TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/20 W226 2221359-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.05.2021
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Entscheidungsdatum

20.05.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W226 2221359-1/13E

W226 2221360-1/10E

W226 2221362-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) XXXX (BF1), geb. XXXX , 2.) XXXX (BF2), geb. XXXX und 3.) XXXX (BF3), geb. XXXX , alle StA. Kirgisistan, vertreten durch RA Dr. Christian SCHMAUS, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.06.2019, Zlen.: 1.) 1120006309/160885207, 2.) 1120004500/160885223 und 3.) 1119999506/160885185, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.04.2021 zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX (BF1) sowie XXXX (BF2) gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt. XXXX (BF3) wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 2 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX (BF1), XXXX (BF2) und XXXX (BF3) damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) und der Zweitbeschwerdeführer (im Folgenden: BF2) sind Ehegatten. Der Drittbeschwerdeführer (im Folgenden: BF3) ist ihr gemeinsamer minderjähriger Sohn.

Die Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) sind Staatangehörige von Kirgisistan, ohne Bekenntnis und gehören der Volksgruppe der Kirgisen an.

1.2. Die BF reisten am 23.06.2016 über den Luftweg ins Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag die diesen Verfahren zugrundeliegenden Anträge auf internationalen Schutz, zu welchen die BF1 und der BF2 am 24.06.2016 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt wurden.

Die BF1 gab an, sie sei in XXXX geboren und habe sie auch zuletzt dort gelebt. Sie sei ausgebildete Juristin. Zuletzt habe sie in der „ XXXX “ gearbeitet. Ihre Mutter, ihre Schwester und ihr Bruder würden noch in Kirgisistan leben.

Zum Grund der Flucht führte die BF1 aus, sie habe sich in ihrer Heimat für die Menschenrechte eingesetzt und darüber als Journalistin geschrieben. Sie habe die Behörden kritisiert und einen Anruf von einem Mitarbeiter der Präsidentenkanzlei bekommen. Man habe sie aufgefordert, ihre Aktivitäten einzustellen, ansonsten sie Probleme bekommen würde. Nach drei Wochen seien Leute des Bodyguards des Präsidenten in ihr Büro gekommen und hätten diese sie wieder aufgefordert, ihre Aktivitäten einzustellen. Sollte sie dies nicht tun, werde man sie umbringen. Auch danach habe sie mehrere Anrufe bekommen, wo man sie mit dem Tod und Kindesentführung bedroht habe. Eine Woche später seien sie zu Freunden auf Besuch gefahren und habe das Kindermädchen einen Tag später telefonisch mitgeteilt, dass fremde Männer bei ihnen zu Hause seien und nach ihr gefragt hätten. Das Kindermädchen habe auch Fotos geschickt. Aus diesem Grund hätten sie eine Wohnung gemietet und sich dort ca. 30 Tage lang versteckt. Die Männer – welche laut Kindermädchen wie Banditen ausgesehen hätten – hätten das Haus immer noch beobachtet, weshalb sie sich dann zur Flucht entschlossen hätten. Bei einer Rückkehr nach Kirgisistan würden sie sicher umgebracht werden.

Sie wolle auch für den BF3 um Asyl ansuchen.

Der BF2 gab in der Erstbefragung an, auch er sei in XXXX geboren und habe zuletzt dort gelebt. Er sei ausgebildeter Jurist und habe er zuletzt als selbstständiger Geschäftsmann gearbeitet. Seine Eltern, seine Schwester und ein Bruder würden in Kirgisistan leben.

Zum Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates führte der BF2 aus, dass die BF1 Journalistin sei. Sie sei in der Heimat ständig als Aktivistin für Menschenrechte aufgetreten und habe die Behörden, Regierungsmitglieder bzw. das gesamte System kritisiert. Sie hätten Morddrohungen bekommen und sei die Entführung ihres Sohnes angekündigt worden. Seine Gattin habe Anrufe von unterschiedlichen Leuten (von Banditen bzw. im Auftrag der Präsidentschaftskanzlei) bekommen. Als eines Tages fremde Personen bei ihnen zu Hause aufgetaucht seien, hätten sie von ihrem Kindermädchen einen Anruf bekommen, dass nach ihnen gesucht werde. Sie seien zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen. Aus Angst hätten sie sich für ca. 30 Tage in einer anderen Wohnung versteckt, bis ihnen die Flucht gelungen sei. Ihr Haus sei in dieser Zeit ständig überwacht worden. Bei einer Rückkehr fürchte er um sein Leben bzw. das Leben seiner Familie. Die BF1 sei als Menschenrechtsaktivistin sehr bekannt. Sie habe viele kritische Beiträge verfasst und werde sie von Angehörigen der Regierung bedroht.

1.3. Jeweils am 10.01.2017 wurden die BF1 und der BF2 im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen.

Die BF1 gab zu ihrer Person an, an keiner ernsten Erkrankung, aber an Schlafstörungen zu leiden. Auch ihr Sohn sei gesund. Sie sei Mitglied einer Menschenrechtsorganisation in Zentralasien. Sie und ihr Mann hätten in Kirgisistan eine Firma für Personalvermittlung gehabt. Sie hätten mit der amerikanischen Regierung zusammengearbeitet und Personal (etwa Manager, Kassierer, Lagerarbeiter) für Militärbasen zur Verfügung gestellt.

Zu ihren Fluchtgründen führte die BF1 aus, sie sei in Kirgisistan ab dem Jahr 2012 als Menschenrechtsaktivistin tätig gewesen. Ab dem Jahr 2014 habe sie mehr Zeit in diese Tätigkeit investiert. Sie habe Angehörige der LGBT-Bewegung, alleinstehende Mütter und Personen, die um ihr Recht auf XXXX gekämpft hätten, als Rechtsanwältin vertreten. Im Jahr 2015 habe sich eine Gruppe von Personen an sie gewandt, welche von Beamten des Präsidenten bezüglich der Bereitstellung von Sozialwohnungen betrogen worden sei. In den Jahren 2015 und 2016 habe sie vermehrt öffentlich (bei Pressekonferenzen oder in Printmedien) auf diesen Betrug hingewiesen. Zudem habe sie geholfen den Verein mit dem Namen „erschwingliches Wohnen“ zu gründen, welcher binnen kurzer Zeit mehr als tausend Mitglieder gehabt habe. Sie hätten im Rahmen dieser Organisation in XXXX auch Demonstrationen abgehalten und friedliche Protestaktionen durchgeführt. Im Zuge einer friedlichen Protestaktion im XXXX vor dem Präsidentenamt seien der KGB und die Polizei mit einem Gerichtsbeschluss gekommen, wonach ihre Zusammenkunft verboten worden sei. Im Oktober 2015 habe sie sich dazu entschlossen sich für die Partei „ XXXX “ für einen Sitz im Parlament aufstellen zu lassen. Nachdem sie ihre politischen Ambitionen öffentlich kundgemacht habe, habe eine Reihe von Verfolgungen (durch Mitglieder des Parlaments, welche dem Präsidenten zuzurechnen seien, der Polizei bzw. dem KGB) begonnen. Sie sei ständig überwacht und kontrolliert worden. Ab März 2016 seien vermehrt persönliche und telefonische Drohungen gekommen. Im Frühjahr 2016 sei das Büro, von welchem sie ihre Tätigkeit als Menschenrechtsaktivistin ausgeübt habe, auf den Kopf gestellt und Dokumente entwendet worden. Sie habe dann auch Drohanrufe im Namen des Leibwächters des Präsidenten erhalten und sei dazu aufgefordert worden, ihre Tätigkeiten einzustellen bzw. den XXXX und die politischen Verhältnisse zu kritisieren. Auch habe sie Anrufe bzw. WhatsApp-Nachrichten von Leuten eines bekannten Drogenbarons bekommen, welche ihr damit gedroht hätten, ihr Kind zu entführen bzw. sie und ihre Familie umzubringen. Weiters sei Anfang XXXX im staatlich-kirgisischen Fernsehen zur Prime-Time eine ein 30minütige Reportage mit Videoaufnahmen über sie und ihren Mann bzw. über ihre Zusammenarbeit mit der XXXX gezeigt worden. Man habe Unwahrheiten verbreitet (etwa, dass sie zweimal gerichtlich verurteilt worden sei oder ihr Mann einer kriminellen Organisation nahestehen würde) und hätte mit der Reportage auch der Anschein erweckt werden sollen, dass sie amerikanische Spione seien. Wegen dieser Verunglimpfung habe sie dann im April oder Mai 2016 (zweimal) eine Zivilklage gegen den Fernsehkanal wegen Rufschädigung eingebracht, wobei das zweite Verfahren noch im Gange sei.

