Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin G*****gmbH, *****, vertreten durch die TELOS Law Group Winalek, Wutte-Lang, Nikodem, Weinzinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen sämtliche übrigen Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ ***** KG *****, darunter 22. C***** C*****, und 31. M***** G*****, beide vertreten durch Dr. Michael Tröthandl, Mag. Christina Maria Juritsch, Rechtsanwälte in Baden, wegen § 52 Abs 1 Z 4 und 5 WEG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 26. November 2020, GZ 19 R 31/20z-51, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 52 Abs 2 WEG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Parteien sind die Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft.
[2] Gegenstand des Verfahrens ist die Anfechtung zweier von der Eigentümergemeinschaft gefasster Umlaufbeschlüsse.
[3] Das Erstgericht wies den Antrag der Antragstellerin, die Rechtsunwirksamkeit dieser Beschlüsse festzustellen, in eventu den zweiten der beiden angefochtenen Beschlüsse aufzuheben, ab.
[4] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 10.000 EUR übersteige, und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[5] Der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf; dieser ist daher unzulässig und zurückzuweisen. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG).
[6] 1. Die Fristen für die Anfechtung von Beschlüssen der Eigentümergemeinschaft nach § 24 Abs 6 WEG und § 29 Abs 1 Satz 1 WEG sind materiell-rechtliche Ausschlussfristen (5 Ob 161/17p; RIS-Justiz RS0106946). Solche Fristen des materiellen Rechts sind Zeiträume, an deren Beachtung das Gesetz bestimmte materielle Rechtsfolgen knüpft (RIS-Justiz RS0038465 [T2]); sie begrenzen von vornherein die Lebensdauer eines Rechts und bringen das Recht daher nach Ablauf der Frist vollständig zum Erlöschen (3 Ob 251/15f). Bei Versäumung einer solchen materiell-rechtlichen Frist – speziell bei der Versäumung von Anfechtungsfristen – ist schon nach dem klaren Wortlaut des § 1450 ABGB jede Wiedereinsetzung ausgeschlossen (RS0007134; Bydlinski in KBB6 § 1450 ABGB Rz 1, Holly in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1450 Rz 3). Nach Ablauf der Anfechtungsfrist ist das Anfechtungsrecht präkludiert (vgl 5 Ob 207/19f; RS0122084).
[7] 2. Maßgeblich für den Beginn des Fristenlaufs ist nach ständiger Rechtsprechung des Fachsenats der Tag des Hausanschlags (5 Ob 20/16a). Diese im WEG 2002 zwingend vorgesehene schriftliche Verständigung der Wohnungseigentümer durch den Hausanschlag ist das allein Anfechtungsfristen auslösende Moment (vgl RS0130029). Der Grund hiefür liegt darin, die Einheitlichkeit des Fristenlaufs, die Rechtssicherheit, und damit letztlich die Verwaltbarkeit sicherzustellen (AB 1050 BlgNR XXI. GP 7 f). Auf die subjektive Kenntnis des Anfechtungsgrundes kommt es für den Fristbeginn daher nicht an. Das mag der Oberste Gerichtshof zwar so noch nicht ausdrücklich ausgesprochen haben. Diese Frage ist aber aufgrund der Klarheit der gesetzlichen Regelungen und den bereits bestehenden Grundsätzen höchstgerichtlicher Rechtsprechung so eindeutig zu beantworten, dass keine ernstlichen Zweifel bestehen können. Eine erhebliche Rechtsfrage stellt sich damit nicht (RS0042656).
[8] 3. Die Beschlussanfechtung nach § 24 Abs 6 WEG (§ 52 Abs 1 Z 4 WEG) ist von der Dispositionsmaxime getragen. Die (eingeschränkte) Amtswegigkeit in diesem Verfahren bezieht sich demnach nur auf den geltend gemachten Beschlussanfechtungsgrund. Der Prüfumfang des Gerichts hat sich auf diesen zu beschränken. Es bedarf daher eines konkreten Vorbringens, aus welchen Gründen die Beschlussfassung formell mangelhaft sein soll (5 Ob 20/16a mwN). Der Antragsteller hat den bestimmten Rechtsgrund, auf den er die Anfechtung stützt, also anzuführen. Das Gericht hat nicht von sich aus auch völlig andere Tatbestandsvoraussetzungen zu prüfen. Verspätet (außerhalb der Fristen des § 24 Abs 6 WEG) geltend gemachte („nachgeschobene“) Anfechtungsgründe sind daher bei der Berufung auf die Rechtsunwirksamkeit des Beschlusses wegen formeller Mängel präkludiert (5 Ob 230/18m; RS0108154 [T3]; RS0130835; RS0124149 [T3]).
[9] 4. Die Vorinstanzen vertraten übereinstimmend die Auffassung, die Antragstellerin habe mit ihrem im verfahrenseinleitenden Antrag erstatteten Sachvorbringen, aus dem sie das Fehlen der erforderlichen Mehrheit (§ 24 Abs 6 WEG) ableiten wollte, kein ausreichend konkretes Vorbringen zu dem erst im weiteren Verfahren aufgezeigten Anfechtungsgrund der Unzulässigkeit eines additiven Umlaufverfahrens erstattet. Einer solchen Auslegung des Parteivorbringens auf seine Behauptungstauglichkeit für den geltend gemachten Anspruch kommt keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu, es sei denn, die Auslegung des Parteivorbringens wäre mit seinem Wortlaut unvereinbar oder verstieße gegen die Denkgesetze (5 Ob 230/18m; RS0042828 [T6, T7, T11]). Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor. Hat die Antragstellerin einen Anfechtungsgrund erst nach Ablauf der einmonatigen Anfechtungsfrist und damit nicht fristgerecht geltend gemacht, sind ihre späteren Ausführungen dazu insbesondere auch im Revisionsrekursverfahren unbeachtlich (5 Ob 207/19f mwN).
Textnummer
E132630European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00017.21T.0727.000Im RIS seit
25.09.2021Zuletzt aktualisiert am
03.01.2022