TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/9 W217 2243817-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.08.2021
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Entscheidungsdatum

09.08.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W217 2243817-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Marion STEINER sowie den fachkundigen Laienrichter Franz GROSCHAN als Beisitzer über die Beschwerde von Dr.in XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 18.05.2021, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses in nicht-öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Frau XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführerin) beantragte am 21.06.2020 die Ausstellung eines Behindertenpasses. Dem Antrag legte sie ein Konvolut an folgenden medizinischen Befunden bei:

-        23.10.2019 XXXX -KH: milde Hyponatriämie in erster Linie als NW der Antidepressiva.

-        14.10.2019 XXXX GKK: Abgeflacht imponierendes Fußgewölbe beidseits im Sinne eines leichten Pes planus. Grenzwertige Hallux valgus Fehlstellung rechts mit 15°, links mäßiger Hallux valgus mit MTP I Winkel von 25°. Mäßiggradige Großzehengrundgelenksarthrose beidseits, rechts etwas verstärkte subchondrale Sklerosierung, links beginnende Subluxation. Leichte Hammerzehenhaltung Dig. II-V beidseits. Angedeutete Randzacken an den Interphalangealgelenken. Keine erosiven Läsionen, Weichteilmantel konventionell radiologisch unauffällig.

-        10.07.2019 XXXX GKK: Sonographisch lässt sich eine Hashimoto Struma nicht ausschließen.

-        24.07.2019 XXXX -KH: manifeste Osteoporose, Art. Hypertonie. Überweisung für Zahnarzt und Psychiater ausgestellt.

-        17.07.2019 XXXX -KH: Hinweis auf degerative Wirbelsäulenveränderungen. TBS Referenzwert 1,404 SD. T_Score Femur gesamt: -2,4SD.

-        14.06.2019 XXXX -KH: Manifeste Osteoporose/de novo LWK 1+2 Impression 05/2017, St.p. Alendronsäure 2002-2012, St-p- Denosumab 2012-2016, Kieferknochennekrose 10/2016, Forsteo seit 6/2017; Hypertonie.

-        25.04.2018 Dr. XXXX : „Frau XXXX , geb. XXXX , leidet an nachstehend angeführten Erkrankungen: .) Spondylopathie deformans, .) Z.n. Immpressionsfrktur LWK I+II, .) Osteoporose, .) Varikose bds., .) Polyarthrosen, .) Fibromyalgie, .) chronische Gastritis, .) Struma nodosa, .) Histaminintoleranz, .) rezidivierende Bronchitiden, .) Asthma bronchiale, .) St.p. Star OP, .) Osteonekrose. Frau XXXX leidet infolge der oben angeführten Erkrankungen an stark eingeschränkter Mobilität sowie häufigen Schmerzen im Gelenks- und Wirbelsäulenbereich. Weiters wird über allgemeine körperliche Schwäche geklagt. Die medikamentöse Therapie ist laufend. ….“

-        23.04.2018 XXXX GKK: Echocardiographiebefund: normale LVF (EF=68%, Simpson biplan). Biatriale Dilatation. Dialstolische Funktionsstörung II. Leichte Ml. Mittelgradige TI.

-        11.7.2017 Rad. XXXX : HWS-Ergebnis: Fortgeschrittene Osteochondrose C4-C7, konsekutiv deutliche paradoxe Kyphosierung der HWS, multisegmentale Retrospondylose C4-C7, rechtsbetonte ossäre Neuroforamenstenosen C4-C7 infolge deutlicher Intervertebralgelenksarthrosen. BWS: Z.n. nicht rezenter, geringer Deckplattenimpression TH3 sowie TH4, thoracale Streckhaltung. LWS: Offensichtlich rezente Wirbelkörpereinbrüche LWK 1, LWK 2 sowie LWK 4, multisegmentale Osteochondrose mit Retrospondylose und geringer Spinalkanalseinengung TH12-L2 sowie L3-L5, insgesamt kein direkter Kontakt zu nervalen Strukturen, keine relevante Vertebrostenose.

