TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/21 W278 2218419-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.05.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

21.05.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W278 2218419-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. HABITZL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Jemen, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH in 1020 Wien, gegen den Spruchpunkt I des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.04.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (in der Folge auch: BF), ein Staatsangehöriger des Jemen, stellte am 20.05.2016 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für Studierende. Dem Antrag wurde stattgegeben und dem BF ein Visum D mit der Gültigkeit von 22.01.2017 bis 21.05.2017 erteilt. Der BF reiste am 24.01.2017 mit dem Visum nach Österreich, behob jedoch den Aufenthaltstitel nicht, sodass das Verfahren am 24.05.2017 eingestellt wurde.

Am 28.03.2017 stellte der BF einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Er wurde am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unter Heranziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache erstbefragt und gab hierbei im Wesentlichen an, er sei im Dezember 2014 aus dem Jemen ausgereist, nachdem er ein Jahr zuvor den Entschluss zur Ausreise gefasst habe. Sein Zielland sei Jordanien gewesen, da er dort habe studieren wollen. Das habe er in der Folge auch getan. Nun wolle er in Österreich bleiben und weiter studieren, da es hier ein besseres Leben gebe. Da die Unterstützungsgelder des jemenitischen Staates eingestellt worden seien, habe er beschlossen in Österreich um Asyl anzusuchen. Zudem habe er keinen Kontakt mehr zu seiner Familie und in seinem Herkunftsstaat herrsche Krieg, sodass der BF um sein Leben fürchte. Von staatlicher Seite habe er im Falle einer Rückkehr nicht mit Sanktionen zu rechnen.

Am 06.06.2018 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) die Einvernahme des BF in der Sprache Arabisch statt. Dabei gab er im Wesentlichen an, der Dolmetscher habe ihn in der Erstbefragung nicht gut verstanden und ihm nicht die Niederschrift sondern bloß seine Notizen rückübersetzt. Erst bei Durchsicht zu Hause sei ihm dies aufgefallen. So habe der BF seine Ausreise aus dem Jemen für einen Monat – nicht ein Jahr geplant und verschiedene Daten seien falsch aufgenommen worden. Jordanien habe der BF nur als Transitland benutzt, weil er noch nicht gewusst habe, wo er seinen Asylantrag habe stellen wollen. Zwar habe er in Jordanien studieren wollen, jedoch eigentlich dort nur darauf gewartet, ein besseres Land für seinen Asylantrag zu finden. Weiters habe er zu seinen Fluchtgründen ergänzend angeführt, dass er von den Huthi Milizen bedroht und entführt worden sei. Sein Vater sei ermordet worden und einer seiner Brüder werde vermisst. Zu seiner Mutter und seinen Geschwistern im Jemen könne er keinen Kontakt herstellen.

Der BF und sein Vater seien Gegner des alten Regimes im Jemen gewesen. Bei einer Wahl 2006 habe er den Gegner des Präsidenten unterstützt, 2011 vor der jemenitischen Botschaft in Jordanien demonstriert und auch selbst Demonstrationen organisiert. 2013 sei er in den Jemen zurückgekehrt, habe als Apotheker gearbeitet und sei Mitglied einer neuen Partei geworden. Nach einem Putsch der alten Regierung, unterstützt von der Huthi Miliz, habe der BF 2014 an weiteren Demonstrationen teilgenommen. Der Name des BF sei auf einer Suchliste gewesen. Als er dies erfahren habe, habe er sich 20 Tage lang bei einem Freund versteckt, danach sei er wieder in seine Apotheke gegangen, wo er von Mitgliedern von Al Huthi überfallen und entführt worden sei. In der Folge sei er eingesperrt und bedroht worden, bis er der Gruppierung seine Unterstützung zugesagt habe. Nach seiner Freilassung habe sich die Polizei geweigert, dem BF zu helfen. Er habe im Krankenhaus behandelt werden müssen. In der Folge sei er so schnell wie möglich nach Jordanien ausgereist, weil er dort kein Visum benötigt habe. Von dort aus habe er ein sicheres Land gesucht, wo er ohne Angst leben, weiter studieren und sich eine Zukunft aufbauen könne. Kein Gebiet im Jemen sei sicher, die Familie des BF wechsle ständig die Adresse. Der BF fürchte um sein Leben.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 05.04.2019 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 28.03.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 05.04.2020 (Spruchpunkt III.).

Zu Spruchpunkt I. wurde begründend ausgeführt, der BF habe in seiner Erstbefragung lediglich wirtschaftliche Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates angeführt und erst in weiterer Folge eine Verfolgung durch die Huthi geltend gemacht. Diese gesteigerte Schilderung der Vorkommnisse sei dabei oberflächlich und in sich nicht schlüssig geblieben. Eine individuelle Bedrohung iSd der GFK sei daher nicht glaubhaft gemacht worden.

Mit Schriftsatz vom (zuletzt) 06.05.2019 erhob der BF durch seine vormalige Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA vom 05.04.2019. Darin wurden die Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie unrichtige bzw. mangelhafte Bescheidbegründung geltend gemacht. Das Fluchtvorbringen des BF werde aufrechterhalten, dieses sei von der Behörde unrichtig beurteilt worden. Der BF sei seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen, den vorgebrachten Hinweisen sei von Amts wegen jedoch nicht tiefergehend nachgegangen. Der BF sei politisch tätig gewesen und daher von Huthi-Rebellen entführt und mit dem Tod bedroht worden. Er habe sich nicht zwangsrekrutieren lassen wollen, sodass er fliehen habe müssen. Die Sicherheitslage im Jemen sei nach wie vor sehr instabil. Im Zuge der Erstbefragung habe der BF keine Gelegenheit gehabt, sein Fluchtvorbringen detailliert darzulegen. Die diesbezügliche Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid sei mangelhaft und verletze Verfahrensvorschriften, da nicht davon auszugehen sei, dass ein Asylwerber in der Erstbefragung iSd § 19 AsylG immer alles, was zur Asylgewährung führen könne, vorbringe. Beantragt wurden die Abänderung des Bescheides dahingehend, dass dem Antrag auf internationalen Schutz des BF Folge gegeben und ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt werde; in eventu, die Behebung des Spruchpunktes I. und Zurückverweisung an das BFA sowie die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Das BFA legte dem erkennenden Gericht mit Schriftsatz vom 06.05.2019 die Verwaltungsakten vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Am 02.02.2020 langten ergänzende Erläuterungen des BF selbst zum Beschwerdevorbringen ein. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, seine Angaben seien nicht widersprüchlich gewesen und der Einvernahmeleiter habe ihn am 06.06.2018 nach diversen Details gar nicht gefragt. Zudem machte er Ausführungen dazu, weshalb er nicht aus finanziellen Gründen einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt habe.

Am 14.03.2021 langte beim BVwG eine weitere Stellungnahme des BF, diesmal ua zu dem mit der Ladung des BVwG übermittelten Länderinformationsblattes zum Jemen, ein. Er führte aus, dass die Situation im Jemen schlechter sei, als in dem Länderinformationsblatt dargestellt. Zudem tätigte der BF weitere Ausführungen zum angefochtenen Bescheid. Nach einer Wiederholung der Angaben vom 02.02.2020, führte er aus, es seien Verletzungen von Verfahrensvorschriften in Bezug auf die Erstbefragung gegeben. Auch sei er nicht aus monetären Gründen nach Österreich gekommen, seine finanzielle Situation im Jemen sei exzellent gewesen. Der Dolmetscher habe ihm gesagt, es handle sich um eine unwichtige Ersteinvernahme und habe ihn nicht aussprechen lassen. Er sei nicht gefragt worden, weshalb er den Jemen habe verlassen müssen. Er habe den Dolmetscher nicht gut verstanden, ihn jedoch für einen Staatsbediensteten gehalten und ihm vertraut.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte für den 30.03.2021 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung an, im Zuge derer der Beschwerdeführer, vertreten durch die BBU, ausführlich zu seinen persönlichen Umständen im Jemen und seinen Fluchtgründen einvernommen wurde.

Dem BF wurde eine Frist von zwei Wochen für die Abgabe einer Stellungnahme zu den herangezogenen Länderberichten (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung vom 16.12.2019) und asylrelevanter Judikatur gewährt.

