RS Vfgh 2021/6/17 G391/2020 ua, V609/2020 ua (G391/2020-15)

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Veröffentlicht am 17.06.2021
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Index

70/08 Privatschulen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art139 Abs1 Z1
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
StGG Art2
PrivatschulG §5 Abs4
SchulunterrichtsG §16
AuslBG §1
AusländerbeschäftigungsV §1
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Unsachlichkeit einer Bestimmung des PrivatschulG betreffend den verpflichtenden Nachweis von Deutschkenntnissen auf Referenzniveau C1 für Lehrer an Privatschulen; Unsachlichkeit der – lediglich an bestimmten Schulen mit internationaler Ausrichtung und fremdsprachigem Bildungsangebot – erforderlichen Sprachkenntnisse; keine Rücksichtnahme auf das spezifische Bildungsangebot sowie den Mangel an qualifizierten Lehrkräften durch das zwingende Erfordernis von Deutschkenntnissen; keine Notwendigkeit zwingender Deutschkenntnisse für eine "nachhaltige Erziehungsarbeit"

Rechtssatz

Verfassungswidrigkeit des §5 Abs4 PrivatschulG (PrivSchG) idF BGBl I 35/2019 (Inkrafttreten der Aufhebung mit Ablauf des 30.06.2022). Abweisung der Anträge des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) auf Aufhebung des §5 Abs1 litd und Abs1 zweiter und dritter Satz PrivSchG idF BGBl I 35/2019. Die vor dem BVwG belangte Behörde stützte ihre Bescheide auf §5 Abs1 litd iVm Abs4 PrivSchG. Die Bestimmungen nach §5 Abs1 zweiter und dritter Satz PrivSchG stehen mit §5 Abs1 litd PrivSchG in einem Regelungszusammenhang und sind von diesem nicht offenkundig trennbar. Das BVwG geht daher zutreffend davon aus, dass es die Gesetzesbestimmungen nach §5 Abs1 litd, Abs1 zweiter und dritter Satz und Abs4 PrivSchG bei der Prüfung der Rechtsmäßigkeit der angefochtenen Bescheide anzuwenden hat. Im Übrigen: Zurückweisung der Anträge auf Aufhebung des §1 Z2 Ausländerbeschäftigungsverordnung - AuslBVO idF BGBl II 263/2019 wegen Unzulässigkeit: §5 Abs1 dritter Satz PrivSchG sieht ausdrücklich vor, dass §5 Abs1 litd PrivSchG "nicht für Personen gemäß §1 Z2 der Ausländerbeschäftigungsverordnung, BGBl II Nr 609/1990 idF BGBl II Nr 257/2017" gilt. Den Verwaltungs- und Gerichtsakten ist auch nicht zu entnehmen, dass die belangte Behörde bei Erlassung der den Verfahren zugrunde liegenden Bescheide §1 Z2 AuslBVO in der vom BVwG angefochtenen Fassung BGBl II 263/2019 angewendet hätte. Es ist somit offenkundig, dass der angefochtene §1 Z2 AuslBVO, BGBl 609/1990, idF BGBl II 263/2019 keine Voraussetzung der Entscheidungen des BVwG in den Ausgangsverfahren bildet.

Die für die in Aussicht genommene Verwendung einer Lehrkraft bzw für die Erteilung des jeweiligen Unterrichtsgegenstandes erforderlichen Sprachkenntnisse werden bereits durch §5 Abs1 litc PrivSchG sichergestellt. Dementsprechend ist bei der nach §5 Abs6 PrivSchG vorgesehenen Anzeige der Bestellung von Lehrkräften anzugeben, welche Verwendung in Aussicht genommen wird. Verfügt eine Person nicht über die für die in Aussicht genommene Verwendung an der jeweiligen Privatschule erforderlichen Sprachkenntnisse, hat die zuständige Schulbehörde die Verwendung nach §5 Abs1 litc PrivSchG zu untersagen.

Der Einwand der Bundesregierung, dass der Nachweis einer Sprachkompetenz in der deutschen Sprache auf dem Referenzniveau C1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) für Lehrkräfte an Privatschulen unabhängig von der tatsächlichen Unterrichts- bzw Arbeitssprache das Ziel verfolge, neben qualitätsvoller Unterrichtsarbeit auch die "nachhaltige Erziehungsarbeit" von Schulen zu gewährleisten, kann den vom BVwG erhobenen Vorwurf der Unsachlichkeit der Regelung in Bezug auf die an Privatschulen verwendeten Lehrer nicht entkräften:

Der Gesetzgeber geht offenkundig selbst nicht davon aus, dass das Verwendungserfordernis des Nachweises einer Sprachkompetenz in der deutschen Sprache auf zumindest dem Referenzniveau C1 für Lehrkräfte bei allen Privatschulen erforderlich wäre, um die zwischenmenschliche Kommunikation für eine "nachhaltige Erziehungsarbeit" zu gewährleisten.

