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82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerordnungLeitsatz
Kein Verstoß gegen das Recht auf Freizügigkeit durch das Verbot des Verlassens von Teilen Tirols (Bezirk Kufstein) auf Grund der COVID-19-MaßnahmenV wegen der dort verbreiteten (Britischen) COVID-19-Virusvariante B.1.1.7/E484K; Verkehrsbeschränkung zur Verhinderung der Verbreitung der Virusvariante zum Schutz von Personen außerhalb des Epidemiegebietes "unbedingt erforderlich" und innerhalb des Ermächtigungsumfangs des EpidemieG 1950; Zuständigkeit des Bezirkshauptmanns zur Erlassung der Ausreiseverordnung als "zusätzliche Maßnahme" zu der vom Landeshauptmann erlassenen verkehrsbeschränkenden Verordnung; Sachlichkeit und Zumutbarkeit des Nachweises eines negativen Testergebnisses auch für genesene und geimpfte PersonenSpruch
Der Antrag wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit dem auf Art139 Abs1 Z3 B-VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge (ohne die Hervorhebung im Original)
"[…] die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID-19-Virusvariante B.1.1.7/E484K betreffend die Ausreise aus dem politischen Bezirk Kufstein (GZ: KU-INF-309/788-2021) als gesetzeswidrig bzw als verfassungswidrig aufheben,
in eventu
nach einem Außerkrafttreten der angefochtenen Verordnung aussprechen, dass diese gesetzeswidrig bzw verfassungswidrig war".
II. Rechtslage
1. §1, §24, §40 und §43a Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl 186/1950, idF BGBl I 33/2021 lauteten:
"Anzeigepflichtige Krankheiten
§1. (1) Der Anzeigepflicht unterliegen:
1. Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an Cholera, Gelbfieber, virusbedingtem hämorrhagischem Fieber, infektiöser Hepatitis (Hepatitis A, B, C, D, E), Hundebandwurm (Echinococcus granulosus) und Fuchsbandwurm (Echinococcus multilocularis), Infektionen mit dem Influenzavirus A/H5N1 oder einem anderen Vogelgrippevirus, Kinderlähmung, bakteriellen und viralen Lebensmittelvergiftungen, Lepra, Leptospiren-Erkrankungen, Masern, MERS-CoV (Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus/'neues Corona-Virus'), Milzbrand, Psittakose, Paratyphus, Pest, Pocken, Rickettsiose durch R. prowazekii, Rotz, übertragbarer Ruhr (Amöbenruhr), SARS (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom), transmissiblen spongiformen Enzephalopathien, Tularämie, Typhus (Abdominaltyphus), Puerperalfieber, Wutkrankheit (Lyssa) und Bissverletzungen durch wutkranke oder -verdächtige Tiere,
2. Erkrankungs- und Todesfälle an Bang`scher Krankheit, Chikungunya-Fieber, Dengue-Fieber, Diphtherie, Hanta-Virus-Infektionen, virusbedingten Meningoenzephalitiden, invasiven bakteriellen Erkrankungen (Meningitiden und Sepsis), Keuchhusten, Legionärskrankheit, Malaria, Röteln, Scharlach, Rückfallfieber, Trachom, Trichinose, West-Nil-Fieber, schwer verlaufenden Clostridium difficile assoziierten Erkrankungen und Zika-Virus-Infektionen.
(2) Der Bundesminister für Gesundheit und Frauen kann, wenn dies aus epidemiologischen Gründen gerechtfertigt oder auf Grund internationaler Verpflichtungen erforderlich ist, durch Verordnung weitere übertragbare Krankheiten der Meldepflicht unterwerfen oder bestehende Meldepflichten erweitern.
[…]
Verkehrsbeschränkungen für die Personen, die sich in Epidemiegebieten aufhalten
§24. Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, sind für die in Epidemiegebieten aufhältigen Personen Verkehrbeschränkungen zu verfügen. Ebenso können Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Gebiete von außen angeordnet werden.
[…]
Sonstige Übertretungen.
§40. (1) Wer durch Handlungen oder Unterlassungen
a) den in den Bestimmungen der §§5, 8, 12, 13, 21 und 44 Abs2 enthaltenen Geboten und Verboten oder
b) den auf Grund der in den §§7, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 17, 19, 20, 21, 22, 23 und 24 angeführten Bestimmungen erlassenen behördlichen Geboten oder Verboten oder
c) den Geboten oder Verboten, die in den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen enthalten sind, zuwiderhandelt oder
d) in Verletzung seiner Fürsorgepflichten nicht dafür Sorge trägt, daß die seiner Fürsorge und Obhut unterstellte Person sich einer auf Grund des §5 Abs1 angeordneten ärztlichen Untersuchung sowie Entnahme von Untersuchungsmaterial unterzieht,
macht sich, sofern die Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist, einer Verwaltungsübertretung schuldig und ist mit Geldstrafe bis zu 1 450 Euro, im Nichteinbringungsfall mit Freiheitsstrafe bis zu vier Wochen zu bestrafen.
(2) Wer einen Veranstaltungsort gemäß §15 entgegen den festgelegten Voraussetzungen oder Auflagen betritt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 500 Euro, im Nichteinbringungsfall mit Freiheitsstrafe von bis zu einer Woche, zu bestrafen.
[…]
Zuständigkeiten betreffend COVID-19
§43a. (1) Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID-19 sind vom für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister zu erlassen.
(2) Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID-19 können vom Landeshauptmann erlassen werden, wenn keine Verordnung gemäß Abs1 erlassen wurde oder zusätzliche Maßnahmen zu einer Verordnung gemäß Abs1 festgelegt werden.
(3) Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID-19 können von der Bezirksverwaltungsbehörde erlassen werden, wenn keine Verordnungen gemäß Abs1 oder 2 erlassen wurden oder zusätzliche Maßnahmen zu Verordnungen nach Abs1 oder 2 festgelegt werden.
(4) In einer Verordnung gemäß Abs1 bis 3 kann entsprechend der jeweiligen epidemiologischen Situation regional differenziert werden.
