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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz einer in Griechenland als Schutzberechtigte anerkannten Staatsangehörigen von Afghanistan; mangelhafte Ermittlungen zur Versorgung in Griechenland auf Grund der sich aus den Länderberichten ergebenden allgemeinen Situation von Schutzberechtigten in Griechenland; keine Feststellungen betreffend die Sicherstellung einer Unterkunft, von Nahrungsmitteln oder sanitären Einrichtungen im Falle einer RückkehrSpruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin ist eine Staatsangehörige Afghanistans und seit 12. November 2019 anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland. Am 13. Juli 2020 stellte sie einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und brachte zu ihrem Aufenthalt in Griechenland befragt unter anderem vor, dass das Flüchtlingsheim voll gewesen sei und sie deswegen mehrere Nächte auf der Straße bzw privat in überfüllten Häusern geschlafen habe.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2020 nach §4a AsylG 2005 als unzulässig zurück, sprach aus, dass sich die Beschwerdeführerin nach Griechenland zurückzubegeben habe, erteilte keinen Aufenthaltstitel nach §57 AsylG 2005, ordnete die Außerlandesbringung nach §61 Abs1 Z1 FPG an und stellte fest, dass die Abschiebung nach Griechenland gemäß §61 Abs2 FPG zulässig sei.
2. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 13. Jänner 2021 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.
Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr keine Verletzung ihrer nach Art3 EMRK bzw Art4 GRC gewährleisteten Rechte drohe, und führt dazu aus:
"Wie im angefochtenen Bescheid ausführlich dargelegt wurde, gewährleistet Griechenland grundsätzlich ausreichend Schutz für Flüchtlinge. Anerkannte Flüchtlinge erhalten eine erneuerbare Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre. Nach fünf Jahren Aufenthalt ist für einen anerkannten Flüchtling die Erteilung einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung möglich. Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte haben Anspruch auf die gleichen sozialstaatlichen Möglichkeiten wie griechische Staatsangehörige. Schutzberechtigte haben Zugang zum Arbeitsmarkt, zu medizinischer Behandlung und deren Kinder können die Schule besuchen. Zwar ist der gleichberechtigte Zugang zu sozialen Rechten wie für griechische Staatsangehörige in der Praxis durch verschiedene Faktoren erschwert, doch ergibt sich aus den Länderberichten, dass Schutzberechtigte in Bezug auf ihre Unterbringung und Versorgung etwa auch auf Hilfsangebote von NGOs zurückgreifen können.
[…]
Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die BF in Griechenland keinerlei Existenzgrundlage vorfinden und sich in einer Situation extremer materieller Not befinden würde. So ist zu bedenken, dass anerkannte Flüchtlinge bzw Personen mit einem Aufenthaltsrecht nach einer Übergangsphase der Unterstützung grundsätzlich gehalten sind, ihre Existenz - so wie auch alle Staatsbürger eines Landes - selbst zu erwirtschaften. Die BF hat zudem neben einer zwölfjährigen Schulbildung eine vierjährige universitäre Ausbildung durchlaufen und eine Berufsausbildung zur Dolmetscherin für die englische Sprache erworben. Im Hinblick auf die berufliche Qualifikation der BF ist davon auszugehen, dass es ihr als junger, gesunder Frau ohne jegliche Betreuungspflichten vergleichsweise leichter fallen dürfte, eine Erwerbstätigkeit zur Sicherung ihres Fortkommens aufzunehmen. Die aufgrund ihrer einschlägigen Qualifikation als erwiesen anzunehmende Sprachbegabung der BF sollte sich auch beim Erwerb der Landessprache als hilfreich erweisen.
Der Zugang zum Arbeitsmarkt steht rechtlich dauerhaft und legal im Land lebenden Personen und damit grundsätzlich auch Schutzberechtigten zu. Seit Juni 2018 wird auch für alle Schutzberechtigten eine Arbeitslosenkarte gestellt, die zur kostenlosen Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, kostenlosen Eintritt i[n] Museen, Ermäßigungen für Gas-[,] Wasser- und Stromrechnungen, Rabatte in einigen Restaurants, Mobilfunkangebote und ermäßigten beruflichen Fortbildungsmaßnahmen berechtigen. Weiters bieten einige NGOs punktuell Programme zur Fortbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche an. Anerkannte Schutzberechtigte haben seit 2013 Zugang zu Unterbringung unter den gleichen Bedingungen wie sich legal in Griechenland aufhaltende Drittstaatsangehörige. Es soll zwar nicht in Abrede gestellt werden, dass Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt und dem Gebiet der Wohnraumbeschaffung bestehen. Allerdings ist auch die einheimische Bevölkerung insofern mit minder günstigen Bedingungen konfrontiert und muss sich diesen stellen. Zu bedenken ist etwa, dass auch für die griechische Bevölkerung derzeit keine staatliche Sozialleistung zur Wohnungsunterstützung existiert."