In einer Stellungnahme der ausgewiesenen Rechtsvertretung des BF vom 13.04.2021 wurde ausgeführt, dass das in den Länderberichten angeführte Vorgehen der Huthi-Rebellen die Schilderungen des BF unterstreichen würde. Aus den Berichten gehe hervor, dass mit menschenverachtenden Mitteln gegen politische Gegner vorgegangen werde. Durch seine politischen Tätigkeiten sei der BF im gesamten jemenitischen Staatsgebiet politischer Verfolgung ausgesetzt. Der Zeitpunkt der Machtergreifung durch die Rebellen in XXXX im Jahr 2014 decke sich mit den Schilderungen des BF. Dem BF drohe im Falle einer Rückkehr auch durch andere Konfliktparteien Verfolgung und Zwangsrekrutierung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

A. Feststellungen:

1. Zur Person des Beschwerdeführers:

1.1. Der BF führt den im Spruch genannten Namen und ist am genannten Tag geboren. Er ist jemenitischer Staatsangehöriger, der Volksgruppe der Araber sowie der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zugehörig und spricht die arabische Sprache sowie Englisch und etwas Deutsch. Seine Identität steht fest.

1.2. Der BF wurde im Jemen, in der Provinz XXXX , im Dorf XXXX geboren und wuchs dort auf. Er besuchte zwölf Jahre lang die Schule und studierte in der Folge Pharmazie in Jordanien. Er erlangte seine Lizenz als Apotheker im Jemen.

1.3. Im Jahr 2013 kehrte der BF in den Jemen zurück. Er lebte in XXXX und arbeitete dort in einem Unternehmen und einer Apotheke, zu Beginn des Jahres 2014 eröffnete er zudem seine eigene Apotheke. Am 23.12.2014 reiste der BF legal nach Jordanien aus und hielt sich dort bis zu seiner Einreise nach Österreich Anfang 2017 auf.

1.4. Der BF ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.5. Der BF reiste am 24.01.2017 legal mit einem Visum D, ausgestellt zur Abholung eines Aufenthaltstitels als Studierender, in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 28.03.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.6. Der BF ist ledig und kinderlos. Die Eltern des BF sind bereits verstorben. Zu seiner übrigen Familie im Jemen hat er aktuell keinen Kontakt.

2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Der BF ist in seinem Herkunftsstaat keiner auf einen Konventionsgrund beruhenden Verfolgung ausgesetzt. Insbesondere ist er keiner individuellen, politisch motivierten Verfolgung durch die Gruppierung der Huthi-Miliz ausgesetzt.

3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

Aufgrund der mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelten Erkenntnisquellen, zu welchen der BF sowie seine Rechtsvertretung schriftlich Stellung bezogen, werden folgende Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Jemen, Gesamtaktualisierung 16.12.2019

Politische Lage

Die Republik Jemen bezeichnet sich in ihrer am 15./16. Mai 1991 in einer Volksabstimmung angenommenen Verfassung (geändert am 28. September 1994) als unabhängigen, arabischen, islamischen und republikanischen Staat. Staatsreligion ist der Islam (GIZ 10.2019). Die innere Lage des Landes wird immer noch durch die geteilten historischen Erfahrungen geprägt: einerseits britische Kolonialherrschaft und danach sozialistische Einflüsse im Süden, andererseits konservative muslimische Herrschaft und Stammesgesellschaft im Norden. 1990 vereinigten sich beide Staaten; der Nordjemen war die dominierende Kraft (DW 30.1.2018). Die gravierenden ökonomischen, sozialen und politischen Differenzen zwischen beiden Landesteilen sind jedoch nicht überwunden (GIZ 10.2019).

Die politischen Herausforderungen für Jemen bestanden bereits vor Ausbruch des andauernden bewaffneten Konflikts im Jahr 2014. 2004 begann in der nordjemenitischen Provinz Saada der Huthi-Aufstand, ab 2007 erstarkte die sezessionistische Bewegung im Süden des Landes. Beide Gruppen begehren gegen die Marginalisierung ihrer jeweiligen Region auf. Zusätzlich bereitete sich spätestens seit 2009 das internationale islamistische Terrornetzwerk Al-Qaida im Jemen immer weiter aus. 2011 kam es landesweit zu Massenprotesten, in denen die Demonstranten das Ende des Saleh-Regimes und einen demokratischen Wandel forderten. Gleichzeitig traten jedoch Kämpfe innerhalb der Machtelite zutage (BPB 18.10.2011).

(Ex-)Präsident Ali Abdullah Saleh bekämpfte während seiner Amtszeit den mutmaßlich durch den Iran unterstützten Huthi-Aufstand. 2011 trat er nach langen Verhandlungen und unter Zugeständnissen zu seinen Gunsten wie dem Erlangen von strafrechtlicher Immunität für seine Rolle bei der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten gegen die Regierung zugunsten seines damaligen Vizepräsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi zurück, der 2012 von den Wählern interimistisch im Amt bestätigt wurde. Ein Konsens für die Neuordnung des politischen Systems wurde zwar begonnen, dann aber vom Huthi-Aufstand und dem bewaffneten Konflikt zum Erliegen gebracht. Hadis Regierung ist zwar international anerkannt, sie kontrolliert jedoch nicht das ganze Territorium und hat kein klares Mandat (FH 4.2.2019; vgl. Der Standard 4.12.2017).

Es gibt im Jemen keine funktionierende Zentralregierung, und staatliche Institutionen, die noch funktionieren, werden durch nicht-gewählte Beamte oder bewaffnete Gruppierungen kontrolliert (FH 4.2.2019). Das gewählte (und somit legitime) Parlament besteht laut derzeitiger Verfassung aus einer Kammer mit 301 Abgeordneten, die für sechs Jahre gewählt werden (GIZ 10.2019). Am 13. April 2019 wurde Sultan al-Barakani zum Parlamentspräsidenten gewählt, nachdem das Parlament erstmals seit Ausbruch des Konflikts 2015 wieder zusammengetreten war. Zahlreiche Abgeordnete halten sich derzeit im Ausland auf (AA 12.8.2019). Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sind viele Jahre überfällig, und keiner Seite gelang es während des Krieges, genug Territorium zu kontrollieren, um etwaige Wahlen abzuhalten. Parlamentswahlen wurden zuletzt am 27. April 2003 abgehalten, und hätten eigentlich 2009 wieder durchgeführt werden sollen. Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2012 gab es nur einen Kandidaten. Im Kontext des Bürgerkriegs wird die politische Opposition unterdrückt. Normale politische Aktivität wird durch die Präsenz mehrerer bewaffneter Gruppen im Jemen verhindert, darunter Huthi-Rebellen, sunnitische Extremisten, südjemenitische Separatisten, ausländische Truppen der von Saudi-Arabien angeführten Koalition, Truppen der Hadi-Regierung und lokale Milizen (FH 4.2.2019).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist im ganzen Land ausgesprochen volatil. Die Sicherheit kann durch staatliche Behörden nicht gewährleistet werden. Der bewaffnete Konflikt zwischen Huthi-Rebellen aus dem Nordwesten des Landes und der Regierung und ihren Unterstützern, darunter die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition, dauert weiter an (AA 28.8.2019). Daneben ist auch der südjemenitische, von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützte Southern Transitional Council (STC) ein zentraler bewaffneter Akteur. Sowohl STC als auch die Kräfte, die hinter der Regierung stehen, kämpfen gegen die Huthi. Sie bekämpfen sich jedoch auch untereinander, was die Spannungen zwischen Abu Dhabi und Riyadh verdeutlicht (ICG 16.10.2019). Im Chaos des Krieges zwischen Hadi-Regierung und Huthi erstarkten außerdem Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel, der „Islamische Staat“ und andere bewaffnete Gruppierungen (Al Jazeera 2.8.2019; vgl. The Guardian 1.10.2019).

Die fortdauernden Kampfhandlungen stellen für die Zivilbevölkerung weiterhin eine erhebliche Gefährdung dar. Die staatlichen Institutionen sind landesweit nur noch sehr eingeschränkt funktionsfähig. Bereits im September 2014 hatten Huthi-Milizen die Kontrolle über weite Landesteile, darunter auch die Hauptstadt Sanaa, übernommen und auch Teile der Sicherheitskräfte unter ihre Kontrolle gebracht. Die staatlichen Sicherheitsorgane sind nur bedingt funktionsfähig und können im Einzelfall keinen ausreichenden Schutz garantieren. Die Spannungen zwischen Nord- und Südjemen und die zunehmende Fragmentierung des Landes tragen zur Instabilität des Landes bei (AA 28.8.2019).

