RS Vfgh 2021/6/25 E599/2021

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Veröffentlicht am 25.06.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §4a, §57
FremdenpolizeiG 2005 §61
Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrens-RL) Art33
Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikations-RL) Art20, Art34
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz einer in Griechenland als Schutzberechtigte anerkannten Staatsangehörigen von Afghanistan; mangelhafte Ermittlungen zur Versorgung in Griechenland auf Grund der sich aus den Länderberichten ergebenden allgemeinen Situation von Schutzberechtigten in Griechenland; keine Feststellungen betreffend die Sicherstellung einer Unterkunft, von Nahrungsmitteln oder sanitären Einrichtungen im Falle einer Rückkehr

Rechtssatz

Das mit der Rechtssache befasste Gericht - wie zuvor auch die befasste Behörde - trifft die Verpflichtung, "auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen", die einer Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz entgegenstehen. Diese "Schwachstellen" sind nur dann im Hinblick auf Art4 GRC bzw Art3 EMRK relevant, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, indem etwa "die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre".

Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) es werde keine gegen Art4 GRC bzw Art3 EMRK verstoßende Behandlung drohen (weitgehende Gleichstellung von griechischen Staatsangehörigen und anerkannten Flüchtlingen, Hilfsangebote von NGOs, und die Beschwerdeführerin sei nach einer Übergangsphase der Unterstützung grundsätzlich gehalten, sich selbst ihre Existenz zu sichern, insbesondere sich selbst eine Unterkunft zu suchen), steht in einem deutlichen Spannungsfeld zu den allgemein die Situation für Schutzberechtigte in Griechenland beschreibenden Länderinformationen der Staatendokumentation.

Vor dem Hintergrund der Berichtslage (wobei aktuellere Berichte eine wohl noch stärkere Gefährdungslage beschreiben) ergibt sich ohne nähere Auseinandersetzung mit der konkreten Situation der Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf die Feststellungen in den Länderberichten nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr keine reale Gefahr einer Art3 EMRK verletzenden Behandlung drohen werde. Zwar trifft zu, dass anerkannten Schutzberechtigten nach Art20 ff der Richtlinie 2011/95/EU, grundsätzlich "nur" ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung zusteht. Das BVwG setzt sich jedoch etwa nicht damit auseinander, ob die von Art34 der Richtlinie 2011/95/EU geforderten, über die Inländergleichbehandlung hinausgehenden Integrationsmaßnahmen angeboten werden. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch das BVwG davon ausgeht, dass die Beschwerdeführerin für eine Übergangszeit auf staatliche Hilfe angewiesen sein wird, hätte es weiterer Feststellungen dazu bedurft, ob und wieweit für die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Griechenland zumindest in der ersten Zeit Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt wird.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung, Außerlandesbringung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E599.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.09.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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