TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/19 W196 2240985-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.05.2021
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Entscheidungsdatum

19.05.2021

Norm

AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W196 2240985-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2021, Zl. 733703805/190402119, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 7 und 8 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, reiste Anfang Dezember 2003 in Begleitung seiner Ehefrau (Beschwerdeführerin zu W 196 2241461-1) und seinen beiden, damals noch minderjährigen Kindern (Beschwerdeführer zu W196 2241460-1 sowie zu W272 2231818-1) illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 03.12.2003 ein Asylantrag. Als Fluchtgrund brachte er zusammengefasst vor, während der Tschetschenienkriege zwar nicht selbst gekämpft aber Hilfsleistungen für die Widerstandskämpfer erbracht zu haben und deshalb eine Festnahme durch die russischen Kräfte zu befürchten bzw. Angst zu haben, so wie sein jüngerer Bruder im September 2002 getötet zu werden.

Seine Ehefrau stellte für sich und die beiden Kinder am 07.04.2004 jeweils Asylerstreckungsanträge und bezog sich dabei auf die Gründe des Beschwerdeführers.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.01.2005 wurde dem Beschwerdeführer Asyl zuerkannt. Den Familienangehörigen wurde ebenfalls am selben Tag Asyl durch Erstreckung erteilt.
XXXX und XXXX wurden zwei weitere Kinder des Beschwerdeführers (Beschwerdeführer zu W196 2241459-1 und W196 2241458-1) in Österreich geboren, welchen ebenfalls (abgeleitetes) Asyl zuerkannt wurde.

Mit rechtskräftigem Urteil vom 01.03.2019 wurde der Beschwerdeführer von einem inländischen BG wegen strafbarer Handlungen gemäß § 125 und § 83 (1) StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat, bedingt auf drei Jahre verurteilt.

Am 20.08.2019 wurde infolge der geänderten Lage im Herkunftsstaat gegen den Beschwerdeführer ein Verfahren zur Aberkennung von Asyl eingeleitet.

Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 27.09.2019 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die russische Sprache brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, er sei gesund und befinde sich nicht in ärztlicher Behandlung. In Tschetschenien habe er niemanden mehr und sei seit 2003 auch nicht mehr dort gewesen. Seine Frau habe Verwandte in Tschetschenien. Er habe in Österreich nur seine Familienangehörigen und Verwandte seiner Ehefrau. Die beiden älteren Kinder seien bereits erwachsen, die beiden jüngeren noch minderjährig. Die älteste Tochter arbeite, der älteste Sohn sei im Gefängnis, die beiden jüngeren Söhne gingen noch zur Schule. Der Beschwerdeführer habe in der Russischen Föderation einen Beruf erlernt und gearbeitet. In Österreich habe er zuletzt in einem Möbelhaus im Lager gearbeitet. Er habe gesundheitliche Probleme bekommen (Leber, Halswirbelsäule, künstliches Hüftgelenk ca. 2015). Derzeit beziehe er Arbeitslosengeld, seine Ehefrau sei als Putzfrau erwerbstätig und betreibe eine Schneiderei. In Österreich habe er alle vorgeschriebenen Deutschkurse besucht, aber wenig Praxis gehabt. Zum eingeleiteten Asylaberkennungsverfahren brachte er im Wesentlichen vor, dass die Situation in Russland anders als in Tschetschenien sei, da tschetschenische Gesetze dort nicht akzeptiert würden und umgekehrt. Im Gegensatz zu Russland würde sich in Tschetschenien niemand trauen, zu demonstrieren, da man sonst in den Tod geschickt werde. Gegen seine Rückkehr spreche, dass er wegen seinem getöteten Bruder Probleme bekommen habe und deswegen geflüchtet sei. Seine dort gebliebenen Verwandten seien inzwischen alle getötet worden. Derzeit gebe es für ihn keinen Grund dorthin zurückzukehren. Er würde eine Rückkehr nicht überleben. Zur Frage, ob er in Österreich Mitglied in einem Verein oder einer religiösen Gruppe sei, brachte er vor, 2005 ein einziges Mal in Österreich in einer Moschee gewesen und dort gefilmt worden zu sein sowie die dort Anwesenden danach in einem russischen Fernsehsender gesehen zu haben. Es sei so, dass die russische Führung und Kadyrov eigene Leute ins Ausland schicken würden, um die Leute hier auszuspionieren und zu überwachen. Er betrachte sich in Österreich als ganz gut integriert, wenn auch nicht hervorragend. Grundsätzlich benötige er keinen Dolmetscher, aber bei wichtigen Sachen nehme er schon einen in Anspruch. Unterlagen (Reisepass und Sprachzertifikate) habe er zu Hause. Er bemühe sich in Österreich so wenig wie möglich Kontakt zu anderen Menschen zu haben. Unter seinen Bekannten befänden sich nur wenige Tschetschenen, auch österreichische Freunde habe er nicht.

Zu seinem Antrag vom Oktober 2019 auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels nach § 45 Abs.8 NAG wurde ihm ab dem 11.01.2021 bis zum 11.01.2026 ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ erteilt.

Bereits mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.12.2020, Zl. W272 2231818-1/16E, wurde die Aberkennung des seinem ältesten und bereits erwachsenen Sohn zukommenden Asylstatus bestätigt, ihm subsidiärer Schutz nicht zuerkannt, jedoch ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 Abs.1 AsylG 2005 erteilt.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2021 wurde der dem Beschwerdeführer zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.) sowie ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Eine Rückkehrentscheidung wurde nicht erlassen.

Darin stellte die Behörde fest, dass die Asylgewährung an den damals unbescholtenen Beschwerdeführer im Jänner 2005 auf Grund einer zum damaligen Zeitpunkt maßgeblich wahrscheinlich drohenden persönlichen Verfolgung durch die russischen Behörden infolge glaubhafter Unterstützung der Widerstandskämpfer im ersten Tschetschenienkrieg erfolgt sei. Seinen Angaben zufolge habe er selbst nie im Tschetschenienkrieg gekämpft. Seine damaligen Gründe seien zwischenzeitig weggefallen, eine aktuelle substanziell begründete Furcht vor Verfolgung in der Russischen Föderation habe er nicht glaubhaft machen können und sei auch sonst nicht hervorgekommen. Seit der Zuerkennung von Asyl seien mehr als fünf Jahre vergangen. Sein Hauptwohnsitz befinde sich im österreichischen Bundesgebiet und er verfüge ab 11.01.2021 über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt –EU“ (§45 NAG). Auch gegen seine Ehefrau und seine Kinder seien bereits Asylaberkennungsverfahren eingeleitet sowie ihnen Aufenthaltstitel erteilt worden. Ein reales Risiko einer Gefährdung im Sinne von Art. 2 oder 3 EMRK im Herkunftsstaat habe nicht festgestellt werden können. Er leide nicht an lebensbedrohlichen Erkrankungen und es bestehe auch kein längerfristiger Pflege- oder Rehabilitationsbedarf. Er verfüge über Schulbildung und Berufserfahrung im Herkunftsstaat und beherrsche landesübliche Sprachen. Auch verfüge er zumindest über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte seiner Ehefrau; von einer zumindest anfänglichen Unterstützung bei seiner Rückkehr sei auszugehen. Dass ihm eine Rückkehr unzumutbar wäre, habe er nicht vorgebracht. Er lebe mit seiner Familie im gemeinsamen Haushalt und bestreite seinen Lebensunterhalt aus Sozialleistungen und den Einkünften seiner Ehefrau als Reinigungskraft und Schneiderin. Nach 15-jährigem rechtmäßigem Aufenthalt im Bundesgebiet und dem Besuch mehrerer Deutschkurse spreche er etwas Deutsch. Er sei nicht mehr unbescholten, allerdings sei von einer positiven Zukunftsprognose auszugehen und festzustellen, dass er derzeit keine Gefahr für die Gemeinschaft darstelle. Zur Lage im Herkunftsstaat wurde ua. festgestellt, dass heute von einer Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges allein deswegen im Allgemeinen nicht mehr auszugehen sei. Gegen bekannte Kritiker würde Kadyrow auch im Ausland vorgehen. Trotzdem dürften sich die russischen und tschetschenischen Behörden bei der Strafverfolgung va. auf IS-Kämpfer bzw. Unterstützer bzw. auf Personen konzentrieren, welche im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen.

Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen dargelegt, dass der Beschwerdeführer keine konkreten Angaben über eine ihm drohende aktuelle und persönliche Verfolgung im Herkunftsland gemacht habe. Es könne daher nicht von einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden gezielten staatlichen Verfolgung bzw. einer künftig drohenden Verfolgung ausgegangen werden (zu Spruchpunkt I.) Die Situation im Herkunftsstaat sei nicht derart, dass der Beschwerdeführer und seine Familienangehörigen einer asylrelevanten Verfolgung oder dem realen Risiko einer Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Gefahr ausgesetzt wären. Die Einreise und Niederlassung sei im Herkunftsstaat möglich, auch eine Existenzgründung – allenfalls auch außerhalb Tschetscheniens. Der Beschwerdeführer sei im Herkunftsstaat aufgewachsen und sozialisiert worden, spreche die landesüblichen Sprachen (Russisch und Tschetschenisch) und sei bereits mehrere Jahre als Techniker beschäftigt gewesen. Zumindest Verwandte seiner Ehefrau seien dort aufhältig und sei eine Unterstützung durch diese im Fall der Rückkehr möglich. Es sei nicht ersichtlich, dass er und seine Ehefrau nicht auch in Russland einer Beschäftigung nachgehen könnten, um für den Lebensunterhalt ihrer Familie zu sorgen. Er leide an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen, auch bestehe keine langfristiger Rehabilitations- oder Pflegebedarf. Er sei trotz Hüftimplantat grundsätzlich arbeitsfähig, zumal er in Österreich noch nicht krankheitsbedingt pensioniert worden sei. Es stehe ihnen frei, ihren Wohnsitz in ganz Russland frei zu wählen, selbst wenn es Zuzugsbeschränkungen in die Ballungsgebiete Moskau und St. Petersburg gebe, welche aber nicht auf Tschetschenen beschränkt seien. Alternativ bestünde auch die Möglichkeit, sich in Sibirien förderungsunterstützt niederzulassen. E sei daher nicht davon auszugehen, dass er und seine Familie in eine nach Art. 3 EMRK relevante Notlage geraten würden. Die Feststellungen zu seinem Privat- und Familienleben ergäben sich aus seinen eigenen Angaben, jene zur Situation im Herkunftsstaat aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation.

Rechtlich führte die Behörde aus, dass er nach seinen damaligen Angaben in den Tschetschenienkriegen selbst nicht gekämpft habe, sich auch hier nicht politisch betätige und von Landsleuten fernhalte, sodass davon auszugehen sei, dass die Gründe für die Zuerkennung von Asyl zwischenzeitig weggefallen seien. Er könne es daher nicht mehr ablehnen, den Schutz seines Heimatlandes in Anspruch zu nehmen. Asyl sei gemäß § 7 Abs. 1 AsylG 2005 abzuerkennen gewesen (Spruchpunkt I.). Demnach und mangels Bestehens einer gemäß Art. 2 oder 3 EMRK relevanten Situation im Herkunftsstaat bzw. beim Beschwerdeführer lägen auch die Voraussetzungen für subsidiären Schutz gemäß § 8 AsylG 2005 nicht vor. Die Grundversorgung in der Russischen Föderation insbesondere in Tschetschenien sei gewährleistet, auch die medizinische Versorgung. Schwerwiegende Krankheiten lägen beim Beschwerdeführer nicht vor. Auch das Risiko, an COViD-19 zu erkranken, sei für den Beschwerdeführer gering und verletze daher Art. 3EMRK ebenfalls nicht (Spruchpunkt II.).

Dagegen erhob der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers am 26.03.2021 fristgerecht vollumfänglich Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Die Länderfeststellungen wurden als unvollständig bzw. unrichtig hinsichtlich des konkreten Fluchtvorbringens kritisiert. Daraus ergebe sich nämlich nicht, dass es überhaupt keine Verfolgung von Widerstandskämpfern der Tschetschenienkriege gebe. Danach sei nicht ausgeschlossen, dass ehemalige Widerstandskämpfer nicht auch wegen ihres Asylantrages in Europa und jahrelangen Aufenthalts dort verfolgt würden. Sodann wurde aus verschiedenen Anfragebeantwortungen vom Jänner 2020 der Staatendokumentation betreffend zurückkehrende ehemalige Widerstandskämpfer und deren Familienangehörige bzw. Personen, denen dies nur vorgeworfen werde, zitiert, wonach es in Tschetschenien selbst begründete sowie unbegründete Strafverfolgung dieser Personen gebe. Sofern ehemalige Rebellen eine Regierungsamnestie in den frühen 2000er Jahren nicht akzeptiert hätten, sei es praktisch unmöglich in Tschetschenien selbst zu leben aber auch ziemlich gefährlich, sich im übrigen Gebiet der Russischen Föderation aufzuhalten, sodass nicht von einer geänderten Situation für diese Personen ausgegangen werden könne. Das NHC habe im Zuge von Nachforschungen in Erfahrung gebracht, dass die tschetschenischen Behörden die Mittel hätten, einen gesuchten Tschetschenen auch an einem neuen Ort zu finden, und daher für verfolgte Tschetschenen in der Russischen Föderation keine innerstaatliche Fluchtalternative existiere. Außerdem würden ua. Tschetschenen auf dem Arbeitsmarkt systematisch diskriminiert. Zusammengefasst wäre der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Die Behörde habe sich in ihrer Begründung lapidar auf lediglich zwei tendenziös ausgelegte Sätze aus dem Länderinformationsblatt gestützt und es verabsäumt, sich mit Quellen auseinanderzusetzen. Ferner habe die Behörde trotz entsprechendem Vorbringen kein fachärztliches Gutachten zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers eingeholt. Der Beschwerdeführer sei nicht arbeitsfähig, er verfüge über einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 40% und sein Gesundheitszustand habe sich seither sukzessive verschlechtert. Die beantragte Invaliditätspension sei ihm mangels ausreichender Beitragsjahre nicht bewilligt worden. Zum Beweis für die nicht gegebene Arbeitsfähigkeit werde ein fachärztliches Gutachten beantragt. Die Beweiswürdigung sei mangelhaft gewesen, da sie sich nicht mit „Gegengründen“ beschäftigt habe. Da der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in der Russischen Föderation asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt wäre, seien die Voraussetzungen für die Asylaberkennung nicht gegeben. Hinsichtlich seines Gesundheitszustandes habe sie zudem nicht auf die persönlichen Umstände zum Zeitpunkt der Entscheidung abgestellt. Zusammen mit seinem Alter und der aufgezeigten Diskriminierung am Arbeitsmarkt würde er im Fall einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Lage geraten. Für den Fall einer Abweisung werde ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Asylverfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die Bezug habenden Verwaltungsakten, sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister, den Sozialversicherungsauszug sowie das Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an und bekennt sich zum moslemischen Glauben.

Der Beschwerdeführer reiste im Dezember 2003 mit seiner Ehefrau und zwei damals minderjährigen Kindern illegal nach Österreich ein und stellte am 03.12.2003 einen Antrag auf Zuerkennung von Asyl. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.01.2005 wurde ihm Asyl zuerkannt. Es wurde festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Begründet wurde dies damit, dass der Beschwerdeführer im Ermittlungsverfahren einen unter § 7 AsylG zu subsumierenden Sachverhalt vorgebracht habe. Dieser Entscheidung zugrunde gelegt wurden seine Angaben im Verfahren, wonach der Beschwerdeführer als Unterstützer des Widerstandes während der Tschetschenienkriege - nach der Mitnahme und Tötung seines im Widerstand aktiven Bruders anlässlich einer Kontrolle im September 2002 durch die föderalen Behörden aus Angst vor einer ebensolchen Verfolgung - seinen Herkunftsstaat verlassen habe.

Festgestellt wird, dass dem Beschwerdeführer in Tschetschenien respektive der Russischen Föderation keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten mehr droht. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation festgestellt werden.

Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tschetschenien respektive in die Russische Föderation nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Der Beschwerdeführer liefe dort auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation nicht in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihm die notdürftigste Lebensgrundlage nicht entzogen wäre.

Mit rechtskräftigem Urteil eines inländischen Bezirksgerichtes vom 30.01.2019 wurde der Beschwerdeführer wegen Sachbeschädigung und Körperverletzung nach §§ 125 und 83 (1) StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat mit einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt.

Im Bundesgebiet leben die mittlerweile vier Kinder sowie die Ehefrau des Beschwerdeführers. Die beiden älteren Kinder sind bereits erwachsen und gehen einer Arbeit nach bzw. verbüßten eine Haftstrafe. Die beiden jüngeren Söhne sind im Bundesgebiet geboren und besuchen aktuell in Österreich die Schule. Darüber hinaus verfügt der Beschwerdeführer über keine familiären oder sonstigen verwandtschaftlichen bzw. familienähnlichen sozialen Bindungen in Österreich. Verwandte (Cousins und Cousinen) seiner Ehefrau leben ebenfalls in Österreich.

Gegen seine Ehefrau und seine vier Kinder wurden ebenfalls bereits Asylaberkennungsverfahren eingeleitet und ihnen jeweils Aufenthaltstitel im Bundesgebiet erteilt.

In Russland halten sich im Entscheidungszeitpunkt weitere Verwandte der Ehefrau des Beschwerdeführers auf, zu welchen seine Frau auch Kontakt hat.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner schweren oder lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Erkrankung und ist grundsätzlich arbeitsfähig. Er nimmt keine Medikamente.

Der Beschwerdeführer hat sich während seines 17-jährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet Deutschkenntnisse angeeignet, spricht inzwischen etwas Deutsch und beherrscht sowohl Russisch als auch Tschetschenisch gut. Im Herkunftsstaat hat er seine Schul- und Berufsausbildung als Techniker sowie Arbeitserfahrung erworben.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich bereits als Lagerarbeiter in einem Möbelhaus Erwerbseinkünfte erzielt und bezieht derzeit Notstandshilfe. Darüber hinaus hat er an Deutschkursen teilgenommen. Der Beschwerdeführer geht keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nach. Seine Frau erzielt hier Einkünfte als Reinigungskraft und dem Betrieb einer Schneiderei.

Zur Situation in der Russischen Föderation werden folgende Feststellungen getroffen:

RUSSISCHE FÖDERATION / Gesamtaktualisierung am 27.03.2020/ letzte Kurzinformation eingefügt am 21.07.2020

Politische Lage

Letzte Änderung: 04.09.2020

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 7.2020c; vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2020a; vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 7.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischus- tin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden. Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren. Der Volksentscheid über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem er aufgrund der Corona Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der so genannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 7.2020a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zen- tristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global

Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 7.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online

9.9.2019) . Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer „smarten Abstimmung“ aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen - nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online

9.9.2019) .

Quellen:

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•        CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https: //www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.3.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of- protection.pdf, Zugriff 10.3.2020

•        FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html , Zugriff 10.3.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 17.7.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 17.7.2020

•        Global Security (21.9.2016): Duma Election -18 September 2016, https://www.globalsecurity.org /military/world/russia/politics-2016.htm , Zugriff 10.3.2020

•        Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kl einezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau , Zugriff 10.3.2020

•        MDR 16.7.2020): Mehr als 140 Demonstranten in Moskau festgenommen, https://www.mdr.de/nac hrichten/politik/ausland/festnahme-moskau-putin-kritiker-bei-protest-100.html, Zugriff 21.7.2020

•        ORF - Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-556 03/, Zugriff 10.3.2020

•        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true , Zugriff

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•        Presse.at (19.3.2018): Putin: „Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen“, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst- sich-um-Machtzentrum-zusammen , Zugriff 10.3.2020

•        RIANowosti (23.9.2016): ^MK yTBepflun pe3ynbra™ BbiöopoB b rocgyMy, https://ria.ru/2016092 3/1477668197.html , Zugriff 10.3.2020

•        Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://dersta ndard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020

•        Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-w ahl-putin-101.html , Zugriff 10.3.2020

•        Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/ politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau , Zugriff 10.3.2020

Tschetschenien

Letzte Änderung: 09.04.2020

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben - eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau

12.2019) .

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale" dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von In- guschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau

12.2019) . Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaer- tiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation- stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 5.3.2020

•        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html, Zugriff 3.3.2020

•        NZZ - Neue Zürcher Zeitung (29.6.2019): Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlich- zerrissen-ld.1492435, Zugriff 11.3.2020

•        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/lo- cal/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020

•        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, htt- ps://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 10.3.2020

Dagestan

Letzte Änderung: 09.04.2020

Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 13.1.2020). Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands (AA 13.2.2019, vgl. ÖB Moskau 12.2019).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien (SWP 4.2015) und wird nicht ganz so ausgeprägt kontrolliert wie in Tschetschenien (AA 13.2.2019). Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht automatischen Herrschaftsverhältnissen entgegen (SWP 4.2015). Die Bewohner Dagestans sind hinsichtlich persönlicher Freiheit besser gestellt, und auch die Menschenrechtslage ist grundsätzlich besser als im benachbarten Tschetschenien (AA 13.2.2019), obwohl auch in Dagestan mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einhergehen (AA 13.2.2019, vgl. SWP 4.2015). Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew wurde das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien ausgehebelt. Der Kreml hatte länger schon damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden; im Nordkaukasus hatte er davon jedoch Abstand genommen. Wassiljew ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan - und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht - Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll (NZZ 12.2.2018).

Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef Abdussamad Gamidow, zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet, um die wirtschaftlich abgeschlagene und am stärksten von allen russischen Regionen am Tropf des Zentralstaats hängende NordkaukasusRepublik auszubeuten. Kurz vorher waren bereits der Bürgermeister von Machatschkala und der Stadtarchitekt festgenommen worden (NZZ 12.2.2018, vgl. Standard.at 5.2.2018).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaer- tiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation- stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

•        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentati- on (13.1.2020): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen, htt- ps://www.ecoi.net/de/laender/russische-foederation/themendossiers/sicherheitslage-in-dagestan- zeitachse-von-angriffen/, Zugriff 10.3.2020

•        Dekoder (24.5.2016): Nicht-System-Opposition, https://www.dekoder.org/de/gnose/nicht-system- opposition, Zugriff 10.3.2020

•        NZZ - Neue Zürcher Zeitung (12.2.2018): Durchgreifen in Dagestan: Moskau räumt im Nordkaukasus auf, https://www.nzz.ch/international/moskau-raeumt-im-nordkaukasus-auf-ld.1356351, Zugriff

10.3.2020

•        ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff

10.3.2020

•        Standard.at (5.2.2018): Regierungsspitze in russischer Teilrepublik Dagestan festgenommen, https://www.derstandard.at/story/2000073692298/regierungsspitze-in-russischer-teilrepublik-da- gestan-festgenommen, Zugriff 10.3.2020

•        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff

10.3.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 09.04.2020

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien

hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (19.3.2020a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff

19.3.2020

•        BMeiA (19.3.2020): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufent- halt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 19.3.2020

•        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutsch- landfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 19.3.2020

•        EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.3.2020): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russ- land/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 19.3.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 19.3.2020

•        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_- hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Nordkaukasus

Letzte Änderung: 09.04.2020

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt (SWP 10.2015, vgl. ÖB Moskau 12.2019). Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein „Wilajat Kavkaz", eine „Provinz Kaukasus", als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem „Kalifen" Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2019). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Der größte Anteil an Gewalt im Nordkaukasus entfällt weiterhin auf Dagestan und Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2019).

Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis Nordkaukasus hatte Dagestan die größte Zahl der Toten und Verwundeten zu verzeichnen; Tschetschenien belegte den zweiten Platz (Caucasian Knot 30.8.2019).

Im Jahr 2019 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] bei 44 Personen, davon wurden 31 getötet (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaer- tiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation- stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflictvictims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019,10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons feil victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff

19.3.2020

•        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/lo- cal/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 19.3.2020

•        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den »Islamischen Staat« (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/ak- tuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

•        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_- hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Tschetschenien

Letzte Änderung: 09.04.2020

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im Jahr 2018 wurden in Tschetschenien mindestens 35 Menschen Opfer des bewaffneten Konflikts, von denen mindestens 26 getötet und neun weitere verletzt wurden. Unter den Opfern befanden sich drei Zivilisten (zwei getötet, einer verletzt), elf Exekutivkräfte (drei getötet, acht verletzt) und 21 Aufständische (alle getötet). Im Vergleich zu 2017, als es 75 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl 2018 um 53,3% (Caucasian Knot 30.8.2019). 2019 wurden in Tschetschenien im Rahmen des bewaffneten Konflikts sechs Personen getötet und fünf verletzt [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

•        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019,10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

•        Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff

19.3.2020

•        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff

19.3.2020

•        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fNeadmin/contents/products/aktueN/2017A23_- hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Dagestan

Letzte Änderung: 09.04.2020

Die Sicherheitslage in Dagestan ist zwar angespannt, hat sich in jüngerer Zeit aber verbessert (AA 13.2.2019). Gründe für den Rückgang der Gewalt sind die konsequente Politik der Repression radikaler Elemente und das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete nach Syrien und in den Irak (ÖB Moskau 12.2019).

Die russische Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus gilt seit einigen Jahren als Brutstätte von Terrorismus. Mehr als 1.000 Kämpfer aus dem Land sollen sich dem sog. Islamischen Staat in Syrien und im Irak angeschlossen haben. Terroristen aus Dagestan sind auch in anderen Teilen Russlands und im Ausland aktiv. Viele Radikale aus Dagestan sind außerdem in den Nahen Osten ausgereist. In den Jahren 2013 und 2014 brachen ganze salafistische Familien dorthin auf. Die russischen Behörden halfen den Radikalen damals sogar bei der Ausreise. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi wollte Russland möglichst viele Gefährder loswerden (Deutschlandfunk 28.6.2017). Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste, gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan, schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung. So werden von den Sicherheitskräften mitunter auch Imame verhaftet, die dem Salafismus anhängen sollen. Aus der Perspektive der Sicherheitsdienste sollen ihre Moscheen als Rekrutierungsstätten für IS-Anhänger dienen, für einen Teil der muslimischen Bevölkerung stellen diese Maßnahmen jedoch ungebührliche Schikanen dar. Es kommt nach wie vor zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Extremisten. Die Extremisten gehörten zunächst zum 2007 gegründeten sogenannten Kaukasus-Emirat, bekundeten jedoch vermehrt ihre Loyalität gegenüber dem sog. IS. Auch operativ ist der sog. IS im Nordkaukasus in Erscheinung getreten. Einige Angriffe auf Polizisten bzw. Polizeieinrichtungen wurden unter dem Deckmantel des sog. IS ausgeführt; im Dezember 2015 bekannte sich der sog. IS zu einem Anschlag auf eine historische Festung in Derbent. Inwieweit der sog. IS nach der territorialen Niederlage im Nahen Osten entsprechende Ressourcen verschieben wird, um im Nordkaukasus weitere terroristische Umtriebe zu entfalten oder die regionale Zweigstelle weiterhin zu Propagandazwecken nutzen wird, um seinen globalen Einfluss zu unterstreichen, wird von den russischen Sicherheitskräften genau verfolgt (ÖB Moskau 12.2019).

Im Jahr 2018 gab es mindestens 49 Opfer des bewaffneten Konflikts in Dagestan, davon wurden 36 Personen getötet und 13 verletzt. Die meisten getöteten Personen sind, wie 2017, unter den Aufständischen zu finden, nämlich 27. Von den Exekutivkräften wurden drei getötet und elf verletzt. Sechs Zivilisten wurden getötet und zwei verletzt. Im Vergleich zu 2017, als es 55 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl um 10,9% (Caucasian Knot 30.8.2019).

2019 wurden in Dagestan neun Personen getötet [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020). Diese neun Personen wurden alle im ersten Halbjahr 2019 getötet (Caucasian Knot 30.8.2019).

Laut dem Leiter des dagestanischen Innenmi

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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