Entscheidungsdatum
25.05.2021Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
L503 2238042-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. DIEHSBACHER als Vorsitzenden und die Richterin Mag.a JICHA sowie den fachkundigen Laienrichter RgR PHILIPP über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch den Verein ChronischKrank, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Oberösterreich, vom 05.11.2020, XXXX , zu Recht erkannt:
A.) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen.
B.) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Die nunmehrige Beschwerdeführerin (im Folgenden kurz: „BF“) verfügt(e) zunächst seit 1.3.2006 über einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung im Ausmaß von 70 v. H. und ab 6.8.2020 im Ausmaß von 50 v. H., seit 5.11.2020 mit der Zusatzeintragung „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 dritter Teilstrich VO 303/1996 liegt vor“.
2. Der nunmehr festgestellte Grad der Behinderung im Ausmaß von 50 v. H. beruht (zuletzt) auf einem Gutachten, welches von Dr. U. S., Ärztin für Innere Medizin, am 26.3.2020 – nach persönlicher Untersuchung der BF am 10.3.2020 – erstellt worden war.
Eingangs führte die Gutachterin zu den derzeitigen Beschwerden der BF auszugsweise wie folgt aus:
„Die Fußveränderungen seien nie ganz weg gegangen. Sie hätte verschiedenste Salben, derzeit jedoch abendliche Hautpflege ausreichend.
Durchfälle ungefähr an 2 Tagen in der Woche, abhängig von der Ess-und Trinkmenge. Sie hätte keine speziellen Unverträglichkeiten. Zwischendurch auch geformter Stuhl. Bei dringenden Terminen würde sie Imodium oder Enterobene zur Kontrolle des Stuhlgangs verwenden. Danach sei sie für 1 Tag verstopft mit Blähungen und Schmerzen nach dem Essen. Keine Erleichterung nach dem Stuhlgang. Es werden Verwachsungen als Ursache vermutet.
Sie hätte immer wieder Kopfschmerzen im Bereiche der Schläfen bds. mit Ausstrahlung in den Nacken. Zusätzlich Augenschmerzen, Geruch- und Sinnesstörungen über Tage. Augenrötung, fühlt sich gestresst.
Zirka 2 Infekte pro Jahr, die jedoch nicht immer mit Antibiotika behandelt werden müssen.“
Als Ergebnis der durchgeführten Begutachtung wurde zusammengefasst wie folgt festgehalten:
Lfd. Nr.
Funktionseinschränkung
Position
GdB
01
Chronisch entzündliche Darmerkrankung (Mb. Crohn, fistulierender Verlauf), Zustand nach Entfernung von Dünn- und Dickdarmteilen.
Unter laufender immunmodulierender Therapie Rückgang der Schleimhautveränderungen, keine nachweisbare Entzündungsaktivität, Durchfallneigung - medikamentös kontrollierbar. Geringe Inkontinenz, guter Ernährungszustand.
07.04.06
50 vH
02
Schuppenflechte - Psoriasis vulgaris.
Minimale Residuen an Fußsohlen, Haupterscheinungen rückgebildet.
01.01.01
10 vH
03
Kopfschmerzen, Migräne.
Anfallstherapie ausreichend
04.11.01
10 vH
Gesamtgrad der Behinderung
50 vH
Im Hinblick auf die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde wie folgt ausgeführt: „Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von 300 bis 400 m in der Ebene ist ohne Pausen möglich. Das Ein- und Aussteigen ist nicht behindert. Es besteht keine Standunsicherheit. Durchfallneigung ist bei Bedarf mit Medikamenten kontrollierbar. Eine leichte Einlagenversorgung ist ausreichend. Keine größere Inkontinenz. Die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels ist möglich.“
Im Gefolge dieses Gutachtens wurde der Grad der Behinderung der BF mit Bescheid des SMS vom 26.5.2020 von Amts wegen ab 10.3.2020 mit 50 v. H. festgesetzt.
3. Am 6.8.2020 beantragte die BF die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis) und somit die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ im Behindertenpass.