-        08.05.2017 XXXX GKK Obstipation, Dickdarmmeteorismus, minmaler Dünndarmmeteorismus

-        17.01.2017 AKH: Kopfschmerzen/V.a. Spannungskopfschmerz.

-        08.09.2016 XXXX GKK: Kardiainsuffizienz, unauffällige ÖGD

2.       Im daraufhin eingeholten Sachverständigengutachten vom 02.04.2021, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 22.03.2021, wurde von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, Folgendes festgehalten:

„Anamnese:

Degenerative Abnützungen, Hypertonie, Dermatitis, Struma nodosa, Atemwegserkrankung, Herzleiden, Spannungskopfschmerz, Kardiainsuffizienz, Depression, Varizen.

Derzeitige Beschwerden:

Es besteht deutliche Sprachbarriere.

Angegeben werden Geh- und Atemprobleme, sie hätte Abnützungen und Herzschwäche, auch Hautprobleme, juckend, ansonsten nichts Konkretes angegeben.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Daflon, Forsteo, Pariet, Singulair, Desloratadin, Candeblo, Cal-D-Vita, Antiflat bei Bedarf, Cerebokan, Gaviscon, Augengel, Amlodistad.

Sozialanamnese:

Pensionistin.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

14.10.2019 XXXX GKK: mäßige Abnützungen Füße.

23.10.2019 XXXX -KH: milde Hyponatriämie in 1. Linie als NW der Antidepressiva.

10.7.2019 XXXX GKK: Bild wie Hashimoto.

14.6.2019 XXXX -KH: Osteoporose/deg. WS-Veränderungen LWK 1,2- Impression 05/17, Hypertonie.

25.4.2018 Dr. XXXX : ärztl. Bestätigung/Aufzählung von Erkrankungen ohne nähere Spezifizierung.

23.4.2018 XXXX GKK: Herzecho- normale LVF.

11.7.2017 Rad. XXXX : deg. WS-Veränderungen.

17.1.2017 AKH: Kopfschmerzen/V.a. Spannungskopfschmerz.

8.9.2016 XXXX GKK: Kardiainsuffizienz, unauffällige ÖGD.

Befundnachreichung:

28.10.2020 Dr. XXXX : superfizielle Dermatitis.

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

Normal.

Ernährungszustand:

Sehr gut.

Größe: 151,00 cm  Gewicht: 66,00 kg  Blutdruck: 135/75

Klinischer Status – Fachstatus:

KOPF, HALS:

Keine Stauungszeichen, keine Atemnot, weder in Ruhe, noch bei Bewegung im Zimmer, Pupillen unauffällig, Lidschluß komplett, kein Nystagmus. Sprache verständlich, kein inspiratorischer oder exspiratorischer Stridor. Brillenträgerin.

THORAX / LUNGE / HERZ:

Hypersonorer Klopfschall, Vesiculäratmen, normale Atemfrequenz. Reine, rhythmische Herztöne, normofrequent.

ABDOMEN:

Weich, Peristaltik auskultierbar.

WIRBELSÄULE:

Kann im Sitzen mit beiden Händen Fußknöchel erreichen, flüssiges Bewegungsbild, dabei keine relevanten Funktionseinbußen.

EXTREMITÄTEN:

Kreuz / Nacken / Pinzetten / Spitzgriff beidseits regelrecht und vollständig durchführbar, vollständiger Faustschluß beidseits, keine Muskelatrophien. Greiffunktion beidseits erhalten. Fingergelenke etwas arthrotisch verändert.

Hüftgelenke weitgehend frei beweglich, Kniegelenke beidseits aktiv im Sitzen 0-0-110°,

Sprunggelenke frei beweglich. Stehen und Gehen im Untersuchungszimmer ohne Hilfsmittel möglich, Einbeinstand wird durchgeführt. Zehen / Fersengang beidseits möglich.

