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24/01 StrafgesetzbuchNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Kein Verstoß gegen das Gebot der rückwirkenden Anwendung milderer Strafgesetze durch eine – dem verfahrensrechtlichen Strafrecht angehörende – Verjährungsbestimmung des StGB; keine Verletzung im Gleichheitsrecht durch die strafrechtliche Übergangsregelung betreffend die Geltung der bisherigen Bestimmungen für bereits anhängige VerfahrenRechtssatz
Abweisung eines - zulässigen - Parteiantrags auf Aufhebung des §58 Abs3a StGB, idF BGBl I 112/2015, sowie des Art12 §2 StRÄG 2015, BGBl I 112/2015.
Der EGMR versteht Art7 Abs1 EMRK in seiner jüngeren Rsp auch als Gebot der rückwirkenden Anwendung milderer Strafgesetze. Der EGMR zieht auch Art49 Abs1 GRC heran, wonach bei Einführung einer milderen Strafe nach Begehung einer Straftat diese zu verhängen ist, und verweist insbesondere auf den sich von Art7 EMRK unterscheidenden Wortlaut. Der EGMR begründet das Gebot der Rückwirkung milderer Strafgesetze im Kern damit, dass dessen Nichtbeachtung darauf hinausliefe, auf der Grundlage der früheren Rechtslage weiterhin Strafen zu ermöglichen, die der Staat - und die Gemeinschaft, die er repräsentiert - nun im Sinne der neuen Rechtslage als "exzessiv" erachtet. Im selben Sinn hat der EuGH bereits vor Inkrafttreten der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesprochen, dass es ein Grundsatz des Gemeinschaftsrechts (Unionsrechts) sei, je nach Fall die günstigere Strafvorschrift und die leichtere Strafe rückwirkend anzuwenden, und dass dieser Grundsatz zu den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten gehöre. Der VfGH geht in seiner Rsp von jenem Inhalt des Art7 EMRK aus, den der EGMR zuletzt beigelegt hat. Die Regeln des Art7 EMRK über die Rückwirkung sind allerdings nur auf Bestimmungen anwendbar, die Straftaten und Strafen festlegen, während verfahrensrechtliche Vorschriften, die keinen materiell-strafrechtlichen Inhalt aufweisen, nicht von dessen Schutzbereich erfasst sind.
Im vorliegenden Fall ist somit entscheidend, ob die angefochtenen Bestimmungen des §58 Abs3a StGB und des Art12 §2 StRÄG 2015 als solche Bestimmungen des materiellen Strafrechts iSd Art7 EMRK zu qualifizieren sind. Dabei kommt es nur auf die autonome Einordnung im Lichte von Art7 Abs1 EMRK an, nicht aber auf die jeweils innerstaatliche Dogmatik.
Der EGMR hat bereits klargestellt, dass Art7 Abs1 EMRK nicht der Änderung einer Verjährungsbestimmung entgegensteht, die auf vor dem Inkrafttreten der Novelle begangene Straftaten anzuwenden ist, sofern zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der geänderten Bestimmung Verjährung noch nicht eingetreten war. Der VfGH schließt sich dieser Ansicht an. Ein allgemeines, auch die Verjährungsbestimmungen erfassendes Günstigkeitsprinzip lässt sich daher aus Art7 Abs1 EMRK nicht ableiten. Diese Überlegungen gelten gleichermaßen zur Reichweite von Art49 Abs1 GRC.
Ins Leere gehen auch die Bedenken des Antragstellers, dass die in §58 Abs3a StGB und Art12 §2 StRÄG 2015 enthaltenen Regelungen gegen den Gleichheitsgrundsatz verstießen, weil sie dazu führten, dass ein Täter, der vor dem Inkrafttreten des StRÄG 2015 eine Straftat begangen habe, strafrechtlich verfolgt werde, wenn ein Ermittlungsverfahren am 31.12.2015 eingeleitet worden sei, wohingegen ein anderer Täter, der dieselbe Tat am selben Tag begangen habe, straflos bleibe, wenn ein Ermittlungsverfahren erst am 01.01.2016 eingeleitet worden sei. Denn der VfGH hat bereits ganz allgemein festgehalten, dass Übergangsbestimmungen, wonach für alle zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes anhängigen Verfahren die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen gelten, grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich sind. Abgesehen davon ist es nicht unsachlich, die Hemmung der Verjährung an bestimmte behördliche Schritte zu knüpfen; dass es dabei zu gewissen Zufälligkeiten kommen kann, liegt in der Natur der Sache, macht die Vorschrift aber nicht gleichheitswidrig.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Strafrecht, Günstigkeitsprinzip, Verjährung, Übergangsbestimmung, Strafen, VfGH / Parteiantrag, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, StrafbemessungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:G368.2020Zuletzt aktualisiert am
17.09.2021