TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/23 I413 2184682-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.07.2021
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Entscheidungsdatum

23.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG-DV 2005 §4 Abs1 Z2
AsylG-DV 2005 §4 Abs1 Z3
AsylG-DV 2005 §4 Abs2
AsylG-DV 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I413 2184682-2/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gregor KLAMMER gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX vom 26.04.2021, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.07.2021 zu Recht erkannt:

A)
Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides hat zu lauten hat: "Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am 22.11.2015 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 16.01.2018, Zl. XXXX , wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde, BFA) den Antrag des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Ihm wurde eine Frist von 14 Tagen für seine freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner widersprüchlichen Angaben in seinen Einvernahmen die Glaubwürdigkeit zu versagen war und im Falle einer Rückkehr nach Nigeria keinerlei Gefährdung für ihn bestehen würde.

2.       Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Diese wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.04.2020 zu GZ I415 2184682-1/9E als unbegründet abgewiesen, zumal auch das Bundesverwaltungsgericht das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers als nicht glaubhaft erachtete. Der angefochtene Bescheid erwuchs mit selbigen Datum in Rechtskraft.

3.       Am 13.06.2018, rechtskräftig seit selbigem Tag, verurteilte das Landesgericht für Strafsachen XXXX den Beschwerdeführer zu XXXX wegen Vergehen gegen das Suchtmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten, welche zur Gänze unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

4.        Eine weitere strafgerichtliche Verurteilung in Zusammenhang mit Suchtgiftdelinquenz, aufgrund derer er zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt wurde, erfuhr der Beschwerdeführer seitens des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX zu XXXX am 31.08.2020, rechtskräftig seit selbigem Tag.

5.       Bei der belangten Behörde einlangend mit 24.09.2020 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Zuerkennung eines humanitären Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK nach § 55 Abs 2 AsylG, welchen er mit seiner Integrationsverfestigung begründete. Zudem beantragte er die Heilung des Mangels der Vorlage eines Reisepasses nach § 4 Abs 1 Z 2 und Z 3 AsylG-DV.

6.       Mit Verbesserungsauftrag vom 10.08.2020 trug die belangte Behörde dem Beschwerdeführer auf, eine ausführliche schriftliche Begründung des Antrages in deutscher Sprache, ein gültiges Reisedokument samt vollständiger Kopie desselben sowie weitere Urkunden und Nachweise binnen Vierwochenfrist ab Zustellung in Original und Kopie in Vorlage zu bringen. Dieser Verbesserungsauftrag blieb unbeantwortet und langte auch kein Zustellnachweis ein.

7.       Mit Schreiben vom 28.01.2021 wurde dem Beschwerdeführer in der Folge neuerlich ein Verbesserungsauftrag erteilt und ihm aufgetragen, binnen einer vierwöchigen Frist ab Zustellung des Schreibens ein gültiges Reisedokument, die Geburtsurkunde oder ein gleichzuhaltendes Dokument sowie ein Lichtbild vorzulegen. In einem weiteren Schreiben wurde der Beschwerdeführer durch das BFA zudem vom Ergebnis der Beweisaufnahme hinsichtlich einer beabsichtigten Zurückweisung bzw. eventuellen Abweisung seines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK, eventuell in Verbindung mit einem Einreiseerbot bzw. der beabsichtigten Abweisung seines Antrages auf Heilung des Mangels informiert. Ihm wurde dazu eine Frist von zwei Wochen ab Zustellung zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt.

8.       Via E-Mail vom 11.02.2021 beantragte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers zwecks Beibringung erforderlicher Unterlagen eine Fristerstreckung bis zum 25.02.2021.

9.       Mit 25.02.2021 langte schließlich eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, in welcher dieser ausführte, die belangte Behörde möge von der beabsichtigten Erlassung der Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot absehen, da sich seine asylberechtigte Lebensgefährtin und sein Sohn im Bundesgebiet befinden würden. Für seinen Sohn sei er überdies aufgrund eines gerichtlichen Vergleiches unterhaltspflichtig und liege somit auch ein schützenswertes Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK vor. Davon abgesehen sei es ihm weder zumutbar noch möglich, das von der Behörde verlangte Dokument seitens der nigerianischen Botschaft ausstellen zu lassen. Er ersuche daher, von der beabsichtigten Rückkehrentscheidung in Verbindung mit dem Einreiseverbot abzusehen und das Verfahren hierzu zur Gänze einzustellen.

10.      Mit Bescheid der belangten Behörde vom 26.04.2021, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 55 AsylG als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt I.), sein Antrag auf Mängelheilung vom 24.09.2020 abgewiesen (Spruchpunkt II.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.) sowie ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.), festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.), eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt VI.) und einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.).

11.      Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde. Begründend führte der Beschwerdeführer darin aus, er habe in Österreich eine Lebensgefährtin und einen Sohn, bei welchen er nunmehr lebe. Zudem sei er unterhaltspflichtig für sein Kind, welches er betreue und regelmäßig vom Kindergarten abhole. Das Verhältnis zwischen ihm und dem Kind sei dabei derart intensiv, dass das Kind – würde der Beschwerdeführer Österreich verlassen müssen – ein Trauma erleiden würde. Es wären die Interessen seines Kindes zu berücksichtigen und bedürfe es einer kinderpsychologischen Begutachtung, weshalb die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels daher zu Recht beantragt worden und die Zurückweisung unrichtig sei. Ebenso unrichtig sei die Abweisung seines Antrages auf Mängelheilung wegen der Vorlage eines Reisepasses, zumal die nigerianische Botschaft nicht ohne weiteres gewillt sei, einen solchen auszustellen. Außerdem habe der Beschwerdeführer eine Geburtsurkunde vorgelegt, weshalb seine Identität feststehe. Unzulässig sei jedenfalls auch der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde, da deren Vollzug sein Recht auf Familienleben und jenes des Kindes verletzen würde. Sohin sei sein Aufenthalt zu bewilligen und auch das Einreiseverbot zu beheben.