Beigelegt wurde ein „Begleitschreiben“ des Landesklinikums A. vom 10.6.2020, wonach die BF in der CED Ambulanz aufgrund eines Morbus Crohn mit Zustand nach hochgradiger Stenosierung im Bereich des terminalen lleums und ileosigmoidaler Fistel (operat. 2016) in regelmäßiger ambulanter Kontrolle stehe. Im September 2016 sei eine laparoskopische lleozökalresektion mit offener Sigmasegmentresektion und Descendo-Rectostomie sowie lleoaszendostomie erfolgt, seither habe die BF diverse Basistherapien erhalten, wobei der Wechsel auf Ustekinumab zuletzt (Stelara) wegen der unter dem TNF-Blocker entwickelten Psoriasis cutaneus erforderlich gewesen sei. Die BF neige weiterhin aufgrund des verkürzten Darmes zu einer erhöhten Stuhlfrequenz, sie sei aber auch weiterhin Raucherin. Regelmäßige Kontrollen seien weiterhin in der CED-Ambulanz geplant zur Überwachung des klinischen Bildes und der potentiellen Nebenwirkung unter der Biologika-Therapie.
4. Im Gefolge des Antrags der BF übermittelte das SMS Dr. U. S. das eben beschriebene „Begleitschreiben“ des Landesklinikums A. und ersuchte sie um Stellungnahme. Mit Stellungnahme vom 7.9.2020 führte Dr. U. S. aus, der im Begleitschreiben des Landesklinikums A. geschilderte klinische Zustand entspreche dem zum Untersuchungszeitpunkt. Durch dieses Schreiben ändere sich an der Einschätzung (gemeint: laut Gutachten vom 26.3.2020) nichts.
5. Mit Schreiben vom 7.9.2020 übermittelte das SMS der BF das Gutachten von Dr. U. S. vom 26.3.2020 und die ergänzende Stellungnahme von Dr. U. S. vom 7.9.2020 und wies darauf hin, dass die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ nicht vorliegen würden; somit seien auch die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Parkausweises und ein Anspruch auf den Bezug einer Gratisvignette nicht gegeben. Es bestehe die Möglichkeit, innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt dieses Schreibens eine schriftliche Stellungnahme einzubringen.
6. Mit Stellungnahme vom 11.10.2020 führte die nunmehrige Vertretung der BF aus, im Befund des Landesklinikums A. vom 10.6.2020 werde ausdrücklich festgehalten, dass die BF aufgrund ihrer Darmverkürzung zu einer erhöhten Stuhlfrequenz neige, „es somit zu einer Verschlechterung seit der Begutachtung gekommen“ sei. Es werde darum ersucht, den Befund zu berücksichtigen und der BF die beantragte Zusatzeintragung zu gewähren.
7. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 5.11.2020 wies das SMS den Antrag der BF auf Vornahme der Zusatzeintragung in den Behindertenpass „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ gemäß §§ 42 und 45 BBG ab.
Begründend wurde – neben Darstellung der rechtlichen Grundlagen - ausgeführt, im Ermittlungsverfahren sei ein Gutachten eingeholt worden; nach diesem Gutachten würden die Voraussetzungen für die begehrte Zusatzeintragung nicht vorliegen. Gemäß § 45 Abs 3 AVG sei der BF mit Schreiben vom 7.9.2020 Gelegenheit gegeben worden, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Der mit Stellungnahme vom 11.10.2020 beigelegte Befund vom 10.6.2020 des Landesklinikums A. sei bereits bei der ärztlichen Stellungnahme von Dr. U. S. vom 7.9.2020 berücksichtigt worden. Die Einwände der BF seien nicht geeignet, das Ergebnis der Beweisaufnahme zu entkräften oder eine Erweiterung des Ermittlungsverfahrens herbeizuführen.
8. Mit Schreiben ihrer Vertretung vom 14.12.2020 erhob die BF fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid des SMS vom 5.11.2020.
Darin führte die BF aus, Frau Dr. U. S. führe im Gutachten vom 10.03.2020 an, dass die Durchfallneigung bei Bedarf mit Medikamenten kontrollierbar sei. Die BF sei mit diesem Ergebnis nicht einverstanden und der Meinung, dass ihr aufgrund der „erhöhten-Risiko-Stuhlfrequenz“ der Parkausweis zustehe und dass bei ihr eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorliege, wobei ein COVID-19-Risiko-Attest eines Arztes für Allgemeinmedizin (Bestätigung der Zugehörigkeit zu einer COVID-19-Risikogruppe „aufgrund der individuellen gesundheitlichen Situation“) vorgelegt wurde.
Den „Erläuterungen zum Allgemeinen Teil zur Ausstellung von Behindertenpässen“ sei zu entnehmen, dass bei anhaltenden schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes in Ausnahmefällen die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel unzumutbar sei. Eine Prüfung, ob ein derartiger Ausnahmefall vorliegt, sei im konkreten Fall jedoch nicht erfolgt.
