Entscheidungsdatum
08.09.2021Norm
BBG §40Spruch
L518 2244465-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. STEININGER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Dr. NIEDERWIMMER und den fachkundigen Laienrichter Mag. SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle XXXX , vom 27.05.2021, Zl. XXXX in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF iVm § 1 Abs 2, § 40 Abs 1, § 41 Abs 1, § 42 Abs 1 und 2, § 43 Abs 1, § 45 Abs 1 und 2, § 47 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl. Nr. 283/1990 idgF iVm § 1 Abs 2 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idgF, als unbegründet abgewiesen und darüber hinaus festgestellt, dass der Gesamtgrad der Behinderung 30 vH beträgt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 Bundesverfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (im Folgenden „BF“ bzw. „bP“ genannt) beantragte mit Schreiben vom 11.1.2021, am 29.1.2021 bei der belangten Behörde (folglich „bB“ bezeichnet) die Neuausstellung des Behindertenpasses wegen Ungültigkeit und brachte ein Konvolut von ärztlichen Schreiben in Vorlage.
Am 2.3.2021 wurde der BF durch Dr. XXXX , FA für Orthopädie und orthopädische Chirurgie und Arzt für Allgemeinmedizin, klinisch untersucht und erbrachte das am 9.3.2021 vidierte Gutachten im Wesentlichen nachstehendes Ergebnis:
Anamnese:
Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses und eines Parkausweises.
Beantragt wurde:
- keine Angaben
Vorgutachten orthop. FA Dr. XXXX vom 05.08.2019: GdB 50%, keine UZM, NU 04/2021;
- Posttraumatische Arthrose li. Knie nach Tibiacondylenfraktur 03/2018 (40%)
- Chronisches Schmerzsyndrom Lendenwirbelsäule (30%)
- Bewegungseinschränkung li. Sprunggelenk nach Abszess 04/2018 (20%)
- Beginnende Arthrose Patellagelenk rechts (10%)
Vorgutachten chir. FÄ Dr. XXXX vom 18.05.2020: keine UZM
- Posttraumatische Arthrose am linken Kniegelenk nach Schienbeinkopftrümmerbruch
- Chronisches Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule
- Bewegungseinschränkung am linken Sprunggelenk nach Abszess
- Beginnende Arthrose an der rechten Kniescheibe
Zusätzliche Diagnosen:
- keine
Derzeitige Beschwerden:
Der Patient verletzte sich im Rahmen Ski-Unfalles im März 2018 am linken Kniegelenk. Ein Trümmerbruch der Schienbeinkopfes wurde diagnostiziert und mit einer Plattenosteosynthese versorgt. Initial bestand eine verzögerte Knochenheilung.
Der Patient beschreibt anhaltende Beschwerden von Seiten des linken Kniegelenkes. Es liegt weiterhin ein leichtes Streckdefizit vor, dadurch kommt es zu einem hinkenden Gangbild. Der Patient fühlt sich insgesamt in seiner Mobilität und Lebensqualität eingeschränkt. Aufgrund der Entlastung des linken Beines bestehen zunehmende Beschwerden auch rechts. Hier wird gerade eine Infiltrations-Therapie bei seinem orthopädischen Facharzt mit Hyaluronsäure durchgeführt.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Behandlungen: Hyaloron-Inj rechtes Knie beim orthop. FA
Es wird keine ärztlich bestätigte Medikamentenliste vorgelegt.
Medikation laut Patient: Parkemed 500mg bei Bedarf (1-2x pro Woche);
Hilfsmittel: Gleitsichtbrille, gelegentlich Gehstock rechts;
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Alle vorhandenen Befunde wurden eingesehen.
Zusätzliche Befunde wurden nicht vorgelegt.
Attest orthop. FA Dr. XXXX vom 27.01.2021:
Es besteht bei ihm die Folge eines Schienbeinkopftrümmerbruches links, der im Krankenhaus Bad Ischl mittels Osteosynthese versorgt wurde.
Es bestand bei Herrn XXXX eine verzögerte Bruchheilung, die laufend radiologisch
kontrolliert wurde. In der letzten Zeit, nach Anfertigung von aktuellen Röntgenbildem, ist der Bruch gänzlich geheilt, bei liegendem Osteosynthesematerial.
