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E000 EU- Recht allgemeinNorm
AVG §56Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des H R C, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Jänner 2020, L512 2222148-1/7E, betreffend Ausweisung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein pakistanischer Staatsangehöriger, heiratete am 18. März 2016 in Bulgarien eine bulgarische Staatsangehörige.
2 Nachdem die Eheleute im September 2016 nach Österreich gezogen waren, wurde der Ehefrau des Revisionswerbers zur Dokumentation ihres unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes eine Anmeldebescheinigung als Selbstständige und davon abgeleitet dem Revisionswerber eine von 19. Juni 2017 bis 19. Juni 2022 gültige Aufenthaltskarte als Angehöriger einer EWR-Bürgerin ausgestellt.
3 Mit Bescheid vom 28. Juni 2019 wies das von der Niederlassungsbehörde befasste BFA den Revisionswerber gemäß § 66 Abs. 1 FPG in Verbindung mit § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus. Es erteilte ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat.
4 Die Ehe des Revisionswerbers wurde sodann mit Beschluss eines bulgarischen Gerichtes vom 16. September 2019 rechtskräftig geschieden.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 17. Jänner 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die vom Revisionswerber gegen den Bescheid vom 28. Juni 2019 erhobene Beschwerde - ohne Durchführung der beantragten Verhandlung - als unbegründet ab.
6 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, aufgrund des Wegzuges der Ehegattin des Revisionswerbers aus Österreich im April 2018 sei sie nicht mehr in Ausübung ihres Freizügigkeitsrechtes im österreichischen Bundesgebiet aufhältig gewesen. Der Wegzug der Ehegattin habe das abgeleitete Aufenthaltsrecht des Revisionswerbers zum Erlöschen gebracht. Auf die Sonderkonstellation des § 54 Abs. 5 NAG könne sich der Fremde bei aufrechter Ehe nicht berufen. Auch die Scheidung ändere an dieser Sichtweise nichts, weil die Ehe zum Zeitpunkt der Erlöschung des abgeleiteten Aufenthaltsrechtes noch aufrecht gewesen sei.
7 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
8 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
10 Der Revisionswerber macht unter diesem Gesichtspunkt geltend, das BVwG sei insofern von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, als es die in der Beschwerde ausdrücklich beantragte Verhandlung nicht durchgeführt habe.
11 Zu den vom Revisionswerber in diesem Zusammenhang ins Treffen geführten Gründen der Ausreise seiner Ehefrau im April 2018 führte der Revisionswerber in seiner Beschwerde aus, dass sie schwanger gewesen sei und ihr angeblich nicht vom Revisionswerber stammendes Kind in Bulgarien habe großziehen wollen. Es ist aber nicht ersichtlich, dass diesen Umständen im vorliegenden Fall rechtliche Relevanz zukommen könnte. Soweit der Revisionswerber an mehreren Stellen in der Revision dann geltend macht, in einer Beschwerdeverhandlung hätte erörtert werden müssen, ob die Ehegattin allenfalls nach Österreich zurückgekehrt sei, bleibt dieses Vorbringen aber völlig unbestimmt und spekulativ und es liegt diesbezüglich überdies eine im Revisionsverfahren unzulässige und daher unbeachtliche Neuerung vor.
12 Der Revisionswerber beruft sich in diesem Zusammenhang erkennbar auf § 54 Abs. 5 Z 1 NAG, mit dem Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) umgesetzt wurde. Danach bleibt das Aufenthaltsrecht drittstaatsangehöriger Ehegatten von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern bei Scheidung der Ehe erhalten, wenn sie nachweisen, dass sie die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erfüllen und die Ehe bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet. Die letztgenannte Voraussetzung ist im vorliegenden Fall bezogen auf den Zeitpunkt der Ehescheidung zwar erfüllt; der maßgebliche Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens wurde vom BVwG allerdings nicht festgestellt. Das kann aus nachstehenden Gründen aber auf sich beruhen.
