TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/20 W112 2183943-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.05.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

20.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W112 2183943-1/33E
W112 1400071-3/44E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Elke DANNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation und 2. XXXX , geb. XXXX , StA. RUSSISCHE FÖDERATION, alle vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1. vom 24.12.2017, Zl. XXXX und 2. vom 18.06.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde von XXXX wird gemäß §§ 7 Abs. 1, 7 Abs. 4, 8 Abs. 1, 57, 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 50, 52 Abs. 2 Z 3, Abs. 9, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerde wird gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG mit der Maßgabe abgewiesen, dass das Einreiseverbot mit drei Jahren befristet wird.

II. Die Beschwerde von XXXX wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 50, 52 Abs. 2 Z 2, Abs. 9, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Zweitbeschwerdeführer, ein zum damaligen Zeitpunkt XXXX Staatsangehöriger der RUSSISCHEN FÖDERATION tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit und Sohn der Erstbeschwerdeführerin, reiste gemeinsam mit seinem Vater XXXX , seiner Stiefmutter XXXX sowie seinen Halbgeschwistern ( XXXX ) illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 12.03.2008 durch seinen gesetzlichen Vertreter einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 08.11.2010 wurde dem damals minderjährigen Zweitbeschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 im Familienverfahren Asyl gewährt und unter einem gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass diesem damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass dem Vater des Zweitbeschwerdeführers mit Erkenntnis vom gleichen Datum der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden war. Gleichlautende Erkenntnisse ergingen auch in den Verfahren der Stiefmutter und der Halbgeschwister des Zweitbeschwerdeführers.

1.2. Die Erstbeschwerdeführerin reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 24.07.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag, gab die Erstbeschwerdeführerin befragt zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass ihr Ex-Mann im Jahr 2005 oder XXXX ihren Sohn ohne ihre Zustimmung nach Österreich gebracht habe. Es sei ihr verboten gewesen, ihren Sohn zu sehen, und sie habe über Jahre immer wieder versucht, ihren Sohn zu finden und mit ihm Kontakt aufzunehmen. Über ihre Ex-Schwiegermutter habe sie die Kontaktdaten erhalten. Die Stiefmutter habe sie aber immer beschimpft, bedroht und auch den telefonischen Kontakt unterbunden. Nachdem sie erfahren habe, dass ihr Sohn in einem schlechten psychischen Zustand und von seiner Stiefmutter geschlagen worden sei, habe sie beschlossen, von zu Hause zu flüchten, um zu ihren Sohn zu kommen. Zum Nachweis ihrer Identität legte sie ihren russischen Inlandsreisepass vor.

1.3. Das Bezirksgericht XXXX betraute die Erstbeschwerdeführerin mit Beschluss vom 11.04.2017 mit der alleinigen Obsorge betreffend den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer. Die gemeinsame Obsorge der Kindeseltern wurde aufgehoben. Begründend wurde angeführt, dass die gemeinsame Obsorge nicht funktioniert habe und der Minderjährige nicht mehr zum Vater fahren habe wollen, weil er dort bedrängt und von der Stiefmutter misshandelt worden sei.

1.4. Die Erstbeschwerdeführerin wurde am 13.12.2017 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Folgend: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie zusammengefasst an, dass ihre Eltern und XXXX Brüder sowie XXXX Schwestern in der Heimat leben; es bestehe Kontakt zu ihrer Schwester und Mutter. In Österreich lebe ihr Sohn. Sie habe im Jahr 2001 geheiratet und XXXX habe sie sich vom Kindesvater des Zweitbeschwerdeführers scheiden lassen. Der Kindesvater habe das Sorgerecht für das Kind gehabt, weil Mütter keine Rechte für das Kind haben. Ihr Sohn sei XXXX alt gewesen, als ihr Ex-Mann ihn ihr weggenommen habe. Sie sei wegen ihres Sohnes nach Österreich gekommen. Ihr Sohn sei immer wieder beim Jugendamt und im Krankenhaus gewesen wegen seiner psychischen Probleme und sei behandelt worden, weil die Stiefmutter ihn misshandelt habe. Es sei ihr nicht früher möglich gewesen, zu ihrem Kind nach Österreich zu kommen, weil ihre finanzielle Situation schlecht gewesen sei und ihr Vater sowie ihre Brüder ebenfalls es nicht erlaubt haben, dass sie das Land verlässt. Den ersten Kontakt zu ihrem Sohn nach seiner Ausreise habe sie gehabt, als er XXXX Jahre alt gewesen sei, vorher habe sie nicht gewusst, wo er sei. Die Erstbeschwerdeführerin habe über ihre Ex-Schwiegermutter erfahren, dass sich ihr Sohn in Österreich befinde. Der Kindesvater und die Stiefmutter haben eine Kontaktaufnahme nicht erlaubt. Mittlerweile habe die Erstbeschwerdeführerin das alleinige Sorgerecht für ihren Sohn (Zweitbeschwerdeführer) und er lebe seit einem Jahr und XXXX Monaten bei ihr. Zudem legte die Erstbeschwerdeführerin Integrationsunterlagen, den gerichtlichen Obsorgebeschluss sowie Hilfspläne der XXXX vor.

Mit Schreiben vom 14.12.2017 brachte die Erstbeschwerdeführerin ergänzend vor, dass sie Angst habe nach Tschetschenien zurückzukehren, weil sie damals ohne Erlaubnis ihrer XXXX Brüder und ihres Vaters das Land verlassen habe; das habe sie im Beisein des tschetschenischen Dolmetschers nicht erzählen wollen. Ihr drohe deshalb Lebensgefahr durch ihre Brüder, die sie schlagen und wahrscheinlich auch töten würden, weil sie Schande über die Familie gebracht habe. Sie könne zudem mit ihrem Sohn nicht gemeinsam in Tschetschenien leben, weil es nach tschetschenischer Tradition der Sohn nur beim Vater oder dessen Familie leben dürfe. Ihr Sohn habe durch die Misshandlungen und das Quälen durch die Stiefmutter eine posttraumatische Belastungsstörung und sei in psychotherapeutischer Behandlung, die es in Tschetschenien nicht gebe. Ergänzend legte die Erstbeschwerdeführerin einen klinisch-psychologischen Bericht vom 02.05.2017 betreffend ihren Sohn bei.

1.5. Das Bundesamt wies den Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 24.12.2017 (zugestellt am 29.12.2017) sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation (Spruchpunkt II.) ab. Unter einem erteilte es ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung gegen sie (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.).

Das Bundesamt führte begründend aus, dass das Fluchtvorbringen der Erstbeschwerdeführerin nicht glaubhaft sei und die vorgebrachten Fluchtgründe keine für die Asylgewährung relevanten Verfolgungsmotive darstellen. Die Identität der Erstbeschwerdeführerin sei in keinster Weise gesichert, weil sie lediglich ein russisches Inlandsdokument sowie auch keine Diplome und Abschlusszeugnisse vorgelegt habe. Auch zum Reiseweg habe sie keinerlei nachprüfbaren Angaben gemacht und damit versucht, mögliche entscheidungsrelevanten Tatsachen zu verschleiern. Auch im Falle einer Rückkehr sei eine Gefährdung nicht als gegeben anzusehen; konkrete glaubwürdige Anhaltspunkte oder Hinweise für persönliche oder staatliche Verfolgungshandlungen haben dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin nicht entnommen werden können. Die Erstbeschwerdeführerin habe bei einer Rückkehr die Möglichkeit, bei ihrer Mutter zu wohnen; diese sowie ihre XXXX Geschwister und Eltern können zumindest anfänglich als soziales Auffangnetz fungieren.

