TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/6 I403 2148604-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.08.2020
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Entscheidungsdatum

06.08.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I403 2148603-1/16E
I403 2148604-1/14E
I403 2148605-1/15E
I403 2192163-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerden

von XXXX , geb. am XXXX

von XXXX , geb. am XXXX ,

von XXXX , geb. am XXXX , gesetzlich vertreten durch XXXX , und

von Yaser XXXX , geb. am XXXX , gesetzlich vertreten durch XXXX

alle irakische Staatsbürger und vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich,

gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.01.2017, Zl. XXXX , XXXX , Zl. XXXX und vom 19.03.2018 ZI. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.08.2020 zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Verfahren von XXXX (Erstbeschwerdeführer), seiner Ehefrau XXXX (Zweitbeschwerdeführerin) sowie ihrer minderjährigen Tochter XXXX und ihres minderjährigen Sohnes Yaser XXXX , alle Staatsangehörige des Irak, sind im Sinne des § 34 AsylG 2005 gemeinsam als Familienverfahren zu führen.

2. Die Beschwerdeführer (mit Ausnahme des nachgeborenen Viertbeschwerdeführers, für den am 10.11.2017 ein Antrag gestellt wurde) stellten am 29.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

3. Mit Bescheiden der belangten Behörde vom 25.01.2017 (für den Viertbeschwerdeführer vom 19.03.2018) wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (jeweils Spruchpunkt I.). Zugleich wurde ihnen der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 zuerkannt (jeweils Spruchpunkt II.) und ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide).

4. Gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide wurde fristgerecht am 21.02.2017 (bzw. für den Viertbeschwerdeführer am 10.04.2018) Beschwerde erhoben.

5. Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes wurde der Akt der Gerichtsabteilung der erkennenden Richterin am 28.04.2020 zugewiesen.

6. Am 03.08.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit der Beschwerdeführer und ihrer Rechtsvertretung abgehalten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Beschwerdeführern und ihrem Vorbringen:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige des Irak. Es handelt sich bei ihnen um einen volljährigen Mann (Erstbeschwerdeführer), seine volljährige Ehefrau (Zweitbeschwerdeführerin) sowie ihre zwei gemeinsamen Kinder (die minderjährige Drittbeschwerdeführerin und der minderjährige Viertbeschwerdeführer). Die Beschwerdeführer gehören der Volksgruppe der Araber an und stammen aus Bagdad. Die Zweitbeschwerdeführerin bekennt sich zum sunnitisch-moslemischen Glauben, die anderen Beschwerdeführer zum schiitisch-moslemischen Glauben.

Die Beschwerdeführer (mit Ausnahme des in Österreich geborenen Viertbeschwerdeführers) verließen den Irak im Dezember 2015 und stellten am 28.12.2015 (bzw. im Fall des Viertbeschwerdeführers am 10.11.2017) einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie sind in Österreich subsidiär schutzberechtigt.

Vor ihrer Ausreise lebten der Erstbeschwerdeführer, die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin mit der Mutter des Erstbeschwerdeführers und der Familie seines Bruders gemeinsam in einem Haus in Bagdad.

Soweit die Beschwerdeführer behaupten, dass sie in Bagdad aufgrund ihrer sunnitisch-schiitischen Mischehe Verfolgung durch schiitische Milizen zu befürchten hätten, ist dies nicht glaubhaft. Es steht fest, dass keine Anhänger einer solchen Miliz in ihr Haus in Bagdad eingedrungen sind, dass ihnen kein Geld und Schmuck entwendet wurde und dass ihnen auch keine Frist gesetzt wurde, um 20.000 US-Dollar bezahlen zu müssen bzw. die Scheidung zu vollziehen.

Die Zweitbeschwerdeführerin gehört der muslimischen Glaubensgemeinschaft sunnitischer Glaubensrichtung an. Als solche ist sie zwar in Bagdad im Verhältnis zu den Angehörigen der schiitischen Glaubensgemeinschaft in der Minderheit, jedoch konnte eine systematische Verfolgung und Diskriminierung der Sunniten im Irak durch staatliche Stellen oder Privatpersonen im Lichte der vorliegenden aktuellen Länderberichte nicht festgestellt werden. Im Parlament und auch generell auf politischer Ebene sind Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft vertreten. Sunniten nehmen, trotz der überwiegenden Präsenz schiitischer Milizen, am gesellschaftlichen und politischen Leben im Irak bzw. in Bagdad nach wie vor teil. Auch wenn die Kriegsgeschehnisse der vergangenen Jahre zu starken Ressentiments der Glaubensgruppen untereinander geführt haben, welche sich in Bagdad schließlich auch in die Bildung von „sunnitischen“ und von „schiitischen“ Vierteln niedergeschlagen hat, ist es für Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft dennoch möglich, im Irak zu leben, zu arbeiten, staatliche und politische Posten zu besetzen und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Eine Verfolgung der Drittbeschwerdeführerin oder des Viertbeschwerdeführers im Irak bzw. eigene Fluchtgründe wurden nicht behauptet.

1.2. Zur Situation im Irak:

1.2.1. Zu den Milizen im Irak:

Der Name „Volksmobilisierungskräfte“ (al-hashd al-sha‘bi, engl.: popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF oder popular mobilization units, PMU), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa 40 bis 70 Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017; vgl. FPRI 19.8.2019; Clingendael 6.2018; Wilson Center 27.4.2018). Die PMF wurden vom schiitischen Groß-Ayatollah Ali As-Sistani per Fatwa für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) ins Leben gerufen (GIZ 1.2020a; vgl. FPRI 19.8.2019; Wilson Center 27.4.2018) und werden vorwiegend vom Iran unterstützt (GS 18.7.2019). PMF spielten eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung des IS (Reuters 29.8.2019). Die Niederlage des IS trug zur Popularität der vom Iran unterstützten Milizen bei (Wilson Center 27.4.2018).

