TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/12 L509 2001867-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.01.2021
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Entscheidungsdatum

12.01.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4

Spruch


L509 2001867-3/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Ewald HUBER-HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Pakistan, vertreten durch RA Dr. Herbert POCHIESER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.06.2018, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

A.1.) Die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkte I. und II. wird als unbegründet abgewiesen.

A.2.) Der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkte III. bis VI. wird stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und XXXX gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend BF), ein Staatsangehöriger von Pakistan, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, stellte am 07.01.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde noch am gleichen Tag von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

Als Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates führte der BF an, dass er Mitglied eines Vereines mit dem Namen „Islami Jamihad Talba“ sei. Im Jahr 2012 hätten sie eine Demonstration organisieren wollen und seien der BF und seine Parteimitglieder von den Taliban bedroht worden. In Pakistan hätten sowohl die Taliban als auch die Organisation „ATI“ den BF verfolgt. Bei „ATI“ handle es sich um einen College Verein, der die führende Macht am College hätte haben wollen und sei auch dies der Grund der Verfolgung gewesen.

2. Am 11.01.2014 wurde der BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, niederschriftlich befragt. Dabei gab er zusammengefasst an:

Als am 15.10.2012 XXXX angegriffen worden sei, hätten sie eine Demonstration abgehalten und habe der BF dafür viele Studenten zusammengerufen. Bereits auf dem Weg zur Demonstration seien sie angegriffen worden, weswegen sie weggelaufen seien. Danach habe sich der BF versteckt gehalten, zumal er bereits vorher Drohungen erhalten habe. Schließlich sei er nach XXXX gereist und habe das Land verlassen.

Der BF sei von Leuten der ATI und der Kaladam-Gruppierung mit dem Umbringen bedroht worden, wenn er seine Gruppierung nicht verlasse. Bei diesen handle es sich um terroristische Organisationen und seien sie im Grunde alle Taliban.

Der BF sei zudem seit 2009 auch Vorstand der Studentenvereinigung gewesen. Seit 2011 habe man ihn bedroht.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.01.2014, Zl. 14- XXXX , wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan abgewiesen (Spruchpunkt II.).

Dem BF wurde weiters gem. §§ 57 und 55 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I NR. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen. Gem. § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Pakistan gem. § 46 FPG zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt III.).

In der Begründung dieses Bescheides führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass die Art und Weise, wie der BF seinen behaupteten Fluchtgrund in der Einvernahme geschildert habe, völlig ungeeignet gewesen sei, um das Vorbringen als glaubhaft befinden zu können. Den Angaben habe es an sämtlichen Hinweisen gefehlt, die auf wahre Erlebnisse schließen lassen würden. Weder habe der BF von sich aus Details genannt, noch seien solche aus seiner Schilderung hervorgekommen.

Ebenso würde in Pakistan nicht eine solch extreme Gefährdungslage bestehen, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung ausgesetzt wäre.

4. Gegen diesen Bescheid wurde vom Vertreter des BF mit Schriftsatz vom 27.01.2014 innerhalb offener Frist vollumfängliche Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens erstattet.

Darin wurde vorgebracht, dass der BF Beweismittel für sein Vorbringen angeboten habe, die auch in den Akt aufgenommen worden seien, in dem angefochtenen Bescheid jedoch weder genannt noch gewürdigt würden, weswegen die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit einem Ermittlungsfehler belastet habe. Jedenfalls würde das Vorbringen des BF Deckung in den vorgelegten, jedoch vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht gewürdigten Beweismitteln finden.

Ebenso habe im angefochtenen Bescheid eine Prüfung und Bewertung der Frage eines tatsächlichen und effizienten Schutzes im Heimatstaat nicht stattgefunden.

5. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.03.2014, Zl. L509 2001867-1/4E, wurde dieser Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden BFA) zurückverwiesen.

Diese Entscheidung wurde vom Bundesverwaltungsgericht damit begründet, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl keine Ermittlungen dahingehend angestellt, worum es in einem vom BF vorgelegten Zeitungsartikel und in einer Anzeige im Detail geht. Darüber hinaus wurden die erwähnten Beweismittel selbst nicht zusammen mit dem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat somit verabsäumt, ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchzuführen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurde beauftragt, sich mit den angeführten Beweismitteln in geeigneter Weise auseinanderzusetzen.

7. In weiterer Folge wurde der BF am 06.05.2014 erneut vom BFA niederschriftlich einvernommen und wurden von diesem dabei eine Polizeianzeige sowie ein Zeitungsartikel in Kopie vorgelegt.

Die vorgelegten Beweismittel wurden schließlich einer Übersetzung in die deutsche Sprache zugeführt.

8. Mit neuerlichem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.06.2014, Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Dem BF wurde weiters gem. §§ 57 und 55 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I NR. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen. Gem. § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Pakistan gem. § 46 FPG zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise des BF betrage gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.).

In der Begründung dieses Bescheides wurde wiederholt, dass die Art und Weise, wie der BF seinen behaupteten Fluchtgrund in der Einvernahme geschildert habe, völlig ungeeignet gewesen sei, um das Vorbringen als glaubhaft befinden zu können. Den Angaben habe es an sämtlichen Hinweisen gefehlt, die auf wahre Erlebnisse schließen lassen würden. Weder habe der BF von sich aus Details genannt, noch seien solche aus seiner Schilderung hervorgekommen.

Aber auch durch die Vorlage der beiden Beweismittel sei die grundlegende Unglaubwürdigkeit der Fluchtgeschichte nicht erschüttert, sondern werde die Behörde darin bestätigt, dass die Ausreisegründe des BF nicht mit dessen vermeintlicher Tätigkeit als behaupteter Vorstand einer politischen Gruppe in unmittelbarem Zusammenhang stehen.

Ebenso würde in Pakistan nicht eine solch extreme Gefährdungslage bestehen, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung ausgesetzt wäre.

9. Gegen diesen Bescheid des BFA wurde vom Vertreter des BF mit Schriftsatz vom 22.07.2014 innerhalb offener Frist wiederum vollumfängliche Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens erstattet.

Darin wurde ausgeführt, dass bezüglich einer etwaigen innerstaatlichen Fluchtalternative keine ausreichenden Ermittlungen betreffend die konkrete Person des BF angestellt worden seien. Auch die im angefochtenen Bescheid enthaltenen Länderfeststellungen seien unvollständig und teilweise unrichtig und würden sich nicht mit dem konkreten Fluchtvorbringen des BF befassen.