12.      Mit Schriftsatz vom 09.06.2021, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 11.06.2021, legte die belangte Behörde den Verwaltungsakt samt der Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vor.

13.      Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.06.2021 zu GZ I413 2184682-2/3Z wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

14.      Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.06.2021 wurde Mag. Dr. XXXX zum Sachverständigen aus dem Fachgebiet Kinderpsychologie in der Beschwerdesache bestellt und ein entsprechender Fragenkatalog zur Erstattung von Befund und Gutachten in der mündlichen Verhandlung übermittelt.

15.      Am 29.06.2021 langte seitens des Beschwerdeführers ein Antrag auf Fristerstreckung zur Beibringung der erforderlichen Unterlagen bis zum 02.07.2021 ein. Mit Schreiben vom 02.07.2021, eingelangt am selbigen Tag, wurde um weitere Fristerstreckung bis zum 07.07.2021 ersucht.

16.      Mit 06.07.2021 erging ein Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes zu GZ I413 2184682-2/20Z, mit welchem der „weitere Antrag auf Fristerstreckung“ als unbegründet abgewiesen und festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer, indem er den ihm gesetzten Termin zur Vorlage von Urkunden und eines allfälligen weiteren Vorbringens zu seinem Privat- und Familienleben einschließlich allfälliger Beweisanbote grundlos nicht nachkam, seine Mitwirkungspflicht an der Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts verletzt hat.

17.      Am 12.07.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Verhandlung abgehalten, in deren Rahmen unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die englische Sprache eine Einvernahme des Beschwerdeführers, der Zeugen XXXX , XXXX , XXXX , XXXX (via Zoom) und XXXX in Anwesenheit einer Vertreterin der belangten Behörde erfolgte. Im Zuge der Verhandlung erstattete auch der Sachverständigen Mag. XXXX Befund und Gutachten. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ist trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen. Der Beschwerdeführer bestätigte, nach wie vor von Rechtsanwalt Dr. KLAMMER vertreten zu sein und erklärte sich damit einverstanden, die Verhandlung ohne diesen zu führen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zunächst wird der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige, ledige und kinderlose Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Nigerias, dessen Identität feststeht. Er ist der Volksgruppe der Esan zugehörig und bekennt sich zum christlichen Glauben.

Am 22.11.2015 stellte er einen Antrag auf Asyl in Österreich, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.01.2018, Zl. XXXX , sowie mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.04.2020 zu GZ I415 2184682-1/9E rechtskräftig negativ entschieden wurde. Seiner aus der rechtskräftigen Entscheidung erwachsenen Ausreiseverpflichtung kam der Beschwerdeführer nicht nach und ist er seitdem unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er fällt nicht unter die Risikogruppe gemäß der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Definition der allgemeinen COVID-19-Risikogruppe (COVID-19-Risikogruppe-Verordnung), BGBl. II Nr. 203/2020.

In seiner Heimat Nigeria besuchte er mehrere Jahre lang die Schule und hat seinen Ausführungen zufolge bis zu seiner Ausreise als LKW-Fahrer gearbeitet. Aufgrund seiner Ausbildung hat er eine Chance, am nigerianischen Arbeitsmarkt unterzukommen.

In Österreich pflegt der Beschwerdeführer seit Juni 2020 eine Beziehung zu der in Österreich lebenden nigerianischen Staatsangehörigen XXXX und deren minderjährigen Sohn XXXX , geb. XXXX , welche beide über einen Konventionsreisepass der Republik Österreich verfügen. Beim Minderjährigen zeigt sich eine erhebliche Verzögerung in der Sprachentwicklung und Verzögerungen in der gesamten kognitiven Entwicklung. Dessen leiblicher Vater ist XXXX , welchen auch eine entsprechende Unterhaltspflicht an die Wiener Kinder- und Jugendhilfe in der Höhe von monatlich EUR 120,-- trifft, welcher dieser – nachdem er wieder eine Beschäftigung aufgenommen hat – auch nachkommt. Der Beschwerdeführer selbst leistet keine Unterhaltszahlungen. Der leibliche Vater ist zudem bestrebt, den Kontakt zu seinem minderjährigen Sohn aufzubauen.

Der Beschwerdeführer ist seit dem XXXX 2020 an derselben melderechtlichen Adresse mit Hauptwohnsitz wie XXXX und XXXX erfasst, hat sich jedoch im Zeitraum vom XXXX 2020 bis XXXX 2021 in Haft befunden. Zwar übernimmt der Beschwerdeführer gegenwärtig gewisse Fürsorgetätigkeiten wie Kindergartenabholungen, Zähneputzen oder Waschen des Minderjährigen XXXX , ein besonders inniges Verhältnis zwischen dem Minderjährigen und dem Beschwerdeführer besteht jedoch nicht. Der Minderjährige ist aufgrund seines Alters, seiner Entwicklungsverzögerung und der relativ kurzen Zeit in der Beziehung zum Beschwerdeführer nicht in der Lage, diese Beziehungsentwicklung emotional einzuordnen bzw. eine innige Bindung zum Beschwerdeführer zu entwickeln. Eine Rückführung des Beschwerdeführers hätte keine Auswirkungen auf das Kindeswohl des Minderjährigen, welcher aus kinderpsychologischer Sicht zur kindlichen Entwicklung nicht einen persönlichen Kontakt zum Beschwerdeführer zwingend benötigt. Eine Anwesenheit und ein persönlicher Kontakt des Beschwerdeführers für dessen persönliche Entwicklung sind nicht notwendig.

