TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/27 W207 2241241-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.05.2021
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Entscheidungsdatum

27.05.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W207 2241241-1/3E


IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörige von Afghanistan, vertreten durch Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH), gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.03.2021, Zl. 1110004600/201021475, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Afghanistans, reiste als Volljährige mit ihrer Mutter und ihren acht (überwiegend minderjährigen) Geschwistern am 17.10.2020 im Wege der Familienzusammenführung legal mit einem österreichischen Visum in das Bundesgebiet ein und stellte am 19.10.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Dem Vater der Beschwerdeführerin, der sich seit dem Jahr 2010 in Österreich aufhält, war mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.01.2015, Zl. W150 1415195-1/24E, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden.

Anlässlich ihrer Erstbefragung am 19.10.2020 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes verneinte die Beschwerdeführerin das Vorliegen eigener Fluchtgründe und beantragte den selben Schutz wie ihr Vater.

Am 03.03.2021 wurde die Beschwerdeführerin durch die nunmehr belangte Behörde, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), einvernommen. Zu ihren Fluchtgründen befragt gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, sie habe keine eigenen Fluchtgründe, sie sei wegen ihres Vaters in Österreich. Sie habe Angst vor den Feinden ihres Vaters, welche die Söhne seiner Onkel seien, mit welchen sie aber nie Kontakt gehabt habe, mehr könne sie darüber nicht angeben. Sie sei in Afghanistan nie körperlicher Formen von Gewalt ausgesetzt gewesen, nie gefoltert, ihrer Freiheit beraubt oder misshandelt worden. Sie sei in Afghanistan nie persönlich bedroht worden und habe keine sonstigen Probleme gehabt in Afghanistan. Sie habe in Bezug auf ihre Heimat keine individuellen und konkreten Fluchtgründe, die sie ausführlich darlegen könne. Sie habe alles erwähnt, was aus ihrer Sicht ausreiserelevant sei, weitere Fluchtgründe habe sie nicht.

Die Beschwerdeführerin gab darüber hinaus im Rahmen dieser Einvernahme am 03.03.2021 zu ihrer Person befragt an, dass sie der Volksgruppe der Paschtunen und der Glaubensrichtung der sunnitischen Muslime angehöre und streng gläubig sei. Sie bete fünf Mal, lese den Koran und faste. Sie trage auch immer Kopftuch, das verlange ihr Glaube. Dies sei ihre eigene Entscheidung, sie wolle das so. Sie sei in einer traditionell konservativen afghanischen Familie aufgewachsen, ihre Religion sei ihr sehr wichtig und habe einen hohen Stellenwert. Sie respektiere die Scharia und lebe danach. Sie habe einen Verlobten in Afghanistan, dieser müsse natürlich auch nach Österreich kommen, weil sie jetzt in Österreich lebe. Es werde eine arrangierte Ehe werden, sie sei ihrem Verlobten schon als Kleinkind versprochen worden, sie sei damit einverstanden.

Auch die Mutter der Beschwerdeführerin sowie ihre von der belangten Behörde befragten Geschwister gaben in Bezug auf das Vorliegen allfälliger Fluchtgründe im Rahmen ihrer Einvernahmen am 23.02.2021 bzw. am 08.03.2021 übereinstimmend an, dass sie keine eigenen Fluchtgründe hätten. Sie seien in Afghanistan nie körperlicher Formen von Gewalt ausgesetzt gewesen, nie gefoltert, ihrer Freiheit beraubt oder misshandelt worden. Sie seien in Afghanistan nie persönlich bedroht worden und hätten keine sonstigen Probleme gehabt in Afghanistan.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 10.03.2021 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte jedoch den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 02.01.2022 (Spruchpunkt III.). Zu Spruchpunkt I. führte die belangte Behörde begründend im Wesentlichen aus, es seien weder Fluchtgründe vorgebracht worden, noch hätten sich Anhaltspunkte für das Vorliegen eines asylrelevanten Sachverhalts ergeben.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 06.04.2021 binnen offener Rechtsmittelfrist – gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern; über die Anträge der Mutter und der zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährigen Geschwister wird mit Erkenntnissen vom heutigen Tag im Rahmen eines Familienverfahrens iSd § 34 AsylG gesondert entschieden - Beschwerde, in welcher im Wesentlichen vorgebracht wurde, die Beschwerdeführenden seien im Zusammenhang mit dem Fluchtvorbringen des Ehegattens bzw. des Vaters ebenfalls bedroht worden und würden als dessen Familienangehörige in Afghanistan verfolgt. Zudem sei die Beschwerdeführerin als „westlich orientierte“ junge Frau zusätzlich Verfolgung ausgesetzt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person der Beschwerdeführerin und ihren Fluchtgründen

Die Beschwerdeführerin führt den im Spruch angeführten Namen und wurde zu dem im Spruch angeführten Geburtsdatum in der afghanischen Provinz Kunar geboren. Sie ist afghanische Staatsangehörige, Angehörige der paschtunischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Ihre Muttersprache ist Paschtu; weiters spricht die Beschwerdeführerin Dari. Die Beschwerdeführerin ist ledig, mit einem in Afghanistan lebenden Staatsangehörigen von Afghanistan verlobt und hat keine Kinder.