Darüber hinaus würden die Feststellungen des BFA auf einer nicht schlüssigen Beweiswürdigung und einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung beruhen.

10. Am 06.08.2014 wurden dem Bundesverwaltungsgericht ein Foto des BF mit seinem ehemaligen Parteichef, sowie eine Bestätigung der Partei vorgelegt, dass dieser am 13.05.2012 aufgrund seiner politischen Aktivitäten ermordet worden sei.

11. Mit weiterem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.09.2014, GZ L509 2001867-2/6E wurde der bekämpfte Bescheid vom 23.06.2014 erneut behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen. Es wurde wiederum bemängelt, dass die belangte Behörde wiederholt essentielle Ermittlungen unterlassen und sich mit den vorgelegten Beweismitteln nicht in geeigneter Weise auseinandergesetzt habe.

12. Am 22.11.2017 wurde der BF beim BFA neuerlich niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er zusammengefasst an, dass er aus Pakistan geflüchtet sei, weil er von einer Gruppe der Taliban mit Schusswaffen angegriffen und mehrmals bedroht worden sei. Zu dem Angriff sei es gekommen, weil der BF als Anführer einer Studentenorganisation ( XXXX ) eine Demonstration angeführt habe. Bei der Studentenorganisation handle es sich um eine Hilfsorganisation für Schüler, die Opfer einer Naturkatastrophe geworden sind. Die Organisation sei aber auch politisch tätig, indem sie die XXXX im Wahlkampf unterstützt. Diese Gruppe möchte islamische Regeln im Staat verstärken, seien jedoch keine radikalen Islamisten. Aufgrund des Umstandes, dass der BF Vorstand der XXXX war, habe nun auch seine Familie Probleme. Diese werde von Taliban und XXXX bedroht.

Am 09.12.2012 sei XXXX angegriffen worden. Der BF habe am 15.11.2012 (gemeint: 15.12.2012?) einen Protestmarsch gegen die Taliban organisiert, woran ca. 200 bis 250 Menschen teilgenommen hätten. Der Protestmarsch habe sich gegen die Absicht der Taliban gerichtet, Mädchen vom Schulbesuch auszuschließen. Die Taliban hätten auf den Protestmarsch geschossen und einige Leute seien verletzt worden. Der BF habe sich darauf einige Wochen im Bezirk bei Freunden versteckt. Es sei ihm die Schuld gegeben worden, weil er den Protestmarsch organisiert habe.

Sein Bruder habe Anzeige bei der Polizei erstattet, die jedoch nichts unternommen habe. Der BF befürchte, von den Taliban getötet zu werden. Diese hätten ihn zum Ziel, weil er der Vorsteher der genannten Studentengruppe ist.

Der BF gab - auf entsprechenden Vorhalt – an, dass er bereits 2008 in Griechenland einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Er habe sich dort von 2008 bis 2009 aufgehalten und anschließend sei er – vor Abschluss des Asylverfahrens - wieder nach Pakistan zurückgekehrt. Als Grund hätte er damals angeführt, dass er ebenfalls bei einer Studentendemonstration beteiligt gewesen war. Diese Demonstration habe stattgefunden, weil in seinem Heimatort ein Busunfall passiert sei, wobei ein Student ums Leben gekommen wäre. Daraufhin hätten andere Studenten (und der BF) demonstriert und im Zuge der Demonstration sei der Bus in Brand gesteckt worden. Der BF und andere Studenten hätten daher Probleme mit dem Busunternehmer bekommen und deshalb seien der BF und sein Cousin damals geflüchtet.

Das Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) hat mit hier angefochtenen Bescheid vom 21.06.2018 den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2015 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Des Weiteren wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Dem BF wurde gem. § 57 AsylG kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.). Gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I NR. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.). Gem. § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Pakistan gem. § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise des BF wurde gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

In der Begründung des Bescheides wurden die Angaben des BF zu seiner Herkunft, seinen persönlichen, familiären Verhältnissen und den Umständen der Einreise und des Aufenthalts hier in Österreich als glaubhaft befunden. Die Identität stehe jedoch mangels Vorlage eines Identitätsdokumentes nicht fest.

Den vom BF zur Untermauerung seines Vorbringens vorgelegten Zeitungsartikel der „Wochenzeitung Akbar-e Sialkot“ vom 15.10.2012 wurde von der belangten Behörde – mit näherer Begründung - als vom BF oder seinen Familienangehörigen bestellt bzw. gekauft bewertet. Ebenso wurde die vom Bruder bei der pakistanischen Polizei erstattete Anzeige über Vorfälle bei der Demonstration – mit näherer Begründung – als nachträglich im Hinblick auf das Asylverfahren erstattet, bewertet. Es werden Zweifel ausgeführt, ob der BF überhaupt an einer solchen Demonstration teilgenommen hat bzw. ob seine Rolle bei der Demonstration, falls er doch teilgenommen hat, den Tatsachen entspricht. Die belangte Behörde spricht dem BF auch ab, dass er tatsächlich politisch tätig war und verweist auf Widersprüche und Ungereimtheiten in der Darstellung des BF und in dem von ihm beschriebenen Geschehensablauf (zeitlicher Zusammenhang zwischen Ereignissen und Ausreise). Aus den Äußerungen des BF zu den Motiven des zurückliegenden Aufenthaltes in Griechenland schließt die belangte Behörde, das es dem BF nicht um Schutzsuche, sondern vielmehr um das Bestreben geht, in Europa Aufenthalt und Arbeit zu finden und er dazu das Asylrecht benutzt, ohne tatsächlich verfolgt zu sein. Zusammengefasst erachtet die belangte Behörde das Vorbringen des BF als nicht glaubhaft. Auch eine sonstige Gefährdung im Falle der Rückkehr stellte die belangte Behörde nicht fest, so dass sie die Rückkehr für zumutbar und zulässig erklärte. Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels wurden nicht erkannt, ebenso wenig wurden besondere Umstände festgestellt, die für eine berücksichtigungswürdige Integration des BF in Österreich aus Gründen des Schutzes des Privat- und Familienlebens sprechen würden. Die öffentlichen Interessen wurden als überwiegend und die Zulässigkeit einer Abschiebung nach Pakistan als gegeben erachtet. Zur Festsetzung der Frist für eine freiwillige Ausreise wurde auf die gesetzliche Bestimmung verwiesen.