Die verschiedenen unter den PMF zusammengefassten Milizen sind sehr heterogen und haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat. Sie werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Die pro-iranischen schiitischen Milizen, die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen, und die nicht schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen „Widerstandseinheiten Schingal“. Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere „Minderheiten-Einheiten“ der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 11.3.2020; vgl. Clingendael 6.2018). In einigen Städten, vor allem in Gebieten, die früher vom IS besetzt waren, dominieren PMF die lokale Sicherheit. In Ninewa stellen sie die Hauptmacht dar, während die reguläre Armee zu einer sekundären Kraft geworden ist (Reuters 29.8.2019).

Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten, wie dem Iran oder Saudi-Arabien, unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mossul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.1.2019). Vertreter und Verbündete der PMF haben Parlamentssitze inne und üben Einfluss auf die Regierung aus (Reuters 29.8.2019).

Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.1.2019; vgl. FPRI 19.8.2019). Leiter der PMF-Dachorganisation, der al-Hashd ash-Sha‘bi-Kommission, ist Falah al-Fayyad, dessen Stellvertreter Abu Mahdi al-Mohandis eng mit dem Iran verbunden war (Al-Tamini 31.10.2017). Viele PMF-Brigaden nehmen Befehle von bestimmten Parteien oder konkurrierenden Regierungsbeamten entgegen, von denen der mächtigste Hadi Al-Amiri ist, Kommandant der Badr Organisation (FPRI 19.8.2019). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen sie, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten des Assad-Regimes in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind (USDOS 13.3.2019).

Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und den iranischen Revolutionsgarden. Es ist keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch den Premierminister und die ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderung in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 13.3.2019).

In vielen der irakischen Sicherheitsoperationen übernahm die PMF eine Führungsrolle. Als Schnittstelle zwischen dem Iran und der irakischen Regierung gewannen sie mit der Zeit zunehmend an Einfluss (GS 18.7.2019).

Am 1.7.2019 hat der irakische Premierminister Adel Abdul Mahdi verordnet, dass sich die PMF bis zum 31.7.2019 in das irakische Militär integrieren müssen (FPRI 19.8.2019; vgl. TDP 3.7.2019; GS 18.7.2019), oder entwaffnet werden müssen (TDP 3.7.2019; vgl GS 18.7.2019). Es wird angenommen, dass diese Änderung nichts an den Loyalitäten ändern wird, dass aber die Milizen aufgrund ihrer nun von Bagdad bereitgestellte Uniformen nicht mehr erkennbar sein werden (GS 18.7.2019). Einige Fraktionen werden sich widersetzen und versuchen, ihre Unabhängigkeit von der irakischen Regierung oder ihre Loyalität gegenüber dem Iran zu bewahren (FPRI 19.8.2019). Die Weigerung von Milizen, wie der 30. Brigade bei Mossul, ihre Posten zu verlassen, weisen auf das Autoritätsproblem Bagdads über diese Milizen hin (Reuters 29.8.2019).

Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa‘ib Ahl al-Haqq und den Kata’ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen bezüglich Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF (AA 12.1.2019).

Die PMF gehen primär gegen Personen vor, denen eine Verbindung zum IS nachgesagt wird, bzw. auch gegen deren Familienangehörigen. Betroffen sind meist junge sunnitische Araber und in einer Form der kollektiven Bestrafung sunnitische Araber im Allgemeinen. Es kann zu Diskriminierung, Misshandlungen und auch Tötungen kommen (DIS/Landinfo 5.11.2018; vgl. USDOS 21.6.2019). Einige PMF gehen jedoch auch gegen ethnische und religiöse Minderheiten vor (USDOS 11.3.2020).

Die PMF sollen, aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten, die Fähigkeit haben jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Politische und wirtschaftliche Gegner werden unabhängig von ihrem konfessionellen oder ethnischen Hintergrund ins Visier genommen. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass die PMF über die Fähigkeit verfügen, in der Kurdischen Region im Irak (KRI) zu operieren. Dementsprechend gehen sie nicht gegen Personen in der KRI vor. Nach dem Oktober 2017 gab es jedoch Berichte über Verstöße von PMF-Angehörigen gegen die kurdischen Einwohner in Kirkuk und Tuz Khurmatu, wobei es sich bei den angegriffenen zumeist um Mitglieder der politischen Partei KDP und der Asayish gehandelt haben soll (DIS/Landinfo 5.11.2018).

Geleitet wurden die PMF von Jamal Jaafar Mohammad, besser bekannt unter seinem Nom de Guerre Abu Mahdi al-Mohandis, einem ehemaligen Badr-Kommandanten, der als rechte Hand von General Qasem Soleimani, dem Chef der iranischen Quds-Brigaden fungierte (GS 18.7.2019). Am 3.1.2020 wurden Abu Mahdi Al-Muhandis und Generalmajor Qassem Soleimani bei einem US-Drohnenangriff in Bagdad getötet (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Als Rechtfertigung diente unter anderem ein Raketenangriff, der der Kataib-Hezbollah (KH) zugeschrieben wurde, auf einen von US-Soldaten genutzten Stützpunkt in Kirkuk, bei dem ein Vertragsangestellter getötet wurde (MEMO 21.2.2020). Infolge dessen kam es innerhalb der PMF zu einem Machtkampf zwischen den Fraktionen, die einerseits dem iranischen Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, andererseits dem irakischen Großayatollah Ali as-Sistani nahe stehen (MEE 16.2.2020).

Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei ernannte Brigadegeneral Esmail Ghaani als Nachfolger von Soleimani (Al Monitor 23.2.2020). Am 20.2.2020 wurde Abu Fadak Al-Mohammedawi zum neuen stellvertretenden Kommandeur der PMF ernannt (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Vier PMF-Fraktionen, die dem schiitischen Kleriker Ayatollah Ali as-Sistani nahe stehen, haben sich gegen die Ernennung Mohammadawis ausgesprochen und alle PMF-Fraktionen aufgefordert, sich in die irakischen Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Premierministers zu integrieren (Al Monitor 23.2.2020).

Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des „Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak“ gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war [Anm. der „Oberste Rat für die Islamische Revolution im Irak“ wurde später zum „Obersten Islamischen Rat im Irak“ (OIRI), siehe Abschnitt „Politische Lage“]. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft der PMF. Sie ist besonders mächtig, weil sie die Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen (Süß 21.8.2017). Die Badr-Organisation besteht offiziell aus elf Brigaden, kontrolliert aber auch einige weitere Einheiten (FPRI 19.8.2019). Zu Badr und seinen Mitgliedsorganisationen gehören Berichten zufolge die 1., 3., 4., 5., 9., 10., 16., 21., 22., 23., 24., 27., 30., 52., 55. und 110. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017). Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und ist Miliz und politische Partei in einem (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center 27.4.2018). Bei den Wahlen 2018 bildete die Badr-Organisation gemeinsam mit Asa‘ib Ahl al-Haqq und Kata‘ib Hizbullah die Fatah-Koalition (Wilson Center 27.4.2018), die 48 Sitze gewann (FPRI 19.8.2019), 22 davon gewann die Badr-Organisation (Wilson Center 27.4.2018). Viele Badr-Mitglieder waren Teil der offiziellen Staatssicherheitsapparate, insbesondere des Innenministeriums und der Bundespolizei (FPRI 19.8.2019). Die Badr-Organisation strebt die Erweiterung der schiitischen Macht in den Sicherheitskräften an, durch Wahlen und durch Eindämmung sunnitischer Bewegungen (Wilson Center 27.4.2018). Badr-Mitglieder und andere schiitische Milizen misshandelten und misshandeln weiterhin sunnitisch-arabische Zivilisten, insbesondere Sunniten im ehemaligen IS-Gebiet (FPRI 19.8.2019).

Die Kata’ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hezbollah Brigades) wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und bis zu seinem Tode 2019 auch angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist (Süß 21.8.2017). Kata’ib Hizbullah bilden die 45. der PMF-Brigaden (Wilson Center 27.4.2018). Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von mindestens 400 bis zu 30.000 Mann (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center). Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der PMF. Kata’ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017). Ihr Anführer Jamal Jaafar Ibrahimi alias Abu Mahdi al Muhandis war auch stellvertretender Leiter der al-Hashd ash-Sha‘bi-Kommission (Al-Tamini 31.10.2017).

Die Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH; Liga der Rechtschaffenen oder Khaz‘ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz‘ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak (Süß 21.8.2017). Sie ist eine Abspaltung von As-Sadrs Mahdi-Armee und im Gegensatz zu As-Sadr pro-iranisch (Clingendael 6.2018). Asa‘ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern (Süß 21.8.2017). Asa‘ib Ahl al-Haqq bildet die 41., 42. und 43. der PMF-Brigaden (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017). Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata’ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierungskräfte, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Qais al Khaz‘ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center 27.4.2018).

Die Harakat Hezbollah al Nujaba (HHN, Bewegung der Partei der Edlen Gottes) ist ein Ableger von Kata’ib Hizbullah und Asa‘ib Ahl al-Haqq, die 2013 zur Unterstützung des Assad Regimes in Syrien von Sheikh Akram al Ka‘abi gegründet wurde. Die pro-iranische HHN hat eigenen Angaben zufolge etwa 9.000 Kämpfer, von denen einige nach wie vor in Syrien aktiv sind. Sie stellt die 12. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017).

Die Kata‘ib Sayyid al Shuhada (KSS, Meister der Märtyrerbrigade), ist eine Miliz, die im Mai 2013 gegründet wurde, um an der Seite des Assad-Regimes in Syrien zu kämpfen. Nach dem Aufstieg des IS im Jahr 2014 dehnte die KSS ihre Operationen auf den Irak aus und war insbesondere im Gouvernement Salah ad-Din, aber auch in Anbar und Ninewa aktiv. Geschätzt auf über 2.000 Kämpfer im Jahr 2017, wird die KSS von den Iranischen Revolutionsgarden (Islamic Revolutionary Guards Corps, IRGC) unterstützt und finanziert (Wilson Center 27.4.2018). Sie stellt die 14. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017).

Die Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa von Großayatollah Ali as-Sistani, in der alle junge Männer dazu aufgerufen wurden, sich im Kampf gegen den IS den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten im Irak anzuschließen, von Muqtada as-Sadr gegründet. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden (Süß 21.8.2017). Die Saraya as-Salam sind der militärische Arm der Sairoun Partei (Allianz für Reformen, Marsch in Richtung Reform). Diese ist eine multiethnische, nicht-konfessionelle (wenn auch meist schiitische), parlamentarische Koalition, die sich aus anti-iranischen Schiiten-Parteien, der Kommunistischen Partei und einigen anderen kleineren Parteien zusammensetzt (FPRI 19.8.2019). Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann. Ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017). Die Saraya as-Salam bilden mindestens drei Brigaden und stellen damit das zweitgrößte Kontingent der PMF. Muqtada as-Sadr verkündete, dass die Saraya as-Salam-Brigaden die Durchführungsverordnung von Premierminister Mahdi sofort annehmen würden und fortan nur noch unter den ihnen zugeteilten Nummern, 313, 314 und 315, bekannt sein würden. Es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass Sadr auch weiterhin großen Einfluss auf diese Milizen haben wird (FPRI 19.8.2019). Es wird angenommen, dass schätzungsweise 15.000 weitere seiner Kämpfer außerhalb der PMF-Brigaden organisiert sind (Wilson Center 27.4.2018).

Auch die Kata’ib al-Imam Ali (KIA, Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center 27.4.2018). Sie ist den PMF als 40. Brigade beigetreten (Wilson Center 27.4.2018). Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl al-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr-Bewegung. Zaidi stand in engem Kontakt zu Muhandis (bis zu dessen Tod) und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, den Kata’ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feldkommandeur Abu Azra‘el erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017). Kata’ib al-Imam Ali hat im Dezember 2014 die kleine syriakische (Anm.: aramäisch- assyrisch) Christenmiliz Kata‘ib Roh Allah Issa Ibn Miriam (Die Brigade vom Geist Gottes, Jesus, Sohn der Maria) gegründet und ausgebildet (Wilson Center 27.4.2018).

Rechtsstellung und Aktivitäten der PMF

Obwohl das Milizenbündnis der PMF unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).