Weiters ist eine Hüftkopfnekrose rechts bekannt, die im Wesentlichen folgenlos ausgeheilt ist.
Bei der klinischen Untersuchung zeigt sich das linke Kniegelenk jetzt weitgehend abgeschwollen, eine bogenförmige, ca. 25cm lange Narbe, zieht sich an der Medialseite des Schienbeins bis ins mittlere Drittel.
Die Beweglichkeit des Kniegelenkes ist mir S 0-10-140 nahezu frei, die Oberschenkelmuskulatur seitengleich, das Gelenk selbst ist bandfest, es besteht jedoch ein deutlich retropatellares Reiben im Sinne einer retropatellaren Chondropathie.
Die rechte Hüfte ist weitgehend frei beweglich, endlagig geringfügige Bewegungseinschränkung in der Innen- und Außenrotation.
Der Gang auf ebener Unterlage leicht linkshinkend, Zehenspitzen- und Fersengang möglich, Einbeinstand links möglich.
Neurologisch unauffällig, Lasegue negativ, ASR und PSR prompt.
Bei Herrn Schmaranzer besteht ein Folgezustand nach dem bekannten Schienbeinkopftrümmerbruch, mit retropatellarer Chondropathie, Streckdefizit und herabgesetzter Gehleistung.
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
Gut
Ernährungszustand:
Gut
Klinischer Status – Fachstatus:
Allergie: keine bekannt
Nikotin: gelegentlich
Alkohol: wenig
FBA: 10 cm
Caput/Collum: keine Schluckbeschwerden, Hörvermögen altersentsprechend, Gleitsichtbrille
Thorax: symmetrisch, unauffällige Atemexkursionen;
Pulmo: Vesikuläratmen beidseits (bds), keine Rasselgeräusche;
Cor: Herzaktion rein, rhythmisch und normofrequent, keine pathologischen Geräusche;
Abdomen: weich, kein Druckschmerz (DS), keine pathologischen Resistenzen palpabel, Nierenlager bds. frei;
Miktion und Defäkation: unauffällig
Obere Extremitäten: freie Beweglichkeit beider Schultern, keine Impingement, Kreuzgriff und Nackengriff problemlos möglich, Ellbogen, Handgelenke und Finger unauffällig, der Faustschluss vollständig und kräftig,
Untere Extremitäten: funktionelle Beinlängendifferenz, unauffällige Beinachse, Flexion beide Hüften bis ein über 100° schmerzfrei möglich, IR/AR 20-0-50°, diskreter Leistendruckschmerz rechts, am rechten Kniegelenk keine Rötung, keine Schwellung, kein intraartikulärer Erguss, S: 0-0-140°, Meniskuszeichen negativ, Zohlen-Zeichen positiv, das Knie bandstabil, am linken Knie keine Rötung, diskrete synovitische Schwellung, kein intraartikulärer Erguss, blande Narbe, die Beweglichkeit S: 0-10-110° endlagig schmerzhaft, Druckschmerz im medialen Kompartment, Zohlen-Zeichen positiv, das Knie bandstabil, Sprunggelenke und Füße unauffällig
Wirbelsäule: skoliotische Fehlhaltung, HWS-Rotation 70-0-70°, mäßige Hartspann der paravertebralen Muskulatur an der HWS und an der unteren LWS, die ISG beidseits frei
Neurologie: angegebene Dysästhesie und teilweise Allodynie an der Schienbeinvorderkante links, kein radikuläres sensomotorisches Defizit im Bereich der oberen und unteren Extremitäten erhebbar, die Reflexe seitengleich und mittellebhaft, die Pyramidenbahnzeichen negativ
Durchblutung: unauffällig
Gesamtmobilität – Gangbild:
Der Patient kommt in Konfektionsschuhen und ohne Gehhilfe zur Untersuchung. Leicht hinkendes Gangbild links, barfuß Zehenspitzen- und Fersengang mit anhalten möglich, Trendelenburg-Zeichen beidseits negativ, barfuß Seiltänzergang sicher, leichte Unsicherheit im Blindgang;
Status Psychicus:
Es besteht eine klarer Bewusstseinslage, die örtliche, zeitliche und situative Orientierung ist gegeben, orthopädischerseits keine Stimmungsschwankungen feststellbar.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Kniegelenksbeschwerden links;