Gegen den angeführten Bescheid wurde von der hierfür bevollmächtigten Rechtsberatung des BF rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde eingebracht. Mit der Beschwerde wird der Bescheid in allen Spruchpunkten bekämpft und inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

In der Begründung der Beschwerde werden die von der belangten Behörde verwendeten Länderinformationen als unvollständig und unrichtig bezeichnet. Die belangte Behörde sei auf das Vorhandensein von politischer Gewalt in Pakistan nicht eingegangen. Laut Berichten von Human Rights Watch (HRW) seien in den letzten Jahren zahlreiche Angriffe von Taliban auf Bildungseinrichtungen verübt worden und würden die Taliban damit gegen jene vorgehen, die nicht einer strengen Interpretation des Islam im Hinblick auf die Bildung besonders von Mädchen folgen. Der BF könne im Falle der Rückkehr auch nicht mit einem staatlichen Schutz rechnen, da die pakistanische Polizei nicht in der Lage sei, umfassenden Schutz zu gewährleisten, Korruption und Rechtsmissbrauch seien weit verbreitet. Dazu wurde auf Berichte von EASO vom August 2017 und UK Home Office vom Jänner 2017 verwiesen.

Darüber hinaus sei die Beweiswürdigung der belangten Behörde unschlüssig. Der BF habe sein Vorbringen detailliert und lebensnah vorgebracht, die belangte Behörde hätte jedoch dieses Vorbringen nicht mit einschlägigen Länderberichten abgeglichen. Die belangte Behörde hätte sich auf vermeintliche Widersprüche gestützt, die jedoch leicht aufzulösen gewesen wären. So sei ihm nicht zum Vorwurf zu machen, dass er sein Vorbringen im Laufe der verschiedenen Einvernahmen gesteigert hat. Erst im Verlaufe der weiteren Einvernahmen seien gezieltere Fragen gestellt worden. Somit sei es nicht außergewöhnlich, dass erst dadurch nähere Details zutage getreten sind. Der BF sei „auf die Falle des BFA“ nicht hereingefallen und habe selbst korrigiert, dass nicht sein Cousin, sondern sein Bruder die Anzeige bei der Polizei erstattet habe. Der Bruder habe sich bei der Anzeigeerstattung nicht selbst erwähnt, weil er von der Attacke (der Taliban gegen die Demonstration) nicht unmittelbar betroffen gewesen sei. Der BF habe sehr wohl Angaben zu der Studentenverbindung machen können, der er angehörte. Dies sei in den Einvernahmen angeführt. Das BFA habe diesen Umstand mangelhaft beweisgewürdigt. Die wenigsten Studentenverbindungen in Pakistan hätten Mitgliedsausweise. Hinsichtlich des Zeitpunktes der Demonstration handle es sich um ein Missverständnis zwischen dem BF und dem Dolmetscher und das Datum könne auch einem Tippfehler unterliegen. Nur einmal sei erwähnt worden, dass die Demonstration im November 2012 stattgefunden hätte, sonst werde immer der 15.10.2012 genannt. Auf ein weiteres solches Missverständnis würden die Ausführungen zum Spitalsaufenthalt und zu den Verletzungen des BF zurückzuführen sein. Die unterschiedliche Anzahl der Teilnehmer ergäbe sich daraus, dass man von verschiedenen Teilen der Demonstration ausgehen müsse. Der eine Teil sei jener, den der BF organisiert hatte und unterwegs zu einer großen Demonstration in S. gewesen wäre, als die Gruppe angegriffen wurde. Die Hauptdemonstration habe in S. stattgefunden und es hätte dort keine Ausschreitungen gegeben. Der BF habe sehr wohl zeitnah zu den Ereignissen seinen Wohnort verlassen und sei er nach K. geflüchtet, wo er bei Freunden untergekommen sei. Er habe dort die Entwicklung abwarten wollen und sei erst 9 Monate später aus Pakistan ausgereist, nachdem er von seiner Familie erfahren habe, dass die Taliban nach wie vor nach ihm suchten. Der BF werde von Teilen der Bevölkerung (Taliban) aus politischen Gründen verfolgt und die pakistanischen Behörden würden ihn davor nicht schützen. Dies sei sehr wohl asylrelevant. Bei seiner Rückkehr würden ihm weitere Angriffe mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stünde dem BF nicht offen, da er in seiner Heimatregion verfolgt werde und er anderswo in Pakistan über kein soziales Netz verfüge, das ihn unterstützen könnte. Dies habe das BFA auch nicht näher geprüft und es habe damit den Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet. Darüber hinaus würde der BF im Fall der Rückkehr ohne gültigen Reisepass von staatlichen Organen menschenunwürdig behandelt und mehrere Tage festgehalten werden. Aufgrund der Sicherheitslage könne bei einer Rückkehr des BF nach Pakistan eine ernsthafte Bedrohung nicht mehr ausgeschlossen werden. Der BF verfüge in Österreich bereits über ein soziales Netz, was mit zwei Unterstützungsschreiben belegt werde und er engagiere sich im „ XXXX “ und in einem pakistanischen Kulturverein, arbeite als Werbezettelverteiler auf Tagesbasis und habe einen Deutschkurs auf Level A2 besucht. Eine Rückkehrentscheidung sei daher für auf Dauer als unzulässig zu erklären. Es werde beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, dem BF internationalen Schutz (Asyl oder subsidiären Schutz) zu gewähren, in eventu einen Aufenthaltstitel aus Art. 8 EMRK zu erteilen oder den Bescheid zu beheben und an die belangte Behörde zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Bescheiderlassung zurückzuverweisen.

Das Bundesverwaltungsgericht erhob die aktuelle asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat Pakistan anhand des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 16.5.2019 mit letzter Aktualisierung vom 9.8.2019 und brachte diese Feststellungen den Beschwerdeführer mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 3.4.2020 schriftlich zur Kenntnis. Der BF wurde weiterhin aufgefordert, binnen 14-tägiger Frist, die einmal über Ersuchen des BF bis 15.7.2020 verlängert wurde, Stellung zu nehmen.

Der BF ließ über seinen bevollmächtigten Vertreter am 14.07.2020 eine schriftliche Stellungnahme einbringen und legte gleichzeitig Unterlagen betreffend die Covid-19-Situation in Pakistan sowie eine Bescheinigung über sein Einkommen als Postzusteller, mehrere Empfehlungsschreiben und eine Anzeige an die Polizeistation in B, Distrikt S., in englischer Sprache vor.