Dem Vater der Beschwerdeführerin, ebenfalls ein Staatsangehöriger Afghanistans, wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.01.2015, Zl. W150 1415195-1/24E, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Die Beschwerdeführerin, ihre Mutter sowie ihre acht Geschwister reisten am 17.10.2020 legal mit einem österreichischen Visum in das Bundesgebiet ein und beantragten am 19.10.2020 internationalen Schutz in Österreich. Zu diesem Zeitpunkt war die Beschwerdeführerin bereits volljährig.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat einer konkret und gezielt gegen ihre Person gerichteten Verfolgung ausgesetzt war oder ist. Nicht festgestellt werden kann in diesem Zusammenhang, dass die Beschwerdeführerin einer konkret und gezielt gegen ihre Person gerichteten Verfolgung erheblicher Intensität durch Onkel und Cousins des Vaters ausgesetzt war oder ist, weil dieser Taxifahrer und Geschäftspartner eines Mannes gewesen sei, der christliche Druckwerke vertrieben habe. Auch kann nicht festgestellt werden, dass innere Einstellung, Verhaltensweisen und Erscheinungsbild der Beschwerdeführerin im Widerspruch zum mehrheitlich in Afghanistan gepflegten Gesellschaftsbild und zur mehrheitlich in Afghanistan gepflegten traditionellen Wertehaltung stehen.

Zur Lage im Herkunftsstaat

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren maßgeblich auf dem diesbezüglichen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der zuletzt aktualisierten Fassung vom 02.04.2021 (LIB).

Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen bis 39 Millionen Menschen (LIB, Politische Lage).

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die Afghan National Defense Security Forces aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen um Provinzhauptstädte herum stationierte Koalitionstruppen. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (LIB, Sicherheitslage).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA (Afghanische Nationalarmee) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul. Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanischen bzw. Koalitionskräften unterstützt. Im letzten Quartal 2020 meldete die ANDSF ihre höchste Truppenstärke, seit sie im Juli 2019 mit dem Afghan Personnel and Pay System (APPS) begann (LIB, Sicherheitsbehörden).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB, Regierungsfeindliche Gruppierungen).

Aktuelle Entwicklungen

Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden (LIB, Politische Lage).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt. Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (LIB, Sicherheitslage).

Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen. Die Kämpfe zwischen den afghanischen Regierungstruppen, den Taliban und anderen bewaffneten Gruppen hielten jedoch an und forderten in den ersten neun Monaten des Jahres fast 6.000 zivile Opfer, ein deutlicher Rückgang gegenüber den Vorjahren (LIB, Politische Lage).

Im September starteten die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Katar. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (LIB, Politische Lage). Für das gesamte Jahr 2020 verzeichnete UNAMA 8.820 zivile Opfer (3.035 Getötete und 5.785 Verletzte), während AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) in diesem Zeitraum insgesamt 8.500 zivile Opfer registrierte, darunter 2.958 Tote und 5.542 Verletzte. Das ist ein Rückgang um 15% (21% laut AIHRC) gegenüber der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2019. In der zweiten Jahreshälfte 2020 nahmen insbesondere die gezielten Tötungen von Personen des öffentlichen Lebens (Journalisten, Menschenrechtler usw.) zu. Personen, die offen für ein modernes und liberales Afghanistan einstehen, werden derzeit landesweit vermehrt Opfer von gezielten Attentaten (LIB, Sicherheitslage).

Nach dem Abkommen zwischen den USA und den Taliban dokumentierte UNAMA einen Rückgang der Opfer unter der Zivilbevölkerung bei groß angelegten Angriffen in städtischen Zentren durch regierungsfeindliche Elemente, insbesondere die Taliban, und bei Luftangriffen durch internationale Streitkräfte. Dies wurde jedoch teilweise durch einen Anstieg der Opfer unter der Zivilbevölkerung durch gezielte Tötungen von regierungsfeindlichen Elementen, durch Druckplatten-IEDs der Taliban und durch Luftangriffe der afghanischen Luftwaffe sowie durch ein weiterhin hohes Maß an Schäden für die Zivilbevölkerung bei Bodenkämpfen ausgeglichen. Obwohl sich die territoriale Kontrolle kaum verändert hat, scheint es eine geografische Verschiebung gegeben zu haben, mit mehr Gewalt im Norden und Westen und weniger in einigen südlichen Provinzen, wie Helmand (LIB, Sicherheitslage).

Ein Waffenstillstand steht ganz oben auf der Liste der Regierung und der afghanischen Bevölkerung, wobei einige Analysten sagen, dass die Taliban wahrscheinlich noch keinen umfassenden Waffenstillstand vereinbaren werden, da Gewalt und Zusammenstöße mit den afghanischen Streitkräften den Aufständischen ein Druckmittel am Verhandlungstisch geben. Die Rechte der Frauen sind ein weiteres Brennpunktthema. Doch bisher (Stand 10.2020) hat es keine Fortschritte gegeben, da sich die kriegführenden Seiten in Prozessen und Verfahren verzettelt haben, so diplomatische Quellen (LIB, Politische Lage).

Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen engagiert sich politisch, kulturell und sozial und verleiht der Zivilgesellschaft eine starke Stimme. Diese Fortschritte erreichen aber nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Gerichten sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist jedoch nicht in der Lage, die Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten. Korruption und begrenzte Kapazitäten schränken den Zugang der Bürger zu Justiz in Bezug auf Verfassungs- und Menschenrechtsverletzungen ein. In der Praxis werden politische Rechte und Bürgerrechte durch Gewalt, Korruption, Nepotismus und fehlerbehaftete Wahlen eingeschränkt. Beschwerden gegen Menschenrechtsverletzungen können an die Afghan Independent Human Rights Commission (AIHRC) gemeldet werden, welche die Fälle nach einer Sichtung zur weiteren Bearbeitung an die Staatsanwaltschaft übermittelt. Die gemäß Verfassung eingesetzte AIHRC bekämpft Menschenrechtsverletzungen. Sie erhält nur minimale staatliche Mittel und stützt sich fast ausschließlich auf internationale Geldgeber (LIB, Allgemeine Menschenrechtslage).