§5 Abs1 dritter Satz PrivSchG verweist statisch auf §1 Z2 AuslBVO idF BGBl II 257/2017 und nimmt das ausländische Lehrpersonal an den dort taxativ genannten internationalen Privatschulen vom Verwendungserfordernis gemäß §5 Abs1 litd PrivSchG aus. Es handelt sich dabei um Schulen mit einem internationalen Lehrplan bzw einem spezifisch fremdsprachigen Bildungsangebot.

Aus den Gesetzesmaterialien erschließt sich nicht, weshalb gerade die Lehrkräfte jener internationalen Schulen, die in §1 Z2 AuslBVO idF BGBl II 257/2017 genannt werden, vom Erfordernis der Sprachkompetenz in der deutschen Sprache nach §5 Abs1 litd PrivSchG ausgenommen werden. Es wird lediglich festgehalten, dass "die für Internationale Schulen notwendige Ausnahmeregelung geschaffen werden" sollte.

Im Rahmen der Verordnungsermächtigung des §1 Abs4 AuslBG, auf deren Grundlage §1 Z2 AuslBVO erlassen wurde, sind ausschließlich arbeitsmarktpolitische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Die qualitative Sicherung des spezifischen Bildungsangebots bzw der erzieherischen Ziele einer Schule ist allerdings kein unmittelbares Kriterium dafür, ob das beschäftigte Lehrpersonal vom Geltungsbereich des AuslBG ausgenommen wird.

Mit der Novelle BGBl II 263/2019 wurde die Aufzählung in §1 Z2 AuslBVO um zwei weitere Schulen ergänzt. Nunmehr sind auch die Japanische Internationale Schule in Wien und die International School Carinthia vom Geltungsbereich des AuslBG ausgenommen. Auf Grund des statischen Verweises in §5 Abs1 dritter Satz PrivSchG auf §1 Z2 AuslBVO idF BGBl II 257/2017 ist das Lehrpersonal an diesen beiden Schulen jedoch nicht vom Verwendungserfordernis gemäß §5 Abs1 litd PrivSchG ausgenommen.

Für den VfGH ist keine sachliche Rechtfertigung erkennbar, weshalb nur das ausländische Lehrpersonal an den in §1 Z2 AuslBVO idF BGBl II 257/2017 genannten Schulen in der Lage sein soll, auch ohne Deutschkenntnisse auf dem Referenzniveau C1 eine hinreichende "nachhaltige Erziehungsarbeit" zu leisten.

Die angefochtenen Bestimmungen nach §5 Abs1 litd, Abs1 zweiter und dritter Satz iVm Abs4 PrivSchG differenzieren ohne ersichtlichen Grund zwischen Schulen, die in §1 Z2 AuslBVO idF BGBl II 257/2017 genannt sind, und anderen vergleichbaren Privatschulen - wie insbesondere die Japanische Internationale Schule in Wien und die International School Carinthia, welche nunmehr in §1 Z2 AuslBVO idF BGBl II 263/2019 angeführt werden. Im Hinblick auf den international ausgerichteten Lehrplan und das spezifisch fremdsprachige Bildungsangebot ist auch die "International Christian School of Vienna" vergleichbar, welche von einer beteiligten Partei erhalten wird. Eine sachliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung in Bezug auf das Erfordernis gemäß §5 Abs1 litd iVm Abs4 PrivSchG fehlt.

Der VfGH geht zudem davon aus, dass auch abgesehen von internationalen Schulen in bestimmten Fällen eine Ausnahme von §5 Abs1 litd iVm Abs4 PrivSchG geboten sein kann, um spezifisch fremdsprachige Bildungsangebote nicht völlig zu verunmöglichen. Eine derartige Situation dürfte den Verfahren bezüglich einer jüdischen Privatschule des Israelitischen Tempel- und Schulvereins Machsike Hadass zugrunde liegen.

Die angefochtene Regelung nach §5 Abs1 litd, Abs1 zweiter und dritter Satz iVm Abs4 PrivSchG schließt es ausnahmslos aus, auf solche Konstellationen Rücksicht zu nehmen, in denen für ein spezifisches - insbesondere fremdsprachiges - Bildungsangebot hinreichend fachlich qualifizierte Lehrkräfte, die gleichzeitig Deutschkenntnisse auf zumindest dem Referenzniveau C1 mitbringen, kaum verfügbar sind. Das Argument, die zwischenmenschliche Kommunikation für eine "nachhaltige Erziehungsarbeit" zu gewährleisten, vermag es nicht zu rechtfertigen, dass die angefochtenen Bestimmungen eine Interessenabwägung und Berücksichtigung im Einzelfall ausnahmslos ausschließen.

Zur Herstellung eines Rechtszustandes, gegen den die in den Anträgen dargelegten Bedenken nicht bestehen, genügt es, §5 Abs4 PrivSchG aufzuheben, weil in den zugrunde liegenden Verfahren nur Lehrkräfte betroffen sind.

(Quasianlassfall E107/2020, E v 17.06.2021; Aufhebung der angefochtenen Entscheidung)

Entscheidungstexte

Schlagworte

Lehrer, Schulunterricht, Privatschulen, Ernennungsvoraussetzungen, Amtssprache, Ausländerbeschäftigung, VfGH / Gerichtsantrag, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Fristsetzung, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:G391.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.03.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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