(5) Durch Verordnung gemäß Abs1 können Verordnungen gemäß Abs2 und 3 oder Teile davon aufgehoben werden. Durch Verordnung gemäß Abs2 können Verordnungen gemäß Abs3 oder Teile davon aufgehoben werden.
(6) Verordnungen gemäß Abs2 und 3 sind vor deren Inkrafttreten dem für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister mitzuteilen."
2. §24 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl 186/1950, idF BGBl I 90/2021 lautet:
"Verkehrsbeschränkungen in Bezug auf Epidemiegebiete
§24. (1) Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, sind für die in Epidemiegebieten aufhältigen Personen Verkehrsbeschränkungen anzuordnen. Ebenso können Beschränkungen für das Betreten von Epidemiegebieten angeordnet werden.
(2) Verkehrsbeschränkungen für in Epidemiegebieten aufhältige Personen gemäß Abs1 sind insbesondere:
1. Voraussetzungen und Auflagen für das Verlassen des Epidemiegebietes, wie
a) das Vorliegen bestimmter Zwecke für das Verlassen des Epidemiegebietes,
b) das Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr und
c) das Antreten einer selbstüberwachten Heimquarantäne nach Verlassen des Epidemiegebietes,
2. die Untersagung des Verlassens des Epidemiegebietes, sofern Maßnahmen nach Z1 nicht ausreichen, wobei solche Maßnahmen erforderlichenfalls nebeneinander zu ergreifen sind.
(3) Beschränkungen für das Betreten von Epidemiegebieten gemäß Abs1 sind insbesondere:
1. Voraussetzungen und Auflagen für das Betreten des Epidemiegebietes, wie
a) das Vorliegen bestimmter Zwecke für das Betreten des Epidemiegebietes,
b) das Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr und
c) zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19: die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung,
2. die Untersagung des Betretens des Epidemiegebietes, sofern Maßnahmen nach Z1 nicht ausreichen, wobei solche Maßnahmen erforderlichenfalls nebeneinander zu ergreifen sind.
(4) Im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 gelten für das Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr §1 Abs5 Z5 und Abs5a bis 5e COVID-19-MG sinngemäß.
(5) Im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 gelten als Epidemiegebiete gemäß Abs1 bestimmte örtlich abgegrenzte oder abgrenzbare Teile des Bundesgebietes, in denen außergewöhnliche regionale Umstände im Hinblick auf die Verbreitung von SARS-CoV-2 vorliegen. Außergewöhnliche regionale Umstände liegen etwa vor, wenn aufgrund der Bewertung der epidemiologischen Situation gemäß §1 Abs7 COVID-19-MG im bundesweiten Vergleich ein besonders hohes Risiko der Verbreitung von SARS-CoV-2 anzunehmen ist oder wenn aufgrund wesentlich veränderter Eigenschaften des Virus die bereits gesetzten Bekämpfungsmaßnahmen oder die weitere Bekämpfungsstrategie erheblich gefährdet sind."
3. Die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020, BGBl II 15/2020, lautet wie folgt:
"Auf Grund des §1 Abs2 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 37/2018, wird verordnet:
Der Anzeigepflicht nach dem Epidemiegesetz 1950 unterliegen Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an 2019-nCoV ('2019 neuartiges Coronavirus')."
4. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID-19-Virusvariante B.1.1.7/E484K betreffend die Ausreise aus dem politischen Bezirk Kufstein, Bote für Tirol Nr 118/2021, KU-INF-309/788-2021, (in der Folge: Ausreiseverordnung) lautete:
"Aufgrund des §24 in Verbindung mit §43a Abs3 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 33/2021, wird verordnet:
§1
Geltungsbereich
Diese Verordnung gilt für den politischen Bezirk Kufstein.
§2
Anforderungen beim Verlassen
des politischen Bezirks Kufstein
(1) Personen mit Wohnsitz im politischen Bezirk Kufstein dürfen dessen Grenzen nach außen hin nur überschreiten, wenn sie einen Nachweis über
a) ein negatives Ergebnis eines Antigen-Tests auf SARSCoV-2, dessen Abnahme nicht mehr als 48 Stunden zurü[c]k[…]liegen darf, oder
b) ein negatives Ergebnis eines molekularbiologischen Tests auf SARS-CoV-2, dessen Abnahme nicht mehr als 72 Stunden zurückliegen darf, mit sich führen. Diese Personen sind verpflichtet, diesen Nachweis bei einer Kontrolle vorzuweisen.
(2) Abs1 gilt auch für Personen ohne Wohnsitz im politischen Bezirk Kufstein, wenn sie sich dort durchgehend über einen Zeitraum von mehr als 24 Stunden aufgehalten haben.