1.6. Gegen diesen Bescheid erhob die Erstbeschwerdeführerin mit Schriftsatz vom XXXX (eingebracht am XXXX ) fristgerecht Beschwerde. Begründend führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass der Bescheid inhaltlich rechtswidrig und rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sei. Die Erstbeschwerdeführerin sei von den männlichen Mitgliedern ihrer Familie ständig beaufsichtigt sowie unterdrückt worden und sei Psychoterror ausgesetzt gewesen. Sie habe in ständiger Angst vor Einschränkungen und Misshandlungen gelebt. Die Erstbeschwerdeführerin befürchte bei einer Rückkehr ins Heimatland Rache durch die männlichen Familienmitglieder, weil sie nach deren Ansicht und tschetschenischer Rechtsauffassung durch ihren selbständigen Alleingang „Schande“ über die Familie gebracht habe. Sie habe Angst vor Entführung und Gefangennahme, Misshandlungen, „Verschwindenlassen“ und Umbringen. Die belangte Behörde habe das in sich schlüssige und der Wahrheit entsprechende Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin als nicht glaubhaft qualifiziert und beweiswürdigend lediglich Ausführungen zu den Identitätsdokumenten und Ausbildungszeugnissen getroffen. Entgegen den Ausführungen im Bescheid habe sie sehr wohl Ausbildungszeugnisse bzw. Diplome vorgelegt. Zudem habe die belangte Behörde konkrete Ermittlungen zum Fluchtvorbringen der Erstbeschwerdeführerin unterlassen; sie verwies auf Artikel zu Ehrenmorden in Tschetschenien. Die Erstbeschwerdeführerin unterliege unzweifelhaft einer asylrelevanten Verfolgung aufgrund der Blutrache durch ihre Familie und die belangte Behörde feststellen hätte müssen, dass die Erstbeschwerdeführerin Flüchtling iSd GFK sei. Außerdem betreue die Erstbeschwerdeführerin ihren minderjährigen Sohn, der als anerkannter Flüchtling in Österreich lebe und unter einer Traumafolgestörung aufgrund der körperlichen Misshandlungen durch die Stiefmutter leide. Die Betreuungsintensität sei aufgrund der psychischen Erkrankung des Sohnes eines unvergleichlich höhere als es für gesunde 16-Jährige erforderlich wäre. Für den Sohn habe sich seit der Ankunft der Mutter ein intensives liebevolles und heilsames familiäres Band entwickelt. Für den Sohn wäre ein erneutes Ausreisen der Mutter eine Katastrophe und diese Auswirkungen einer Rückkehrentscheidungen betreffend die Erstbeschwerdeführerin seien ebenfalls mitzuberücksichtigen. Darüber hinaus sei die Erstbeschwerdeführerin bereits sehr gut integriert; sie könne sich im Alltag auf Deutsch verständigen. Eine Rückkehrentscheidung würde demnach einen unzulässigen Eingriff in ihr Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens darstellen und gegen Art 8 EMRK verstoßen.

1.7. Die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 23.01.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde am 07.08.2018 der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen (OZ 7).

1.8. Mit Eingabe vom 29.03.2018 (OZ 5) übermittelten die Erstbeschwerdeführerin einen psychiatrischen Befund.

1.9. Infolge wiederholter Straffälligkeit des Zweitbeschwerdeführers (vgl. dazu die Feststellungen) leitete das Bundesamt ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten ein, in welchem am 18.06.2019 eine niederschriftliche Einvernahme des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers in Anwesenheit seiner Mutter als gesetzliche Vertreterin durchgeführt wurde. Der Zweitbeschwerdeführer gab zusammengefasst an, dass im März 2002 in Tschetschenien geboren worden sei und dort XXXX Jahre gelebt habe. Im Jahr XXXX sei er mit seinem Vater nach Österreich gekommen. In Österreich habe er die Schule besucht, aber keinen Hauptschulabschluss gemacht. Befragt nach Angehörigen im Heimatland, gab die Mutter des Zweitbeschwerdeführer an, dass ihre XXXX Geschwister und weitere Familienmitglieder in Tschetschenien leben. Sie habe Kontakt mit ihrer kleinen Schwester. Der Zweitbeschwerdeführer führte weiter aus, dass er seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr mit seinem Vater und Halbbruder habe. Eine Rückkehr in sein Heimatland sei nicht möglich, weil er dort nichts habe, die Sprache nicht so gut könne und keiner mehr „von denen“ sei. In Österreich habe er die Schule besucht, aber nicht abgeschlossen und danach verschiedene Kurse abgeschlossen. Seine Mutter und Freunde leben in Österreich sowie sein Vater und dessen Familie; zu diesen habe er aber keinen Kontakt mehr. Während seines Aufenthaltes in Österreich habe er strafbare Handlungen begangen und sei zwei Mal wegen Körperverletzung verurteilt worden. Derzeit besuche er eine Trauma-Therapie und versuche, sich zu ändern und auf einen guten Weg zu komme.

Abschließend führte die gesetzliche Vertreterin aus, dass der Zweitbeschwerdeführer psychisch krank sei. Er kenne Tschetschenien nicht und sein Vater habe Probleme mit XXXX bekommen, dass sei somit auch für ihn ein Problem, denn es gebe dort Rache. Würde er in Tschetschenien oder Russland auftauchen, würde er gleich als Geisel genommen, egal wie lange er weggewesen sei. In Tschetschenien würden die Leute einfach verschwinden. Zudem legte der Zweitbeschwerdeführer verschiedene medizinische Unterlagen vor.

1.10. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 18.06.2019 (zugestellt am 21.06.2019) erkannte das Bundesamt dem Zweitbeschwerdeführer den ihm mit Erkenntnis vom 08.11.2010 zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab und sowie stellte § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Den Status des subsidiär Schutzberechtigten erkannte es ihm nicht zu (Spruchpunkt II.) und einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilte es ihm nicht (Spruchpunkt III.). Es erließ eine Rückkehrentscheidung gegen den Zweitbeschwerdeführer und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist. Es räumte ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung ein. Unter einem erließ es ein auf die Dauer von XXXX Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den Zweitbeschwerdeführer.

Begründend führte das Bundesamt aus, dass der Zweitbeschwerdeführer bereits zwei Vorstrafen habe und unter anderem wegen Körperverletzung und schwerer Körperverletzung verurteilt worden sei. Er habe im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland keine Gefährdung bzw. Bedrohung mehr zu befürchten, weil er keine aktuellen bzw. individuellen Fluchtgründe glaubhaft vorgebracht habe, ehemalige Unterstützer von Rebellen – wie sein Vater – keiner Verfolgung mehr ausgesetzt seien und eine enorme Verbesserung der Lage im Heimatland festzustellen sei. Außerdem habe sich seine subjektive Lage maßgeblich geändert, zumal er straffällig geworden sei und somit nicht mehr in das Familienverfahren zum Vater gehöre. Es liege ein Endigungsgrund vor, wenn die Umstände, auf Grund deren der Fremde als Flüchtling anerkannt worden sei, nicht mehr bestehen und dieser es daher nicht weiterhin ablehnen könne, sich unter den Schutz seines Heimatlandes zu stellen. Da der Zweitbeschwerdeführer straffällig geworden sei, sei somit in diesem Zusammenhang auch die Frist von XXXX Jahren, innerhalb dieser der Status abzuerkennen sei, nicht zu berücksichtigen.

1.11. Gegen diesen Bescheid erhob der Zweitbeschwerdeführer mit Schriftsatz vom 03.07.2019 (eingebracht am 04.07.2019) fristgerecht Beschwerde. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der minderjährige Zweitbeschwerdeführer seit 2008, sohin schon über XXXX Jahre in Österreich aufhältig sei und nunmehr sei ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt worden, obwohl die aktuelle Gefährdungslage des Zweitbeschwerdeführers nicht hinreichend beurteilt worden sei. Die Mutter des Zweitbeschwerdeführers habe vorgebracht, dass dessen Vater „Probleme“ mit XXXX gehabt habe und deshalb der Zweitbeschwerdeführer als Sohn Rachehandlungen ausgesetzt sei. Aufgrund dieses Vorbringens sei die belangte Behörde verpflichtet gewesen, diesbezüglich Ermittlungen zu veranlassen, inwieweit der Zweitbeschwerdeführer bei einer allfälligen Rückkehr nach Tschetschenien einer Sippenhaftung und sohin der Gefährdung von Leib und Leben durch Willkür und Racheakte von XXXX ausgesetzt wäre. Mangels Vornahme dieser Ermittlungen sei der Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet, weil dieser auf einer entscheidungsuntauglichen Grundlage beruhe. Zudem habe der Zweitbeschwerdeführer Tschetschenien im Alter von XXXX Jahren verlassen, lebe seit über XXXX Jahren in Österreich, könne weder tschetschenisch noch russisch schreiben und nur rudimentär sprechen, sei derzeit noch minderjährig und habe bis auf eine Schwester keinen Kontakt zu noch in Tschetschenien lebenden Verwandten. Demzufolge sei ihm zumindest der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen; aufgrund der fortgeschrittenen Integration in Zusammenhang mit seiner in Österreich lebenden Mutter und der Minderjährigkeit des Zweitbeschwerdeführers sei eine Rückkehrentscheidung ein ungerechtfertigter Eingriff in sein Privat- und Familienleben.