Varizen, keine relevanten Ödeme, Fußpulse tastbar.

GROB NEUROLOGISCH:

Keine relevanten motorischen Defizite, keine konkreten Sensibilitätsstörungen angegeben, grobe Kraft seitengleich, gute und kräftige Vorfußhebung beidseits, kein Rigor, kein Tremor, Feinmotorik regelrecht. PSR mittellebhaft auslösbar.

Gesamtmobilität – Gangbild:

Erscheint mit Einsatz von Gehstock in der linken Hand, in der rechten wird ein Einkaufswagerl nachgezogen. Gangbild ausreichend sicher, keine relevante Sturzneigung objektivierbar, etwas breitbasig-verlangsamt, vor dem selbstständigen Einnehmen der Sitzposition wird Gehstock beiseite gestellt, ebenso Einkaufswagerl.

Status Psychicus:

Gut orientiert, erscheint generell etwas verlangsamt, kognitive Funktionen erhalten, kein Hinweis auf psychotische Störung.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Degenerative und osteoporotische Veränderungen am Stütz- und Bewegungsapparat

Unterer Rahmensatz, da bei nachgewiesenen Veränderungen mäßige funktionelle Einschränkung bei selbstständig erhaltener Gehfähigkeit.

Spannungskopfschmerz ist in dieser Position miterfasst.

02.02.02

30

2

Hypertonie

Fixer Rahmensatz.

05.01.01

10

3

Superfizielle Dermatitis Fixer Rahmensatz.

01.01.01

10

4

Kardiainsuffizienz

Unterer Rahmensatz, da sehr guter Ernährungszustand.

07.03.05

10

5

Varikositas

Unterer Rahmensatz, da ohne wesentliche Begleitschäden.

05.08.01

10

         Gesamtgrad der Behinderung 30 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Das führende Leiden 1 wird durch 2-5 nicht weiter erhöht, da von zu geringer funktioneller Relevanz.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Fibromyalgie, Depressio, chronische Gastritis, Histaminintoleranz, rez. Bronchitiden, Asthma bronchiale, Augenleiden: durch aktuelle, aussagekräftige Facharztbefunde mit nachvollziehbarer Behandlung/Verlaufsdokumentation nicht ausreichend belegt.

Schilddrüse: kein GdB, da ohne Hinweis auf relevante funktionelle Einschränkung. Herzleiden: bei normaler Pumpfunktion kein GdB

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Erstgutachten

Änderung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zu Vorgutachten:

X        Dauerzustand

(…)

1.       Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Keine. Es liegen keine Funktionsbeeinträchtigungen der oberen und unteren Extremitäten und der Wirbelsäule bei bestehenden degenerativen Abnützungen vor, welche die selbstständige Fortbewegung im öffentlichen Raum sowie den sicheren, gefährdungsfreien Transport im öffentlichen Verkehrsmittel erheblich einschränken. Die Gesamtmobilität ist- unter Verwendung allfälliger Hilfsmitten (wie z.B. einem Gehstock)- nicht wesentlich eingeschränkt, Kraft und Koordination sind ausreichend. Im Bereich der oberen Extremitäten liegen keine höhergradigen Funktionseinschränkungen vor, das Erreichen von Haltegriffen und das Festhalten ist nicht eingeschränkt. Es liegt auch keine wesentliche Einschränkung der kardiorespiratorischen Leistungsreserven vor, kognitive Funktionen sind in ausreichendem Maße erhalten, sodass das Zurücklegen kurzer Wegstrecken, das Ein/Aussteigen sowie die sichere Beförderung in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erheblich erschwert ist