Aktuell ist die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, XXXX , schwanger, wobei sie den Beschwerdeführer als Vater ihres ungeborenen Kindes benennt. Der Geburtstermin wurde für den XXXX 2022 errechnet. In Hinblick auf das Kindeswohl ist die Anwesenheit des Kindesvaters im Bundesgebiet nach der Geburt nicht für die gedeihliche Entwicklung des Kindes erforderlich und kann eine Beziehung über Urlaube oder soziale Medien trotz Abwesenheit des Beschwerdeführers über mehrere Monate hinweg eine förderliche Entwicklung des Kindeswohls bestimmen.

Ansonsten verfügt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet über keine weiteren maßgeblichen privaten oder familiären Beziehungen. Ein Freundes- bzw. Bekanntenkreis im Bundesgebiet ist gegeben. Nach wie vor sind die Geschwister sowie der Vater des Beschwerdeführers in Nigeria aufhältig, wobei der Beschwerdeführer jedenfalls mit seinen Geschwistern den telefonischen Kontakt pflegt.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 13.06.2018 zu XXXX , rechtskräftig seit selbigem Tag, erfuhr der Beschwerdeführer seine erste strafgerichtliche Verurteilung im Bundesgebiet. Dabei wurde er für schuldig befunden,

I./ vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Cannabiskraut (enthaltend Delta-9-THC und THCA) überlassen bzw. überlassen versucht zu haben und zwar

1./ am 27.08.2016 in Wien gewerbsmäßig auf öffentlichen Verkehrsflächen, nämlich am stark frequentierten Lerchenfeldergürtel Höhe Nr. 22, öffentlich gegen Entgelt überlassen zu haben, und zwar

a) an D. I. G zwei Baggies mit insgesamt 1,7 Gramm bto. Cannabiskraut durch gewinnbringenden Verkauf zu einem Preis von EUR 20,--;

b) M. S. K. ein Baggy mit insgesamt 0,8 Gramm bto. Cannabiskraut durch gewinnbringenden Verkauf zu einem Preis von EUR 10,--.

2./ am 06.02.2016 in Wien ca. 4 Gramm THC-haltiges Cannabiskraut dem S. H. ein Säckchen durch gewinnbringenden Verkauf, nämlich EUR 10,-- überlassen zu haben.

3./ am 27.06.2016 in Wien gewerbsmäßig auf einer öffentlichen Verkehrsfläche, nämlich am stark frequentierten Lerchenfeldergürtel Höhe Nr. 22, öffentlich gegen Entgelt überlassen versucht zu haben, und zwar drei Baggies mit 20,4 Gramm Cannabiskraut, indem er diese zum unmittelbaren Weiterverkauf an mehrere Suchtgiftabnehmer bereithielt, wobei es jedoch beim Versuch blieb, weil er nach Begehung unter der Punkt A.I./ beschriebenen strafbaren Handlungen angehalten wurde;

C. II./ in Wien erworben und besessen zu haben und zwar 1./ am 07.12.2015, nämlich 3,4 Gramm; 2./ am 06.02.2016, nämlich 4 Gramm; 3./ am 11.3.2016, nämlich 3,1 Gramm; 4./ am 30.05.2016, nämlich 1,1 Gramm; 5./ in einem nicht mehr festzustellenden Zeitraum bis zum 27.05.2016; 6./ am 25.04.2017 in 1160 Wien vorschriftswidrig eine Kugel Kokain (1,0 Gramm brutto, Wirkstoff: Cocain), somit ein Suchtgift für den persönlichen Gebrauch erworben und besessen zu haben.

Hierdurch hat der Beschwerdeführer zu I./1-3 die Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 2a und Abs 3 SMG und § 15 SMG sowie zu Punkt II./1-6 die Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG begangen, weswegen er zu einer fünfmonatigen Freiheitsstrafe, die zur Gänze unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde, verurteilt wurde. Mildernd wurde dabei das reumütige, umfassende Geständnis, das Alter unter 21 Jahren und der bisher ordentliche Lebenswandel, erschwerend hingegen der lange Deliktszeitrau sowie die zahlreichen Tatwiederholungen berücksichtigt.

Schließlich wurde der Beschwerdeführer noch ein weiteres Mal in Zusammenhang mit Suchtgiftdelinquenz seitens des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX verurteilt. Mit Urteil vom 31.08.2020, rechtskräftig seit selbigem Tag, wurde er dabei zu XXXX für schuldig befunden, am XXXX 2020 in Wien vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar 22 Kugeln Kokain (Wirkstoff Cocain) mit einer Gesamtmenge von 6,5 Gramm bto. noch auszuforschenden Suchtgiftabnehmern durch gewinnbringenden Verkauf an einem allgemein zugänglichen Ort, und zwar im Bereich der U-Bahn-Station Margaretengürtel öffentlich, wobei dies jedenfalls von mehr als 30 Personen wahrzunehmen war, gegen Entgelt überlassen versucht zu haben, wobei er bei Ansichtigwerden der Polizeibeamten den Suchtgifthandel abbrach, in eine Straßenbahn Linie 5 flüchtete und für Beamte sichtbar das Suchtgift schluckte. Hierdurch hat er das Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach §§ 15 StGB, 27 Abs 2a SMG begangen, weswegen er zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 10 Monaten verurteilt wurde. Als mildernd erachtete das Strafgericht das reumütige Geständnis, erschwerend hingegen wurde die Tatbegehung während offener Probezeit gewertet. Im Zuge des Urteiles erging weiters der Beschluss, vom Widerruf der zu XXXX gewährten bedingten Strafnachsicht abzusehen und eine Probezeit von fünf Jahren zu verhängen.

Diese Tat beging der Beschwerdeführer, um seinen Anwalt in Zusammenhang mit seinem Asylverfahren zu bezahlen.