§3
Ausnahmen
a) Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr;
b) die Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum;
c) Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Gesundheitsbehörden sowie Angehörige von Rettungsorganisationen und der Feuerwehr im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit bzw von Einsätzen;
d) den Betrieb und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge, insbesondere von Krankenanstalten, Arztpraxen, therapeutischen Einrichtungen und Praxen, Apotheken, Heimen zur Betreuung von hilfs-, betreuungs- und pflegebedürftigen, insbesondere älteren, Menschen sowie von mobilen Betreuungsangeboten für diese Menschen;
e) den Betrieb und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Infrastrukturen und der Einrichtungen der Daseinsvorsorge, wie Straßendienst, Müllabfuhr, Strom- und Wasserversorgung oder Abwasserentsorgung;
f) die Aufrechterhaltung der allgemeinen Versorgung, insbesondere mit Lebensmitteln, sonstigen Waren des täglichen Bedarfes einschließlich periodischen Druckwerken und Heizmaterialien;
g) die Aufrechterhaltung des Lieferverkehrs zwischen Betrieben und Betriebsstätten von Betrieben sowie für die Durchführung notwendiger unaufschiebbarer Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten;
h) den Betrieb und die Aufrechterhaltung des öffentlichen Personennahverkehrs;
i) die Versorgung mit Grundgütern des täglichen Lebens, die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen und die Deckung eines dringenden Wohnbedürfnisses; dies jedoch nur dann, wenn diese Grundbedürfnisse nicht oder zumutbarer Weise nicht im politischen Bezirk Kufstein gedeckt werden können;
j) die Wahrnehmung von unaufschiebbaren behördlichen oder gerichtlichen Wegen;
k) Schülerinnen und Schüler von Schulen gemäß dem Schulorganisationsgesetz, BGBl Nr 242/1962, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 19/2021, und dem Privatschulgesetz, BGBl Nr 244/1962, zuletzt geändert
durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 80/2020, sowie von land- und forstwirtschaftlichen Berufs- und Fachschulen gemäß dem Tiroler Landwirtschaftlichen Schulgesetz 2012, LGBl Nr 88/2012, zuletzt geändert durch das Gesetz LGBl Nr 90/2020, jedoch ausschließlich zum Zweck der Teilnahme am Unterricht an diesen Schulen (Hin- oder Rückfahrt); diese Ausnahme gilt sinngemäß für die Teilnahme am Unterricht an gleichartigen Schultypen im benachbarten Ausland;
l) Personen ohne Wohnsitz im politischen Bezirk Kufstein, bei denen vor der Rückreise zum Wohnsitz ein positives Ergebnis durch einen Antigen-Test auf SARS-CoV-2 oder einen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 festgestellt worden ist; dies jedoch nur unter der Voraussetzung, dass sie sich so schnell wie möglich – entweder allein mit einem Kraftfahrzeug oder im Rahmen eines gesicherten Transports – zum Zweck der behördlichen Absonderung zu einem Wohnsitz begeben;
(2) Im Fall einer behördlichen Überprüfung sind die Ausnahmegründe nach Abs1 glaubhaft zu machen.
§4
Nachweise
Als Nachweis im Sinn des §2 Abs1 lita und b sind jene Testergebnisse zu verstehen, die im Rahmen von Antigen-Tests oder molekularbiologischen Tests durch dazu befugte Stellen erlangt werden.
§5
Inkrafttreten, Außerkrafttreten
(1) Diese Verordnung tritt mit 31. März 2021 um 00.00 Uhr in Kraft und mit dem Ablauf des 14. April 2021 um 24.00 Uhr außer Kraft.
(2) §2 Abs2 gilt auch für Personen, deren Aufenthalt im politischen Bezirk Kufstein vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung begonnen hat."
5. Die "Verordnung des Landeshauptmanns [von Tirol] vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID-19-Virusvariante B.1.1.7/E484K betreffend die Ausreise aus Tirol", LGBl 51/2021, lautete:
"Aufgrund des §24 in Verbindung mit §43a Abs2 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 33/2021, wird verordnet:
§1
Geltungsbereich
Diese Verordnung gilt für das Land Tirol mit Ausnahme des politischen Bezirks Lienz, der Gemeinde Jungholz sowie des Rißtals im Gemeindegebiet von Vomp und Eben am Achensee.
§2
Anforderungen beim Verlassen Tirols
(1) Personen mit Wohnsitz in dem im §1 umschriebenen Gebiet dürfen dessen Grenzen nach außen hin nur überschreiten, wenn sie einen Nachweis über
a) ein negatives Ergebnis eines Antigen-Tests auf SARS-CoV-2, dessen Abnahme nicht mehr als 48 Stunden zurückliegen darf, oder
b) ein negatives Ergebnis eines molekularbiologischen Tests auf SARS-CoV-2, dessen Abnahme nicht mehr als 72 Stunden zurückliegen darf,
mit sich führen. Diese Personen sind verpflichtet, diesen Nachweis bei einer Kontrolle vorzuweisen.
(2) Abs1 gilt auch für Personen ohne Wohnsitz in dem im §1 umschriebenen Gebiet, wenn sie sich dort durchgehend über einen Zeitraum von mehr als 24 Stunden aufgehalten haben.
§3
Ausnahmen
(1) §2 gilt nicht für
a) Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr;
b) die Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und
Eigentum;
c) Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Gesundheitsbehörden sowie Angehörige von Rettungsorganisationen und der Feuerwehr im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit bzw von Einsätzen;
d) den Betrieb und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge, insbesondere von Krankenanstalten, Arztpraxen, therapeutischen Einrichtungen und Praxen, Apotheken, Heimen zur Betreuung von hilfs-, betreuungs- und pflegebedürftigen, insbesondere älteren, Menschen sowie von mobilen Betreuungsangeboten für diese Menschen;
e) den Betrieb und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Infrastrukturen und der Einrichtungen der Daseinsvorsorge, wie Straßendienst, Müllabfuhr, Strom- und Wasserversorgung oder Abwasserentsorgung;
f) die Aufrechterhaltung der allgemeinen Versorgung, insbesondere mit Lebensmitteln, sonstigen Waren des täglichen Bedarfes einschließlich periodischen Druckwerken und Heizmaterialien;
g) die Aufrechterhaltung des Lieferverkehrs zwischen Betrieben und Betriebsstätten von Betrieben sowie für die Durchführung notwendiger unaufschiebbarer Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten;
h) den Betrieb und die Aufrechterhaltung des öffentlichen Personennahverkehrs;
i) die Versorgung mit Grundgütern des täglichen Lebens, die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen und die Deckung eines dringenden Wohnbedürfnisses; dies jedoch nur dann, wenn diese Grundbedürfnisse nicht oder zumutbarer Weise nicht im nach §1 umschriebenen Gebiet gedeckt werden können;
j) die Wahrnehmung von unaufschiebbaren behördlichen oder gerichtlichen Wegen;
k) Schülerinnen und Schüler von Schulen gemäß dem Schulorganisationsgesetz, BGBl Nr 242/1962, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 19/2021, und dem Privatschulgesetz, BGBl Nr 244/1962, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 80/2020, sowie von land- und forstwirtschaftlichen Berufs- und Fachschulen gemäß dem Tiroler Landwirtschaftlichen Schulgesetz 2012, LGBl Nr 88/2012, zuletzt geändert durch das Gesetz LGBl Nr 90/2020, jedoch ausschließlich zum Zweck der Teilnahme am Unterricht an diesen Schulen (Hin- oder Rückfahrt); diese Ausnahme gilt sinngemäß für die Teilnahme am Unterricht an gleichartigen Schultypen im benachbarten Ausland;
l) Personen ohne Wohnsitz in dem im §1 umschriebenen Gebiet, bei denen vor der Rückreise zum Wohnsitz ein positives Ergebnis durch einen Antigen-Test auf SARS-CoV-2 oder einen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 festgestellt worden ist; dies jedoch nur unter der Voraussetzung, dass sie sich so schnell wie möglich – entweder allein mit einem Kraftfahrzeug oder im Rahmen eines gesicherten Transports – zum Zweck der behördlichen Absonderung zu einem Wohnsitz begeben.