2.       Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
Nein

(…)“

3.       Im Rahmen des hierzu erteilten Parteiengehörs wurde von Dr. XXXX vorgebracht, die Richtsatzgruppe 02.02 sei falsch gewählt. Zur Anwendung kommen müsse Richtsatzgruppe 02.01, da die osteoporosebedingten Schmerzen (u.a. Wirbelkörpereinbrüche in der LWS) spezifischer seien als die unter Pos.Nr. 02.02. eingeordneten generalisierten Erkrankungen des Bewegungsapparates bei entzündlich rheumatischen Systemerkrankungen, degenerative rheumatischen Erkrankungen und systematischen Erkrankungen der Muskulatur. Zwar sei die Antragstellerin selbständig gehfähig, aber die Funktionseinschränkungen seien schmerzbedingt nicht bloß mäßig, sondern so gravierend, dass sie kaum mehr die Wohnung verlassen könne. Für Wohnungsreinigung und Wäsche müsse sie soziale Dienste in Anspruch nehmen. Sie stehe seit Jahren in Therapie, allerdings ohne wirklicher Besserung. Es müsste Position 02.01.03 mit einem GdB von mindestens 60% zur Anwendung kommen. Dass die Depressio und die Fibromyalgie nicht ausreichend durch aktuelle Befunde nachgewiesen seien, ändere nichts an deren Existenz. Es wäre Sache der belangten Behörde, die scheinbare Abwesenheit von Evidenz mittels Zuweisung zu jeweiligen Fachärzten zu überprüfen. Dass die Depressio und die starken chronischen Schmerzen miteinander in einer destruktiven Wechselbeziehung verbunden seien, bedürfe keiner zusätzlichen Beweisführung.

4.       Der bereits befasste Facharzt führt in seiner Stellungnahme vom 18.05.2021 hierzu aus:

„Antwort(en):

Einwendungen: diese erfolgen von Dr. XXXX in Form eigener Interpretationen hinsichtlich der Einstufung von erhobenen Gesundheitsschädigungen.

Befundnachreichung: keine.

Zu den Einwendungen: im Rahmen der Begutachtung wurden neben Anamneseerhebung, Würdigung aller vorliegenden, medizinisch relevanten Befunde und eingehender klinischer Untersuchung auch ausreichend Zeit und Raum für die umfassend geschilderten, subjektiven Beschwerden der Partei gewährt. Zur Erhebung eines GdB nach geltenden Richtlinien wurden alle medizinisch relevanten Fakten, vor allem tatsächlich vorliegende, funktionelle Einschränkungen, herangezogen. Die persönlichen Interpretationen des Herrn Dr. XXXX werden zur Kenntnis genommen, sind jedoch aufgrund der aktuellen Untersuchung und der aufliegenden Befunde nicht dazu geeignet, das bereits vorhandene Begutachtungsergebnis zu entkräften. Insgesamt ergeben sich daher, nach nochmaliger Überprüfung, keine neuen Erkenntnisse, hinsichtlich eingestufter, behinderungsrelevanter Gesundheitsschäden zum Untersuchungszeitpunkt, das bereits vorliegende Begutachtungsergebnis wird somit weiterhin aufrecht erhalten.“

5.       Mit Bescheid vom 18.05.2021 wies die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses ab. Begründend wurde ausgeführt, dass die ärztliche Begutachtung einen Grad der Behinderung von 30 % ergeben habe, weshalb die Voraussetzungen für die Ausstellung des Behindertenpasses nicht vorliegen würden.

