Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. J***** H*****, 2. G***** H*****, beide vertreten durch Dr. Siegfried Sieghartsleitner, Dr. Michael Pichlmair, Ing. MMag. Michael A. Gütlbauer, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagten Parteien 1. B***** B*****, 2. B***** B*****, 3. I***** B*****, alle vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in Linz, wegen 1. Unterlassung und Beseitigung (Streitwert 7.500 EUR), 2. Zahlung von 5.000 EUR sA, 3. Feststellung (Streitwert 2.500 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 2. September 2020, GZ 22 R 170/20w-103, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Wels vom 16. April 2020, GZ 13 C 1473/17w-96, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der drittbeklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.032,19 EUR (darin 172,15 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Erstklägerin und der Zweitkläger einerseits und der Erst- und der Zweitbeklagte andererseits sind Wohnungseigentümer (Eigentümerpartner) jeweils eines von zwei Reihenhäusern, die auf der Liegenschaft in Form eines Doppelhauses errichtet wurden. Die Drittbeklagte ist die Ehegattin des Erstbeklagten und Mutter des Zweitbeklagten. Sie wohnte und wohnt gemeinsam mit diesen in deren Wohnungseigentumsobjekt.
[2] Die Kläger begehrten, die Beklagten schuldig zu erkennen, die Zuleitung von Feuchtigkeit, insbesondere Fäkalwasser von ihrem Wohnungseigentumsobjekt in das Wohnungseigentumsobjekt der Kläger zu unterlassen und das im Dezember 2016 ausgetretene Fäkalwasser fachgerecht zu beseitigen. Zu diesem Hauptbegehren stellten die Kläger mehrere Eventualbegehren. Außerdem begehrten sie von den Beklagten 5.000 EUR an Schadenersatz und die Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden aufgrund des Fäkalwasseraustritts.
[3] Das Erstgericht gab sowohl dem Unterlassungs-, und Beseitigungsbegehren als auch dem Feststellungsbegehren statt und verpflichtete die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 3.000 EUR. Das Zahlungsmehrbegehren wies es ab.
[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Drittbeklagten Folge und wies das gegen sie gerichtete Klagebegehren ab. Den Berufungen des Erst- und des Zweitbeklagten gab das Berufungsgericht hingegen nicht Folge.
[5] Gegen den das Klagebegehren gegen die Drittbeklagte abweisenden Teil der Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die – nachträglich zugelassene – Revision der Kläger. Sie machen die Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragen, das Urteil des Erstgerichts gegenüber der Drittbeklagten in der Hauptsache wiederherzustellen und die gesamte Kostenentscheidung abzuändern, in eventu auch die Kostenentscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen. Hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.
[6] Die Drittbeklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise dieser nicht Folge zu geben.
[7] Die Revision der Kläger ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – nicht zulässig und zurückzuweisen, weil sie keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
Rechtliche Beurteilung
[8] 1. Als Rechtsgrund für ihre Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung und Schadenersatz sprechen die Kläger die Abwehr des Eingriffs in ihr Eigentumsrecht iSd § 523 ABGB, den nachbarrechtlichen Immissionsschutz iSd § 364 Abs 2 ABGB und die Haftung nach §§ 1318, 1319 ABGB an. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist dabei (nur mehr) die Frage, ob auch die Drittbeklagte diesbezüglich passivlegitimiert ist.
[9] 2. Die Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB (actio negatoria), die dem Schutz des Eigentümers vor der Anmaßung oder unberechtigten Erweiterung eines Rechts Dritter dient und auch zur Abwehr jeder sonstigen Störung des Eigentums durch unberechtigte Eingriffe berechtigt, steht jedem einzelnen Mit- und Wohnungseigentümer auch gegenüber einem anderen Wohnungseigentümer zu (RIS-Justiz RS0012040 [T5]; RS0083156 [T15]; RS0012112).
[10] Die Abwehr unzulässiger Immissionen als nachbarrechtlicher Anspruch gemäß § 364 ABGB ist ein besonderer Anwendungsfall der Eigentumsfreiheitsklage (RS0010526 [T4, T26]). Auch § 364 Abs 2 ABGB ist im Verhältnis zwischen Wohnungseigentümern ein und desselben Hauses anwendbar, wenn ein Wohnungseigentümer im Rahmen der Ausübung seines ausschließlichen Benützungsrechts an einem bestimmten Wohnungseigentumsobjekt Störungen verursacht (RS0010614 [T1]; RS0010603 [T1]).
[11] 3. Mit einer gegen einen unberechtigten Eingriff in das Eigentumsrecht gerichteten Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB kann der unmittelbare Störer, aber auch jeder als mittelbarer Störer belangt werden, der die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit hat, die Störung zu verhindern (RS0011737 [T18, T20, T32]; RS0103058; RS0012110).