Es wurde ein Schreiben der XXXX sowie eine Therapiebestätigung der Beschwerde beigelegt.

1.12. Die Bezirkshauptmannschaft XXXX erteilte dem Vater des Zweitbeschwerdeführers am 22.02.2019 auf Antrag den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“, gültig bis 22.05.2025. Mit Bescheid vom 07.10.2019 wurde dem Vater des Zweitbeschwerdeführers der ihm mit Erkenntnis vom 08.11.2010 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt sowie gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde dem Vater nicht zuerkannt und auch ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm nicht erteilt. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass dem Vater der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ erteilt worden sei und er eine aktuelle bzw. individuelle Furcht vor Verfolgung in der Russischen Föderation nicht glaubhaft habe machen können. Der Vater habe im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland keine Gefährdung bzw. Bedrohung zu befürchten. In Österreich seien seine Lebensgefährtin und seine sechs Kinder aufhältig. Zweien seiner Kinder sei der Asylstatus bereits rechtskräftig aberkannt worden, das Aberkennungsverfahren des Zweitbeschwerdeführers befinde sich in Beschwerde; die restlichen Familienangehörigen seien in Österreich zum dauernden Aufenthalt berechtigt. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

1.13. Die Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers und der bezughabende Verwaltungsakt langte am 12.07.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde am 19.07.2019 der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen (OZ 2).

1.14. Mit Eingabe vom 05.08.2019 (OZ 3) wurde ein Bericht der Landespolizeidirektion XXXX betreffend den Zweitbeschwerdeführer wegen des Verdachts einer Straftat nach dem Suchtmittelgesetz übermittelt. Mit Eingabe vom 14.10.2019 (OZ 8, 10) wurde die gekürzte Urteilsausfertigung des Landesgerichts XXXX vom XXXX übermittelt. Der Zweitbeschwerdeführer wurde wegen des Vergehens der Körperverletzung zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt, die Bewährungshilfe angeordnet und ihm die Weisung erteilt, eine Drogenberatung in Anspruch zu nehmen sowie ein Antigewalttraining zu absolvieren.

Mit Eingabe vom 10.02.2020 (OZ 11) wurden Unterlagen zum Verdacht, der Zweitbeschwerdeführer habe eine Straftat des nach dem Suchtmittelgesetz begangen, übermittelt. Mit Eingabe vom XXXX (OZ 12) wurden Unterlagen zum Verdacht, der Zweitbeschwerdeführer habe eine Verleumdung begangen, mitgeteilt. Mit Eingabe vom XXXX (OZ 13) wurde ein Bericht der Landespolizeidirektion XXXX betreffend den Zweitbeschwerdeführer wegen des Verdachts der Zweitbeschwerdeführer habe eine Straftat nach dem Suchtmittelgesetz im Zeitraum Februar und XXXX begangen, übermittelt. Mit Eingabe vom 30.03.2020 (OZ 14) wurde über den Rücktritt der Verfolgung des Zweitbeschwerdeführers nach dem Suchtmittelgesetz informiert.

Am 07.04.2020 (OZ 15 sowie 16 und 17) wurde die gekürzte Urteilsausfertigung des Landesgerichts XXXX vom 11.03.2020 übermittelt. Der Zweitbeschwerdeführer wurde wegen des Verbrechens der Verleumdung zu einer bedingten Zusatzfreiheitsstrafe verurteilt. Mit Eingabe vom 27.07.2020 (OZ 18) wurde ein Bericht der Landespolizeidirektion XXXX betreffend den Verdacht auf schwere Sachbeschädigung vorgelegt, demzufolge der Zweitbeschwerdeführer neben drei weiteren Personen als Beschuldigter geführt werde. Am 11.08.2020 (OZ 19 sowie 20) wurde die Verständigung über Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft XXXX gegen den Zweitbeschwerdeführer wegen schwerer Sachbeschädigung übermittelt.

1.15. Per Mail vom 07.09.2020 (OZ 8) erkundigte sich die Erstbeschwerdeführerin nach dem Verfahrensstand und bezog Stellung zu ihrem Aufenthalt in Österreich. Am 29.01.2021 langte ein Empfehlungsschreiben für die Erstbeschwerdeführerin beim Bundesverwaltungsgericht ein (OZ 22).

1.16. Mit Eingabe vom 13.01.2021 (OZ 22) und vom 19.01.2021 (OZ 25) übermittelte das Bundesamt sämtliche polizeiliche Berichte und Vernehmungen des Zweitbeschwerdeführers.

1.17. Mit Eingabe vom 01.02.2021 (OZ 32) brachten die Beschwerdeführer eine Stellungnahme, verschiedene Unterstützungsschreiben sowie medizinische und integrative Unterlagen ein. Mit Eingabe vom 04.02.2021 wurde ein Bericht der Bewährungshilfe vom Zweitbeschwerdeführer vorgelegt.

1.18. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 05.02.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch durch, an der die Beschwerdeführer und ihr Rechtsberater als gewillkürter Vertreter teilnahmen und eine Verwandte der Beschwerdeführer als präsente Zeugin einvernommen wurde. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil.

Die Verhandlung gestaltete sich wie folgt:

„Befragung von BF 2 (auf Wunsch von BF 2 in Anwesenheit von BF 1 und die Befragung wird auf Deutsch durchgeführt):

R: Geben Sie für das Protokoll Vor- und Familiennamen, Geburtsdatum und Staatsbürgerschaft an!

BF 2: XXXX , XXXX , Russische Föderation.

R: Laut XXXX hat XXXX im Wege der Nachbeurkundung für Sie eine Geburtsurkunde auf einen anderen Namen ausstellen lassen. Welche Identität haben Sie noch und welche ist die richtige?

BF 2: Ich habe keine andere Identität, diese Urkunde wurde mit einer anderen Frau gemacht, ich vermute, ich bin mir nicht sicher, denn ich habe diese Dokumente alle nicht. Ich meine, es wurde eine andere Frau als Mutter angegeben.

R: Sie wurden am 18.06.2019 vom Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Wie würden Sie die dortige Einvernahmesituation beschreiben? Gab es Probleme?

BF 2: Es gab keine Probleme. Was ich sagen will: Ich habe einen Fragebogen bekommen, dieser Mann hat mir einen Fragebogen gegeben. Nach diesen Fragebogen hat er gemeint, dass ich überhaupt keinen Grund habe, in Österreich zu bleiben.

R: Haben Sie bei Ihren bisherigen Aussagen vor dem Bundesamt immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtigstellen oder ergänzen?

BF 2: Nein, ich habe immer die Wahrheit gesagt.

R: Mit Bescheid vom 18.06.2019 erkannte Ihnen das Bundesamt den Ihnen mit Bescheid vom 11.11.2010 zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass Ihnen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 erkannte Ihnen das Bundesamt den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu. Es erteilte Ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG erließ es eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG gegen Sie, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass Ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist, erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein Einreiseverbot für die Dauer von 6 Jahren gegen Sie und räumte Ihnen gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung ein. Gegen diesen Bescheid erhoben Sie mit Schriftsatz vom 03.07.2019 Beschwerde. Halten Sie diese Schriftsätze und die darin gestellten Anträge aufrecht?

RV: Ja.