6.       Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde. Sie brachte vor, der sie begutachtende Sachverständige gehe in seiner ärztlichen Stellungnahme vom 18.05.2021 zu Unrecht davon aus, dass es sich lediglich um Interpretationen ihres Vertreters handle. Der Sachverständige habe sie jedoch nur ungefähr eine halbe Stunde untersucht und könne dadurch auch nur ein momentanes Bild ihrer Befindlichkeit aufnehmen. Außerdem könne er nicht sehen, welche Schmerzen sie habe. Dagegen kenne ihr Vertreter ihre Situation schon seit Jahren und wisse, dass sie bedingt durch ihre Schmerzen ihre Wohnung so gut wie nicht mehr verlassen könne. Sie habe diesbezüglich in ihrer Stellungnahme auch auf den Befund von Dr. XXXX vom 21.06.2020 („stark eingeschränkte Mobilität") verwiesen. Es handle sich bei Leiden lfd. Nr. 1 also nicht bloß um eine „mäßige funktionelle Einschränkung". Wegen der massiven Einschränkungen im Alltag müsste ein deutlich höherer Grad der Behinderung festgestellt werden, gleich, ob die Einschätzung des Grades der Behinderung über Richtsatzgruppe 02.02 oder 02.01 erfolge. Zwar sei sie selbständig gehfähig, aber die Funktionseinschränkungen seien schmerzbedingt so gravierend, dass sie kaum mehr die Wohnung verlassen könne. Für Wohnungsreinigung und Wäschepflege müsse sie soziale Dienste in Anspruch nehmen. Mit großen Mühen könne sie noch selbst kochen, worauf sie trotz der damit verbundenen Schmerzen aus gesundheitlichen Gründen großen Wert lege. Sie sei seit Jahren in Therapie, die allerdings keine wirkliche Besserung gebracht habe. Da maßgebliche radiologische und morphologische Veränderungen und maßgebliche Einschränkungen im Alltag sowie therapieresistenter chronischer Dauerschmerz vorliegen würden, müsse Richtsatzposition 02.01.03 mit einem GdB von mindestens 60% zur Anwendung kommen bzw. alternativ 02.02.03 mit einem GdB von 70%. Der Sachverständige habe sich nicht mit den Beeinträchtigungen durch Depressio, Fibromyalgie und Asthma sowie anderer Krankheiten befasst, sondern lapidar darauf verwiesen, dass diese Leiden nicht ausreichend belegt seien. In Ermangelung aktueller aussagekräftiger Befunde wäre es aber auf Grund der den Verwaltungsverfahren innewohnenden Grundsätze der materiellen Wahrheit und der Amtswegigkeit Aufgabe der belangten Behörde gewesen, Depressio, Fibromyalgie und Asthma sowie anderer Krankheiten in ihren Auswirkungen auf den GdB durch Zuweisung zu ÄrztInnen der jeweiligen Fachgebiete zu überprüfen.

Neue Befunde wurden keine übermittelt.

7.       Am 28.06.2021 langte die Beschwerde samt Fremdakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Die Beschwerdeführerin ist am XXXX im Iran geboren, besitzt die österreichische Staatsangehörigkeit und hat ihren Wohnsitz im Inland.

1.2.    Die Beschwerdeführerin begehrte am 21.06.2020 die Ausstellung eines Behindertenpasses bei der belangten Behörde.

1.3.    Bei der Beschwerdeführerin liegen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden, vor:

Lfd. Nr.

 

Pos.Nr.

Gdb %

1

Degenerative und osteoporotische Veränderungen am Stütz- und Bewegungsapparat

Unterer Rahmensatz, da bei nachgewiesenen Veränderungen mäßige funktionelle Einschränkung bei selbstständig erhaltener Gehfähigkeit.

Spannungskopfschmerz ist in dieser Position miterfasst.

02.02.02

30

2

Hypertonie

Fixer Rahmensatz.

05.01.01

10

3

Superfizielle Dermatitis Fixer Rahmensatz.

01.01.01

10

4

Kardiainsuffizienz

Unterer Rahmensatz, da sehr guter Ernährungszustand.

07.03.05

10

5

Varikositas

Unterer Rahmensatz, da ohne wesentliche Begleitschäden.

05.08.01

10

1.4.    Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 30 v.H.

2.       Beweiswürdigung:

Zu 1.1) Die getroffenen Feststellungen gründen auf dem diesbezüglich unbedenklichen Eintrag im Zentralen Melderegister und stehen überdies im Einklang mit den Angaben der Beschwerdeführerin.