(2) Im Fall einer behördlichen Überprüfung sind die Ausnahmegründe nach Abs1 glaubhaft zu machen.
§4
Nachweise
Als Nachweis im Sinn des §2 Abs1 lita und b sind jene Testergebnisse zu verstehen, die im Rahmen von Antigen-Tests oder molekularbiologischen Tests durch dazu befugte Stellen erlangt werden.
§5
Inkrafttreten, Außerkrafttreten
(1) Diese Verordnung tritt mit 31. März 2021 in Kraft und mit dem Ablauf des 14. April 2021 außer Kraft.
(2) §2 Abs2 gilt auch für Personen, deren Aufenthalt in dem im §1 umschriebenen Gebiet vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung begonnen hat."
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Der Antragsteller legt seine unmittelbare Betroffenheit und seine Bedenken gegen die angefochtene Verordnung wie folgt dar:
"2. Sachverhalt
Der Antragsteller wohnt im Bezirk Kufstein (Tirol). Der Antragsteller ist Landtagsabgeordneter, als solcher auch Mitglied im Ausschuss für Föderalismus und Europäische Integration des Tiroler Landtages und beteiligt sich als solcher an der gemeinsamen Willensbildung der Länder in Angelegenheiten der europäischen Integration (Tir Landesverfassungsgesetz vom 18. November 1992 über die Mitwirkung des Landes Tirol in Angelegenheiten der europäischen Integration, Tir LGBl 17/1993). Aufgrund seiner pflichtgemäßen Mandatsausübung als Abgeordneter zum Tiroler Landtag hat er wiederkehrend von seinem Wohnort nach Innsbruck anzureisen, neben ordentlichen und außerordentlichen Sitzungen des Tiroler Landtags und einzelner Ausschüsse etwa auch zu Klubsitzungen seines Landtagsklubs.
[…]
Mit der (hier nicht anfechtungsgegenständlichen) COVID-19-Virusvariantenverordnung des BMSGPK, die mit 12.02.2021 in Kraft trat, wurde ganz Tirol als 'Epidemiegebiet' deklariert (BGBl II 63/2021 idF BGBl II 85/2021, BGBl II 98/2021). Seit Inkrafttreten verpflichtete diese Norm dazu, vor jeder Ausreise aus Tirol die Vornahme eines bestimmten Antigen- oder PCR-Tests zu dulden, sodann sich das Testergebnis bestätigen zu lassen, dieses bei einer geplanten Ausreise mitzuführen und bei einer Kontrolle vorzuweisen. Andernfalls ist eine Ausreise unzulässig.
Die COVID-19-Virusvariantenverordnung des BMSGPK mit Geltungsanspruch für das Bundesland Tirol trat mit 10.03.2021 außer Kraft, wurde aber in weiterer Folge funktional durch Nachfolgeverordnungen anderer Behörden ersetzt, die bisweilen für die Tiroler Landesgrenzen und bisweilen für einzelne Bezirksgrenzen Geltung beanspruchten.
Am 29.3.2021 wurde die (hier nicht anfechtungsgegenständliche) Verordnung des Landeshauptmanns vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID-19-Virusvariante B.1.1.7/E484K betreffend die Ausreise aus Tirol kundgemacht und für den Geltungszeitraum zwischen 31.3.2021 und 14.4.2021 in Kraft gesetzt (Tir LGBl 51/2021). Diese Verordnung wird beim Verlassen Tirols, also für Personen wirksam, die die Tiroler Landesgrenzen nach außen hin überschreiten (§2 leg cit).
[…]
Am 30.3.2021 wurde sodann die (hier anfechtungsgegenständliche) 'Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID-19-Virusvariante B.1.1.7/E484K betreffend die Ausreise aus dem politischen Bezirk Kufstein', GZ: KU-INF-309/788-2021, im Amtsblatt der Behörden, Ämter und Gerichte Tirols ('Bote für Tirol') kundgemacht und für den Zeitraum zwischen 31.3.2021 und 14.4.2021 in Geltung gesetzt. Weitere Kundmachungen der Verordnung erfolgten etwa via Veröffentlichung im Internet (https://www.tirol.gv.at/gesundheitvorsorge/infekt/coronavirus-covid-19-informationen/ausreise-aus-dem-bezirk-kufstein/) und an den Amtstafeln der Gemeinden im Bezirk. Diese Verordnung wird aktuell beim Verlassen des Bezirks Kufstein wirksam, also für Personen wie den Antragsteller, die die Bezirksgrenzen reisebedingt von Kufstein nach außen hin überschreiten (§2 leg cit).
[…]
4. Unmittelbare Betroffenheit, Aktualität und Umwegunzumutbarkeit
Der Antragsteller ist durch die angefochtene Verordnung in seiner Rechtssphäre,
insbesondere
? in seinem Grundrecht auf Bewegungsfreiheit bzw Freizügigkeit der Person (Art4 Abs1 StGG und Art2 Abs1 4. ZPEMRK),
? in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art3 GRC),
? in seinem Grundrecht auf freie Mandatsausübung als Abgeordneter (Art31 Abs1 Tiroler Landesordnung 1989, LGBl 61/1988),
? in seinem Grundrecht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, das auch vor willkürlicher Gesetzesanwendung schützt (Art2 StGG 1867, Art7
B-VG),
persönlich, unmittelbar, nachteilig und aktuell betroffen.
