Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der ***** 2020 verstorbenen M***** H*****, zuletzt *****, über die Revisionsrekurse der Verlassenschaft, vertreten durch die erbantrittserklärten Erben M***** H*****, mj B***** H***** und mj V***** H*****, alle *****, die Minderjährigen vertreten durch ihre Mutter S***** H*****, alle vertreten durch Dr. Erich Greger und Dr. Günther Auer, Rechtsanwälte in Oberndorf, sowie der Antragstellerin N***** B*****, vertreten durch Dr. Raimund Danner und Mag. Madeleine Danner LL.M., Rechtsanwälte in Salzburg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 19. Februar 2021, GZ 21 R 317/20v-42, mit welchem der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 25. September 2020, GZ 20 A 24/20d-34, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Erblasserin hinterließ zwei Söhne und eine Tochter. In einem Testament hatte sie die Kinder des jüngsten Sohnes zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt. Diese gaben bedingte Erbantrittserklärungen ab und verwalten, soweit minderjährig vertreten durch ihre Mutter, den Nachlass (§ 810 ABGB). Das Erstgericht ordnete am 28. Mai 2020 die Inventarisierung an.
[2] Die Tochter der Erblasserin hatte mit Notariatsakt auf ihren Pflichtteil – nicht auch auf das Erbrecht – verzichtet, wobei sich dieser Verzicht ausdrücklich nicht auf ihre Nachkommen erstreckte. Im Verlassenschaftsverfahren beantragte ihre Tochter (die Enkelin der Erblasserin; in der Folge: „Antragstellerin“) unter Berufung auf ihre konkrete Pflichtteilsberechtigung am 21. August 2020 die „Zuerkennung der Pflichtteilsberechtigung“ sowie die Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses. Die Verlassenschaft, vertreten durch die Erben, beantragte die Abweisung dieses Antrags wegen fehlender konkreter Pflichtteilsberechtigung.
[3] Das Erstgericht wies den Antrag ab. Die Antragstellerin sei nicht konkret pflichtteilsberechtigt, weil ihre Mutter noch lebe und nicht auf das Erbrecht verzichtet habe.
[4] Die Antragstellerin erhob dagegen Rekurs und machte geltend, dass sie aus näher dargestellten Gründen doch konkret pflichtteilsberechtigt sei. Der Rekursantrag lautete auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, „dass dem Antrag der [Antragstellerin] ein Pflichtteilsanspruch zuerkannt und dem Antrag auf Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses gemäß § 165 AußStrG stattgegeben werde“.
[5] Das Rekursgericht änderte den Beschluss des Erstgerichts dahin ab, dass er lautete: „Festgestellt wird, dass in diesem Verlassenschaftsverfahren der Rekurswerberin als (abstrakt) Pflichtteilsberechtigter ein Antragsrecht auf Inventarisierung zusteht.“ Das Antragsrecht bestehe schon bei abstrakter Pflichtteilsberechtigung; die konkrete Pflichtteilsberechtigung sei erst im Zivilprozess zu klären. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu, weil aus der Entscheidung 10 Ob 35/14s auch das Erfordernis einer konkreten Pflichtteilsberechtigung abgeleitet werden könnte.
[6] Gegen diese Entscheidung richten sich Revisionsrekurse der Verlassenschaft und der Antragstellerin.
[7] Die Verlassenschaft beantragt die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses. Maßgebend für die Antragsberechtigung sei die konkrete Pflichtteilsberechtigung. Hätte die Erblasserin kein Testament errichtet, wäre ihre Tochter gesetzlich erbberechtigt. Damit sei aber die Antragstellerin nach § 758 Abs 1 ABGB nicht konkret pflichtteilsberechtigt.
[8] Die Antragstellerin beantragt eine Abänderung dahingehend, dass „festgestellt wird, dass in diesem Verlassenschaftsverfahren der Revisionsrekurswerberin als konkret Pflichtteilsberechtigte[r] ein Antragsrecht auf Inventarisierung zusteht“. Sie habe auch die „Zuerkennung der Pflichtteilsberechtigung“ beantragt. Darüber habe das Rekursgericht nicht abgesprochen, worin ein Verfahrensmangel liege. Richtigerweise hätte das Rekursgericht die konkrete Pflichtteilsberechtigung prüfen müssen, die aus näher dargestellten Gründen zu bejahen sei.
[9] In den Rechtsmittelbeantwortungen beantragen die Rechtsmittelwerber, dem Revisionsrekurs der Gegenseite nicht Folge zu geben.
[10] A. Der Revisionsrekurs der Verlassenschaft ist mangels Beschwer unzulässig.
Rechtliche Beurteilung
[11] 1. Für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels bedarf es der materiellen Beschwer, die dann vorliegt, wenn die rechtlich geschützten Interessen des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung beeinträchtigt werden (RS0006497, RS0006641, RS0041868, RS0118925). Dabei müssen subjektive Rechte betroffen sein, nicht nur wirtschaftliche, ideelle oder sonstige Interessen (RS0006497 [T2, T7]; G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG² § 45 Rz 50 mwN).
[12] 2. Eine Beeinträchtigung solcher rechtlich geschützter Interessen der Verlassenschaft ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Die Frage der Inventarisierung berührt diese Interessen ebenso wenig wie die Überlassung von Aktiven an Zahlungs statt (2 Ob 200/19d) oder der Ausspruch über die Erbhofeigenschaft und den Übernahmspreis von im Nachlass befindlichen Liegenschaften (6 Ob 289/07d). Jedenfalls insofern ist die Verlassenschaft bloß Objekt des Verlassenschaftsverfahrens und nicht Partei (RS0006384). Ihr Revisionsrekurs, der keinerlei Ausführungen zur Beschwer enthält, ist daher ohne inhaltliche Prüfung zurückzuweisen.
[13] B. Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist nicht zulässig (§ 62 Abs 1 AußStrG), soweit er sich gegen das Unterbleiben eines Ausspruchs über ihre konkrete Pflichtteilsberechtigung richtet. Im Übrigen ist er mangels Beschwer unzulässig.
[14] 1. Über das Bestehen eines Pflichtteilsanspruchs ist im Pflichtteilsprozess zu entscheiden (RS0005823). Die Antragstellerin zeigt (auch) im Revisionsrekurs nicht auf, auf welcher Rechtsgrundlage schon im Verlassenschaftsverfahren ein Beschluss über das Bestehen oder Nichtbestehen ihrer konkreten Pflichtteilsberechtigung zu fassen wäre; eine solche Rechtsgrundlage ist auch nicht ersichtlich. Soweit ihr Antrag auf einen solchen Beschluss gerichtet war („Zuerkennung der Pflichtteilsberechtigung“), wäre er daher abzuweisen gewesen. Zwar kann das der Oberste Gerichtshof mangels eines darauf gerichteten Antrags nicht wahrnehmen; die von der Antragstellerin gewünschte stattgebende Entscheidung ist aber keinesfalls möglich. Damit kommt es aber in diesem Punkt auf die als erheblich bezeichnete Rechtsfrage (Relevanz der abstrakten oder der konkreten Pflichtteilsberechtigung) nicht an; diese Rechtsfrage ist hier nicht präjudiziell (RS0088931). Insofern ist der Revisionsrekurs daher mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.
[15] 2. Im Übrigen ist die Antragstellerin durch den angefochtenen Beschluss nicht beschwert.
[16] 2.1. Die Pflichtteilsberechtigung ist bei Anträgen auf Inventarisierung nach § 165 Abs 1 Z 5 AußStrG iVm § 804 ABGB als Vorfrage zu beurteilen. Dabei ist (abgesehen von der Frage einer wirksamen Enterbung oder Erbunwürdigkeit) die konkrete Berechtigung maßgebend (2 Ob 178/15p mwN). Die Begründung des Rekursgerichts trifft daher nicht zu.
[17] 2.2. Aus den Gründen einer Entscheidung kann aber – außer bei Aufhebungsbeschlüssen und bei Zwischenurteilen und im Falle einer Bindungswirkung für einen Folgeprozess – keine Beschwer abgeleitet werden (10 Ob 27/18w mwN). Das gilt auch im Außerstreitverfahren (RS0006550). Zudem hat das Rekursgericht die Frage, ob die Antragstellerin konkret pflichtteilsberechtigt ist, ohnehin offen gelassen. Es ist daher nicht erkennbar, aus welchem Grund die Antragstellerin durch die Annahme des Rekursgerichts, dass für ihren Antrag auf Inventarisierung und Schätzung schon die abstrakte Pflichtteilsberechtigung ausreiche, beschwert sein könnte. In diesem Punkt ist der Revisionsrekurs daher jedenfalls unzulässig.
[18] 3. Nur zur Klarstellung ist festzuhalten, dass das Rekursgericht durch den bloßen Ausspruch über die Antragsberechtigung den Antrag auf Inventarisierung und Schätzung nicht vollständig erledigt hat. Das wird allerdings weder vom Rechtsmittelantrag erfasst (§ 70 Abs 1 AußStrG) noch in der Ausführung des Revisionsrekurses gerügt. Auf die damit zusammenhängenden Fragen (insb auf jene nach dem Rechtsschutzbedürfnis bei ohnehin bereits angeordneter Inventarisierung) ist daher nicht einzugehen. Gleiches gilt für die Frage, ob es für den vom Rekursgericht gefassten Feststellungsbeschluss überhaupt eine Rechtsgrundlage gibt.
Textnummer
E132664European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00075.21Z.0805.000Im RIS seit
23.09.2021Zuletzt aktualisiert am
17.01.2022