Zu 1.2) Die Feststellung hinsichtlich der Antragsstellung auf Ausstellung eines Behindertenpasses gründet auf dem diesbezüglich schlüssigen Akteninhalt des von der belangten Behörde vorgelegten Fremdaktes.

Zu 1.3) bis 1.4) Die Feststellungen zur Höhe des Gesamtgrades der Behinderung und der Art und dem Ausmaß der Funktionseinschränkungen gründen sich auf das von der belangten Behörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 22.03.2021.

Darin wird auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei, im Einklang mit der medizinischen Wissenschaft und den Denkgesetzen, eingegangen, wobei die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befunde und Beweismittel im Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme umfassend Berücksichtigung gefunden haben.

Die getroffenen Einschätzungen basieren auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befund von Dr. XXXX und entsprechen den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen. Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin wurde mit einem Grad der Behinderung von 30 v.H. eingeschätzt.

Im Beschwerdeschriftsatz wurde vorgebracht, anstelle von Pos.Nr. 02.02.02 müsse bei Leiden Nr. 1 die Richtsatzposition 02.01.03 mit einem GdB von mindestens 60% bzw. alternativ 02.02.03 mit einem GdB von 70% zur Anwendung kommen.

Pos.Nr. 02.02 der Anlage zur Einschätzungsverordnung lautet:

„02.02 Generalisierte Erkrankungen des Bewegungsapparates

Es ist die resultierende Gesamtfunktionseinschränkung bei entzündlich rheumatischen Systemerkrankungen, degenerative rheumatischen Erkrankungen und systemischen Erkrankungen der Muskulatur einzuschätzen.

Falls sie mit Lähmungserscheinungen einhergehen, sind sie entsprechend den funktionellen Defiziten nach Abschnitt 04. ‚Neuromuskuläre Erkrankungen‘ im Kapitel ‚Nervensystem‘ zu beurteilen.

02.02.01

Mit funktionellen Auswirkungen geringen Grades

10 – 20 %

Leichte Beschwerden mit geringer Bewegungs- und Belastungseinschränkung

02.02.02

Mit funktionellen Auswirkungen mittleren Grades

30 – 40 %

Mäßige Funktionseinschränkungen, je nach Art und Umfang des Gelenkbefalls, geringe Krankheitsaktivität

02.02.03

Mit funktionellen Auswirkungen fortgeschrittenen Grades

50 –70 %

50%:

Dauernde erhebliche Funktionseinschränkungen, therapeutisch schwer beeinflussbare Krankheitsaktivität, Notwendigkeit einer über mindestens 6 Monate andauernden Therapie

70%:

Dauernde erhebliche Funktionseinschränkungen mit maßgeblichen Einschränkungen im Alltag und Arbeitsleben, therapeutisch schwer beeinflussbare Krankheitsaktivität, Gehbehinderung

Der Sachverständige begründete die Heranziehung der Pos.Nr. 02.02.02 mit dem unteren Rahmensatz, da bei nachgewiesenen Veränderungen eine mäßige funktionelle Einschränkung bei selbstständig erhaltener Gehfähigkeit besteht. Der Spannungskopfschmerz wurde in dieser Position miterfasst.

Mäßige Funktionseinschränkungen fallen jedoch weder unter Pos.Nr. 02.01.03 („Funktionseinschränkungen schweren Grades“) noch unter Pos.Nr. 02.02.03. („funktionelle Auswirkungen fortgeschrittenen Grades“).

