TE Vfgh Erkenntnis 2021/6/17 E107/2020

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Veröffentlicht am 17.06.2021
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Index

70/08 Privatschulen

Norm

PrivatschulG §5 Abs4
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Aufhebung der angefochtenen Entscheidung im Quasianlassfall

Spruch

I. Die beschwerdeführende Partei ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

1. Die beschwerdeführende Partei ist Schulerhalter der *** in der ***, ***. Bei dieser Schule handelt es sich um eine private Mittelschule mit Öffentlichkeitsrecht, an der die allgemeine Schulpflicht erfüllt werden kann.

Mit Eingabe vom 6. November 2017 wurde von der beschwerdeführenden Partei die Verwendung einer näher bezeichneten Person als Privatlehrer für den Unterrichtsgegenstand "Hebräisch" im Schulversuch "Hebräisch für Kinder mit israelitischem Religionsbekenntnis" an oben genannter Schule angezeigt. Diese Person leite den Unterricht eigenständig und unterstehe als "Native Speaker" nicht den Anweisungen einer anderen Lehrkraft. Der Unterricht erfolge ausschließlich auf Hebräisch.

2. Mit Bescheid vom 4. Dezember 2017 untersagte der Stadtschulrat für Wien (nunmehr Bildungsdirektion Wien) der beschwerdeführenden Partei die angezeigte Verwendung dieser Person, weil keine ausreichenden Deutschkenntnisse nachgewiesen worden seien.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 26. November 2019 als unbegründet ab und führte aus, dass die angezeigte Person lediglich über den Nachweis einer Sprachkompetenz in der deutschen Sprache auf dem Referenzniveau B1 verfüge. Somit sei das gesetzliche Erfordernis gemäß §5 Abs1 litd PrivSchG des Bundesgesetzes über das Privatschulwesen (Privatschulgesetz – PrivSchG), BGBl 244/1962 idF BGBl I 35/2019, nicht erfüllt. Es liege auch keine Ausnahme nach §5 Abs1 dritter Satz PrivSchG vor. Das Gesetz räume den zuständigen Behörden diesbezüglich keinen Spielraum ein, sondern setze Sprachkenntnisse der deutschen Sprache auf dem Referenzniveau C1 für die Ausübung des Berufes von Lehrpersonen an Privatschulen als unerlässlich fest. Daher sei die Verwendung der angezeigten Person als Lehrer zu Recht untersagt worden.

4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und die Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet sowie die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass das undifferenzierte Erfordernis von Sprachkenntnissen in deutscher Sprache auf dem Referenzniveau C1 für sämtliche Lehrer an einer Privatschule gemäß §5 Abs1 litd iVm Abs4 PrivSchG unverhältnismäßig und daher unsachlich sei. Hebräischlehrer an der *** Schule seien auch nicht von §1 Z2 Ausländerbeschäftigungsverordnung,

BGBl 609/1990, idF BGBl II 257/2017 erfasst und somit nicht vom Erfordernis nach §5 Abs1 litd iVm Abs4 PrivSchG ausgenommen. Im deutschen Sprachraum würden jedoch keine Sprachlehrer für Hebräisch mit der für die angezeigte Verwendung erforderlichen Qualifikation ausgebildet; diese müssten aus dem Ausland – konkret Israel, England oder den Vereinigten Staaten – angeworben werden. Es sei praktisch unmöglich, hinreichend qualifizierte Hebräischlehrer, die gleichzeitig über Sprachkenntnisse in der deutschen Sprache auf dem Referenzniveau C1 verfügen würden, zu finden. Diese Regelung verhindere im vorliegenden Fall einen qualitativ hochwertigen Hebräischunterricht, ohne dass es dafür eine sachliche Rechtfertigung gebe.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

6. Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

6.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 17. Juni 2021, G391/2020 ua, §5 Abs4 PrivSchG, BGBl Nr 244/1962 idF BGBl I Nr 35/2019, als verfassungswidrig aufgehoben.

6.2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg 10.616/1985, 11.711/1988).

6.3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 17. Juni 2021. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 10. Jänner 2020 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

6.4. Das Bundesverwaltungsgericht wendete bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Partei nachteilig war. Die beschwerdeführende Partei wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

7. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 VfGG abgesehen.

8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlassfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E107.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.09.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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