Zu den bedeutendsten Menschenrechtsproblemen zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, Unterdrückung von Kritik an Amtsträgern durch strafrechtliche Verfolgung von Kritikern im Rahmen der Verleumdungs-Gesetzgebung, Korruption, fehlende Rechenschaftspflicht und Ermittlungen in Fällen von Gewalt gegen Frauen, sexueller Missbrauch von Kindern durch Sicherheitskräfte, Gewalt durch Sicherheitskräfte gegen Mitglieder der LGBTIQ-Gemeinschaft sowie Gewalt gegen Journalisten. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Rechenschaftspflicht (LIB, Allgemeine Menschenrechtslage).

Lage von Frauen

Die Bürger*innen Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten. Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte von Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte. Nach wie vor gilt Afghanistan als eines der weltweit gefährlichsten Länder für Frauen. Die Lage der Frau stellt sich in ländlichen Gegenden, wo regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv sind und die Sicherheitslage volatil ist, anders dar als z.B. in Herat-Stadt oder Mazar-e Sharif. Daher muss die Lage von Frauen in Bezug auf das jeweilige Gebiet betrachtet werden (LIB, Frauen).

Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt ein wenig verbessert hat, können sie ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stammestraditionen geprägten afghanischen Gesellschaft oft nur eingeschränkt verwirklichen. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Bewegungsfreiheit (LIB, Frauen).

Die afghanische Regierung wird von den Vereinten Nationen (UN) als ehrlicher und engagierter Partner im Kampf gegen Gewalt an Frauen beschrieben, der sich bemüht Gewalt gegen Frauen - beispielsweise Ermordung, Prügel, Verstümmelung, Kinderheirat und weitere schädliche Praktiken - zu kriminalisieren und Maßnahmen zur Rechenschaftspflicht festzulegen. Jedoch ist sexuelle Belästigung in Afghanistan, speziell innerhalb der afghanischen Regierung, im Präsidentenpalast sowie anderen Regierungsinstitutionen, sowohl national als auch international zum Thema regelmäßiger Diskussionen geworden (LIB, Frauen).

Im Zuge der Friedensverhandlungen bekannten sich die Taliban zu jenen Frauenrechten, die im Islam vorgesehen sind, wie zu Lernen, zu Studieren und sich den Ehemann selbst auszuwählen. Zugleich kritisierten sie, dass ’im Namen der Frauenrechte’ Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden. Die Taliban haben während ihres Regimes afghanischen Frauen und Mädchen Regeln aufgezwungen, die auf ihren extremistischen Interpretationen des Islam beruhen, und die ihnen ihre Rechte - einschließlich des Rechts auf Schulbesuch und Arbeit - vorenthalten und Gewalt gegen sie gerechtfertigt haben. Es gibt angesichts der Verhandlungen mit den Taliban die von Frauen geäußerte Sorge um bereits erkämpfte Rechte (LIB, Frauen).

Restriktive Einstellung und Gewalt gegenüber Frauen betreffen jedoch nicht nur Gegenden, welche unter Taliban-Herrschaft stehen, sondern hängen grundsätzlich mit der Tatsache zusammen, dass die afghanische Gesellschaft zum Großteil sehr konservativ ist. Gewalt gegenüber Frauen ist sehr oft auch innerhalb der Familien gebräuchlich. So kann bezüglich der Behandlung von Frauen insbesondere in ländlichen Gebieten grundsätzlich kein großer Unterschied zwischen den Taliban und der Bevölkerung verzeichnet werden. In den Städten hingegen ist die Situation ganz anders. Ein hohes Maß an Gewalt gegen Frauen ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen, wie z.B. die Sensibilisierung der Frauen für ihre Menschenrechte und die Reaktion auf häusliche Gewalt, ein geringes öffentliches Bewusstsein für die Rechte der Frauen, eine schwache Rechtsstaatlichkeit und die Ausbreitung von Unsicherheit in verschiedenen Teilen des Landes ((LIB, Frauen).

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich.

Das Gesetz sieht die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, sagt jedoch nichts zu gleicher Bezahlung bei gleicher Arbeit. Das Gesetz untersagt Eingriffe in das Recht von Frauen auf Arbeit; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und bei den Anstellungsbedingungen diskriminier. Viele afghanische Männer teilen die Ansicht, Frauen sollen das Haus nicht verlassen, geschweige denn politisch aktiv sein. Traditionell wird der Mann als Ernährer der Familie betrachtet, während Frauen Tätigkeiten im Haushalt verrichten. Dies bedeutet für die Frauen eine gewisse Sicherheit, macht sie allerdings auch wirtschaftlich abhängig, was insbesondere bei einem Partnerverlust zum Problem wird. Auch werden bei der Anstellung Männer bevorzugt. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit. Die städtische Bevölkerung hat im Vergleich zur Bevölkerung auf dem Land weniger ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und viele Frauen gehen aus Furcht vor sozialer Ächtung keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach. In den meisten Teilen Afghanistans ist es Tradition, dass Frauen und Mädchen selten von außerhalb des Hauses gesehen oder gehört werden sollten. Viele Frauen werden von der Familie unter Druck gesetzt, nicht arbeiten zu gehen (LIB, Frauen).

Es ist schwieriger für ältere und verheiratete Frauen, Arbeit zu finden, als für junge alleinstehende. Berufstätige Frauen berichten über Beleidigungen, sexuelle Belästigung, fehlende Fahrgelegenheiten und fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen. Auch wird von Diskriminierung beim Gehalt berichtet (LIB, Frauen).

Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; von diesem Drittel des Oberhauses sind gemäß Verfassung 50% für Frauen bestimmt. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 68 der 250 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert (LIB, Frauen).

Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme von Frauen in der Politik und bei Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft ein; wie z.B. die Notwendigkeit eines männlichen Begleiters oder einer Erlaubnis um zu arbeiten. Frauen, die politisch aktiv sind, sind auch weiterhin mit Gewalt konfrontiert und Angriffsziele der Taliban und anderer Aufständischengruppen. Dies, gemeinsam mit einem Rückstand an Bildung und Erfahrung, führt dazu, dass die Zentralregierung männlich dominiert ist (LIB, Frauen).

Bildung für Mädchen

Seit 2001 haben Millionen Mädchen, denen unter den Taliban die Bildung verwehrt worden war, Schulbildung erhalte, Bildung afghanischer Mädchen sowie die Stärkung afghanischer Frauen ist seitdem ein Schwerpunkt internationaler Bemühungen. Auf nationaler Ebene hat das afghanische Bildungsministerium im Februar 2019 eine Bildungsrichtlinie eingeführt, um Frauen und Mädchen den Zugang zu Bildung zu erleichtern sowie die Analphabetenrate zu reduzieren. Die größten Probleme bei Bildung für Mädchen beinhalten Armut, frühe Heirat und Zwangsverheiratung, Unsicherheit, fehlende familiäre Unterstützung sowie Mangel an Lehrerinnen und nahegelegenen Schulen. Untersuchungen von Human Rights Watch (HRW) und anderen belegen eine steigende Nachfrage nach Bildung in Afghanistan, einschließlich einer wachsenden Akzeptanz eines Schulbesuchs von Mädchen in vielen Teilen des Landes. NGOs, die „gemeindebasierte Bildung“ unterstützen - Schulen, die sich in Häusern in den Gemeinden der Schülerinnen und Schüler befinden, waren oft erfolgreicher, wenn es darum ging, Mädchen den Schulbesuch in Gegenden zu ermöglichen, in denen sie aufgrund von Unsicherheit, familiärem Widerstand und Gemeindeeinschränkungen nicht in der Lage gewesen wären, staatliche Schulen zu besuchen. Doch das Versäumnis der Regierung, diese Schulen in das staatliche Bildungssystem zu integrieren, hat in Verbindung mit der uneinheitlichen Finanzierung dieser Schulen dazu geführt, dass vielen Mädchen die Bildung vorenthalten wird (LIB, Frauen).

Aufgrund des anhaltenden Konflikts und der sich verschlechternden Sicherheitslage wurden bis Ende 2018 mehr als 1.000 Schulen geschlossen. Zwischen 2018 und 2019 gab es einen Anstieg der Angriffe auf Schulen und Schulpersonal um 45% (UNICEF 8.2020). Ein Grund für die Zunahme von Angriffen auf Schulen ist, dass Schulen als Wählerregistrierungs- und Wahlzentren für die Parlamentswahlen 2018 genutzt wurden (UNICEF 27.05.2019). Von den rund 5.000 Örtlichkeiten, die als Wahlzentren dienten, waren etwa 50% Schulen (LIB, Frauen).

Schätzungen zufolge sind etwa 3,7 Mio. Kinder im Alter von 7 bis 17 Jahren, also fast die Hälfte aller schulpflichtigen Kinder, nicht in der Schule - Mädchen machen dabei 60% aus, in manchen abgelegenen Gegenden sogar 85% (UNICEF 2019). 2018 ist diese Zahl zum ersten Mal seit dem Jahr 2002 wieder gestiegen. Geschlechternormen führen dazu, dass die Ausbildung der Buben in vielen Familien gegenüber der Ausbildung der Mädchen prioritär gesehen wird, bzw. dass die Ausbildung der Mädchen als unerwünscht gilt oder nur für einige Jahre vor der Pubertät als akzeptabel gesehen wird. Jedoch sind auch hier landesweit Unterschiede festzustellen: Beispielsweise waren Mädchen unter der Taliban-Herrschaft auf Heim und Haus beschränkt - speziell in ländlichen Gegenden wie jene in Bamyan. Eine Quelle berichtet von einer Schule in Bamyan, die nun vor allem von Mädchen besucht wird. Dort werden Mädchen von den Eltern beim Schulbesuch manchmal den Buben vorgezogen, da die Buben bei der Feldarbeit oder im Elternhaus aushelfen müssen. In besagtem Fall existieren sogar gemischte Klassen. Aufgrund der Geschlechtertrennung darf es eigentlich keine gemischten Klassen geben. In ländlichen Gebieten kommt es oft vor, dass Mädchen nach der vierten oder fünften Klasse die Schule abbrechen müssen, weil die Zahl der Schülerinnen zu gering ist. Grund für das Abnehmen der Anzahl an Schülerinnen ist u.a. die schlechte Sicherheitslage in einigen Distrikten. Statistiken des afghanischen Bildungsministeriums zufolge war Herat mit Stand November 2018 beispielsweise die einzige Provinz in Afghanistan, wo die Schulbesuchsrate der Mädchen höher war (53%) als die der Burschen (47%). Ein leitender Mitarbeiter einer u.a. im Westen Afghanistans tätigen NGO erklärt die höhere Schulbesuchsrate damit, dass in der konservativen afghanischen Gesellschaft, wo die Bewegungsfreiheit der Frau außerhalb des Hauses beschränkt bleibt, Mädchen zumindest durch den Schulbesuch die Möglichkeit haben, ein Sozialleben zu führen und das Haus zu verlassen. Aber auch in einer Provinz wie Herat missbilligen traditionelle Dorfälteste und konservative Gemeinschaften in manchen Distrikten den Schulbesuch von Mädchen. So kommt es manchmal vor, dass Unterrichtsschichten für Mädchen eingerichtet sind, die von den Schülerinnen jedoch nicht besucht werden (LIB, Frauen).

Auch wenn die Führungselite der Taliban erklärt hat, dass Schulen kein Angriffsziel mehr seien, kam es zu Angriffen auf Mädchenschulen, sowie Schülerinnen und Lehrerinnen durch die Taliban und andere bewaffnete Gruppen. Solche Angriffe zerstören nicht nur wertvolle Infrastruktur, sondern schrecken auch langanhaltend eine große Zahl von Eltern ab, ihre Töchter zur Schule zu schicken. Vertreter der Provinzregierung und Dorfälteste legten nach Vorfällen in der Provinz Farah nahe, dass Angriffe auf Mädchenschulen eine Spaltung innerhalb der Taliban offenbaren: Während viele Zivilbehörden der Taliban eine Ausbildung für Mädchen tolerieren, lehnen manche Militärkommandanten dies ab. Obwohl die Taliban offiziell erklären, dass sie nicht mehr gegen die Bildung von Mädchen sind, gestatten nur sehr wenige Taliban-Entscheidungsträger Mädchen tatsächlich den Schulbesuch nach der Pubertät. Andere gestatten Mädchenschulen überhaupt nicht. Diese Ungereimtheiten führen zu Misstrauen in der Bevölkerung. Beispielsweise haben Taliban in mehreren Distrikten von Kunduz den Betrieb von Mädchen-Grundschulen zugelassen und in einigen Fällen Mädchen und jungen Frauen erlaubt, in von der Regierung kontrollierte Gebiete zu reisen, um dort höhere Schulen und Universitäten zu besuchen. Im Gegensatz dazu gibt es in einigen von den Taliban kontrollierten Distrikten in der Provinz Helmand keine funktionierenden Grundschulen für Mädchen, geschweige denn weiterführende Schulen - einige dieser ländlichen Distrikte hatten keine funktionierenden Mädchenschulen, selbst als sie unter Regierungskontrolle standen. Ihre inkonsistente Herangehensweise an Mädchenschulen spiegelt die unterschiedlichen Ansichten der Taliban-Kommandeure in den Provinzen, ihre Stellung in der militärischen Kommandohierarchie der Taliban und ihre Beziehung zu den lokalen Gemeinschaften wider. In einigen Distrikten hat die lokale Nachfrage nach Bildung die Taliban-Behörden überzeugt oder gezwungen, einen flexibleren Ansatz zu wählen (LIB, Frauen).

Der Zugang zu öffentlicher Hochschulbildung ist wettbewerbsintensiv: Studierende müssen eine öffentliche Aufnahmeprüfung, genannt Kankor, ablegen. Für diese Prüfung gibt es Vorbereitungskurse, mit den Schwerpunkten Mathematik und Naturwissenschaften, die oft kostspielig sind und in der Regel außerhalb der Schulen angeboten werden. Unter den konservativen kulturellen Normen, die die Mobilität von Frauen in Afghanistan einschränken, können Studentinnen in der Regel nicht an diesen Kursen teilnehmen, und afghanische Familien ziehen es oft vor, in die Ausbildung ihrer Söhne zu investieren, sodass den Töchtern die Ressourcen für eine Ausbildung fehlen. Um diese Aufnahmeprüfung zu bestehen, werden Bewerberinnen von unterschiedlichen Stellen unterstützt. Eine Hilfsorganisation hat beispielsweise bislang Vorbereitungsmaterialien und -aktivitäten für 70.000 Studentinnen zur Verfügung gestellt. Auch wurden Aktivitäten direkt in den Unterricht an den Schulen integriert, um der mangelnden Bereitschaft von Eltern, ihre Töchter in Privatkurse zu schicken, zu entgegnen (LIB, Frauen).

Es gibt aktuell (Stand Oktober 2020) 424.621 Studierende an den öffentlichen und privaten Universitäten Afghanistans. Davon sind 118.893 (28%) weiblich. Im Jahr 2020 haben 61.000 Frauen die Zulassungsprüfung für das Universitätsstudium bestanden (RA KBL 12.10.2020a). Die Anzahl weiblicher Studierender hat sich an öffentlichen Universitäten in Afghanistan aus unterschiedlichen Gründen seit 2015 erhöht (LIB, Frauen).

Beispielsweise wurden im Rahmen von Initiativen des Ministeriums für höhere Bildung sichere Transportmöglichkeiten für Studentinnen zu und von den Universitäten zur Verfügung gestellt. Etwa 1.000 Studentinnen konnten dieses Service in den Provinzen Herat, Jawzjan, Kabul, Kunar und Kunduz genießen. Das sind jene Provinzen, in denen sichere und verlässliche Transportmöglichkeiten aufgrund fehlender öffentlicher Verkehrsmittel und der Sicherheitslage dringend benötigt werden. Auch sollen mehr studentische Wohnmöglichkeiten für Frauen an Universitäten zur Verfügung gestellt werden; das Ministerium für höhere Bildung plant, an fünf Universitäten Studentenwohnheime zu errichten. In zwei Provinzen - Bamyan und Kunar - sollen sie im Jahr 2019 fertiggestellt werden. Das Ministerium für höhere Bildung unterstützt Frauen auch finanziell (LIB, Frauen).

Mithilfe des Higher Education Development Programms haben 2018 100 Frauen Stipendien erhalten, 65 Frauen waren dabei, im Ausland ein Masterstudium abzuschließen und 41 weitere standen vor ihrem Studienbeginn. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul der Moraa Educational Complex, die erste Privatuniversität für Frauen in Afghanistan mit einer Kapazität von 960 Studentinnen (MED o.D.). Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für „Frauen- und Genderstudies“, dessen ersten Absolvent*innen bereits im Jahr 2017 das Studium abgeschlossen haben (LIB, Frauen).

Rechtsschutz

Der Großteil der gemeldeten Fälle von Gewalt an Frauen stammt aus häuslicher Gewalt, welche Berichten zufolge vor Gericht nicht als legitimer Grund für eine Scheidung angesehen wird. Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Shu-ra/Schura und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z.B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden aufgefordert, den ’Familienfrieden’ durch Rückkehrzu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Im Fall einer Scheidung wird häufig die Frau als alleinige Schuldige angesehen. Auch ist es verpönt, Probleme außerhalb der Familie, vor Gericht zu lösen. Für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, werden in einigen Fällen vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und nicht-staatlichen Akteuren Ehen arrangiert. Um Frauen und Kinder, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, zu unterstützen, hat das Innenministerium (Mol) im Jahr 2014 landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Manche dieser FRUs sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung überwachen. Ziel des Mol ist es, für alle FRUs eine weibliche Leiterin, eine zusätzliche weibliche Polizistin sowie einen Sicherheitsmann bereitzustellen. Einige FRUs haben keinen permanent zugewiesenen männlichen Polizisten und es gibt Verzögerungen bei der Besetzung der Dienstposten in den FRUs. Gesellschaftlicher Widerstand erschwert es den FRUs Verbrechen geschlechtsspezifischer Gewalt, Zwangsheirat und Menschenhandel anzuzeigen (LIB, Frauen).

Frauenhäuser, sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen oder Zwangsehen sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Es gibt 27 - 28 Frauenhäuser in Afghanistan unter dem MOWA (Ministry of Women Affairs) und der AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission), die vom Staat und von NGOs betrieben werden (LIB, Frauen).

Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für „unmoralische Handlungen“ und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Für Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Selbst in Städten wie Mazar-e Sharif ist es nur schwer vorstellbar, dass Frauen völlig alleine leben. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben. Oftmals versuchen Väter, ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren. Auch das Ministerium für Frauenangelegenheiten arrangiert manchmal Ehen für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können (LIB, Frauen).

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist, unabhängig von der Ethnie, weitverbreitet und kaum dokumentiert. Von den im Jahre 2019 4.693 durch AIHRC dokumentierten Fällen von Gewalt gegen Frauen waren 194 (4,1%) sexueller Gewalt zuzuschreiben (LIB, Frauen). Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord. „Ehrenmorde“ an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt und kommen auch weiterhin vor. Afghanische Expert*innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden (LIB, Frauen).

Zwangsheirat und Verheiratung von Mädchen unter 16 Jahren sind noch weit verbreitet, wobei die Datenlage hierzu sehr schlecht ist. Als Mindestalter für Vermählungen definiert das Zivilgesetz Afghanistans für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre. Dem Gesetz zufolge muss vor der Eheschließung nachgewiesen werden, dass die Braut das gesetzliche Alter für die Eheschließung erreicht hat, jedoch besitzt nur ein kleiner Teil der Bevölkerung Geburtsurkunden. In der Praxis wird das Alter, in dem Buben und Mädchen heiraten können, auf der Grundlage der Pubertät festgelegt. Aufgrund der fehlenden Registrierung von Ehen wird die Ehe von Kindern kaum überwacht (LIB, Frauen).

Reisefreiheit von Frauen

Diesbezüglich bewegen sich die Aussagen der Quellen innerhalb einer gewissen Bandbreite. Die Reisefreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ist durch die sozialen Normen definitiv eingeschränkt. Eine Quelle gibt an, dass Frauen sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif, nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen können. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt. In der Stadt Mazar-e Sharif wird das Tragen des Hijab nicht so streng gehandhabt, wie in den umliegenden Gegenden oder in anderen Provinzen. Generell hängt das Ausmaß an Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit der Frauen unter anderem vom Wohnort, der Einstellung ihrer Familien, der Sicherheitslage und dem Bildungsgrad. In ländlichen Gebieten und Gebieten unter Kontrolle von regierungsfeindlichen Gruppierungen werden Frauen, die soziale Normen missachten, beispielsweise durch das Nicht-Tragen eines Kopftuches oder einer Burka, bedroht und diskriminiert (LIB, Frauen).

Nur wenige Frauen in Afghanistan fahren Auto. In Städten und Dörfern werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet, etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind (LIB, Frauen).

Religionsfreiheit

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 1% der Bevölkerung aus. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (LIB, Religionsfreiheit).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung. Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung. Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (LIB, Religionsfreiheit).

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind Schätzungen zufolge ca. 40 bis 42% Paschtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag bestehen fort und werden nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB, Ethnische Gruppen).

Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichts destotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen. Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag bestehen fort und werden nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB, Ethnische Gruppen).

Ethnische Paschtunen sind mit ca. 40% der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime. Die Paschtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB, Paschtunen).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen. Die Taliban sind eine vorwiegend paschtunische Bewegung, werden aber nicht als nationalistische Bewegung gesehen. Die Taliban rekrutieren auch aus anderen ethnischen Gruppen. Die Unterstützung der Taliban durch paschtunische Stämme ist oftmals in der Marginalisierung einzelner Stämme durch die Regierung und im Konkurrenzverhalten oder der Rivalität zwischen unterschiedlichen Stämmen begründet (LIB, Paschtunen).

Situation für Rückkehrende

Die schnelle Ausbreitung des COVID-19 Virus in Afghanistan hat starke Auswirkungen auf die Vulnerablen unter der afghanischen Bevölkerung, einschließlich der Rückkehrenden, da sie nur begrenzten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, insbesondere zur Gesundheitsversorgung, haben und zudem aufgrund der landesweiten Abriegelung Einkommens- und Existenzverluste hinnehmen müssen. IOM verzeichnete im Jahr 2020 die bisher größte Rückkehr von undokumentierten afghanischen Migrant*innen: Von den mehr als 865.700 Rückkehrenden, kamen etwa 859.000 aus dem Iran und schätzungsweise 6.700 aus Pakistan. Im gesamten Jahr 2018 kehrten, im Vergleich dazu, aus den beiden Ländern insgesamt 805.850 Personen nach Afghanistan zurück (LIB, Rückkehr).

