TE Vwgh Beschluss 2021/9/1 Ra 2021/19/0251

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Veröffentlicht am 01.09.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art2
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/19/0252

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in den Revisionssachen 1. des S A und 2. der A A, beide vertreten durch Dr. Max Kapferer, Dr. Thomas Lechner und Dr. Martin Dellasega, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Mai 2021, 1) I413 2164371-1/15E und 2) I413 2164376-1/18E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind Staatsangehörige des Irak und miteinander verheiratet. Sie stellten am 14. September 2015 Anträge auf internationalen Schutz. Begründend brachten sie vor, die (Sicherheits-)Lage im Irak sei sehr schlecht. Die Miliz habe ihren Sohn entführt, sie bedroht und zum Verlassen des Landes aufgefordert.

2        Mit Bescheiden jeweils vom 21. Juni 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Revisionswerber ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobenen Beschwerden der Revisionswerber nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit einer hier nicht relevanten Maßgabe als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten vor, das BVwG habe die Begründungspflicht verletzt. Es habe seine eigenen Feststellungen hinsichtlich der Probleme mit der grundlegenden Versorgung der Bevölkerung sowie hinsichtlich der mit der COVID-19-Pandemie in Zusammenhang stehenden Probleme auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt und mit der medizinischen Versorgung nicht berücksichtigt und das Alter des (60-jährigen) Erstrevisionswerbers außer Acht gelassen.

8        Um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 21.10.2020, Ra 2020/19/0288, mwN). Bei der Frage, ob im Fall der Rückführung eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK besteht, kommt es somit nicht darauf an, ob infolge von zur Verhinderung der Verbreitung von SARS-CoV-2 gesetzten Maßnahmen sich die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellt, solange die Sicherung der existentiellen Grundbedürfnisse weiterhin als gegeben anzunehmen ist (vgl. - zum Irak - VwGH 14.4.2021, Ra 2021/19/0099, mwN).

9        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in Österreich zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung in seinem Herkunftsstaat nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, soweit der Betroffene tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung hat. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt eine Abschiebung in den Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Herkunftsstaat oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 19.6.2020, Ra 2020/19/0165, mwN).

10       Das BVwG traf Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage und zur Situation von Rückkehrern im Irak, im Besonderen auch in Bagdad, dem Herkunftsort der Revisionswerber, sowie zum Verlauf der COVID-19-Pandemie und deren Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung. Es stellte fest, dass ein Zusammenbruch der medizinischen Versorgung im Irak im Allgemeinen und in Bagdad im Speziellen aus den Länderberichten nicht abzuleiten sei. Hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Erstrevisionswerbers ging das BVwG auf Grundlage einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation davon aus, dass alle von ihm benötigten Behandlungen und Medikamente in Bagdad verfügbar seien. Die Revisionswerber gehörten auf Grund ihrer Vorerkrankungen auch nicht zu einer COVID-19-Risikogruppe. Das BVwG legte seiner Entscheidung weiters zu Grunde, dass die Revisionswerber, welche in ihrem Herkunftsstaat sozialisiert worden seien und die dortige Sprache beherrschten, über familiäre Anknüpfungspunkte verfügten und bis zu ihrer Ausreise erwerbstätig und selbsterhaltungsfähig gewesen seien, auf Grund ihrer bisherigen Arbeitserfahrung eine Chance hätten, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen und dafür auch gesund genug wären. Rechtlich folgerte das BVwG, die Revisionswerber würden bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in der Lage sein, ihre Existenz zu sichern.

11       Die Revision zeigt nicht auf, dass diese Beurteilung fallbezogen an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leiden würde.

12       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 1. September 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190251.L01

Im RIS seit

23.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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