TE Vwgh Beschluss 2021/9/3 Ra 2021/22/0165

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Veröffentlicht am 03.09.2021
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Index

E1P
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
25/04 Sonstiges Strafprozessrecht
40 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Melderecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
41/02 Staatsbürgerschaft
44 Zivildienst
63 Allgemeines Dienstrecht und Besoldungsrecht

Norm

AsylG 2005 §55
B-VG Art133 Abs4
FNG 2014
MRK Art8
NAG 2005 §11 Abs3
NAG 2005 §43 Abs2 idF 2009/I/029
NAG 2005 §44 Abs3 idF 2009/I/029
NAG 2005 §44b idF 2009/I/029
VwGG §34 Abs1
VwRallg
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
12010P/TXT Grundrechte Charta Art7

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/22/0166

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache 1. der S B, und 2. des T S, beide vertreten durch Dr. Sebastian Siudak, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Blütenstraße 15/5/5.13, gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich 1. vom 23. März 2021, Zl. LVwG-751255/2/BP/BD (betreffend die Erstrevisionswerberin), und 2. vom 25. März 2021, Zl. LVwG-751256/2/BP/BD (betreffend den Zweitrevisionswerber), jeweils betreffend Aufenthaltsbewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Erstrevisionswerberin (Mutter des minderjährigen Zweitrevisionswerbers, beide sind Staatsangehörige der Mongolei) verfügte seit dem Jahr 2017 über eine Aufenthaltsbewilligung „Student“ gemäß § 64 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), die in der Folge zweimal verlängert wurde. Am 18. September 2020 stellte sie einen (weiteren) Antrag auf Verlängerung dieser Aufenthaltsbewilligung gemäß § 64 Abs. 2 NAG. Der Zweitrevisionswerber stellte am selben Tag einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung „Familiengemeinschaft“ gemäß § 69 Abs. 1 NAG.

2        Mit Bescheiden jeweils vom 5. Februar 2021 wies die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung (belangte Behörde) die Anträge der revisionswerbenden Parteien ab. Da die Erstrevisionswerberin keinen Studienerfolgsnachweis erbracht habe, sei die besondere Erteilungsvoraussetzung des § 64 Abs. 2 NAG nicht erfüllt. Gestützt darauf verneinte die belangte Behörde auch hinsichtlich des Zweitrevisionswerbers das Vorliegen der besonderen Erteilungsvoraussetzungen für die Verlängerung seiner (von seiner Mutter abgeleiteten) Aufenthaltsbewilligung.

3        Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit den angefochtenen Erkenntnissen vom 23. März 2021 und vom 25. März 2021 als unbegründet ab. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es jeweils für unzulässig.

Das Verwaltungsgericht stellte fest, die Erstrevisionswerberin habe erstmals im Jahr 2017 eine Aufenthaltsbewilligung „Student“ erhalten, sei aber erst im Wintersemester 2020/2021 zum ordentlichen Studium zugelassen worden. Die Erstrevisionswerberin erfülle daher - so das Verwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung - nicht die Voraussetzungen des § 64 Abs. 2 NAG, wonach in den Fällen des § 64 Abs. 1 Z 4 NAG (Absolvierung eines außerordentlichen Studiums) die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung „Student“ nur zulässig sei, wenn der Drittstaatsangehörige (neben der Erbringung des Studienerfolgsnachweises) spätestens innerhalb von zwei Jahren die Zulassung zu einem Studium gemäß § 64 Abs. 1 Z 2 NAG (zu einem ordentlichen Studium) nachweist. Auf Grund der rechtskräftigen Abweisung der Beschwerde der Erstrevisionswerberin sei beim Zweitrevisionswerber die besondere Erteilungsvoraussetzung des § 69 Abs. 1 NAG nicht erfüllt. Bei Fehlen einer besonderen Erteilungsvoraussetzung seien weder die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zu prüfen noch eine Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG vorzunehmen. Das Privat- und Familienleben der revisionswerbenden Parteien könne daher in den rechtlichen Erwägungen keine Berücksichtigung finden.