Diese Schlussfolgerung des medizinischen Sachverständigen finden insbesondere Bestätigung in seinen Aufzeichnungen bei der persönlichen Untersuchung am 22.03.2021 im Rahmen des oben wiedergegebenen Untersuchungsbefundes zu den unteren Extremitäten bzw. zum Gangbild („Hüftgelenke weitgehend frei beweglich, Kniegelenke beidseits aktiv im Sitzen 0-0-110°, Sprunggelenke frei beweglich. Stehen und Gehen im Untersuchungszimmer ohne Hilfsmittel möglich, Einbeinstand wird durchgeführt. Zehen / Fersengang beidseits möglich. Varizen, keine relevanten Ödeme, Fußpulse tastbar. GROB NEUROLOGISCH: Keine relevanten motorischen Defizite, keine konkreten Sensibilitätsstörungen angegeben, grobe Kraft seitengleich, gute und kräftige Vorfußhebung beidseits, kein Rigor, kein Tremor, Feinmotorik regelrecht. PSR mittellebhaft auslösbar. Gesamtmobilität – Gangbild: Erscheint mit Einsatz von Gehstock in der linken Hand, in der rechten wird ein Einkaufswagerl nachgezogen. Gangbild ausreichend sicher, keine relevante Sturzneigung objektivierbar, etwas breitbasig-verlangsamt, vor dem selbstständigen Einnehmen der Sitzposition wird Gehstock beiseite gestellt, ebenso Einkaufswagerl.“)

Wenn die BF auf den Befund von Dr. XXXX verweist, wonach bei ihr eine stark eingeschränkte Mobilität bestehe, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass in dieser Bestätigung zwar eine Aufzählung von Krankheiten erfolgt, aber – wie bereits der Sachverständige in seinem Gutachten ausführt - ohne nähere Spezifizierung. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführer behandelnden Ärzte primär das Wohlergehen der von ihnen behandelten Patienten und damit ein subjektives Element in der Bewertung im Auge haben, nicht jedoch - anders als der im gegenständlichen Verfahren herangezogene begutachtende medizinische Sachverständige - die Vornahme einer Begutachtung und Beurteilung ausschließlich auf Grundlage der Bestimmungen der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen.

Soweit die Beschwerdeführerin moniert, der Sachverständige habe sich nicht mit den Beeinträchtigungen durch Depressio, Fibromyalgie und Asthma sowie anderer Krankheiten befasst, sondern lapidar darauf verwiesen, dass diese Leiden nicht ausreichend belegt seien, in Ermangelung aktueller aussagekräftiger Befunde wäre es aber auf Grund der den Verwaltungsverfahren innewohnenden Grundsätze der materiellen Wahrheit und der Amtswegigkeit Aufgabe der belangten Behörde gewesen, Depressio, Fibromyalgie und Asthma sowie anderer Krankheiten in ihren Auswirkungen auf den GdB durch Zuweisung zu Ärztinnen der jeweiligen Fachgebiete zu überprüfen, ist darauf hinzuweisen, dass maßgeblich für die Einstufung behinderungsrelevanter Leiden nach den Kriterien der EVO objektivierbare Funktionseinschränkungen unter Beachtung sämtlicher vorgelegter Befunde sind.

Einbezogen wurden vom befassten Sachverständigen sämtliche von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befunde, die im Übrigen nicht in Widerspruch zur gutachterlichen Beurteilung stehen und kein höheres Funktionsdefizit dokumentieren, als anlässlich der Begutachtung festgestellt wurde.

Weitere Befunde, die neue Tatsachen, noch nicht ausreichend berücksichtigte Leiden wie etwa Depressio, Fibromyalgie oder Asthma belegen könnten, wurden von der Beschwerdeführerin nicht vorgelegt.

Die Beschwerdeführerin ist dem von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es der Antragstellerin, so sie der Auffassung ist, dass ihre Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen ihrer Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden medizinischen Sachverständigengutachtens vom 02.04.2021. Dieses wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

Aufgrund der von der Beschwerdeführerin im Verfahren vorgelegten Unterlagen und einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin durch den medizinischen Sachverständigen konnte gegenwärtig kein höherer Grad der Behinderung als 30 v.H. objektiviert werden.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu Spruchpunkt A)

Zur Entscheidung in der Sache

Unter Behinderung iSd Bundesbehindertengesetz (BBG) ist gemäß dessen § 1 Abs 2 leg.cit. die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktion zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

§ 40 Abs. 1 BBG normiert, dass behinderte Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG), BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist (§ 40 Abs. 2 BBG).

