TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/29 W207 2243466-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.07.2021
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Entscheidungsdatum

29.07.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W207 2243466-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER als Vorsitzender und die Richterin Mag. Natascha GRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 11.05.2021, OB: XXXX , betreffend Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte am 12.06.2020 beim Sozialministeriumsservice (in der Folge auch als belangte Behörde bezeichnet) sowohl einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses als auch einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis für Menschen mit Behinderungen), der entsprechend dem vom Beschwerdeführer unterfertigten Antragsformular für den – auf den Beschwerdeführer zutreffenden – Fall, dass er nicht über einen Behindertenpass mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in diesem Behindertenpass verfügt, auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. auf Vornahme der genannten Zusatzeintragung in den Behindertenpass gilt.

Diesen Anträgen wurden eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung vom 11.10.2019, ein Arztbrief vom 03.10.2019, ein Verpflichtungsschreiben der OÖ GKK, eine Kopie des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-EU“ des Beschwerdeführers, Bescheide der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt AUVA betreffend die Anerkennung eines Arbeitsunfalles vom 06.11.2019 und vom 08.04.2020 (Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 100 von Hundert ab 13.03.2020) sowie ein Schreiben der AUVA betreffend die Aufnahme in ein näher genanntes Rehabilitationszentrum vom 11.03.2020 beigelegt.

Daraufhin wurde von der belangten Behörde im Hinblick auf das Verfahren betreffend den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses vom 12.06.2020 eine als „Sofortige Beantwortung“ bezeichnete Beurteilung des Ärztlichen Dienstes vom 23.06.2020 eingeholt. Diese hat – hier in inhaltlicher Hinsicht vollständig wiedergegeben – folgenden Inhalt:

„Frage(n):

. Welche Funktionsbeeinträchtigung(en) liegt bzw. liegen vor?

. Welchem Richtsatz bzw. welchen Richtsätzen ist oder sind diese gemäß der EVO

zuzuordnen?

. Welche (Einzel – und Gesamt)einschätzung ergibt sich unter Berücksichtigung der

festgestellten Funktionsbeeinträchtigung(en)?

. Welche funktionellen Einschränkungen sind besserungsfähig?

. Könnte der Gesamtgrad der Behinderung kleiner als 50% werden bzw. könnten die

Voraussetzungen für eine oder mehrere Zusatzeintragungen wegfallen? Falls ja:

Nachuntersuchungstermin angeben.

. Die Antragstellerin oder der Antragsteller ist auf den überwiegenden Gebrauch eines

Rollstuhles angewiesen (ja/nein)

. Die Antragstellerin oder der Antragsteller ist blind (ja/nein)

. Die Antragstellerin oder der Antragsteller ist hochgradig sehbehindert im Sinne des

Pflegegeldgesetzes (ja/nein)

. Die Antragstellerin oder der Antragsteller ist gehörlos (ja/nein)

. Die Antragstellerin oder der Antragsteller ist schwer hörbehindert (ja/nein)

. Die Antragstellerin oder der Antragsteller ist taubblind (ja/nein)

. Die Antragstellerin oder der Antragsteller ist Epileptikerin/Epileptiker (ja/nein)

. Die Antragstellerin oder der Antragsteller ist Trägerin oder Träger eines Cochlea –

Implantates (ja/nein)

. Die Antragstellerin oder der Antragsteller bedarf einer Begleitperson (ja/nein)

. Die Antragstellerin oder der Antragsteller ist Trägerin oder Träger von

Osteosynthesematerial (ja/nein) Falls "ja", welches?

. Die Antragstellerin oder der Antragsteller ist Orthesen-/ProthesenträgerIn (ja/nein) Falls

"ja", welche?

. Der Antragstellerin oder dem Antragsteller ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel

unzumutbar (ja/nein)

. Welche Funktionsbeeinträchtigung(en) im Sinne von Mehraufwendungen wegen

Krankendiätverpflegung liegt/liegen vor?

. Welcher GdB wird für die Funktionsbeeinträchtigung im Sinne von Mehraufwendungenwegen Krankendiätverpflegung festgestellt?