13 Im vorliegenden Fall ist es nämlich unbestritten, dass die bulgarische Ehefrau des Revisionswerbers im April 2018 Österreich verlassen und - so die maßgeblichen Feststellungen des BVwG (siehe zur in der Revision erstmals behaupteten „allfälligen Rückkehr“ schon die Ausführungen in Rn. 11) - danach hier nicht mehr ihr Freizügigkeitsrecht ausgeübt hat. Damit erfüllte der Revisionswerber als einem Drittstaat angehörender Ehegatte dieser Unionsbürgerin nicht mehr die Voraussetzungen für ein Recht auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat (Österreich) nach Art. 7 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie (vgl. EuGH [Große Kammer] 16.7.2015, Singh u.a., C-218/14, Rn. 58). Allerdings endet das abgeleitete Aufenthaltsrecht des Drittstaatsangehörigen nach Art. 7 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie mit dem Wegzug des Unionsbürgers nicht und kann auf der Grundlage von Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie aufrechterhalten werden, wenn der Unionsbürger (erst) nach der Einleitung des Scheidungsverfahrens den Mitgliedstaat, in dem sich sein Ehegatte aufhält, verlässt, um sich in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat niederzulassen (siehe neuerlich EuGH [Große Kammer] 16.7.2015, Singh u.a., C-218/14, nunmehr Rn. 63 iVm Rn. 62 und Rn. 66).
14 Fallbezogen wäre es somit für eine mögliche Berufung auf die Ehescheidung und den diesbezüglichen Ausnahmetatbestand des Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Freizügigkeitsrichtlinie bzw. des § 54 Abs. 5 Z 1 NAG für eine Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts des nunmehr geschiedenen drittstaatsangehörigen Revisionswerbers erforderlich gewesen, dass sich die mit ihm verheiratete Unionsbürgerin bis zum Zeitpunkt der Einleitung des gerichtlichen Scheidungsverfahrens nach Maßgabe von Art. 7 Abs. 1 der Freizügigkeitsrichtlinie in Österreich aufgehalten hätte (vgl. zum Ganzen sinngemäß auch VwGH 15.3.2018, Ro 2018/21/0002, Rn. 16/17, zum Ausnahmetatbestand des § 54 Abs. 5 Z 4 NAG). Mit anderen Worten: Damit sich der Revisionswerber auf die genannte Ausnahmebestimmung berufen könnte, hätte das Scheidungsverfahren vor dem Wegzug seiner Ehefrau im April 2018 eingeleitet worden sein müssen. Dann wäre aber die Voraussetzung nach § 54 Abs. 5 Z 1 NAG, dass die Ehe bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, nicht erfüllt. Aus der genannten Bestimmung kann der Revisionswerber daher für seinen Standpunkt jedenfalls nichts gewinnen.
15 Auch mit dem weiteren Vorbringen, wonach sich das BVwG „ein eigenes Bild“ von der Integration des Revisionswerbers in Österreich hätte machen müssen, wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan, weil sich das BVwG bei der Interessenabwägung ausreichend mit allen maßgeblichen und in der Revision angeführten Gesichtspunkten auseinandersetzte und insoweit von einem „eindeutigen Fall“ ausgehen durfte, der es (ausnahmsweise) erlaubte, von einer Verhandlung samt Verschaffung eines persönlichen Eindrucks abzusehen (vgl. etwa VwGH 15.3.2021, Ra 2021/21/0041, Rn. 13). Angesichts der relativ kurzen Dauer des Inlandsaufenthaltes des Revisionswerbers von etwas mehr als drei Jahren (bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung des BVwG), wobei ihm die Stellung als begünstigter Drittstaatsangehöriger jedenfalls nur bis April 2018 zukam, kann auch die Geburt eines möglicherweise von ihm abstammenden Kindes mit der geschiedenen Ehefrau, das sich offenbar bei der Mutter in Bulgarien aufhält, nichts an diesem Ergebnis ändern.
16 Die Revision vermag somit keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen, weshalb sie gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen war.
Wien, am 24. August 2021
Gerichtsentscheidung
EuGH 62014CJ0218 Singh VORABSchlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2 Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3 Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210076.L00Im RIS seit
22.09.2021Zuletzt aktualisiert am
12.10.2021