Mit der Stellungnahme wird zum Fluchtgrund und zur Rückkehrbefürchtung erneut auf den Umstand verwiesen, dass der BF als Mitglied einer Studentenorganisation, einer politischen Partei in Pakistan und als Organisator einer Demonstration von der genannten Gruppierung der Taliban bedroht und verfolgt werde. Es wurde auch hervorgehoben, dass terroristische Aktivitäten ein großes Problem in Pakistan darstellen. Die Stellungnahme enthält außerdem Ausführungen dazu, dass der pakistanische Staat nicht in der Lage und willens sei den BF vor den Terroristen zu schützen und dies auch mit der hohen Korruption bei Polizei, Justiz und bei den Sicherheitsorganen zusammenhänge. Er befürchte daher asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner politischen Gesinnung. Neu wurde in dieser Stellungnahme ausgeführt, dass seit Frühling 2019 der BF auch von einer kriminellen Bande bedroht werde, die ein Grundstück der Familie in seiner Heimatstadt in Beschlag genommen hätte. Seine Mutter habe diesbezüglich auch eine polizeiliche Anzeige erstattet, Polizei und Gericht seien jedoch in dieser Angelegenheit nicht tätig geworden. Er habe diese Verfolgung bislang im Verfahren nicht darlegen können, da diese erst seit kurzer Zeit bestehe. Daher beantrage er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Aufgrund der schlechten Versorgung und Arbeitsmarktlage in Pakistan, die sich durch die Pandemie drastisch verschärft hätte, drohe ihm im Falle der Rückkehr auch eine Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK und sei ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar. Aufgrund der infolge der Pandemie aufgetretenen massiven Arbeitslosigkeit und Armut werde es ihm nicht möglich sein, im Falle der Rückkehr eine Beschäftigung zu finden. Seine Mutter sei nicht berufstätig, der Vater bereits verstorben und könne er daher nicht mit der Unterstützung seitens seiner Familie rechnen. Einer seiner beiden Brüder habe ebenfalls bereits fliehen müssen und dem anderen Bruder würden beide Hände fehlen, sodass dieser keiner Erwerbstätigkeit nachgehen könne. Der BF könne daher seine notwendigen Grundbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft, nicht decken und würde er in eine menschenunwürdige, ausweglose Situation geraten. Der BF leide überdies an der Autoimmunerkrankung Diabetes und benötige Medikamente. Im Zusammenhang mit der Covid-19 Pandemie habe er daher ein höheres Risiko, an diesem Virus zu erkranken. Er müsste im Falle einer Ansteckung mit hoher Wahrscheinlichkeit einen schweren bis lebensbedrohlichen Krankheitsverlauf erwarten.

Hinsichtlich seines Privat und Familienlebens in Österreich wird in der Stellungnahme ausgeführt, dass der BF seit sechseinhalb Jahren in Österreich lebe, sich seither im Asylverfahren befinde und jedenfalls rechtmäßig aufhalte. Die lange Dauer des Verfahrens liege nicht in seinem Verschulden, da dieses durch mangelhaft durchgeführte Ermittlungen der ersten Instanz verursacht wurde, sodass die Entscheidungen des BFA zweimal zu beheben und zur Durchführung weiterer Ermittlungen und Erlassung einer neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen war. Er habe in dieser Zeit diverse Schritte unternommen, um seine Integration in die österreichische Gesellschaft voranzutreiben, sei sozial gut integriert, leiste einem älteren Ehepaar immer wieder Nachbarschaftshilfe und habe zahlreiche österreichische Freunde. Er beziehe keine staatliche Grundversorgung, sondern verdiene er sich seinen Lebensunterhalt durch Tätigkeiten für ein Zustellservice. Die angespannte finanzielle Situation während des Asylverfahrens habe ihm ein Vorankommen bei den Kenntnissen der deutschen Sprache auf das Niveau B1, oder gar B2, nicht gestattet. Für den Fall eines positiven Abschlusses seines Asylverfahrens verfüge er über eine Einstellungszusage als Zeitungszusteller. Mit den hierbei lukrierten Einkünften könne er weiterführende Sprachkurse besuchen. Seine Freizeit verbringe er unter anderem damit, in einer Bibliothek im 7. Bezirk in Wien zu lesen. Eine zwangsweise Rückkehr würde eine Verletzung seiner schützenswerten privaten Interessen in Österreich gemäß Art. 8 EMRK bedeuten

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das Bundesverwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den gegenständlichen Verwaltungsakt unter Berücksichtigung der bisherigen Angaben des BF, der von ihm vorgelegten Bescheinigungsmittel und der für ihn eingebrachten Stellungnahmen. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 25.09.2020 wurde der BF unter Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Punjabi persönlich angehört. Die aktuelle asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsland Pakistan wurde anhand es Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 16.05.2019 mit letzter Aktualisierung am 09.08.2019 festgestellt und dem BF Gelegenheit gegeben, dazu Stellung zu nehmen. Der BF ließ durch seine ausgewiesenen Vertreter insbesondere zur aktuellen Covid19-Situation in Pakistan schriftlich Stellung nehmen.

1. Feststellungen:

1.1. Der BF trägt den im Spruch angeführten Namen und ist an dem angegebenen Datum geboren. Er stammt aus der Provinz Punjab in Pakistan. Der Vater des BF ist verstorben, seine Mutter und sechs Geschwister leben in Pakistan. Er hat sich vor seiner Ausreise den Lebensunterhalt in Pakistan über die Landwirtschaft der Familie finanziert.

Beim BF besteht der Hinweis, dass er an Diabetes leiden könnte. Er weist einen erhöhten Blutzuckerwert auf. Er ist im erwerbsfähigen Alter, trotz des Verdachts auf das Vorliegen von Diabetes arbeitsfähig und geht er in Österreich einer Arbeit als Zeitungszusteller nach. Er hat zwölf Jahre lang die Grundschule und 2 Jahre ein College in Pakistan besucht.

Der BF beherrscht die Sprachen Urdu und Punjabi auf muttersprachlichem Niveau, sowie geringfügig Deutsch und Griechisch. Er ist überdies ledig und hat keine Kinder.

1.2. Am 06.01.2014 ist der BF illegal in das Bundesgebiet eingereist und hat am 07.01.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Wegen gravierender Ermittlungsmängel in der ersten Instanz musste das Verfahren zwei Mal vom Bundesverwaltungsgericht zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverweisen werden.