Am XXXX 2021 wurde der Beschwerdeführer seitens des Landesgerichtes XXXX zu XXXX bedingt aus der Freiheitsstrafe entlassen, wobei eine Probezeit von drei Jahren festgesetzt wurde.

Der Beschwerdeführer weist keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf. Er bezieht keine Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er ging zu keinem Zeitpunkt im Bundesgebiet einer legalen Beschäftigung nach, brachte jedoch eine mit XXXX 2020 datierte Einstellungszusage in Vorlage. Gegenwärtig lebt er von den Sozialhilfeleistungen seiner Lebensgefährtin XXXX , zudem erhält er monetäre Zuwendungen in einem vernachlässigbaren Ausmaß aus seiner kirchlichen Gemeinschaft. Daneben verrichtet er gelegentlich Tätigkeiten in Zusammenhang mit Schwarzarbeit.

Der Beschwerdeführer hat trotz Verbesserungsauftrag der belangten Behörde vom 28.01.2021 samt Hinweis, dass ansonsten eine Zurückweisung seines Antrages mangels Mitwirkung erfolgen wird, kein nigerianisches Reisedokument vorgelegt und sich nicht aus Eigenem bei der nigerianischen Botschaft um die Ausstellung eines Reisepasses bemüht. Weder hat er ein nigerianisches Konsulat noch die nigerianische Botschaft aufgesucht, um ein Reisedokument zu erhalten, obwohl ihm dies insbesondere unter Berücksichtigung der vorhandenen Geburtsurkunde möglich und zumutbar gewesen wäre. Er wurde nicht daran gehindert, ein Reisedokument zu beantragen. Durch sein Verhalten verletzte er damit seine Mitwirkungspflicht und konnten in Zusammenschau keine außerhalb der Sphäre des Beschwerdeführers liegenden Gründe festgestellt werden, die seine Abschiebung aus dem Bundesgebiet unmöglich erscheinen ließen.

1.2.     Zur individuellen Rückkehrsituation des Beschwerdeführers:

Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria eine Verletzung von Art 2, Art 3 oder auch der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der Beschwerdeführer ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

Im Falle einer Rückkehr nach Nigeria ist dem Beschwerdeführer nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen.

1.3.    Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:

Die aktuelle Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

1.3.1.  COVID-19

Letzte Änderung: 23.11.2020

Die COVID-19-Situation in Nigeria ist nach wie vor angespannt. Die veröffentlichten absoluten Zahlen an bisherigen Infizierten (rund 62.000) geben angesichts der geringen Durchtestung der 200-Millionen-Bevölkerung ein verzerrtes Bild. Aussagekräftiger ist der Anteil der positiven Fälle gemessen an der Zahl der durchgeführten Tests. Dieser lag im Oktober 2020 landesweit bei mehr als drei Prozent, in der Metropole Lagos hingegen bei etwa 30 Prozent. Die Zahlen berücksichtigen noch nicht die Auswirkung der #EndSARS-Proteste, bei denen von den Demonstrierenden praktisch keine Schutzvorkehrungen gegen COVID-19 getroffen worden sind. Ein Anstieg an positiven Fällen ist hauptsächlich in der Südwestzone des Landes zu beobachten. In einigen Bundesstaaten herrscht überhaupt Skepsis an der Notwendigkeit von COVID-19-Maßnahmen. Die allgemeine Risikowahrnehmung und die Nachfrage nach Tests sind gering (ÖB 10.2020).

In Nigeria gibt es wie in anderen afrikanischen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 13.10.2020). Anfang September 2020 wurde die Phase 3 der Restriktionen im Zusammenhang mit der Coronakrise in Kraft gesetzt. Die Ausgangssperre gilt im ganzen Land nun von Mitternacht bis vier Uhr. Meetings bis zu maximal 50 Personen sind gestattet. In Lagos dürfen Restaurants, Klubs und Kirchen etc. unter bestimmten Auflagen öffnen (WKO 25.9.2020).

Seit 2020 ist die nigerianische Wirtschaft aufgrund des erneuten Verfalls des Rohölpreises sowie der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie wieder geschwächt. Wie hoch der wirtschaftliche Schaden sein wird, ist bislang noch nicht abzuschätzen (GIZ 6.2020). Für 2020 wird aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf Nigeria und der drastisch gesunkenen Erdölpreise mit einer Schrumpfung des nigerianischen BIP um 4,4 Prozent gerechnet. In der 2. Jahreshälfte 2020 ist jedoch ein Wiederanziehen der Konjunktur feststellbar und für 2021 wird ein Wachstum von 2,2 Prozent erwartet (WKO 14.9.2020).

Quellen:

?        Africa CDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (13.10.2020): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/, Zugriff 13.10.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2020): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 5.10.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 18.11.2020

?        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (25.9.2020): Coronavirus: Situation in Nigeria - Aktuelle Informationen und Info-Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-nigeria.html, Zugriff 13.10.2020

?        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (14.9.2020): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html, Zugriff 13.10.2020

1.3.2.  Politische Lage

Letzte Änderung: 17.11.2020

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020; GIZ 9.2020a) mit insgesamt 774 LGAs/Bezirken unterteilt (GIZ 9.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) und eines Landesparlamentes (State House of Assembly) geführt (GIZ 9.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 16.1.2020).

Nigeria ist eine Bundesrepublik mit einem starken exekutiven Präsidenten (Präsidialsystem nach US-Vorbild) (AA 24.5.2019a). Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die am System der USA orientierte Verfassung enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog, Gewaltenteilung). Dem starken Präsidenten – zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte – und dem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber. Die Verfassungswirklichkeit wird von der Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und von den direkt gewählten Gouverneuren dominiert. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität, häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 16.1.2020).

Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen, ethnischer Zugehörigkeit und vor allem strategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 16.1.2020). Gewählte Amtsträger setzen im Allgemeinen ihre Politik um. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch Faktoren wie Korruption, parteipolitische Konflikte, schlechte Kontrolle über Gebiete, in denen militante Gruppen aktiv sind, und die nicht offengelegten Gesundheitsprobleme des Präsidenten beeinträchtigt (FH 4.3.2020).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 9.2020a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten des Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 9.2020a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten. Wahlbeobachter und Vertreter der Zivilgesellschaft kritisierten außerdem Organisationsmängel bei der Durchführung der Wahlen, die Einschüchterung von Wählern sowie die Zerstörung von Wahlunterlagen an einigen Orten des Landes. Die Opposition sprach von Wahlmanipulation. Abubakar focht das Ergebnis vor dem Obersten Gerichtshof aufgrund von Unregelmäßigkeiten an (GIZ 9.2020a).

Die Nationalversammlung besteht aus zwei Kammern: Senat mit 109 Mitgliedern und Repräsentantenhaus mit 360 Mitgliedern (AA 24.5.2019b). Aus den letzten Wahlen zur Nationalversammlung im Februar 2019 ging die Regierungspartei „All Progressives‘ Congress“ (APC) siegreich hervor. Sie konnte ihre Mehrheit in beiden Kammern der Nationalversammlung vergrößern. Die größte Oppositionspartei, die „People’s Democratic Party“ (PDP) hatte von 1999-2015 durchgehend den Präsidenten gestellt. 2015 musste sie zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung seitdem geschwächt (AA 16.1.2020).

Auf subnationaler Ebene regiert die APC in 20 der 36 Bundesstaaten (AA 16.1.2020). Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 9.2020a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 17 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 9.4.2020). Regionalwahlen haben großen Einfluss auf die nigerianische Politik, da die Gouverneure die Finanzen der Teilstaaten kontrollieren und für Schlüsselsektoren wie Gesundheit und Bildung verantwortlich sind (DW 11.3.2019).

Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen nicht zu unterschätzenden, wenn auch weitgehend informellen Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein. Dieser Einfluss wird von der jüngeren Generation aber zunehmend in Frage gestellt (AA 24.5.2019a).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

?        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 30.9.2020

?        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019b): Nigeria - Überblick, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeria/205786, Zugriff 30.9.2020

?        BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3, Zugriff 12.4.2019

?        DW - Deutsche Welle (11.3.2019): EU: Nigerian state elections marred by 'systemic failings', https://www.dw.com/en/eu-nigerian-state-elections-marred-by-systemic-failings/a-47858131, Zugriff 9.4.2020

?        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 30.9.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

?        Stears News (9.4.2020): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng.com/governor/2019, Zugriff 9.4.2020

1.3.3   Sicherheitslage

Letzte Änderung: 23.11.2020

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 16.1.2020). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020); sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 16.1.2020; vgl. EASO 11.2018a) und Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a; vgl. Garda 23.6.2020). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten (EASO 11.2018a; vgl. AA 16.1.2020), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a) bzw. kommt es seit Jänner 2018 zu regelmäßigen Protesten des IMN in Abuja und anderen Städten, die das Potential haben, in Gewalt zu münden (UKFCDO 26.9.2020). Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz. Im „Middlebelt“ kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen und der Staatsgewalt. Die Lage im Südosten des Landes („Biafra“) bleibt jedoch latent konfliktanfällig. Die separatistische Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) ist allerdings derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).

Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nassarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten betroffen. Weiterhin bestimmen immer wieder gewalttätige Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie gut organisierten Banden die Sicherheitslage. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 forderten diese in Abuja auch wiederholt Todesopfer (AA 8.10.2020).

Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden. Die Protestwelle hielt jedoch an (DS 16.10.2020). Mit Stand 26.10.2020 war das Ausmaß der Ausschreitungen stark angestiegen. Es kam zu Gewalt und Plünderungen sowie zur Zerstörung von Geschäften und Einkaufszentren. Dabei waren bis zu diesem Zeitpunkt 69 Menschen ums Leben gekommen - hauptsächlich Zivilisten, aber auch Polizeibeamte und Soldaten (BBC News 26.10.2020).

In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt (AA 8.10.2020).

In der Zeitspanne September 2019 bis September 2020 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (3.085), Kaduna (894), Zamfara (858), und Katsina (644). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (3), Kebbi (4), Kano (6), Jigawa (15) (CFR 2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29%2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

?        AA - Auswärtiges Amt (16.4.2020): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise

?        (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5, 16.4.2020

?        BBC News (26.10.2020): Nigeria protests: Police chief deploys 'all resources' amid street violence, https://www.bbc.com/news/world-africa-54678345, Zugriff 28.10.2020

?        CFR - Council on Foreign Relations (2020): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 8.10.2020

?        DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte "Sars"-Polizeieinheit in Nigeria nach Protesten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-polizeieinheit-in-nigeria-nach-protesten-abgeschafft, Zugriff 28.10.2020

?        EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 16.4.2020

?        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

?        Garda - Gardaworld (23.6.2020): Nigeria: Gunmen attack village in Zamfara State on June 20, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/353501/nigeria-gunmen-attack-village-in-zamfara-state-on-june-20, Zugriff 8.10.2020 (siehe "context")

?        Guardian, The (11.10.2020): Nigeria to disband Sars police unit accused of killings and brutality, https://www.theguardian.com/world/2020/oct/11/nigeria-to-disband-sars-police-unit-accused-of-killings-and-brutality, Zugriff 28.10.2020

?        UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office (26.9.2020): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 8.10.2020