3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) und im Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (Art3 EMRK), behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
Begründend führt die Beschwerde dazu im Wesentlichen und soweit für den vorliegenden Fall relevant (ohne den Hervorhebungen im Original) aus:
"Das BVwG scheint mit den vorstehenden Ausführungen zwar zuzugestehen, dass die BF im Ergebnis zur Sicherung ihrer Existenz auf Dauer keinen effektiven Zugang zu staatlichen Geldleistungen oder Unterstützungsleistungen in Bezug auf Wohnraum haben wird. Dem muss hinzugefügt werden, dass für die BF auch nicht – wie das BVwG vermeint [–] eine 'Übergangsphase der Unterstützung' ersichtlich oder ein Zurückgreifen auf 'Hilfsangebote von NGOs' möglich ist, da ein Neueintritt in das sogenannte 'Cash-Card-Programm' des UNHCR für bereits anerkannte Flüchtlinge nicht vorgesehen ist und auch kein Rechtsanspruch darauf besteht […]. Auch eine übergangsweise Aufnahme in einer Wohnung des UNHCR-Unterbringungsprogramms (ESTIA) ist für die BF nicht möglich, da dieses Angebot nur von anerkannten Flüchtlingen in Anspruch genommen werden kann, die bereits als Asylwerber dort untergebracht waren bzw nicht in einem anderen EU-Staat einen Zweitantrag gestellt haben […].
Das BVwG verweist die BF aber auch darauf, dass sie ihre Existenz – 'so wie auch alle Staatsbürger eines Landes' – selbst erwirtschaften könne. Dieser Argumentation fehlt jeglicher Begründungswert, führt das BVwG doch in seinen eigenen Länderfeststellungen aus, dass die Chancen zur Vermittlung eines Arbeitsplatzes gering seien. Die staatliche Arbeitsagentur OAED habe bereits für Griechen kaum Ressourcen für die aktive Arbeitsvermittlung und noch kein Programm zur Arbeitsintegration von Flüchtlingen aufgelegt. Die Arbeitschancen hätten sich, so das BVwG, durch die anhaltende Finanz- und Wirtschaftskrise allgemein deutlich verschlechtert […]. Dem BVwG ist auch anzulasten, dass es die Auswirkung der Corona-Pandemie auf den ohnehin schon prekären griechischen Arbeitsmarkt nicht geprüft hat, sondern sich darauf zurückzieht, dass '(a)uch in Österreich (...) die Arbeitslosenzahlen massiv angestiegen' seien und 'angesichts der aktuellen Situation und wiederholter Lockdowns ein weiterer Anstieg keinesfalls ausgeschlossen werden' könne […]. In diesem Zusammenhang ist auf das Urteil des deutschen Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21.01.2021 hinzuweisen, welches in Zusammenhang mit der (unzulässigen) Überstellung eines anerkannten Flüchtlings nach Griechenland ausführte, dass die Arbeitslosenquote in Griechenland im Jahr 2020 bei 19,88 % gelegen habe. Der am 07.11.2020 verfügte zweite Lockdown werfe die griechische Wirtschaft wieder weit zurück. Im dritten Quartal sei das BIP im Jahresvergleich um 11,7 % zurückgegangen. Das sei der heftigste Einbruch aller Staaten der Europäischen Union gewesen. 2020 seien die Urlauberzahlen in Griechenland um 80 % zurückgegangen (OVG Nordrhein-Westfalen vom 21.01.2021, Zl 11 A1564/20.A). Die BF hat zwar im Iran eine universitäre Ausbildung als Dolmetsch für die englische Sprache absolviert, hat diesen Beruf aber noch nie ausgeübt. Grundvoraussetzung für das Ausüben einer Dolmetsch-Tätigkeit in Griechenland ist außerdem das Beherrschen der griechischen Sprache, welches bei der BF nicht gegeben ist.
Angesichts des mangelnden Beherrschens der griechischen Sprache, des Fehlens von am griechischen Arbeitsmarkt anwendbarer beruflicher Qualifikationen und des für einen kürzlich anerkannten Flüchtlings typischen Fehlens privater Netzwerke erscheint es daher nahezu ausgeschlossen, dass die BF in einem überschaubaren Zeitraum im Falle einer Überstellung nach Griechenland in der Lage sein wird, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
Hinsichtlich des vom BVwG für die BF ins Auge gefassten Mietens einer Privatwohnung ist dem BVwG im Übrigen anzulasten, dass es diesbezüglich seine eigenen Länderfeststellungen übergangen hat, wonach '(d)as private Anmieten von Wohnraum für bzw durch anerkannte Schutzberechtigte (...) durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte und Studenten, sowie gelegentlich durch Vorurteile erschwert' werde […]. Damit übereinstimmend brachte die BF vor dem BFA vor, dass sie immer wieder privat in 'unterschiedlichen' Häusern schlafen habe müssen, die schnell überfüllt gewesen seien, und mehrere Nächte auf der Straße übernachten habe müssen […]."