Der BF konnte im Ermittlungsverfahren nicht glaubhaft machen, dass er aus asylrelevanten Gründen aus Pakistan ausgereist ist. Seine Ausführungen zum Grund der Antragstellung sind zwar glaubhaft, bilden aber keine Grundlage für die Zuerkennung von internationalem Schutz. Die vorgebrachte Begründung für die Antragstellung bezieht sich auf eine Bedrohung – allenfalls Verfolgung – durch Privatpersonen in der Region seines früheren Aufenthaltes in Pakistan. Der BF hat sich jedoch vor seiner Ausreise über mehrere Monate in der Großstadt XXXX aufgehalten und war er dort nicht bedroht. Er ist daher auf die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verweisen. Somit kann auch nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Pakistan zum gegenwärtigen Zeitpunkt einer relevanten Bedrohung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt ist. Selbst wenn sich die Sicherheitslage in Pakistan schlechter darstellt als hier in Österreich ist in realistischer Weise nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle der Rückkehr unmittelbar am Leben oder an seiner körperlichen Unversehrtheit im Sinne des Art. 2 oder 3 EMRK oder der Zusatzprotokolle (Todesstrafe, Folter) bedroht ist. Auch findet in Pakistan derzeit kein nationaler oder internationaler Konflikt statt, der den BF als Zivilperson unmittelbar in Lebensgefahr bringen würde. Eine medizinische Versorgung bei Diabetes ist in XXXX möglich und die notwendigen Medikamente, wie Insulin verfügbar. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der BF im Falle der Rückkehr keinerlei Lebensgrundlage hat oder keine Möglichkeit hätte, sich ein Einkommen zum Aufbau und Erhalt einer Lebensgrundlage – wenn auch auf niedrigem Niveau – zu beschaffen. Die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen fluchtalternative ist ihm daher möglich und zumutbar.

Die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor. Der BF ist seit 7 Jahren in Österreich aufhältig, ist strafrechtlich unbescholten, verfügt über Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem Niveau A2 nach dem europäischen Referenzrahmen für Sprachen, ist im Besitze eines österreichischen Führerscheines für die Fahrzeuggruppen A und B, bezieht zeitweise Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit als Zeitungsausträger und bezog seit 2014 bis dato keine Leistungen aus der Grundversorgung. Er pflegt zahlreiche Sozialkontakte zu inländischen Mitbürgern in Österreich

1.3. Aufgrund des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Pakistan vom 16.05.2019 mit letzter Aktualisierung vom 09.08.2019 und auf Basis der jüngsten Berichte über die Entwicklung der Covid-19 Situation sind folgende Feststellungen zu treffen:

Sicherheitslage

Die Bedrohung durch Terrorismus und Extremismus bleibt zentrales Problem für die innere Sicherheit des Landes (AA 1.2.2019a; vgl. USDOS 19.9.2018). Landesweit ist die Zahl der terroristischen Angriffe seit 2009, zurückgegangen (PIPS 7.1.2019; vgl. AA 21.8.2018, USDOS 19.9.2018). Konflikte mit dem Nachbarland Indien werden gelegentlich gewaltsam ausgetragen (EASO 10.2018 S 16).

Die Taliban und andere militante Gruppen verüben Anschläge insbesondere in Belutschistan und in Khyber-Pakhtunkhwa (AA 21.8.2018), aber auch in Großstädten wie Karatschi (AA 1.2.2019a).

Über 90 % der terroristischen Anschläge sowie Todesopfer entfielen 2018 auf die zwei Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa (PIPS 7.1.2019). Die Anschläge zielen vor allem auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei. Opfer sind aber auch politische Gegner der Taliban, Medienvertreter, religiöse Minderheiten, Schiiten, sowie Muslime, die nicht der strikt konservativen Islam-Auslegung der Taliban folgen, wie die Sufis (AA 1.2.2019a).

Die Operationen der Rangers [siehe dazu Abschnitt 5] in Karatschi (ab 2013), Militäroperationen in Nord-Wasiristan und der Khyber Agency [Stammesbezirke der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, Anm.], sowie landesweite Anti-Terror-Operationen als Teil des National Action Plan (NAP) trugen dazu bei, den rückläufigen Trend bei der Zahl der Vorfälle und der Opfer auch 2018 aufrecht zu halten (PIPS 7.1.2019 S 20; vgl. EASO 10.2018 S 18). In den ehemaligen Stammesgebieten (Federally Administered Tribal Areas – FATA) konnte das staatliche Gewaltmonopol überwiegend wiederhergestellt werden (AA 21.8.2018), die Militäraktionen gelten als abgeschlossen (Dawn 29.5.2018). Viele militante Gruppen, insbesondere die pakistanischen Taliban, zogen sich auf die afghanische Seite der Grenze zurück und agitieren von dort gegen den pakistanischen Staat (AA 21.8.2018).

Im aktuellen Konflikt zwischen Indien und Pakistan demonstrierten beide Staaten, die über Nuklearwaffen verfügen, dass sie bereit sind, die Lage weiter eskalieren zu lassen (Dawn 8.4.2019 vgl. BMEIA 27.3.2019). Jedoch wird ein Atomkrieg als äußerst unwahrscheinlich gesehen (DW 28.2.2019).

Im Vorfeld der Parlamentswahlen am 25.7.2018 erlebte Pakistan eine Welle von Gewalt mit größeren Anschlägen in verschiedenen Provinzen, für die militante aufständische Gruppierungen die Verantwortung übernahmen. Der Selbstmordanschlag am 13.7.2018 auf eine politische Versammlung in Mastung, Belutschistan, mit 150 Toten war der Anschlag mit den dritt-meisten Todesopfern, der bis dahin jemals in Pakistan verübt wurde (EASO 10.2018 S 18; vgl. PIPS 7.1.2019 S 43). Am Wahltag waren 370.000 Soldaten und 450.000 Polizisten mit erweiterten Befugnissen im Einsatz, um die Wahllokale zu sichern. Am Wahltag kam es in Belutschistan zu zwei Anschlägen mit Todesopfern auf Wahllokale und es gab regional Zusammenstöße zwischen Anhängern unterschiedlicher Parteien (EUEOM 27.7.2018; vgl. Dawn 26.7.2018) vorwiegend in Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa (Dawn 26.7.2018). Die verschiedenen militanten, nationalistisch-aufständischen und gewalttätigen religiöskonfessionellen Gruppierungen führten 2018 landesweit 262 terroristische Angriffe durch. Dabei kamen 595 Menschen ums Leben und weitere 1.030 wurden verletzt. Unter den Todesopfern waren 371 Zivilisten, 173 Angehörige der Sicherheitskräfte und 51 Aufständische. 136 (52 %) Angriffe zielten auf staatliche Sicherheitskräfte, jedoch die höchste Zahl an Opfern (218 Tote und 394 Verletzte) gab es bei insgesamt 24 Terrorangriffen auf politische Persönlichkeiten. Zivilisten waren das Ziel von 47 (18 %) Angriffen, acht waren Angriffe auf regierungsfreundliche Stammesälteste bzw. Mitglieder der Friedenskommittees und sieben hatten Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft zum Ziel (PIPS 7.1.2019 S 17f). Im Vergleich zu 2017 gab es im Jahr 2018 29 Prozent weniger terroristische Angriffe, bei denen um 27 Prozent weniger Todesopfer und um 40 Prozent weniger Verletzte zu beklagen waren (PIPS 7.1.2019). Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP) und ihre Splittergruppen, insbesondere Jamaatul Ahrar und Hizbul Ahrar, bzw. Gruppen mit ähnlichen Zielen wie lokale Talibanfraktionen, Lashkar-e-Islam und Islamischer Staat führten 2018 171 terroristische Angriffe mit 449 Toten und 769 Verletzten durch.