R: Sind seit Beschwerdeerhebung neue Umstände eingetreten, die betreffend den Asylschutz neu zu berücksichtigen sind?

RV: Nein.

R: Sind seit der Beschwerdeerhebung neue Umstände eingetreten, die betreffend den subsidiären Schutz zu berücksichtigen sind?

RV: Nein.

R: Sind seit der Beschwerdeerhebung neue Umstände eingetreten, die betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot zu berücksichtigen sind?

RV: Ich möchte auf die Stellungnahme vom 29.01. verweisen, nachdem eine soziale Verwurzelung hier dargestellt wurde, anhand von Empfehlungsschreiben. Es wird neben der intensiven sozialen Verwurzelung auf den Bericht der Bewährungshilfe verwiesen, den Sie hoffentlich gestern erhalten haben. Demnach ist von einer positiven Zukunftsprognose bzw. positiven Gefährdungsprognose auszugehen.

R: In welcher Beziehung stehen Sie zu XXXX ?

BF 2: Das ist mein Vater.

R: Wie würden Sie Ihre aktuelle Beziehung zu XXXX beschreiben?

BF 2: Seit über zweieinhalb Jahren keinen Kontakt.

R: In welcher Beziehung stehen Sie zu XXXX ?

BF 2: Gar kein[er], sie ist meine Stiefmutter gewesen.

R: Wie würden Sie Ihre aktuelle Beziehung zu XXXX beschreiben?

BF 2: Ich habe keine Beziehung.

R: In welcher Beziehung stehen Sie zu XXXX ?

BF 2: Das ist mein älterer Halbbruder, mit dem habe ich auch keinen Kontakt.

R: Wie würden Sie Ihre aktuelle Beziehung zu XXXX beschreiben?

BF 2: Seitdem ich bei meiner Mutter lebe, habe ich keinen Kontakt mit ihm. Nach der zweiten Obsorgeentscheidung oder vielleicht der ersten habe ich meinen Vater das letzte Mal gesehen und meine Geschwister habe ich noch viel länger davor das letzte Mal gesehen.

R: In welcher Beziehung stehen Sie zu XXXX ?

BF 2: Jüngere Halbschwester.

R: Wie würden Sie Ihre aktuelle Beziehung zu XXXX beschreiben?

BF 2: Keinen Kontakt.

R: In welcher Beziehung stehen Sie zu XXXX ?

BF 2: Jüngerer Halbbruder, keinen Kontakt.

R: Wie würden Sie Ihre aktuelle Beziehung zu XXXX beschreiben?

BF 2: Kein Kontakt.

R: In welcher Beziehung stehen Sie zu XXXX XXXX ?

BF 2: Meine Mama.

R: Wie würden Sie Ihre aktuelle Beziehung zu XXXX beschreiben?

BF 2: Familie.

R: Haben Sie noch weitere Geschwister oder Verwandte in Österreich?

BF 2: Großtante (Z), Onkel väterlicherseits (vs.).

R: Die heißen wie?

BF 2: XXXX .

R: Ist diese die Zeugin?

BF 2: Ja.

R: Der Onkel ist der Mann der Großtante oder ein anderer Verwandter?

BF 2: Der Onkel der Bruder meines Vaters.

R: Wie heißt er?

BF 2: XXXX .

R: Wie ist Ihre Beziehung zu XXXX ?

BF 2: Kontakt besteht.

R: Was heißt das?

BF 2: Sie wohnt in XXXX , wir können nicht täglich hierhergekommen, wir wohnen in XXXX , es besteht ein normaler familiärer Kontakt und wir sehen machen.

R: Wie ist Ihr Beziehung zum XXXX ?

BF 2: Er ist mein Onkel und es besteht kein Kontakt.

R: Haben Sie nicht noch eine Halbschwester oder Schwester?

BF 2: Ja, XXXX .

R: Wie ist Ihre aktuelle Beziehung zu XXXX ?

BF 2: Jüngere Halbschwester, keinen Kontakt.

R: Sie wurden in XXXX geboren. Wo liegt das?

BF 2: Ich weiß es nicht.

R: Sie reisten als XXXX jähriger aus der Russischen Föderation aus. Waren Sie selbst in der RUSSISCHEN FÖDERATION jemals einer Gefährdung ausgesetzt?

BF 2: Nein.

R: Haben Sie eine Bedrohung, Gefährdung wahrgenommen?

BF 2: Ich kann mich nicht erinnern.

R: Beschreiben Sie Ihre Familien- und Wohnsituation vor der Ausreise! Mit wem haben Sie wo zusammengelebt?

BF 2: Da war ich noch nicht XXXX , ich glaube ich, ich war viel jünger als wir ausgereist sind. Ich habe zusammengelebt mit meiner Stiefmutter, meinem Vater, meine zwei älteren Halbgeschwister. Ich bin mir nicht sicher, ob mein zweitjüngerer Halbbruder damals bereits auf der Welt war. Die jüngere Halbschwester jedenfalls schon, die jüngste jedenfalls nicht.

R: Laut Begutachtung im Obsorgeverfahren AS 99 hatte ihre Familie in Tschetschenien viel Hilfe in der Kinderbetreuung durch die Großfamilie, die nun in Österreich fehlte. Welche Verwandten haben sich also in der RUSSISCHEN FÖDERATION um sie und Ihre Familie gekümmert?

BF 2: Vielleicht kann das jemand aus der Familie meines Vaters sein, ich selbst habe jedenfalls niemanden dort in Tschetschenien.

R: Haben Sie in der RUSSISCHEN FÖDERATION bereits die Schule begonnen oder sind Sie noch vor Beginn der Pflichtschule ausgereist?

BF 2: Ich bin in den Kindergarten gegangen.

R: Welche Verwandte von Ihnen leben noch in der RUSSISCHEN FÖDERATION? Wo leben Sie, wovon leben Sie, wie geht es Ihnen, wie halten Sie Kontakt mit Ihnen (Opa und Onkel in XXXX , XXXX )?

BF 2: Alle Verwandten, die ich kenne leben in Österreich, das sind mein Vater, meine Großtante und mein Onkel, die ich kenne, sonst kenne ich gar keine.

R: Was ist mit Ihren Großeltern in der Russischen Föderation?

BF 2: Ich kenne sie nicht einmal.

R: Ihre Mutter hat Kontakt mit Ihnen im Wege Ihrer Großmutter aufgenommen, wenn Sie mit der keinen Kontakt haben, kann dieses Telefongespräch nicht stattgefunden haben!

BF 2: Ich weiß es nicht, wahrscheinlich hatte die beide[n], die Mutter meines Vaters, keinen Kontakt. Ich kenne sie nicht, sie ist natürlich meine Großmutter.

R: Was ist mit Ihrem Onkel XXXX , XXXX ?

BF 2: Ich kenne keinen Onkel in XXXX . Sie müssten ihn mit Namen benennen.

R: Wie viele Onkel vs. haben Sie?

BF 2: Ich vermute zwei. Wir haben in der Familie, mein Vater hat noch eine Schwester. Die haben alle einen Streit in der Familie, Sie können mich nicht zu Leuten fragen, die ich nicht einmal kenne.

R: Warum haben Sie mit Ihrer Familie die RUSSISCHE FÖDERATION verlassen?

BF 2: Ich weiß es nicht.

R: Warum sind Sie Flüchtling? Warum wurde Ihnen der Status des Asylberechtigten zuerkannt?

BF 2: Was ich mitgekommen habe, hatte mein Vater Probleme wahrscheinlich in Tschetschenien und wir sind halt hierhergekommen. Wenn alles gutgehen würde, dann würden wir ja dortbleiben.

R: Sind Sie seit der Einreise nach Österreich einmal in die Russische Föderation zurückgekehrt?

BF 2: Noch nie.

R: Am 12.03.2008 – da waren Sie XXXX Jahre alt – stellte Ihr Vater bzw. XXXX , die angab, Ihre Mutter zu sein, einen Asylantrag für Sie und gab als Fluchtgrund an, dass die Familie wegen Ihres Vaters flüchten musste. Er sei einige Male angehalten und verschleppt worden, das letzte Mal am 01.01.2008. Er sei auch geschlagen worden und erst nach 5 Tagen freigekauft worden. Trifft das Fluchtvorbringen zu?

