TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/19 W196 2241461-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.05.2021
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Entscheidungsdatum

19.05.2021

Norm

AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W196 2241461-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten von der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH-BBU, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.03.2021, Zl. 733703903/190402075, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, reiste Anfang Dezember 2003 in Begleitung ihres Ehemannes (Beschwerdeführer zu W196 2240985-1) und zwei damals minderjähriger Kinder (ua. Beschwerdeführerin zu W196 2241460-1) illegal ins Bundesgebiet ein.

Sie stellte für sich und die beiden Kinder am 07.04.2004 jeweils Asylerstreckungsanträge und bezog sich dabei auf die Gründe ihres Ehemannes zu seinem Asylantrag vom 03.12.2003.

Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 25.01.2005 wurde ihrem Ehemann Asyl zuerkannt und der Beschwerdeführerin und ihren Kindern am selben Tag Asyl durch Erstreckung nach ihrem Ehemann bzw. Vater erteilt.

Den XXXX und XXXX in Österreich geborenen zwei weiteren Kindern kommt ebenfalls (abgeleitetes) Asyl zu.

Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.12.2020, Zl. W272 2231818-1/16E, wurde dem ältesten Sohn der Beschwerdeführerin infolge seiner Straffälligkeit und der anhaltenden Verbesserung der Situation im Herkunftsstaat Asyl wieder aberkannt und ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 Abs 1 AsylG 2005 erteilt.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag wurde auch dem Ehemann der Beschwerdeführerin Asyl infolge der Änderung der Situation im Herkunftsstaat gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 iVm Abs.3 AsylG 2005 wieder aberkannt. Der Ehemann der Beschwerdeführerin verfügt ebenfalls über einen Aufenthaltstitel nach dem NAG „Daueraufenthalt – EU“, gültig vom 11.02.2021 bis zum 11.01.2026. Eine Rückkehrentscheidung wurde daher nicht gegen ihn erlassen. Er hat nach den Ausführungen im genannten Erkenntnis jedoch als ehemaliger Unterstützer der Widerstandskämpfer der Tschetschenienkriege aktuell keine Verfolgung mehr im Herkunftsstaat zu befürchten bzw. verfügt er zumindest über eine innerstaatliche Fluchtalternative außerhalb Tschetscheniens - etwa in Sibirien.

Im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen am 17.09.2019 gab die Beschwerdeführerin zusammengefasst auf Russisch an, vor einer Woche eine Venenoperation gehabt zu haben und gelegentlich ein Medikament gegen Bluthochdruck einzunehmen. Ihre vier Kinder und ihr Ehemann seien in Österreich aufhältig sowie Verwandte ihres Ehemannes, zu welchen seltener Kontakt bestehe. Sie habe in Österreich Deutschkurse bis zum Niveau B1 absolviert. Seit 2007 arbeite sie nachmittags als Reinigungskraft, vormittags betreibe sie selbständig eine Änderungsschneiderei. Ihre Mutter und ihre Geschwister seien noch im Herkunftsstaat aufhältig. Zu ihnen habe sie regelmäßig Kontakt.

Ab 11.01.2021 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 45 Abs. 8 NAG ein „Daueraufenthaltstitel-EU“ bis zum 11.01.2026 erteilt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.03.2021 wurde der Beschwerdeführerin unter Spruchteil I. der ihr mit Entscheidung des Bundesasylamtes vom 25.01.2005, Zl. 03 37.039-BAT, zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 idgF aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG wurde festgestellt, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. Unter Spruchteil II. wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt. Eine Rückkehrentscheidung wurde nicht erlassen.

Im Wesentlichen wurde die Entscheidung damit begründet, dass sie sich bei ihrer Antragstellung auf die Gründe ihres Ehemannes bezogen und Asyl im Familienverfahren erhalten habe. Nach Wegfall der Gründe ihres Ehemannes sei auch keine aktuelle Verfolgung ihrer Person im Herkunftsstaat ersichtlich. Ihrem Ehemann und dem ältesten Sohn sei der Asylstatus bereits jeweils aberkannt und gegen ihre drei anderen Kinder seien ebenfalls bereits Asylaberkennungsverfahren eingeleitet worden. Seit der Zuerkennung von Asyl seien mehr als 5 Jahre vergangen, sie habe ihren Hauptwohnsitz im österreichischen Bundesgebiet und verfüge seit dem 11.01.2021 auch über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt- EU“, daher komme § 7 Abs. 3 AsylG 2005 auch für die bisher nicht straffällig gewordene Beschwerdeführerin die Aberkennung von Asyl wegen der geänderten Situation im Herkunftsstaat in Betracht (zu Spruchpunkt I.) Sie leide an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen, verfüge über Schulbildung, spreche die landesüblichen Sprachen und kenne die Gepflogenheiten ihres Herkunftsstaates, wo sie auch noch über familiäre Anknüpfungspunkte verfüge. Sie habe keine Gründe vorgebracht, wonach ihr eine Rückkehr in ihren Herkunftsstaat unzumutbar wäre. Sie lebe mit ihrem Ehemann und ihren vier Kindern in Österreich im gemeinsamen Haushalt und bestreite ihren Lebensunterhalt aus ihren Einkünften als Reinigungskraft und einer Änderungsschneiderei. Sie sei seit mehr als 15 Jahren rechtmäßig in Österreich aufhältig und spreche etwas Deutsch. Eine ihr drohende Gefahr im Herkunftsstaat sei nicht ersichtlich. Die Grundversorgung auch in medizinischer Hinsicht sei in der Russischen Föderation bzw. in Tschetschenien gewährleistet. Sie sei im Herkunftsstaat aufgewachsen, spreche Tschetschenisch und Russisch und sei mit den dortigen Gepflogenheiten vertraut. Ihre in Österreich gewonnenen Berufserfahrungen als Schneiderin könne sie bei der Wiedereingliederung im Herkunftsstaat nutzen. Ihr Ehemann sei nach der Aktenlage vor der Ausreise als Techniker berufstätig gewesen. Es könne ihr und ihrem Ehegatten zugemutet werden, bei einer Rückkehr den Lebensunterhalt für die Familie durch eigene Erwerbstätigkeit zu bestreiten. Dass die wirtschaftliche Situation bei einer Rückkehr nicht jener in Österreich entsprechen werde, sei nicht relevant im Sinne von Art. 3 EMRK. Ein „real risk“ einer Verletzung von Art. 3 EMRK infolge der Covid-19-Pandemie sei ebenfalls nicht ersichtlich. Außergewöhnliche Umstände lägen nicht vor. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz gemäß § 8 AsylG 2005 seien daher nicht gegeben (zu Spruchpunkt II.).

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin gemeinsam mit drei ihrer Kinder fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Hiezu wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass nach der Judikatur des VwGH bei der Aberkennung von Asyl im Familienverfahren auf die Fluchtgründe der Bezugsperson abzustellen sei, auf welche verwiesen werde. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung werde für den Fall einer negativen Entscheidung beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, welche der tschetschenischen Volksgruppe angehört und sich zum moslemischen Glauben bekennt. Sie reiste im Jahr 2003 gemeinsam mit ihrem Ehemann und zwei damals minderjährigen Kindern illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 07.04.2004 für sich und die beiden Kinder einen Antrag auf Asylerstreckung. Dabei bezog sie sich auf die Fluchtgründe ihres Ehemannes.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.01.2005 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 11 Abs. 1 AsylG durch Erstreckung Asyl gewährt bzw. die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.

Im österreichischen Bundesgebiet halten sich ihre nunmehr vier Kinder sowie ihr Ehemann und entfernte Verwandte ihres Ehemannes auf, zu denen nur selten Kontakt besteht. Den Lebensunterhalt bestreitet die Beschwerdeführerin aus ihrer Tätigkeit als Reinigungskraft und dem Betrieb einer Änderungsschneiderei. Die Beschwerdeführerin hat Deutschkurse bis zum Niveau B1 absolviert und spricht neben Tschetschenisch und Russisch auch etwas Deutsch.

Die Mutter und Geschwister der Beschwerdeführerin leben noch im Herkunftsstaat in Tschetschenien. Die Beschwerdeführerin hat ihre Schulausbildung im Herkunftsstaat erhalten und ist mit den dortigen Gepflogenheiten sowie den Landessprachen vertraut. Sie ist strafgerichtlich unbescholten, hat ihren Hauptwohnsitz in Österreich und verfügt seit dem 11.01.2021 über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“.

Ihrem Ehemann wurde nach der Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-EU“ mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag der Status des Asylberechtigten wegen der veränderten Lage im Herkunftsstaat aberkannt. Eine ihm aktuell drohende Gefahr oder Verfolgung als (bloßer) Unterstützer des Widerstandes im Tschetschenienkrieg konnte nicht festgestellt werden.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin nach einer Rückkehr ins Herkunftsland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevanten Übergriffen ausgesetzt ist. Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass sie konkret Gefahr liefe, in ihrem Herkunftsstaat aktuell der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Die Beschwerdeführerin ist aufgrund der Angehörigeneigenschaft zu ihrem Ehemann aktuell keiner Verfolgung durch die Behörden ihres Herkunftsstaates ausgesetzt. Ein derartiges Risiko besteht weder im Nordkaukasus, noch in anderen Landesteilen der Russischen Föderation. Die Beschwerdeführerin hat den Herkunftsstaat vor 17 Jahren verlassen, war nie einer individuellen Verfolgung ausgesetzt und hat im nunmehrigen Verfahren keine substantiierten Befürchtungen für den Fall ihrer Rückkehr geäußert.

Zur Situation in der Russischen Föderation werden folgende Feststellungen getroffen:

RUSSISCHE FÖDERATION / Gesamtaktualisierung am 27.03.2020/ letzte Kurzinformation eingefügt am 21.07.2020

Politische Lage

Letzte Änderung: 04.09.2020

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 7.2020c; vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2020a; vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 7.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischus- tin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden. Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren. Der Volksentscheid über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem er aufgrund der Corona Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der so genannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 7.2020a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zen- tristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global

Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 7.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online

9.9.2019) . Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer „smarten Abstimmung“ aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen - nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online

9.9.2019) .

Quellen:

•        AA-Auswärtiges Amt (2.3.2020c): Russische Föderation - Politisches Portrait, https://www.ausw aertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710 , Zugriff 10.3.2020

•        CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https: //www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.3.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of- protection.pdf, Zugriff 10.3.2020

•        FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html , Zugriff 10.3.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 17.7.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 17.7.2020

•        Global Security (21.9.2016): Duma Election -18 September 2016, https://www.globalsecurity.org /military/world/russia/politics-2016.htm , Zugriff 10.3.2020

•        Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kl einezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau , Zugriff 10.3.2020

•        MDR 16.7.2020): Mehr als 140 Demonstranten in Moskau festgenommen, https://www.mdr.de/nac hrichten/politik/ausland/festnahme-moskau-putin-kritiker-bei-protest-100.html, Zugriff 21.7.2020

•        ORF - Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-556 03/, Zugriff 10.3.2020

•        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true , Zugriff

10.3.2020

•        Presse.at (19.3.2018): Putin: „Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen“, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst- sich-um-Machtzentrum-zusammen , Zugriff 10.3.2020

•        RIANowosti (23.9.2016): ^MK yTBepflun pe3ynbra™ BbiöopoB b rocgyMy, https://ria.ru/2016092 3/1477668197.html , Zugriff 10.3.2020

•        Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://dersta ndard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020

•        Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-w ahl-putin-101.html , Zugriff 10.3.2020

•        Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/ politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau , Zugriff 10.3.2020

Tschetschenien

Letzte Änderung: 09.04.2020

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben - eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau

12.2019) .

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale" dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von In- guschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau

12.2019) . Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaer- tiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation- stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 5.3.2020

•        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html, Zugriff 3.3.2020

•        NZZ - Neue Zürcher Zeitung (29.6.2019): Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlich- zerrissen-ld.1492435, Zugriff 11.3.2020

•        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/lo- cal/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020

•        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, htt- ps://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 10.3.2020

Dagestan

Letzte Änderung: 09.04.2020

Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 13.1.2020). Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands (AA 13.2.2019, vgl. ÖB Moskau 12.2019).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien (SWP 4.2015) und wird nicht ganz so ausgeprägt kontrolliert wie in Tschetschenien (AA 13.2.2019). Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht automatischen Herrschaftsverhältnissen entgegen (SWP 4.2015). Die Bewohner Dagestans sind hinsichtlich persönlicher Freiheit besser gestellt, und auch die Menschenrechtslage ist grundsätzlich besser als im benachbarten Tschetschenien (AA 13.2.2019), obwohl auch in Dagestan mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einhergehen (AA 13.2.2019, vgl. SWP 4.2015). Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew wurde das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien ausgehebelt. Der Kreml hatte länger schon damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden; im Nordkaukasus hatte er davon jedoch Abstand genommen. Wassiljew ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan - und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht - Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll (NZZ 12.2.2018).

Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef Abdussamad Gamidow, zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet, um die wirtschaftlich abgeschlagene und am stärksten von allen russischen Regionen am Tropf des Zentralstaats hängende NordkaukasusRepublik auszubeuten. Kurz vorher waren bereits der Bürgermeister von Machatschkala und der Stadtarchitekt festgenommen worden (NZZ 12.2.2018, vgl. Standard.at 5.2.2018).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaer- tiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation- stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

•        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentati- on (13.1.2020): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen, htt- ps://www.ecoi.net/de/laender/russische-foederation/themendossiers/sicherheitslage-in-dagestan- zeitachse-von-angriffen/, Zugriff 10.3.2020

•        Dekoder (24.5.2016): Nicht-System-Opposition, https://www.dekoder.org/de/gnose/nicht-system- opposition, Zugriff 10.3.2020

•        NZZ - Neue Zürcher Zeitung (12.2.2018): Durchgreifen in Dagestan: Moskau räumt im Nordkaukasus auf, https://www.nzz.ch/international/moskau-raeumt-im-nordkaukasus-auf-ld.1356351, Zugriff

10.3.2020

•        ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff

10.3.2020

•        Standard.at (5.2.2018): Regierungsspitze in russischer Teilrepublik Dagestan festgenommen, https://www.derstandard.at/story/2000073692298/regierungsspitze-in-russischer-teilrepublik-da- gestan-festgenommen, Zugriff 10.3.2020

•        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff

10.3.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 09.04.2020

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien

hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (19.3.2020a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff

19.3.2020

•        BMeiA (19.3.2020): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufent- halt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 19.3.2020

•        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutsch- landfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 19.3.2020

•        EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.3.2020): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russ- land/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 19.3.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 19.3.2020

•        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_- hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Nordkaukasus

Letzte Änderung: 09.04.2020

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt (SWP 10.2015, vgl. ÖB Moskau 12.2019). Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein „Wilajat Kavkaz", eine „Provinz Kaukasus", als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem „Kalifen" Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2019). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Der größte Anteil an Gewalt im Nordkaukasus entfällt weiterhin auf Dagestan und Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2019).

Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis Nordkaukasus hatte Dagestan die größte Zahl der Toten und Verwundeten zu verzeichnen; Tschetschenien belegte den zweiten Platz (Caucasian Knot 30.8.2019).

Im Jahr 2019 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] bei 44 Personen, davon wurden 31 getötet (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaer- tiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation- stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflictvictims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019,10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons feil victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff

19.3.2020

•        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/lo- cal/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 19.3.2020

•        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den »Islamischen Staat« (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/ak- tuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

•        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_- hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Tschetschenien

Letzte Änderung: 09.04.2020

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im Jahr 2018 wurden in Tschetschenien mindestens 35 Menschen Opfer des bewaffneten Konflikts, von denen mindestens 26 getötet und neun weitere verletzt wurden. Unter den Opfern befanden sich drei Zivilisten (zwei getötet, einer verletzt), elf Exekutivkräfte (drei getötet, acht verletzt) und 21 Aufständische (alle getötet). Im Vergleich zu 2017, als es 75 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl 2018 um 53,3% (Caucasian Knot 30.8.2019). 2019 wurden in Tschetschenien im Rahmen des bewaffneten Konflikts sechs Personen getötet und fünf verletzt [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

•        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019,10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff

19.3.2020

•        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff

19.3.2020

•        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fNeadmin/contents/products/aktueN/2017A23_- hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Dagestan

Letzte Änderung: 09.04.2020

Die Sicherheitslage in Dagestan ist zwar angespannt, hat sich in jüngerer Zeit aber verbessert (AA 13.2.2019). Gründe für den Rückgang der Gewalt sind die konsequente Politik der Repression radikaler Elemente und das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete nach Syrien und in den Irak (ÖB Moskau 12.2019).

Die russische Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus gilt seit einigen Jahren als Brutstätte von Terrorismus. Mehr als 1.000 Kämpfer aus dem Land sollen sich dem sog. Islamischen Staat in Syrien und im Irak angeschlossen haben. Terroristen aus Dagestan sind auch in anderen Teilen Russlands und im Ausland aktiv. Viele Radikale aus Dagestan sind außerdem in den Nahen Osten ausgereist. In den Jahren 2013 und 2014 brachen ganze salafistische Familien dorthin auf. Die russischen Behörden halfen den Radikalen damals sogar bei der Ausreise. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi wollte Russland möglichst viele Gefährder loswerden (Deutschlandfunk 28.6.2017). Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste, gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan, schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung. So werden von den Sicherheitskräften mitunter auch Imame verhaftet, die dem Salafismus anhängen sollen. Aus der Perspektive der Sicherheitsdienste sollen ihre Moscheen als Rekrutierungsstätten für IS-Anhänger dienen, für einen Teil der muslimischen Bevölkerung stellen diese Maßnahmen jedoch ungebührliche Schikanen dar. Es kommt nach wie vor zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Extremisten. Die Extremisten gehörten zunächst zum 2007 gegründeten sogenannten Kaukasus-Emirat, bekundeten jedoch vermehrt ihre Loyalität gegenüber dem sog. IS. Auch operativ ist der sog. IS im Nordkaukasus in Erscheinung getreten. Einige Angriffe auf Polizisten bzw. Polizeieinrichtungen wurden unter dem Deckmantel des sog. IS ausgeführt; im Dezember 2015 bekannte sich der sog. IS zu einem Anschlag auf eine historische Festung in Derbent. Inwieweit der sog. IS nach der territorialen Niederlage im Nahen Osten entsprechende Ressourcen verschieben wird, um im Nordkaukasus weitere terroristische Umtriebe zu entfalten oder die regionale Zweigstelle weiterhin zu Propagandazwecken nutzen wird, um seinen globalen Einfluss zu unterstreichen, wird von den russischen Sicherheitskräften genau verfolgt (ÖB Moskau 12.2019).

Im Jahr 2018 gab es mindestens 49 Opfer des bewaffneten Konflikts in Dagestan, davon wurden 36 Personen getötet und 13 verletzt. Die meisten getöteten Personen sind, wie 2017, unter den Aufständischen zu finden, nämlich 27. Von den Exekutivkräften wurden drei getötet und elf verletzt. Sechs Zivilisten wurden getötet und zwei verletzt. Im Vergleich zu 2017, als es 55 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl um 10,9% (Caucasian Knot 30.8.2019).

2019 wurden in Dagestan neun Personen getötet [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020). Diese neun Personen wurden alle im ersten Halbjahr 2019 getötet (Caucasian Knot 30.8.2019).

Laut dem Leiter des dagestanischen Innenministeriums gab es bei der Bekämpfung des Aufstands in Dagestan einen Durchbruch. Die Aktivitäten der Gruppen, die in der Republik aktiv waren, sind seinen Angaben zufolge praktisch komplett unterbunden worden. Nach acht Mitgliedern des Untergrunds, die sich Berichten zufolge im Ausland verstecken, wird gefahndet. Trotzdem besteht laut Analysten und Journalisten weiterhin die Möglichkeit von Anschlägen durch einzelne Täter (ACCORD 19.6.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaer- tiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation- stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

•        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documenta- tion (19.6.2019): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan, Zeitachse von Angriffen, htt- ps://www.ecoi.net/de/laender/russische-foederation/themendossiers/sicherheitslage-in-dagestan- zeitachse-von-angriffen/#Toc489358424, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflictvictims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019,10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff

19.3.2020

•        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutsch- landfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 19.3.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 04.09.2020

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR - Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR - Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2019). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 4.3.2020).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Beru- fungs-und Kassationsverfahren geschaffen wurden, sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto „Schuldvermutung“ im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter, etc.). Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen Ende 2018 rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2019). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.2.2019). So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexej Uljukaew im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2019).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, sodass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2019). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung in Einklang stehen (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.2.2019, USDOS 11.3.2020). Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht. Mit Ende 2018 waren beim EGMR 11.750 Anträge aus Russland anhängig. Im Jahr 2018 wurde die Russische

Föderation in 238 Fällen wegen einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verurteilt. Besonders zahlreich sind Konventionsverstöße wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Verstöße gegen das Recht auf Leben, insbesondere im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Tschetschenien oder der Situation in den russischen Gefängnissen. Außerdem werden Verstöße gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gerügt (ÖB Moskau 12.2019).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer „nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22.2.2017 überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der „Absicht" angenommen haben, die „Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018). Bei den Protesten im Zuge der Kommunal- und Regionalwahlen in Moskau im Juli und August 2019, bei denen mehr als 2.600 Menschen festgenommen wurden, wurde teils auf diesen Artikel (212.1) zurückgegriffen (AI 16.4.2020).

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. E

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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