Antwort(en):

Träger von Osteosynthesematerial, Orthesenträger

Sonstige Zusatzeintragungen aufgrund fehlender Befunde nicht möglich.“

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 30.06.2020, dem die „Sofortige Beantwortung“ von 23.06.2020 beigelegt war, wurde der Beschwerdeführer über das Ergebnis der Beweisaufnahme in Kenntnis gesetzt und diesem in Wahrung des Parteiengehörs eine zweiwöchige Frist ab Zustellung des Schreibens zur Stellungnahme eingeräumt.

Der Beschwerdeführer brachte innerhalb der ihm dafür eingeräumten Frist keine Stellungnahme ein.

Infolgedessen wurde dem Beschwerdeführer am 30.07.2020 aufgrund seines Antrages vom 12.06.2020 – dies offenkundig in Ansehung des Bescheides der AUVA vom 08.04.2020, mit dem die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 100 von Hundert ab 13.03.2020 festgestellt worden war, auf Rechtsgrundlage des § 40 Abs. 1 Z 1 BBG - ein unbefristeter Behindertenpass mit einem GdB von 100 v.H. sowie mit der Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist TrägerIn von Osteosynthesematerial“ ausgestellt. Diesem am 30.07.2020 unbefristet mit einem GdB von 100 v.H. ausgestellten Behindertenpass kommt gemäß der Bestimmung des § 45 Abs. 2 BBG Bescheidcharakter zu; der Antrag des Beschwerdeführers vom 12.06.2020 auf Ausstellung eines Behindertenpasses wurde mit diesem Bescheid daher erledigt.

Hingegen wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 27.07.2020 der Antrag des Beschwerdeführers vom 12.06.2020 auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass im Ermittlungsverfahren ein Gutachten (gemeint offenkundig: die oben vollständig wiedergegebene „Sofortige Beantwortung“ vom 23.06.2020) eingeholt worden sei. Nach diesem Gutachten würden die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt worden. Die „Sofortige Beantwortung“ vom 23.06.2020 wurde dem Beschwerdeführer als Beilage gemeinsam mit dem Bescheid übermittelt.

Ein formaler bescheidmäßiger Abspruch über den Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29 b StVO (Parkausweis) erfolgte durch das Sozialministeriumservice nicht.

Am 10.09.2020 erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid vom 27.07.2020, mit dem sein Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ abgewiesen worden war. Zwar wurde im Betreff der Beschwerde die Geschäftszahl der behördlichen Schreiben vom 27.07.2020 bzw. 30.07.2020 betreffend die Passausstellung angeführt, aus dem Inhalt der Beschwerde und ihrem objektivem Erklärungswert ergab sich jedoch zweifelsfrei, dass sich diese gegen die Nichtvornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass richtete, zumal der ausgestellte Behindertenpass mit einem GdB von 100% ohnedies den höchstmöglichen Grad der Behinderung aufwies. In dieser Beschwerde führte der Beschwerdeführer – unter Verweis auf beigelegte neue Befunde – im Wesentlichen aus, dass er starke Schmerzen sowie Schwierigkeiten beim Gehen habe und sich sein Zustand nicht gebessert habe.

Am 14.10.2020 wurde dem Bundesverwaltungsgericht im Wege der belangten Behörde ein Bescheid der AUVA vom 30.09.2020 (Minderung der Erwerbsfähigkeit ab 07.09.2020 auf nur mehr 25 v.H.) übermittelt.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.11.2020, GZ: W207 2235405-1/5E, wurde der Bescheid der belangten Behörde vom 27.07.2020, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers vom 12.06.2020 auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen worden war, behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice zurückverwiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die von der belangten Behörde herangezogene „Sofortige Beantwortung“ vom 23.06.2020 den Anforderungen an die Schlüssigkeit und Vollständigkeit eines Gutachtens in Bezug auf die Klärung der in diesem Verfahren entscheidungserheblichen Fragen bezüglich der (Un)Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht gerecht werde, ergänzungsbedürftig und im gegebenen Zusammenhang nicht geeignet sei, zur ausreichenden Sachverhaltsklärung beizutragen. Die belangte Behörde werde im fortgesetzten Verfahren ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen haben, welches sich – bezogen auf den gegenständlichen Fall auch auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers - sachgerecht mit der Frage befasse, ob der Beschwerdeführer dauernd an seiner Gesundheit geschädigt sei und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirke.