BF 2: Ja, es gibt sogar Videos. Es ist die Presse zu uns nach Hause gekommen, das stimmt schon.

R: Bereits im XXXX , unmittelbar nach der Einreise, schaltete die Polizei die Jugendwohlfahrt ein, weil der Verdacht bestand, dass Sie misshandelt werden. Laut den polizeilichen Ermittlungen haben Sie sich aber selbst verletzt. Laut XXXX hat XXXX sie geschlagen. Was stimmt?

BF 2: Das, was meine Mutter sagt.

R: Sie machten laut Polizei einen „verwilderten“ Eindruck und ein Unterricht in der Vorschulklasse in XXXX war kaum möglich, weil Sie sich so auffällig verhalten haben. Sie haben in der Schule noch Windeln getragen, Ihre Mitschüler mit Kot beschmiert, Sessel zertrümmert und gedroht, sich einen Finger abzuschneiden. Warum?

BF 2: Ich weiß nicht, wer hat Ihnen das gesagt?

R: Das ist der Bericht der Jugendwohlfahrt und die Mitteilung der Schule.

BF 2: Ich hatte damals Probleme in der Schule, aber was da vorgefallen… ich hatte eindeutig Probleme.

R: Ihr Antrag auf internationalen Schutz und die Anträge Ihrer Familienmitglieder wurden mit Bescheid vom 05.06.2008 wegen der Zuständigkeit XXXX zurückgewiesen und Sie wurden nach XXXX ausgewiesen. Der Asylgerichtshof gab mit Erkenntnissen vom 14.07.2008 der Beschwerde von Ihnen und Ihren Familienmitgliedern statt, weil das Bundesasylamt Ihr Verfahren und das Verfahren Ihrer Geschwister mit XXXX als gesetzlicher Vertreterin führte, die jedoch nicht Ihre Mutter ist. Hat XXXX Sie jemals adoptiert?

BF 2: Nein.

R: Im FEBRUAR 2009 kamen bereits die ersten Meldungen an das Jugendamt betreffend Ihre Brüder XXXX und XXXX , dass diese in der Schule die Mitschüler belästigen und ihre Hausübungen nicht machen. Für sie wurde eine Nachmittagsbetreuung organisiert, für XXXX zusätzlich PSYCHOTHERAPIE. Im XXXX wurde nach einem Aufenthalt in der Landesnervenklinik XXXX Ihre volle Erziehung freiwillig dem Landesjugendheim XXXX übertragen, im XXXX wurden Sie erneut in die Landesnervenklinik XXXX eingewiesen. Der Sozialarbeiter, der Ihre Familie betreute, hatte aber den Eindruck eines liebevollen und bemühten Umgangs in der Familie. Können Sie mir das Diskrepanz erklären?

BF 2: Wir kommen ja aus Tschetschenien, in Österreich weiß man, dass man Kinder nicht schlagen darf. Meine Stiefmutter und mein Vater haben alles probiert, damit alle das nicht erfahren. Aber an den Meldungen des Jugendamts kann man schon merken, dass alles nicht so sauber war.

R: Laut Jugendwohlfahrt waren Sie und Ihre Brüder XXXX und XXXX nicht nur traumatisiert und entwurzelt, sondern auch sexuell auffällig. Wurden Sie und Ihre Brüder sexuell missbraucht?

BF 2: Von unserer Stiefmutter ja. Sie hat unsere Genitalien, wie wir klein waren, gezogen und gezwickt. Das waren Schmerzen, sie hat schon richtig… Sie war gewalttätig.

R: Haben Sie und Ihre Brüder XXXX und XXXX umgekehrt Ihre kleine Stiefschwester sexuell missbraucht?

BF 2: Nein. Es sind Kinder von der Stiefmutter, die haben überhaupt keine Gewalt erlebt und keine Unterdrückung.

R erläutert die Frage noch einmal: Möchten Sie Frage noch einmal angeben?

BF 2: Nein, wer sagt das?

R: Das Jugendamt.

BF 2: Das stimmt nicht.

R: Ihr Verfahren und das Ihrer Familie wurde am 15.07.2008 zugelassen. Mit Bescheid vom 25.09.2008 wies das Bundesasylamt Ihren Antrag auf internationalen Schutz ab und wies sie in die RUSSISCHE FÖDERATION aus. Es wurde jedoch ein Durchführungsaufschub bis 25.03.2009 gewährt, weil XXXX schwanger war. Sie und Ihre Familienmitglieder erhoben Beschwerde gegen diese Bescheide. Der Asylgerichtshof führte am 08.06.2010 eine mündliche Verhandlung durch. Darin brachte Ihr Vater vor, dass er die Mutter von Ihnen, XXXX und XXXX am 14.01.2003 das letzte Mal gesehen hat, Sie wurde mit einem Pistolenknauf erschlagen und ist gestorben. Wie kann Ihre Mutter gleichzeitig seit XXXX tot und heute als Beschwerdeführerin im Gericht sein?

BF 2: Sie ist hier, fragen Sie sie.

R: Laut den Stellungnahmen der DIAKONIE und den Angaben Ihres Vaters und von XXXX im Obsorgeverfahren waren Sie und Ihre Brüder XXXX und XXXX Augenzeugen, als Ihre Mutter erschlagen wurde. Wie geht das?

BF 2: Habe ich gesagt, dass ich Augenzeuge war? So etwas habe ich noch nie gesagt, außer ich wurde gezwungen so etwas zu sagen, etwa von meiner Stiefmutter.

R: Im Obsorgeverfahren gab Ihr Vater in der Gerichtsverhandlung am 18.11.2014 an, Sie gar nicht dieselbe Mutter haben wie XXXX und XXXX , deren Mutter sei XXXX , die irgendwo in TSCHETSCHENIEN lebe. Also offenbar [wurde] auch [sie] nicht XXXX erschlagen. Was sagen Sie dazu?

BF 2: Ich weiß ehrlich nicht, was da erzählt wurde.

R: Der Asylgerichtshof glaubte dem Vorbringen Ihres Vaters und von XXXX und erkannte mit Erkenntnis vom 08.11.2010 Ihrem Vater den Status des Asylberechtigten zu, Ihnen und Ihren Geschwistern im Familienverfahren. Eine Gefährdung von Ihnen persönlich wurde nie festgestellt und auch nicht vorgebracht. Was würde Ihnen drohen, wenn Sie in die RUSSISCHE FÖDERATION zurückkehren würden?

BF 2: So militärisch und so gesehen, werde ich mit den Problemen meines Vaters verbunden. Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, ich habe keine Existenz dort, ich verspüre kein Existenzgefühl dort.

R: Was würde Sie im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat konkret erwarten?

BF 2: Dass mich die österreichische Polizei dort hinschickt.

R: Was würde [Sie] erwarten, was würde Ihnen konkret passieren?

BF 2: Ich habe keine Ahnung.

R: Wer konkret sollte Ihnen warum konkret was antun wollen?

BF 2: Sie müssen das alles meinen Vater fragen, ich war viel zu jung damals. Tschuldigung, ich bin hier aufgewachsen, ich habe keine tschetschenische Kultur und Mentalität nicht. Ich weiß nicht, wie die Leute dort ticken und wie sie mit Problemen dort umgehen.

R: Was würde passieren, wenn Sie an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb TSCHETSCHENIENS zurückkehren müssten, zB nach XXXX zu Ihrem Großvater und Ihrem Onkel?

BF 2: Was sollte ich dort machen? Hier habe ich meine Leben, hier habe ich Freunde und Familie. Alle Leute, die sie gesagt haben stehe nur am Papier, ich habe noch nie ein Wort mit ihnen gewechselt.

R: Was würde passieren, wenn Sie an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb TSCHETSCHENIENS zurückkehren müssten, zB nach XXXX , wo Ihre Mutter aufgewachsen ist?

BF 2: Tschuldigung, ich habe hier eine Zukunft aufbauen und hier eine Familie gründen. Ein Job finden und arbeiten.

R: Ihre Familie war während des Asylverfahrens in XXXX , XXXX und XXXX untergebracht. Laut Gutachten vom 14.10.2010 ist Ihr Vater nicht erziehungsfähig, XXXX (Stiefmutter) erziehungsfähig, aber überfordert. Als das Bezirksgericht auch Ihre Brüder bzw. Halbbrüder XXXX und XXXX im Rahmen der freiwilligen vollen Erziehung bei Ihnen in XXXX unterbringen wollte, verweigerten Ihr Vater und XXXX dies zunächst, nach Androhung der Entziehung der Obsorge wollten Sie mit Ihren Geschwistern nach XXXX zurückkehren. Nach intensiver Beratung sind sie in Österreich geblieben und haben der freiwilligen vollen Erziehung auch von XXXX und XXXX zugestimmt. Möchten Sie dazu etwas angeben?

BF 2: Wir wurden von unserem Vater und unserer Stiefmutter misshandelt. Nicht so, dass man sagen kann eine Watsche, ich habe 36 Narben am Kopf wegen meiner Stiefmutter. Die beiden hatten einfach Angst, dass wir drei uns im Jugendheim zusammentun und aussagen, was bei uns zu Hause wirklich abläuft.

RV: Ich vermutete, dass das damals eine emotionale Ausnahmesituation war und die Aussage nach Tschetschenien zurückkehren zu wollen in diesem Zusammenhang zu sehen ist und dieser Zusammenhang ist auch in der der Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Dahingehend, dass es emotional und nicht ernstzunehmend war.

R: Sie waren XXXX in XXXX im Jugendheim. Sehe ich es richtig, dass Sie und Ihre Brüder danach wieder bei Ihrem Vater, XXXX und ihren Geschwistern lebten?

BF 2: Meine Brüder waren nie in XXXX .

R: Danach haben sie wieder bei Ihrem Vater und Ihrer Stiefmutter gelebt?

BF 2: Ja.

R: Nach der Asylgewährung zog Ihre Familie nach XXXX , 2013 übersiedelte sie nach XXXX . Möchten Sie etwas zum „Raufhandel“ mit Ihren Brüdern und XXXX am 01.05.2013 in XXXX angeben?

BF 2: Ich weiß, dass damals was geschehen ist. Es war ein Maibaumfest, damals hat mein Bruder eine „Scheiße“ gebaut.

R: Im XXXX meldete die Schule, dass Sie dort sehr auffällig benehmen, eine schlechte Arbeitshaltung haben, dass Ihre „Stiefmutter“ Sie misshandle, was XXXX und XXXX aber nicht bestätigten, weshalb Sie bei einer Krisenpflegemutter untergebracht wurden. Sie liefen noch am selben Tag weg und wurden polizeilich gesucht. Sie wurden von der Polizei aufgegriffen und ins Landeskrankenhaus XXXX eingeliefert. Dort liefen Sie weg. Sie wurden erneut von der Polizei aufgegriffen, waren aggressiv, gaben an, nicht mehr leben zu wollen, nicht mehr nach Hause zu wollen, zurück in die WG zu wollen, das sei die schönste Zeit Ihres Lebens gewesen. Sie wurden in die XXXX eingewiesen. Von dort kamen Sie in die XXXX zurück – bis zu einem Vorfall mit einem komplizierten Armbruch. Was können Sie dazu angeben?

BF 2: An diesem Tag habe ich mich mit einer Betreuerin gestritten, ich wollte weglaufen, ich bin ausgerutscht und hingefallen.

R: Danach gaben Sie an, dass Ihr Vorbringen betreffend die Misshandlung durch die Stiefmutter nicht stimmt und dass Sie wieder nach Hause wollen. Was jetzt?

BF 2: Sie vergessen immer, dass meine Stiefmutter überall dabei, nicht vor Ort dabei war, aber sie hat einen ziemlich mentalen Druck gemacht. Bei uns ist es so, wir sprechen nicht dieselbe Sprache wie die Deutschen. Wir kommunizieren auch mit Blicken, wenn das Jugendamt und die Betreuer darstellen, wir checken schon was diese Blicken heißen, dass wir nichts über die Stiefmutter sagen sollen, unter „wir“ meine ich, mich und meine zwei älteren Halbbrüder.

[…]

R: Am 25.07.2014 reiste XXXX ein. Wie sind Sie mit Ihrer leiblichen Mutter in Kontakt gekommen, in Österreich?

BF 2: Erste Mal wie ich sie gesehen habe und sie gehört habe war in der WG in XXXX in der XXXX .

R: Wie kam Ihre Mama in die WG?

BF 2: Es ist eine komplizierte Geschichte, es ist eine lange Geschichte. Die Zeugin, die draußen ist, es war gleich am nächsten Tag, ich bin in die WG gekommen, weil diese Zeugin, meine Großtante, den ältesten Bruder von mir ins Jugendamt geschickt hat und er im Jugendamt mit unserer Sozialarbeiterin geredet hat, dass wir misshandelt werden, wurden XXXX und ich in das Jugendamt gerufen, gemeinsam mit der Stiefmutter. Ich und XXXX wurden in ein Zimmer gesetzt, da hat mein ältester Bruder schon gewartet, in einem anderen Zimmer war die Stiefmutter mit einem anderen Sozialarbeiter, da wollten wir zunächst auszusagen, weil wir dachten, dass es schon 19 Uhr ist und dass wir dann wieder nach Hause gebracht werden, wir wussten nicht, dass das so schnell erledigt wird. Dann haben wir ausgesagt und wurden in die WG gebracht.

R: Fragewiederholung.

BF 2: Meine Mama ist am nächsten Tag zur WG gekommen.

R: Woher wusste meine Mama, dass Sie in der WG sind?

BF 2: Meine Mama hat mit der Großtante (Z) geredet und sie wusste schon, dass mein älterer Bruder beim Jugendamt aussagt und dass da irgendwas am Laufen ist. Am selben Tag wird sie wohl von meinem Bruder, der wurde auch wie ich in die WG gebracht, dieser XXXX . Er hat meiner Großtante gesagt wo wir sind und die hat es meiner Mutter gesagt.

R: Hatten Sie bereits Kontakt Ihrer Mutter bevor Sie nach Österreich eingereist ist

R: Hatten Sie Kontakt zueinander, bevor XXXX nach Österreich einreiste?

BF 2: Nur kurz, aber es war schon lange zuvor.

R: Wie?

BF 2: Ich weiß es wirklich nicht, es ist schon lange her gewesen.

R: Laut Ihrer Mutter haben Sie abgesehen von einem 10minütigem Telefonat zuletzt telefoniert und geskyped, als Sie XXXX Jahre lang waren, dennoch gaben Sie und Ihre Familie im Obsorge- und Asylverfahren an, dass Sie Augenzeuge waren, als Ihre Mutter erschlagen wurde, und XXXX gründete die familiären Schwierigkeiten darauf, dass Sie und Ihre Brüder XXXX und XXXX nicht wussten, dass sie, XXXX , nicht Ihre Mutter ist. Was stimmt denn jetzt?

BF 2: Meine Stiefmutter und mein Vater haben geschaut, dass sie keine Probleme bekommen und einfach vor sich hingelogen, das lesen sie eh selbst, alles was ich ausgesagt habe, dass ich gesehen habe, wie meine Mutter getötet wurde…. Ich war damals ein kleines Kind, ich habe nur das gesagt, was mir meine Stiefmutter mir gesagt hat, was ich sagen soll.

R: Ihre Mutter war 2014 kurz in XXXX und XXXX untergebracht, seit XXXX in XXXX . Sie beantragte am 24.10.2014 die Festlegung einer Besuchsregelung und hiezu Ihre Ausforschung in Österreich. Sie gaben im CLEARING-Gespräch an, dass XXXX Ihnen fremd sei und sich auch bisher wenig für Sie interessiert habe. Falls das Gericht beschließt, dass Sie sie sehen müssen, gehen Sie weg. Was sagen Sie dazu?

BF 2: Wer war an diesem Gespräch dabei, wie ich aussagte?

R: Da waren alle beteiligt, Ihr Vater, Ihre Stiefmutter..

BF 2: Das reicht schon, wenn mein Vater und meine Stiefmutter vor Ort waren. Wir haben so eine Angst gehabt, dass wir dachten, dass wir getötet werden, wenn wir nach Hause kommen. Jeden Tag hatten wir so eine Angst mit unserer Stiefmutter.

R: XXXX und XXXX haben sich Ihren Angaben zufolge XXXX getrennt. Geschieden wurde die Ehe XXXX . Waren die beiden standesamtlich verheiratet?

BF 2: Was meinen Sie damit? Sie sind noch immer verheiratet, aber nicht auf Papiere [halt]. Wenn es gerade so ist, meine ich.

R: Laut Akt wollte Ihr Vater wollte nach XXXX ziehen, Sie blieben XXXX . Laut Jugendwohlfahrtsbericht XXXX kehrte XXXX in die Familie zurück, nachdem XXXX fremduntergebracht werden musste. Die Obsorge blieb bei ihm, der Antrag von XXXX auf Einräumung eines Kontaktrechts wurde im XXXX abgewiesen. Was möchten Sie zum „Raufhandel“ mit XXXX in der XXXX am 07.07.2015 angeben?

BF 2: Tschuldigung, damit Sie verstehen. Während ich zu Hause solche Probleme hatte, hatte ich auch psychische Probleme vor der Außenwelt. Ich musste vor jedem geheimhalten, dass ich zu Hause geschlagen werde, unterdrückt werde, bespuckt werde. Meine Stiefmutter hat mich manchmal gezwungen die Hände auszustrecken und hat mich gebissen. Sie hat mich mit dem Teigroller und Suppenschöpfer geschlagen, mit jeglichem Gegenstand. Sie hat manchmal Ringe angesteckt, damit es uns mehr wehtut.

R: Laut Eingabe von XXXX im XXXX wollte XXXX Sie nach XXXX zurückbringen, um eine Beziehung von Ihnen zu XXXX zu unterbinden. Was können Sie dazu angeben?

BF 2: Keine Ahnung.

R: Was möchten Sie zu den mit Steinen eingeschlagenen Fensterscheiben an der Rückseite des XXXX in XXXX angeben – Ihr (Halb-)Bruder XXXX XXXX waren laut Akt dabei. Sie waren damals alle noch nicht strafmündig.

BF 2: Ich weiß nicht, wie alt ich war. Damals bin ich jedenfalls von meiner Stiefmutter weggelaufen, gemeinsam mit XXXX , danach habe eine Woche bei einem XXXX gewohnt. Danach sind wir weitergezogen, weil er uns rausgeschmissen hat. XXXX , wie er sonst noch immer er hieß, war ein Freund von XXXX , er hat uns ein oder zwei Tage heimlich bei ihm übernachten lassen und ist dann mit uns – ich weiß nicht warum – auch mit uns abgehauen. Wir wollten nach XXXX zu unserer Großtante, aber es gab Schwierig[keiten] unterwegs und wir sind dann irgendwie in XXXX gelandet, ohne Geld und irgendwas. Wie wir aus dem Zug ausgestiegen sind, war dort dieses XXXX . Dann haben mein Bruder und dieser XXXX angefangen die Scheiben einzuschlagen, ich war damals ziemlich klein. Dann kam noch ein Typ dazu, der war wirklich sauer und hat uns angeschrien. Dann haben mein Bruder und dieser XXXX ihn beleidigt und wir sind weggelaufen. Dann hat uns die Polizei gesehen, wie wir mit den zweiten fetten Rücksäcken, weil wir weggelaufen sind, auf einem Feld waren, dass frisch geackert war. Wir wollten weglaufen, aber es ging nicht, weil es so gatschig war. Dann hat uns die Polizei aufgehalten und wurden in die Polizeistation gebracht.

R: Die Strafverfahren wurden wegen Unmündigkeit gemäß § 4 JGG eingestellt. Ab XXXX waren Sie in der Wohngemeinschaft XXXX in XXXX untergebracht. Warum?

BF 2: Das war die Story, die ich Ihnen vorhin erzählt habe.

R: Was möchten Sie zum „Raufhandel“ am 02.01.2016 mit Ihrem (Halb-)Bruder XXXX angeben?

BF 2: Da wurde ich zusammengeschlagen von meinem Halbbruder.

R: Er wollte Sie abhalten, dass Sie jemanden erstechen, sagte zumindest er aus.

BF 2: Da waren die ganzen Sozialbetreuer schon dabei, die können alles aussagen. Ich wurde von meinem Halbbruder geschlagen, ich bin ausgerastet und bin weggelaufen.

R: Was möchten Sie zu Ihren „grenzüberschreitenden Vorfällen“ – Übergriffe auf Mitschüler, Respektlosigkeiten gegenüber dem Lehrpersonal, Diebstahl während eines Schnupperpraktikums, „Schwänzen“ des zweiten Schnupperpraktikums, Sachbeschädigung eines Zählerkastens und Verursachens eines Stromausfalls in der ganzen Schule – angeben?

BF 2: Das war die Zeit, wie ich von meiner Stiefmutter weggekommen bin, es war wirklich eine schwierige Zeit. Es ist mir wirklich schwergefallen, anderen zu vertrauen, weil ich alles erst verarbeiten musste.

R: Ihre Mutter beantragte erneut ein Kontaktrecht mit Ihnen, im Obsorgeverfahren gaben Sie am XXXX an, XXXX treffen, aber mit ihr leben zu wollen, zu Ihrem Vater XXXX haben Sie keinen Kontakt mehr. Was bewirkte diese Veränderung?

BF 2: Damals kannte ich sie nicht, sie war ein kompletter neuer Mensch nicht. Nach 15 Jahren kommt eine Person und nennt sich meine Mutter. Das musste ich erst einmal akzeptieren, verstehen Sie mich.

R: Mit Beschluss vom 07.03.2016 bewilligte das Bezirksgericht die Besuchsregelung mit XXXX , dann ging es kurz „bergauf“. Nachdem Sie Ihre (Halb-)Brüder getroffen haben, ging es aber wieder bergab, Sie nutzten die WG nur mehr als „Versorgungsstation“ und ein vernünftiges Arbeiten mit Ihnen war nicht mehr möglich. Was sagen Sie dazu?

BF 2: Wie gesagt, in dieser Zeit, das sind alle Recherchen von außenstehenden Menschen. Ich habe damals keinen gesagt, was ich wirklich fühle, wie es mir wirklich geht und mir ging es wirklich „Scheiße“. Ich hatte plötzlich keine Familie, keine Geschwister, nichts. Ich weiß nicht.

R: Im XXXX wollte die WG XXXX Sie suspendieren, nachdem Sie gedroht haben, die WG anzuzünden, gegenüber einem Betreuer handgreiflich wurden und diesen beschimpften. Was sagen Sie dazu?

BF 2: Ich hatte Probleme.

R: Was möchten Sie zum Entrinden eines Baumes im Park beim Bahnhof in XXXX am XXXX mit XXXX angeben?

BF 2: Damit habe ich gar nichts zu tun. Ich weiß nicht, warum ich da beschuldigt, da hat wahrscheinlich dieser XXXX angegeben.

R: Im XXXX kamen Sie nach Abgängigkeit mit Ihrem (Halb-)Bruder XXXX in die WG zurück, forderten Taschengeld, und als Sie keines bekamen, schlugen Sie den Betreuer nieder und gingen weg. Sie haben sich „selbst entlassen.“ Die Jugendwohlfahrt legte daraufhin Ihre Betreuung zurück. Was sagen Sie dazu?

BF 2: Ich kann mich nicht daran erinnern, einen Betreuer zusammengeschlagen habe, weil ich kein Taschengeld bekommen habe. Ich war wirklich sehr oft abgängig, ich war in XXXX . Ich habe draußen übernachtet und in verlassenen Kinos und am Bahnhof.

R: Mit Urteil vom 12.09.2016 wurden Sie zu einer Jugendstrafe von XXXX bedingter Freiheitsstrafe verurteilt, weil Sie am XXXX in XXXX durch die Äußerung, Sie werden um 17:00 Uhr bei der XXXX sein, um ihn zu schlagen, bzw. „Um 20.00 Uhr komme ich mit meinem Bruder hierher, dann mache ich dich fertig, mein Bruder sticht dich auch ab, wenns is“ zumindest mit einer Verletzung am Köper gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen und zwischen XXXX und XXXX in XXXX dadurch, dass Sie ihm Schläge versetzten, denen er jedoch ausweichen konnte, vorsätzlich am Körper zu verletzen versucht. Sie haben am XXXX in XXXX im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Ihrem (Halb-)Bruder XXXX XXXX vorsätzlich am Körper verletzt, indem Sie ihm zwei Faustschläge ins Gesicht versetzten, mit ihm zu Boden stützen, nachdem er Sie in den Schwitzkasten genommen hatte, ihn in den Rücken traten, und gemeinsam mit XXXX weitere Faustschläge ins Gesicht versetzten, wodurch er sich die Lendenwirbelsäule, Beckenwirbelsäule und das Jochbein prellte. Mildernd berücksichtige das Gericht, dass es teilweise beim Versuch blieb und dass Sie teilweise geständig waren, erschwerend das Zusammentreffen von XXXX Vergehen und die Tatbegehung in Gesellschaft. Sie erhielten die Weisung, ein Anti-Gewalt-Training zu absolvieren, eine Probezeit von drei Jahren wurde Ihnen auferlegt und Bewährungshilfe angeordnet. Was sagen Sie dazu?

BF 2: Das damals, wie gesagt, es war damals eine schwierige Zeit für mich, ich kannte damals nichts Anderes außer Gewalt.

R: Was war das für ein Verfahren wegen Diebstahls, das gemäß § 6 JGG eingestellt wurde? (Absehen von der Verfolgung)?

BF 2: ich weiß nicht, ich kann mich nicht erinnern, dass ich was gestohlen hätte.

R: 90 Euro aus einer Geldbörse?

BF 2: Ich habe noch nie einen Diebstahl begangen.

R: Seit XXXX sind Sie bei XXXX in XXXX gemeldet, nachdem Ihre Mutter Sie in XXXX „eingesammelt“ hat. Was war da los?

BF 2: Sie war bei meiner Großtante und ich war währenddessen wie ein Streuner, überall. Meine Mutter hat mich mit meiner Vorgeschichte und meinen Problemen mitgenommen.

R: Am XXXX vereinbarten XXXX und XXXX die gemeinsame Obsorge mit hauptsächlicher Betreuung durch XXXX . XXXX lebte weiterhin mit der Familie in XXXX . Wie war danach der Kontakt mit Ihrem Vater und dessen Familie nach die Obsorge auf Ihre Mutter übergangen ist?

BF 2: Ich glaube im XXXX , rund um meinen Geburtstag haben sich mein Vater und meine Stiefmutter gedacht, dass es ein Problem wird, wenn die volle Obsorge an meine Mutter übergeht. D. h., ich glaube sie haben sich das gedacht. Auf einmal wollten sie ein Handy kaufen und Hover-Board kaufen. Das Hover-Board haben sie wirklich gekauft. Solche Sachen halt. Für mich war das voll komisch. Ich habe direkt gecheckt, dass das nicht einfach so ist. Ich kenne die einfach. Das war das letzte Mal, wo ich bei denen war, wo sie meinen Geburtstag mit mir gefeiert haben. Das war der letzte Tag, wo ich sie gesehen habe. Damals hatte ich immer noch die Probleme und Gewaltausbrüche.

R: Anfang XXXX lehnten Sie den Kontakt zu Ihrem Vater ab, er gab daraufhin an, dass Sie jetzt keinen Vater mehr haben und stellte die Unterhaltszahlungen ein. Mit Beschluss vom XXXX übertrug das Bezirksgericht XXXX die volle Obsorge. Möchten Sie dazu etwas angeben?

BF 2: Ich weiß nicht, ob das brauchbar ist.

R erklärt nochmals die Frage.

BF 2: Ich möchte nichts dazu sagen.

R: Schlagen Sie Ihre Mutter, zB Ihren Kopf gegen die Wand?

BF 2: Nein.

R: Gibt es bei Ihnen zu Hause aktuell häusliche Gewalt?

BF 2: Nein.

R: Kurz davor, am XXXX wurden Sie festgenommen, über Sie wurde die Untersuchungshaft verhängt. Mit Urteil vom XXXX wurden Sie zu einer Jugendstrafe von XXXX Monaten bedingt wegen schwerer Körperverletzung verurteilt. Sie haben am XXXX durch einen heftigen Faustschlag ins Gesicht verletzt, er hatte ein Loch unter der Lippe, das mit drei Stichen genäht werden musste. Sie haben am XXXX durch einen Faustschlag ins Gesicht verletzt (Verletzung an der Lippe). Sie haben am XXXX durch mehrere Faustschläge ins Gesicht verletzt, er hatte eine Rissquetschwunde im Bereich der Unterlippe, Verletzungen der Oberlippenschleimhaut, Prellung im Bereich der Nase. Sie haben XXXX durch einen leichten Stoß gegen den Brustbereich am Körper misshandelt und dadurch fahrlässig eine Brustbeinprellung verursacht. Sie haben am XXXX durch einen Faustschlag ins Gesicht und einen Tritt gegen das linke Knie schwer am Körper verletzt, er erlitt eine Prellung des Oberkiefers, eine Prellung des linken Knies und einen Abbruch der vorderen Zahnreihe. Was sagen Sie dazu?

BF 2: Es ist mir leid. Das war eine Zeit von mir, wo ich kein Ziel vor Augen hatte. Wo ich nicht wusste. Das war die Pubertät, ich habe nicht weitergedacht, ich habe nicht gewusst, was der Schritt mich wohin bringen, plus diese posttraumatische Belastungsstörung.

R verliest den Befund von XXXX . R verliest das psychiatrische Gutachten aus dem Strafakt. Was sagen Sie dazu?

BF 2: Ich weiß nicht, welche Probleme ich zu dieser Zeit hatte.

R: Das waren die Köperverletzungen.

BF 2: Ich hatte damals Probleme, das kann Ihnen jeder Arzt sagen, es ist mir damals „Scheiße“ gegangen.

R: Sie wurden am XXXX bedingt aus der Strafhaft entlassen. Ihnen wurde die Weisung erteilt, die Schule zu besuchen. Der Schulbesuch wurde am XXXX offiziell beendet, nachdem Sie aggressiv gegen Klassenvorstand und Direktor wurden. Das Anti-Gewalt-Training haben Sie auch nicht begonnen. Warum haben Sie die Chance nicht genützt?

BF 2: Ich war damals nicht reif genug, ich war die ersten zwei, drei Jahre, wie ich von der Stiefmutter weg war, ich musste mich selbst finden, ich musste reif werden. Ich musste verstehen, jetzt ist alles in Ordnung.

R: Sie wurden am XXXX betreffend Ihre Weisungen vom Gericht einvernommen und es wurde Ihnen die Auflage erteilt, bis XXXX eine Beschäftigung nachzuweisen. XXXX besuchten Sie einen Teilqualifizierungslehrgang bei XXXX . Von diesem wurden Sie am XXXX ausgeschlossen. Bei der Diskussion über Frauenrechte kam es zu Meinungsverschiedenheiten. Sie wurden aggressiv, als eine Stellungnahme von Ihnen eingefordert wurde, haben auf den Tisch geschlagen und die Vortragende in Angst versetzt. Sie selbst bestätigten den Vorhalt, sahen sich aber als „Opfer“ und zeigten keine Einsicht in Ihr Fehlverhalten; für Ihre Aussage „An meinem Land gefällt mir, dass Frauen keine Rechte haben“, haben Sie sich entschuldigt und betont, dass Sie damit TSCHETSCHENIEN und nicht Österreich meinen. Sie haben nicht verstanden, warum ihre Betreuerin das nicht einsehen könne. Was sagen Sie dazu?

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten