TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/13 I408 2244205-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.07.2021
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Entscheidungsdatum

13.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs6
FPG §55 Abs1a
FPG §67
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I408 2244205-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. MAROKKO, vertreten durch: BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion XXXX vom 18.05.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Nachdem der seit August 2020 in Haft befindliche Beschwerdeführer auf die ihm am 01.10.2020 zugestellte Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme nicht reagierte hatte erteilte ihm die belangte Behörde mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 18.05.2021, zugestellt am 31.05.2021 keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt I.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig ist, gewährte ihm keine Frist für die freiwillige Ausreise und aberkannte einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung (Spruchpunkt III.) und erließ gegen ihn ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt IV.)

Mit Schriftsatz seiner Rechtsberatung vom 28.06.2021 bekämpfte der Beschwerdeführer unter Hinweis auf seinen Aufenthaltstitel und seinem Familienleben in Italien diese Entscheidung in vollem Umfang.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der XXXX -jährige Beschwerdeführer, ein marokkanischer Staatsbürger, verbüßt seit 13.08.2020 die mit Urteil des LG XXXX zu XXXX , rechtskräftig seit 21.03.2014 verhängten Haftstrafen wegen Körperverletzung und Suchtgiftdelikten.

Der Beschwerdeführer verfügt in Italien über einen gültigen, bis 09.12.2021 befristeten Aufenthaltstitel „Familie“ und ist in Turin polizeilich gemeldet.

Es ist nicht bekannt, wann, aus welchem Grund bzw. zu welchem Zweck der Beschwerdeführer in Österreich eingereist ist. Es ist zwar aus der Vollzugsinformation vom 28.09.2020 ein unter XXXX zu § 28a Abs 1 5. Fall SMG, § 15 StGB laufendes Verfahren ersichtlich, die näheren Umstände sind aber nicht erhoben worden.

2. Beweiswürdigung:

Der Haftaufenthalt, die strafgerichtliche Verurteilung und das anhängige Verfahren erschließen sich aus der im Akt aufliegenden Vollzugsinformation vom 28.09.2020 (AS 22-24), sonstige Erhebungen sind nicht vorgenommen worden. Im Bericht der Justizanstalt XXXX wird auch nur die Verurteilung aus 2014 angeführt (AS 31).

Aufenthaltstitel und Wohnort in Italien ergeben sich aus dem Beschwerdevorbringen und werden vom Polizeikooperationszentrum XXXX bestätigt (OZ4).

3. Rechtliche Beurteilung:

In der Beschwerde wurden verschiedene Feststellungen getroffen und behauptet, dass unter Berücksichtigung dieser Feststellungen keine Rückkehrentscheidung hätte getroffen werden dürfen. Es steht außer Zweifel, dass der Beschwerdeführer marokkanischer Staatsbürger ist und über einen italienischen Aufenthaltstitel verfügt und dass er seit August 2020 zwei im Jahr 2014 verhängte Haftstrafen verbüßt.

Gemäß § 31 Abs. 1 Ziffer 3 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind bis zu drei Monaten (Artikel 21 SDÜ gilt), sofern sie während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen.

Die belangte Behörde stützt den unrechtsmäßigen Aufenthalt und das damit verbundene Einreiseverbot auf den dringenden Verdacht, das Verbrechen/Vergehen des Suchtgifthandels begangen zu haben, ohne dazu entsprechende Erhebungen vorzunehmen. Alle Information zur Person des Beschwerdeführers resultieren ausschließlich auf der im Behördenakt aufliegenden Vollzugsinformation vom 28.09.2020.

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass im Falle eines unrechtmäßigen Aufenthaltes die Behörde im Sinne des § 52 Abs. 6 FPG vorzugehen hätte: "Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen."

Vor Erlassung einer Rückkehrentscheidung wäre der Beschwerdeführer daher zur freiwilligen Ausreise nach Italien aufzufordern gewesen. Auch Art. 6 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie (RICHTLINIE 2008/115/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger) sieht vor, dass ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger mit einem Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedsstaates zunächst zu verpflichten ist, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet des anderen Mitgliedstaates zu begeben.

Für den Fall, dass eine sofortige Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist, ist allerdings sofort - ohne zu einer Ausreise in den anderen Mitgliedsstaat aufzufordern - eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Davon scheint die belangte Behörde auszugehen, doch reichen die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen hierfür nicht aus. Für diese Annahme ist eine Einzelfallprüfung erforderlich, für die insoweit auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Erstellung einer Gefährlichkeitsprognose bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zurückgegriffen werden muss. Es ist daher auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung vorzunehmen, ob und in Hinblick auf welche Umstände diese Annahme gerechtfertigt ist. Die fehlenden Erhebungen der belangten Behörde lassen eine nachvollziehbare Darstellung der Gefährdungsannahme nicht zu (vgl. dazu VwGH vom 10.04.2014, 2013/22/0310). Es ist daher auch nicht über den Weg der Gefährdungsprognose zu begründen, warum die belangte Behörde von einem unrechtmäßigen Aufenthalt ausgegangen ist, zumal sie nur auf die 2014 ergangene strafgerichtlich Verurteilung hinwies und auf ein noch anhängiges Verfahren keine Feststellung traf. Daher war Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben.

Das mit Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides verhängte Einreiseverbot kann gemäß § 53 Absatz 1 nur mit einer Rückkehrentscheidung erlassen werden. Auch wenn es sich dabei nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung um zwei trennbare Spruchteile handelt, kann jedenfalls nicht ein Einreiseverbot ohne aufrechte Rückkehrentscheidung erlassen werden. Aufgrund der ersatzlosen Behebung von Spruchpunkt I. war daher auch Spruchpunkt III. zu beheben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Eine Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Beschwerde konnte unterbleiben, da der Beschwerde innerhalb der in § 18 Abs. 5 BFA-VG vorgesehenen Frist von einer Woche ab Vorlage der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht mit vorliegendem Erkenntnis stattgegeben wurde.

Im vorliegenden Fall konnte gemäß § 24 Abs. 2 Ziffer 1 VwGVG eine mündliche Verhandlung entfallen.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltstitel Behebung der Entscheidung berücksichtigungswürdige Gründe ersatzlose Behebung Feststellungsmangel freiwillige Ausreise Gefährdungsprognose Kassation Nachvollziehbarkeit rechtmäßiger Aufenthalt Rückkehrentscheidung Rückkehrentscheidung behoben Suchtgifthandel Suchtmitteldelikt Verdacht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I408.2244205.1.00

Im RIS seit

17.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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