TE Vwgh Beschluss 2021/9/3 Ra 2020/14/0290

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Veröffentlicht am 03.09.2021
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Index

E3L E19103010
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §37
AVG §45 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z3 lita
32011L0095 Status-RL Art9 Abs1
32011L0095 Status-RL Art9 Abs2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie den Hofrätinnen Mag. Schindler und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Mai 2020, W177 2153042-1/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 12. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, dass er wie ein Sklave behandelt worden sei. Nachdem er beschuldigt worden sei, ein Mädchen vergewaltigt zu haben, habe er Afghanistan verlassen. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens brachte der Revisionswerber vor, vom Islam abgefallen zu sein.

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 30. März 2017 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG, soweit nicht Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes oder infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorliegt, das angefochtene Erkenntnis oder den angefochtenen Beschluss auf Grund des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhalts im Rahmen der geltend gemachten Revisionspunkte bzw. der Erklärung über den Umfang der Anfechtung zu überprüfen hat. Somit sind Änderungen der Sach- und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben und daher vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt werden konnten, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren entzogen.

8        In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, die Beweiswürdigung des BVwG zum vorgebrachten Abfall vom Islam sei unschlüssig und nicht nachvollziehbar.

9        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 15.5.2020, Ra 2020/14/0169, mwN).

10       Die Verfolgung aus Gründen der Religion, wozu auch atheistische Glaubensüberzeugungen zählen, kann zur Gewährung von Asyl führen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Asylwerber aufgrund seiner atheistischen Lebensweise im Herkunftsstaat tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt zu werden. Dies setzt allerdings voraus, dass der Asylwerber seine Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal versteht, die er auch im Herkunftsstaat leben wird. Die Tatsache, dass einem Asylwerber im Herkunftsstaat etwa aufgrund eines Gesetzes über Apostasie eine Todes- oder Freiheitsstrafe droht, kann für sich genommen eine asylrelevante Verfolgung darstellen, sofern eine solche Strafe in dem Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird (vgl. etwa VwGH 30.4.2020, Ra 2020/18/0124, mwN).

11       Das BVwG setzte sich - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - ausführlich mit dem Vorbringen des Revisionswerbers zur Apostasie auseinander und begründete umfassend, wie es zu dem Ergebnis gelangte, der Revisionswerber habe keine atheistische Glaubensüberzeugung verinnerlicht, die ihn im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgungshandlungen aussetzen würde. Es stützte sich unter anderem auf ein gesteigertes Vorbringen, den Umstand, dass er erst im fortgeschrittenen Verfahrensstadium sich darauf berufen und eine Bestätigung des Austritts aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft vorgelegt habe sowie dass sich der Revisionswerber, trotz seiner behaupteten inneren Einstellung zum Islam mehrere Jahre in Pakistan und dem Iran, sohin streng islamischen Ländern, ohne Probleme aufgehalten habe. Der Revisionswerber vermittle aufgrund des gewonnenen persönlichen Eindrucks das Bild, dass er sich „schlicht pragmatisch“ an sein soziales Umfeld im Bundesgebiet angepasst habe, wo eine Verquickung von religiösen Praktiken und Alltag unüblich sei, so wie er sich zuvor im Herkunftsstaat und den islamischen Staaten, in denen er gelebt habe, mit den muslimischen Praktiken habe arrangieren können. Auf Basis der „Quellenlage“ könne eine maßgebliche Verfolgungsgefahr nicht abgeleitet werden. Die Revision zeigt nicht auf, dass diese Beweiswürdigung und die Beurteilung des BVwG zur Verfolgungsgefahr fallbezogen unvertretbar wären.

12       Insoweit die Revision in diesem Zusammenhang eine Aktenwidrigkeit der Feststellungen behauptet, ist ihr zu entgegnen, dass eine solche nur vorläge, wenn der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben worden wäre bzw. wenn sich das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hätte, nicht aber, wenn Feststellungen getroffen werden, die auf Grund der Beweiswürdigung oder einer anders lautenden rechtlichen Beurteilung mit den Behauptungen einer Partei nicht übereinstimmen (vgl. VwGH 13.2.2020, Ra 2020/19/0002, mwN). Eine solche Aktenwidrigkeit legt die Revision, die sich der Sache nach vielmehr gegen die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung des BVwG hinsichtlich des behaupteten Abfalls vom Islam wendet, nicht dar. Aus dem Gesamtkontext ist zudem erkennbar, dass die in der Revision ins Treffen geführte Passage im Verhandlungsprotokoll nicht - wie die Revision behauptet - dem Richter, sondern der damaligen Rechtsvertretung des Revisionswerbers zuzuordnen ist.

13       Die Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung weiters gegen die Annahme der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazar-e Sharif und bringt dazu vor, das BVwG habe sich bei seiner Beurteilung auf Länderberichte gestützt, in denen die aktuellen Entwicklungen aufgrund der Covid-19-Pandemie unberücksichtigt geblieben seien. Es entspreche der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das BVwG seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen hat. Das BVwG hätte erkennen müssen, dass die Pandemie weltweit Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage habe und es zu Nahrungsmittelengpässen sowie Preisanstiegen bei Lebensmitteln gekommen sei. Die Versorgungssituation und humanitäre Lage habe sich derart verschlechtert, dass dem Revisionswerber im Falle einer Rückkehr nach Herat oder Mazar-e Sharif mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr drohe, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

14       Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden (vgl. VwGH 5.8.2020, Ra 2020/14/0199, mwN). Eine solche Relevanz vermag die Revision, die näher zitierte Berichte anführt, ohne einen konkreten Bezug zum Revisionswerber herzustellen, nicht hinreichend darzulegen.

15       In der Rechtsprechung (betreffend die Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz) wurde im Übrigen auch bereits klargestellt, dass es nicht entscheidungswesentlich ist, wenn sich für einen Asylwerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus und von Erkrankungen an Covid-19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellt, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Das gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. VwGH 22.1.2021, Ra 2020/20/0439, mwN).

16       Die Revision zeigt nicht auf, dass die im Einzelfall erfolgte Beurteilung am Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes unvertretbar wäre (vgl. zur innerstaatlichen Fluchtalternative für junge, gesunde und arbeitsfähige Männer in Mazar-e Sharif etwa VwGH 15.5.2020, Ra 2020/20/0140) und dass im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie in Herat und Mazar-e Sharif solche exzeptionellen Umstände vorlägen, welche konkret die reale Gefahr einer Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte darstellen würden.

17       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 3. September 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020140290.L00

Im RIS seit

24.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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