Nationalistische Gruppierungen, vorwiegend belutschische, führten 80 terroristische Angriffe mit 96 Toten und 216 Verletzten durch. Elf terroristische Angriffe mit 50 Toten und 45 Verletzten waren konfessionell motiviert (PIPS 7.1.2019).

Insgesamt gab es im Jahr 2018 in Pakistan 497 Vorfälle von für die Sicherheitslage relevanter Gewalt (2017: 713; -30 %), darunter 31 operative Schläge der Sicherheitskräfte (2017: 75), 22 Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen (2017: 68), 131 Auseinandersetzungen an den Grenzen mit Indien, Afghanistan und Iran (201 7: 171) und 22 Vorfälle von ethnischer oder politischer Gewalt (2017: vier) (PIPS 7.1.2019 S 19f; Zahlen für 2017: PIPS 7.1.2018 S 20). Die Zahl der bei diesen Vorfällen getöteten Personen sank um 46 % auf 869 von 1.611 im Jahr 2017, die Zahl der verletzten Personen sank im selben Zeitraum um 31 % von 2.212 auf 1.516 (PIPS 7.1.2019 S 20).

Im Februar 2019 eskalierten die Spannungen zwischen Indien und Pakistan im lang anhaltenden Kaschmir-Konflikt (Time 28.2.2019; vgl. UKFCO 7.3.2019). Der indische Luftangriff vom 26.2., bei dem laut pakistanischen Angaben keine Menschen zu Schaden kamen (Time 28.2.2019) in Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, war seit 1971 der erste Angriff Indiens auf pakistanisches Gebiet außerhalb Kaschmirs (Spiegel 2.3.2019). Am 27.2. wurde ein indisches Kampfflugzeug in pakistanischem Luftraum abgeschossen (Time 28.2.2019). Es kommt zu wiederholten Grenzverletzungen und Militäraktionen zwischen Pakistan und Indien (BMEIA 27.3.2019). Durch Schusswechsel über die Demarkationslinie hinweg werden auf beiden Seiten immer wieder Soldaten und Zivilisten verletzt oder getötet (Standard 2.4.2019; vgl. Presse 2.3.2019, Reuters 3.3.2019).

Nach dem Angriff auf die Militärschule in Peschawar im Dezember 2014 wurde der National Action Plan (NAP) gegen Terrorismus in Kraft gesetzt. Die 20 Punkte des Plans umfassen Maßnahmen sowohl gegen Terrorismus als auch gegen Extremismus. Gemäß Einschätzung von PIPS wurden in den vier Jahren, die der Plan nun in Kraft ist, zufriedenstellende Fortschritte im Bereich der Terrorismusbekämpfung erzielt. Die Fortschritte im Bereich der Extremismusbekämpfung werden als nicht zufriedenstellend angesehen (PIPS 7.1.2019 S 89ff). Die Regierung unterhält Deradikalisierungszentren, die „korrigierende religiöse Bildung“, Berufsausbildung, Beratung und Therapie anbieten. Weithin gelobt ist das Sabaoon Rehabilitation Center einer NGO im Swat-Tal, das gemeinsam mit dem Militär gegründet wurde und sich an jugendliche ehemalige Extremisten richtet (USDOS 19.9.2018).

Trotz gesetzlicher Regelungen gegen die Finanzierung von Terrorismus, die internationalen Standards entsprechen, werden Gruppen wie Lashkar-e Tayyiba nicht effektiv daran gehindert, in Pakistan Spenden zu lukrieren oder auf ihre finanziellen Mittel zuzugreifen. Auch gibt es Lücken in der Umsetzung der Sanktionen des UN-Sicherheitsrates gegen Al-Qaeda und den Islamischen Staat (USDOS 19.9.2018).

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Wichtige Terrorgruppen

Die Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP) ist die größte der in Pakistan aktiven militanten regierungsfeindlichen Gruppen. Die TTP ist eine Dachorganisation 13 verschiedener – also ungefähr der Hälfte aller pakistanischen - Talibanfraktionen. Die Hochburgen der TTP in den ehem.

FATA wurden durch militärische Operationen beseitigt, jedoch hält die TTP nach wie vor Rückzugsgebiete in Ostafghanistan. Analysten meinen, dass die TTP sich Mitte 2018 unter neuer Führung in Süd-Wasiristan vereinen konnte und wieder schlagkräftiger würde (EASO 10.2018 S 24f). PIPS hingegen gibt an, dass TTP verzweifelt darum kämpfe, ihr Netzwerk zu erhalten, innere Streitereien zu überwinden und die Finanzierung sicherzustellen (PIPS 7.1.2019 S 74).

Gemäß PIPS war die TTP im Jahr 2018 für 79 Terroranschläge mit 185 Toten verantwortlich. 57 dieser Anschläge wurden in Khyber Pakhtunkhwa, wo die Gruppe für den größten Teil aller Anschläge verantwortlich war, und 18 in Belutschistan durchgeführt (PIPS 7.1.2019 S 74f). Im Vorfeld der Parlamentswahlen 2018 hat die TTP die Verantwortung für mehrere Anschläge übernommen (EASO 10.2018 S 26).

Kleinere militante Organisationen, die in Khyber Pakhtunkhwa – insbesondere in den ehem. Stammesgebieten – aktiv sind, werden als Lokale Taliban bezeichnet. Diese Gruppen führten 2018 28 terroristische Anschläge mit elf Todesopfern durch. Die meisten dieser Vorfälle sind religiös motiviert und zielen auf Mädchenschulen, NGOs, Sicherheitskräfte oder Stammesälteste ab. Eine Talibangruppe unter Mullah Nazir ist in Nord-Wasiristan aktiv. Sie wurde einst als „gute Taliban“ bezeichnet und nennt sich heute Friedenskommittee. Sie bedroht Mitglieder des Pakhtun Tahaffuz Movement [siehe auch Abschnitt 17.3] (PIPS 7.1.2019 S 74f).

Jamaatul Ahrar (JuA) ist eine Fraktion der TTP, operiert aber mit einer gewissen Eigenständigkeit aus der Provinz Nangarhar in Afghanistan heraus. Ziele der Gruppe sind Mitglieder der Sicherheitskräfte, Regierungsgebäude, Politiker, Minderheiten und Rechtsanwälte. Die Hizbul Ahrar (HuA) spaltete sich 2017 von der JuA ab (EASO 10.2018 S 26f). Gemäß PIPS waren im Jahr 2018 JuA für 15 terroristische Anschläge (2017: 37) mit elf Toten, alle in Khyber Pakhtunkhwa, sowie HuA für sechs Anschläge in vier verschiedenen Provinzen verantwortlich (PIPS 7.1.2019 S 74).

Der Islamische Staat in der Provinz Khorasan (IS / ISKP / Daesh) ist seit 2015 in Pakistan aktiv. Der IS konnte seinen Einfluss durch taktische Bündnisse mit ähnlich ausgerichteten örtlichen Gruppen vergrößern. IS hat lokale Zweigstellen und Rekrutierungsnetzwerke in einigen Großstädten wie Peschawar oder Karatschi (EASO 10.2018 S 29f). Der IS war 2018 für zwei große Anschläge im Zusammenhang mit den Wahlen in Belutschistan verantwortlich und war vermehrt in konfessionelle Gewalt involviert. Im Jahr 2018 wurden bei insgesamt fünf Anschlägen durch den IS 224 Menschen getötet. Der IS ist insbesondere in Belutschistan präsent, wo er 2018 vier große terroristische Anschläge durchführte; ein weiterer Anschlag geschah in Khyber Pakhtunkhwa (PIPS 7.1.2019 S 76f).

Lashkar-e-Jhangvi (LeJ) ist eine Deobandi-Terroristengruppe. Die Gewalt von LeJ richtet sich größtenteils gegen Schiiten; die Organisation vertritt auch radikale Standpunkte gegenüber Christen, Ahmadis und sufistischen Muslimen (EASO 10.2018 S 32). Im Jahr 2018 war LeJ für sieben terroristische Angriffe, darunter sechs in Belutschistan und einem in Khyber Pakhtunkhwa, mit insgesamt neun Toten, verantwortlich (PIPS 7.1.2019 S 78). Im Jahr 2017 war die LeJ mit ihren Splittergruppen, darunter die Lashkar-e-Jhangvi Al-Alami, insgesamt für 18 Anschläge mit 132 Toten verantwortlich. 90 % davon betrafen die erste Jahreshälfte. Die verminderte Aktivität im zweiten Halbjahr ist durch die Zerschlagung ihrer Hauptnetzwerke zu erklären (PIPS 7.1.2018 S 87).

Die Schlagkraft der belutschischen nationalistischen Gruppen ist trotz einer verminderten Zahl an durchgeführten Anschlägen intakt. Die Balochistan Liberation Army (BLA) und die Baloch Liberation Front (BLF) führten 2018 addiert 45 terroristische Anschläge in Belutschistan und zwei in Karatschi durch [siehe auch Abschnitt 17.1]. 2018 wurden erstmals zwei Selbstmordangriffe durchgeführt. Diese Taktik wird normalerweise von religiösen Gruppierungen verwendet, hingegen sind die belutschischen Gruppierungen nationalistisch und politisch links einzuordnen (PIPS 7.1.2019).

Quellen:

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Herkunftsland Pakistan – Sicherheitslage, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/Plib/EASO_Pakistan_SecuritySituation_October2018_DE.pdf, Zugriff 12.3.2019

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? PIPS – Pak Institute for Peace Studies (7.1.2019): Pakistan Security Report 2018, https://pakpips.com/app/reports/396, Zugriff 8.1.2019 Punjab und Islamabad

Die Bevölkerung der Provinz Punjab beträgt laut Zensus 2017 110 Millionen. In der Provinzhauptstadt Lahore leben 11,1 Millionen Einwohner (PBS 2017d). Islamabad, die Hauptstadt Pakistans, ist verwaltungstechnisch nicht Teil der Provinz Punjab, sondern ein Territorium unter Bundesverwaltung (ICTA o.D.). Die Bevölkerung des Hauptstadtterritoriums beträgt laut Zensus 2017 ca. zwei Millionen Menschen (PBS 2017d).

Die Sicherheitslage in Islamabad ist besser als in anderen Regionen (EASO 10.2018 S 93). DieSicherheitslage im Punjab gilt als gut (SAV 29.6.2018). Mehrere militante Gruppierungen, die in der Lage sind, Anschläge auszuüben, sind im Punjab aktiv (EASO 10.2018 S 63-64; vgl. SAV 29.6.2018). In großen Städten wie Lahore und Islamabad-Rawalpindi gibt es gelegentlich Anschläge mit einer hohen Zahl von Opfern, durchgeführt von Gruppen wie den Tehreek-i-Taliban Pakistan (TTP), Al Qaeda oder deren Verbündeten (ACLED 7.2.2017); beispielsweise wurden bei einem Bombenanschlag durch die TTP-Splittergruppe Hizbul-Ahrar auf Polizeieinheiten vor einem Sufi-Schrein in Lahore am 8.5.2019 zehn Personen getötet. (Guardian 8.5.2019; vgl. Reuters

8.5.2019). Der Südpunjab gilt als die Region, in der die militanten Netzwerke und Extremisten am stärksten präsent sind (EASO 10.2018 S 63-64).

Für das erste Quartal 2019 (1.1. bis 31.3.) registrierte PIPS für das Hauptstadtterritorium Islamabad keinen und für den Punjab zwei terroristische Angriffe mit zwei Toten (Aggregat aus: PIPS 6.2.2019. PIPS 7.3.2019, PIPS 10.4.2019). Im Jahr 2018 wurde von PIPS im Hauptstadtterritorium kein terroristischer Angriff gemeldet. Im Punjab gab es vier terroristische Anschläge mit 20 Todesopfern. Zwei davon waren Selbstmordsprengangriffe durch die pakistanischen Taliban (PIPS 7.1.2019 S 49). Im Jahr 2017 kamen im Punjab bei 14 Anschlägen 61 Personen ums Leben, davon fanden sechs Vorfälle mit 54 Toten in Lahore statt. Das Hauptstadtterritorium verzeichnete drei Anschläge mit zwei Todesopfern (PIPS 7.1.2018).

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Rechtsschutz / Justizwesen

Das Gesetz garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 13.3.2019). Die pakistanische Verfassung und die Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem. Wenngleich gemäß Verfassung alle Gesetze grundsätzlich im Einklang mit der Scharia stehen müssen, ist deren Einfluss auf die Gesetzgebung eher beschränkt, abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemiegesetzen (ÖB 10.2018). Der Aufbau des Justizsystems ist in der Verfassung geregelt. Der Supreme Court ist das pakistanische Höchstgericht und kann sich in Fällen von öffentlichem Interesse auch der Rechtsdurchsetzung bei Grundrechtsverletzungen, die gem. Verfassung in die Zuständigkeit der High Courts fällt, annehmen. Die fünf High Courts (je einer pro Provinz und im Islamabad Capital Territory) fungieren u.a. als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von Special Courts sowie als Aufsichts- und Kontrollorgane für alle ihnen unterstehenden Gerichte. Ferner bestehen Provinz- und Distriktgerichte, Zivil- und Strafgerichte sowie spezialisierte Gerichte für Steuern, Banken und Zoll (ÖB 10.2018).

Des Weiteren existiert gemäß Verfassung ein Federal Shariat Court, der zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Islam angerufen werden und diesbezüglich auch von sich aus tätig werden kann. Er fungiert zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in Delikten nach den Hudood Ordinances von 1979, die eine v.a. Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in – Kritikern zufolge bei Weitem nicht ausreichenden – Teilen entschärft wurden (ÖB 10.2018). Die Richter des Supreme Court, der High Courts sowie des Federal Shariat Court werden vom Staatspräsidenten auf Vorschlag der Judicial Commission of Pakistan und nach Bestätigung durch einen Parlamentsausschuss ernannt. Der Supreme Court und die High Courts gelten als chronisch überlastet (ÖB 10.2018).

Die Justiz steht weiterhin unter dem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind hochgradig ineffizient (AA 21.8.2018). Gerichte sind überlastet, die Judikative ist nicht in der Lage, Menschenrechte besser zu schützen (AA 1.2.2019). Laut NGOs und Rechtsexperten ist die Justiz in der Praxis oft von externen Einflüssen, wie der Angst vor Repressionen durch extremistische Elemente bei Fällen von Terrorismus, Blasphemie oder öffentlichkeitswirksamen politischen Fällen beeinträchtigt (USDOS 13.3.2019). Die im Rahmen des nationalen Anti-Terror-Aktionsplans vom 24.12.2014 vorgesehene grundlegende Reform des Systems der Strafjustiz kommt bislang nicht voran (AA 21.8.2018).

Viele Gerichte unterer Instanzen bleiben korrupt, ineffizient und anfällig für den Druck von wohlhabenden Personen und einflussreichen religiösen und politischen Akteuren. Es gibt Beispiele, wo Zeugen, Staatsanwälte oder ermittelnde Polizisten in High Profile Fällen von unbekannten Personen bedroht oder getötet wurden. Die oberen Gerichte und der Supreme Court werden allerdings von den Medien und der Öffentlichkeit als glaubwürdig eingestuft (USDOS 13.3.2019).

Verzögerungen in zivilen und Kriminalfällen sind auf ein veraltetes Prozessrecht, unbesetzte Richterstellen, ein schlechtes Fallmanagement und eine schwache rechtliche Ausbildung zurückzuführen. Der Rückstand sowohl in den unteren als auch in den höheren Gerichten beeinträchtigt, zusammen mit anderen Problemen, den Zugang zu Rechtsmitteln oder eine faire und effektive Anhörung (USDOS 13.3.2019).

De facto spielt in weiten Landesteilen das staatliche Recht für normale Pakistaner kaum eine Rolle (AA 21.8.2018). Vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans bestehen informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen und die oft Menschenrechtsverletzungen zur Folge haben (USDOS 13.3.2019; vgl. ÖB 10.2018).

Im Zivil-, Kriminal- und Familienrecht gibt es öffentliche Verhandlungen, es gilt die Unschuldsvermutung, und es gibt die Möglichkeit einer Berufung. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und auf Konsultation eines Anwalts. Die Kosten für die rechtliche Vertretung vor den unteren Gerichten muss der Angeklagte übernehmen, in Berufungsgerichten kann auf öffentliche Kosten ein Anwalt zur Verfügung gestellt werden. Angeklagte können Zeugen befragen, eigene Zeugen und Beweise einbringen und haben rechtlichen Zugang zu den Beweisen, die gegen sie vorgebracht werden (USDOS 13.3.2019).

Gerichte versagen oft dabei, die Rechte religiöser Minderheiten zu schützen. Gesetze gegen Blasphemie werden diskriminierend gegen Schiiten, Christen, Ahmadis und andere religiöse Minderheiten eingesetzt. Untere Gerichte verlangen oft keine ausreichenden Beweise in Blasphemie-Fällen und einige Angeklagte oder Verurteilte verbringen Jahre im Gefängnis, bevor ein höheres Gericht ihre Freilassung anordnet oder ihren Schuldspruch aufhebt (USDOS

13.3.2019). Auf dem Index des „World Justice Project“ zur Rechtsstaatlichkeit 2019 rangiert Pakistan auf Platz 117 von 126; gemäß Bereinigung um die 13 im Vergleich zum Vorjahr hinzugefügten Staaten würde das eine Verschlechterung um einen Rang darstellen (WJP 2019).

Quellen:

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? Dawn (31.5.2018): Mainstreaming Fata with interim governance law, https://www.dawn.com/news/1411061, Zugriff 26.2.2019

? JPP – Justice Project Pakistan (4.10.2018): Counting the Condemned – Data Analysis of Pakistan’s Use of the Death Penalty, https://www.jpp.org.pk/wp-content/uploads/2018/10/2018_10_04_Counting-the-Condemned- Final.pdf, Zugriff 26.2.2019

? News, the (19.1.2019): Decision on military courts’ extension rests with parliament: DG ISPR, https://www.thenews.com.pk/latest/420639-decision-on-military-courts-extension-rests-withparliament-dg-ispr, Zugriff 26.2.2019

? ÖB – Österreichische Botschaft Islamabad (10.2018): Asylländerbericht Pakistan

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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