Um sowohl den Anforderungen der angefochtenen Verordnung als auch seinen mandatsbezogenen Rechten und Pflichten zu entsprechen, hat sich der Antragsteller bei jeder Ausreise von seinem Wohnort nach Innsbruck einer Testung zu unterziehen. Der Antragsteller hat nach dieser Rechtslage nur die Möglichkeit, entweder auf seine grundrechtlich geschützte Bewegungsfreiheit im gesamten Bundesgebiet (und damit auf die Wahrnehmung seiner Teilnahme-, Rede- und Stimmrechte im Tiroler Landtag) zu verzichten oder aber wiederkehrende Testpflichten (und damit zugleich gesetzeswidrige, sachwidrige, willkürliche und unzumutbare Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit vor Überschreitung der Bezirksgrenze Kufstein) zu dulden.
'Antigen-Tests auf SARS-CoV-2' oder 'molekularbiologische Tests auf SARS-CoV-2' die 'durch dazu befugte Stellen erlangt werden' können, sind mit schmerzhaften körperlichen Eingriffen verbunden, bei denen körpereigenes Untersuchungsmaterial aus der Nase entnommen werden muss. Bei der Probenentnahme kann eine Verletzung der Schleimhäute zu Nasenbluten führen. Vereinzelt führten Fehler auch zum Austritt von Hirnflüssigkeit (https://jamanetwork.com/journals/jamaotolaryngology/article-abstract/2771362).
Angesichts der den Antragsteller betreffenden, aktuell wirksamen Verbotsbestimmungen sowie der damit verbundenen gesetzlichen Strafdrohungen einerseits, der wiederkehrenden mandatsbedingten Ausreiseverpflichtungen aus dem Bezirk Kufstein andererseits, sind die angefochtenen Bestimmungen für den Antragsteller bereits tatsächlich und ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder Erlassung eines Bescheides wirksam geworden.
Die Aktualität der Betroffenheit geht nach gefestigter, zutreffender Rechtsprechung des VfGH auch nicht dadurch verloren, dass die betreffenden Bestimmungen womöglich zum Zeitpunkt einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes schon wieder außer Kraft getreten sind bzw bereits durch neuere Bestimmungen ersetzt wurden (VfGH-E 14.7.2020, V411/2020; 1.10.2020, V405/2020 ua). Das fortgesetzte Rechtsschutzinteresse des Antragstellers kann auch in einem absehbar späteren Entscheidungszeitpunkt noch nicht weggefallen sein, da fortlaufende Änderungen derartiger COVID-19-Maßnahmen der Gesundheitsbehörden ('Verschärfungen' bzw 'Lockerungen') stets die Möglichkeit einschließen, die angefochtenen Regelungen zu verlängern, auf diese neu zurückzukommen und diese neuerlich in dieser oder in ähnlicher Form zu erlassen.
Ein anderer zumutbarer Weg zur Normenkontrolle ist nach geltender Rechtslage nicht gegeben. Der denkmögliche Umweg, die angefochtenen Bestimmungen zu missachten, so ein Straferkenntnis zu provozieren und dieses dann im Rechtsweg zu bekämpfen, ist dem Antragsteller nicht zumutbar (stRsp; vgl VfGH-E 01.10.2020, V405/2020 ua)."
2. In der Sache bringt der Antragsteller die Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Verordnung sowie einen Verstoß gegen das Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art2 StGG sowie Art7 B-VG, auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art3 GRC, auf Freizügigkeit gemäß Art4 StGG sowie Art2 Abs1 4. ZPEMRK und auf "freie Mandatsausübung als Landtagsabgeordneter" vor. Hiezu führt der Antragsteller Folgendes aus:
"5. Gesetzeswidrigkeit der Verordnung
5.1. Vorbemerkung
Die Verordnung ist aus mehreren Gründen gesetzeswidrig. §24 Epidemiegesetz ermächtigt ausschließlich die zuständige Behörde dazu, Verkehrsbeschränkungen zu verfügen, sofern dies zum Schutz vor der Weiterverbreitung meldepflichtiger Krankheiten unbedingt erforderlich ist.
5.2. Unzuständigkeit der belangten Behörde
§43a Abs1 bis 3 Epidemiegesetz (zuletzt geändert durch BGBl I 104/2020) lautet:
[…]
Die Zuständigkeit der belangten Behörde setzt gemäß §43a Abs3 Epidemiegesetz voraus, dass keine Verordnungen von übergeordneten Gesundheitsbehörden (BMSGPK oder LH von Tirol) erlassen wurden. Die erste Zuständigkeitsalternative ist nicht erfüllt (vgl die 4. COVID-19-SchuMaV des BMSGPK, BGBl II 58/2021 [zuletzt geändert durch BGBl II 147/2021] sowie die VO des Landeshauptmanns vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID-19-Virusvariante B.1.1.7/E484K, Tir LGBl 51/2021).
Die zweite Zuständigkeitsalternative erlaubt der belangten Behörde (ausschließlich) die Festlegung 'zusätzlicher Maßnahmen zu Verordnungen nach Abs1 oder 2'.
Tatsächlich regelt die angefochtene Verordnung der belangten Behörde aber keine solche 'zusätzliche Maßnahme', sondern sachlich ein- und dieselbe Maßnahme wie die VO des LH Tirol (LGBl 51/2021); beide Verordnungen regeln eine Testpflicht vor Ausreise aus einem 'Epidemiegebiet'. Die Geltungsbereiche der Verordnungen sind nicht nur im zeitlichen Geltungsbereich ident, sondern sind auch teilweise räumlich ident, dort, wo der Grenzverlauf des Bezirks ident ist mit der Tiroler Landesgrenze (und der österreichischen Staatsgrenze).
