TE Vwgh Erkenntnis 2021/8/24 Ra 2019/21/0286

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Veröffentlicht am 24.08.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §56
AsylG 2005 §57
BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs3
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2
FrPolG 2005 §52 Abs9
MRK Art8
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher, den Hofrat Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher, den Hofrat Dr. Schwarz und die Hofrätin Dr. Wiesinger als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. August 2019, W119 2149097-1/29E, betreffend Feststellung der dauernden Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: B M, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im bekämpften Umfang (Spruchpunkt A.II.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Die 1993 geborene Mitbeteiligte, eine Staatsangehörige der Mongolei, gelangte ihren Angaben zufolge Anfang Juli 2015 nach Österreich und stellte hier Ende August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid vom 8. Februar 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.). Unter einem sprach es (von Amts wegen) aus, dass der Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde, erließ gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung der Mitbeteiligten in die Mongolei zulässig sei, und setzte schließlich gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkte III. und IV.).

3        Die dagegen erhobene Beschwerde zog die Mitbeteiligte - nachdem das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 8. Oktober 2018 und am 7. August 2019 eine Verhandlung durchgeführt hatte - in Bezug auf die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides wieder zurück. Hinsichtlich des übrigen, aufrechterhaltenen Teils der Beschwerde gab ihr das BVwG Folge und sprach aus, dass in Erledigung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides ausgesprochen werde, eine Rückkehrentscheidung [gegen die Mitbeteiligte] sei gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig. Des Weiteren wurde ausgesprochen, dass der Mitbeteiligten gemäß §§ 54 und 55 AsylG 2005 iVm §§ 9 und 10 Integrationsgesetz der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt werde (Spruchpunkt A.II.). Unter einem wurde vom BVwG noch das Beschwerdeverfahren zu den Spruchpunkten I. und II. des Bescheides vom 8. Februar 2017 eingestellt (Spruchpunkt A.I.) und ausgesprochen, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Gegen den Spruchpunkt A.II. des Erkenntnisses richtet sich die vorliegende Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen die Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, erwogen hat:

5        Die Amtsrevision erweist sich - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des Bundesverwaltungsgerichtes - unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig und auch als berechtigt.

6        Zur Zulässigkeit der Amtsrevision macht das BFA im Sinne des Begründungserfordernisses nach § 28 Abs. 3 VwGG (zusammengefasst) geltend, es liege keine derart „außergewöhnliche Konstellation“ vor, die nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erforderlich sei, dass trotz des Aufenthalts der Mitbeteiligten von (erst) ca. vier Jahren das öffentliche Interesse an ihrer Aufenthaltsbeendigung von der Integration der Mitbeteiligten überwogen werden würde. Das BVwG sei im Rahmen der diesbezüglichen Beurteilung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003) abgewichen, indem es bei der Interessenabwägung insbesondere dem Kriterium des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG („Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren“) und dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen nicht die ihm zukommende Bedeutung beigemessen habe.

7        Der Amtsrevision ist im Ergebnis darin zu folgen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur bei der Frage, ob die Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK darstellt, auch bei einem Aufenthalt von vier Jahren in Österreich noch darauf abgestellt hat, ob in Bezug auf die hier erlangte Integration eine „außergewöhnliche Konstellation“ vorliegt (vgl. etwa VwGH 16.7.2020, Ra 2020/21/0133, Rn. 7; VwGH 16.2.2021, Ra 2019/19/0440, Rn. 13, jeweils mwN).

8        Nun wird vom Verwaltungsgerichtshof nicht verkannt, dass die unbescholtene Mitbeteiligte - wie das BVwG ins Treffen führte - besondere Anstrengungen gezeigt hat, sich in Österreich sprachlich, beruflich und sozial zu integrieren, und zwar insbesondere in Form der Erlangung von sehr guten Sprachkenntnissen auf dem Niveau B1 mit entsprechender Prüfung im Oktober 2017, der erfolgreichen Absolvierung der Übergangsstufe an einer Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule, der Zusage für einen Schulplatz in einer Schule für Sozialbetreuungsberufe, eine von der Erteilung eines Aufenthaltstitels abhängige bedingte Zusage für einen Lehrplatz als Restaurantfachfrau in einem Kurhaus, der Tätigkeit als Vorstandsmitglied in einem Verein sowie Initiatorin eines Projektes für Asylwerber, Absolvierung einer Schulung zur Dolmetscherinnenausbildung und von mehreren durch Unterstützungsschreiben bestätigten Bekanntschaften. Allerdings besteht insgesamt trotzdem noch keine derartige Verdichtung der persönlichen Interessen, dass von einer „außergewöhnlichen Konstellation“ gesprochen werden kann und der Mitbeteiligten allein wegen ihrer Integrationsbemühungen - ungeachtet des bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses im August 2019 noch nicht langen Inlandsaufenthalts und des Umstands, dass bei ihr nur ein Eingriff in das Privatleben und nicht auch in ein Familienleben zur Debatte steht - unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden müsste (vgl. zu ähnlichen Konstellationen etwa VwGH 17.11.2020, Ra 2020/19/0139; VwGH 16.7.2020, Ra 2020/21/0133, jeweils mwN).

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach klargestellt (vgl. auch dazu VwGH 16.7.2020, Ra 2020/21/0133, Rn. 9), es möge rechtspolitisch als Manko empfunden werden, dass der Gesetzgeber für derartige Fälle kein humanitäres Aufenthaltsrecht vorgesehen habe. Das kann aber nicht dazu führen, dass die - im Vergleich zum „Aufenthaltstitel in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ nach § 56 AsylG 2005 - strengeren Voraussetzungen für die nach § 9 Abs. 3 BFA-VG vorzunehmende Feststellung der dauernden Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und die inhaltsgleichen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 unterlaufen werden (vgl. dazu auch VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0032, 0033, Rn. 23, mwN).

10       Bei seiner nach Art. 8 EMRK vorgenommen Interessenabwägung bewegte sich das BVwG - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses im August 2019 - nicht innerhalb der vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Grundsätze, weshalb das angefochtene Erkenntnis im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

11       Bei diesem Ergebnis kommt ein Kostenzuspruch für die Revisionsbeantwortung an die Mitbeteiligte nicht in Betracht (vgl. § 47 Abs. 3 VwGG).

Wien, am 24. August 2021

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019210286.L00

Im RIS seit

22.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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