Bruch des medialen Schienbeinkopfes mit Operation 03/2018, anhaltende Bewegungseinschränkung mit leichtem Streckdefizit, Reizzustand, Schmerzmedikation bei Bedarf, kein aktueller radiologische Befund vorliegend;
02.05.20
30
2
Kniegelenksbeschwerden rechts;
Kniescheibenschmerz, gute Beweglichkeit, kein Reizzustand, kein aktueller radiologischer Befund vorliegend;
02.05.18
10
3
Wirbelsäulenbeschwerden;
Belastungsabhängige Schmerzen der Lendenwirbelsäule, kein neurologisches Defizit, Schmerzmedikation bei Bedarf, kein radiologischer Befund aktuell oder in den Vorgutachten vorliegend;
02.01.01
10
4
Hüftgelenksbeschwerden rechts;
Durchblutungsstörung des Hüftkopfes (Hüftkopfnekrose) 2008 mit konservativer Therapie, gute Beweglichkeit, kein aktueller radiologischer Befund vorliegend;
02.05.07
10
Gesamtgrad der Behinderung 30 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Das Leiden Nummer 1 bestimmt den Gesamtgrad der Behinderung mit 30 %.
Die übrigen Leiden steigern wegen Geringfügigkeit nicht weiter.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
- Sprunggelenkbeschwerden links: gute Beweglichkeit, kein Reizzustand, kein aktueller radiologische Befund vorliegend;
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
Die Bewertung der Leiden erfolgt aufgrund der vorgelegten Befunde, der Medikamentenliste und des klinischen Zustandsbildes anhand der derzeit gültigen Einschätzungsverordnung im Vergleich zum Vorgutachten vom 05.08.2019.
Leiden Nummer 1 (Kniegelenksbeschwerden links): Neueinschätzung mit 30 % nach Abheilung der Brüche und Besserung der Bandinstabilität
Leiden Nummer 2 (Kniegelenksbeschwerden rechts): unveränderte Einschätzung zum Vorgutachten
Leiden Nummer 3 (Wirbelsäulenbeschwerden): Neueinschätzung mit 10 % nach klinischen Zustandsbildes und bei fehlenden radiologischen Befunden
Leiden Nummer 4 (Hüftgelenksbeschwerden rechts): neu hinzugekommen mit 10 %
Änderung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zu Vorgutachten:
Der Gesamtgrad der reduziert sich von 50 % auf 30 % durch Neueinschätzung der Leiden Nummer 1 und 3.
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum? Die Mobilität des Patienten ist aufgrund seiner Kniegelenksbeschwerden beidseits mit Streckdefizit links sicher eingeschränkt. Kurze Wegstrecken (400m) können aber aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, gegebenenfalls unter Verwendung einer Gehhilfe, zurückgelegt werden. Es können höhere Niveauunterschiede (bis 30 cm) zum Ein- und Aussteigen in ein öffentliches Verkehrsmittel bei Verwendung eines Handlaufes ausreichend sicher überwunden werden. Es besteht keine Einschränkung der Standhaftigkeit. Dies insbesondere im Bezug auf das sichere Stehen, die Sitzplatzsuche oder bei einer notwendig werdende Fortbewegung im öffentlichen Verkehrsmittel während der Fahrt. Die Benützung von Haltegriffen und -stangen ist möglich.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt ein Immundefekt vor im Rahmen dessen trotz Therapie erhöhte Infektanfälligkeit und wiederholt außergewöhnliche Infekte wie atypische Pneumonien auftreten? Nein
Mit Schreiben vom 9.3.2021 wurde der bP das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens gem. § 45 Abs. 3 AVG mit der Möglichkeit zur Stellungnahme übermittelt.
Im Rahmen der Stellungnahme, Schreiben vom 22.3.2021, teilte der BF mit, dass das chronische Schmerzsyndrom in der LWS nicht berücksichtigt worden sei und haben sich auch die Beschwerden in beiden Kniegelenken verschlechtert, sodass er mit deutlichen Funktionseinschränkungen konfrontiert sei, welche ihm bei der Ausübung seines Berufes stark behindern. Zudem brachte der BF neuerlich Bescheinigungsmittel in Vorlage.
