TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/4 W157 2161874-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.05.2021
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Entscheidungsdatum

04.05.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W157 2161874-1/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Margret KRONEGGER über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Dr. Gregor KLAMMER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.05.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer reiste in die Republik Österreich und stellte am 02.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 04.07.2015 und der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 12.08.2016 begründete der Beschwerdeführer seine Antragstellung dahingehend, sein Bruder hätte als Polizist die Taliban bekämpft, weshalb diese die Familie bedroht hätten. Der Beschwerdeführer selbst sei persönlich sowie telefonisch von Mitgliedern der Taliban bedroht worden.

2. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Weiters wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Es wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).

In der Begründung wertete das Bundesamt das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers aufgrund widersprüchlicher Angaben als unglaubhaft. Dem Beschwerdeführer stehe weiters offen, sich in Kabul niederzulassen.

3. Hiegegen wurde Beschwerde erhoben und der gesamte Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpft.

4. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 16.06.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

5. Am 10.07.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt entschuldigt nicht teilnahm. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seines Vertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari insbesondere zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt. Die Verhandlung wurde auf unbestimmte Zeit vertagt, um die hg. Entscheidung im Verfahren betreffend den Bruder des Beschwerdeführers zur Zl. W229 2170118-1 abzuwarten.

6. Am 13.10.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt entschuldigt nicht teilnahm. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seines Vertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari zu allfälligen Ergänzungen seines bisherigen Vorbringens und zu seiner Integration befragt.

7. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.10.2020 zur Zl. W229 2170118-1/16E wurde dem Bruder des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die vorliegenden Verwaltungsakten und in die Gerichtsakten betreffend den Beschwerdeführer und dessen Bruder, durch Befragung des Beschwerdeführers in zwei mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie durch Einsicht insbesondere in folgende Länderberichte: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 13.11.2019, aktualisiert mit 21.07.2020; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018; EASO, Country Guidance Afghanistan vom Juni 2019.

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Hazara zugehörig und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Er stellte am 02.07.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Helmand geboren und besuchte dort zwölf Jahre lang die Schule, welche er auch erfolgreich abschloss. Anschließend arbeitete er in der Landwirtschaft seiner Familie.

Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan ungefähr im Mai 2015. Der Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , reiste etwa drei Monate später aus Afghanistan aus und stellte am 05.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.10.2020 zur Zl. W229 2170118-1/16E wurde dem Bruder des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Familie des Beschwerdeführers hat in ihrem Heimatort ein Haus und landwirtschaftliche Grundstücke in der Größe von ca. 30 Hektar besessen. Das Dorf des Beschwerdeführers befindet sich nunmehr unter der Kontrolle der Taliban. Die Mutter des Beschwerdeführers, zwei jüngere Brüder, drei Schwestern sowie die Familie seines in Österreich aufhältigen Bruders leben in Lashkarga, Provinz Helmand.

Der Beschwerdeführer ist volljährig, gesund und arbeitsfähig, ledig und kinderlos. Er hat in Österreich einen Bruder und eine österreichische Verlobte sowie mehrere – auch österreichische - Bekannte. Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung, er ist am österreichischen Arbeitsmarkt nicht integriert und geht keiner Erwerbstätigkeit nach. Er verfügt über zwei Arbeitsplatzzusagen bei Lieferunternehmen in Wien sowie über eine Arbeitsplatzzusage in einem Restaurant in Vorarlberg. Er ist nicht straffällig im Sinne des Asylgesetzes, spricht Deutsch auf Niveau B1 und ist ehrenamtlich tätig. Er ist nicht legal in das Bundesgebiet eingereist und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

1.2. Zum Fluchtvorbringen:

Im Jahr 2010 wurde der Vater des Beschwerdeführers von den Taliban entführt und etwa ein Monat gefangen gehalten. Der Vater kam wieder frei, verstarb aber schließlich an den Folgen der Misshandlungen.

Ebenfalls im Jahr 2010 begannen britische Soldaten in XXXX Dorfpolizisten der Afghan Local Police auszubilden. Der Bruder des Beschwerdeführers wurde aufgenommen und war bis zum Jahr 2015 Dorfpolizist (Arbaki). Ab dem Jahr 2012 war der Bruder des Beschwerdeführers Leiter einer Gruppe von zehn Polizisten. Anfangs war die Dorfpolizei den britischen Truppen unterstellt, nach deren Abzug aus der Region im Jahr 2013 dem afghanischen Innenministerium. Die Aufgabe des Bruders des Beschwerdeführers und der Dorfpolizei war neben dem Sorgen für Sicherheit und der Verteidigung gegen die Taliban auch die Bekämpfung des Anbaus und Handels von Schlafmohn. Der Bruder des Beschwerdeführers war auch an der Errichtung von Checkpoints und der Durchführung von Kontrollen beteiligt.

Der Bruder des Beschwerdeführers wurde von den Taliban über das Telefon bedroht, er solle seine Tätigkeit aufgeben und das Dorf verlassen, ansonsten würden sie ihn und seine Familie töten. Die Drohungen richteten sich auch gegen die Familie des Beschwerdeführers, insbesondere den Beschwerdeführer. In weiterer Folge explodierten zwei Minen während Autofahrten des Bruders des Beschwerdeführers, wobei der Bruder des Beschwerdeführers am linken Oberarm verletzt wurde. Danach wurden regelmäßig Sicherheitsposten der Dorfpolizei angegriffen.

Der Beschwerdeführer selbst wurde aufgrund der Tätigkeit seines Bruders ebenfalls persönlich und telefonisch bedroht. Ihm wurde auch vorgeworfen, dass er selbst auch für die Polizei arbeite und gegen die Taliban vorgehe.

Der Beschwerdeführer ist aus der glaubhaften Furcht heraus, von den Taliban aufgrund der Tätigkeit seines Bruders und aufgrund der dem Beschwerdeführer unterstellten politischen Gesinnung getötet zu werden, aus Afghanistan geflohen. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan läuft der Beschwerdeführer daher Gefahr, Bedrohungs- und Gewalthandlungen von Seiten der Taliban ausgesetzt zu sein. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist im gegenständlichen Fall ausgeschlossen. Der afghanische Staat ist derzeit nicht in der Lage, den Beschwerdeführer in Afghanistan hinreichend vor dieser Bedrohung durch die Taliban zu schützen.

1.3. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren. Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück.

Berichten zufolge haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt, mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet.

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan. Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren. Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel – die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte. Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte. Die Taliban setzen Aktivitäten, um das Bewusstsein der Bevölkerung um COVID-19 in den von diesen kontrollierten Landesteilen zu stärken. Sie verteilen Schutzhandschuhe, Masken und Broschüren, führen COVID-19 Tests durch und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen an.

In Afghanistan sind etwa 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen.

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 - 10% der Bevölkerung aus. Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen. Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, dies steht im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen. Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen – inklusive der schiitischen Hazara – halten an.

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 - 19% geschätzt. Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten). 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten, die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen. Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Einige schiitische Muslime bekleiden höhere Regierungsposten. Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25-30%. Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern.

Die Provinz Helmand liegt im Süden Afghanistans und grenzt an die Provinzen Nimroz und Farah im Westen, Ghor und Daikundi im Norden sowie Uruzgan und Kandahar im Osten. Die Provinzhauptstadt von Helmand ist Lashkargah. Die Mehrheit der Einwohner von Helmand sind Paschtunen, mit einer belutschischen Minderheit im Süden an der Grenze zur pakistanischen Provinz Belutschistan und Hazara in Nawamish im Norden. Laut dem UNODC Opium Survey 2018 blieb Helmand 2018 die mit Abstand größte Anbauprovinz für Schlafmohn in Afghanistan und beherbergte 52% der gesamten Anbaufläche des Landes. Helmand zählt zu den volatilen Provinzen Afghanistans. Ein Großteil der Gewalt in Helmand ist auf die Drogenwirtschaft zurückzuführen. Aufständische der Taliban sind in gewissen unruhigen Distrikten aktiv, in denen sie versuchen terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitsinstitutionen durchzuführen. Die Taliban können auf eine große Anzahl an Unterstützern aus der Bevölkerung zurückgreifen. Neben den regulären afghanischen Streitkräften wie der ANP, der ALP, der ANA sowie regierungsfreundlichen Milizen und den US-Streitkräften, soll eine spezielle Abteilung namens Sangorian auf Seite der Regierung in Helmand aktiv sein. Seit dem Jahr 2017 sind US-Marines wieder in Helmand stationiert, um afghanischen Regierungstruppen von Militärstützpunkten aus zu beraten und um Luftangriffe zu verstärken.

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF – Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Auch ist sie verantwortlich für die Sicherheit Einzelner und der Gemeinschaft sowie für den Schutz gesetzlicher Rechte und Freiheiten. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der Afghanischen Nationalarmee (ANA), jedoch ist es nach wie vor das Langzeitziel der ANP, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Die ANP rekrutiert lokal vor Ort in einer der 34 Rekrutierungsstationen in den Provinzen. Die neuen Rekruten werden zur Polizeiausbildung in eines der zehn regionalen Ausbildungszentren entsandt. Die Polizeiausbildung besteht im Allgemeinen aus einem 8- bis 12-wöchigen Ausbildungskurs. Neben der elementaren Polizeiausbildung mangelt es der ANP an einem institutionalisierten Programm zur Entwicklung von Führungskräften – sowohl auf Distrikt-, als auch auf lokaler Ebene. Die Afghan Local Police (ALP) untersteht dem Innenministerium. Die Stärke der ALP, deren Mitglieder auch als „Guardians“ bezeichnet werden, auf rund 30.000 Mann stark geschätzt.

Das diensthabende und dienstfreie Personal des ANSF ist ein häufiges Ziel aufständischer Angriffe. Solche Angriffe können sich an Orten ereignen, an denen sich ANSF-Mitarbeiter versammeln, z.B. auf Armeebasen oder Polizeistationen oder während sie sich vor Banken anstellen. Angriffe können auch in Form von vorsätzlichen Tötungen und Entführungen in ländlichen oder städtischen Gebieten stattfinden. Höchste Priorität bei gezielten Angriffen der Taliban haben Offiziere der NDS sowie Mitglieder lokaler Aufstandsmilizen, der ALP und andere, die die Taliban "nur schwer besiegen" können. Darüber hinaus wird berichtet, dass die Taliban an ihren Strassenkontrollpunkten Passagiere durchfiltern, um Sicherheitspersonal aufzuspüren und zu töten oder zu entführen. Familienangehörige von Sicherheitskräften können ebenfalls zur Zielscheibe von Aufständischen werden. Darüber hinaus werden Familienmitglieder oft unter Druck gesetzt, ihre Verwandten davon zu überzeugen, seine oder ihre Position in den Sicherheitskräften aufzugeben. Es gibt auch Berichte über ehemalige Mitglieder des ANSF, die nach ihrem Ausscheiden aus dem ANSF ins Visier genommen wurden. Die Handlungen, denen Personen unter diesem Profil ausgesetzt sein könnten, sind so schwerwiegend, dass sie auf Verfolgung hinauslaufen würden (z.B. Tötung und Entführung). Bei Personen, die vorrangige Ziele aufständischer Gruppen sind (z.B. Beamte der Sicherheitsdienste, Mitglieder der ALP oder örtliche Aufstandsmilizen), wäre die begründete Furcht vor Verfolgung im Allgemeinen begründet. Auch Familienangehörige können dem Risiko einer Behandlung ausgesetzt sein, die einer Verfolgung gleichkäme.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit sowie zur Schulbildung und Berufstätigkeit des Beschwerdeführers beruhen auf den diesbezüglich plausiblen und im Wesentlichen gleichbleibenden und mit den vorgelegten Unterlagen in Einklang stehenden Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Asylverfahrens. Auch die Feststellungen zum Familienstand, zur Arbeitsfähigkeit sowie zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers stützen sich auf dessen plausibles mündliches und schriftliches Vorbringen.

Die Feststellungen zur Einreise, Antragstellung und dem Aufenthalt des Beschwerdeführers und seines Bruders in Österreich ergeben sich aus dem Inhalt der jeweils Bezug habenden Verwaltungs- und Gerichtsakten und den damit in Einklang stehenden Angaben der beiden Asylwerber.

Hinsichtlich der Feststellungen zu dem aktuellen Privat- und Familienleben sowie insbesondere der Integration des Beschwerdeführers in Österreich wurden das Vorbringen des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung sowie die vorgelegten Nachweise und Empfehlungsschreiben den Feststellungen zugrunde gelegt. Die Feststellung der Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

2.2. Zum Fluchtvorbringen:

Das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan ist in ganzheitlicher Würdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, unter Berücksichtigung der diesbezüglich vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage, der übereinstimmenden Angaben des Bruders des Beschwerdeführers und aufgrund des persönlichen Eindrucks des Beschwerdeführers in den mündlichen Verhandlungen, insgesamt als glaubhaft zu beurteilen.

Die Feststellungen betreffend die Arbeitstätigkeit des Bruders des Beschwerdeführers als Polizist basieren auf den widerspruchsfreien Angaben des Beschwerdeführers und den Aussagen seines Bruders in dessen Asylverfahren sowie auf den vorgelegten Beweismitteln.

Dass in der Provinz Helmand die Taliban aktiv sind und diese auf eine große Anzahl an Unterstützern aus der Bevölkerung zurückgreifen können, geht aus den Länderfeststellungen hervor. Weiters kann den festgestellten Länderberichten entnommen werden, dass das diensthabende und dienstfreie Personal des ANSF ein häufiges Ziel aufständischer Angriffe ist. Zudem können Familienangehörige von Sicherheitskräften ebenfalls zur Zielscheibe von Aufständischen werden. Darüber hinaus werden Familienmitglieder oft unter Druck gesetzt, ihre Verwandten davon zu überzeugen, seine oder ihre Position in den Sicherheitskräften aufzugeben. Es gibt auch Berichte über ehemalige Mitglieder des ANSF, die nach ihrem Ausscheiden aus dem ANSF ins Visier genommen wurden. Aus den verwendeten Länderberichten ergibt sich weiters, dass die Taliban im gesamten Staatsgebiet wieder an Einfluss gewinnen und viele Teile des Landes unter ihrer Kontrolle haben. Außerdem ist aus den Länderinformationen ersichtlich, dass die Taliban auch die Familien von Angehörigen der Sicherheitskräfte bedrohen, sie bei einer Umsiedelung Gefahr laufen, bei einer Straßensperre der Taliban festgehalten zu werden und dass die Taliban ihre Ziele teilweise auch in von der Regierung kontrollierten Gebieten heimsuchen. Daher ist auch das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers, welches sich mit den Erläuterungen seines Bruders deckt, wonach dieser aufgrund seiner Arbeit von den Taliban verfolgt und bedroht wurde, schlüssig.

Das Vorbringen des Bruders des Beschwerdeführers, wonach dieser von den Taliban über das Telefon bedroht wurde, er solle seine Tätigkeit aufgeben und das Dorf verlassen, ansonsten würden sie ihn und seine Familie töten, wurde vom Bundesverwaltungsgericht als glaubhaft erachtet (vgl. W229 2170118-1/16E). Der Beschwerdeführer schilderte sowohl in seiner Erstbefragung als auch in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt, dass sein Bruder aufgrund seiner Tätigkeit als Polizist von den Taliban verfolgt bzw. bedroht wurde, weshalb die gesamte Familie in deren Visier geraten sei. Er selbst sei von den Taliban ebenfalls für einen Zivilpolizisten gehalten worden und kurz vor Neujahr des Jahres 1394 (= 2015) von vier Paschtunen mit dem Tod bedroht worden. Weiters sei er etwa viermal telefonisch bedroht worden. In diesem Zusammenhang konnte der Beschwerdeführer nachvollziehbar darlegen, dass seine Telefonnummer von einem Mitarbeiter der familieneigenen Landwirtschaft weitergegeben wurde. Diese Schilderungen wurden vom Beschwerdeführer im Wesentlichen gleichbleibend in der mündlichen Verhandlung vom 10.07.2018 wiedergegeben. Auch aus den Angaben des Bruders des Beschwerdeführers ergibt sich, dass die Familie des Beschwerdeführers immer wieder von den Taliban belästigt worden sei. So gaben beide Brüder gleichlautend an, dass ihr Vater von den Taliban misshandelt worden sei und an den Folgen dieser Misshandlungen verstorben sei. Dass auch die anderen Familienmitglieder, insbesondere der Beschwerdeführer, aufgrund der Tätigkeit des Bruders des Beschwerdeführers bedroht wurden, ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes folglich glaubhaft.

Letztlich hat der Beschwerdeführer aufgrund seiner in sich schlüssigen, im Wesentlichen widerspruchsfreien, mit dem Vorbringen seines Bruders übereinstimmenden Schilderungen glaubhaft gemacht, aufgrund der Tätigkeit seines Bruders auch in das Visier regierungsfeindlicher Gruppen geraten und dadurch asylrechtlich relevanter Verfolgung ausgesetzt zu sein.

2.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Länderfeststellungen beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Afghanistan gewährleistet – und dem EASO-Bericht „Country Guidance: Afghanistan“ vom Juni 2019 sowie den UNHCR-Richtlinien aus dem Jahr 2018.

Im Ergebnis ist auch nicht zu erkennen, dass sich seit den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht in Afghanistan allgemein und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte. Die Situation in Afghanistan stellt sich seit Jahren diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (u.a. durch Einschau in das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 01.04.2012) versichert hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

Zu A)

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Artikel 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der „wohlbegründeten Furcht“ vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Anträge auf internationalen Schutz sind gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn den Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt wurde, wird das Vorbringen des Beschwerdeführers zu den behaupteten Fluchtgründen als glaubwürdig erachtet bzw. ist das Vorbringen geeignet, eine mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung aus asylrelevanten Gründen darzutun, weshalb es dem Beschwerdeführer insgesamt gelungen ist, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Den der Entscheidung zugrunde gelegten Länderinformationen sowie aus der UNHCR-Richtlinie ist abzuleiten, dass Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, von den Taliban angegriffen oder bedroht zu werden. Der Beschwerdeführer brachte glaubhaft im Verfahren vor, dass er aufgrund der Tätigkeit seines Bruders, aber auch aufgrund der ihm selbst unterstellten politischen Gesinnung einem erhöhten Risiko ausgesetzt war bzw. bei einer Rückkehr erneut wäre. Er ist somit als Person anzusprechen, die in eines der von der UNHCR aufgestellten Risikoprofile fällt und somit einer erhöhten und asylrelevanten Verfolgungsgefahr durch die Taliban in Afghanistan ausgesetzt sein könnte.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist aufgrund der guten Vernetzung der Taliban in Afghanistan nicht anzunehmen. Der Beschwerdeführer wäre im gesamten afghanischen Staatsgebiet einer Verfolgung ausgesetzt.

Da auch keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt, ist dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, aber auch des Verfassungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Desertion Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative mündliche Verhandlung politische Gesinnung Polizist Sippenhaftung unterstellte politische Gesinnung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W157.2161874.1.00

Im RIS seit

13.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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