1.3.4. Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 17.11.2020

Die Verfassung unterscheidet zwischen Bundesgerichten, Gerichten des Hauptstadtbezirks sowie Gerichten der 36 Bundesstaaten (AA 16.1.2020; ÖB 10.2019). Letztere haben die Befugnis, per Gesetz erstinstanzliche Gerichte einzusetzen (AA 16.1.2020). Daneben bestehen noch für jede der 774 LGAs eigene Bezirksgerichte (District Courts) (ÖB 10.2019). Bundesgerichte, die nur staatlich kodifiziertes Recht anwenden, sind der Federal High Court (Gesetzgebungsmaterie des Bundes, Steuer-, Körperschafts- und auch Verwaltungssachen), der Court of Appeal (Berufungssachen u.a. der State Court of Appeal und der State Sharia and Customary Court of Appeal) sowie der Supreme Court (Revisionssachen, Organklagen) (AA 16.1.2020). Für Militärangehörige gibt es eigene Militärgerichte (USDOS 11.3.2020).

Mit Einführung der erweiterten Scharia-Gesetzgebung in neun nördlichen Bundesstaaten sowie den überwiegend muslimischen Teilen dreier weiterer Bundesstaaten 2000/2001 haben die staatlichen Schariagerichte strafrechtliche Befugnisse erhalten, während sie zuvor auf das islamische Personenstandsrecht beschränkt waren (AA 16.1.2020). Laut Bundesverfassung wird die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte seit 1999 betreffend das anzuwendende Rechtssystem („Common Law“ oder „Customary Law“) durch Gesetze der Gliedstaaten festgestellt. Einzelne Bundesstaaten haben „Scharia-Gerichte“ neben „Common Law“- und „Customary Courts“ geschaffen. Mehrere Bundesstaaten, einschließlich die gemischt-konfessionellen Bundesstaaten Benue und Plateau, haben auch Scharia-Berufungsgerichte eingerichtet (ÖB 10.2019).

Die Verfassung sieht Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz vor (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020; ÖB 10.2019; USDOS 11.3.2020). In der Realität ist die Justiz allerdings der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020; FH 4.3.2020). Vor allem auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) versuchen Politiker die Justiz zu beeinflussen (USDOS 11.3.2020). Die drei einander mitunter widersprechenden Rechtssysteme (ÖB 10.2019; vgl. BS 2020) sowie die insgesamt zu geringe personelle und finanzielle Ausstattung sowie mangelnde Ausbildung behindern die Funktionsfähigkeit des Justizapparats und machen ihn chronisch korruptionsanfällig (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020; USDOS 11.3.2020; ÖB 10.2019; BS 2020). Trotz allem hat die Justiz in der Praxis ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht (FH 4.3.2020).

Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o. ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das bestehende System benachteiligt jedoch tendenziell Ungebildete und Arme, die sich weder von Beschuldigungen freikaufen noch eine Freilassung auf Kaution erwirken oder sich einen Rechtsbeistand leisten können. Zudem ist vielen eine angemessene Wahrung ihrer Rechte aufgrund von fehlenden Kenntnissen selbst elementarster Grund- und Verfahrensrechte nicht möglich (AA 16.1.2020). Gesetzlich vorgesehen sind prozessuale Rechte wie die Unschuldsvermutung, zeitnahe Information über die Anklagepunkte, das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren, das Recht auf einen Anwalt, das Recht auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung, nicht gezwungen werden auszusagen oder sich schuldig zu bekennen, Zeugen zu befragen und das Recht auf Berufung. Diese Rechte werden jedoch nicht immer gewährleistet (USDOS 11.3.2020). Auch der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Rechtsbeistand oder zu Familienangehörigen wird nicht immer ermöglicht (AA 16.1.2020).

Der Zugang zu staatlicher Prozesskostenhilfe ist in Nigeria beschränkt: Das Institut der Pflichtverteidigung wurde erst vor kurzem in einigen Bundesstaaten eingeführt. Lediglich in den Landeshauptstädten existieren NGOs, die sich zum Teil mit staatlicher Förderung der rechtlichen Beratung von Beschuldigten bzw. Angeklagten annehmen. Gerade in den ländlichen Gebieten gibt es jedoch zahlreiche Verfahren, bei denen Beschuldigte und Angeklagte ohne rechtlichen Beistand mangels Kenntnis ihrer Rechte schutzlos bleiben (AA 16.1.2020). Das Recht auf ein zügiges Verfahren wird zwar von der Verfassung garantiert, ist jedoch kaum gewährleistet. Dauerinhaftierungen ohne Anklage oder Urteil, die sich teils über mehrere Jahre hinziehen, sind weit verbreitet (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Entgegen gesetzlicher Vorgaben ist die Untersuchungshaft nicht selten länger als die maximal zu erwartende gesetzliche Höchststrafe des jeweils in Frage stehenden Delikts. Außerdem bleiben zahlreiche Häftlinge auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen in Haft, weil ihre Vollzugsakten unauffindbar sind (AA 16.1.2020).