Gemäß § 41 Abs. 1 BBG hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010 idF BGBl II 251/2012) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

Gemäß § 42 Abs. 1 BBG hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung BGBl II 261/2010 idF BGBl II 251/2012) lauten auszugsweise wie folgt:

§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Grad der Behinderung:

§ 2 Abs. 1 Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

Gemäß § 3 Abs. 1 der Einschätzungsverordnung ist eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

Gemäß Abs. 2 leg.cit. ist bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit diese durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Zunächst ist festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war, was im Verfahren auch unbestritten geblieben ist.

Wie oben unter Punkt II.2. ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das oben dargestellte Sachverständigengutachten vom 02.04.2021 zu Grunde gelegt, aus dem sich ein Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin von 30 v. H. ergibt.

In diesem Gutachten wird auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß ausführlich, schlüssig und widerspruchsfrei eingegangen. Der medizinische Sachverständige setzt sich mit den vorgelegten Befunden, die in dem Gutachten angeführt sind, sowie auch mit der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussungen und dem Zusammenwirken der zu berücksichtigenden objektivierten Gesundheitsschädigungen auseinander.

Die Beschwerdeführerin ist den Ausführungen des beigezogenen medizinischen Sachverständigen, denen das Bundesverwaltungsgericht folgt, im Ergebnis nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, sie hat - wie bereits oben ausgeführt - kein aktuelles Sachverständigengutachten bzw. keine sachverständige Aussage vorgelegt, in welcher in sachverhaltsbezogener und rechtlich erheblicher Form die Auffassung vertreten worden wäre, dass die Befundnahmen und Schlussfolgerungen der dem gegenständlichen Verfahren beigezogenen Sachverständigen unzutreffend oder unschlüssig seien.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Es steht jedoch der Beschwerdeführerin frei, unter Vorlage weiterer Befunde, sollte sie sich daraus ein anderes Ergebnis erwarten, einen neuen Antrag zu stellen.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag, oder wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG).

Die Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist (§ 24 Abs. 1 VwGVG).

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Nach § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK), BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Eine Verhandlung ist demnach in jenen Fällen durchzuführen, wenn ‚civil rights‘ oder ‚strafrechtliche Anklagen‘ iSd Art. 6 MRK oder die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte betroffen sind und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird (VwGH 9.9.2014, Ro 2014/09/0049).

Weiters kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten.

Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs. 1 MRK noch Art 47 GRC entgegenstehen (§ 24 Abs. 4 VwGVG).

Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung sind die Art und das Ausmaß der bei der Beschwerdeführerin festgestellten Funktionseinschränkungen im Hinblick auf deren Einschätzung des durch sie bedingten Grades der Behinderung. Im gegenständlichen Fall bildet ein medizinisches Sachverständigengutachten die Grundlage für die Beurteilung der Höhe des Gesamtgrades der Behinderung. In diesem wurden die Funktionsbeeinträchtigungen der Beschwerdeführerin nachvollziehbar, vollständig, schlüssig und widerspruchsfrei mit einem Grad der Behinderung von 30 v.H. bewertet.

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des eingeholten medizinischen Sachverständigengutachtens als geklärt anzusehen. Da die Klärung der Rechtssache durch eine eingehende Auseinandersetzung mit den Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin durch ein medizinisches Sachverständigengutachten erfolgte und bedingt durch die dort nachvollziehbaren und schlüssigen Ausführungen bedurfte es keiner weiteren Klärung der Rechtssache.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung.

Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W217.2243817.1.00

Im RIS seit

17.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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