Wollte man aber – umgekehrt – bestimmte Gesichtspunkte betonen, wonach eben sehr wohl 'zusätzliche' (nämlich: 'andere') Maßnahmen verordnet worden wären und dies auch gesetzeskonform sei, werden hierdurch die rechtlichen Bedenken gegen die Zuständigkeit der belangten Behörde nicht beseitigt, sondern verstärkt:
Unterstellt man nämlich die Zuständigkeit der belangten Behörde, 'zusätzliche' ('andere') Ausreisepflichten für den Bezirk Kufstein erlassen zu dürfen, während der LH von Tirol als übergeordnete Gesundheitsbehörde eine Ausreisepflicht für ganz Tirol verordnet hat, schließt diese Zuständigkeit denklogisch auch ein gesetzesgebundenes Ermessen der belangten Behörde mit ein, 'zusätzliche Maßnahmen' in Form geeigneter strengerer Mittel zu erlassen (beispielsweise ein striktes Ausreiseverbot oder eine behördlich überwachte Quarantäne an der Bezirksgrenze ohne die Möglichkeit eines 'Freitestens'). Ist aber die gesetzliche Zuständigkeitsregelung für 'zusätzliche Maßnahmen' tatsächlich in diesem Sinn auszulegen, stellt sich die Frage, welche Regelung für die gemeinsame Bezirks- und Landesgrenze dann zur Anwendung gelangt, wenn ein negatives Testergebnis vorgewiesen werden kann: Die Zulässigkeit des Grenzübertritts gemäß der Verordnung des LH oder die Unzulässigkeit des Grenzübertritts gemäß der Verordnung der BH?
Zur Auflösung dieser Zuständigkeitskonkurrenz kommen zwei Alternativen in Betracht, die jeweils beide zur Aufhebung der angefochtenen Verordnung für den Antragsteller führen:
? §43a Abs3 Epidemiegesetz kann vor seiner Anwendung verfassungskonform dahingehend interpretiert werden, dass der Begriff der 'zusätzlichen Maßnahmen' eingeschränkt ausgelegt wird. Demgemäß ist aber die angefochtene Verordnung am Maßstab des Gesetzes aufzuheben (etwa weil sie keine 'zusätzliche Maßnahme' enthält, sie die Tiroler Landesgrenze nicht vom Geltungsbereich ausnimmt o. dgl.).
? §43a Abs3 Epidemiegesetz kann nicht verfassungskonform interpretiert werden, sondern ist verfassungswidrig, weil die Behördenzuständigkeiten nicht klar voneinander abgegrenzt sind, der Begriff der 'zusätzliche Maßnahme' unbestimmt bzw die Regelung mit dem Legalitätsprinzip unvereinbar ist. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verpflichtet Art18 (iVm Art83 Abs2) B-VG den Gesetzgeber zu einer – strengen Prüfungsmaßstäben standhaltenden – präzisen Regelung der Behördenzuständigkeit (vgl VfSlg 3994/1961, 5698/1968, 9937/1984, 10.311/1984, 13.029/1992, 13.816/1994, 16.794/2003, 17.086/2003, 18.639/2008, 19.970/2015; zuletzt VfGH-E vom 10.3.2021, G380/2020-17 ua).
Im Hinblick auf die letztgenannte Auslegungsalternative, die dem Antragsteller plausibler erscheint, wird daher
angeregt,
angesichts der Präjudizialität für das Verordnungsprüfungsverfahren von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren gemäß Art140 Abs1 litb B-VG einzuleiten, dies zu Zwecken der Prüfung der Verfassungskonformität des die Zuständigkeit der belangten Behörde begründenden §43a Abs3 Epidemiegesetz 1950 (BGBl I 104/2020) bzw dessen Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip und der damit verbundenen Verpflichtung des einfachen Gesetzgebers zur präzisen Regelung der Behördenzuständigkeit (Art18 B-VG).
Eine verfassungsgerichtliche Klärung der Abgrenzung von Behördenzuständigkeiten in COVID-19-Fragen ist auch österreichweit relevant, zumal beispielsweise die aktuell geltende Fassung der 4. COVID-19-SchuMaV des BMSGPK, BGBl II 58/2021 [zuletzt geändert durch BGBl II 147/2021] regionale Sonderregelungen für Vorarlberg (§24 leg cit), aber auch für Burgenland, Wien und Niederösterreich enthält (§25 leg cit). Auch diese Arrogation des BMSGPK führt zu der Folgefrage, inwiefern die nachgeordneten Gesundheitsbehörden der betreffenden Bundesländer sodann nach eigenem Ermessen 'zusätzliche Maßnahmen' verordnen können (bzw je nach regionaler Entwicklung der Lage: verordnen müssen).
5.3. Keine meldepflichtige Krankheit
Meldepflichtige Krankheiten sind in §1 Abs1 Epidemiegesetz aufgezählt. Auf Grund des §1 Abs2 Epidemiegesetz 1950 wurde mit BGBl II 15/2020 die 'Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020' kundgemacht: 'Der Anzeigepflicht nach dem Epidemiegesetz 1950 unterliegen Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an 2019-nCoV ('2019 neuartiges Coronavirus').' Weitere Verordnungen existieren nicht. Inwiefern eine Verordnung, die ihrem Titel zufolge 'anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020' regelt, im Jahr 2021 überhaupt noch relevant sein kann, sei dahingestellt. Nach der aktuellen Gesetzeslage ist 'SARS-CoV-2', auf das sich die Testpflicht beziehen will, keine anzeigepflichtige Krankheit im Sinne des §1 Epidemiegesetzes.