Im Allgemeinen hat der nigerianische Staat Schritte unternommen, um ein Strafverfolgungssystem zu etablieren und zu betreiben, im Rahmen dessen Angriffe von nicht-staatlichen Akteuren bestraft werden. Er beweist damit in einem bestimmten Rahmen eine Schutzwilligkeit und -fähigkeit, die Effektivität ist aber durch einige signifikante Schwächen eingeschränkt. Effektiver Schutz ist in jenen Gebieten, wo es bewaffnete Konflikte gibt (u.a. Teile Nordostnigerias, des Middle Belt und des Nigerdeltas) teils nicht verfügbar. Dort ist auch für Frauen, Angehörige sexueller Minderheiten und Nicht-Indigene der Zugang zu Schutz teilweise eingeschränkt (UKHO 3.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

?        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020

?        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

?        UKHO - United Kingdom Home Office (3.2019): Country Policy and Information Note - Nigeria: Actors of protection, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/794316/CPIN_-_NGA_-_Actors_of_Protection.final_v.1.G.PDF, Zugriff 29.4.2020

?        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.202

1.3.5.  Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 15.06.2020

Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der rund 360.000 Mann starken (Bundes-) Polizei (National Police Force - NPF), die dem Generalinspekteur der Polizei in Abuja untersteht (AA 16.1.2020). Obwohl in absoluten Zahlen eine der größten Polizeitruppen der Welt, liegt die Rate von Polizeibeamten zur Bevölkerungszahl unter der von der UN empfohlenen Zahl (UKHO 3.2019). Die nigerianische Polizei ist zusammen mit anderen Bundesorganisationen die wichtigste Strafverfolgungsbehörde. Das Department of State Service (DSS), das via nationalem Sicherheitsberater dem Präsidenten unterstellt ist, ist ebenfalls für die innere Sicherheit zuständig. Die nigerianischen Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die äußere Sicherheit zuständig, haben aber auch einige Zuständigkeiten im Bereich der inneren Sicherheit (USDOS 11.3.2020). Etwa 100.000 Polizisten sollen bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen als Sicherheitskräfte tätig sein (AA 16.1.2020). Alle Sicherheitsorgane (Militär, Staatsschutz sowie paramilitärische Einheiten, die so genannten Rapid Response Squads) werden neben der Polizei auch im Innern eingesetzt (AA 16.1.2020). Die National Drug Law Enforcement Agency (NDLEA) ist für alle Straftaten in Zusammenhang mit Drogen zuständig (ÖB 10.2019).

Der NDLEA wird im Vergleich zu anderen Behörden mit polizeilichen Befugnissen eine gewisse Professionalität attestiert. In den Zuständigkeitsbereich dieser Behörde fällt Dekret 33, welches ein zusätzliches Verfahren für im Ausland bereits wegen Drogendelikten verurteilte nigerianische Staatsbürger vorsieht. Dagegen zeichnen sich die NPF und die Mobile Police (MOPOL) durch geringe Professionalität, mangelnde Disziplin, häufige Willkür und geringen Diensteifer aus (ÖB 10.2019). Die Polizei ist durch niedrige Besoldung sowie schlechte Ausrüstung, Ausbildung und Unterbringung gekennzeichnet. Die staatlichen Ordnungskräfte sind personell, technisch und finanziell nicht in der Lage, die Gewaltkriminalität umfassend zu kontrollieren bzw. einzudämmen. Zudem sind die Sicherheitskräfte teilweise selbst für die Kriminalität verantwortlich (AA 16.1.2020). Da die Polizei oft nicht in der Lage ist, durch gesellschaftliche Konflikte verursachte Gewalt zu unterbinden, verlässt sich die Regierung in vielen Fällen auf die Unterstützung durch die Armee (USDOS 11.3.2020).

Polizei, DSS und Militär sind zivilen Autoritäten unterstellt, sie operieren jedoch zeitweise außerhalb ziviler Kontrolle (USDOS 11.3.2020). Es gab allerdings kleinere Erfolge im Bereich der Reorganisation von Teilen des Militärs und der Polizei (BS 2020). Der Regierung fehlen wirksame Mechanismen und ausreichender politischer Wille, um die meisten Fälle von Missbrauch durch Sicherheitskräfte sowie Korruption in den Sicherheitskräften zu untersuchen und zu bestrafen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        

?        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

?        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

?        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

1.3.6.  Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 23.11.2020

Die am 29.5.1999 in Kraft getretene Verfassung Nigerias enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Dieser ist zum Teil jedoch weitreichenden Einschränkungen unterworfen. Das in Art 33 der Verfassung gewährte Recht auf körperliche Unversehrtheit wird z.B. unter den Vorbehalt gestellt, dass die betroffene Person nicht bei der Anwendung legal ausgeübter staatlicher Gewalt zur „Unterdrückung von Aufruhr oder Meuterei“ ihr Leben verloren hat. In vielen Bereichen bleibt die Umsetzung der zahlreich eingegangenen menschenrechtlichen Verpflichtungen weiterhin deutlich hinter internationalen Standards zurück. Zudem wurden völkerrechtliche Verpflichtungen zum Teil nur lückenhaft in nationales Recht umgesetzt. Einige Bundesstaaten haben Vorbehalte gegen einige internationale Vereinbarungen geltend gemacht und verhindern regional eine Umsetzung. Selbst in Bundesstaaten, welche grundsätzlich eine Umsetzung befürworten, ist die Durchsetzung garantierter Rechte häufig nicht gewährleistet (AA 16.1.2020).

Die Menschenrechtssituation hat sich seit Amtsantritt einer zivilen Regierung 1999 zum Teil erheblich verbessert (AA 24.5.2019a; vgl. GIZ 9.2020a), vor allem im Hinblick auf die Freilassung politischer Gefangener und die Presse- und Meinungsfreiheit (GIZ 9.2020a). Allerdings kritisieren Menschenrechtsorganisationen den Umgang der Streitkräfte mit Boko Haram-Verdächtigen, der schiitischen Minderheit, Biafra-Aktivisten und Militanten im Nigerdelta. Schwierig bleiben die allgemeinen Lebensbedingungen, die durch Armut, Analphabetismus, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, ein ineffektives Justizwesen und die Scharia-Rechtspraxis im Norden des Landes beeinflusst werden. Die Gleichstellung von Angehörigen sexueller Minderheiten wird gesetzlich verweigert, homosexuelle Handlungen sind mit schweren Strafen belegt (AA 24.5.2019a). Es gibt viele Fragezeichen hinsichtlich der Einhaltung der Menschenrechte, wie z.B. die Praxis des Scharia-Rechts (Tod durch Steinigung), Entführungen und Geiselnahmen im Nigerdelta, Misshandlungen und Verletzungen durch Angehörige der nigerianischen Polizei und Armee sowie Verhaftungen von Angehörigen militanter ethnischer Organisationen (GIZ 9.2020a). Zu den schwerwiegendsten Menschenrechtsproblemen gehören zudem u.a. rechtswidrige und willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter und willkürliche Inhaftierung sowie substanzielle Eingriffe in die Rechte auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit (USDOS 11.3.2020).