ACLED berichtet von mehr als 12,000 zivilen Todesfällen im Konflikt seit 2015. Insgesamt wurden seit 2015 mehr als 100,000 (militärische und zivile) Opfer gezählt. Bis Ende Oktober wurden 2019 circa 1,100 getötete Zivilisten verzeichnet. Die Gewalt konzentrierte sich 2019 auf die Gouvernements Taiz, Hodeidah und Al Jawf (ACLED 31.10.2019). Die Luftschläge der saudisch-geführten Koalition und die Angriffe der Huthis unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und Militärpersonen. Bei einem saudischen Luftangriff im August 2018 wurde beispielsweise ein Schulbus in Saada getroffen und 40 Kinder getötet (FH 4.2.2019).

Ab Juni 2018 war die Hafenstadt Hodeidah von starken Kämpfen betroffen. Im Dezember 2018 vermittelte die UN ein Abkommen („Stockholm-Abkommen“), das die Demilitarisierung Hodeidahs vorsah. Die Umsetzung gestaltete sich jedoch schwierig. So brachen dort z.B. gleich nach Unterzeichnung des Abkommens, so wie auch im Mai 2019 erneut Kämpfe aus. Gleichzeitig intensivierten die Huthi ihre Angriffe auf saudisches Territorium, und auch die saudischen Luftangriffe verstärkten sich in den letzten Monaten [Mai bis Juli 2019] (ICG 18.7.2019; vgl. The Guardian 15.5.2019; vgl. FH 4.2.2019). Anfang August 2019 kam es in der Hafenstadt Aden zu schweren Gefechten zwischen südjemenitischen Separatisten und gegenüber der Hadi-Regierung loyalen Truppen. Weite Teile des Landes sind von täglichen Bombardierungen, Raketenangriffen und Kampfhandlungen am Boden betroffen (AA 28.8.2019). Im August nahmen die Separatisten Aden ein (BBC 11.8.2019). Im September erklärten die Huthis einen unilateralen Waffenstillstand; die saudischen Luftangriffe haben seitdem zumindest abgenommen (Al Jazeera 24.9.2019; vgl. ICG 10.2019). Im Oktober 2019 kam es Berichten zufolge in den Gouvernements Abyan und Shebwa zu sporadischen Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Separatisten des STC. Saudische Kräfte übernahmen schrittweise die Kontrolle über Aden, und die Kräfte der VAE zogen sich zurück (ICG 10.2019; vgl. ACLED 5.11.2019).

Am 5. November 2019 wurde das „Riyad-Abkommen“ unterzeichnet, nachdem die Unterzeichnung wegen Eskalation der Kämpfe in Abyan am 31. Oktober verschoben worden war. Das Abkommen zwischen den Separatisten im Südjemen und der Hadi-Regierung soll eine Machtteilung bringen. Die Kämpfe im Gouvernement Abyan gehen weiter. Luftangriffe der saudisch-geführten Militärkoalition in den Gouvernements Hajjah und Sadah, sowie in geringerem Maße in Sanaa, halten an (ACLED 5.11.2019).

Die politische Instabilität im Jemen führt dazu, dass der Fluss an Waffen und Munition in die Region nicht kontrolliert werden kann (USDOS 1.11.2019). Im ganzen Land leiden Zivilisten an einem Mangel an grundlegenden Dienstleistungen, an der sich verschlimmernden Wirtschaftskrise, sowie am Nicht-Funktionieren der Verwaltung, des Gesundheits-, Bildungs- und Justizsystems (HRW 17.1.2019). In Jemen herrscht laut UN die größte humanitäre Krise weltweit. Sie hat sich seit Beginn des Konflikts im März 2015 immer weiter zugespitzt. Von den 30 Millionen Einwohnern Jemens sind 24 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen. 20 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung. Viele sind ohne Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen. Die Zahl der Binnenvertriebenen liegt bei über 3 Millionen Menschen (AA 12.8.2019).

Huthi (Harakat Ansar Allah)

Die Huthi - offiziell bekannt als Harakat Ansar Allah (wörtl. „Bewegung der Helfer Gottes“) - sind eine vom Iran unterstützte, schiitisch-muslimische militärische und politische Bewegung. Ihre Mitglieder, die sich der Minderheit der Zaiditen des schiitischen Islam zugehörig fühlen, setzen sich für die regionale Autonomie der Zaiditen im Nordjemen ein [siehe auch Abschnitt 12.1. Religiöse Gruppe: Zaiditen]. Die Gruppe hat seit 2004 eine Reihe blutiger Aufstände gegen die jemenitische Regierung ausgeführt, die zu einem Sturz des Regimes Anfang 2015 geführt haben. Die Huthi-Bewegung begann als Versuch, die Autonomie der Stämme im Nordjemen aufrechtzuerhalten und gegen den westlichen Einfluss im Nahen Osten zu protestieren. Heute streben die Huthi eine größere Rolle in der jemenitischen Regierung an und setzen sich weiterhin für die Interessen der zaiditischen Minderheit ein. Die Huthi sind für ihre heftige anti-amerikanische und antisemitische Rhetorik bekannt (CEP 2019). Sie sind außerdem durch die von ihnen so wahrgenommene wirtschaftliche Diskriminierung während der Saleh-Herrschaft motiviert (DW 1.10.2019). Die Ziele der Huthi umfassen auch Entschädigungen für die Schäden während der Saada-Kriege [Anm.: Kriege zwischen Huthi und Regierung im Gouvernement Saada zwischen 2004 und 2010], die Interessensvertretung [der Zaiditen] innerhalb der Zentralregierung, und die Garantie, dass die Gruppe vor zukünftiger politischer und wirtschaftlicher Marginalisierung geschützt wird. Nicht alle Zaiditen im Jemen identifizieren sich mit der Huthi-Bewegung (CT 2019). Die Huthi-Bewegung besteht heute aus verschiedenen militärischen Kräften, darunter auch circa 60 Prozent ehemalige Angehörige der jemenitischen Armee unter Ex-Präsident Saleh. Schätzungen zufolge sollen die Huthi militärisch 180.000 bis 200.000 Mann stark sein und über verschiedene Waffensysteme verfügen (DW 1.10.2019). In den nördlichen Gebieten, die traditionell unter zaiditischer Kontrolle standen, gibt es Berichte über fortgesetzte Bemühungen der Huthi, ihre religiösen Bräuche auch Nicht-Zaiditen aufzuzwingen, unter anderem durch ein Musikverbot und die Forderung, dass Frauen eine Voll-Verschleierung tragen müssen (USDOS 21.6.2019). Bewaffnete Huthi-Kräfte nahmen häufig Geiseln und begingen andere ernsthafte Missbräuche an Personen, die sich in ihrem Gewahrsam befinden (HRW 25.9.2018).

Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) und der Islamische Staat im Jemen (IS-Y)

Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (eng. abk.: AQAP) ist ein Zusammenschluss von Al-Qaida-Kämpfern in Saudi-Arabien und der früheren Al-Qaida im Jemen (CISAC 7.2015). AQAP ist im gesamten Jemen vor allem in den südlichen und zentralen Regionen des Landes tätig. In vielen dieser Provinzen regiert AQAP über kleinere Gebiete mit Sharia-Gerichten und einer schwer bewaffneten Miliz. AQAP versucht die jemenitische Bevölkerung anzusprechen, indem sie die Grundbedürfnisse der Bevölkerung befriedigt, sich in die lokale Bevölkerung integriert, auch durch die Anpassung an lokale Regierungsstrukturen. Als formaler Bestandteil der Al-Qaida stehen die Ideologie und Praktiken der AQAP im Einklang mit den weiter gefassten Zielen der Al-Qaida, nämlich auf eine globale islamistische Herrschaft hinzuarbeiten (CEP 4.1.2017; vgl. CH 9.2019). AQAP nutzte die Wirren von 2015, um weite Teile der Provinzen Abyan, Shabwa und Hadramaut einzunehmen und zu kontrollieren. Gemeinsam mit verbündeten Stämmen eroberte sie Anfang April 2015 Mukalla — mit 300.000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt des Landes und Hauptstadt der südöstlichen Provinz Hadramaut — und erbeutete große Waffenarsenale und viel Geld. Außerdem übernahm AQAP dort zusammen mit ihren Alliierten die Verwaltung. Truppen der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und deren lokale Verbündete eroberten die Stadt im April 2016 zurück (SWP 7.2017; vgl. CH 9.2019). Bis 2016 kontrollierte AQAP größere Gebiete im Jemen, in den beiden darauffolgenden Jahren erlitt AQAP Gebietsverluste (HRW 17.1.2019; vgl. Jamestown 5.4.2019).

