Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 14. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vizthum als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ahmed Am***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Geschworenengericht vom 8. April 2021, GZ 705 Hv 1/21v-295, weiters über dessen Beschwerde gegen einen Beschluss gemäß § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde der Angeklagte Ahmed Am***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (?./), des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG (??./) und der Verbrechen nach § 3g VerbotsG (?./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in G***** und andernorts
?./ am 4. Juli 2020 Sar-Ali A***** zu töten versucht, indem er mit einer Faustfeuerwaffe mehrere Schüsse auf diesen abzugeben versuchte, sich aufgrund eines technischen Defekts jedoch kein Schuss löste;
??./ von Anfang Juni 2020 bis 4. Juli 2020 unbefugt eine Schusswaffe der Kategorie B, nämlich eine Faustfeuerwaffe Typ Tokarev Kaliber 7,62 mm, besessen und geführt;
?./ von 20. Februar 2020 bis 23. Mai 2020 sich auf andere als die in §§ 3a bis 3f VerbotsG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er von einem Smartphone unter anderem Adolf Hitler, Hakenkreuze und Wehrmachtssoldaten zeigende und zum Teil mit Beschriftungen wie „Vergasen“, „Ausländer raus!“ und „Mein Führer hat die Kapitulation nicht unterschrieben!“ versehene Bilddateien teils mehrfach versendete.
[3] Die Geschworenen haben – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde relevant – die anklagekonform gestellte Hauptfrage 1./ in Richtung des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB bejaht und (demgemäß) die hiezu gestellte Eventualfrage 1./ in Richtung des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (Versuch der Verhinderung des fluchtartigen Wegfahrens durch gefährliche Drohung mit dem Tod mittels Abgeben von Schüssen auf die Reifen des von A***** benutzten Fahrzeugs) ebenso wie die darauf bezogene Zusatzfrage 1./ zum Rechtfertigungsgrund nach § 80 Abs 2 StPO unbeantwortet gelassen.
Rechtliche Beurteilung
[4] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 6 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[5] Die gesetzeskonforme Ausführung einer Fragenrüge (Z 6) verlangt die deutliche und bestimmte Bezeichnung jenes Sachverhalts, auf den die Rechtsbegriffe der §§ 312 ff StPO abstellen, somit eines (in der Hauptverhandlung vorgekommenen) die begehrte Frage indizierenden Tatsachensubstrats (RIS-Justiz RS0100860). Weiters darf der Rechtsmittelwerber den Nachweis der geltend gemachten Nichtigkeit nicht bloß auf der Grundlage isoliert herausgegriffener Teile von Beweisergebnissen führen, sondern hat diese in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0120766).
[6] Diesen Kriterien wird die Fragenrüge nicht gerecht.
[7] Zur einleitenden Kritik, die Hauptfrage 1./ „erfrage … einen auf Mordverwirklichung gerichteten Vorsatz“, obwohl der Angeklagte einen solchen stets bestritten hatte, genügt der Verweis auf § 312 Abs 1 StPO.
[8] Die Behauptung, die – nicht beantwortete – Eventualfrage 1./ nach dem Verbrechen der schweren Nötigung, entspräche nicht § 314 Abs 1 StPO, weil in der Hauptverhandlung „überhaupt keine Tatsachen vorgebracht worden sind, die auf einen auf Willensbeugung … gerichteten Vorsatz hätten schließen lassen können“, strebt im Ergebnis deren Entfall an und ist insoweit mit Blick auf die dann allein vorhandene Hauptfrage in Richtung des Verbrechens des Mordes zum Nachteil des Angeklagten ausgeführt (§§ 282, 344 StPO; vgl RIS-Justiz RS0099918 und Ratz, WK-StPO § 282 Rz 2).
[9] Soweit die Rüge weiters vermeint, auf Basis der Angaben des Angeklagten, nur auf die Reifen des Fahrzeugs gezielt zu haben, um die Flucht des damit wegfahrenden „Mörders“ A***** zu stoppen, hätten sich Eventualfragen nach den Vergehen der Freiheitsentziehung nach §§ 15, 99 Abs 1 StGB und der Sachbeschädigung nach §§ 15, 125 StGB „aufgedrängt“, legt sie nicht dar, inwiefern erstgenannte indiziert (RIS-Justiz RS0132012, RS0132634) sein sollte, zumal diese Verantwortung einen widerrechtlichen Entzug der Freiheit gerade nicht nahelegt, während zweitgenannte die Fragestellung in Richtung einer zusätzlichen strafbaren Handlung anstrebt und demgemäß nicht zum Vorteil des Angeklagten ausgeführt ist (§§ 282, 344 StPO; vgl Ratz, WK-StPO § 282 Rz 15).