[12] Die aus § 364 Abs 2 ABGB abgeleiteten Ansprüche können nach ständiger Rechtsprechung nicht nur gegen den Eigentümer des Grundstücks, von dem die Immissionen ausgehen, geltend gemacht werden, sondern gegen jeden, der durch Vorkehrungen auf dem Nachbargrundstück unzulässige Störungen hervorruft, sofern er diesen Grund für eigene Zwecke benutzt. Gefordert wird dabei eine Beziehung zum emittierenden Grundstück bzw ein gewisser Zusammenhang zwischen Sachherrschaft und Störung (RS0010516 [T3]; RS0010654 [T13]).
[13] 4. Das Berufungsgericht hat die Drittbeklagte weder als unmittelbare noch als mittelbare Störerin qualifiziert und daher deren Passivlegitimation verneint. Es begründete dies insbesondere mit der fehlenden Kausalität des der Drittbeklagten vorgeworfenen Verhaltens.
[14] Auf Basis der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ist diese einzelfallbezogene Beurteilung (RS0118891) nicht zu beanstanden. Zwar steht fest, dass es im Kellerraum des Wohnungseigentumsobjekts des Erst- und des Zweitbeklagten mehrere Wasserschäden gab und nach wie vor Feuchtstellen gibt und aus diesem Kellerraum „Wasser bzw Feuchtigkeit“ in den Kellerraum der Kläger eindringt. Die konkrete Ursache für das Eindringen des Wassers von der Haushälfte des Erst- und Zweitbeklagten in die Haushälfte der Kläger konnte aber nicht festgestellt werden. Daher mag es zwar naheliegend sein, dass diese Zuleitung von Wasser mit der Nutzung der im Kellerraum der Erst- und Zweitbeklagten untergebrachten Sanitäranlagen und/oder Waschmaschine zusammenhängt, der Kausalitätsbeweis ist den Klägern damit aber angesichts der ausdrücklichen Negativfeststellung dazu nicht gelungen. Es steht daher gerade nicht fest, dass die Drittbeklagte, die die Sanitäranlagen und/oder die Waschmaschine im Kellerraum auch verwendet, den Wassereintritt in das Objekt der Kläger (mit-)verursacht hat und/oder (mit-)verursacht.
[15] Der Drittbeklagten kann die von der Haushälfte des Erst- und Zweitbeklagten ausgehende Zuleitung von Wasser bzw Feuchtigkeit aber auch nicht allein aufgrund ihrer Eigenschaft als Mitbewohnerin zugerechnet werden. Die nicht von ihr selbst verursachte Störung könnte ihr nach § 364 Abs 2 ABGB und/oder § 523 ABGB nur zugerechnet werden, wenn für sie die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit bestünde, die störenden Handlungen Dritter zu steuern und gegebenenfalls zu verhindern. Die Drittbeklagte ist nicht Eigentümerpartnerin des Wohnungseigentumsobjekts. Es liegt offenbar bloß ein familienrechtliches Wohnverhältnis vor, das der Drittbeklagten keinerlei Befugnis verschafft, den Wohnungseigentümern ein bestimmtes Verhalten aufzuerlegen oder selbst Verwaltungsmaßnahmen in Bezug auf das Wohnungseigentumsobjekt zu setzten.
[16] 5. Auch die von den Klägern herangezogenen §§ 1318, 1319 ABGB sind nicht geeignet, eine Haftung der Drittbeklagten zu begründen. Die Haftung nach § 1318 ABGB besteht zwar auch für gefährlich „verwahrtes“ Wasser (RS0111412; RS0029703). Das bedeutet aber nicht, dass grundsätzlich für jeden Wassereintritt eine Haftung gegeben wäre. Die Haftung setzt vielmehr bestimmte Umstände voraus, die auf die mögliche Gefahr eines Wasseraustritts hinwiesen, was nach den Gegebenheiten des Einzelfalls zu beurteilen ist (RS0029837 [T4]). Es bedarf daher einer Feststellung einer Schadensursache, um überhaupt beurteilen zu können, ob aufgrund von Gefahrenmomenten der Schadenseintritt wahrscheinlich war. Kann – wie hier – nicht festgestellt werden, weshalb Wasser von der Haushälfte des Erst- und Zweitbeklagten in die Haushälfte der Kläger gelangt, ist eine Haftung nach § 1318 ABGB schon deshalb zu verneinen, weil eine gefährliche „Verwahrung“ von Wasser gerade nicht nachgewiesen wurde.
[17] 6. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft; sie liegt nicht vor.
[18] Als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens machen die Kläger – zusammengefasst – geltend, das Berufungsgericht habe das Klagebegehren gegenüber der Drittbeklagten entweder auf Basis des erstinstanzlichen Vorbringens der Kläger aus für sie überraschenden, rechtlichen Erwägungen zufolge Unschlüssigkeit abgewiesen, oder aber ungeachtet des Neuerungsverbots das erstmals in der Berufung erstattete (Bestreitungs-)Vorbringen der Drittbeklagten berücksichtigt. Hätte das Berufungsgericht sie nicht mit seiner Rechtsansicht überrascht, hätten die Kläger ihr Vorbringen entsprechend präzisiert und Beweisanträge gestellt.
[19] Die behauptete Verletzung des Neuerungsverbots durch das Berufungsgericht könnte vom Obersten Gerichtshof zwar aufgegriffen werden, wenn sie zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Streitsache geführt hat, indem neue Ansprüche oder Einreden berücksichtigt wurden (RS0042071 [T6]; RS0112215). Die Beantwortung der Frage, ob eine im Berufungsverfahren unzulässige Neuerung vorliegt, geht in ihrer Bedeutung aber nicht über den Einzelfall hinaus und begründet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0044273 [T61]; RS0042828 [T35]). Eine ausnahmsweise im Interesse der Wahrung der Rechtssicherheit aufzugreifende unvertretbare Auslegung des Parteivorbringens durch das Berufungsgericht (vgl RS0042828 [T11, T30, T31]; RS0044273 [T53]) zeigen die Kläger nicht auf. Die Beklagten (und damit auch die Drittbeklagte) bestritten ausdrücklich, für eine Zuleitung von Wasser auf die Liegenschaft der Kläger verantwortlich zu sein und für daraus abgeleitete Ansprüche zu haften. Mit seiner implizit zum Ausdruck gebrachten Auffassung, dieses Vorbringen enthalte das Tatsachensubstrat, aus dem der Einwand der mangelnden Passivlegitimation abzuleiten ist, hat das Berufungsgericht den ihm eingeräumten Beurteilungsspielraum nicht verlassen.
[20] Das Gericht darf die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RS0037300). Die Unterlassung der Erörterung eines bisher unbeachtet gebliebenen rechtlichen Gesichtspunkts kann nur dann einen Verfahrensmangel begründen, wenn dadurch einer Partei die Möglichkeit genommen wurde, zur bisher unbeachtet gebliebenen Rechtslage entsprechendes Tatsachenvorbringen zu erstatten. Werden hingegen nur dieselben Tatsachen, die schon der bisher erörterten Rechtslage zugrunde lagen, rechtlich anders gewertet, kann die Verletzung des § 182a ZPO keine Rechtsfolgen haben (RS0120056 [T13]). Ein Verfahrensmangel kann auch nur dann zur Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts führen, wenn er wesentlich für die Entscheidung war und sich auf diese auswirken konnte (RS0116273). In einer Verfahrensrüge wegen Verletzung der Pflichten des § 182a ZPO muss der Rechtsmittelwerber daher dartun dass der Verfahrensmangel erheblich ist; dies kann er nur durch Anführung jenes Vorbringens, das er aufgrund der von ihm nicht beachteten neuen Rechtsansicht erstattet hätte (RS0120056 [T2, T8, T12]), weil nur auf dieser Grundlage die Wesentlichkeit des Mangels beurteilt werden kann (RS0037325 [T5]).
[21] Die Kläger haben diesem Erfordernis, die Relevanz der behaupteten Mangelhaftigkeit aufzuzeigen, nicht entsprochen. Das zusätzliche und ergänzende Vorbringen bezieht sich darauf, dass (auch) die Drittbeklagte Kenntnis vom Wasseraustritt bei der Benutzung von Waschmaschine, Dusche und Waschbecken hatte und dennoch Abhilfemaßnahmen unterließ. Diese Kenntnis ist aber wegen des fehlenden Nachweises des Kausalzusammenhangs zwischen der Nutzung und dem Wassereintritt bei den Klägern nicht von Relevanz. Die Kläger ließen die vom Erstgericht getroffene Negativfeststellung zum Kausalzusammenhang unbekämpft. Die in erster Instanz obsiegende Partei ist jedoch gehalten, primäre Verfahrensmängel und ihr nachteilige Feststellungen in der Berufungsbeantwortung zu rügen, sofern sich der Berufungswerber – wie im vorliegenden Fall durch gesetzmäßige Ausführung einer Rechtsrüge (RS0112020) – ausdrücklich auf diese Feststellungen des Erstgerichts bezieht (§ 468 Abs 2 Satz 2, § 473a ZPO; RS0119339; RS0042740 [T44]). Die Kläger wären daher verhalten gewesen, in der Berufungsbeantwortung die Feststellung, wonach nicht geklärt werden könne, woher das Wasser und die Feuchtigkeit, die vom Keller der Beklagten in den Keller der Kläger eintritt, herkommt, zu bekämpfen. Dies haben die Kläger unterlassen. Daher ist von dieser Feststellung auszugehen.
[22] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Drittbeklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung darauf hingewiesen, dass das Rechtsmittel der Kläger nicht zulässig ist. Dieser Schriftsatz diente daher der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung, sodass sie Anspruch auf Ersatz der darauf entfallenden Kosten hat.
Textnummer
E132671European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00022.21B.0830.000Im RIS seit
23.09.2021Zuletzt aktualisiert am
10.11.2021