Sowohl AQAP als auch der sog. Islamische Staat Yemen (IS-Y) profitieren weiterhin vom Konflikt mit den Huthi, indem sie von anderen Einheiten der Anti-Huthi-Koalition nicht als Feind betrachtet werden und das Sicherheitsvakuum in großen Teilen des Landes ausnutzen (USDOS 1.11.2019). Sowohl AQAP als auch IS-Y bekannten sich im Jahr 2018 zu Selbstmordanschlägen und anderen Angriffen (HRW 17.1.2019). 2018 wurden Operationen zur Terrorismusbekämpfung, vor allem durch von den VAE unterstützten Kräften, gegen AQAP durchgeführt, und zwar in den Gouvernements Abyan, Shabwa und Hadramaut. Der IS-Y ist bezüglich Mitgliederanzahl und Einfluss deutlich kleiner als AQAP. IS-Y ist jedoch weiterhin aktiv und führt Angriffe gegen AQAP, jemenitische Sicherheitskräfte und Huthi durch (USDOS 1.11.2019). Eine der aktivsten Gruppen des IS-Y soll es mit Stand September 2018 in Al-Bayda geben, genauso wie eine der aktivsten Gruppen von AQAP (Jamestown 5.4.2019). Im Juli 2018 kam es zu heftigeren Zusammenstößen zwischen AQAP und IS-Y, was die Rivalität zwischen Al-Qaida und IS allgemein zeigt (Jamestown 21.9.2018). Es wird berichtet, dass AQAP und IS-Y im Sommer 2019 das Machtvakuum im Süden des Landes ausnutzten und Angriffe gegen Truppen der Hadi-Regierung sowie des Southern Transitional Council (STC) in Aden, Abyan und Al-Bayda durchführten (ACAPS 8.2019).

Bewegung des Südens (Al Hirak), Southern Transitional Council (STC)

Die Bewegung des Südens, auch bekannt als „al Hirak“ oder „al Harakat al Janubiyya“, begann ihre Aktivitäten 2007 auf dem Gebiet der ehemaligen Demokratischen Volksrepublik Jemen. Sie war nie eine einheitliche Gruppierung. Es handelte sich mehr um eine lose Vereinigung von Kräften, deren Forderungskatalog von mehr Mitspracherecht für die Bevölkerung des Südens bis hin zur abermaligen Abspaltung und Unabhängigkeit vom Norden reicht. Die Bewegung begann mit Reparationsforderungen nach der Zerstörung des südlichen Jemen während des Bürgerkriegs 1994. Die Mitgliedergruppen unterscheiden sich in ihrem Charakter von politisch bis militant. Die Bewegung hat seit den Umbrüchen des Arabischen Frühlings 2011 starken Zulauf (GIZ 10.2019; vgl. CT 2017). Die Unterstützung des Southern Movement speist sich u.a. aus der Enttäuschung über die politische und wirtschaftliche Marginalisierung des südlichen Jemens nach der Einigung der beiden Landesteile 1990.

Das Southern Movement ist in vielerlei Hinsicht ein Vorläufer des 2017 gegründeten Southern Transitional Coucil (STC) (Jamestown 10.9.2019). Zu Beginn des Konfliktes waren es aber eher lose organisierte südjemenitische Milizen, die die Huthi-Rebellen und die Truppen der Hadi-Regierung aus ihren Gebieten im Süden vertrieben. Dabei wurden sie militärisch von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützt (CH 3.2018). Ab 2015 schlossen sich die bewaffneten Truppen des Southern Movement der Anti-Huthi-Koalition der Hadi-Regierung an. Im April 2017 kam es zu zunehmenden Spannungen in Aden, da Hadi den Bürgermeister der Stadt aus seinem Amt entließ. Nach Massenprotesten als Reaktion auf die Entlassung wurde der Southern Transitional Council (STC) mit Unterstützung durch die VAE gegründet. Der STC tritt für die Unabhängigkeit des Südjemens ein (Al Jazeera 20.9.2019).

Im Jänner 2018 brachen Kämpfe zwischen Regierungskräften und von den VAE unterstützten südjemenitischen Kräften in Aden aus (HRW 17.1.2019). Im August 2019 eroberten südjemenitische separatistische Kräfte nach tagelangen Kämpfen erneut den Regierungssitz von Präsident Hadi in Aden. Die Kämpfe offenbarten Risse innerhalb der von Saudi-Arabien geführten Militär-koalition gegen die Huthi (Der Standard 25.10.2019). Am 5.11.2019 einigten sich südjemenitische Separatisten und die Hadi-Regierung im Rahmen des „Riyadh-Abkommens“ auf eine Machtteilung (Der Standard 12.11.2019) [siehe Abschnitt 2. Politische Lage].

Der Süden des Jemens ist, entgegen häufiger Annahmen, kein homogener Raum. Nicht alle Südjemeniten unterstützen den STC, und nicht alle unterstützen das Southern Movement. Einige Personen, die seit Kriegsbeginn immer prominenter wurden, waren in der Bewegung vor dem Krieg keine wichtigen Figuren (CH 3.2018; vgl. Jamestown 10.9.2019). Außerhalb von Aden gibt es kleinere separatistische Bewegungen in den südlichen Provinzen, die die Forderung des STC nach der Wiederherstellung der Republik Südjemen mittels Gewalt ablehnen (Al Jazeera 20.9.2019).

Rechtsschutz / Justizwesen

Im Jemen gibt es keine funktionierende Zentralregierung, und alle staatlichen Institutionen, die noch intakt sind, werden von nicht gewählten Beamten oder bewaffneten Gruppen kontrolliert. Das Justizwesen ist nominell unabhängig, jedoch anfällig für Beeinflussung durch politische Fraktionen. Die Behörden haben eine schlechte Bilanz, was die Durchsetzung von juristischen Urteilen angeht, besonders wenn es sich um Verurteilungen von Stammesführern oder bekannten politischen Personen handelt. Durch das Fehlen eines effektiven Gerichtswesens greift die Bevölkerung häufig auf stammesrechtliche Formen von Justiz oder Gewohnheitsrecht zurück, besonders, seit der Einfluss der Regierung schwächer wird (FH 4.2.2019). Unter Kontrolle der Huthi ist die Justiz schwach und durch Korruption, politische Einmischung, gelegentliche Bestechung und mangelnde juristische Ausbildungen beeinträchtigt. Die mangelnde Kapazität der Regierung und die teilweise mangelnde Durchsetzungsbereitschaft der Gerichte, insbesondere außerhalb der Städte, haben die Glaubwürdigkeit der Justiz weiter untergraben. Kriminelle bedrohen und schikanieren Angehörige der Justiz, um den Ausgang von Verfahren zu beeinflussen (USDOS 13.3.2019). Willkürliche Verhaftungen sind üblich. In den letzten Jahren wurden hunderte solcher Fälle dokumentiert. In vielen Fällen kommt es zu gewaltsamem Verschwindenlassen. Gefangene werden oft in inoffiziellen Haftanstalten untergebracht. Es gibt unzählige Berichte über politische Gefangene (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019).

Vor dem Gesetz sind Angeklagte unschuldig bis ihre Schuld bewiesen ist. Gerichtsverhandlungen sind im Allgemeinen öffentlich, aber Gerichte können aus Gründen der „öffentlichen Sicherheit oder Moral“ geschlossene Verhandlungen abhalten. Richter nehmen aktiv an der Befragung der Zeugen und des Angeklagten teil und urteilen über Kriminalfälle. Angeklagte haben das Recht bei ihrer Gerichtsverhandlung anwesend zu sein und sich mit einem Anwalt zu beraten. Der Angeklagte kann Zeugen, die gegen ihn aussagen, befragen und konfrontieren und zu seiner eigenen Verteidigung Zeugen oder Beweise vorbringen. Die Regierung muss laut Gesetz in schweren Kriminalfällen einen Anwalt für mittellose Angeklagte zur Verfügung stellen, wobei dies in der Vergangenheit nicht immer geschehen ist. Grundsätzlich haben Angeklagte und deren Anwälte Zugang zu relevanten Beweisen und Anwälten wird ermöglicht, Klienten und Zeugen zu befragen sowie Beweise zu prüfen. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Angeklagte können weder zu einer Zeugenaussage noch zu einem Schuldgeständnis gezwungen werden. Es gibt außerdem ein spezielles Staatssicherheitsgericht, welches unter anderen Bedingungen arbeitet und Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchführt. Dieses Gericht garantiert den Angeklagten nicht dieselben Rechte wie die ordentlichen Gerichte. Anwälte bekommen oft nicht ausreichend Zugang zu den Anklagepunkten, Beweismitteln oder Gerichtsakten. Das Fehlen von Geburtsregistern erschwert die Altersfeststellung, woraufhin die Gerichte Jugendliche wie Erwachsene verurteilen, auch zum Tode.

Neben dem bestehenden Gerichtssystem gibt es ein Stammesrechtssystem für Fälle, die nicht unter das Strafrecht fallen [Anm. d.h. z.B. Familienrecht, etc.]. Stammesrichter, meist angesehene Scheichs, entscheiden jedoch auch oft in Kriminalfällen auf stammesrechtlicher Basis. Zu diesen Fällen kommt es gewöhnlich in Folge öffentlicher Beschuldigungen, nicht in Folge von formell eingereichten Anklagepunkten. Stammes-Mediation betont oft den sozialen Zusammenhalt mehr als Bestrafung. Die Öffentlichkeit respektiert die Ergebnisse von Stammesprozessen oft mehr als das formelle Gerichtssystem, das von vielen als korrupt und nicht unabhängig angesehen wird (USDOS 13.3.2019).

Sicherheitsbehörden

Die jemenitischen Sicherheitsbehörden sind in Folge des politischen und militärischen Konflikts stark fragmentiert (EASO 15.10.2019). Die jemenitischen Streitkräfte bestehen mit Stand März 2018 grundsätzlich aus Landstreitkräften, Seestreitkräften und Küstenwache, Luftstreitkräften, Grenzwache, Strategischer Reserve, sowie militärischen Nachrichtendiensten (u.a. Department of Military Intelligence, Department of Reconnaissance) (CIA 5.11.2019). Die Huthi übernahmen 2014 die Kontrolle über das Verteidigungs- und Innenministerium in Sanaa. Laut eines Berichts haben bis zu 70 Prozent der Armee-, Polizei und paramilitärischen Kräfte zu Beginn des Krieges die Huthi-Saleh-Allianz unterstützt. Die staatliche Armee (Yemen National Army, YNA) wurde ab 2015 von der Hadi-Regierung neu formiert, indem Saleh-treues Personal ersetzt wurde, und bis zu 200.000 neue Soldaten rekrutiert wurden, darunter Stammeskämpfer (EASO 15.10.2019).

Die primären staatlichen Nachrichtendienste, die Organisation für Politische Sicherheit (Political Security Organisation - PSO) und das Büro für Nationale Sicherheit (National Security Bureau - NSB) unterstehen zuerst dem Innenminister und dann dem Präsidenten. Die Zusammenarbeit dieser beiden Organisationen bleibt unklar, und es gibt keine klaren Definitionen vieler Prioritäten des NSB. Die PSO ist laut Gesetz dafür zuständig, politische Verbrechen und Sabotageakte aufzudecken und zu verhindern. PSO und NSB gerieten Ende 2014 unter die Kontrolle der Rebellen der Huthi-Saleh-Allianz. Die Hadi-Regierung behielt jedoch ihre eigenen Posten in PSO und NSB in den von der Regierung kontrollierten Gebieten bei (USDOS 13.3.2019; vgl. GS 21.1.2015). Wie andere staatliche Institutionen auch, teilten sich Sicherheits- und Nachrichtendienste wie die PSO in parallele Strukturen auf; ein Teil wird von den Huthi kontrolliert, der andere Teil von der Hadi-Regierung. Die Dienste operieren jeweils in einem von ihrer Seite im Bürgerkrieg kontrollierten Gebiet (FH 4.2.2019). Auch die Abteilung für kriminaldienstliche Ermittlungen (Criminal Investigation Division) untersteht dem Innenministerium und führt die meisten Untersuchungen und Festnahmen in Kriminalfällen durch. Der Innenminister kontrolliert außerdem die paramilitärischen Spezialsicherheitskräfte (Special Security Forces SSF) – oft zur Kontrolle von Menschenansammlungen eingesetzt -, sowie die Anti-Terror-Einheit. Dem Verteidigungsminister unterstehen außerdem Einheiten zum Einsatz gegen interne Unruhen und in internen bewaffneten Konflikten (USDOS 13.3.2019).

Straflosigkeit von Sicherheitsbeamten bleibt ein Problem, zum einen, weil die Hadi-Regierung nur begrenzt Macht ausübt und zum anderen, weil es keine wirksamen Mechanismen zur Untersuchung und Verfolgung von Missbrauch und Korruption gibt. Die SSF, die Sondereinsatzkräfte des Jemen, die Präsidentengarde (ehemals republikanische Garde), die NSB und andere Sicherheitsorgane sind vordergründig zivilen Behörden des Innenministeriums, des Verteidigungsministeriums und des Präsidentenbüros unterstellt. Die zivile Kontrolle über diese Einrichtungen verschlechterte sich 2018 jedoch weiter, da regionale Bemühungen zur nationalen Versöhnung ins Stocken gerieten. Durch die Verschärfung des Problems der Straflosigkeit verstärkten Interessensgruppen, darunter auch die Familie des ehemaligen Präsidenten Saleh und andere Stammes- und Parteigruppen, ihren Einfluss auf die Nachrichtendienste, oft auf inoffiziellem Wege und nicht durch die formale Befehlsstruktur (USDOS 13.3.2019).

Die Southern Resistance Forces wurden ab 2016 mit Unterstützung der VAE aufgebaut. Sie werden manchmal auch als unter Kontrolle der international anerkannten jemenitischen Regierung angesehen, obwohl sie angeblich von den Vereinigten Arabischen Emiraten ferngesteuert werden (EASO 15.10.2019; vgl. MEI 31.7.2019; vgl. WP 28.8.2019).

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung verbietet Folter und ähnliche andere Missbräuche. Es gibt Bestimmungen, dass Folter mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden kann, dem Gesetz mangelt es jedoch an einer umfassenden Definition von Folter (USDOS 13.3.2019). Huthi-Rebellen, die jemenitische Regierung, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und die von den VAE unterstützten jemenitischen Kräfte inhaftieren willkürlich Menschen, einschließlich Kinder, misshandeln Gefangene und halten sie unter schlechten Bedingungen fest, und lassen Menschen gewaltsam verschwinden, die als politische Gegner oder Sicherheitsbedrohungen wahrgenommen werden. Seit Ende 2014 wurden willkürliche und missbräuchliche Festnahmen durch Huthi-Rebellen und dem früheren Präsidenten Saleh gegenüber loyalen Kräften dokumentiert, genauso wie Fälle von Verschwindenlassen, Folter und andere unmenschliche Behandlung (HRW 17.1.2019). Im Jahr 2018 erhielt OHCHR weiterhin Informationen über die Misshandlung und Folter von Gefangenen der Politischen Sicherheitsorganisation (PSO), dem Nationalen Sicherheitsbüro (NSB), bei der Kriminalpolizei und in den Gefängnissen Habrah und al-Thawra in Sanaa, sowie anderen Einrichtungen unter Huthi-Kontrolle. Laut einer Interessenvertretung, die von Familien von Häftlingen getragen wird, starben seit 2014 126 Personen an Folter in der Haft durch die Huthi (USDOS 13.3.2019). Die Huthi nahmen auch Geiseln. Im südlichen Jemen wurden willkürliche Verhaftungen, Folter und Verschwindenlassen durch die VAE, Verbündete der VAE und jemenitische Regierungskräfte dokumentiert. 2018 kam die UN-Gruppe hochrangiger Experten für den Jemen zu dem Schluss, dass die Huthi-, jemenitischen, saudischen und VAE-Truppen glaubwürdig in den Missbrauch von Häftlingen verwickelt waren, der Kriegsverbrechen gleichkommen könnte (HRW 17.1.2019). In Gebieten, die im Einflussbereich der VAE im südlichen Jemen liegen, sollen Spezialeinheiten der VAE ein Netzwerk von Geheimgefängnissen und Haftanstalten betreiben, in denen Folter weit verbreitet sein soll (FH 4.2.2019). Die VAE gestehen aber keine Rolle im Missbrauch von Häftlingen ein und haben auch keine offensichtlichen Untersuchungen durchgeführt. Hochrangige Beamte, die in die Missbräuche verwickelt waren, haben weiterhin verantwortungsvolle Positionen im ganzen Land inne (HRW 17.1.2019; vgl. USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019). Human Rights Watch erhält weiterhin Informationen über die willkürliche und missbräuchliche Inhaftierung von Migranten und Asylbewerbern sowohl im Norden als auch im Süden des Landes (HRW 17.1.2019).

Korruption

Jemen wurde im 2018 Corruption Perceptions Index von Transparency International mit 14 (von 100) Punkten bewertet (0=highly corrupt, 100=very clean) und belegt damit Platz 176 von insgesamt 180 (TI 2019). Das Gesetz sieht Strafen für amtliche Korruption vor, die Hadi-Regierung setzt dieses Gesetz jedoch nicht effektiv durch. Kleinere Fälle von Korruption kommen häufig und in fast allen Ämtern vor. Von Bewerbern für eine Stelle wird oft erwartet, dass sie sich ihre Stelle erkaufen. Zahlreiche Regierungsbeamte und öffentliche Bedienstete erhalten Bezahlungen für Tätigkeiten, die sie nicht ausführen, oder mehrere Gehälter für ein und dieselbe Arbeitsstelle. Korruption ist ein ernstes Problem in fast allen Bereichen und auf allen Ebenen der Regierung, besonders im Sicherheitssektor. Straflosigkeit für Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden ist ein Problem, da die Regierung nur begrenzte Kontrolle ausübt, und weil effektive Mechanismen zur Korruptionsbekämpfung fehlen. Politiker und die meisten Regierungsbehörden unternehmen nichts, um gegen Korruption vorzugehen (USDOS 13.3.2019). Die Transparenz und Rechenschaftspflicht der Regierung war schon vor Kriegsausbruch im Jahr 2015 minimal, und das Netzwerk an Korruption und Vetternwirtschaft, das unter Saleh aufgebaut wurde, existiert weiterhin (FH 4.2.2019). Es gibt Berichte über Korruption an Checkpoints, die von Huthi-Milizen kontrolliert werden, was die rechtzeitige und effiziente Verteilung von Lebensmittelhilfen behindert, und die Nahrungsmittelunsicherheit somit noch verstärkt (USDOS 13.3.2019). Durch die Zerstörung der regulären Handelsbeziehungen während des bewaffneten Konflikts ist die Bedeutung des Schwarzmarkts angestiegen. Unter anderem wird Lebensmittelhilfe oft von Beamten aller Konfliktparteien gestohlen und am Schwarzmarkt weiterverkauft (FH 4.2.2019).

Wehrdienst und Rekrutierung

2001 wurde im Jemen die zweijährige Wehrpflicht abgeschafft. Das Mindestalter für einen freiwilligen zweijährigen Wehrdienst beträgt 18 Jahre (CIA 5.11.2019). Viele junge Männer treten aus ökonomischen Gründen und aus Mangel an Alternativen am Arbeitsmarkt in den Militärdienst ein (IRB 8.12.2017). Obwohl Gesetz und Regierungspolitik die Praxis ausdrücklich verbieten, nahmen Kinder unter 18 Jahren direkt an bewaffneten Konflikten für Regierungs-, Huthi-, mit der Regierung verbündete Kräfte, Stammeskräfte und andere bewaffnete Gruppierungen teil, vor allem als Wächter und Kuriere (USDOS 13.3.2019; vgl. Global Security 2.9.2017). Im Jahr 2017 überprüften die Vereinten Nationen 842 Fälle von Rekrutierung und Einsatz von Jungen ab 11 Jahren, von denen fast zwei Drittel Huthi-Truppen zuzuschreiben waren (HRW 17.1.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). 2014 unterzeichnete die jemenitische Regierung einen Aktionsplan der Vereinten Nationen zur Beendigung des Einsatzes von Kindersoldaten. Mangels einer effektiven Regierung wurde der Aktionsplan jedoch noch nicht umgesetzt (HRW 12.1.2017). Fast ein Drittel der Kämpfer im Land waren nach einigen Schätzungen jünger als 18 Jahre. Das Fehlen eines einheitlichen Systems für die Registrierung von Geburten erschwert den Nachweis des Alters, was zuweilen zur Rekrutierung von Minderjährigen beiträgt (USDOS 13.3.2019). Laut Berichten internationaler NGOs benutzten Stämme, einschließlich einiger bewaffneter und von der Regierung finanzierter Stämme, die neben der regulären Armee kämpften, minderjährige Rekruten in Kampfzonen. Huthi-Rebellen setzten regelmäßig Kinder ein, um Kontrollpunkte zu besetzen, als menschliche Schutzschilder oder Selbstmordattentäter. Berichten zufolge wurden verheiratete Burschen zwischen 12 und 15 Jahren während bewaffneter Konflikte in den nördlichen Stammesgebieten als Kämpfer eingesetzt. Gemäß der Stammestradition werden verheiratete Burschen als Erwachsene betrachtet, die dem Stamm Loyalität schulden. Infolgedessen war laut NGOs die Hälfte der Stammeskämpfer Jugendliche unter 18 Jahren. Anderen Quellen zufolge brachten die Stämme die Burschen selten in Gefahr, und setzten sie eher als Wache und nicht als Kämpfer ein (USDOS 13.3.2019).

Die Huthi rekrutieren neue Kämpfer mit verschiedenen Methoden, unter anderem durch die Einführung von Rekrutierungsquoten für Stammesführer und lokale Vertreter, die Verbreitung von Propaganda und religiöser Indoktrination, die Freilassung von Gefangenen und die Rekrutierung an Kontrollpunkten. Dabei wenden sie jeweils einen unterschiedlichen Grad von Zwang an (EASO 8.4.2019). Im Laufe des Jahres verstärkten die Huthi und andere bewaffnete Gruppen, einschließlich Stammes- und islamistischer Milizen sowie Al-Qaeda auf der Arabischen Halbinsel, die Rekrutierung von Kindern als Teilnehmer am Konflikt. Berichten zufolge betreiben Huthi-Vertreter lokale Zentren, in denen Jungen und Männer für den Kampf rekrutiert werden. Laut einer Quelle führten die Huthi Rekrutierungsquoten für lokale Vertreter ein. Laut OHCHR rekrutieren Huthi auch gewaltsam Kinder in Schulen, Krankenhäusern oder indem sie von Haus zu Haus gehen. Es wird auch mit Appellen an den Patriotismus und durch finanzielle Anreize rekrutiert (USDOS 13.2.2019).

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Bevölkerung im Jemen leidet weiterhin unter den Auswirkungen des bewaffneten Konflikts, an Gewalt sowie schweren Menschenrechtsverletzungen und Missbräuchen. Die wichtigsten Menschenrechtsprobleme sind u.a. rechtswidrige und willkürliche Tötungen, darunter politische Morde; Verschwindenlassen; Folter; willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; politische Gefangene; willkürliche Verletzungen der Rechte der Bürger auf Privatsphäre; erhebliche Eingriffe in die Meinungs-, Presse-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Bewegungsfreiheit; Einschränkungen der Religionsfreiheit; die Tatsache, dass die Bürger ihre Regierung nicht durch freie und faire Wahlen wählen können; Korruption und der Einsatz von Kindersoldaten (USDOS 13.3.2019; vgl. USDOS 21.6.2019). Die Hadi-Regierung unternimmt den Versuch, Menschenrechtsverletzungen durch Beamte zu verfolgen und bestrafen, wobei sie nicht alle Institutionen des Landes kontrolliert. Straffreiheit blieb jedoch ein weit verbreitetes Problem. Nicht-staatliche Akteure, darunter Huthis, Stammesmilizen, südjemenitische separatistische Gruppierungen, Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) und der IS begehen erhebliche Verstöße gegen die Menschenrechte (USDOS 13.3.2019). Huthi-Truppen nahmen Geiseln. Bewaffnete Kräfte in Aden verprügelten, vergewaltigten und folterten Migranten (HRW 17.1.2019).