Die belangte Behörde holte im fortgesetzten Verfahren betreffend den Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung vom 06.04.2021 ein, in welchem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 24.03.2021 sowie den von diesem vorgelegten Befunden Folgendes, hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben, ausgeführt wurde:

„…

Anamnese:

Operation am 26.09.2019: Fersenbeinverplattung und offene Reposition links, homologe Spongiosaplastik Refixation der Sehnenscheide der Peronealsehnen mit JuggerKnot.

Hypertonie

NIDDM

Adipositas

Derzeitige Beschwerden:

Seit dem Arbeitsunfall 09/2019 mit Trümmerfraktur des linken Fersenbeines dauerhaft Beschwerden im linken Bein. Die Gehzeit wird mit 15 min angegeben. Keine dauerhafte Schmerzmedikation. Es besteht eine Schwellneigung des linken Sprunggelenkes/Fußes. Stiegensteigen ist möglich, die Nachtruhe ist auch gestört.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Candesartan 32/25 mg 1-0-1, keine Gehhilfe.

Sozialanamnese:
Verheiratet, 3 Kinder.
Seit 09/2019 im Dauerkrankenstand, davor Zimmermann.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
8.4.2020, AUVA Bescheid über Arbeitsunfall und Geldleistungen

06/2020-08/2020, Rehabaufenthalt W.:

Unfalldatum: 12.09.2019

Arbeitsunfall: Sturz von einer Leiter ca 2m

26.09.2019 im KH S. UE Schrauben Calcaneus li

Aufnahmediagnosen

Fract comminut calcanei sin operat

Abrupt oss mall lat sin operat Hypertonie

Entlassungsdiagnosen

Fract comminut calcanei sin operat sanat

Abrupt oss mall lat sin operat sanat

Hypertonie

NIDDM

Adipositas

12.9.-4.10.2020, Entlassungsbericht KH S., Unfallchirurgie:

Aufnahmegrund:

Der Patient ist von einer Leiter von ca. 2 Meter gestürzt, verletzte sich dabei an der Ferse links, wurde aufgenommen zur operativen Sanierung.

Diagnosen bei Entlassung:

Fract commin. calcan. sin.

Cont. olecrani dext.

Abrupt. oss. vaginae tend. peroneali reg. mall. lat. sin.

Durchgeführte Maßnahmen:
26.09.2019: Fersenbeinverplattung und offene Reposition links, homologe Spongiosaplastik Refixation der Sehnenscheide der Peronealsehnen mit JuggerKnot.

Zufriedenstellender Verlauf.

Arbeitsunfähigkeitsmeldung: Beginnend vom 12.9.2019

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

Gut

Ernährungszustand:
Adipös

Größe: 165,00 cm  Gewicht: 102,00 kg Blutdruck: normoton

Klinischer Status – Fachstatus:

Caput: unauffällig, HN frei

Wirbelsäule: Druck- und Klopfschmerzen entlang der gesamten WS paravertebral beidseits bei Muskelhartspann
HWS- ROM frei, Sensomotorik OE beidseits regelrecht

LWS- Beugung bis FKBA 20 cm, Seitneigung 30-0-30, Sensomotorik UE beidseits regelrecht, Lasegue negativ beidseits

Schultern:

Beidseits altersentsprechend frei,in S und in F bis 140°, Nackengriff und Kreuzgriff problemlos, Kein Hinweis auf Impingementsyndrom oder RM Läsion

Thorax: symmetrisch, keine Dyspnoe

Abdomen: über dem Thoraxniveau, kein DS

Hüften:

Rechts und Links- S 0-0-110, F 30-0-30, R 30-0-30, frei, kein Rotationsschmerz

Knie: Beidseits frei, S 0-0-130, bandfest

OSG/Füsse:

Links- blande L-förmige Narbe am lateralen Fussrand, insgesamt der linke Fuß vom OSG nach distal verdickt, kein Rötung, diffuse Druckschmerzen sowohl medial als auch lateral.

S 5-0-10 mit Endlagenschmerz, USG wackelbeweglich, Senkspreizfuss li>re

Rechts- uanuffällige Verhältnisse, ohne Schwellung; S 20-0-30, USG frei

Gesamtmobilität – Gangbild:

Kommt gehend, nicht hinkend in orthopädischen Schuhen ohne

Gehhilfe.