4        Die revisionswerbenden Parteien erhoben gegen diese Erkenntnisse zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 7. Juni 2021, E 1729-1730/2021, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

In der Folge wurde die gegenständliche außerordentliche Revision erhoben.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6        In der - für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision allein maßgeblichen (vgl. VwGH 29.7.2019, Ra 2017/22/0087, Pkt. 6.) - Zulässigkeitsbegründung bringen die revisionswerbenden Parteien vor, das Verwaltungsgericht habe übersehen, dass Art. 8 EMRK, Art. 1 des BVG über die Rechte von Kindern und Art. 24 GRC unmittelbar anwendbare verfassungsrechtliche Bestimmungen darstellten, die bei jedem Hoheitsakt, der das Privat- und Familienleben bzw. das Kindeswohl beeinträchtige, unabhängig von der Bestimmung des § 11 Abs. 3 NAG zur Anwendung gelangten. Den angefochtenen Erkenntnissen sei jedoch nicht zu entnehmen, dass sich das Verwaltungsgericht mit dem Kindeswohl bzw. mit dem Privat- und Familienleben der revisionswerbenden Parteien auseinandergesetzt hätte.

7        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist im Fall des Fehlens einer besonderen Erteilungsvoraussetzung - wie vorliegend eines ausreichenden Studienerfolgs - eine Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK nicht vorzunehmen (vgl. VwGH 20.5.2021, Ra 2021/22/0088, Rn. 9, mwN).

8        Der Verwaltungsgerichtshof hat sich auch bereits mit der Frage der Sachlichkeit des eingeschränkten Anwendungsbereiches des § 11 Abs. 3 NAG befasst und dabei keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit gesehen, die Anwendbarkeit des § 11 Abs. 3 NAG auf den Fall der Abweisung eines Verlängerungsantrages wegen des Fehlens einer besonderen Erteilungsvoraussetzung auszuweiten (vgl. dazu VwGH 22.9.2009, 2009/22/0169; 19.2.2014, 2013/22/0177, Pkt. 4). Im zitierten Erkenntnis 2009/22/0169 hielt der Verwaltungsgerichtshof dazu fest, es bestehe für eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 11 Abs. 3 NAG deshalb keine Notwendigkeit, weil gemäß § 44b in Verbindung mit § 43 Abs. 2 sowie § 44 Abs. 3 NAG (in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2009) ein Antrag auf Erteilung eines (humanitären) Aufenthaltstitels gestellt werden könne, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten sei.

9        Diese Überlegungen sind auch auf die seit Inkrafttreten des Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetzes, BGBl. I Nr. 87/2012, geltende Rechtslage übertragbar, weil es den revisionswerbenden Parteien nunmehr offensteht, einen Antrag zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK gemäß dem (den Vorgängerbestimmungen der §§ 44b in Verbindung mit 43 Abs. 2 bzw. 44 Abs. 3 NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2009 nachgebildeten) § 55 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) zu stellen (vgl. zur Herauslösung der Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen aus dem NAG und zur Überführung in das 7. Hauptstück des AsylG 2005 RV 1803 BlgNR 24. GP 43 ff). Der Verwaltungsgerichtshof sieht daher weiterhin keine Notwendigkeit, bei Fehlen einer besonderen Erteilungsvoraussetzung aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Abwägung nach Art. 8 EMRK vorzunehmen.

10       Nichts Anderes gilt für die von den revisionswerbenden Parteien aufgeworfenen unionsrechtlichen Bedenken, weil die aus Art. 7 und 24 GRC resultierenden Rechte auch im Rahmen eines Verfahrens aufgrund eines Antrags nach § 55 AsylG 2005 geltend gemacht werden können. Vor diesem Hintergrund sieht sich der Verwaltungsgerichtshof auch nicht veranlasst, die von den revisionswerbenden Parteien aufgeworfene unionsrechtliche Frage dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorzulegen.

11       In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

12       Ausgehend davon erübrigt sich eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über den Antrag, der Revision aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

13       Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 3. September 2021

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220165.L00

Im RIS seit

22.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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