Der Krieg führte landesweit zu weit verbreiteter Gewalt gegen die Zivilbevölkerung. Laut OHCHR wurden seit Konfliktbeginn bis November 2018 mehr als 6,800 Zivilisten getötet und mehr als 10,700 verletzt, die meisten davon durch Luftangriffe der von Saudi-Arabien angeführten Koalition. Die wahren Opferzahlen dürften weit höher liegen. Tausende wurden durch die Kämpfe vertrieben, und Millionen Menschen sind von Engpässen in Nahrungsmittelversorgung und medizinischer Versorgung betroffen (HRW 17.1.2019). ACLED berichtet von mehr als 12,000 zivilen Todesfällen seit 2015. Insgesamt wurden seit 2015 mehr als 100,000 (militärische und zivile) Opfer gezählt. Bis Ende Oktober wurden im Jahr 2019 circa 1,100 tote Zivilisten verzeichnet. Die Gewalt konzentrierte sich 2019 auf die Gouvernements Taiz, Hodeidah und Al Jawf (ACLED 31.10.2019).

Die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition führte zahlreiche wahllose und unverhältnismäßige Luftangriffe durch, unter anderem auf Wohnhäuser, Märkte, Schulen, Krankenhäuser und Moscheen, bei denen Tausende von Zivilisten getötet und zivile Objekte unter Verletzung des Völkerrechts beschossen bzw. zerstört wurden. Die Koalition setzte auch international verbotene Streumunition ein. Huthi-Truppen setzten verbotene Landminen ein, es kam zur Rekrutierung von Kindern, und es wurde mit Artillerie wahllos auf Städte gefeuert (HRW 17.1.2019; vgl. FH 4.2.2019). Obwohl Beweise auf Völkerrechtsverletzungen durch die Konfliktparteien hindeuten, sind diese bis jetzt nicht adäquat zur Rechenschaft gezogen worden (HRW 17.1.2019).

Alle Konfliktparteien verschlimmerten die humanitäre Katastrophe noch weiter, indem sie dringend benötigte Hilfslieferungen verzögerten bzw. verhinderten. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wurden teils mit Gewalt in ihrer Arbeit behindert (HRW 17.1.2019). Laut UN OCHA waren Anfang 2019 nahezu 25 Prozent der Bevölkerung unterernährt. Alle Konfliktparteien zerstörten Einrichtungen, die für das Überleben der jemenitischen Bevölkerung notwendig sind. Luftangriffe der Koalition zerstörten z.B. Ackerland, Bewässerungsanlagen und wichtige Hafeninfrastruktur. Auch medizinische Einrichtungen wurden beschädigt oder zerstört (HRC 3.9.2019). Im Jahr 2018 verschlechterte sich die humanitäre Lage aufgrund der andauernden Kämpfe weiter. 8,4 Millionen Menschen sind von einer Hungersnot bedroht, und 80 Prozent der Bevölkerung ist auf humanitäre Hilfe angewiesen (USDOS 13.3.2019).

Obwohl in der Verfassung Meinungs- und Pressefreiheit vorgesehen ist, darf die Staatsführung nicht kritisiert werden. Die Huthi-Rebellen respektierten diese Rechte nicht, und die Hadi-Regierung konnte ihre Einhaltung nicht durchsetzen. Alle Konfliktparteien schränkten das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit ein (USDOS 13.3.2019). Journalisten und Aktivisten sind mit gewaltsamen Angriffen und Verschwindenlassen vonseiten aller Konfliktparteien konfrontiert (FH 4.2.2019; vgl. RoG 13.8.2019). Allen Bevölkerungsgruppen mangelt es unter den gegenwärtigen Bedingungen im Jemen an politischen Rechten. Reguläre politische Aktivität wird durch die Präsenz unzähliger bewaffneter Gruppen im Land verhindert. Der Handlungsspielraum für zivilgesellschaftliche Organisationen wurde in Folge des Krieges stark reduziert. Einige NGOs sind noch im Land aktiv, ihre Funktionsfähigkeit wird jedoch in der Praxis durch Einmischung durch bewaffnete Gruppierungen eingeschränkt. Seit 2015 unterdrücken die Huthi in den von ihnen kontrollierten Gebieten politischen Widerspruch brutal. 2018 gab es sowohl Proteste gegen die Huthi-Herrschaft, als auch gegen die Hadi-Regierung (FH 4.2.2019; vgl. HRW 17.1.2019).

Haftbedingungen

Die Haftbedingungen sind hart und lebensbedrohlich und entsprechen nicht den internationalen Standards. Die Hadi-Regierung übt eine sehr beschränkte Kontrolle über die Gefängnisse aus. In den vergangenen Jahren identifizierten Regierungsbeamte und Nichtregierungsorganisationen Überbelegung, mangelnde berufliche Fortbildung von Strafvollzugsbeamten, schlechte sanitäre Einrichtungen, unzureichenden Zugang zu Gerichten, gemeinsame Unterbringung von Untersuchungshäftlingen und bereits Verurteilten, Mangel an effektiver Aktenverwaltung, fehlende Finanzierung und sich verschlechternde Infrastruktur als Probleme innerhalb der 18 Zentral-gefängnisse und 25 Reservegefängnisse (auch bekannt als Untersuchungshaftanstalten). OHCHR berichtete im Laufe des Jahres, dass sich die Bedingungen der Haftanstalten verschlechtert haben, einschließlich Überbelegung, beschädigter Gebäude und Mangel an Lebensmitteln und Medikamenten. Medien und internationale NGOs berichten von sehr schlechten Bedingungen in den Haftanstalten der Huthi, darunter weit verbreitete Folter und das Fehlen jeglicher medizinischer Versorgung. Stämme in ländlichen Gebieten betrieben unbefugte "private" Haftanstalten, die auf traditioneller Stammesjustiz basierten, und in denen Personen oft ohne Gerichtsverfahren oder gerichtliche Verurteilung festgehalten wurden. Berichten zufolge sind politische Gefangene mit Folter, Missbrauch und anderen Formen der Misshandlung konfrontiert. Der andauernde bewaffnete Konflikt verhindert ein substantielles Monitoring der Haftbedingungen durch unabhängige Menschenrechtsbeobachter (USDOS 13.3.2019).

Es wurden 18 von jemenitischen Wachen betriebene geheime Haftanstalten der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) aufgedeckt, in denen Hunderte von Gefangenen, die des Terrorismus verdächtigt werden, ohne Anklage oder Prozess festgehalten wurden. Es wurde auch über Folter berichtet (USDOS 13.3.2019; vgl. AI 12.7.2018).

Todesstrafe

Die Todesstrafe ist nach wie vor für eine große Anzahl von Straftaten vorgesehen (AI 26.2.2019). Im Jahr 2018 wurden laut Amnesty International zumindest 4 Menschen hingerichtet; zumindest 13 wurden zum Tode verurteilt (AI 2019). Obwohl es in mehr als einem Jahrzehnt keine Hinrichtungen von LGBTI-Personen gab, untersagt das Strafgesetzbuch weiterhin einvernehmlichen Sexualverkehr unter Gleichgeschlechtlichen und droht mit der Todesstrafe gemäß der Auslegung des islamischen Rechts (USDOS 13.3.2019). Nach dem Strafgesetzbuch sind gleichgeschlecht-liche Beziehungen verboten und werden mit Strafen von 100 Peitschenhieben, Haftstrafen und im Falle von Analsex zwischen zwei verheirateten Männern mit dem Tod durch Steinigung bestraft (HRW 23.9.2019). Das Strafgesetzbuch besagt, dass die vorsätzliche "und beharrliche" Herabwürdigung des Islams oder die Bekehrung vom Islam zu einer anderen Religion Kapitalverbrechen darstellen. Das Gesetz bietet jenen, die vom Glauben abgefallen sind, drei Gelegenheiten zur Buße [wörtlich „Umkehr“]. Nach der Buße werden sie von der Todesstrafe befreit (USDOS 21.6.2019). Mangelnde Geburtenregistrierung erschwert den Altersnachweis, was dazu führt, dass Gerichte Jugendliche als Erwachsene verurteilten; auch für Straftaten, die für Todesurteile in Frage kamen (USDOS 13.3.2019). Am 9. Juli 2019 verurteilte das Sonderstrafgericht in Sanaa 30 Akademiker, Studenten und Politiker aufgrund konstruierter Anklagen, wie z.B. Spionage für die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition, zum Tode. Einer der 30 zum Tode verurteilten Männer ist der politisch aktive 45-jährige Professor der Sprachwissenschaften Youssef al-Bawab (AI 16.7.2019; vgl. OHCHR 12.7.2019).