Status Psychicus:

Orientiert, klar, kooperativ, kommt mit Dolmetsch(Nichte)

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Zustand nach offenere Fersenbeinfraktur links

Oberer Rahmensatz, da funktionell nahezu eingesteiftes Sprunggelenk links mit Schwellneigung und Schmerzen

02.05.32

40


Gesamtgrad der Behinderung          40 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Arterielle Hypertonie, medikamentös gut eingestellt.

NIDDM

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Es liegt kein Vorgutachten vor.

Änderung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zu Vorgutachten:

X

Dauerzustand

 

Nachuntersuchung -

 

Herr XXX kann trotz seiner Funktionsbeeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf einem geschützten Arbeitsplatz oder in einem Integrativen Betrieb (allenfalls unter Zuhilfenahme von Unterstützungsstrukturen) einer Erwerbstätigkeit nachgehen:

[X] JA  [ ] NEIN

Aufgrund der vorliegenden funktionellen Einschränkungen liegen die medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme nachstehender Zusatzeintragungen vor:

Ja

Nein

Nicht geprüft

Die / Der Untersuchte

 

X

 

ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen

 

X

 

ist blind (entsprechend Bundespflegegeldgesetz)

 

X

 

ist Orthesenträgerin oder Orthesenträger

 

X

 

ist hochgradig sehbehindert (entspr. Bundespflegegeldgesetz)

 

X

 

ist gehörlos

 

X

 

ist schwer hörbehindert

 

X

 

ist taubblind

 

X

 

ist Epileptikerin oder Epileptiker

 

X

 

ist Trägerin oder Träger eines Cochlea-Implantates

 

X

 

Bedarf einer Begleitperson

X

 

 

ist Trägerin oder Träger von Osteosynthesematerial

 

X

 

ist Prothesenträgerin oder Prothesenträger

 

1.       Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Keine, es besteht ein kompensiertes Gangbild, kürzere Wegstrecken können zurückgelegt werden, ein sicherer Transport ist gewährleistet.

2.       Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt ein Immundefekt vor im Rahmen dessen trotz Therapie erhöhte Infektanfälligkeit und wiederholt außergewöhnliche Infekte wie atypische Pneumonien auftreten?

Nein

Folgende Gesundheitsschädigungen im Sinne von Mehraufwendungen wegen Krankendiätverpflegung liegen vor, wegen:

Ja

Nein

Nicht geprüft

 

 

X

 

Tuberkulose, Zuckerkrankheit, Zöliakie, Aids, Phenylketonurie oder eine vergleichbare schwere Stoffwechselerkrankung nach Pos. 09.03.

 

X

 

Gallen-, Leber- oder Nierenkrankheit

 

X

 

Erkrankungen des Verdauungssystems

 

Begründung:

Zustand nach Verplattung des linken Fersenbeines.

…“

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 07.04.2021 wurde der Beschwerdeführer über das Ergebnis der Beweisaufnahme in Kenntnis gesetzt, worin die belangte Behörde insbesondere ausführte: „Gemäß des ärztlichen Sachverständigengutachten wird der Grad der Behinderung mit 40% festgestellt. Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" liegen nicht vor.“ Dem Beschwerdeführer wurde beiliegend das eingeholte Gutachten übermittelt und ihm in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, binnen zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens eine Stellungnahme abzugeben. Im Falle des Unterbleibens einer Stellungnahme innerhalb dieser Frist werde aufgrund des bisherigen Ermittlungsverfahrens entschieden werden.

Eine Stellungnahme des Beschwerdeführers langte innerhalb der gesetzten Frist nicht ein.

In der Folge wies die belangte Behörde mit dem nun angefochtenen Bescheid vom 11.05.2021 den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Behindertenpasses vom 12.06.2020 – auf Grundlage dessen dem Beschwerdeführer bereits am 30.07.2020 ein unbefristeter Behindertenpass mit einem GdB von 100 v.H. ausgestellt worden war – ab. Der Spruch dieses Bescheides vom 11.05.2021 lautet wörtlich wie folgt: „Mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 40% erfüllen Sie nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Ihr Antrag vom 12.06.2020 wird daher abgewiesen.“

Begründend führte die belangte Behörde unter Berufung auf die §§ 40 Abs. 1, 41 Abs. 1 und 45 Abs. 2 BBG und unter Bezugnahme auf das im Ermittlungsverfahren eingeholte Sachverständigengutachten aus, der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers betrage lediglich 40%, weshalb die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht vorliegen würden. Der Antrag des Beschwerdeführers sei daher abzuweisen.

