behandelnden Arzt völlig anderes darstellt – nämlich basierend auf Vertrauen - als eines zu GutachterInnen, deren Aufgabe es ist, objektiv und unbeeinflusst zu befunden und Schlüsse zu ziehen.
Die von der PVA bestellte Psychiaterin beschreibt beim Beschwerdeführer eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Zügen auf hohem BorderlineNiveau, die durch eine abgeklungenen posttraumatische Belastungsstörung 2015 dekompensiert ist, und nunmehr wieder „aufscheint“, d.h. dass beide Fachärztinnen für Psychiatrie auch unabhängig voneinander zum Schluss kommen, dass die PTBS folgenlos abgeklungen ist.
Beide Gutachten beschreiben den Beschwerdeführer gleichlautend und sind schlüssig und nachvollziehbar. Es besteht für den erkennenden Senat kein Zweifel an den Ausführungen der vom SMS bestellten Gutachterin zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 9d Abs. 1 des Verbrechensopfergesetzes (VOG) entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide nach dem VOG das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat, dem ein fachkundiger Laienrichter angehört.
Zu A)
§ 1 Abs. 1 Z. 1 VOG besagt:
Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist.
Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs. 1 Z 1 VOG ist - soweit im gegenständlichen Fall betreffend den Antrag auf Ersatz des Verdienstentganges relevant - zunächst das wahrscheinliche Vorliegen einer mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung, durch die wahrscheinlich eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten wurde, sowie weiters gemäß § 1 Abs. 3 VOG, dass dadurch die Erwerbsfähigkeit mindestens sechs Monate gemindert ist oder eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB, BGBl. Nr. 60/1974) bewirkt wurde.
§ 10 Abs. 2 VOG besagt:
Die Hilfeleistung endet, wenn sich die für die Hilfeleistung maßgebenden Umstände ändern, nachträglich ein Ausschließungsgrund (§ 8) eintritt oder nachträglich hervorkommt, dass die Voraussetzungen für eine Hilfeleistung nicht gegeben sind.
Durch das folgenlose Abheilen der kausalen Gesundheitsschädigung PTBS haben sich die maßgebenden Umstände geändert, sodass die Hilfeleistung einzustellen ist.
? Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Die Verhandlung kann entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. (§ 24 Abs. 3 VwGVG)
Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. (§ 24 Abs. 4 VwGVG)
Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden. (§ 24 Abs. 5 VwGVG)
Für das BVwG ist aufgrund der Aktenlage, insbesondere des von der belangten Behörde eingeholten schlüssigen psychiatrischen Gutachtens samt Ergänzungsgutachten, der Sachverhalt geklärt und konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
Da von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten ist, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Abl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die gegenständliche Entscheidung nicht von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) wiedergegeben.
Schlagworte
Gesundheitsschädigung Heilung Kausalität Sachverständigengutachten VerbrechensopferG Verdienstentgang WahrscheinlichkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W200.2234731.1.00Im RIS seit
24.09.2021Zuletzt aktualisiert am
24.09.2021