5.4. Keine unbedingte Erforderlichkeit einer Quarantäne über Kufstein
Auch eine 'unbedingte Erforderlichkeit' im Sinne des §24 Epidemiegesetzes, die wohl im Sinne einer 'Unerlässlichkeit' zum Schutz vor Weiterverbreitung einer Krankheit zu verstehen ist, besteht nicht. Um die Verordnung in Bezug auf dieses Tatbestandsmerkmal dennoch rechtfertigen zu wollen, kommen abstrakt nur zwei Argumentationsansätze in Frage. Der erste Argumentationsansatz besteht in der beabsichtigten Verhinderung der Weiterverbreitung von 'SARS-CoV-2' allgemein. Insoweit war schon die isolierte Einstufung von Tirol als 'Epidemiegebiet' schon deshalb willkürlich, weil Tirol verglichen mit anderen Bundesländern, die nicht als 'Epidemiegebiet' eingestuft wurden (etwa: Wien: 278,5; Kärnten: 213,8; Oberösterreich: 203,7) eine relativ niedrige 7-Tages-Inzidenz aufweist (nämlich ca 193,5), was sich auch in relativ niedrigen Hospitalisierungszahlen widerspiegelt. Der Bezirk Kufstein zeigte wiederum – verglichen mit anderen Tiroler Bezirken – eine unterdurchschnittliche Inzidenz (ca. 187,7). Es kann daher evidenzbasiert nicht ansatzweise dargelegt werden, dass Kufstein in Relation zu Restösterreich eine problematische Entwicklung gezeigt hätte, die Ausreiseverbote auf Basis einer Grundrechts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung rechtfertigen könnten.
[…]
Der zweite Ansatz besteht in der argumentativen Hervorhebung des Schutzes vor einer als 'B.1.1.7/E484K' bezeichneten 'Mutation' des 'SARS-CoV-2'-Virus. Bekanntlich mutieren Coronaviren fortwährend, ohne dass damit eine Aussage darüber getroffen werden kann, dass diese hierdurch gefährlicher werden. Tatsächlich ist diese Mutation nicht gefährlicher als andere Virusmutationen von 'SARS-CoV-2', sie führt auch nicht zu überdurchschnittlich schwereren Krankheitsverläufen. Selbst wenn ein solcher Unterschied gegeben wäre, wofür es keine Evidenz gibt, müsste die besondere Relevanz einer bestimmten Mutante zumindest ansatzweise dem §1 Abs1 Epidemiegesetz oder einer Verordnung des BMSGPK gemäß §1 Abs2 Epidemiegesetz zu entnehmen sein. Nach geltendem Recht ist diese Virusvariante aber nicht anders zu behandeln wie sonstige Erscheinungsformen von 'SARS-CoV-2'.
Mutationen wie 'B.1.1.7/E484K' sind auch nicht auf den Bezirk Kufstein oder andere Bezirke beschränkt. Bezirksweite Verkehrsbeschränkungen in Bezug auf Kufstein sind vor diesem Hintergrund per se kein geeignetes Mittel zu deren Eindämmung.
Das gilt umso mehr, als justament die Einreise nach Tirol und im Speziellen auch die Einreise von angrenzenden Bezirken in den Bezirk Kufstein keinen ähnlichen Beschränkungen unterliegt, also das Virus – einschließlich dieser Mutation – ständig wieder von außen neu eingeschleppt werden kann. Hier mangelt es an einer klaren Ziel-Mittel-Relation.
Im Sinne der §§1, 24 Epidemiegesetz kann jedenfalls auf Basis der tatsächlichen Lageentwicklung von einer 'unbedingten Erforderlichkeit' der angefochtenen Verordnung in Bezug auf die Verbreitung von 2019-nCoV ('2019 neuartiges Coronavirus') keine Rede sein.
5.5. Verkehrsbeschränkungen rechtfertigen keinen Testzwang
Vor der COVID-19-Pandemie bestand unter Verfassungsjuristen weitgehend Einvernehmen darin, dass der staatliche Zwang zur Duldung intensiver körperlicher Eingriffe – auch durch medizinisches Fachpersonal – einer besonderen verfassungsgesetzlichen Ermächtigung bedarf (vgl etwa zur Blutabnahme §5 Abs6 und 10 iVm §99 Abs1 litc StVO).
Die angefochtene Verordnung bewegt sich mit ihrer Testpflicht im gesetzesfreien Raum. Selbst wenn temporäre Verkehrsbeschränkungen an einer Bezirksgrenze evidenzbasiert gesetzeskonform erlassen werden könnten, dürfen diese nicht mit der Vorlagepflicht von sachlich unzuverlässigen, in Bezug auf die Infektiösität nicht aussagekräftigen PCR- oder Antigen-Testergebnissen (anstelle einer einfachen Untersuchung auf Krankheitssymptome vor Grenzübertritt oder, sofern es die Lage erfordert, einer ausnahmslosen Ausreisesperre) bei sonstigem Ausreiseverbot verknüpft werden.
Der Testzwang befördert zwar kommerzielle Interessen der Anbieter derart unzuverlässiger Tests sowie das Bestreben der österreichischen Bundesregierung, im internationalen Vergleich zum COVID-19-Testweltmeister zu avancieren. Diese Sonderverpflichtung hat aber keine gesetzliche Grundlage in der im Anfechtungszeitpunkt geltenden Fassung des §24 Epidemiegesetz. Derartiges ist mit dem Legalitätsprinzip (Art18 B-VG) unvereinbar.
5.6. Keine Prüfung auf Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn
Die belangte Behörde hat offenkundig die außer Kraft getretene COVID-19-VvV des BMSGPK geringfügig modifiziert und sinngleich für den Bezirk Kufstein übernommen. Sie folgte damit zentralen Vorgaben des BMSGPK und hat es unterlassen, in diesem grundrechtssensiblen Bereich eine eigenständige Prüfung der in Aussicht genommenen Regelung durchzuführen, eine Abwägung mit allen davon betroffenen Grundrechten der Rechtsunterworfenen vorzunehmen, nach Gewichtung eine nachvollziehbare und evidenzbasierte Entscheidung zu treffen und die Gesetzes- und Verfassungskonformität der Maßnahme stichhaltig zu begründen.