Ein formaler bescheidmäßiger Abspruch über den Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29 b StVO (Parkausweis) bzw. auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass vom 12.06.2020, erfolgte durch das Sozialministeriumservice nicht.

Gegen diesen Bescheid vom 11.05.2021, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Behindertenpasses abgewiesen wurde, erhob der Beschwerdeführer, nunmehr ohne Rechtsvertretung, mit Schreiben vom 01.06.2021, bei der belangten Behörde eingelangt am 08.06.2021, fristgerecht Beschwerde und führte darin – hier in den wesentlichen Teilen und anonymisiert wiedergegeben – Folgendes aus:

„…

ich hatte am 12.09.2019 einen Arbeitsunfall und leide seitdem an starken Schmerzen inklusive Beeinträchtigungen beim linken Fuß. Ich bekam am 31.07.2020 einen Bescheid vom Sozialministeriumservice inklusive Behindertenpass mit einem festgestellten Behinderungsgrad von 100%, jedoch leider ohne dem Zusatzeintrag „Unzumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel"

Da ich starke Schmerzen beim Gehen habe und hatte erteilte ich darauf auf Anraten von Fr. H. vom Sozialministeriumservice am 09.09.2020 Einspruch gegen die Entscheidung vom 31.07.2020, um diesen für mich wichtigen Zusatzeintrag in meinen Behindertenpass aufzunehmen.

Am 07.04.2021 bekam ich nun völlig überraschend einen neuen Bescheid, dass dieser Zusatzeintrag abgelehnt wurde und der Grad meiner Invalidität plötzlich nur noch 40% beträgt.

Da sich mein Gesundheitszustand leider nicht gebessert hat und ich kaum länger als 10 Minuten gehen kann ohne starke Schmerzen erleiden zu müssen ersuche ich bitte mir zu helfen und mir diesen Zusatzeintrag zu gewähren.

Möchte außerdem mitteilen. dass ich einen Rechtsanwalt beauftragt habe. da ich mit dem Grad der Invalidität, welche die AUVA festgestellt hat ebenfalls nicht einverstanden bin.

Ich hoffe sehr auf eine positive Entscheidung …“

Wiewohl der – aktuell unvertretene – Beschwerdeführer offensichtlich das Datum des Bescheides mit jenem zur Wahrung des Parteiengehörs verwechselt hat („07.04.2021“ statt richtigerweise „11.05.2021“) und sich im Wortlaut seiner Beschwerde vordergründig auf den Antrag auf Vornahme der von ihm beantragten Zusatzeintragung bezieht, ergibt sich aus der eindeutigen Nennung der Geschäftszahl des anzufechtenden Bescheides sowie aus dem Inhalt und dem objektiven Erklärungswert der Beschwerde, dass sich diese gegen die aufgrund der geänderten Bewertung des Grades der Behinderung erfolgte „Abweisung des Antrags auf Ausstellung eines Behindertenpasses vom 12.06.2021“ richtet.

Die belangte Behörde legte am 16.06.2021 dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Inhaber eines am 30.07.2020 unbefristet ausgestellten Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 100 v.H., der dem Beschwerdeführer aufgrund seines Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses vom 12.06.2020 ausgestellt wurde. Diesem am 30.07.2020 unbefristet mit einem GdB von 100 v.H. ausgestellten Behindertenpass kommt gemäß der Bestimmung des § 45 Abs. 2 BBG Bescheidcharakter zu; über diesen Antrag des Beschwerdeführers vom 12.06.2020 auf Ausstellung eines Behindertenpasses wurde mit diesem (rechtskräftigen) Bescheid vom 30.07.2020 daher bereits abgesprochen, dieser Antrag vom 12.06.2020 auf Ausstellung eines Behindertenpasses ist somit bereits erledigt.

Ebenfalls am 12.06.2020 stellte der Beschwerdeführer beim Sozialministeriumservice auch einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass. Dieser Antrag wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 27.07.2020 abgewiesen. In Erledigung der dagegen erhobenen Beschwerde des Beschwerdeführers wurde dieser Bescheid mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.11.2020, GZ: W207 2235405-1/5E, behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides – betreffend den Verfahrensgegenstand der Zusatzeintragung der (Un)zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - an das Sozialministeriumservice zurückverwiesen. Dieses Verfahren ist aktuell von der belangten Behörde nicht abgeschlossen.