[10] Im Übrigen hätte das ins Treffen geführte Sachverhaltssubstrat ohnehin in der Eventualfrage 1./ (und der – vom Rechtsmittel reklamierten – entsprechenden Zusatzfrage 1./ nach den Voraussetzungen des § 80 Abs 2 StPO) Deckung gefunden.
[11] Weshalb eine Fragestellung in Richtung des Verbrechens des Totschlags nach §§ 15, 76 StGB geboten gewesen sein sollte, obwohl der Angeklagte behauptet hatte, (ohne irgendeinen Tötungsvorsatz) nur auf die Reifen des Fahrzeugs gezielt zu haben, um den Flüchtenden zu stoppen (ON 294 S 8, 16, 22, 47), erklärt die Rüge nicht (vgl RIS-Justiz RS0100930 [T10], RS0120766 [T5]).
[12] Mit der Berufung auf die Schilderung des Angeklagten, (nach dem Hören von Schüssen) „panisch“ gewesen zu sein (ON 175 S 11), wird im Übrigen ein solcher Umstand ebenso wenig aufgezeigt wie mit den Ausführungen zur Schutzbedürftigkeit des Martin B***** (den der Angeklagte bei dessen Treffen mit Sar-Ali A***** beschützen hätte sollen) und zum allfälligen Wissen um dessen kurz zuvor erfolgte Tötung.
[13] Den Schuldspruch VI./ betreffend fordert die Beschwerde auf Basis der Aussage des Angeklagten, gewusst zu haben, „dass man dafür bestraft wird, wenn man mit Hitler sympathisiert“, aber nicht, „dass man auch für solche Fotos, die vielleicht komisch sind oder rein historische Informationen tragen, […] bestraft wird“ (ON 294 S 20), eine Zusatzfrage nach nicht vorwerfbarem Rechtsirrtum (§ 9 Abs 1 StGB). Dass dem Genannten die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens verborgen geblieben wäre, ist aus diesen Angaben logisch gerade nicht abzuleiten; ein Vorbringen schon ein Irrtum über die Strafbarkeit der Tat sei schuldausschließend, wurde nicht aus dem Gesetz entwickelt (vgl demgegenüber RIS-Justiz RS0089684, RS0102148, RS0087951 sowie Höpfel in WK² StGB § 9 Rz 6).
[14] Durch die Bezugnahme auf den Inhalt der Niederschrift der Geschworenen wird kein für die Fragestellung relevantes, in der Hauptverhandlung vorgekommenes Tatsachensubstrat aufgezeigt (vgl RIS-Justiz RS0100860). Gleiches gilt für die Ausführungen zur politischen Einstellung des Angeklagten (vgl RIS-Justiz RS0110512).
[15] Ein Eingehen auf das Vorbringen fehlender Vorwerfbarkeit des geltend gemachten Irrtums des im Übrigen seit 2003 (ON 28 S 4) in Österreich aufhältigen Angeklagten erübrigt sich daher (vgl RIS-Justiz RS0089776; Höpfel in WK² StGB § 9 Rz 12).
[16] Die Tatsachenrüge (Z 10a) vermag mit dem Hinweis auf die Depositionen des Angeklagten, nur auf die Reifen des Fahrzeugs gezielt und unverzüglich die Polizei gerufen zu haben, die Ausführungen des Sachverständigen zur von Am***** erwarteten Wirkung eines Schusses auf die Reifen, das nach eigenständiger Interpretation des Rechtsmittelwerbers gegen einen Mordvorsatz sprechende Gespräch mit einem Polizeibeamten und den Umstand, dass der Angeklagte – nach Einschätzung des von ihm kontaktierten Beamten – die Ausforschung und Festnahme des A***** erst ermöglicht hat, keine nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierenden Bedenken (RIS-Justiz RS0118780&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False">RS0118780) an der Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen (zur Hauptfrage 1./) festgestellten entscheidenden Tatsachen, insbesondere des in Zweifel gezogenen Tötungsvorsatzes, zu wecken. Entsprechendes gilt für das auf die leugnende Einlassung des Beschwerdeführers gestützte, gegen die im Wahrspruch (zur Hauptfrage 3./) konstatierte subjektive Tatseite gerichtete Vorbringen.
[17] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu erstatteten Äußerung der Verteidigung war daher die Nichtigkeitsbeschwerde – die trotz Antrags auf Totalaufhebung des Urteils kein Sachvorbringen zum Schuldspruch II./ enthält (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO) – bei nichtöffentlicher Beratung gemäß §§ 285d Abs 1, 344 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die (implizierte) Beschwerde gegen eine Probezeitverlängerung folgt (§§ 285i, 344, 498 Abs 3 StPO).
[18] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E132686European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0110OS00090.21A.0914.000Im RIS seit
24.09.2021Zuletzt aktualisiert am
24.09.2021