TE Vwgh Beschluss 2021/9/2 Ra 2021/19/0050

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Veröffentlicht am 02.09.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §41

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des O P, vertreten durch Mag.a Nadja Lindenthal, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Siebensterngasse 23/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Jänner 2021, 1. W217 2173560-1/20E und 2. W217 2173560-2/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 14. Juni 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er unter anderem damit begründete, dass er seinen Herkunftsstaat auf Grund der dort herrschenden Sicherheitslage verlassen habe.

2        Mit Bescheid vom 12. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit Gültigkeit bis zum 12. September 2018.

3        Über Antrag des Revisionswerbers verlängerte das BFA mit Bescheid vom 14. September 2018 die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 12. September 2020.

4        Mit Bescheid vom 4. Juli 2020 erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 von Amts wegen ab, entzog ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan unzulässig sei, setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und erließ gegen den Revisionswerber ein auf fünf Jahre befristetes Einreiseverbot.

5        Die gegen die Bescheide des BFA vom 12. September 2017 und vom 4. Juli 2020 erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis vom 4. Jänner 2021 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Die Abweisung der Beschwerde gegen den Bescheid vom 4. Juli 2020 erfolgte mit der Maßgabe, dass dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt werde und dass die Abschiebung des Revisionswerbers zulässig sei.

6        Begründend führte das BVwG - soweit hier maßgeblich - aus, dass der Revisionswerber seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bzw. der letztmaligen Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung volljährig geworden sei und maßgeblich an Lebenserfahrung gewonnen habe. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten lägen daher nicht mehr vor.

7        Mit Beschluss vom 8. Juni 2021, E 1728/2021-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

8        Daraufhin erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.

9        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen (vgl. etwa VwGH 10.9.2020, Ra 2020/18/0160, mwN).

11       Die vorliegende Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, es habe weder eine wesentliche und nachhaltige Verbesserung der Situation im Herkunftsstaat noch eine maßgebliche Änderung der persönlichen Verhältnisse des Revisionswerbers stattgefunden. Das BVwG habe eine Fehleinschätzung vorgenommen, weil der Revisionswerber keinesfalls völlig selbständig in Österreich lebe.

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 27. Mai 2019, Ra 2019/14/0153, mit den Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach der - auch gegenständlich zur Anwendung gebrachten - Bestimmung des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 beschäftigt. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird daher insoweit auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.

13       Demnach sind bei einer Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 nicht isoliert nur jene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die zeitlich nach der zuletzt erfolgten Bewilligung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind, sondern es dürfen im Rahmen der bei der Beurteilung vorzunehmenden umfassenden Betrachtung bei Hinzutreten neuer Umstände alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben (vgl. wiederum VwGH Ra 2019/14/0153, sowie VwGH 9.1.2020, Ra 2019/19/0496).

14       Im vorliegenden Fall stützte das BVwG die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten darauf, dass der Revisionswerber durch gewonnene Berufserfahrung, das Anmieten einer Wohnung, die Teilnahme an Alphabetisierungs- und Basiskursen und eine eigenständig vorgenommene Reise nach Pakistan an Selbständigkeit gewonnen und gezeigt habe, dass er sein Leben ohne äußere Unterstützung selbst zu meistern imstande sei. Somit sei der Revisionswerber keine besonders schutzwürdige Person in der Altersstufe des Übergangs von der Minderjährigkeit zur Volljährigkeit mehr.

Das BVwG hat damit eine nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 vorzunehmende umfassende Betrachtung vorgenommen, bei der die Berücksichtigung von Tatsachen, die sich vor Erlassung der Zuerkennungsentscheidung ereignet haben, nicht - wie die Revision offenbar meint - von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. erneut VwGH Ra 2019/19/0496).

Ausgehend davon gelingt es der Revision auch mit dem Vorbringen, das BVwG habe zur Rechtfertigung einer Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten die Teilnahme an Kursen herangezogen, die der Revisionswerber lange vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung besucht habe, kein Abweichen von der oben dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufzuzeigen.

15       In der Revision wird weiter geltend gemacht, das BVwG habe dem Revisionswerber nicht angekündigt, dass es beabsichtige, die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auf eine andere Rechtsgrundlage zu stützen als das BFA.

16       Dabei übersieht die Revision, dass das BVwG nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht gehalten ist, die Partei zu der von ihr vertretenen Rechtsansicht anzuhören, ihr also mitzuteilen, welche Vorgangsweise sie in rechtlicher Hinsicht auf Grund des als maßgeblich festgestellten Sachverhaltes ins Auge fasst (vgl. VwGH 22.4.2021, Ra 2021/19/0088, mwN).

17       Soweit die Revision schließlich rügt, dass das BVwG Angaben des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung nicht hinterfragt habe und ihm weiterführende Fragen zur vorgenommenen Reise nach Pakistan oder zur angemieteten Wohnung hätte stellen müssen, ist darauf zu verweisen, dass es sich bei der Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein ausreichend ermittelter Sachverhalt vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig um keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern um eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung handelt (vgl. VwGH 17.6.2021, Ra 2021/19/0185, mwN).

Es ist anhand der Ausführungen in der Revision aber nicht zu sehen, warum das BVwG fallbezogen von der Erforderlichkeit weiterer Ermittlungen hätte ausgehen müssen.

18       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 2. September 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190050.L00

Im RIS seit

23.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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