Zum konkreten fluchtauslösenden Grund befragt, führte die BF1 aus, sie habe nach der Reportage im staatlichen Fernsehen beschlossen, ihre Arbeit aus Sicherheitsgründen nicht mehr in ihrem Büro zu machen. Eine Bekannte habe ihr angeboten, ihre Wohnung zu benützen. Als sie mit ihrem Mann und dem Sohn am XXXX am Weg nach Hause gewesen sei, habe sich dann ein Überfall auf ihr Auto ereignet. Sie hätten stehenbleiben müsse, um eine Kollision zu vermeiden. Vier bewaffnete Männer hätten versucht die Türen des Wagens zu öffnen, es sei ihnen aber gelungen in die andere Richtung davonzufahren. Danach hätten sie bis 08. Juni bei der Bekannten gelebt. Es hätten sie Gerüchte erreicht, dass die Behörden ein Strafverfahren gegen sie vorbereiten würden und seien sie dann schon zur Fahndung ausgeschrieben worden. Sie seien daher gezwungen gewesen, sich an Schlepper zu wenden, um so schnell wie möglich illegal das Land verlassen zu können.

Zusätzlich führte die BF1 noch aus, sie habe alles, was sie erzählt habe, auch auf Facebook veröffentlicht. Auch vor dem Jahr 2015 habe sie immer wieder Informationen ins Netz gestellt. Man habe sie in die Enge getrieben, sie habe keine andere Wahl gehabt. Sie hätten ihr Geld in der Heimat in ein Wohnhaus mit einer Wohnfläche von 500qm bzw. 4ha Land in den Bergen investiert. Dies hätten sie alles zurückgelassen und seien die Behörden dabei, ihnen alles wegzunehmen bzw. würden deswegen Gerichtsverfahren laufen. Nach der Rückübersetzung führte die BF zusätzlich noch aus, dass sie in XXXX auch ein Gebäude mit 1.500qm Bürofläche mit einem Wert von 1.000 USD/qm besitze. Ihre Mutter befinde sich noch in der Heimat und sei seit ihrer Ausreise 7-8 Mal verhört worden. Sie könne dazu – bei Bedarf – auch Vorladungen vorlegen.

Der BF2 gab zu seiner Person an, gesund zu sein. Er und die BF1 hätten mit der US-Regierung einen Vertrag über die Bereitstellung von Dienstleistungen gehabt. So hätten sie sich ihren Lebensunterhalt verdient. Der BF2 habe von 2001 bis 2015 nur das gemacht, seine Frau habe ab 2012 zusätzlich vermehrt als Menschenrechtsaktivistin gearbeitet. Als der Vertrag mit der USA ausgelaufen sei, habe er das Ersparte dafür verwendet um einen landwirtschaftlichen Betrieb zu kaufen.

Zu seinen Fluchtgründen führte der BF2 aus, ihnen habe aufgrund der öffentlichen politischen Tätigkeiten seiner Frau Gefahr gedroht. Sie habe ständig die Machthaber kritisiert. Man habe ihnen mit dem Tod und Kindesentführung gedroht. Auch er selbst habe Drohanrufe bekommen bzw. habe er die Tätigkeit seiner Frau seit 2012 mit seinen Einkünften finanziert. Er habe etwa Operationskosten für Kinder mit einem Herzfehler übernommen. Auch habe er für den Einsatz seiner Frau für Homosexuelle Wachpersonal zur Gewährung der Sicherheit zur Verfügung gestellt. Als die BF1 für das Parlament kandidiert und armen Menschen dabei geholfen habe, ihre Rechte auf Wohnungen geltend zu machen, seien Veranstaltungen und Demos aus eigener Tasche finanziert worden. Die BF1 habe einen eigenen Wohltätigkeitsfonds gehabt. Bedürftige Menschen hätten sich an den Fonds gewandt, wenn sie Hilfe benötigt hätten. Es seien auch viele Menschen mit kranken Kindern gekommen. Seine Frau habe sich auch für den Wohnungsbau eingesetzt, wobei einmal Leute von einem Beamten der Präsidentenpartei betrogen und um ihr Geld gebracht worden seien.

Zum fluchtauslösenden Vorfall gab der BF2 an, sie seien am 24.04. auf der Heimfahrt von einem anderen Fahrzeug zum Anhalten gezwungen worden. Es sei ihnen wegen der vielen Autos aber gelungen eine Kehrtwende zu machen und davonzufahren. Vier Leute hätten versucht, die Türen ihres Autos zu öffnen. Glaublich am 14.04. habe es auch einen Überfall auf das Büro des Wohltätigkeitsfonds gegeben und hätten bewaffnete Leute die Mitarbeitet in Angst und Schrecken versetzt. Nach dem Vorfall am 24.04. sei ihnen klar gewesen, dass man sie nicht in Ruhe lassen werde. Sie seien bei einer Bekannten geblieben, zu Hause hätten sie sich nicht mehr sicher gefühlt. Am nächsten Tag habe sie die Haushälterin angerufen und davon berichtet, dass „komische Leute“ vor dem Haus seien bzw. ins Haus gewollt hätten. Sie seien nicht mehr nach Hause gefahren, sondern hätten die letzte Zeit in einer Mietwohnung gelebt.

Abschließend führte der BF2 noch ergänzend aus, ihnen hätten Bekannte gesagt, dass gegen sie ein Strafverfahren eingeleitet worden wäre. In Österreich habe er davon erfahren, dass ein Strafverfahren anhängig sei. Ihre Rechtsanwälte in der Heimat würden keine Akteneinsicht bekommen. Angeblich sei er wegen der Veruntreuung von 1.500 USD bzw. wegen Falschaussage angeklagt. Auch sei ihr Ruf geschädigt worden, da eine Videoaufnahme veröffentlicht worden sei. Die Reportage sei gefälscht und seien darin Lügen verbreitet worden.

Im Zuge der Einvernahmen und im weiteren Verlauf des Verfahrens brachten die BF diverse Identitätsdokumente (Geburtsurkunden, ID-Karten, Führerscheine) sowie Studiendiplome, einen Wehrdienstnachweis des BF2, darüber hinaus ein Konvolut an Schreiben und Zeitungsberichten in russischer Sprache und Fotos in Vorlage.

1.4. In weiterer Folge wurde erneut diverse Schreiben in russischer Sprache sowie eine schriftliche Bestätigung der französischen Organisation „Association de l`Homme en Asie Centrale“, datiert mit 10.01.2017, vorgelegt.

1.5. Am 24.01.2017 brachten die BF eine Stellungnahme ein. Darin wurde ausgeführt, dass die BF1 und der BF2 in ihrer Heimat erfolgreiche, international und national agierende Unternehmer gewesen seien. Sie seien wegen regierungskritischen Aktivitäten staatlicher Verfolgung ausgesetzt gewesen. Die enge Kooperation mit XXXX und der aktive Einsatz zum Schutz der Menschenrechte in Kirgisistan habe ausgereicht, um sie zu verfolgen. Es bestehe bei einer Rückkehr die reale Gefahr, unter falschen Anschuldigungen für lange Zeit eingesperrt zu werden. Im Falle einer Verhaftung gebe es keine Garantie und Sicherheit auf körperliche und gesundheitliche Unversehrtheit.

Mit der Stellungnahme wurden erneut diverse Beweismittel in Vorlage gebracht (ua. eine Beschwerde der BF1 an ein Bezirksgericht der Stadt XXXX , einen Bericht von Amnesty International, Schriftstücke des kirgisischen Innenministeriums betreffend die strafgerichtliche Unbescholtenheit der BF sowie Empfehlungsschreiben von kirgisischen Organisationen).

1.6. Im weiteren Verlauf des Verfahrens wurde ein Vertrag zwischen dem Unternehmen des BF2 und der XXXX in Vorlage gebracht.

1.7. Im August 2017 zogen die BF die Vollmacht ihres bisherigen Rechtsvertreters zurück und brachten gegen diesen Anzeigen wegen Schlepperei und organisierter Kriminalität ein.

1.8. Am 28.11.2017 wurden – zum Nachweis des großen Bekanntheitsgrades der BF1 als Rechtsanwältin, Menschenrechtsaktivistin und Autorin von menschenrechtlichen und politischen Fachbeiträgen – diverse Berichte/Artikel in russischer Sprache in Vorlage. Zudem wurden diverse Internetlinks zu online abrufbaren Artikeln angeführt. Aus den Publikationen ergebe sich, dass die BF1 in Kirgisistan bzw. international eine bekannte Menschenrechtsaktivistin sei und angesichts der großen Anzahl an online veröffentlichten Beiträgen jedenfalls von einem besonders großen Bekanntheitsgrad und einer großen Reichweite auszugehen sei, was die Wahrscheinlichkeit einer politisch motivierten Verfolgung um ein Vielfaches erhöhe.

1.9. Am 31.07.2018 stellte das BFA eine Anfrage an die Staatendokumentation, worin angefragt wurde, ob betreffend die Tätigkeiten der BF1 als Menschenrechtsaktivistin, ihrem Bekanntheitsgrades, ihrer Probleme mit der Regierung bzw. dem Präsidenten oder anderer Menschenrechtsaktivisten in Kirgisistan Berichte/Informationen verfügbar seien. Die diesbezügliche Anfragebeantwortung langte am 23.08.2018 beim BFA ein. Zudem beauftragte das BFA die Übersetzung einiger der von den BF vorgelegten Dokumente.

1.10. Am 30.10.2018 wurde die BF1 erneut vom BFA niederschriftlich einvernommen.

Die BF1 gab zu ihrer Person an, gesund zu sein, sie benötige aber Beruhigungsmittel zum Schlafen. Sie habe im Heimatland in einem Eigentumshaus gelebt, das Haus sei aber wegen ihrer öffentlichen Tätigkeiten/Geschäfte auf den Namen der Mutter registriert gewesen. Ihr Bruder lebe samt Frau und Kinder in XXXX ; ihre Mutter, ihre Schwester und deren Sohn seien hier in Österreich. Der Geheimdienst und die Polizei würde beim Bruder nach ihnen fragen und habe man auch versucht, ihn vorzuladen, bislang habe man sich aber noch nicht wirklich auf ihn konzentriert. Betreffend die Bestreitung ihres Lebensunterhaltes im Herkunftsland, berichtete die BF1 erneut von dem Personalvermittlungsunternehmen. Sie hätten auch eine große Rinderfirma gehabt, Büroräume vermietet und eine Consulting-Firma in den Arabischen Emiraten gehabt. Sie hätten nicht schlecht gelebt.

Zu ihrer Ausreise aus der Heimat gab sie an, sie habe beim letzten Interview nicht offen darüber reden können, da der Rechtsvertreter mit ihrem Schlepper zusammengearbeitet habe. Sie habe in der Heimat keine strafbaren Handlungen begangen und sei auch nicht vorbestraft, aber 2016 sei gegen sie eine Untersuchung eingeleitet worden. Dies sei jetzt gestoppt, da die staatlichen Behörden nach ihnen suchen würden. Sie habe dies im Internet nachgelesen und würde dies auch im kirgisischen Fernsehen ausgestrahlt werden.

Die BF1 legte einen Brief ihrer Anwältin aus Kirgisistan vor, darin seien die rechtlichen Schritte angeführt, die die Anwälte in den dortigen Prozessen für sie unternehmen würden. Der fingierte Prozess sei derzeit gestoppt, weil man sie suche. Die Polizei wisse, dass sie in Österreich seien. Die Anwälte würden versuchen, den gestoppten Prozess wieder ins Rollen zu bringen, damit es geklärt werde, da sie unschuldig seien. Derzeit sei auch ein offizieller Haftbefehl gegen sie aufrecht.

Der BF1 wurden ihre Angaben in der letzten Einvernahme vorgehalten und sie erneut zu der Reportage im kirgisischen Fernsehen befragt. Die BF1 gab an, eine Klage gegen den Fernsehsender eingebracht und in allen Instanzen gewonnen zu haben. Zum damals eröffneten Strafverfahrens gab sie an, der Staat würde sie und den BF2 beschuldigen, Grundstücke für 400 USD pro Grundstück verkauft zu haben und so 285.000 USD bekommen zu haben. Es gehe um den Betrug von 1.500 USD und um Veruntreuung von Geldern in der Höhe von 285.000 USD. Dies gehe aus den fingierten Finanzvorlagen hervor, welche sie schon vorgelegt habe. Nach einer journalistischen Untersuchung der BF1 gegen eine dem Präsidenten nahestehende korrupte Person, habe diese Person gemeinsam mit der Polizei diese Fälle konstruiert. Sie hätten zwei Jahre lang versucht, die Unterlagen zu bekommen, da sie wissen hätten wollen, woher die Beträge stammen würden und wer durch sie geschädigt worden sei. Der vermeintlich Geschädigte sitze gerade im Gefängnis, dieser sei der korrupten Person nahegestanden. Die Unterlagen seien nicht offengelegt worden. Sie wisse dies aus einem polizeilichen Beschluss betreffend ihr Unternehmen, welchen sie vom Gericht bekommen habe. Weil sie nicht im Land seien, sei der Prozess derzeit gestoppt.

Nach Vorhalt, dass sie laut den vorgelegten Unterlagen in Kirgisistan strafrechtlich unbescholten sei, sie den Prozess gegen den Fernsehsender gewonnen habe und es laut ihren Angaben im aktuellen Prozess nur fingierte Beweismittel gebe und auf die Frage, warum sie glaube, diesen Prozess nicht auch gewinnen zu können, gab die BF1 an, dass es viele Gründe dafür gebe. Sie wisse nicht, ob sie gewinnen könne, da sie keinen Zugang zu den Unterlagen bekomme. Man würde nicht wollen, dass es weiter untersucht werde. Beim Gericht hätten sie eine kleine Chance, Beweise für ihre Unschuld vorzubringen. Man habe aber nicht vor, den Fall vor Gericht zu bringen, sondern versuche man, dass sie nach Kirgisistan zurückkomme. Bis zu einer Gerichtsverhandlung würde sie nicht überleben. Auch in Österreich habe sie viele Fälle journalistisch untersucht, dies würde ihr sicher auch das Leben kosten.

Nochmal nach dem fluchtauslösenden Ereignis befragt, gab die BF1 an, die Sendung sei am XXXX im TV ausgestrahlt worden. Etwa am 13. oder 15.04. habe man sie alle und die Mutter telefonisch mit dem Umbringen bedroht, da sie ihre Tätigkeit nicht einstellt habe. Eine Freundin von Freuden habe sie dann an den Schlepper vermittelt. Es habe ständig Anrufe gegeben und habe es auch einen Anschlag am Weg nach Hause gegeben. Sie hätten dann bei der Freundin gewohnt, im Mai 2016 sei der Schlepper gekommen und seien sie gezwungen worden, ihr Vermögen auf die Frau des Schleppers bzw. auf die Freundin umzuschreiben. Der Schlepper sei in Österreich asylberechtigt und schon verurteilt worden. Sollte sie nach Kirgisistan zurück müssen, werde ihr auch dieser Mann mit seinen „Unterweltkontakten“ schaden.

Nach Vorhalt, dass die BF1 die Verfolgungshandlungen in Kirgisistan vor allem auf den Präsidenten bzw. diesen nahestehende Personen gestützt habe, nunmehr laut dem Länderinformationsblatt aber ein neuer Präsident bzw. eine neue Regierung im Amt sei und auch andere wichtige Staatsbeamte entlassen worden seien, gab die BF1 an, dass dies stimme, der neue Präsident aber die politischen Gegangen nicht freigelassen und die gesetzeswidrigen Entscheidungen gegen unabhängige Journalisten nicht aufgehoben habe. Die Verfolger seien nicht zur Verantwortung gezogen worden, die Änderungen in der Verfassung seien nicht positiv. Sie habe in Kirgisistan wegen ihrer Probleme Anzeige erstattet, ab die Polizei habe selbst die Drohungen gemacht. Sie habe auf ihrer Facebook-Seite über diese Drohungen geschrieben. Betreffend den Schlepper habe sie die österreichische Verurteilung zu ihren Anwälten nach XXXX geschickt und diese angewiesen, auch gegen die beiden Frauen eine Anzeige einzubringen. Die Polizei habe aber zweimal abgesagt und keine Untersuchungen eingeleitet.

Zu ihrem Leben in Österreich gab sie an, von der Grundversorgung zu leben. Sie wolle ihr Diplom anerkennen lassen, lerne zu Hause Deutsch, helfe den Nachbarn oder bei Wohltätigkeitsveranstaltungen.

Befragt, was sie bei einer Rückkehr in die Heimat befürchte, führte die BF1 aus, sie habe Angst umgebracht zu werden. Sie habe Themen wie Korruption ans Licht gebracht und habe sie Nachfolger bzw. Unterstützer. Sie hätten Proteste organisiert und schreibe sie auch weiter, weil sie eine Verbesserung der Situation wolle. Normale Bürger, welche protestieren, würden nur für ein bis zwei Stunden eingesperrt und dann wieder freigelassen werden. Sie sei aber organisatorisch tätig gewesen, jetzt organisiere niemand mehr die Proteste, da alle Angst hätten. Sie habe auch nicht die Möglichkeit gehabt, sich wo anders im Heimatland niederzulassen, da sie dort wegen ihrer Wohltätigkeit, der öffentlichen Arbeit, ihrer journalistischen Tätigkeit und der Auftritte in Fernsehsendungen jedem bekannt sei. Sie habe ihre Artikel in Zeitungen veröffentlicht. Auch andere Journalisten, die in diesen Zeitungen Artikel veröffentlicht hätten, seien geflüchtet und hätten Asyl in anderen Ländern beantragt.

Anschließend legte die BF1 eine Liste mit Dokumenten vor, woraus hervorgehe, dass keine Gelder veruntreut worden seien. Hätte die Polizei die Absicht gehabt, alles ordnungsgemäß zu prüfen, hätten sie nur diese Dokumente prüfen müssen. Sie hätten die Liste der Polizei und der Staatsanwaltschaft geschickt, aber diese hätten keine Einsicht genommen, obwohl sie dazu verpflichtet seien.

Befragt, über welche Themen sie journalistisch geschrieben habe, gab die BF1 an, sie habe etwa über defekte staatliche Programme, Korruption des Staates, Invaliden- und Kinderrechte geschrieben. Nach dem Grund für die fingierten Verfahren befragt und nach Vorhalt, dass man laut ihren eigenen Angaben ausreichend Gelegenheit dazu gehabt habe, sie umzubringen, führte sie aus, dass man erst die Reputation der Person zerstören müsse, erst dann werde man umgebracht. Es sei ein Unterschied, ob man einen Journalisten oder einen Verbrecher umbringe. Zuerst mache man jemanden zu einem Verbrecher, dann bringe man ihn um. Dies sei üblich. Befragt, warum man das Verfahren dann gestoppt habe bzw. nach Vorhalt, dass der Staat das Verfahren in Abwesenheit negativ entscheiden könne und man dann auch ein Urteil gegen sie habe, führte die BF1 aus, dass man dann die Anwälte zulassen, Akteneinsicht gewähren und die Opfer vorladen müsse. Man wolle nicht, dass es zur Verhandlung komme. Befragt, was sie bei einer Rückkehr zu befürchten habe, wenn der Staat den Prozess nicht führen wolle, gab die BF1 an, dass man sie einsperren wolle. Man würde keinen fairen Prozess wollen. Man wolle sie zurückholen und einsperren. Sie sei schon ohne Prozess zum Verbrecher gemacht worden. Sie würde dort nach der Ankunft in der Zelle sterben, vielleicht würde man einen Herzinfarkt fingieren.

Im Zuge der Einvernahme wurden das österreichische Gerichtsurteil des „Schleppers“ vom XXXX (Verurteilung wegen des Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 144 Abs. 1, 145 Abs. 2 Z 1, 15 StGB, zum Nachteil der BF1 und des BF2), ein Brief der Anwälte aus Kirgisistan in englischer Sprache, das erstinstanzliche Urteil gegen den XXXX sowie polizeiliche Beschlüsse betreffend BF1 vorgelegt.

1.11. Am 23.11.2018 brachte die BF1 eine Stellungnahme ein, worin zusammengefasst ausgeführt wurde, ihr werde wegen ihres politischen Engagements und ihrer journalistischen Tätigkeit, im Rahmen derer sie Korruption durch die politische Elite und weitreichende Verstöße bestehender Gesetze zu Lasten von Kindern und sozial Bedürftigen aufgedeckt habe, Verfolgungen aus politischen Gründen drohe. Die Verfolgung äußere sich darin, dass gegen die BF1 auf Basis manipulierter Beweismittel ein Strafverfahren eingeleitet und sie nach Art. 166 (2) Z 2 und 3 und (4) Z 2 des kirgisischen Strafgesetzes angeklagt worden sei, eine Gruppe von Personen in erheblichem Ausmaß durch die Beschlagnahmung von Vermögen in großem Maßstab betrogen zu haben. Im Falle einer Verurteilung würde ihr eine Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren drohen. Gegen die BF1 sei am XXXX von einem Bezirksgericht in XXXX eine „vorbeugende Maßnahme“ in der Form von Haft nach Art. 223 in Verbindung mit Art. 102 der kirgisischen Strafprozessordnung verhängt worden. Bei einer Rückkehr in ihr Heimatland drohe ihr unmittelbar die Inhaftierung. Kirgisistan sei eines der korruptesten Länder der Welt, regierungskritische Journalisten und gesellschaftliche Aktivisten seien Zielscheibe der Justiz. Es gebe keine unabhängige Justiz, die Haftbedingungen seien hart und aufgrund von Misshandlungen, Nahrungsmittel- und Medikamentenmangel, unzureichender Gesundheitsversorgung und fehlender Heizung manchmal lebensbedrohlich. In den Einrichtungen für Untersuchungshaft seien die Bedingungen noch schlimmer als in den Gefängnissen. Durch den neu gewählten Präsidenten Sooronbai JEENBEKOV sei es nicht zu einer strukturellen Änderung der Menschenrechtslage gekommen, sondern seien nur einige in Schlüsselpositionen befindliche Personen ausgetauscht worden. Die für die Verfolgung von regierungskritischen Journalisten verantwortlichen Personen seien bis dato nicht zur Verantwortung gezogen worden, die verurteilten Menschenrechtsaktivisten und Journalisten nicht freigesprochen bzw. aus den Gefängnissen entlassen worden. Ein politisch motiviertes und nicht rechtsstaatlich geführtes Strafverfahren, welchem die BF1 ausgesetzt sei, stelle eine Verfolgung gemäß der GFK dar und sei asylrelevant. Der VwGH habe schon mehrfach klargestellt, dass eine strafrechtliche Verfolgung im Heimatland als eine Verfolgung im Sinne der GFK zu subsumieren sei, wenn die Durchführung des Strafverfahrens nicht nach rechtsstaatlichen Prinzipien gewährleistet sei und die Strafe unverhältnismäßig wäre. Die Justiz in Kirgisistan sei korrupt und funktioniere nicht. Ein rechtsstaatlich geführtes faires Strafverfahren sei für die BF1 in Kirgisistan nicht zu erwarten. Die Tatsache, dass sie in einem Zivilverfahren gegen öffentliche Medien Recht bekommen habe, lasse nicht den Schluss zu, dass ihr im nunmehr anhängigen Strafverfahren ein faires Verfahren offenstehen würde, zumal das Länderinformationsblatt die fehlende Unabhängigkeit der Justiz und die Korruption in diesem Bereich herausstreichen würden. Bereits in der Stellungahme der kirgisischen Rechtsanwälte sei die Verweigerung zahlreicher gesetzlich garantierter Verfahrensrechte im nunmehrigen Strafverfahren angeführt worden. Das Urteil der Zivilgerichte sei auch nie vollzogen worden. Die Medien seien zwar verurteilt worden und sei festgestellt worden, dass falsche Informationen verbreitet worden seien, ein öffentlicher Widerruf habe jedoch nicht durchgesetzt werden können. Das Urteil sei somit wirkungslos geblieben. Der Ruf der BF1 in der Öffentlichkeit sei ohne Konsequenzen beschädigt worden und sie öffentlich und nachhaltig als Verbrecherin hingestellt worden. Aufgrund des bestehenden Haftbefehls würde die BF1 unmittelbar nach ihrer Rückkehr ins Heimatland verhaftet werden, eine Verfolgung aufgrund des Konventionsgrundes der politischen Gesinnung sei gegeben. Die Verfolgung gehe von der aktuellen kirgisischen Regierung aus, die Regierungsumbildung habe nicht zu einer Änderung der Verfolgungssituation geführt, zumal die Justiz und der polizeiliche Sicherheitsapparat keine unabhängigen und nach rechtsstaatlichen Grundprinzipien handelnden Institutionen seien. Die Haftbefehle gegen die BF1 und den BF2 seien nach wie vor aufrecht. Die BF1 werde wegen ihrer (unterstellten) politischen Gesinnung verfolgt. Da die Verfolgung vom Staat ausgehe, bestehe keine IFA. Es sei daher Asyl zu gewähren.

Es wurden die Haftbefehle der BF1 und des BF2 und in weiterer Folge noch zwei Empfehlungsschreiben für die BF von Mitbürgern vorgelegt.

1.12. Am 21.12.2018 langte eine weitere Stellungnahme beim BFA ein. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF1 nach wie vor journalistisch aktiv sei und sich kritisch zu politischen Ereignissen und Missständen in ihrem Heimatland äußere. Sie sehe es als ihre Aufgabe, die Bevölkerung über Missbrauch und Korruption von Beamten, Politikern sowie anderen einflussreichen Personen in ihrem Herkunftsland aufzuklären und hoffe durch die öffentliche Aufmerksamkeit eine Verbesserung in ihrem Land zu bewirken. Da die BF1 um die Sicherheit der in ihrem Herkunftsland verbliebenden Verwandten fürchte, veröffentliche sie ihre politischen Berichte nunmehr unter einem Pseudonym. Zum Beweis dafür, dass es sich bei der Autorin um die BF1 handle, werde die zeugenschaftliche Befragung des Chefredakteurs einer Online-Zeitung beantragt. In weiterer Folge wurden die Online-Berichte der BF1 aufgelistet. In den Publikationen würden die Machenschaften von Personen, die nach wie vor großen Einfluss und beste politische Kontakt hätten, aufgedeckt und kritisiert werden. Daher werde auch der „Pseudo-Name“ der BF1 bereits von den kirgisischen Behörden gesucht. Bereits mehrfach sei in internationalen Medien über die Verfolgung von regierungskritischen Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Oppositionsführe, deren Anwälten und Familienmitgliedern in Kirgisistan berichtet worden. Auch hierzu wurden Beispiele aufgezählt und ausgeführt, dass sich die politischen Gefangenen nach wie vor in Haft befinden würden. Durch die neue Regierung sei keine wesentliche Änderung herbeigeführt worden, welche zu einer anderen Beurteilung der Verfolgungssituation führen könnten. Die Haftbefehle gegen die BF1 und des BF2 seien nach wie vor aufrecht und die Strafverfahren anhängig. Diese seien zwar eingestellt, würden aber bei der Einreise nach Kirgisistan fortgesetzt werden und würde ihnen kein faires Verfahren offenstehen. Es sei daher Asyl zu gewähren.

1.13. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 07.06.2019 hat das BFA die Anträge auf internationalen Schutz der BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I.), den BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Kirgisistan nicht zuerkannt (Spruchpunkte II.), diesen einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkte III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die BF Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG nach Kirgisistan zulässig sei (Spruchpunkte V.) und deren Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte VI.).

In der Entscheidungsbegründung hielt das BFA im Bescheid der BF1 fest, dass die vorgebrachte Verfolgung aus politischen Gründen aufgrund des politischen Engagements und der journalistischen Tätigkeit in Kirgisistan nicht glaubhaft sei. Sie habe keine Gründe nennen können, weshalb ihr Bruder nach wie vor in Kirgisistan leben könne. Hinsichtlich des fingierten Gerichtsprozessen hätten sich Ungereimtheiten zwischen dem Schreiben der kirgisischen Anwälte und dem vorgelegten Urteil des Bezirksgerichtes ergeben. Weiters habe die BF1 nicht substantiiert angeben können, weshalb die Reportage im staatlichen XXXX erst im XXXX ausgestrahlt worden sei, während laut ihren eigenen Angaben eine Zusammenarbeit mit der XXXX schon seit dem Jahr 2002 bestanden habe. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die BF1 bei einer Rückkehr nach Kirgisistan kein faires Verfahren in Kirgisistan erwarten würde, zumal sie den Gerichtsprozess gegen das staatliche kirgisische XXXX in allen Instanzen gewonnen habe. Auch habe sie Schriftstücke des kirgisischen Innenministeriums vorgelegt, wonach sie, der BF2 und der BF3 strafrechtlich unbescholten seien und habe die BF1 sogar selbst angegeben, dass sie den Prozess vielleicht doch gewinnen könnte. Es sei nicht glaubwürdig, weshalb die fingierten Prozesse in Kirgisistan aufgrund des Aufenthaltes in Österreich gestoppt seien, zumal der Prozess gegen das kirgisische XXXX trotz des Aufenthaltes in Österreich weitergeführt und positiv ausgegangen sei. Aus den Länderfeststellungen zu Kirgisistan vom 18.05.2018 gehe hervor, dass nach der Ausreise ein neuer Präsident (JEENBEKOV) im Amt sei, die damalige Regierung und andere Verbündete des damaligen Präsidenten entlassen worden seien. Es sei damit ein politischer Machtwechsel in Kirgisistan vollzogen worden. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Klage gegen den Vorsitzenden des Vereins „ XXXX “, welchen die BF2 im Verfahren verteidigt bzw. juristisch unterstützt habe, nicht stattgegeben worden sei und weshalb die BF1 einen zwei Jahre dauernden Prozess gegen das XXXX in allen Instanzen gewonnen habe, da diese Prozesse dazu hätten verwendet werden können, die Reputation der BF1 durch negative Entscheidungen zu zerstören. Der Umstand, dass beide Verfahren positiv geendet hätten, sei ein starkes Indiz dafür, dass auch die BF1 ein faires Verfahren erhalten werde. Selbst bei Wahrunterstellung der laufenden Prozesse in Kirgisistan, sei aufgrund der dargelegten Umstände davon auszugehen, dass es sich bei den Prozessen um Maßnahmen staatlicher Stellen zur Aufklärung von kriminellen Vorkommnissen handle, eine Qualifizierung als „politische Verfolgung“ im Sinne der GFK könne nicht erkannt werden. Die BF1 habe auch keine weiteren Fluchtgründe, die auf eine persönliche Verfolgung im Sinn der GFK schließen würde, vorgebracht. Es habe daher nicht festgestellt werden können, dass die BF1 Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sei oder solche in Zukunft zu befürchten habe.

Im Bescheid des BF2 und des BF3 wurde festgehalten, dass diese sich ausschließlich auf die Fluchtgründe der BF1 berufen hätten, diese sich aber als unglaubwürdig erwiesen hätten.