6. Verfassungswidrigkeit der VO
6.1. Verletzung im Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art2 StGG 1867, Art7 B-VG) Die Testpflicht ist auch – aus mehreren Gründen – verfassungswidrig, sie ist im Sinne der ständigen Rechtsprechung des VfGH zum Gleichheitsgebot unsachlich, ja geradezu willkürlich (Art2 StGG 1867, Art7 B-VG).
Selbst wenn man akzeptieren wollte, dass sich – ungeachtet aller bundesweit verordneten COVID-19-Maßnahmen (Maskenpflicht, Abstandsgebot usw) – kerngesunde Personen vor der Staatsmacht zu rechtfertigen und einen Nachweis mitzuführen haben, wonach von Ihnen 'eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr' ausgeht (vgl etwa §1 Abs5 Z5 COVID-19-Maßnahmengesetz), so ist es willkürlich, diesen Nachweis justament auf 'Antigen-Tests auf SARS-CoV-2' oder 'molekularbiologische Tests auf SARS-CoV-2' zu reduzieren, anstelle tatsächlich geeignete Nachweise über eine kürzlich überstandene Erkrankung oder eine Impfung und eine damit tatsächlich verbundene geringe Infektiösität ebenso zu akzeptieren.
So wurde beispielsweise auf der Webseite des BMSGPK noch bis vor kurzem die stark begrenzte Aussagekraft derartiger Tests für gesunde Personen hervorgehoben:
'Ich gehöre einer Risikogruppe an und fühle mich gesund – brauche ich einen Test?
Nein.
Ein PCR-Test sollte nur bei Krankheitszeichen zur Klärung der Ursache durchgeführt werden, bei einer gesunden Person hat ein PCR-Test nur eine sehr begrenzte Aussagekraft. (Auch ein negatives Ergebnis kann eine Infektion nicht mit Sicherheit ausschließen.) Wenn man gesund ist, sich aber noch in der Inkubationszeit befindet, sagt ein negativer Test auf COVID-19 nichts darüber aus, ob man doch noch krank werden kann. Ein PCR-Test stellt daher keinesfalls eine Schutzmaßnahme dar. Personen, die der Risikogruppe angehören, brauchen daher nicht getestet werden, wenn sie sich gesund fühlen. Das gilt auch für deren Bezugspersonen. Schutzmaßnahmen, wie zB regelmäßiges Händewaschen, auf Händeschütteln und Umarmen verzichten und Abstand halten, sind unbedingt zu beachten!'
- Quelle: https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus—Haeufig-gestellte-Fragen/FAQ–Testungen-und-Quarantaene.html | Stand 17.09.2020 (zuletzt abgerufen am 05.02.2021)
Diese behördliche Stellungnahme wurde mittlerweile gelöscht, weil sie mit de[m] von der Bundesregierung willkürlich forcierten Konzept des 'Freitestens' nicht mehr im Einklang stand. An der medizinischen Richtigkeit dieser Aussagen ändert dies nichts. Derartige Testpflichten sind ungeeignet zur Zielerreichung.
Die fehlende Geeignetheit der PCR- und Antigentests zur Bestimmung der Ansteckungsgefahr einer Person ist nicht etwa eine Behauptung irgendwelcher radikalen Maßnahmengegner, sondern entspricht den Richtlinien der WHO und der tatsachen- und evidenzbasierten Rechtsprechung österreichischer Gerichte (vgl etwa LVwG Wien, VGW-103/048/3227/2021-2). Selbst bei Patienten mit gesicherter COVID-19-Infektion führen Testungen nur bei 32–63 % zu einem positiven Ergebnis (OGH 23.09.2020, 7 Ob 151/20m).
Die Willkür der Zwangstestungen gilt umso mehr in Ansehung einer relativ hohen Anzahl an Ausnahmebestimmungen für Personen und Fallkonstellationen, in denen kein vorheriger Test verlangt wird. So werden etwa für die Versorgung mit 'Waren des täglichen Bedarfes einschließlich periodischen Druckwerken', die 'Aufrechterhaltung des Lieferverkehrs zwischen Betrieben und Betriebsstätten von Betrieben', für Schülertransporte oder für den 'Betrieb und die Aufrechterhaltung des öffentlichen Personennahverkehrs' allgemein breitflächig Ausnahmen von der Testpflicht vorgesehen, also sogar überall dort, wo nachweislich Ansteckungen stattfinden. Selbst wenn man also im Prinzip (fiktiv) die Sachlichkeit und Geeignetheit einer Verknüpfung von Ausreisebeschränkung mit Testpflichten anerkennen will, wird mit dieser Verordnung, die von willkürlich privilegierten Gruppen keine solche Testpflicht abverlangt – bildlich gesprochen – das Fenster geschlossen und zugleich die Fensterscheibe eingeschlagen.
Aufgrund dieser offenkundigen Unsachlichkeit und Willkür verletzt die angefochtene VO den Antragsteller in seinen Grundrechten gemäß Art2 StGG 1867 und Art7 B-VG.
6.2. Verletzung im Recht auf freie Mandatsausübung als Landtagsabgeordneter
Die Abgeordneten des Tiroler Landtages sind bei der Ausübung ihres Mandates an keinen Auftrag gebunden (Art31 Abs1 Tiroler Landesordnung 1989, LGBl 61/1988), Die verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit des Antragstellers von behördlichen Aufträgen, wie etwa die Duldung eines medizinischen Eingriffs in Form einer schmerzhaften (und unzuverlässigen) Testung unter sonstiger Strafdrohung vor Anreisen vom Wohnort und Wahlkreis des Antragstellers in den Tiroler Landtag, ist daher mit dem Wortlaut und dem Telos eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf freie Mandatsausübung unvereinbar (vgl dazu etwa Koja, Das freie Mandat des Abgeordneten [1971], insbes. S. 14 ff. Adamovich/Funk/Holzinger, Österreichisches Staatsrecht Bd. 2 [1998], 66 f; Wieser, Art56 Abs1 B-VG in: Korinek/Holoubek [Hg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht).
6.3. Verletzung im Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art3 GRC ua)