Am 7.5.2021 wurde ein Aktengutachten durch Dr. XXXX , FA für Orthopädie und orthopädische Chirurgie angefertigt und erbrachte dieses im Einklang mit dem Vorgutachten im Wesentlichen nachstehendes Ergebnis:
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses und eines Parkausweises.
Beantragt wurde:
- keine Angaben
Einwendungen zum Parteiengehör.
Eigenes Vorgutachten vom 02.03.2021: GdB 30%, keine UZM
- Kniegelenksbeschwerden links (30%)
- Kniegelenksbeschwerden rechts (10%)
- Wirbelsäulenbeschwerden (10%)
- Hüftgelenksbeschwerden rechts (10%)
Attest orthop. FA Dr. XXXX vom 27.01.2021:
Es besteht bei ihm die Folge eines Schienbeinkopftrümmerbruches links, der im Krankenhaus XXXX mittels Osteosynthese versorgt wurde. Es bestand bei Herrn XXXX eine verzögerte Bruchheilung, die laufend radiologisch kontrolliert wurde. In der letzten Zeit, nach Anfertigung von aktuellen Röntgenbildem, ist der Bruch gänzlich geheilt, bei liegendem Osteosynthesematerial.
Weiters ist eine Hüftkopfnekrose rechts bekannt, die im Wesentlichen folgenlos ausgeheilt ist.
Bei der klinischen Untersuchung zeigt sich das linke Kniegelenk jetzt weitgehend abgeschwollen, eine bogenförmige, ca. 25cm lange Narbe, zieht sich an der Medialseite des Schienbeins bis ins mittlere Drittel. Die Beweglichkeit des Kniegelenkes ist mir S 0-10-140 nahezu frei, die Oberschenkelmuskulatur seitengleich, das Gelenk selbst ist bandfest, es besteht jedoch ein deutlich retropatellares Reiben im Sinne einer retropatellaren Chondropathie. Die rechte Hüfte ist weitgehend frei beweglich, endlagig geringfügige Bewegungseinschränkung in der Innen- und Außenrotation. Der Gang auf ebener Unterlage
ORIGINAL
leicht linkshinkend, Zehenspitzen- und Fersengang möglich, Einbeinstand links möglich. Neurologisch unauffällig, Lasegue negativ, ASR und PSR prompt.
Röntgenbefund LWS vom 22.03.2021:
- Abgeflachte lumbale Lordose
- diskrete linkskonvexe Skoliose
- Retrolisthese Grad 1 im lumbosackralen Übergang
- Incipiente ventrale Spondylose L1-L5
- Kein Morbus Baastrup
Befund orthop. FA Dr. XXXX vom 29.03.2021:
- Zunehmende Schmerzen in der LWS
- Status: verstärkte Lordose lumbosacral, Vorbeugen frei, Rückbeugen 1/4 eingeschränkt, Seitneigen und Seitdrehen 1/4 eingeschränkt, peripher neurologisch keine Ausfälle, Zehenspitzen- und Fersengang gut möglich, Einbeinstand seitengleich.
Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel:
Es liegt keine ärztlich bestätigte Medikamentenliste vor.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Kniegelenksbeschwerden links;
Bruch des medialen Schienbeinkopfes mit Operation 03/2018,
anhaltende Bewegungseinschränkung mit leichtem Streckdefizit, kein aktueller radiologischer Befund vorliegend;
02.05.20
30
2
Wirbelsäulenbeschwerden;
Radiologisch nachgewiesene geringe degenerative Veränderungen mit Fehlhaltung und leichtem Wirbelgleiten L5/S1 (Röntgen 03/2021), keine radikuläres sensomotorisches Defizit, mäßige Bewegungseinschränkung;
02.01.01
20
3
Kniegelenksbeschwerden rechts;
Kniescheibenschmerz, gute Beweglichkeit, kein aktueller radiologischer Befund vorliegend;
02.05.18
10
4
Hüftgelenksbeschwerden rechts;
Durchblutungsstörung des Hüftkopfes (Hüftkopfnekrose) 2008 mit
konservativer Therapie, gute Beweglichkeit, kein aktueller
radiologischer Befund vorliegend
02.05.07
10
Gesamtgrad der Behinderung 30 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Das Leiden Nummer 1 bestimmt den Gesamtgrad der Behinderung mit 30%.
Die übrigen Leiden steigern wegen Geringfügigkeit nicht weiter.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
- chron. Schmerzsyndrom: An den vorgelegten Befunden ist eine chronische Schmerzkrankheit im Sinne der EVO nicht nachvollziehbar.
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
Leiden Nummer 1 (Kniegelenksbeschwerden links): unveränderte Einschätzung mit 30%
Leiden Nummer 2 (Wirbelsäulenbeschwerden): Neueinschätzung mit 20 % auf Grund neuer radiologischer Befunde
Leiden Nummer 3 (Kniegelenksbeschwerden rechts): unveränderte Einschätzung mit 10%
Leiden Nummer 4 (Hüftgelenksbeschwerden rechts): unveränderte Einschätzung mit 10 %
Änderung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zu Vorgutachten:
Der Gesamtgrad der Behinderung bleibt mit 30% gleich.
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum? Die Mobilität des Patienten ist aufgrund seiner Kniegelenksbeschwerden beidseits mit Streckdefizit links sicher eingeschränkt. Kurze Wegstrecken (400m) können aber aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, gegebenenfalls unter Verwendung einer Gehhilfe, zurückgelegt werden. Es können höhere Niveauunterschiede (bis 30 cm) zum Ein- und Aussteigen in ein öffentliches Verkehrsmittel bei Verwendung eines Handlaufes ausreichend sicher überwunden werden. Es besteht keine Einschränkung der Standhaftigkeit. Dies insbesondere in Bezug auf das sichere Stehen, die Sitzplatzsuche oder bei einer notwendig werdende Fortbewegung im öffentlichen Verkehrsmittel während der Fahrt. Die Benützung von Haltegriffen und -stangen ist möglich.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt ein Immundefekt vor im Rahmen dessen trotz Therapie erhöhte Infektanfälligkeit und wiederholt außergewöhnliche Infekte wie atypische Pneumonien auftreten? Nein
Folglich wurde der Antrag der bP mit im Spruch bezeichnetem Bescheid abschlägig entschieden.
Dagegen erhob der BF binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und begründete diese im Wesentlichen dahingehend; KEINE Verbesserung der Symptome seit zwei Jahren feststellen zu können und dadurch in seiner Arbeit als Tischlermeister erheblich behindert ist, weshalb er um neuerliche Untersuchung bittet.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1.0. Feststellungen (Sachverhalt):
Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF die Voraussetzungen für die Erteilung eines Behindertenpasses erbringt.
2.0. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der bB und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Der oben unter Punkt II.1. festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.
Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich durch Einsicht in das zentrale Melderegister sowie die sonstigen relevanten Unterlagen.
2.2. Aufgrund des vorliegenden Verwaltungsaktes ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch-empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76). Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: „Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (…)“. Vergleiche dazu auch VwGH vom 18.06.2014, Ra 2014/01/0032.
Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).
Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).
Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der gegen die Gutachten gerichteten sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, GZ 0705/77).
Der VwGH führte aber in diesem Zusammenhang auch aus, dass keine Verletzung des Parteiengehörs vorliegt, wenn einem Antrag auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens nicht stattgegeben wird (VwGH vom 25.06.1987, 87/06/0017).
Ebenso kann die Partei Sachverständigengutachten erfolgreich bekämpfen, ohne diesem auf gleichem fachlichem Niveau entgegentreten zu müssen, wenn es Widersprüche bzw. Ungereimtheiten im Gutachten aufzeigt (vgl. z. B. VwGH vom 20.10.2008, GZ 2005/07/0108).
Unter dem Blickwinkel der Judikatur der Höchstgerichte, insbesondere der zitierten Entscheidungen, sind die eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. Georgievics, FA für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, vom 9.3.2021 und vom 25.5.2021 schlüssig, nachvollziehbar und weist keine Widersprüche auf.
Nach Würdigung des erkennenden Gerichtes erfüllt es auch die an ein ärztliches Sachverständigengutachten gestellten Anforderungen.
Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen der persönlichen Untersuchungen eingehend erhobenen klinischen Befunden, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen.
Die vorgelegten Beweismittel stehen nicht im Widerspruch zum Ergebnis des eingeholten Sachverständigenbeweises.
Das im Verfahren vor der bB eingeholte medizinische Sachverständigengutachten zum Grad der Behinderung bedarf nach der Rsp des VwGH (vom 21.06.2017, Ra 2017/11/0040) einer ausreichenden, auf die vorgelegten Befunde eingehenden und die Rahmensätze der Einschätzungsverordnung vergleichenden Begründung.
In den angeführten Gutachten wurde von dem Sachverständigen auf die Art der Leiden und deren Ausmaß, sowie die vorgelegten Befunde der bP ausführlich eingegangen. Insbesondere erfolgte die Auswahl und Begründung weshalb nicht eine andere Positionsnummer mit einem höheren Prozentsatz gewählt wurde, schlüssig und nachvollziehbar (VwGH vom 04.12.2017, Ra 2017/11/0256-7).
Das eingeholte Sachverständigengutachten steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch.
In dem Gutachten wurden alle relevanten, von der bP beigebrachten Unterlagen bzw. Befunde berücksichtigt.
Die im Rahmen des Parteiengehörs sowie der Beschwerdeschrift erhobenen Einwände waren nicht geeignet, die gutachterliche Beurteilung, wonach ein Grad der Behinderung in Höhe von 30 v.H. vorliegt, zu entkräften. Neue, den Gutachten widerstreitende fachärztliche Aspekte wurden nicht vorgebracht. Der bloße Hinweis, ein neues Gutachten von Dr. XXXX wegen der Wirbelsäulenbeschwerden in Vorlage zu bringen und dass keinerlei Besserung seit zwei Jahren festgestellt werden könne, vermag den Gutachten nicht substantiiert entgegenzutreten.
Auch war den Vorbringen und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit des befassten Sachverständigen oder dessen Beurteilung bzw. Feststellungen in Zweifel zu ziehen.
Die von der bP eingebrachte Beschwerde enthält kein substanzielles Vorbringen, welches die Einholung eines weiteren Gutachtens erfordern würde und mangelt es dieser darüber hinaus an einer ausreichenden Begründung für die behauptete Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides (VwGH vom 27.05.2014, Ro 2014/11/0030-5).
Es lag kein Grund vor, von den schlüssigen, widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen abzugehen. Der BF zeigte weder in der Beschwerdeschrift noch in der Stellungnahme Fehler, Unstimmigkeiten oder Widersprüchlichkeiten der Gutachten auf. Vielmehr wurde auch seitens des fachärztlichen Attestes von Dr. XXXX , FA für Orthopädie und orthopädischer Chirurgie, ein Wirbelgleiten von 8mm festgestellt und hielt dieser fest, dass seitens des BF keine schweren Arbeiten auf Dauer zumutbar wären. Auch sei der Aufenthalt in Kälte und Nässe, rotierenden Maschinen, Leitern etc. nicht möglich.
Die Sachverständigengutachten und die Stellungnahme bzw. Beschwerdeschrift wurden im oben beschriebenen Umfang in freier Beweiswürdigung der Entscheidung des Gerichtes zu Grunde gelegt.
Gemäß diesen Gutachten ist folglich von einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. auszugehen.
Soweit seitens der bB das Parteiengehör verletzt wurde (durch Nichtvorhalten des ergänzenden Aktengutachtens), ist festzuhalten, dass die Verletzung des Parteiengehörs in diesem Einzelfall – bei ansonsten ordnungsgemäßem Ermittlungsverfahren – durch die Möglichkeit der Einbringung der Beschwerde (allenfalls nach Akteneinsicht) in diesem konkreten Fall als saniert anzusehen ist (vgl für viele: VwGH vom 11.09.2003, 99/07/0062; VwGH vom 27.02.2003, 2000/18/0040; VwGH vom 26.02.2002, 98/21/0299). Es ist jedoch auch festzuhalten, dass durch diese Feststellung die bB nicht generell vom ihrer Obliegenheit das Parteiengehör zu wahren, entbunden wird.
3.0. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Entscheidungsrelevante Rechtsgrundlagen:
- Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idgF
- Bundesbehindertengesetz BBG, BGBl. Nr. 283/1990 idgF
- Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idgF
- Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010 idgF
- Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idgF
- Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF
- Verwaltungsgerichtshofgesetz VwGG, BGBl. Nr. 10/1985 idgF
Nachfolgende Bestimmungen beziehen sich auf die im Pkt. 3.1. angeführten Rechtsgrundlagen in der jeweils geltenden Fassung.
3.2. Gemäß Art. 130 Abs 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden
1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit; …
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Gemäß § 45 Abs. 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Gemäß § 45 Abs. 4 BBG hat bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs 3 eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
Gemäß § 45 Abs. 5 BBG entsendet die im § 10 Abs. 1 Z 6 des BBG genannte Vereinigung die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs 2 des BBG anzuwenden. Für jede Vertreterin und jeden Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.
In Anwendung des Art. 130 Abs 1 Z 1 B-VG iVm § 45 Abs 3 BBG wird die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes in der zugrundeliegenden Beschwerdeangelegenheit begründet und fällt die Entscheidung der gegenständlichen Rechtssache jenem Richtersenat zu, der unter Berücksichtigung der zitierten Bestimmungen in der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes dafür vorgesehen ist. Der erkennende Senat ist daher in diesem Beschwerdeverfahren zuständig.
3.3. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 45 Abs. 3 AVG des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991, ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.
Der Mangel des Parteiengehörs wird im Beschwerdeverfahren durch die mit der Beschwerde gegebene Möglichkeit der Stellungnahme zu einem Beweismittel saniert (vgl. VwGH vom 27.02.2003, 2000/18/0040; VwGH vom 24.11.1995, 95/17/0009 mit Hinweis auf E 30.9.1958, 338/56).
Eine im erstinstanzlichen Verfahren unterlaufene Verletzung des Parteiengehörs wird jedenfalls dadurch saniert, dass die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung und sodann im Zuge des Berufungsverfahrens ihren Rechtsstandpunkt darzulegen und sohin an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes mitzuwirken (VwGH vom 28.05.1993, 92/17/0248 mit Hinweis auf E vom 20.11.1967, 0907/67).
Wenn der Beschwerdeführer Gelegenheit gehabt hat, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid Stellung zu nehmen, und davon auch Gebrauch gemacht hat, so ist eine allfällige Verletzung des Parteiengehörs durch die erste Instanz damit als saniert anzusehen (VwGH vom 11.09.2003, 99/07/0062; VwGH vom 26.02.2002, 98/21/0299).
Seit Einführung der Neuerungsbeschränkung mit 01.07.2015, BGBl. Nr. 57/2015, welche konkret in § 46 BBG geregelt ist, wurde vom Gesetzgeber ein Beschwerdevorbringungsregulativ geschaffen. Ziel und Zweck der Novelle des Behindertenrechtes ist u.a. die grundsätzliche Beschleunigung des erstinstanzlichen Verfahrens. Unter Heranziehung der finalen Programmierung der Norm versteht man unter „neuen Tatsachen“ jene Zustände der Gesundheit, welche zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Verfahrens nicht bekannt waren bzw. sein mussten. Werden nunmehr im Beschwerdeverfahren vor dem BVwG von der bP „neue Tatsachen“ vorgebracht, so sind diese in der Entscheidungsfindung des Gerichtes nicht zu berücksichtigen. Nach Ansicht des Gerichtes unterliegen nicht dem Neuerungsverbot jene Beeinträchtigungen, Schädigungen und dergleichen, welche nach gegenwärtigem Stand der Medizin als bekannte Folgen der Grunderkrankungen zu qualifizieren sind. Die Neuerungsbeschränkung entfaltet ihre Rechtswirkung mit dem Einbringen der Beschwerde bei Gericht.
Die neu geschaffene Bestimmung des § 46 3. Satz hat zur Folge, dass der bP bei Verletzung des Parteiengehörs durch die bB jedwede Möglichkeit eines Vorbringens, insbesondere zu den eingeholten Sachverständigengutachten, genommen wird. In Verbindung mit der Neuerungsbeschränkung wird dadurch die Stellung der bP im Rechtsmittelverfahren derart eingeschränkt, dass dadurch kein faires Verfahren nach den Grundprinzipien eines Rechtsstaates gewährleistet ist. Beispielsweise wird dies der Fall sein, wenn eine medizinisch relevante Tatsache von der bP zwar vorgebracht wurde, aber keinerlei Berücksichtigung im erstinstanzlichen Ermittlungsverfahren gefunden hat. Bedingt durch das Beschwerdevorbringungsregulativ kann seitens des Gerichtes im Zuge des Beschwerdeverfahrens dieser Umstand, je nach konkretem Sachverhalt, nicht berücksichtigt werden.
Die Nichtvornahme eines Parteiengehörs wird in aller Regel zur Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides führen, außer wenn die Gewährleistung der Parteienrechte keinen umfassenderen, entscheidungsrelevanten Sachverhalt ergeben hätte.
Aufgrund der obigen Ausführungen deckt sich die Ansicht des BVwG grundsätzlich mit der Rechtsprechung des VwGH betreffend mangelhaftes Parteiengehör. Wie eingangs ausgeführt, sieht der VwGH das Parteiengehör nicht verletzt, wenn die bP im Berufungsverfahren die rechtliche Möglichkeit besitzt, Stellung zu nehmen. Unter dem Aspekt der mit 01.07.2015 in Kraft getretenen Neuerungsbeschränkung ist dies aber nicht mehr gewährleistet.
Im gegenständlichen Fall wurde der bP das ergänzende Aktensachverständigengutachten nicht zur Kenntnis gebracht. Damit wurde das Recht auf Parteiengehör verletzt und der bP in Verbindung mit der Neuerungsbeschränkung (im Beschwerdeverfahren vor dem BVwG vorgebrachte „neue Tatsachen“ sind nicht zu berücksichtigen) jedwede Möglichkeit eines Vorbringens genommen, was in aller Regel zur Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides führt. Da die bP aber im Zuge der Einbringung der Beschwerde keine neuen Beweismittel vorgebracht bzw. ein substantiiertes Vorbringen erstattet hat, hätte hier die Gewährleistung der Parteienrechte keinen umfassenderen entscheidungsrelevanten Sachverhalt ergeben. Schlussfolgernd führte hier die Möglichkeit, im Beschwerdeverfahren zu obigem Gutachten Stellung zu nehmen, zur Sanierung der Verletzung des Parteiengehörs.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Bezugnehmend auf die zitierten Bestimmungen waren die unter Pkt. 3.1. im Generellen und die unter Pkt. 3.2 ff im Speziellen angeführten Rechtsgrundlagen für dieses Verfahren in Anwendung zu bringen.
3.4. Gemäß § 1 Abs 1 BBG soll Behinderten und von konkreter Behinderung bedrohten Menschen durch die in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Maßnahmen die bestmögliche Teilnahme am gesellschaftlichen Leben gesichert werden.
Gemäß § 1 Abs 2 BBG ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen
Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Gemäß § 40 Abs 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
Gemäß § 40 Abs 2 BBG ist behinderten Menschen, die nicht dem im Abs 1 angeführten Personenkreis angehören, ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
Gemäß § 41 Abs 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376.
Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs 2 vorliegt.
Gemäß § 41 Abs 2 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.
Gemäß § 42 Abs 1 BBG hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Gemäß § 42 Abs 2 BBG ist der Behindertenpass unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
Gemäß § 43 Abs 1 BBG hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, sofern Änderungen eintreten, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpass berührt werden, erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpass auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpass einzuziehen.
Gemäß § 43 Abs 2 BBG ist der Besitzer des Behindertenpasses verpflichtet, dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen binnen vier Wochen jede Änderung anzuzeigen, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpass berührt werden, und über Aufforderung dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Behindertenpass vorzulegen.
Gemäß § 45 Abs 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Gemäß § 45 Abs 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§41 Abs 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
Gemäß § 47 BBG ist der Bundesminister für Arbeit und Soziales ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.
Gemäß § 1 der Einschätzungsverordnung ist unter Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Gemäß § 2 Abs 1 leg cit sind die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage der Einschätzungsverordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
Gemäß § 2 Abs 2 leg cit ist bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.
Gemäß § 2 Abs 3 leg cit ist der Grad der Behinderung nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.
Gemäß § 3 Abs 1 leg cit ist eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
Gemäß § 3 Abs 2 leg cit ist bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.