1.14. Für die BF wurde fristgerecht eine gleichlautende und vollumfängliche Beschwerde eingebracht, in welcher – nach Erörterung des Verfahrensganges - zusammengefasst geltend gemacht wurde, die BF hätten gleichlautend angegeben, wegen mehrerer Konventionsgründe, nämlich aufgrund der (zumindest unterstellten) politischen Gesinnung sowie betreffend den BF2 und BF3 aufgrund der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppe der Familie in Kirgisistan von asylrelevanter Verfolgung bedroht zu sein. Die Verfolgung der BF1 wegen ihrer Tätigkeiten in Kirgisistan würde durch die vorgebrachten Unterlagen sowie die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation belegt sein. Die BF1 widme sich aktuell noch dem Kampf für die Gerechtigkeit und nehme sie als kritische Journalistin zu den aktuellen Entwicklungen in Kirgisistan Stellung. Dazu sei auf die in Vorlage gebrachten Artikeln hinzuweisen und werde wiederholt die zeugenschaftliche Befragung des Chefredakteurs der Online-Zeitung beantragt. Nach der BF1 und dem BF2 werde strafgerichtlich aufgrund falscher Anschuldigungen gefahndet und befinde sich mittlerweile – entgegen der aktenwidrigen Behauptungen des BFA – auch der Vorsitzende des Vereins „ XXXX “ ( XXXX ) in Haft. Er sei zu einer 12-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt und sein gesamtes Eigentum konfisziert worden. Mit ihm verbundene Unterstützer seien zu 3-6jährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Die Anschuldigungen gegen die BF1 würden maßgeblich auf den dort fälschlicherweise erhobenen Vorwürfen beruhen. Dass die im Falle einer Rückkehr mit der für das Verfahren erforderlichen Wahrscheinlichkeit zur erwartenden Verfolgungshandlungen, nämlich insbesondere die gänzlich ungerechtfertigte Strafverfolgung und die damit einhergehende illegitime Verhaftung, die Schwelle der Asylrelevanz klar überschritten sei, werde nicht nur durch die bereits erlittenen Übergriffe, sondern ebenso durch die Länderfeststellungen belegt. Als Akteure würden der Staat und nicht-staatliche Akteure, nämliche die korrupten Beamten auftreten. Kirgisistan sei eines der korruptesten Länder der Welt. Die asylrelevante Verfolgungsgefahr für Personen, die sich gegen Korruption und für Minderheiten, wie auch für die Einhaltung von Menschenrechten einsetzen, ergebe sich nicht nur aus den Berichten internationaler Organisationen, sondern auch aus den Länderfeststellungen. Die BF seien bedroht, Opfer von asylrelevanter Verfolgung aufgrund der Tätigkeit der BF1 als Rechtsanwältin, Menschenrechtsaktivistin, kritische Journalistin und politische Opponentin in Zusammenschau mit ihrer nachweislich bekannten Regime-kritischen Haltung zur werden, sohin aufgrund ihrer (zumindest unterstellten) politischen Gesinnung. Das BFA habe auch verkannt, dass gegenständlich auch ein Nachfluchtgrund vorliege, da die BF1 in Österreich gegen den Schlepper gerichtlich vorgegangen sei und aufgrund ihrer Aussagen zu einer hohen Haftstrafe verurteilt worden sei. Nunmehr werde die BF1 sowohl direkt, als auch indirekt von Seiten seiner vermutlichen Komplizin in Kirgisistan bedroht und sei auch von deren Seiten ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet worden. Weiters seien die mittlerweile in Österreich aufhältigen weiteren Familienangehörigen der BF1 in Kirgisistan vorgeladen und sowohl von staatlicher, wie auch von krimineller Seite wegen ihr erpresst worden. Der BF2 habe die BF1 stets in ihren Belangen unterstützt und sei auch er Opfer von Diffamierungskampagnen geworden und werde als Angeklagter im strafrechtlichen Verfahren geführt. Der BF3 würde im Falle der Verhaftung seiner Eltern der staatlichen Fürsorge überantwortet werden, zumal die restliche Familie als Vormund nicht in Betracht kommen würde. Vor dem Hintergrund der Situation von Kindern in Kirgisistan sei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass auch dem BF3 Eingriffe in Leib und Leben drohen würden. Die BF würden sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung iSd GFK außerhalb von Kirgisistan befinden und hätten sie dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten. Eine IFA sei zu verneinen, da die asylrelevante Verfolgung vom Staat ausgehe. Gerügt wurde, dass die vorgelegten Beweismittel nur mangelhaft gewürdigt worden seien. So hätten die eigens vom BFA eingebrachten Länderfeststellungen sowie die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation im Rahmen der Beurteilung des Fluchtvorbringens keine Berücksichtigung gefunden und seien in unvertretbarer Weise für die BF nachteilig gewürdigt worden. Auch habe sich die Behörde nicht nachvollziehbar mit der Einleitung des Strafverfahrens gegen die BF bzw. dem vorgelegten Haftbefehl beschäftigt. Dem Bescheid sei nicht zu entnehmen, ob davon ausgegangen werde, dass der Haftbefehl noch in Kraft sei und ein Strafverfahren anhängig sei. Die schlichte und mit den Länderfeststellungen nicht in Einklang zu bringende Behauptung, dass die BF ein „faires Verfahren“ erhalten würden, könne eine Würdigung der in Vorlage gebrachten Urkunden und den hieraus resultierenden vorgebrachten Gefahren jedenfalls nicht ersetzen. Nicht nur die Länderfeststellungen würden die bestehende Verfolgungsgefahr gegenüber politischen Gegnern indizieren, sondern auch die in den Stellungahmen angeführten Artikel und Berichte von Verhaftungen, ungerechtfertigten Verurteilungen und Folter von Oppositionellen, regierungskritischen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten. Die Behörde habe auch gänzlich missachtet, dass sich die BF1 unter einem Pseudonym kritisch gegenüber Staatsorgangen geäußert habe. Der dazu eingebrachte Antrag auf zeugenschaftliche Einvernahme des Herausgebers sei nicht beachtet worden. Dass einzelne zivilrechtliche Verfahren zum jetzigen Zeitpunkt positiv geendet seien, ändere an der bestehenden Gefahr des anhängigen Strafverfahrens und die drohende Verhaftung unmittelbar bei der Einreise als Rückkehrer vor dem realen Hintergrund der Lage im Land nichts. Hinsichtlich der Verurteilung des Schleppers habe es die Behörde gänzlich unterlassen, Ermittlungen durchzuführen. Die Behauptung der Behörde, dass der positive Ausgang zivilrechtlicher Verfahren ein ausreichendes Indiz dafür sei, dass von Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz auszugehen wäre, erweist sich bereits aus denklogischen Gesetzen als nicht nachvollziehbar. Vielmehr sei genau der Kampf der BF1 für die Wohnungslosen, welche sie zur Zielscheibe staatlicher Verfolgungsmaßnahmen werden habe lassen. Die nachträgliche Würdigung dieses Rechtsstreits als Beweis der Unglaubwürdigkeit der staatlichen Verfolgungsmaßnahmen anzuführen, entbehre jeder Logik, zumal dies Teil der verfolgungsauslösenden Umstände gewesen sei. Die Strafverfahren seien nach wie vor anhängig und die Haftbefehle aufrecht. Ebenso sei nach der Ausreise der BF aus Kirgisistan der Rest der Familie Ziel von staatlichen Zwangsmaßnahmen geworden. Die Familie sei vor ihrer Flucht von der Polizei und kriminellen Organisationen erpresst worden. Der Bruder habe aufgrund seiner schlechten physischen Konstitution seit 2012, fehlenden Eigentums und mangelndem politischem Engagement keine besondere Relevanz für die Verfolger gehabt, zumal hierdurch auch kein Druck auf die BF1 ausgeübt werden könnte. Das BFA habe es unterlassen, sich mit den strafrechtlichen Anschuldigungen und der hieraus resultierenden staatlichen Strafverfolgung in geeigneter Weise auseinanderzusetzen. Die BF hätten Urkunden in Vorlage gebracht, die das Vorbringen belegen würden. Das BFA wäre dazu verpflichtet gewesen, sich vor dem Hintergrund der Lage in Kirgisistan mit den Haftbedingungen, Rechtsschutzmöglichkeiten und aktuellen Verurteilungen auseinanderzusetzen und entsprechende Ermittlungen durchzuführen. Es hätten aktuelle Länderberichte beigeschafft werden müssen, zumal diese belegen würden, dass die Situation für Menschenrechtsaktivisten nach wie vor besorgniserregend sei. Zusammengefasst würden sich die BF aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb ihres Heimatlands befinden und sei ihr Heimatland nicht dazu in der Lage oder willens ihnen Schutz zu bieten, weshalb ihnen der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen sei.

Der Beschwerde wurden eine Auflistung der Geschehnisse, verfasst von der BF1 in englischer Sprache sowie ein Schreiben der kirgisischen Anwälte der BF, datiert mit 26.10.2018, beigefügt.

1.15. Mit 25.10.2019 wurden weitere Beweismittel in Vorlage gebracht. Zum Beweis der Richtigkeit des bisherigen Vorbringens der BF wurde ein Brief des Vorsitzenden der größten Oppositionspartei Kirgisistans „ XXXX “ sowie ein Brief der stellvertretenen Vorsitzenden dieser Partei, jeweils in russischer und englischer Sprache in Vorlage gebracht. Daraus gehe hervor, dass die BF in Kirgisistan das „Recht auf leistbares Wohnen“ verteidigte, weswegen sie die Aufmerksamkeit der kirgisischen Behörden auf sich gezogen habe. Die BF1 sei daraufhin überwacht worden und habe Todesdrohungen erhalten. Nachdem eine öffentliche Diffamierung im staatlichen Fernsehen stattgefunden habe, sei eine fabrizierte Anklage gegen die BF1 und den BF2 erhoben worden. Dies decke sich mit den im bisherigen Verfahren getätigten Aussagen der BF und bestätige, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach Kirgisistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einem politisch motivierten und nicht rechtsstaatlich geführten Strafverfahren ausgesetzt wäre.

1.16. Am 26.04.2021 wurde erneut eine Stellungnahme eingebracht und weitere Unterlagen vorgelegt.

Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, dass nunmehr auch Amnesty International in einem Schreiben eine Rückkehr als reales Risiko der Verletzung der Menschenrechte der BF sehe. Es wurden die die Verfolgung auslösenden Tätigkeiten der BF1 in Kirgisistan aufgezählt und auf die diesbezüglich (zum Teil neu) vorgebrachten Beweismittel sowie diverse Internetberichte verwiesen. Weiters wurde ausgeführt, die BF hätten stets gleichlautend vorgebracht, dass sie aufgrund drohender Strafverfolgung auf Basis fingierter Anschuldigungen, die in unmittelbaren Zusammenhang mit der Arbeit der BF1 gegen korrupte Eliten und für die Gewährleistung und Einhaltung von Menschenrechte gestanden sei, aus ihrem Heimatland geflohen seien. Der Einleitung des Strafverfahrens seien persönliche Übergriffe und Einschüchterungsmaßnahmen sowie eine öffentliche Verleumdungskampagne vorausgegangen. Den BF sei Betrug und Unterschlagung - im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit für den Verein „ XXXX “ sowie für jene Kooperative, die für die Verwaltung ihres Gemeinschaftsgartens zuständig gewesen sei, - vorgeworfen worden. Gegen die BF1 und den BF2 seien Strafverfahren eingeleitet und ein Haftbefehl erlassen worden. Die Verfahren seien nach wie vor anhängig, was ebenso aus diversen und (teils) neu vorgelegten Beweismitteln hervorgehe. Die BF seien aber auch maßgeblich bei der Ausforschung und Verurteilung von einem in Österreich ansässigen Mitglied einer kirgisischen kriminellen Vereinigung beteiligt gewesen und seien sie nicht nur von diesem, sondern auch von einer in Kirgisistan aufhältigen Komplizin, welche auch den Erstkontakt mit dem Schlepper hergestellt habe, bedroht worden. Auf den sozialen Medien sei ersichtlich, dass der Verurteilte sich zumindest teilweise in Kirgisistan aufhalte. Auch dazu wurde auf diverse Beweismittel sowie Internetberichte verwiesen. Auch die nach Österreich geflohene Schwester und Mutter der BF1 seien in Kirgisistan bereits Übergriffen und Bedrohungen ausgesetzt gewesen. Die BF1 setze sich nach wie vor für die Umsetzung von Menschenrechten in der Region Eurasia und die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen ein. Sie sei bis zum Jahr 2020 aktives Mitglied der „ XXXX “ gewesen und habe sie in dieser Funktion von Österreich aus in dieser Region lebende Flüchtlinge unterstützt und sich an der Ausarbeitung von Berichten zur Situation beteiligt. Am 29.01.2021 habe die BF1 einen eigenen Verein namens „ XXXX bzw. XXXX “ gegründet, wo sie etwa Berichte über Korruption, die Menschenrechtssituation oder Verfolgungshandlungen gegen Menschenrechtsaktivisten in Kirgisistan veröffentlicht habe. Zudem habe die BF1 auch einen Fall eines politischen Aktivisten aus Tadschikistan aufgezeigt, welcher nach seiner Abschiebung dorthin zu 20 Jahren Haft verurteilt worden sei. Zum Nachweis des exilpolitischen und menschenrechtsaktivistischen Engagements der BF1 bzw. die Dokumentation und Veröffentlichung dieses Falles werde eine zeugenschaftliche Einvernahme beantragt. Dadurch solle die exilpolitische Tätigkeit der BF1 für die Anliegen von Oppositionellen, Regimekritikern und Menschenrechtsverteidigern aus dem zentralasiatischen Raum nachgewiesen werden. Dieses Verfahren sei auch von Amnesty International begleitet worden und habe die BF1 darüberhinausgehend unermüdlich die Arbeit von Amnesty International unterstützt. Auch abseits ihrer Menschenrechtsarbeit dokumentiere die BF1 die in der Region Kirgisistan belegten kriminellen Strukturen, um korrupte Strukturen aufzuzeigen und der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zudem habe sie sich auch in Fernsehinterviews kritisch zu menschenrechtlichen Themen geäußert. Der BF1 drohe aufgrund ihrer exilpolitischen Tätigkeit und ihrer nach außen hin getragenen Einstellung – somit aufgrund ihrer politischen Gesinnung, welche Ausdruck und Fortsetzung ihrer bereits in Kirgisistan bestehenden Überzeugung und Arbeit sei bzw. in Bezug auf den BF2 und BF3 aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie - im Falle einer Rückkehr mit verfahrensmaßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung auch aufgrund eines subjektiven Nachfluchtgrundes. Den BF sei daher der Status von Asylberechtigen zuzuerkennen. Sämtliche vorgelegte Schreiben internationaler Organisationen würden dies bestätigen. Auch die aktuellen Entwicklungen unter dem neuen Präsidenten würden eine weitere Verschärfung der Situation für Menschenrechtsverteidiger ankündigen, dies sei ebenso den vorgelegten Berichten zu entnehmen. In Kirgisistan sei eine korrupte politische Elite durchwegs gleichbleibend an der Macht geblieben. Der BF1 würden aufgrund der bereits vor der Flucht gesetzten politischen Aktivitäten bis zum heutigen Tag asylrelevante Verfolgungshandlungen drohen. Sie habe sich seit dem gewaltsamen und illegitimen Umsturz im Oktober 2020 öffentlich gegen den nunmehrigen Präsidenten positioniert, weswegen ihr auch aufgrund eines Nachfluchtgrundes, nämlich ihrer exilpolitischen Tätigkeit, arbiträre Haft, Folter und unmenschliche Behandlung, aufgrund ihrer damit vertretenen politischen Gesinnung drohe. Durch das Aufzeigen von Menschenrechtsverletzungen in Eurasia sowohl in öffentlichen Medien und in Form von Analysen durch politische Prozesse stehe sie nicht nur im Fokus der Verfolgung durch die kirgisischen Machthaber, sondern auch durch die Autokraten der gesamten Region. Ebenso drohe den BF durch die Beteiligung an der Verurteilung eines in die kirgisischen kriminellen Netzwerke verankerten Verbrechers in Österreich Eingriffe in die körperliche Integrität bis hin zum Tod. Die BF seien im Falle einer Rückkehr mit verfahrensmaßgeblicher Wahrscheinlichkeit bedroht, Opfer von asylrelevanter Verfolgung aufgrund der Tätigkeit der BF1 als Rechtsanwältin, Menschenrechtsaktivistin, kritische Journalistin und politische Opponentin in Zusammenschau mit ihrer nachweislich bekannten regimekritischen Haltung zu werden, sohin aufgrund ihrer nachweislichen politischen Gesinnung. Abgesehen davon, seien die BF in Österreich hervorragend integriert. Sie hätten sich bereits sehr gute Deutschkenntnisse angeeignet und seien der BF1 und der BF2 gerade dabei, ihren Studienabschluss zu nostrifizieren und nehmen an diesbezüglichen Kursen an der Uni teil. Die Mutter der BF1 sei mittlerweile in Österreich verstorben, der BF3 eingeschult worden und ebenfalls sehr gut integriert. Angesicht der traumatischen Erlebnisse in Kirgisistan laboriere der BF3 an psychischen Erkrankungen, weswegen er sich seit September 2019 in psychotherapeutischer Behandlung befinde.

Mit der Stellungnahme wurden ein Konvolut an Schreiben betreffend die Tätigkeiten der BF1 (ua. von diversen Internationalen Organisationen und Privatpersonen), diverse Screenshots von Videobeiträgen der BF1, zahlreiche Integrationsunterlagen sowie Fotos und eine psychotherapeutische Stellungahme betreffend den BF3 in Vorlage gebracht.

1.17. Das erkennende Gericht führte am 29.04.2021 in Beisein eines Dolmetschers der Russischen Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher die BF1 ergänzend zu den vorgelegten Unterlagen, ihrer Zusammenarbeit mit den internationalen Organisationen, das Strafrechtsverfahren bzw. die Rechtsschutzmöglichkeiten in Kirgisistan, ihre nunmehrige Tätigkeiten für die Menschenrechte von Österreich aus sowie das Eigentumshaus in Kirgisistan befragt wurde. Der BF2 schloss sich den Aussagen der BF1 an. Zudem wurde der in der letzten Stellungnahme namhaft gemachte Zeuge zu den Tätigkeiten der BF1 in Österreich sowie den von der BF1 aufgedeckten Fall betreffend eine Abschiebung nach Tadschikistan befragt.

In der Verhandlung legte die BF1 erneut Unterlagen, insbesondere Kontoauszüge ihres österreichischen Vereines, einen Artikel betreffend die Abschiebung nach Tadschikistan sowie Schreiben von internationalen Organisationen vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Personen und zu den Fluchtgründen der BF:

Die BF führen die im Spruch ersichtlichen Personalien, sind Staatsangehörige von Kirgisistan, Angehörige der kirgisischen Volksgruppe und ohne Bekenntnis Die BF1 und der BF2 sind verheiratet und Eltern des minderjährigen BF3. Die zuletzt in XXXX wohnhaften BF reisten am 23.06.2016 über den Luftweg in das österreichische Bundesgebiet ein, stellten am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz und halten sich seither im Bundesgebiet auf.

Der BF1 und die BF2 sind ausgebildete Juristen. Der BF2 war in Kirgisistan als Geschäftsmann tätig und hat mehrere Unternehmen (unter anderem eine Firma für die Vermittlung von Personal auf Militärbasen, in Zusammenarbeit mit der US-Regierung/NATO) betrieben. Die BF haben in ihrer Heimat in sehr guten finanziellen Verhältnissen gelebt.

Die BF1 war in Kirgisistan ab dem Jahr 2012 ehrenamtlich als Menschenrechtsaktivistin tätig. Sie war Mitglied der „ XXXX “ und hat sich insbesondere für die Rechte marginalisierter Gruppen (Frauen, Kinder, LGBTI-Personen) eingesetzt. Im Zuge ihrer Tätigkeiten hat sie als Journalistin kritische Berichte über menschenrechtliche Missstände bzw. Korruption in Kirgisistan verfasst bzw. veröffentlicht und dadurch die kirgisischen Behörden und das politische System kritisiert. Die BF1 hat sich insbesondere auch für eine Gruppe von Personen eingesetzt, die betreffend die Errichtung von Sozialwohnungen von korrupten und dem Präsidenten nahestehenden Beamten betrogen wurden. Sie hat in der Öffentlichkeit auf diesen Wohnungsbetrug hingewiesen, war maßgeblich an der Gründung eines diesbezüglichen Vereines beteiligt und hat dazu öffentliche Demonstrationen organisiert und Proteste durchgeführt. Bei den Parlamentswahlen im Oktober 2015 kandidierte die BF1 für eine Oppositionspartei, sie wurde aber nicht ins Parlament gewählt.

Etwa ab März 2016 wurde die BF1 (bzw. auch der BF2) wiederholt persönlich bzw. telefonisch mit dem Umbringen bedroht. Man hat ihnen auch damit gedroht, ihr Kind (den BF3) zu entführen, sollte sie ihre Tätigkeiten nicht einstellen. Weiters wurde das Büro - von welchem aus die BF1 ihre Tätigkeit als Menschenrechtsaktivistin ausübte – überfallen, durchsucht und Dokumente entwendet. Am XXXX wurde im XXXX eine Reportage betreffend die Zusammenarbeit der erwachsenen BF mit den USA veröffentlich und darin diverse Unwahrheiten über die BF behauptet. Letztlich wurde am XXXX das Auto der BF – am Weg nach Hause - zum Anhalten gezwungen und versuchten bewaffnete Männer in das Auto der BF einzudringen. Aufgrund des dichten Verkehrs gelangt den BF die Flucht. Ab diesem Zeitpunkt haben sich die BF nicht mehr zu Hause aufgehalten, sondern sich in der Wohnung einer Bekannten versteckt gehalten. Eine Bedienstete der BF hat ihnen mitgeteilt, dass ihr Haus von fremden Männern beobachtet wird. Zudem konnten die BF in Erfahrung bringen, dass ein Strafverfahren gegen sie vorbereitet wird bzw. sie zur Fahndung ausgeschrieben sind. Der BF1 und die BF2 haben dann beschlossen, aus ihrer Heimat zu fliehen. Sie reisten im Juni 2016 -schlepperunterstützt - aus ihrem Herkunftsstaat Kirgisistan aus.

Der BF2 hat die Tätigkeiten der BF1 als Menschenrechtsaktivistin in Kirgisistan stets finanziell unterstützt. Er hat etwa Operationskosten für kranke Kinder bezahlt bzw. Wachpersonal für Demonstrationen/Veranstaltungen zur Verfügung gestellt.

Die BF1 hat ihre Erlebnisse in Kirgisistan auf sozialen Medien (etwa auf ihrer Facebook Seite) veröffentlicht. Sie ist auch in Österreich journalistisch aktiv. Sie veröffentlicht - zum Teil unter einem Pseudonym - kritische Berichte zu politischen Ereignissen in Kirgisistan und dokumentiert Menschenrechtsverletzungen in Eurasia. Mit 29.01.2021 hat die BF1 nunmehr einen eigenen Verein namens „ XXXX “ gegründet. Auf der Homepage des Vereines veröffentlicht sie ebenso Berichte über Korruption, die Menschenrechtssituation sowie Verfolgungshandlungen gegen Menschenrechtsaktivisten in Kirgisistan und hat sich auch öffentlich gegen den neuen Präsidenten positioniert.

Weiters haben die erwachsenen BF gegen einen in Österreich asylberechtigten Kirgisen eine Anzeige (wegen Schlepperei eingebracht). Dieser Mann wurde in weiterer Folge von einem österreichischen Gericht wegen des Verbrechens der schweren Erpressung rechtskräftig verurteilt.

Wegen der Tätigkeit der BF1 als Menschenrechtsaktivistin, im Zuge derer sie insbesondere Korruption, Fehlverhalten des kirgisischen Staates und Menschenrechtsverletzungen anprangerte, ist in Zusammenschau mit der journalistischen Tätigkeit der BF1, im Zuge derer sie durch die von ihr veröffentlichten kritischen Berichte großen Bekanntheitsgrad in Kirgisistan erlangte und vor dem Hintergrund der bereits gegen sie gesetzten Verfolgungshandlungen (insbesondere der ausgeschriebenen Fahndung) bzw. ihrer aktuellen kritischen Berichtstätigkeit auch von Österreich aus, maßgeblich wahrscheinlich, dass ihr im Falle einer Rückkehr nach Kirgisistan asylrelevante Verfolgung aus Gründen ihrer politischen Gesinnung bzw. ihrer exilpolitischen Tätigkeit durch den kirgisischen Staat droht.

Da der BF2 seine Frau bei ihren Tätigkeiten – insbesondere finanziell – unterstützte und auch gegen ihn bereits Bedrohungs-/Verfolgungshandlungen von den kirgisischen Behörden eingeleitet wurden, ist ebenso davon auszugehen, dass auch dem BF2 im Falle einer Rückkehr nach Kirgisistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht.

1.2. Zum Leben der BF in Österreich:

Die BF halten sich seit ihrer Einreise im Juni 2016 in Österreich auf.

Abgesehen von der - schon oben festgestellten – fortgesetzten Tätigkeit der BF1 als Menschenrechtsaktivistin/Journalistin in Österreich, haben die erwachsenen BF während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet noch weitere Integrationsmaßnahmen gesetzt.

Die BF1 und der BF2 haben Deutschkurse besucht und Deutschprüfungen abgeschlossen.

Sie haben im Bundesgebiet

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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