Im diesbezüglich fortgesetzten Verfahren holte die belangte Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung vom 06.04.2021 ein, das ergab, dass der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers (nur mehr) 40 v.H. betrage.

In der Folge erließ die belangte Behörde unter dem Betreff „Ausstellung eines Behindertenpasses“ den nun angefochtenen Bescheid vom 11.05.2021, dies mit folgendem Spruch:

„Mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 40% erfüllen Sie nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Ihr Antrag vom 12.06.2020 wird daher abgewiesen.“

Ein bescheidmäßiger Abspruch über den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass bzw. auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29 b StVO (Parkausweis) vom 12.06.2020 erfolgte durch die belangte Behörde entsprechend dem Inhalt des vorgelegten Veraltungsaktes hingegen nicht.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen und unbestrittenen Inhalt des von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsaktes.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

„§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

§ 43 (1) Treten Änderungen ein, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpaß auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpaß einzuziehen.

(2) Der Besitzer des Behindertenpasses ist verpflichtet, dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen binnen vier Wochen jede Änderung anzuzeigen, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, und über Aufforderung dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Behindertenpaß vorzulegen.

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.“

Gemäß § 43 Abs. 1 letzter Satz BBG ist der Behindertenpass bei Wegfall der Voraussetzungen – wovon die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren betreffend den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass nach Behebung des diesbezüglichen Bescheides vom 27.07.2020 und Zurückverweisung der Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides durch den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.11.2020, GZ: W207 2235405-1/5E, nach Einholung des Sachverständigengutachtens vom 06.04.2021 offenbar ausging – vom Sozialministeriumsservice einzuziehen.

Die belangte Behörde hat unter dem Betreff „Ausstellung eines Behindertenpasses“ mit dem angefochtenen Bescheid vom 11.05.2021 spruchgemäß Folgendes ausgesprochen: „Mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 40% erfüllen Sie nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Ihr Antrag vom 12.06.2020 wird daher abgewiesen.“

Mit diesem Spruch wird – auch unter Berücksichtigung des Inhaltes der Begründung dieses Bescheides vom 11.05.2021 - erkennbar und unzweifelhaft über den Antrag des Beschwerdeführers vom 12.06.2020 auf Ausstellung eines Behindertenpasses abgesprochen; Hinweise auf ein amtswegiges Vorgehen der belangten Behörde beinhaltet der angefochtene Bescheid hingegen nicht. Dem eindeutigen Wortlaut des Spruches des angefochtenen Bescheides (dies auch in Zusammenschau mit dessen Begründung) kann auch nicht entnommen werden, dass im gegenständlichen Fall eine (amtswegige) Einziehung des Behindertenpasses stattgefunden hätte.

Wie bereits mehrfach erwähnt, ist der Beschwerdeführer Inhaber eines am 30.07.2020 unbefristet ausgestellten Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 100 v.H. ist, der dem Beschwerdeführer aufgrund seines Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses vom 12.06.2020 ausgestellt wurde. Diesem am 30.07.2020 unbefristet ausgestellten Behindertenpass kommt gemäß der Bestimmung des § 45 Abs. 2 BBG Bescheidcharakter zu; über diesen Antrag des Beschwerdeführers vom 12.06.2020 auf Ausstellung eines Behindertenpasses wurde daher mit diesem Bescheid vom 30.07.2020 bereits (rechtskräftig) abgesprochen, dieser Antrag ist somit bereits erledigt. Ein neuerlicher Abspruch über diesen Antrag vom 12.06.2020 auf Ausstellung eines Behindertenpasses ist daher nicht zulässig, weshalb sich der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grund als rechtswidrig erweist, weil die belangte Behörde eine Zuständigkeit in Anspruch genommen hat, die ihr nicht zukommt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und dieser Bescheid, mit dem über einen bereits erledigten Antrag abermals entschieden wurde, ersatzlos zu beheben.

Unabhängig davon aber käme – darauf sei zur Klarstellung hingewiesen - auch ein amtswegiges Vorgehen der belangten Behörde – welches allerdings dem angefochtenen Bescheid nicht entnommen werden kann - in Betracht.