Die PMF genießen auch breite Unterstützung in der irakischen Bevölkerung für ihre Rolle im Kampf gegen den Islamischen Staat nach dem teilweisen Zusammenbruch der irakischen Armee im Jahr 2014 (TDP 3.7.2019). Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen, wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht (Süß 21.8.2017).

Einige PMF haben sich Einkommensquellen erschlossen, die sie nicht aufgeben wollen, darunter Raub, Erpressung und Altmetallbergung (FPRI 19.8.2019). Es wird angenommen, dass die PMF einen Teil der lokalen Wirtschaft in Ninewa kontollieren, was von diesen zurückgewiesen wird (Reuters 29.8.2019). Im Norden und Westen des Irak haben Amtspersonen und Bürger über Schikanen durch PMF-Milizen und deren Eingreifen in die Stadtverwaltungen und das alltägliche Leben berichtet. Damit geht der Versuch einher, bisweilen unter Einsatz von Demütigungen und Prügel, Kontrolle über Bürgermeister, Distrikt-Vorsteher und andere Amtsträger auszuüben (ACCORD 11.12.2019). In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, klagen Einheimische, dass sich die PMF gesetzwidrig und unverhohlen parteiisch verhalten. In Mossul beispielsweise behaupteten mehrere Einwohner, dass die PMF weit davon entfernt seien, Schutz zu bieten, und durch Erpressung oder Plünderungen illegale Gewinne erzielten. PMF-Kämpfer haben im gesamten Nordirak Kontrollpunkte errichtet, um Zölle von Händlern einzuheben. Auch in Bagdad wird von solchen Praktiken berichtet. Darüber hinaus haben die PMF auch die Armee in einigen Gebieten verstimmt. Zusammenstöße zwischen den PMF und den regulären Sicherheitskräften sind häufig. Auch sind Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen der PMF weitverbreitet. Die Rivalität unter den verschiedenen Milizen ist groß (ICG 30.7.2018).

Neben der Finanzierung durch den irakischen sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf – mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem so hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen – oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind und waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind (Posch 8.2017).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/document/2021156.html, Zugriff 13.3.2020

- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

- Al-Tamini - Aymenn Jawad Al-Tamimi (31.10.2017): Hashd Brigade Numbers Index, http://www.aymennjawad.org/2017/10/hashd-brigade-numbers-index, Zugriff 13.3.2020

- Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (6.2018): Power in perspective:Four key insights into Iraq’s Al-Hashd al-Sha’abi, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-06/PB_Power_in_perspective.pdf, Zugriff 13.3.2020

- DIS/Landinfo - Danish Immigration Service; Norwegian Country of Origin Information Center (5.11.2018): Northern Iraq: Security situation and the situation for internally displaced persons (IDPs) in the disputed areas, incl. possibility to enter and access the Kurdistan Region of Iraq (KRI), https://www.ecoi.net/en/file/local/1450541/1226_1542182184_iraq-report-security-idps-and-access-nov2018.pdf, Zugriff 13.3.2020

- ICG - International Crisis Group (30.7.2018): Iraq’s Paramilitary Groups: The Challenge of Rebuilding a Functioning State, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/188-iraqs-paramilitary-groups-challenge-rebuilding-functioning-state, Zugriff 13.3.2020

- FPRI - Foreign Policy Research Institute (19.8.2019): The Future of the Iraqi Popular Mobilization Forces, https://www.fpri.org/article/2019/08/the-future-of-the-iraqi-popular-mobilization-forces/, Zugriff 13.3.2020

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020

- GS - Global Security (18.7.2019): Hashd al-Shaabi / Hashd Shaabi, Popular Mobilisation Units / People’s Mobilization Forces, https://www.globalsecurity.org/military/world/para/hashd-al-shaabi.htm, Zugriff 13.3.2020

- MEE - Middle East Eye (16.2.2020): Iran and Najaf struggle for control over Hashd al-Shaabi after Muhandis's killing, https://www.middleeasteye.net/news/iran-and-najaf-struggle-control-over-hashd-al-shaabi-after-muhandis-killing, Zugriff 13.3.2020

- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

- Posch, Walter (8.2017): Schiitische Milizen im Irak und in Syrien –Volksmobilisierungseinheiten und andere, per E-mail

- Reuters (29.8.2019): Baghdad's crackdown on Iran-allied militias faces resistance, https://www.reuters.com/article/us-iraq-militias-usa/baghdads-crackdown-on-iran-allied-militias-faces-resistance-idUSKCN1VJ0GS, Zugriff 13.3.2020

- Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 13.3.2020

- TDP - The Defense Post (3.7.2019): Mahdi orders full integration of Shia militias into Iraq’s armed forces, https://thedefensepost.com/2019/07/03/iraq-mahdi-orders-popular-mobilization-units-integration/, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

- Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff 13.3.2020

Zusammenfassung der Quellen in BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 17. April 2020,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2028416/IRAK_LIB_2020_03_17_KE.odt (Zugriff am 5. August 2020)

1.2.2. Zu schiitischen Milizen in Bagdad:

Die Quellen deuten auf mehrere Wirkungsfelder der Milizen in Bagdad hin. Sie konkurrieren mit offiziellen Sicherheitskräften, haben Mitglieder beziehungsweise Verbündete in wichtigen politischen Ämtern und sind teilweise für Übergriffe auf StadtbewohnerInnen verantwortlich:

Laut dem EASO-Bericht zur Sicherheitslage im Irak vom März 2019 befinden sich die Stadt Bagdad und ihre Vororte generell unter staatlicher Kontrolle, in der Praxis teilen sich jedoch die Behörden die Bereiche Verteidigung und Strafverfolgung mit den zumeist schiitischen PMF, was zu unvollständiger oder sich mit den Milizen überschneidender Kontrolle führt (EASO, März 2019, S. 75xxi).

Im Juni 2018 berichtet das Long War Journal (LWJ) über Zusammenstöße zwischen Mitgliedern der irakischen Polizei und Kämpfern der irakischen Hisbollah-Brigaden (Kata’ib Hisbollah) in Bagdad. Bei dem Schusswechsel sind laut Angaben einer anonymen Quelle aus Sicherheitskreisen mindestens drei Personen verletzt worden (LWJ, 21. Juni 2018xxii).

Im August 2018 räumen Asa’ib Ahl al-Haqq ein, dass rund 50 ihrer Milizkämpfer in Bagdad Verbrechen, darunter Plünderung, Erpressung, Entführungen und Morde verübt haben, um an Geld zu gelangen (Yaqein, 6. August 2018xxiii).

Der irakische Innenminister gibt im Oktober 2018 bekannt, seine Mitgliedschaft in der Badr-Organisation auszusetzen. Zuvor hat der schiitische Kleriker Muqtada Al-Sadr verkündet, dass die Ministerien für Inneres und Verteidigung von unabhängigen Personen geleitet werden sollten (Erem News, 20. Oktober 2018xxiv).

Al-Arabiya bezeichnet im Dezember 2018 den gerade vom Provinzrat gewählten Provinzgouverneur von Bagdad als Person mit Naheverhältnis zur Miliz Kata’ib Hisbollah (Al-Arabiya, 23. Dezember 2018xxv).

Im Jänner 2019 wird in Sadr City ein Restaurantbesitzer von einem Angreifer auf einem Motorrad erschossen. Zuvor ist laut Rudaw der Vorwurf an die PMF, für Verbrechen wie Erpressung, Entführung und Tötungen verantwortlich zu sein, nur verhalten vonseiten von Menschenrechtsorganisationen und BewohnerInnen sunnitischer Stadtteile geäußert worden. Dieses Mal hat jedoch ein Medium, das dem schiitischen Parteienblock Al-Hikma nahesteht, berichtet, dass der Täter später gefasst wurde und er Papiere bei sich trug, die dessen Mitgliedschaft bei Asa’ib Ahl al-Haqq bestätigen. Führende Mitglieder von Asa’ib Ahl al-Haqq lehnen diese Berichterstattung scharf ab und sehen sich als Opfer einer Verleumdungskampagne (Rudaw, 11. Jänner 2019; Al-Araby Al-Jadeed, 11. Jänner 2019).

Im Februar 2019 verweist Middle East Monitor (MEMO)xxvi unter Berufung auf Informationen der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu auf eine Operation der Sicherheitskräfte in Bagdad, bei der vier Stützpunkte der PMF durchsucht und geschlossen wurden (MEMO, 8. Februar 2019). Im Februar 2019 kommt es innerhalb der PMF-Strukturen in Bagdad zu Auseinandersetzungen, was eine Welle von Festnahmen und Schließungen von PMF-Stützpunkten zufolge hat. Mehrere Stützpunkte der Abu Fadl Al-Abbas-Miliz sind von den Schließungen betroffen, der Aufenthaltsort des Anführers ist unbekannt. Die Durchsuchungen erfolgen, nachdem die Führung der Abu Fadl Al-Abbas-Miliz bestimmte Kräfte für die Ermordung eines Schriftstellers verantwortlich gemacht hat (Al-Araby Al-Jadeed, 8. Februar 2019).

Im Mai belagern zum Präsidentenregiment gehörende Sicherheitskräfte einen PMF-Stützpunkt in Bagdad im Stadtteil Dschadiriya und fordern die PMF dazu auf, ihren Stützpunkt zu verlassen (Al-Sumaria, 23. Mai 2019xxvii).

Laut einer Meldung auf Sumer Newsxxviii vom Juni 2019 ruft der Provinzrat von Bagdad dazu auf, die PMF zu Hilfe zu nehmen, um den Bagdad-Gürtel zu sichern (Sumer News, 9. Juni 2019).

Im Dezember 2019 greifen bei gegen die Regierung gerichteten Protesten in Bagdad nicht identifizierte Milizen DemonstrantInnen an, wobei Dutzende getötet werden. Laut Angaben eines Koordinators der Proteste trugen ein paar Angreifer, die von DemonstrantInenn gefangen genommen wurden, Ausweise der Kata’ib Hisbollah bei sich. (Al-Monitor, 6. Dezember 2019)

Anfang Februar 2020 setzt Muqtada Al-Sadr paramilitärische Gruppen, die auch „Blaue Schirmmützen“ genannt werden, ein, um Protestlager um den Tahrir-Platz in Bagdad gewaltsam zu überfallen und einzunehmen. Sadrs Miliz Saraya Al-Salam nimmt ebenfalls einen symbolträchtigen Patz der Protestbewegung ein. (FPRI, März 2020, S. 17)

Quelle:

ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, 27. April 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2028772.html (Zugriff am 5. August 2020)

1.2.3. Zu gemischten Ehen im Irak:

Zusammenfassung:

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass in Ländern mit großem schiitischem Bevölkerungsanteil, wie Irak und Libanon, sunnitisch-schiitische Ehen üblich sind. Das Thema der „Sushi-Kinder“ – eine Referenz für die Nachkommen von sunnitisch-schiitischen Ehen – bleibt für viele ein sensibles Thema. Die BBC-Monitoring-Journalistin Mina al-Lami, die im Irak als Kind eines sunnitisch-schiitisch gemischten Ehepaares geboren wurde, sagt, dass es im Irak üblich war und noch immer ist, ein Elternteil jeder Konfession zu haben, besonders in gemischten Gegenden wie der Hauptstadt Bagdad. Als sie dort aufwuchs, wusste sie bis in ihre frühen 20er nicht einmal, dass es zwei verschiedene Konfessionen gab. Gemischte Ehen zwischen Sunniten und Schiiten waren einmal sehr üblich, sind es jedoch jetzt nicht mehr in demselben Ausmaß. Am Ende der Dokumentation [„Why can‘t I be a Sushi“, in der die Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten thematisiert werden] wird eine Familie gezeigt, in der die Ehefrau Schiitin und der Ehemann Sunnit ist. Als diese gefragt wurden, welche Konfession dadurch ihr Sohn hat, meinten sie, er sei Muslim und sie würden ihn weder der einen noch der anderen Gruppe zuordnen.

Einzelquellen:

Der öffentlich-rechtliche britische Nachrichtensender BBC News veröffentlichte auf seiner Webseite im Juni 2016 einen Artikel in dem berichtet wird, dass sunnitisch-schiitische Ehen in Ländern mit großem schiitischem Bevölkerungsanteil, wie Irak und Libanon, üblich sind, während sie in Ländern wie Ägypten oder in Saudi Arabien, das von Sunniten regiert wird, eher selten sind. Das Thema der „Sushi-Kinder“ – eine Referenz für die Nachkommen von sunnitisch-schiitischen Ehen – bleibt für viele ein sensibles Thema. Die BBC Monitoring Journalistin Mina al-Lami, die im Irak als Kind eines sunnitisch-schiitisch gemischten Ehepaares geboren wurde, sagt, dass es im Irak üblich war und noch immer ist, ein Elternteil jeder Konfession zu haben, besonders in gemischten Gegenden wie der Hauptstadt Bagdad. Als sie dort aufwuchs wusste sie bis in ihre frühen 20er nicht einmal, dass es zwei verschiedene Konfessionen gibt.
[…] Sunni-Shia marriages illustrate the sensitivity of the sectarian divide in some countries.

While such unions are common in countries with large Shia populations like Iraq and Lebanon, they are rare in Egypt and Sunni-ruled Saudi Arabia.

The subject of "Sushi" children - a reference to the offspring of Sunni-Shia marriages - remains a sensitive topic for many. […]

BBC Monitoring journalist Mina al-Lami, who was born in Iraq into a Sunni-Shia inter-marriage, says that having a parent from each sect was and continues to be common in Iraq, especially in mixed areas like the capital Baghdad.

"Growing up there, I didn't even know there were two different sects until my early 20s," Mina says. While Sunni-Shia marriages have dropped in Iraq after 2003 given sectarian tensions, they are still not unusual, she adds. […]

BBC News (18.6.2016): ‚Sushi‘ children defy Sunni-Shia divide, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-36528536,Zugriff 27.3.2017

Die unabhängig finanzierte Online-Nachrichtenorganisation Middle East Eye (MEE), die Artikel freiberuflicher Journalisten und Beiträge von Think Tanks veröffentlich, schreibt in einem Artikel vom Mai 2016, dass der britische Politiker Goerge Galloway betonte, dass Ehen zwischen Schiiten und Sunniten im Irak und Syrien einmal sehr üblich waren und den Beweis dafür liefern, dass es die konfessionell motivierten Konflikte zwischen den beiden Gruppierungen nicht immer gab. Jene, „die Länder wie den Irak und Syrien zerstören wollen“, sind diejenigen, die die Spaltung verursachen. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten, und diese hat es immer gegeben, aber im Irak bekämpfte sich die Bevölkerung deswegen nicht. Gemischte Ehen zwischen Sunniten und Schiiten waren einmal sehr üblich, sind es jedoch jetzt nicht mehr in demselben Ausmaß. Am Ende der Dokumentation [„Why can‘t I be a Sushi“, in der die Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten thematisiert werden] wird eine Familie gezeigt, in der die Ehefrau Schiitin und der Ehemann Sunnit ist. Als diese gefragt wurden, welche Konfession dadurch ihr Sohn hat, meinten sie, er sei Muslim und sie würden ihn weder der einen noch der anderen Gruppe zuordnen.
[…] Several of the people interviewed, including British politician George Galloway, indicated that the tensions are related far more to politics than theological differences.

Galloway pointed out that intermarriage between Shias and Sunnis was at one point extremely common in Iraq and Syria and is evidence of the fact that there was not always sectarian hostility between the two groups. He argued that "those who wish to destroy" countries like Syria and Iraq, are the ones causing the rift.

"Outsiders who invaded Iraq and occupied it, deliberately widened the differences between Sunni and Shia for their own ends. They wanted to keep Iraqis divided so that they could steal... steal Iraq's oil, steal Iraq's money, it's wealth and it's future. Of course there are differences between Sunni and Shia, and there have always been, but in Iraq people never fought each other [over] these things. In fact, intermarriage with Sunnis and Shias... joining their families together, was very common in Iraq. Much less common now."

Galloway also maintained that the same thing is now happening in Syria. "Those who wish to destroy Syria are making the tension between Sunnis and Shia much worse, and they hope, by dividing the Syrian people, to steal Syria away from them." […]

The documentary ends with the two sisters meeting a family in which the wife, Dr Yusra Al-Mukhtar, is Shia, and the husband, Al-Hassan Yasin, is Sunni. When asked what that makes their son, the husband, Yasin answered, “I guess it makes him Muslim, which is the way we agreed to raise him. We decided that we wouldn’t want to label him one thing or another."

With regards to their daily lives and how their different beliefs manifest themselves, they responded, “The commonalities are far more than the differences”. […]

MEE - Middle East Eye (4.5.2016): ‚Why cant‘t I be a Sushi?‘ Making sense of the Sunni-Shia divide, http://www.middleeasteye.net/in-depth/features/why-cant-i-be-sushi-making-sense-sunni-shia-divide-1803105341, Zugriff 27.3.2017

Quelle:

BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Konfessionell gemischte Ehen, 28. März 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397030/5209_1490946271_irak-mr-konfessionell-gemischte-ehen-2017-03-28-ke.doc (Zugriff am 5. August 2020)

Während früher gemischte Ehen sehr häufig waren, sind diese in den letzten Jahren rückläufig. Insbesondere Frauen in ländlichen Gebieten und aus Arbeiterfamilien könnten Repressionen ausgesetzt sein, wenn sie sich für eine interkonfessionelle Ehe entscheiden (UNHCR, Considerations 81)

Quelle:

UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019.

1.2.4. Zur Behandlung von Sunniten im Irak:

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es den sunnitischen Arabern weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt (AA 12.1.2019). Bei willkürlichen Verhaftungen meist junger sunnitischer Männer wird durch die Behörden auf das Anti-Terror-Gesetz verwiesen, welches das Recht auf ein ordnungsgemäßes und faires Verfahren vorenthält (USDOS 21.6.2019). Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 12.1.2019).

Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, PMF und Peshmerga (USDOS 11.3.2020). Noch für das Jahr 2018 gibt es Hinweise auf außergerichtliche Hinrichtungen von sunnitischen Muslimen in und um Mossul (USCIRF 4.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020

Zusammenfassung der Quellen in BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 17. April 2020,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2028416/IRAK_LIB_2020_03_17_KE.odt (Zugriff am 5. August 2020)

Zugleich stellt EASO fest, dass alleine die Zugehörigkeit zur sunnitischen Gemeinschaft noch nicht ausreicht, um eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zu begründen (EASO, Guidance 53).

Quelle:

EASO, Country Guidance: Iraq (Juni 2019).

2. Beweiswürdigung:

Die erkennende Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes und der vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt. Überdies wurde am 03.08.2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit der Beschwerdeführer und ihrer Rechtsvertretung abgehalten.

2.2. Zu den Beschwerdeführern und ihrem Vorbringen:

Die Feststellungen zu ihrer Herkunft, ihrer Religionszugehörigkeit und ihren Wohnverhältnissen im Irak ergeben sich aus den diesbezüglich konsistenten und schlüssigen Angaben der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde und dem Gericht. Ihr Status als subsidiär Schutzberechtigte ergibt sich aus den angefochtenen Bescheiden und einem Auszug des Zentralen Fremdenregisters bzw. den in der Verhandlung vorgelegten Aufenthaltsberechtigungskarten.

Dass es nicht glaubhaft ist, dass die Beschwerdeführer in Bagdad aufgrund ihrer Ehe über die schiitisch-sunnitischen Glaubensgrenzen hinweg von schiitischen Milizen zu Hause aufgesucht und bedroht worden wären, ergibt sich aus den widersprüchlichen Aussagen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin, welche im Folgenden dargelegt werden:

Der Erstbeschwerdeführer schilderte den Vorfall, der die Familie zur Ausreise veranlasst hätte, in der Einvernahme durch die belangte Behörde am 20.01.2017 dahingehend, dass eines Nachts zwischen Mitternacht und ein Uhr früh im Haus der Familie (in welchem neben ihm die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin, die Mutter des Erstbeschwerdeführers und sein Bruder mit Familie wohnten) angeklopft worden sei, als er gerade im Wohnzimmer ferngesehen habe. Er habe die Tür geöffnet, woraufhin fünf Angehörige einer schiitischen Miliz hereingestürmt wären. Die Milizangehörigen seien nach oben gegangen und hätten die Zweitbeschwerdeführerin und die Schwägerin des Erstbeschwerdeführers nach unten geholt und dann alle im Wohnzimmer versammelt.

Im Gegensatz dazu meinte der Erstbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung am 03.08.2020, dass er gemeinsam mit seiner Frau, seiner Mutter und seinem Bruder im Gästezimmer ferngesehen habe, als plötzlich drei Personen in das Haus eingedrungen seien. Seine Schwägerin habe vom oberen Stock gefragt, was los sei und ihr sei aufgetragen worden herunterzukommen. Bereits in diesen Aussagen treten massive Widersprüche zutage: Während er 2017 immer wieder von fünf Eindringlingen gesprochen hatte, betonte der Erstbeschwerdeführer in der Verhandlung, dass es sich um drei Personen gehandelt habe. 2017 sprach er davon, dass er der Miliz die Tür geöffnet habe, nun war davon die Rede, dass die Männer einfach durch die unversperrte Tür ins Haus gelangt seien. Während seine Frau sich seinen Aussagen im Jahr 2017 nach im oberen Stock befunden habe, erklärte er in der Verhandlung, dass sie bei ihm im Gästezimmer (wobei er 2017 immer vom Wohnzimmer gesprochen hatte) gewesen sei. Während er 2017 meinte, die Angehörigen der Miliz hätten seine Schwägerin geholt, erklärte er nun, dass seine Schwägerin von selbst nach unten gekommen sei.

Doch auch das (angebliche) weitere Geschehen wurde vom Erstbeschwerdeführer unterschiedlich geschildert: Laut seinen Angaben gegenüber der belangten Behörde am 20.01.2017 seien die Angehörigen der Miliz dann wieder in das obere Stockwerk gegangen, um die Zimmer zu dursuchen. Dagegen gab er in der mündlichen Verhandlung an, dass seine Frau und seine Schwägerin den Schmuck und das Geld geholt hätten.

Am 20.01.2017 schilderte der Beschwerdeführer, dass die Miliz den Schmuck der Frauen sowie 10 Millionen Bargeld mitgenommen habe. Von seinem Bruder sei kein Geld entwendet worden, nur der Schmuck der Schwägerin. Schließlich habe man den Erstbeschwerdeführer bedroht, weil er mit einer Sunnitin verheiratet sei und habe von ihm die Zahlung von 20.000 US-Dollar innerhalb von zwei Tagen verlangt. Dazu gab der Erstbeschwerdeführer am 20.01.2017 an: „Ich habe nicht die finanziellen Möglichkeiten gehabt, um so eine Summe zu zahlen“. Im völligen Gegensatz dazu meinte der Erstbeschwerdeführer dann in der mündlichen Verhandlung am 03.08.2020, dass neben dem Gold der Frauen etwa 20.000 US-Dollar gestohlen worden seien. Eine Frist von zwei Tagen sei ihm gesetzt worden, um sich von seiner sunnitischen Frau scheiden zu lassen. Während der Erstbeschwerdeführer der belangten Behörde also erklärt hatte, dass er den Irak verlassen habe, weil eine schiitische Miliz von ihm 20.000 US-Dollar verlangt habe, welche er im Übrigen auch nicht aufbringen hätte können, legte er dem Gericht dar, dass die Miliz Bargeld in dieser Höhe bereits mitgenommen und nun von ihm die Scheidung verlangt habe.

Auch die Aussagen der Zweitbeschwerdeführerin tragen nicht dazu bei, das Vorbringen plausibler zu machen: Sie hatte in ihrer Einvernahme durch die belangte Behörde am 20.01.2017 erklärt, dass sie sich mit ihrer Tochter in ihrem Zimmer befunden und geschlafen habe und ihr Mann im Wohnzimmer ferngesehen habe, als fünf Angehörige einer Miliz um etwa halb zwei oder zwei Uhr nachts ins Haus eingedrungen seien. Eine Person sei in ihr Zimmer gekommen und habe sie aufgefordert, mit ihrer Tochter nach unten zu gehen, wo sich der Rest ihrer Familie bereits versammelt gehabt habe. Diese Angaben stehen zwar in Einklang mit den Aussagen ihres Ehemannes vom gleichen Tag (abgesehen von der Zeitangabe, doch sind hier kleinere Ungenauigkeiten durchaus nachvollziehbar), doch weicht auch die Zweitbeschwerdeführerin in der Verhandlung davon ab, indem sie nun ebenfalls nur mehr von drei Personen spricht. Im Gegensatz zu den Angaben ihres Mannes in der Verhandlung blieb sie allerdings bei der Darstellung, dass ihr Mann sich alleine im unteren Stock befunden habe, während sie oben bei ihrer Tochter gewesen sei. Im Übrigen erklärte sie im Gegensatz zu ihrem Mann, dass sich alle im Wohnzimmer und nicht im Gästezimmer versammelt hätten. Während ihr Ehemann in der Verhandlung davon sprach, dass die Miliz 20.000 US-Dollar mitgenommen und ihm eine Frist für die Scheidung gesetzt hätte, gab sie (in Einklang mit den früheren Angaben, aber eben im Gegensatz zu ihrem Mann) an, dass die Frist zur Beschaffung der 20.000 US-Dollar gedient hätte. Während der Erstbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung erklärte, dass die Angehörigen der Miliz sich „nur für ein paar Minuten, nicht lange. Ca. 20 bis 25 Minuten“ im Haus aufgehalten hätten, sprach die Zweitbeschwerdeführerin von fünf bis sechs Stunden.

Ein weiterer markanter Widerspruch, der aber nur am Rande von Relevanz für das Fluchtvorbringen ist, liegt im Übrigen darin, dass der Erstbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung erstmals erklärte, dass auch seine Schwägerin eine Sunnitin sei, während die Zweitbeschwerdeführerin auf die explizite Frage der Richterin dies verneinte und angab, bei ihrer Schwägerin handle es sich um eine Schiitin.

Aufgrund dieser eklatanten Widersprüche im Vorbringen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass das Eindringen einer schiitischen Miliz in das Haus der Familie und die geschilderten Bedrohungen nicht stattgefunden haben.

Alleine aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführer eine interkonfessionelle Ehe führen, ergibt sich keine Gefährdung ihrer Person. Auch wenn solche Ehen gegenüber der Vergangenheit abgenommen haben, ist nicht von einer Verfolgung aller Personen, die eine sunnitisch-schiitische Mischehe führen, auszugehen. Trotz ausdrücklicher Nachfrage wurden weder vom Erstbeschwerdeführer noch von der Zweitbeschwerdeführerin sonstige mit der Ehe verbundenen Probleme oder Vorfälle geschildert und wurde von der Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass es auch zum Zeitpunkt der Eheschließung im Jahr 2014 nicht ungewöhnlich gewesen sei, eine interkonfessionelle Ehe einzugehen.

Dass für die minderjährigen Beschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe behauptet wurden, ergibt sich aus der Erstbefragung der Zweitbeschwerdeführerin am 29.12.2015 („Für sie (gemeint: Drittbeschwerdeführerin) gelten dieselben Fluchtgründe wie für mich, sie hat überdies keine eigenen.“) und aus dem Schreiben vom 10.11.2017, mit dem ein Antrag auf internationalen Schutz für den Viertbeschwerdeführer gestellt wurde („Der Fluchtgrund des Kindes ist gleich wie bei den Eltern. Es liegen keine eigenen Fluchtgründe vor.“)

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Die Beschwerdeführer wurden im Irak nicht zuhause von Angehörigen einer schiitischen Miliz bedroht und droht ihnen auch für den Fall einer Rückkehr keine Verfolgung durch eine Miliz.

Auch aus dem Umstand des Bestehens einer religiösen „Mischehe“ zwischen dem Erstbeschwerdeführer und dem Zweitbeschwerdeführer allein kann keine maßgebliche Verfolgungsgefahr der Beschwerdeführer im Irak abgeleitet werden. Den Länderberichten lässt sich dazu nicht entnehmen, dass eine systematische Verfolgung aufgrund von im Irak durchaus üblich gewesenen – und daher öfter gegebenen – „Mischehen“ vorliegen würde (vg. dazu VwGH, 19.06.2019, Ra 2019/18/0084).

Soweit in der Beschwerde erklärt wird, dass Bagdad „nach wie vor täglich Schauplatz von Anschlägen sei“ und dies bereits für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus spreche, wird verkannt, dass damit keine konkrete Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung dargelegt wird.

Soweit in der Beschwerde darüber hinaus behauptet wird, dass Sunniten im Irak „generell verfolgt“ werden, findet dies keine Deckung in den Länderberichten. Eine systematische Verfolgung der Sunniten ist nicht gegeben (vgl. dazu auch VwGH, 29.06.2018, Ra 2018/18/0138 und VwGH 25.4.2017, Ra 2017/18/0014).

Im Beschwerdeschriftsatz des Viertbeschwerdeführers wurde darüber hinaus darauf verwiesen, dass dessen Eltern aus einem Land stammen würden, „in dem Gesetze, die dem Schutz von Frauen und Kinder dienen sollten, nicht konsequent bis gar nicht exekutiert werden und in dem religiös-kulturelles Denken und Gewohnheiten das gesamte staatliche Handeln dominieren und überschatten“; daher sei Asyl zu gewähren. Allerdings lässt sich auch aus einer unzureichenden Umsetzung von Bestimmungen zum Schutz des Kindeswohls keine konkrete Verfolgung der minderjährigen Beschwerdeführer ableiten. Das erkennende Gericht verkennt keinesfalls die besondere Vulnerabilität von Kindern sowie die diesbezüglich teils prekäre Lage im Irak. Dennoch kann weder eine systematische Verfolgung von Kindern im Herkunftsstaat abgeleitet noch nachvollzogen werden.

Daher ist festzustellen, dass den Beschwerdeführern im Herkunftsstaat Irak keine Verfolgung iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht und der Ausspruch in Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide zu bestätigen ist.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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