Religionsfreiheit

99.1% der Bevölkerung des Jemen sind Muslime, ca. 65% davon Sunniten und 35% Schiiten (Zaiditen). Die restlichen 0.9% beinhalten Juden, Bahai, Hindus und Christen, von denen viele Flüchtlinge sind oder nur eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung haben (CIA 5.11.2019). Es gibt auch einige Zwölfer-Schiiten (vor allem im Norden), Ismailis und Sufis (USDOS 21.6.2019). Die Verfassung erklärt den Islam zur Staatsreligion und die Scharia zur Quelle aller Gesetze. Sie sieht Gedanken- und Meinungsfreiheit "innerhalb der Grenzen des Gesetzes" vor, lässt aber die Erwähnung der Religionsfreiheit aus. Das Gesetz verbietet die Herabwürdigung des Islams, die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion und Missionierungsversuche, die auf Muslime gerichtet sind, um diese zur Konversion zu einer anderen Religion zu bringen. Apostasie ist ein Kapitalverbrechen. Angeklagte haben dreimal die Möglichkeit, ihr Verhalten zu „bereuen“ [Anm. der arabische Ausdruck tawba bezeichnet wörtlich die „Rückkehr zum Islam“, „das sich Umdrehen“]; wenn sie dies tun, sind die von der Todesstrafe ausgenommen. Im Norden, der von den Huthis kontrolliert wird, setzen diese ihre religiösen Praktiken auch bei Nicht-Zaiditen durch. Mitglieder der kleinen jüdischen Gemeinde berichten von anhaltenden sozialen Schikanen und rückläufigen Mitgliederzahlen, die es schwierig machten, ihre religiösen Praktiken aufrechtzuerhalten. Ismailitische Muslime klagen weiterhin über Diskriminierungen (USDOS 21.6.2019).

Amnesty International dokumentierte, dass religiöse Minderheiten vom Specialized Criminal Court vermehrt ins Visier genommen werden. Insbesondere Anhänger der Bahai geraten in den Fokus der Behörden. Im Jänner 2018 wurde Hamed Kamal Muhammad bin Haydara, ein Bahai, wegen Apostasie, Proselytismus und Spionage für Israel zum Tode verurteilt. Im September 2018 wurden mehr als 20 Bahai wegen Apostasie und Spionage verurteilt; auf die Anklagepunkte könnte die Todesstrafe stehen (AI 9.7.2019; vgl. USDOS 21.6.2019; vgl. AI 18.9.2018).

Das Familiengesetz verbietet die Ehe zwischen einem Muslim und einem Apostaten. Frauen, die das Sorgerecht für ein Kind beantragen, „sollen“ keine Apostaten sein, und ein Mann „sollte“ denselben Glauben wie das Kind haben. Muslimische Frauen dürfen keine nicht-muslimischen Männer heiraten und muslimische Männer keine Frauen, die weder muslimisch, christlich noch jüdisch sind (USDOS 21.6.2019).

Religiöse Gruppe: Zaiditen

Im Kern unterscheidet sich die Zaidi-Hadawi-Theologie von anderen Zweigen des Schiitentums darin, wer als befähigt verstanden wird, als Imam zu regieren, und im Verständnis davon, wie das Imamat errichtet werden kann. Zaiditen akzeptieren den schiitischen Konsens, dass Ali, Hasan und Hussain die ersten drei rechtmäßigen Imame waren. Die meisten Zaiditen sind weniger vehement als andere Schiiten in ihrer Verurteilung der frühen sunnitischen Kalifen und glauben, dass die Letzteren in ihrer Ablehnung von Ali zwar irrig, aber im Wesentlichen nicht sündhaft waren. Dieser Glaube erlaubt Toleranz gegenüber anderen Interpretationen des Islams, die eher als fehlgeleitet, denn als ketzerisch empfunden werden. Zusätzlich betrachtet der Zaidismus Imame nach Ali, Hasan und Hussain nicht als von der Sünde frei (unfehlbar; ma'sum) , im Unterschied zu anderen schiitischen Traditionen (RAND 2010). Der Zaidismus befindet sich für gewöhnlich nicht so sehr in einer religiös motivierten Frontstellung zu den SunnitInnen (VIDC 13.10.2016). Es gibt substanzielle Unterschiede zwischen Zaiditen, auch Fünfer-Schiiten genannt, und den sogenannten Zwölfer-Schiiten im Iran oder Irak. In der Rechtslehre stehen die Zaiditen sunnitischen Traditionen sogar näher als jenen der Zwölfer-Schiiten. Im Jemen werden die Begriffe „Sunniten“ und „Schiiten“ kaum gebraucht, und es war üblich, dass die Gläubigen beider Richtungen in den gleichen Moscheen beteten (NZZ 11.4.2015). Den Zaiditen ist es theologisch erlaubt mit Sunniten gemeinsam und hinter einem sunnitischen Prediger zu beten. Dies war die gesellschaftliche Realität in vielen Teilen des Jemen, wahrscheinlich außer unter extremen Huthi-Anhängern (RAND 2010).

Ethnische Minderheiten

Jemen besteht nahezu vollständig aus arabischer und afro-arabischer Bevölkerung (MRG 1.2018). Obgleich Rassendiskriminierung illegal ist, sind einige Gruppen wie die Muhamaschin (Muhammasheen, auch bekannt als Akhdam) und die Muwaladin (Jemeniten, die von ausländischen Eltern geboren wurden) sozialen und institutionellen Diskriminierungen ausgesetzt, die auf Rasse, Ethnizität und sozialem Status beruhen. Die Muhamaschin haben ostafrikanische Wurzeln, verrichten traditionell niedrige Tätigkeiten, wie Straßenkehren, leben in der Regel in Armut und sind von schwerer anhaltender gesellschaftlicher und politischer Diskriminierung betroffen. Muhamaschin-Frauen sind besonders von Vergewaltigung und anderem Missbrauch betroffen, und zwar aufgrund der allgemeinen Straflosigkeit für Täter, die auf den niedrigen gesellschaftlichen Status der Muhamaschin-Frauen zurückzuführen ist (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019). Schätzungen gehen davon aus, dass 2-5 Prozent der jemenitischen Bevölkerung Muhamaschin sind. Andere Berichte schätzen, dass es bis zu 10 Prozent sind. Sie leben meist in ärmlichen Verhältnissen in Slums oder am Stadtrand, sind von Armut, Arbeitslosigkeit und Analphabetismus betroffen, und haben mangelhaften Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen. Da sie nicht in den jemenitischen Stammesstrukturen verankert sind, fehlt ihnen oft der Zugang zu Konfliktregelung und Mediation. Muhamaschin sind vor allem seit 2015 besonders vom bewaffneten Konflikt betroffen (MRG 11.2018).

Bewegungsfreiheit

Die Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes wird durch Kampfhandlungen, Schäden an der Infrastruktur und durch Kontrollpunkte behindert, an denen verschiedene bewaffnete Gruppen Schikanen und Erpressungen verüben (FH 4.2.2019). Die Bewegungsfreiheit bleibt für alle im Land schwierig, obwohl das Gesetz die Bewegungsfreiheit im Inland, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vorsieht. Seit 2016 ist der internationale Flughafen in der Hauptstadt Sanaa für den zivilen Luftverkehr geschlossen; eine Ausnahme gibt es nur für humanitäre Flüge der UN. Aus diesem Grund sind tausende Jemeniten von adäquater medizinischer Versorgung im Ausland abgeschnitten (USDOS 13.3.2019). Die Infrastruktur im Land hat unter den Kriegswirren erheblich gelitten. Sehr schlechte Straßenverhältnisse und Minen stellen neben der allgemeinen Lage zusätzlich große Gefahren im Straßenverkehr dar. Es gibt eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig willkürliche Kontrollen durchführen. Überlandstraßen und Autobahnen wie auch Grenzübergänge sind zeitweise gesperrt (AA 28.8.2019). Beschädigte Straßen, Brücken und Infrastruktur beeinträchtigen auch die Lieferung von humanitärer Hilfe und kommerziellen Transporten (USDOS 13.3.2019). Die Implementierung von Programmen zur humanitären Hilfe war 2018 in den von den Huthi kontrollierten Gebieten erschwert, da diese das ganze Jahr über unvorhersehbare Einschränkungen wie Visabeschränkungen oder Kontrollpunkte beschlossen (USDOS 13.3.2019).

Frauen genießen keine volle Bewegungsfreiheit, wenngleich die Einschränkungen lokal unte

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten