TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/1 I416 2169773-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.06.2021
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Entscheidungsdatum

01.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I416 2169773-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch RA Dr. Benno WAGENEDER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 25.08.2017, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.05.2021 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.        XXXX , ein irakischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte am 26.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Der Beschwerdeführer gab anlässlich seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 27.10.2015 zu seiner Fluchtroute an, dass er von Basra legal mit dem Flugzeug aus dem Irak nach Istanbul gereist sei. Von der Türkei aus sei er mit einer Fähre nach Athen und über Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich gelangt. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass er sein Heimatland verlassen habe, da er an einer Demonstration teilgenommen habe wodurch er der Behörde aufgefallen sei und habe er Drohungen bekommen und deshalb Angst um sein Leben. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er, dass er verhaftet werde und in den Krieg ziehen muss und habe er Angst um sein Leben.

3.       Am 04.01.2017 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Zu seinen persönlichen Verhältnissen führte er aus, dass er XXXX heiße, am XXXX in Basra im Irak geboren sei, der Volksgruppe der Araber, dem Clan/Stamm IBADA und der muslimischen Religionsgemeinschaft/schiitischen Glaubensrichtung angehöre und irakischer Staatsangehöriger sei. Er sei gesund, ledig und habe keine Kinder. Im Irak habe er sechs Jahre die Grundschule und zwei Jahre die Mittelschule besucht. Gearbeitet habe er als Hilfsarbeiter am Bau. Im Irak in Basra würden noch seine Eltern, seine beiden Schwestern und seine beiden Brüder in einem Haus das seinem Vater gehört leben. Zudem würden sich noch Onkel und Tanten von ihm in Basra befinden. Kontakt habe er zu seiner Schwester über WhatsApp. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass er im Juli und August an Demonstrationen, wo es um ihre Rechte (Strom, Wasser, Dienstleistungen) gegangen sei, teilgenommen habe. Am 05.09.2015 habe er letztmalig an einer friedlichen Demonstration teilgenommen, es sei jedoch auf sie geschossen worden. Sie seien dann weggelaufen, wobei drei Menschen liegen geblieben seien, was mit diesem geschehen sei, könne er nicht sagen. In derselben Nacht sei er bei einem Freund gewesen und später mit dem Motorrad nach Hause gefahren, er habe in der Ferne ein Licht eines Autos gesehen, das aus einem Feld herausgestrahlt habe, um welche Marke oder Farbe es sich gehandelt habe, habe er nicht erkennen können. Plötzlich sei auf ihn geschossen worden und habe er einen anderen Weg nach Hause genommen, da er Angst gehabt habe, dass weiter vorne ein weiteres Auto warten würde. Als er nach Hause gekommen sei, habe er die seinem Vater erzählt, seine Eltern hätten gemeint er solle zu Hause bleiben. Er sei jedoch vor Sonnenaufgang zu seiner Tante mütterlicherseits gefahren und habe dieser und deren Mann erzählt was passiert sei und sie gefragt ob er eine gewisse Zeit bei ihr bleiben könne. Er habe ihnen zudem gesagt, dass sie niemanden sagen sollen, dass er bei ihnen sei, auch seine Familie habe nicht gewusst, wo er sei. Am nächsten Tag in der Nacht habe seine Mutter die Tante angerufen und gesagt, dass eine Handgranate auf das Eingangstor geworfen worden sei. Seine Mutter habe auch nach ihm gefragt, seine Tante habe aber gesagt, sie wüsste nicht wo er sei, seine Mutter habe sich Sorgen gemacht und alle Verwandten angerufen. Er gab weiters an, dass ein Stein der mit einem Brief umwickelt gewesen sei, über den Zaun vor der Haustür geworfen worden sei und habe diesen sein Vater gefunden. In dem Brief sei gestanden, dass er die Demonstrationen lassen und sein Grab schaufeln solle, es sei dann die Nachricht verbreitet worden, dass er verschwunden sei. Er habe dann am 09.09.2015 seinen Freund Ali, der mit den Organisatoren der Demonstrationen zusammengearbeitet habe angerufen und habe dieser ihm gesagt, dass zwei weitere Teilnehmer verschwunden seien, dieser habe wissen wollen wo er sich befinde, er habe es ihm aber nicht gesagt. Am 10.09.2015 habe ihn der Mann der Tante mit seinem Auto zum Flughafen gebracht und ihm ein Ticket besorgt und sei er so in die Türkei geflogen. Letztlich führte er aus, dass es im Süden des Iraks eine Schande für den Stamm sei einfach auszureisen ohne der Familie etwas zu sagen. Er sei deshalb aus dem Stamm verstoßen worden und der Scheich habe erlaubt, dass sein Blut vergossen werde. Nachgefragt, wer ihn bedroht habe, führte er aus, dass er nicht wisse, welche Person oder Organisation dies gewesen sei, er wisse auch nicht wer den Stein mit dem Drohbrief platziert habe, er wisse nicht, ob es der Staat, eine Miliz oder eine Organisation gewesen sei. Nachgefragt, welcher Behörde er wegen der Demonstrationen aufgefallen sei, führte er aus, dass sie vor dem Gebäude des Bürgermeisters demonstriert hätten, sie hätten die Demonstrationen angemeldet und hätten sie die Polizisten gekannt. Aus dem Clan sei er verstoßen worden, als der Scheich davon erfahren habe, dieser habe es nach seiner Ausreise gemacht und habe er das Urteil von seinem Onkel im Jänner 2016 geschickt bekommen. Zum Drohbrief, führte er aus, dass auf diesem gestanden habe, dass sie die Demonstrationen lassen sollen und er sich sein Grab schaufeln solle, es habe kein Absender darauf gestanden und sei der Brief mit Blut beschmiert gewesen, bekommen habe er dem Brief am 06.09.2019, den Abend davor sei auf ihn geschossen worden. Er führte weiters aus, dass er von keiner Behörde verfolgt worden sei, er niemals Probleme wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seiner Religionszugehörigkeit gehabt habe, er nie Probleme mit staatlichen Behörden oder der Polizei gehabt habe und die auch keine persönlichen Probleme mit einer privaten oder dritten Person gehabt habe. Letztlich führte er aus, dass es als Schande angesehen werde, wenn man den Stamm verlässt, ohne etwas zu sagen. Jeder der ihn erkennen würde, würde ihn verfolgen, wissen würden es die Stämme vom Scheich, Bild habe dieser jedoch keines von ihm weitergegeben. Zudem könne er nicht in einer anderen Region im Irak leben, weil der Verstoß aus dem Stamm für alle Stämme gelte und er niemanden mehr im Irak habe. Im Falle seiner Rückkehr fürchte er, dass ihn seine Onkel oder ein anderer Stamm töten könne. Zu seinen Lebensumständen im Bundesgebiet führte er aus, dass er von der Grundversorgung leben würde, er einen Deutschkurs besucht habe und österreichische Freunde habe. In seiner Freizeit würde er Deutsch lernen und Fußballspielen, er sei arbeitsfähig und würde im Falle eines positiven Bescheides am Bau arbeiten. Auf die Abgabe einer Stellungnahme zu den Länderinformationen verzichtete der Beschwerdeführer. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme legte der Beschwerdeführer folgende Unterlagen vor: Irakischer Personalausweis, Staatsbürgerschaftsnachweis Teilnahmebestätigungen der Stadt XXXX an diversen Infomodulen und die Kopie eines in Arabisch gefassten Schriftstückes über den Verstoß aus der Familie.

4.       Mit den im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.08.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten „gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak gemäß „§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG“ (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen „gemäß § 57 AsylG“ erteilt und „gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF“ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung „gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen und „gemäß § 52 Absatz 9 FPG“ festgestellt, dass seine Abschiebung „gemäß § 46 FPG“ in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Eine Frist für seine freiwillige Ausreise wurde „gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG" mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen festgestellt (Spruchpunkt IV.).

5.       Mit Verfahrensanordnungen gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 25.08.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschrechte Österreich, als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

6.       Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer durch seine gewillkürte Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 01.09.2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte inhaltliche Rechtswidrigkeit. Begründend wurde zusammengefasst im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer aus Basra stamme, einem Gebiet das in den Länderinformationen kaum behandelt werde. Die Ausführungen seien zweifellos veraltet und werde festgestellt, dass sich die Sicherheitslage verschlechtert habe, die Kriminalität gestiegen sei und es zu blutigen Zusammenstößen zwischen schiitischen Clans und zu Entführungen und Lösegelderpressung komme. Der zunehmende Einfluss der schiitischen Milizen verschlimmere die Situation zusätzlich und sei die aktuelle Situation aus dem Gebiet aus der Beschwerdeführer stamme dermaßen katastrophal, dass zumindest die Zuerkennung von subsidiärem Schutz gerechtfertigt sei. Es werde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass dem Antrag auf internationalen Schutz stattgegeben werde, allenfalls subsidiärem Schutz zu erkennen, einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen, von der Rückkehrentscheidung Abstand nehmen und die Abschiebung in den Irak für nicht zulässig erklären und eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen.

7.       Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 04.09.2017 vorgelegt.

8.       Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 05.06.2018, GZ: XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten rechtskräftig verurteilt, wobei sechs Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden.

9.       Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.09.2018 wurden die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung L519 abgenommen und der Gerichtsabteilung I416 neu zugewiesen. Am 04.10.2019 langte der verfahrensgegenständliche Beschwerdeakt bei der zuständigen Gerichtsabteilung I 416 ein.

10.      Am 27.05.2021 erfolgte in Anwesenheit des Beschwerdeführers eine mündliche Beschwerdeverhandlung am Bundesverwaltungsgericht. In dessen Verlauf wurden seitens des Beschwerdeführers folgende nachstehende Unterlagen vorgelegt: Ausweisdokumente in Arabisch, Erkenntnis des VwGH XXXX betreffend Beschwerde bezüglich der Nichterteilung der Nachsicht gemäß § 26 GewO vom 16.03.2021, drei Nachunternehmerverträge zwischen der XXXX GmbH und dem Beschwerdeführer vom 26.01.2021, 27.01.2021 und 16.08.2020, Rechnungen des Beschwerdeführers an die XXXX GmbH vom August, September, Oktober und November 2020, sowie Jänner, Februar, März 2021, ein Schreiben der ÖGK vom 18.05.2021 betreffend der Arbeitsunfähigkeitsmeldung vom 15.05.2021, eine Bestätigung des ÖROK über ehrenamtliche Tätigkeiten vom Dezember 2016 bis Januar 2017 vom 04.07.2017, ein ÖSD Zertifikat A1 vom 23.01.2017 und ein ÖSD Zertifikat A2 vom 25.04.2018.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger. Seine Identität steht fest. Er gehört der Volksgruppe der Araber an.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer ohne Glaubensbekenntnis ist.

Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer ist gesund, leidet an keinen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen, welche einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen und gehört keiner Risikogruppe im Sinne der COVID-19-Pandemie an. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich ein, wo er sich seit (spätestens) 26.09.2015 aufhält.

Der Beschwerdeführer stammt aus Basra und besuchte dort sechs Jahre die Grundschule und zwei Jahre die höhere Schule. Der Beschwerdeführer hat laut eigenen Angaben in einer Bäckerei, als Maler, als Arbeiter auf einer Baustelle und am Hafen gearbeitet.

In Basra leben noch die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer hat regelmäßigen Kontakt mit seinen Eltern.

In Österreich hat der Beschwerdeführer keine Angehörigen, führt jedoch laut eigenen Angaben seit 2018 eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsangehörigen, wobei kein gemeinsamer Wohnsitz besteht. Kennengelernt haben sich die beiden als seine Freundin als Betreuerin für eine Hilfsorganisation in der damaligen Flüchtlingsunterkunft des Beschwerdeführers tätig war. Es besteht kein finanzielles oder anderweitig geartetes Abhängigkeitsverhältnis zwischen ihr und dem Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer verfügt im Bundesgebiet über keinen nennenswerten Freundeskreis oder sonstige soziale Kontakte.

Der Beschwerdeführer hat hinsichtlich seiner Integration zwei Deutschprüfungen vorgelegt und spricht qualifiziert Deutsch. Der Beschwerdeführer hat zwischen Dezember 2016 und Jänner 2017 ehrenamtlich bei der Wohnungslosenhilfe des Roten Kreuzes geholfen. Der Beschwerdeführer ist kein Mitglied in einem Verein.

Der Beschwerdeführer bezieht seit 18.08.2020 keine Leistungen mehr aus der Grundversorgung. Das Ansuchens des Beschwerdeführers um Nachsicht vom Ausschluss von der Gewerbeausübung für das Gewerbe „Hausbetreuung, bestehen in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten“ wurde mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes XXXX vom 18.03.2021 rechtskräftig abgewiesen.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer selbstständig oder unselbständig erwerbstätig ist, festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer nicht selbsterhaltungsfähig ist und keinen Krankenversicherschutz aufweist.

Eine entscheidungsrelevante Teilnahme des Beschwerdeführers am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben in Österreich kann trotz seiner Aufenthaltsdauer von 5 Jahren und 8 Monaten nicht festgestellt werden. Er weist in Österreich keinen Grad der Integration auf, der seiner Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet entspricht. Es liegen keine Hinweise auf das Vorliegen von entscheidungsrelevanten Anknüpfungspunkten in sozialer, sprachlicher und wirtschaftlicher Natur in Österreich bzw. allenfalls gesetzter Integrationsschritte, über das oben angeführte hinaus, des Beschwerdeführers vor.

Der Beschwerdeführer weist nachstehende strafrechtliche Verurteilung auf.

01) LG XXXX XXXX vom 05.06.2018 RK 05.06.2018

§§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (2a) 2. Fall, 27 (3) SMG § 15 StGB

Datum der (letzten) Tat 26.04.2018

Freiheitsstrafe 8 Monate, davon Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

zu LG XXXX XXXX RK 05.06.2018

Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 26.06.2018

LG XXXX XXXX vom 27.06.2018

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Irak aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war.

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm im Irak Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. Die vom Beschwerdeführer behauptete Bedrohung/Verfolgung aufgrund seiner Teilnahme an Demonstrationen bzw. durch Angehörige von Milizen konnte mangels Glaubhaftmachung nicht festgestellt werden.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer unmittelbar vor seiner Ausreise einer individuellen und aktuellen Verfolgung aus den von ihm genannten Gründen im Herkunftsstaat ausgesetzt gewesen wäre bzw. im Fall seiner Rückkehr in den Irak der Gefahr einer solchen ausgesetzt sein würde.

Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Irak wird der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und auch keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak Verletzung von Art. 2, Art. 3 oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der Beschwerdeführer ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer wurde im Zuge der Ladung zur mündlichen Verhandlung das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Irak übermittelt. Zudem wurden im Rahmen der Beschwerdeverhandlung folgende Berichte ergänzend eingebracht: EASO Bericht „Iraq Security situation“ vom Oktober 2020, der EASO Bericht „Country Guidance Iraq – Guidance note and common analysis“ vom Jänner 2021, der EASO Informationsbericht über das Herkunftsland „Irak Gezielte Gewalt gegen Individuen“ vom März 2019, der EASO Bericht „Irak Interne Mobilität“ vom Februar 2019, der EASO Bericht „Irak Zentrale sozioökonomische Indikatoren“ vom Februar 2019, der UNHCR-Bericht „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen [HCR/PC/IRQ/2019/05]“ vom Mai 2019, Anfragebeantwortung zum Irak: Sicherheitslage in Basra vom 8. März 2018, Asylländerbericht der ÖB Amman vom Oktober 2020 zu Grunde gelegt.

Politische Lage:

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).

Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).

Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).

Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).

Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).

Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020

-        AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020

-        CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020

-        DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020

-        Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.3.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020

-        ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020

-        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.2020

-        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

-        Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020

-        NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0, Zugriff 17.3.2020

-        Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020

-        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020

-        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020

-        RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020

-        Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020

-        ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

-        Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

-        FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

-        MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

-        New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).

Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).

Die folgende Grafik von ACCORD zeigt im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 26.2.2020).

(ACCORD 26.2.2020)

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 2.2020).

(IBC 2.2020)

Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Oktober 2019 361 zivile Todesopfer im Irak, im November 274 und im Dezember 215, was jeweils einer Steigerung im Vergleich zum Vergleichszeitraum des Vorjahres entspricht. Im Jänner 2020 wurden 114 zivile Todesopfer verzeichnet, was diesen Trend im Vergleich zum Vorjahr wieder umdrehte (IBC 2.2020).

(IBC 2.2020)

Quellen:

-        ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage Basrah

Basrah ist die südlichste Provinz Iraks und hat interne Grenzen mit den Gouvernements Muthanna, Dhi Qar und Missan. Basrah hat internationale Grenzen mit dem Iran im Osten und Kuwait im Süden. Die Hauptstadt des Gouvernements ist Basrah-Stadt. Das Gouvernorat ist in sieben Bezirke unterteilt: Abu Al-Khaseeb, Al-Midaina, Al-Qurna, Al-Zubair, Basrah, Fao und Shatt Al-Arab. Das Gouvernement hat eine geschätzte Einwohnerzahl von 2 985 073, wobei die Mehrheit schiitische Araber sind.

Das Gouvernement Basrah steht unter der Kontrolle des Basrah Operations Command, das jedoch aufgrund von Personalmangel nicht in der Lage war, die Kontrolle über das Gouvernement zu übernehmen (EASO). Mit Stand Dezember 2019 bestehen die ISF in der Provinz Basra aus dem Einsatzkommando Basra, einem Regiment zur Terrorismusbekämpfung, einer Kommandobrigade, Regimenten für Notfälle, der Schnellen Einsatztruppe, der lokalen Polizei, einer Brigade der Bundespolizei und einem Bataillon der 9. Panzerdivision. Im Juli 2020 kündigte das irakische Gemeinsame Einsatzkommando an, das BasOC sollte die Kontrolle über den Grenzübergang Shalamcheh nach Iran und den Grenzübergang Safwan nach Kuwait übernehmen. Laut einem Artikel vom Februar 2020 war Basra eine der Provinzen, in denen das Gemeinsame Einsatzkommando für die Sicherheit zuständig ist. Die Anwesenheit der PMU wurde ebenfalls bestätigt. In den Jahren 2019 und 2020 kam es in den südlichen Gouvernements des Irak zu Massenprotesten, bei denen übermäßige Gewaltanwendung durch die ISF und die PMU gemeldet wurde, was zu Todesopfern führte. Sicherheitsvorfälle in den südlichen Gouvernements des Iraks waren hauptsächlich auf (inner-)stammesbezogene Streitigkeiten und/oder kriminelle Aktivitäten, einschließlich Menschenhandel und Drogenschmuggel, zurückzuführen. Lokale Quellen deuten darauf hin, dass die Gewalt innerhalb der Schiiten vor allem diejenigen betrifft, die sich aktiv in einer Miliz oder Stammesgruppe engagieren. Eine Quelle gab jedoch an, dass die schlimmste Gewalt in der Regel auf Stammesfehden zurückzuführen sei, die in bewaffnete Straßenkämpfe mit zivilen Verletzten und Todesopfern umschlagen könnten. Für die ISF ist es nicht einfach, in Clan-Streitigkeiten einzugreifen. Es wurde auch über den Einsatz von Sprengkörpern berichtet.

ACLED meldete im Berichtszeitraum insgesamt 156 sicherheitsrelevante Vorfälle (durchschnittlich 1,9 sicherheitsrelevante Vorfälle pro Woche) im Gouvernorat Basrah, von denen die meisten als Unruhen kodiert wurden. In diesem Zeitraum wurden auch Kämpfe, Explosionen/entfernte Gewalt und Gewalt gegen Zivilisten gemeldet. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen kam es in allen Bezirken des Gouvernorats, wobei die größte Gesamtzahl im Bezirk Basrah verzeichnet wurde. UNAMI registrierte 19 Vorfälle im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, von denen 17 im Jahr 2019 und 2 vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2020 stattfanden (durchschnittlich 0,2 sicherheitsrelevante Vorfälle pro Woche für den gesamten Berichtszeitraum).

Im Bezugszeitraum verzeichnete UNAMI insgesamt 12 zivile Opfer (9 Tote und 3 Verletzte) bei den oben genannten bewaffneten konfliktbezogenen Zwischenfällen. Genauer gesagt wurden im Jahr 2019 9 Todesopfer und vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2020 3 Verletzte gemeldet. Im Vergleich zu den offiziellen Zahlen für die Bevölkerung im Gouvernorat entspricht dies weniger als 1 ziviles Opfer pro 100 000 Einwohner für den gesamten Bezugszeitraum.

Quellen:

- EASO Country Guidance: Iraq; Common analysis an guidance note, January 2021; https://www.ecoi.net/en/file/local/2045437/Country_Guidance_Iraq_2021.pdf, Zugriff 07.04.2021

-        DIS/Landinfo - Danish Immigration Service; Norwegian Country of Origin Information Center (5.11.2018): Northern Iraq: Security situation and the situation for internally displaced persons (IDPs) in the disputed areas, incl. possibility to enter and access the Kurdistan Region of Iraq (KRI), https://www.ecoi.net/en/file/local/1450541/1226_1542182184_iraq-report-security-idps-and-access-nov2018.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        EASO - European Asylum Support Office (3.2019): Iraq; Targeting of Individuals, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003960/Iraq_targeting_of_individuals.pdf, Zugriff 13.3.2020

- EASO; EASO-Leitlinien zum Irak (Verfolger; Flüchtlingsstatus; subsidiärer Schutz; staatlicher Schutz; interne Schutzalternative; Ausschlussgründe), https://www.ecoi.net/en/file/local/2045437/Country_Guidance_Iraq_2021.pdf; Zugriff 08.04.2021;

- EASO; EASO-Bericht zur Sicherheitslage (jüngste Konflikte; interne Spannungen; türkisches und iranisches Eindringen; bewaffnete Akteure; staatliche Fähigkeit, Recht und Ordnung zu sichern; Auswirkungen der Gewalt auf die Zivilbevölkerung; Lage nach Region / Gouvernement)https://www.ecoi.net/en/file/local/2040056/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf; Zugriff 08.04.2021

- CEDOCA - Centre de documentation et de recherches du Commissariat général aux réfugiés et aux apatrides (28.2.2018): IRAK: Situation sécuritaire dans le sud de l‘Irak, https://www.cgra.be/sites/default/files/rapporten/coi_focus_irak_situation_securitaire_dans_le_sud_de_lirak_20180228.pdf, Zugriff 13.3.2020

- ISW - Institute for the Study of War (22.10.2019): Iraq's Sustained Protests and Political Crisis, https://iswresearch.blogspot.com/2019/10/iraqs-sustained-protests-and-political.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.10.2019): Iraq’s October Protests Escalate And Grow, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/iraqs-october-protests-escalate-and-grow.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State’s New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

- Landinfo - The Norwegian COI Centre (31.5.2018): Irak: Sikkerhetssituasjonen i Sør-Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434620/1226_1528700530_irak-temanotat-sikkerhetssituasjonen-i-syarirak-hrn-31052018.pdf, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage Bagdad

Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).

Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020).

Dabei wurden am 7. und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad (Joel Wing 5.3.2020).

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar (Joel Wing 6.1.2020; vgl Joel Wing 5.3.2020)

Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren (Joel Wing 3.2.2020).

Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements, darunter auch in Bagdad, zu teils gewalttätigen Demonstrationen.

Quellen:

-        Al Monitor (11.3.2016): The rise of Islamic State sleeper cells in Baghdad, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/iraq-baghdad-belts-harbor-islamic-state.html, Zugriff 13.3.2020

-        ISW - Institute for the Study of War (2008): Baghdad Belts, http://www.understandingwar.org/region/baghdad-belts, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020

-        OFPRA - Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, https://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf, Zugriff 13.3.2020

Rechtsschutz/Justizwesen:

Die irakische Gerichtsbarkeit besteht aus dem Obersten Justizrat, dem Obersten Gerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission, dem Zentralen Strafgericht und anderen föderalen Gerichten mit jeweils eigenen Kompetenzen (Fanack 2.9.2019). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 12.1.2019).

Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vgl. AA 12.1.2019; USDOS 11.3.2020). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein (USDOS 11.3.2020). Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt (AA 12.1.2019). Zudem ist die Justiz von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 4.3.2020).

Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 12.1.2019). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft. Willkürliche Verhaftungen, einschließlich Verhaftungen ohne Haftbefehl, sind üblich (FH 4.3.2020). Eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über „schiitische Siegerjustiz“ und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 12.1.2019).

Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente oder Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 26.2.2019). Nicht nur Richter, sondern auch Anwälte, können dem Druck einflussreicher Personen, z.B. der Stämme, ausgesetzt sein. Dazu kommt noch Überlastung. Ein Untersuchungsrichter kann beispielsweise die Verantwortung über ein Gebiet von einer Million Menschen haben, was sich negativ auf die Rechtsstaatlichkeit auswirkt (LIFOS 8.5.2014).

Die Verfassung garantiert das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess für alle Bürger (USDOS 11.3.2020) und das Recht auf Rechtsbeistand für alle verhafteten Personen (CEDAW 30.9.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht d

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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