Der Reintegrationsprozess der Rückkehrenden ist oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrende sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Einheimischen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen. Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrende die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrende leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrende sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrende in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Rückkehr).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrende unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kollegen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrende auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrende besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Rückkehr).

Rückkehrende aus Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrende aus Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrenden gebürgt wird. UNHCR verzeichnete jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrender aus Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrende (LIB, Rückkehr).

Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrenden. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt. Rückkehrende aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrende nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden und auch IOM Kabul sind keine solchen Vorkommnisse bekannt. Andere Quellen geben jedoch an, dass es zu tätlichen Angriffen auf Rückkehrende gekommen sein soll, wobei dies auch im Zusammenhang mit einem fehlenden Netzwerk vor Ort gesehen wird. UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrende aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. „Erfolglosen“ Rückkehrenden aus Europa haftet oft das Stigma des „Versagens" an. Wirtschaftlich befinden sich viele der Rückkehrer in einer schlechteren Situation als vor ihrer Flucht nach Europa, was durch die aktuelle Situation im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie noch verschlimmert wird. Rückkehrende drückten ihr Bedauern und ihre Scham über die Rückkehr aus, die sie als eine vertane Chance betrachteten, bei der Geld und Zeit verschwendet wurden. Wenn Rückkehrende mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommen, stehen ihnen mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Einheimischen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann. Haben die Rückkehrende lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren (LIB, Rückkehr).

Viele afghanische Rückkehrende werden de-facto Binnenvertriebene, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren. Trotz offenem Werben für Rückkehr sind essentielle Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit in den grenznahen Provinzen nicht auf einen Massenzuzug vorbereitet. Viele Rückkehrende leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrenden im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Rückkehr).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrenden die größte Schwierigkeit dar. Fähigkeiten, die sich Rückkehrende im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich Rückkehrende aus Pakistan und Iran zu unterstützen, bleibt begrenzt und ist weiterhin von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft abhängig. Moscheen unterstützen in der Regel nur besonders vulnerable Personen und für eine begrenzte Zeit. Für in Iran geborene oder aufgewachsene Personen, die keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch. Deshalb versuchen sie in der Regel, so bald wie möglich wieder nach Iran zurückzukehren (LIB, Rückkehr).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht jeweils in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt der Beschwerdeführerin sowie ihrer Mutter, Zl. W207 2241250-1, und in den Gerichtsakt betreffend das Asylverfahren des Vaters, Zl. W150 1415195-1.

Zur Person der Beschwerdeführerin und ihren Fluchtgründen

Die Identität der Beschwerdeführerin, ihre Nationalität sowie ihr Geburtsort steht aufgrund des vorgelegten unbedenklichen afghanischen Reisepasses fest.

Die Feststellungen zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, den Sprachkenntnissen sowie den Familienverhältnissen und dem Familienstand der Beschwerdeführerin beruhen auf den dahingehend konsistenten und nachvollziehbaren Angaben der Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde, von denen sie auch in der Beschwerde nicht abgewichen ist.

Die Einreise der Beschwerdeführerin mit österreichischem Visum sowie die Antragstellung auf internationalen Schutz ergeben sich unstrittig aus der Aktenlage. Die Gewährung subsidiären Schutzes an den Vater der Beschwerdeführerin ergibt sich aus der Einsichtnahme in das betreffende Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.01.2015, Zl. W150 1415195-1/24E.

Was Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates betrifft, so brachte die Beschwerdeführerin im Administrativverfahren ausdrücklich vor, keine eigenen Fluchtgründe zu haben und sich auf jene des Vaters zu stützten. Insbesondere sagte die Beschwerdeführerin in ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde vom 03.03.2021 nach ihren Fluchtgründen befragt aus: „Nein, ich habe keine eigenen Fluchtgründe, ich bin wegen meinem Vater hier. Ich beziehe mich auf die Gründe meines Vaters und möchte seinen Status haben. Ich gebe ausdrücklich an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben.“ Auf die Frage, was konkret gegen eine Rückkehr spräche, erwiderte sie, dass sie Angst habe vor den Feinden ihres Vaters, den Söhnen der Onkel ihres Vaters, mit denen sie allerdings nie selbst Kontakt gehabt habe. Auf entsprechende Nachfrage gab die Beschwerdeführerin darüber hinaus ausdrücklich an, sie sei nie körperlicher Formen von Gewalt ausgesetzt gewesen, nie gefoltert, ihrer Freiheit beraubt oder misshandelt worden. Sie sei in Afghanistan nie persönlich bedroht worden und habe keine sonstigen Probleme gehabt in Afghanistan. Die ausdrückliche Nachfrage, ob die Beschwerdeführerin somit alle Gründe, die sie veranlasst hätten, ihre Heimat zu verlassen, vollständig und ausführlich wiedergegeben habe, beantwortete sie mit ja.

Auch die weiteren von der belangten Behörde einvernommenen Familienangehörigen verneinten ausdrücklich das Vorliegen eigener Fluchtgründe und bezogen sich auf die Fluchtgründe des Vaters bzw. (im Fall der Mutter) des Ehegatten. Auf entsprechende Nachfrage gaben auch diese ausdrücklich an, sie seien nie körperlicher Formen von Gewalt ausgesetzt gewesen, nie gefoltert, ihrer Freiheit beraubt oder misshandelt worden. Sie seien in Afghanistan nie persönlich bedroht worden und hätten auch keine sonstigen Probleme gehabt in Afghanistan. Auch diese beantworteten die ausdrückliche Nachfrage, ob sie somit alle Gründe, die sie veranlasst hätten, ihre Heimat zu verlassen, vollständig und ausführlich wiedergegeben haben, mit ja.