4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
1. §4a des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 56/2018 lautet:
"Schutz im EWR-Staat oder in der Schweiz
§4a. Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, in welchen Staat sich der Fremde zurück zu begeben hat."
2. §61 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 24/2016 lautet:
"Anordnung zur Außerlandesbringung
§61. (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß §68 Abs1 AVG oder
2. er in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und dieser Mitgliedstaat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung dieses Antrages zuständig ist. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.
(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.
(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß §28 AsylG 2005 zugelassen wird."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
Gemäß §4a AsylG 2005 ist ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union zu Art33 Abs2 lita der Richtlinie 2013/32/EU zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. 2013 L 180, 60, hat eine Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz, weil bereits von einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz gewährt worden ist, allerdings dann zu unterbleiben, wenn die Lebensverhältnisse, die die antragstellende Partei in dem anderen Mitgliedstaat als anerkannter Flüchtling erwarten würde, sie der ernsthaften Gefahr aussetzten, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art4 GRC bzw des diesem entsprechenden Art3 EMRK zu erfahren (EuGH 13.11.2019, Rs C-540/17 ua, Hamed ua, Rz 43; ferner bereits EuGH 19.3.2019, Rs C-297/17 ua, Ibrahim ua, Rz 101).
Das mit der Rechtssache befasste Gericht – wie zuvor auch die befasste Behörde – trifft demnach die Verpflichtung, "auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen", die einer Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz entgegenstehen (EuGH, 19.3.2019, Rs C-163/17, Jawo, Rz 90 und EuGH, Ibrahim ua, Rz 88).
Diese "Schwachstellen" sind nur dann im Hinblick auf Art4 GRC bzw Art3 EMRK relevant, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen (EuGH, Jawo, Rz 91 mit Verweis auf EGMR 21.1.2011 [GK], Fall M.S.S./Belgien und Griechenland, Appl 30696/09), indem etwa "die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre" (EuGH, Jawo, Rz 92 und EuGH, Ibrahim ua, Rz 90).
4.1. Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Entscheidung, dass der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr keine gegen Art4 GRC bzw Art3 EMRK verstoßende Behandlung drohen werde, weitgehend auf die Gleichstellung von griechischen Staatsangehörigen und anerkannten Flüchtlingen und weist zudem pauschal auf Hilfsangebote von NGOs sowie darauf hin, dass die Beschwerdeführerin nach einer Übergangsphase der Unterstützung grundsätzlich gehalten sei, sich selbst ihre Existenz zu sichern, insbesondere sich selbst eine Unterkunft zu suchen.
Diese Begründung steht in einem deutlichen Spannungsfeld zu den allgemein die Situation für Schutzberechtigte in Griechenland beschreibenden, vom Bundesverwaltungsgericht auch wiedergegebenen Länderinformationen der Staatendokumentation (Stand 4. Oktober 2019, letzte Kurzinformation vom 19. März 2020), in denen zusammengefasst deren Situation folgendermaßen beschrieben wird:
"Schutzberechtigte sehen sich nicht nur mit fehlenden Möglichkeiten zur Integration in die griechische Gesellschaft konfrontiert, sondern auch oft mit unzulänglichen Lebensumständen und humanitären Standards, einer äußerst prekären sozioökonomischen Situation und kämpfen oft um ihr bloßes Überleben. Es bestehen weiterhin flächendeckende Defizite bezogen auf die Aufnahme, Versorgung und Integration von Schutzberechtigten. In der Praxis besteht für Flüchtlinge immer noch kein gesicherter Zugang zu Unterbringung, Lebensmittelversorgung, medizinischer und psychologischer Behandlung oder zum Arbeitsmarkt. Auf dem Festland sind Fälle bekannt, in denen anerkannte Flüchtlinge inoffiziell für einige Monate weiter in den Unterbringun[g]szentren bleiben durften und Bargeld erhielten wie Asylbewerber. Jedoch wurden für sie keine weiteren Integrationsmaßnahmen ergriffen. Sie erhielten keinen Zugang zu entsprechenden Informationen oder Unterstützung bei der Integration (Pro Asyl/RSA 8.2018). Besondere staatliche Hilfsangebote für anerkannte Schutzberechtigte neben dem allgemeinen staatlichen Sozialsystem bestehen nicht. […]
Gemäß Gesetz haben Flüchtlinge in Griechenland dieselben sozialen Rechte wie griechische Staatsbürger, aber bürokratische Hürden, staatliche Handlungsdefizite, mangelnde Umsetzung des Gesetzes und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise können den Genuss dieser Rechte schmälern (AIDA 3.2019; vgl Pro Asyl/RSA 30.8.2018; UNHCR 4.2019). […] Die überwiegende Mehrheit der anerkannten Schutzberechtigten bezieht bisher keine soziale Grundsicherung (AA 6.12.2018). Voraussetzung für den Leistungsbezug allgemeiner Sozialhilfe ist das Einreichen verschiedener Dokumente (Aufenthaltserlaubnis, Sozialversicherungsnummer, Bankverbindung, Steuererklärung über das Online-Portal Taxis-Net), wobei der Nachweis des dauerhaften einjährigen Mindestaufenthalts im Inland durch die inländische Steuererklärung des Vorjahres nachzuweisen ist. Dabei sind Unterlagen grundsätzlich online und in griechischer Sprache einzureichen, staatlicherseits werden keine Dolmetscher gestellt (AA 7.2.2018). Bei der Beschaffung der genannten Dokumente stoßen jedoch die Betroffenen in der Praxis auf zahlreiche Schwierigkeiten (Pro Asyl/RSA 30.8.2018; vgl UNHCR 4.2019). […]
Anerkannte Schutzberechtigte haben seit 2013 Zugang zu Unterbringung unter den gleichen Bedingungen wie Drittstaatsangehörige, die sich legal in Griechenland aufhalten. Eine staatliche Sozialleistung zur Wohnungsunterstützung besteht derzeit auch für die griechische Bevölkerung noch nicht (AA 26.9.2018a; vgl AIDA 3.2019). In der Praxis wird Schutzberechtigten, die als Asylwerber in einem Flüchtlingslager oder in einer Wohnung des UNHCR-Unterbringungsprogramms (ESTIA) untergebracht waren, gestattet, nach ihrer Anerkennung für weitere 6 Monate in der gleichen Unterkunft zu bleiben (Pro Asyl/RSA 8.2018). Wohnraum wäre grundsätzlich auf dem freien Wohnungsmark[t] zu beschaffen (AA 6.12.2018). Das private Anmieten von Wohnraum für bzw durch anerkannte Schutzberechtigte wird durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte und Studenten, sowie gelegentlich durch Vorurteile erschwert (AA 26.9.2018a). Personen, die keine Unterkunft haben und nicht das Geld besitzen, eine zu mieten, leben oft in überfüllten Wohnungen, verlassenen Häusern ohne Zugang zu Strom oder Wasser oder werden obdachlos (AIDA 3.2019; Pro Asyl/RSA 8.2018). Schutzberechtigte haben Zugang zu Unterbringungseinrichtungen für Obdachlose, die jedoch nur begrenzt vorhanden sind. Eigene Unterbringungsplätze für anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte existieren nicht."
4.2. Vor dem Hintergrund dieser Berichtslage (wobei aktuellere Berichte eine wohl noch stärkere Gefährdungslage beschreiben, siehe nur die der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht beigelegte Stellungnahme der Stiftung Pro Asyl/RSA, Information zur Situation international Schutzberechtigter in Griechenland, vom 9. Dezember 2020) ergibt sich ohne nähere Auseinandersetzung mit der konkreten Situation der Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf die Feststellungen in den Länderberichten nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr keine reale Gefahr einer Art3 EMRK verletzenden Behandlung drohen werde. Zwar trifft zu, dass anerkannten Schutzberechtigten nach Art20 ff. der Richtlinie 2011/95/EU
über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 L 337, 9, grundsätzlich "nur" ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung zusteht. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich jedoch etwa nicht damit auseinander, ob die von Art34 der Richtlinie 2011/95/EU geforderten, über die Inländergleichbehandlung hinausgehenden Integrationsmaßnahmen angeboten werden (vgl dazu das deutsche BVerfG 31.7.2018, 2 BvR 714/18, Rz 23). Insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Beschwerdeführerin für eine Übergangszeit auf staatliche Hilfe angewiesen sein wird, hätte es weiterer Feststellungen dazu bedurft, ob und wieweit für die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Griechenland zumindest in der ersten Zeit Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt wird.
4.3. Indem das Bundesverwaltungsgericht sohin in entscheidenden Punkten die notwendige Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, hat es sein Erkenntnis mit Willkür belastet (vgl zB VfGH 6.10.2020, E1728/2020).
IV. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung, AußerlandesbringungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E599.2021Zuletzt aktualisiert am
24.09.2021