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82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerordnungLeitsatz
Kein Verstoß gegen das Recht auf Freizügigkeit durch das Verbot des Verlassens von Teilen Tirols (Bezirk Schwaz) durch die COVID-19-MaßnahmenV auf Grund der dort verbreiteten (Südafrikanischen) COVID-19-Virusvariante B.1.351; Verkehrsbeschränkung zur Verhinderung der Verbreitung der Virusvariante zum Schutz von Personen außerhalb des Epidemiegebietes "unbedingt erforderlich" und innerhalb des Ermächtigungsumfangs des EpidemieG 1950; Ausreiseverordnung innerhalb des Einschätzungs- und Prognosespielraums des für die Erlassung der Verordnung zuständigen Bezirkshauptmanns; Sachlichkeit und Zumutbarkeit des Nachweises eines negativen Testergebnisses auch für genesene und geimpfte PersonenRechtssatz
Abweisung von Individualanträgen auf Aufhebung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Schwaz vom 09.03.2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 betreffend die Ausreise aus dem politischen Bezirk Schwaz" (Ausreiseverordnung), SZ-EPI-9/21-2021-1 idF SZ-EPI-9/21-2021-2.
Die angefochtenen Verordnungsbestimmungen stellen eine Ausreisebeschränkung für Personen mit Wohnsitz bzw Aufenthalt im politischen Bezirk Schwaz - mit Ausnahme des Rißtals im Gemeindegebiet Vomp und Eben am Achensee - iSd §24 erster Satz EpiG idF BGBl I 33/2021 dar. Hintergrund der angefochtenen Verordnungsbestimmungen war - wie im Verordnungsakt hinreichend dokumentiert und in der Äußerung des Bezirkshauptmannes Schwaz nachvollziehbar begründet wird - das zunehmende Auftreten neuer Varianten von COVID-19 im Bundesland Tirol. Der Bezirkshauptmann des politischen Bezirks Schwaz erließ die angefochtenen Verordnungsbestimmungen zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der im Zeitpunkt der Verordnungserlassung und im gesamten Geltungszeitraum der angefochtenen Verordnungsbestimmungen im politischen Bezirk Schwaz aufgetretenen (Virus-)Mutation von COVID-19 "B.1.351" (auch bezeichnet als "südafrikanische Mutation"). Wie sich aus dem vorgelegten Verordnungsakt ergibt, berücksichtigte der Bezirkshauptmann des politischen Bezirks Schwaz im Rahmen seiner Entscheidung über die Verhängung der Verkehrsbeschränkung nach §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 unter anderem die von der Landessanitätsdirektion des Amtes der Tiroler Landesregierung zur Verfügung gestellten Infektionszahlen im politischen Bezirk Schwaz, die auf eine Ausweitung der - als erhöht ansteckend eingestuften - Virusmutation B.1.351 hinwiesen. Der Bezirkshauptmann des politischen Bezirks Schwaz erließ die angefochtene Ausreisebeschränkung als Teil eines Maßnahmenpaketes zur Bekämpfung der (Weiter-)Verbreitung von COVID-19, das unter anderem ein verstärktes Testangebot (zB PCR-Gurgeltests, Testschwerpunkte in Schulen in Gemeinden mit hohen Infektionszahlen, kostenlose Betriebstestungen), verstärkte gesundheitsbehördliche und polizeiliche Kontrollen der Einhaltung von COVID-19-Schutzvorschriften, Contact-Tracing und Absonderungen von Verdachtsfällen umfasste. Aus dem Verordnungsakt geht hervor, dass der Verordnungsgeber die angefochtene Verkehrsbeschränkung anhand der Entwicklung der Infektionszahlen in regelmäßigen Abständen evaluierte und die Notwendigkeit der Verkehrsbeschränkung während des Geltungszeitraums der Ausreiseverordnung laufend überprüfte.
Kein Verstoß gegen das Recht auf Freizügigkeit:
Verkehrsbeschränkungen dürfen nur zum Schutz vor der (Weiter-)Verbreitung einer meldepflichtigen Krankheit nur vorgesehen werden, soweit sie im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens der Krankheit "unbedingt erforderlich" sind. Die Frage, ob die angefochtenen Verordnungsbestimmungen ihre gesetzliche Grundlage in §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 finden, ist somit im Lichte des Art4 Abs1 StGG und Art2 4. ZPEMRK zu beurteilen.
Die angefochtenen Verordnungsbestimmungen werden dem im Lichte der Anforderungen des Art4 Abs1 StGG und Art2 4. ZPEMRK zu verstehenden §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 gerecht. Die Verkehrsbeschränkung bei der Ausreise aus dem Bezirk Schwaz dient dem Ziel des Gesundheitsschutzes, nämlich der Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung von COVID-19 (bzw sämtlicher Virusmutationen), im Sinne des Art2 Abs3 4. ZPEMRK. Der in §2 Ausreiseverordnung für die Überschreitung der Grenzen des politischen Bezirks Schwaz (bzw Teilen davon) verlangte Nachweis eines negativen Ergebnisses eines Antigen-Tests oder eines molekularbiologischen Tests auf COVID-19, der nicht mehr als 48 bzw 72 Stunden zurückliegen durfte, ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet: Der VfGH geht - anders als die Antragsteller - davon aus, dass der in §2 Ausreiseverordnung verlangte Nachweis des Infektionsstatus anhand eines hinreichend aktuellen Testergebnisses einer hiezu befugten Stelle ein geeignetes Mittel ist, um die Ausreise von mit COVID-19 infizierten Personen hintanzuhalten und damit die (Weiter-)Verbreitung des Virus einzudämmen. Daran vermag auch der Ausnahmenkatalog in §3 Ausreiseverordnung nichts zu ändern: Die in §3 Ausreiseverordnung aufgelisteten Ausnahmetatbestände von der Nachweispflicht eines gültigen negativen Testergebnisses auf COVID-19 bei der Ausreise aus dem politischen Bezirk Schwaz (bzw Teilen davon) stellen allesamt auf den dringenden Bedarf der Überschreitung der Bezirksgrenzen bzw die Aufrechterhaltung des Versorgung des betroffenen (Epidemie-)Gebietes ab. Die im Übrigen geltende Verpflichtung zur Vorlage eines gültigen Nachweises des negativen Infektionsstatus bei der Ausreise ist auch im Hinblick auf die in §3 Ausreiseverordnung bestimmten Ausnahmen geeignet, die (Weiter-)Verbreitung von COVID-19 (bzw der Virusmutation B.1.351) über die Grenzen des politischen Bezirks Schwaz einzudämmen.
Im Verordnungsakt und in der Äußerung des Bezirkshauptmannes des politischen Bezirks Schwaz ist nachvollziehbar dargelegt, dass zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung und während der Geltungsdauer der angefochtenen Ausreiseverordnung(en) von einem erhöhten Auftreten der Virusmutation B.1.351 im politischen Bezirk Schwaz (bzw in Teilen desselben) auszugehen war. Die mit der "Testpflicht" für die Ausreise gemäß §2 Ausreiseverordnung verbundene Einschränkung der Freizügigkeit der im umfassten Gebiet wohnhaften bzw aufhältigen Personen ist im Lichte des verfolgten Ziels der Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung dieser Virusmutation verhältnismäßig. Zunächst handelt es sich bei der in §2 Ausreiseverordnung vorgesehenen Verpflichtung zum Nachweis eines negativen Testergebnisses auf COVID-19 bei der Ausreise aus dem politischen Bezirk Schwaz (bzw Teilen davon) um keinen schwerwiegenden Eingriff in Art4 Abs1 StGG und Art2 Abs1 4. ZPEMRK, zumal die Bewegungsfreiheit für Bewohner bzw Aufhältige innerhalb des Bezirks von der Ausreisebeschränkung unberührt blieb. Der gemäß §2 Ausreiseverordnung für die Ausreise verlangte Nachweis eines negativen Antigen- bzw molekularbiologischen Testergebnisses auf COVID-19 ist im Hinblick auf die Verfügbarkeit solcher Tests, die angewendeten (Test-)Verfahren, die Dauer der Gültigkeit des Nachweises über das negative Testergebnis und die Ausnahmetatbestände in §3 Ausreiseverordnung gerechtfertigt.
Die Verhängung der zeitlich befristeten Ausreisebeschränkung erweist sich als verhältnismäßige Verkehrsbeschränkung. Die angefochtenen Verordnungsbestimmungen sind somit "unbedingt erforderlich" und damit rechtmäßig. Da zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der angefochtenen Verordnungsbestimmungen am 11.03.2021 weder der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz noch der Landeshauptmann von Tirol eine (Ausreise-)Verordnung nach §24 EpiG für den politischen Bezirk Schwaz erlassen hatte, war der Bezirkshauptmann des politischen Bezirks Schwaz zur Erlassung der angefochtenen Verordnungsbestimmungen gemäß §43a Abs3 EpiG jedenfalls zuständig.
Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz:
Wie der Bezirkshauptmann des politischen Bezirks Schwaz in seiner Äußerung nachvollziehbar begründet, war Hintergrund dafür, dass keine Ausnahme für Personen, die wegen einer überstandenen Erkrankung oder Impfung über Antikörper gegen COVID-19 verfügen, vorgesehen wurde, die Eigenschaft der im politischen Bezirk Schwaz auftretenden Virusmutationen. Es entsprach dem Wissensstand zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung, dass die Mutation von COVID-19 B.1.351 die Immunantwort genesener oder bereits gegen COVID-19 geimpfter Personen zu beeinträchtigen vermochte. Gerade im Hinblick auf die beobachteten Reinfektionen ist die Einbeziehung von Personen mit (neutralisierenden) Antikörpern gegen COVID-19 in die angefochtene Verkehrsbeschränkung sachlich begründet gewesen.
Kein Verstoß gegen die Erwerbs(ausübungs)freiheit:
Soweit die angefochtenen Verordnungsbestimmungen die Erwerbs(ausübungs)freiheit überhaupt berühren, überwiegt jedenfalls das Interesse am Gesundheitsschutz die mit dem Nachweis eines negativen Testergebnisses verbundenen allfälligen Beeinträchtigungen der Erwerbsausübung als Rechtsanwalt (in der Kanzlei in Innsbruck). Die in §3 Abs1 Ausreiseverordnung normierten Ausnahmen orientierten sich an den (unaufschiebbaren) Grundbedürfnissen der von der Ausreiseverordnung Betroffenen.
Kein Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens sowie auf körperliche Unversehrtheit:
Dem Vorbringen unter Art8 EMRK und Art3 GRC ist nicht zu folgen, weil die mit einem Antigen- bzw molekularbiologischen Test auf COVID-19 allenfalls verbundene Beeinträchtigung der physischen Integrität im Hinblick auf das verfolgte Ziel gerechtfertigt ist. Der Verordnungsgeber verhängte die angefochtene "Testpflicht" bei der Ausreise aus dem politischen Bezirk Schwaz (bzw Teilen davon) zum Schutz der Gesundheit anderer, in concreto zum Schutz vor einer Infektion mit COVID-19 bzw bestimmter Virusmutationen.
Kein Verstoß gegen das Recht auf freie Mandatsausübung als Mitglied des Bundesrats:
Im verlangten Nachweis eines gültigen negativen Testergebnisses im Hinblick auf COVID-19 für die Ausreise aus dem politischen Bezirk Schwaz (bzw Teilen davon) vermag der VfGH - auch im Hinblick auf die Zumutbarkeit des vorgesehenen Test(verfahren)s - keinen Verstoß gegen Art56 Abs1 B-VG zu sehen.
Entscheidungstexte
Schlagworte
COVID (Corona), Verordnung, Zuständigkeit, Geltungsbereich (örtlicher) einer Verordnung, Recht auf Freizügigkeit, Verhältnismäßigkeit, VfGH / Individualantrag, Erwerbsausübungsfreiheit, BundesratEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:V90.2021Zuletzt aktualisiert am
24.09.2021