In seinem Erkenntnis vom 13.12.2018, Zl. Ra 2018/11/0204, hat der Verwaltungsgerichtshof in einem vergleichbaren Fall (zu einer amtswegig getroffenen Entscheidung) ausgesprochen, dass der bereits zitierte § 43 Abs. 1 zweiter Satz BBG die Vorgangsweise regelt, wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses weggefallen sind, und Folgendes klargestellt (Hervorhebungen nicht im Original):

„§ 43 Abs. 1 erster Satz BBG regelt, wie vorzugehen ist, wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses weggefallen sind. Dies ist der Fall, wenn der Grad der Behinderung nicht mehr wenigstens 50 % beträgt. In einem solchen Fall "ist der Behindertenpass einzuziehen" (vgl. zB. VwGH 29.3.2011, 2008/11/0191). Die Einziehung hat gemäß § 45 Ab. 2 BBG durch Bescheid zu erfolgen.

§ 43 Abs. 1 zweiter Satz BBG enthält keine Ermächtigung für einen gesonderten Ausspruch der Behörde, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht mehr vorliegen (anders als etwa § 14 Abs. 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes - BEinstG) oder dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50 % besteht. Der Wegfall der Voraussetzungen für die Ausstellung ist vielmehr als Vorfrage im Einziehungsverfahren zu klären. Da mithin ein eigenes Verfahren vorgesehen ist, in dem die Frage, ob weiterhin ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 % vorliegt, zu beantworten ist, fehlt es auch an einer Grundlage für die Erlassung eines von Amts wegen erlassenen Feststellungsbescheids über das Nichtbestehen dieser Voraussetzung (vgl. zB. VwGH 25.7.2007, 2005/11/0131).

§ 43 Abs. 1 BBG ermächtigt die Behörde daher zwar zu einem amtswegigen Vorgehen, allerdings nach den bisherigen Ausführungen nur zu einem Ausspruch der Einziehung des Behindertenpasses. Ein Bescheid, in dem ausgesprochen wird, dass die Betreffende mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 % nicht mehr die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfülle, oder in dem festgestellt wird, dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50 % besteht, findet in § 43 Abs. 1 BBG keine Deckung.“

Die belangte Behörde hätte im vorliegenden Fall nach der zu beachtenden Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes somit, wenn sie die Auffassung vertritt, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht mehr vorliegen, die Ermächtigung, in einer für den Beschwerdeführer erkennbaren Form amtswegig ein Einziehungsverfahren einzuleiten und - bei tatsächlichem Wegfall der Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses - gemäß § 43 Abs. 1 iVm § 45 Abs. 2 BBG die Einziehung des Behindertenpasses mit Bescheid auszusprechen.

Das Bundesverwaltungsgericht ist nach den zu beachtenden höchstgerichtlichen Vorgaben aber jedenfalls nicht befugt, das vorliegende Verfahren (in dem von der belangten Behörde unzuständiger Weise über einen bereits entschiedenen Antrag abermals entschieden wurde) gleichsam als „Einziehungsverfahren“ weiterzuführen und erstmals über eine Einziehung des Behindertenpasses abzusprechen, da der Verwaltungsgerichtshof in seiner oben genannten Entscheidung vom 13.12.2018, Ra 2018/11/0204, auch ausdrücklich klargestellt hat, dass ein Abspruch des Bundesverwaltungsgerichts über die Einziehung eines Behindertenpasses in einer Verfahrenskonstellation wie vorliegend die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens in rechtswidriger Weise überschreiten würde.

Eine amtswegige Einziehung des Behindertenpasses durch das Sozialministeriumservice im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bleibt bei Wegfall der Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses daher – trotz der ersatzlosen Behebung des angefochtenen Bescheides - weiter möglich.

Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass ein bescheidmäßiger Abspruch über den Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass bzw. auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29 b StVO (Parkausweis) vom 12.06.2020 durch die belangte Behörde entsprechend dem Inhalt des vorgelegten Veraltungsaktes bisher nicht erfolgte; diese Anträge sind daher von der belangten Behörde noch unerledigt.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Da im gegenständlichen Fall bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angfochtene Bescheid aufzuheben war, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 2. Fall VwGVG entfallen.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Bescheidcharakter ersatzlose Behebung Grad der Behinderung Rechtskraft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W207.2243466.1.00

Im RIS seit

17.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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