Aus diesem Vorbringen der Beschwerdeführerin selbst sowie ihrer Familienangehörigen im Verfahren vor der belangten Behörde kann keine gezielt und konkret gegen die Person der Beschwerdeführerin gerichtete, der Beschwerdeführerin also mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aktuell, persönlich und tatsächlich drohende Verfolgungsgefahr erheblicher Intensität abgeleitet werden; eine solche wird von dieser auch gar nicht konkret behauptet, sondern vielmehr ausdrücklich verneint.

Obschon sich die Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde auf die Fluchtgründe des Vaters als Grund für – befürchtete, aber in keiner Weise näher konkretisierte und definierte - Probleme im Herkunftsstaat berief, vermochte sie mit dem Vorbringen, sie sei in Afghanistan nie körperlicher Formen von Gewalt ausgesetzt gewesen, nie gefoltert, ihrer Freiheit beraubt oder misshandelt worden, sie sei in Afghanistan nie persönlich bedroht worden und habe auch keine sonstigen Probleme gehabt in Afghanistan, nicht das Vorliegen eines realen Risikos einer konkret und gezielt gegen ihre Person gerichteten aktuellen Verfolgung wegen der Fluchtründe des Vaters plausibel darzutun und glaubhaft zu machen, zumal der Vater seit dem Jahr 2010 in Österreich aufhältig ist und der Beschwerdeführerin – ebenso wie ihrer Mutter und ihren Geschwistern - in einem Zeitraum von mehr als einem Jahrzehnt nach der Ausreise des Vaters aus Afghanistan ihren eigenen ausdrücklichen Angaben zu Folge keinerlei konkrete Bedrohung widerfahren ist. Ganz abgesehen davon konnte die Beschwerdeführerin im Übrigen auch keine näheren Angaben dazu machen, warum der Vater – von dessen vormaliger Bedrohungssituation die Beschwerdeführerin eine aktuelle Verfolgungsgefahr ableiten möchte - damals eigentlich aus Afghanistan ausreisen habe müssen. Die Erstbeschwerdeführerin sagte dazu lediglich aus, „Ich habe Angst vor den Feinden meines Vaters. Ich selbst hatte nie Kontakt mit diesen Personen, ich weiß nur dass es die Sühne der Onkel meines Vaters sind. Mehr kann ich nicht angeben.“

Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass der Vater der Beschwerdeführerin in dem ihn betreffenden Verfahren seine Beschwerde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten vor dem Bundesverwaltungsgericht zurückgezogen hat.

Dem in der Beschwerde geäußerten Vorwurf der mangelhaften Sachverhaltsermittlung durch die belangte Behörde, wonach diese die Angaben der Beschwerdeführerin, „dass sie Angst vor den Feinden des Vaters habe“, dem „aufgrund seiner Geschäftsbeziehungen mit einem ukrain[i]sch/afghanischen Geschäftsmann, welcher christliche Bücher verkauft hatte“, vorgeworfen worden sei, ein Ungläubiger zu sein, weswegen die Beschwerdeführerin „von dem Onkel väterlicherseits und Cousins der Familie“ sowie der „afghanischen Gesellschaft“ verfolgt werde, nicht berücksichtigt habe, kann nicht gefolgt werden, da dergleichen Angaben von der Beschwerdeführerin im Verfahren vor der belangten Behörde – trotz mehrfacher ausdrücklicher Nachfragen durch die belangte Behörde zu allfälligen Bedrohungsszenarien - gar nicht gemacht wurden.

Vielmehr steht dieses erstmals in der Beschwerde erstattete Vorbingen - abgesehen davon, dass es dem Neuerungsverbot des § 20 Abs. 1 Z 4 BFA-VG unterliegt, zumal in der Beschwerde nicht dargetan wird, weshalb die Beschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen sei, ein derartiges Vorbringen bereits im Verfahren vor der belangten Behörde zu erstatten – in Widerspruch zum ausdrücklich geäußerten Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie sei in Afghanistan nie körperlicher Formen von Gewalt ausgesetzt gewesen, nie gefoltert, ihrer Freiheit beraubt oder misshandelt worden, sie sei in Afghanistan nie persönlich bedroht worden und hätte auch keine sonstigen Probleme gehabt in Afghanistan.

Auch hinsichtlich der übrigen Familienmitglieder haben sich keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen einer derartigen Bedrohungslage seitens Verwandter väterlicherseits ergeben (vgl. diesbezüglich auch das Erkenntniss zur Mutter der Beschwerdeführerin vom heutigen Tag, Zl. W207 2241250-1/5E).

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin ist daher nicht geeignet, das Vorliegen einer aktuellen, konkret und gezielt gegen sie persönlich gerichteten Verfolgung erheblicher Intensität glaubhaft zu machen.

Aus den - oben auszugsweise wiedergegebenen - Angaben der Beschwerdeführerin im Rahmen der Einvernahme durch die belangte Behörde am 03.03.2021 insbesondere zu ihrer Person, ihrem Leben in Österreich, ihrer religiösen Einstellung sowie aus dem von der belangten Behörde festgestellten Erscheinungsbild der Beschwerdeführerin haben sich – entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde - keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Beschwerdeführerin während des erst etwas mehr als sieben Monaten dauernden Aufenthaltes in Österreich eine Wertehaltung verinnerlicht hat und auslebt, die einen Bruch mit dem traditionellen afghanischen Wertesystem darstellt. Im Gegenteil lebt die Beschwerdeführerin ihren eigenen Angaben zufolge nach wie vor nach dem streng konservativ-religiösen afghanischen Weltbild: Zwar ist die Beschwerdeführerin bereits vollj

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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