Die in den Jahren 2000/2001 eingeführten strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia in zwölf nördlichen Bundesstaaten führten zu Amputations- und Steinigungsurteilen. Die wenigen Steinigungsurteile wurden jedoch jeweils von einer höheren Instanz aufgehoben; auch Amputationsstrafen wurden in den vergangenen Jahren nicht vollstreckt (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Die Regierung bekennt sich ausdrücklich zum Schutz der Menschenrechte, und diese sind auch in der Verfassung als einklagbar verankert. Dessen ungeachtet bleiben viele Probleme ungelöst, wie etwa Armut, Analphabetentum, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, die Scharia-Rechtspraxis, Entführungen und Geiselnahmen sowie das Problem des Frauen- und Kinderhandels. Daneben ist der Schutz von Leib und Leben der Bürger gegen Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht keineswegs verlässlich gesichert und besteht weitgehend Straflosigkeit bei Verstößen der Sicherheitskräfte und bei Verhaftungen von Angehörigen militanter Organisationen. Das hohe Maß an Korruption auch im Sicherheitsapparat und der Justiz wirkt sich negativ auf die Wahrung der Menschenrechte aus (ÖB 10.2019).

Es setzten sich nigerianische Organisationen wie z.B. CEHRD (Centre for Environment, Human Rights and Development), CURE-NIGERIA (Citizens United for the Rehabilitation of Errants) und HURILAWS (Human Rights Law Services) für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Land ein. Auch die Gewerkschaftsbewegung Nigeria Labour Congress (NLC) ist im Bereich von Menschenrechtsfragen aktiv (GIZ 9.2020a).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29%2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

?        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html, Zugriff 30.9.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 30.9.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 18.11.2020

?        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

1.3.7.  Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 23.11.2020

Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Allerdings schränken Sicherheitsbeamte die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein, vor allem in Gebieten, in denen es Terroranschläge oder ethnisch motivierte Gewalt gibt. Dies betrifft aufgrund der Operationen gegen Boko Haram und ISIS-WA v.a. die Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe. Auch in anderen Bundesstaaten kommt es in Reaktion auf gewaltsame Auseinandersetzungen in ländlichen Regionen mitunter zu Ausgangssperren. Bei Operationen von Sicherheitskräften in Städten und an Hauptverkehrsstraßen werden gelegentlich Checkpoints eingerichtet. Zahlreiche von Militär und Polizei betriebene Checkpoints bleiben aufrecht (USDOS 11.3.2020).

Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen (USDOS 11.3.2020). Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (AA 16.1.2020). Prinzipiell sollte es einer Person, die von nicht-staatlichen Akteuren verfolgt wird oder die sich vor diesen fürchtet, in einem großen Land wie Nigeria möglich sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen. Natürlich müssen die jeweiligen persönlichen Umstände beachtet werden (UKHO 3.2019).

In den vergangenen Jahrzehnten hat durch Wanderungsbewegungen und interethnische Ehen eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der „Kern“-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa-Fulani, Yoruba, Igbo) stattgefunden. So ist insbesondere eine starke Nord-Süd-Wanderung feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen (ÖB 10.2019). Ein innerstaatlicher Umzug kann allerdings mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem keine Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 16.1.2020).

Bundesstaats- und Lokalregierungen diskriminieren regelmäßig ethnische Gruppen, die in ihrem Gebiet nicht einheimisch sind. Dies nötigt gelegentlich Personen dazu, in jene Regionen zurückzukehren, aus denen ihre ethnische Gruppe abstammt, obwohl sie dort über keine familiäre Bindung mehr verfügen (USDOS 11.3.2020).

Für Überlandfahrten stehen mehrere Busunternehmen zur Verfügung, so z.B. ABC Transport, Cross Country Limited, Chisco und GUO Transport. Die Busse bieten Komfort, sind sicher, fahren planmäßig und kommen i.d.R. pünktlich am Zielort an. Die nigerianische Eisenbahn gilt als preisgünstiges, aber unzuverlässiges Transportmittel. Günstige Inlandflüge zwischen den Städten werden von mehreren nigerianischen Fluggesellschaften angeboten. Um innerhalb einer der Städte Nigerias von einem Ort zum anderen zu gelangen, stehen Taxis, Minibusse, Dreirad, die Keke und Motorradtaxis, die Okada genannt werden, zur Verfügung (GIZ 9.2020d).

Anfang September 2020 wurde die Phase 3 der Restriktionen im Zusammenhang mit der Coronakrise in Kraft gesetzt. Die Ausgangssperre gilt im ganzen Land nun von Mitternacht bis 4 Uhr. Meetings bis zu maximal 50 Personen sind gestattet. In Lagos dürfen Restaurants, Klubs und Kirchen etc. unter bestimmten Auflagen öffnen (WKO 25.9.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29%2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020d): Nigeria - Alltag, https://www.liportal.de/nigeria/alltag/, Zugriff 5.10.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 18.11.2020

?        UKHO - United Kingdom Home Office (3.2019): Country Policy and Information Note Nigeria: Internal relocation, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/794323/CPIN_-_Nigeria_-_Internal_relocation.PDF, Zugriff 29.4.2020

?

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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