Verwiesen wurde auf diverse Geschäftszahlen von Entscheidungen (Passnummern – „Bundesberufungskommission“ und SMS), die bei entsprechender Stuhlfrequenz letztlich zur Anerkennung der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ geführt hätten.
9. Am 23.12.2020 legte das SMS den Akt dem BVwG vor.
10. Mit Schreiben vom 7.1.2021 ersuchte das BVwG den Verein C. um Klarstellung hinsichtlich einer Bevollmächtigung seitens der BF für das gegenständliche Verfahren.
11. Mit Schreiben vom 12.1.2021 wies der Verein C. auf eine bereits aktenkundige, seitens der BF unterfertigte Vollmacht sowie auf den Umstand hin, dass die Vertretung vor Gerichten ausdrücklich von der Vollmacht umfasst sei.
I. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die BF verfügt über einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von (zuletzt) 50 v. H.
Am 6.8.2020 beantragte die BF die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in den Behindertenpass.
1.2. Bei der BF bestehen folgende Funktionseinschränkungen:
Lfd. Nr.
Funktionseinschränkung
Position
GdB
01
Chronisch entzündliche Darmerkrankung (Mb. Crohn, fistulierender Verlauf), Zustand nach Entfernung von Dünn- und Dickdarmteilen.
Unter laufender immunmodulierender Therapie Rückgang der Schleimhautveränderungen, keine nachweisbare Entzündungsaktivität, Durchfallneigung - medikamentös kontrollierbar. Geringe Inkontinenz, guter Ernährungszustand.
07.04.06
50 vH
02
Schuppenflechte - Psoriasis vulgaris.
Minimale Residuen an Fußsohlen, Haupterscheinungen rückgebildet.
01.01.01
10 vH
03
Kopfschmerzen, Migräne.
Anfallstherapie ausreichend
04.11.01
10 vH
Gesamtgrad der Behinderung
50 vH
1.3. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von 300 bis 400 m in der Ebene ist ohne Pausen möglich. Das Ein- und Aussteigen ist nicht behindert. Es besteht keine Standunsicherheit.
Die Durchfallneigung ist bei Bedarf mit Medikamenten kontrollierbar. Eine leichte Einlagenversorgung ist ausreichend. Es liegt keine größere Inkontinenz vor. Die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels ist der BF möglich und zumutbar.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes des SMS.
2.2. Die oben getroffenen Feststellungen zum Behindertenpass der BF und ihrem Antrag auf Vornahme einer Zusatzeintragung ergeben sich unmittelbar aus dem Akteninhalt.
2.3. Die getroffenen Feststellungen zu den bei der BF bestehenden Funktionseinschränkungen und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beruhen auf dem (zuletzt) vom SMS eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. U. S. vom 26.3.2020 bzw. der diesbezüglichen Stellungnahme von Dr. U. S. vom 7.9.2020. Vorweg ist zu diesem Gutachten anzumerken, dass die Gutachterin – eine Fachärztin für Innere Medizin - die BF eingehend untersucht und in sämtliche Vorbefunde Einsicht genommen und ein nachvollziehbares Gutachten erstattet hat. Die Gutachterin hat sich insbesondere mit der hier relevanten Morbus Crohn Erkrankung der BF auseinandergesetzt und gelangte sehr wohl zum Ergebnis einer erhöhten Durchfallneigung, wobei diese aber entsprechend medikamentös behandelbar sei und bei der BF nur eine geringe Inkontinenz bestehe, sodass eine leichte Einlagenversorgung ausreichend sei. Mit diesen Ausführungen stimmen im Übrigen gänzlich die eigenen Angaben der BF der Gutachterin gegenüber anlässlich ihrer Untersuchung am 10.3.2020 überein, sodass auch insofern an den Ausführungen der Gutachterin nicht zu zweifeln ist; vgl. etwa folgende Angaben der BF: „Durchfälle ungefähr an 2 Tagen in der Woche, abhängig von der Ess-und Trinkmenge. Sie hätte keine speziellen Unverträglichkeiten. Zwischendurch auch geformter Stuhl. Bei dringenden Terminen würde sie Imodium oder Enterobene zur Kontrolle des Stuhlgangs verwenden. Danach sei sie für 1 Tag verstopft mit Blähungen und Schmerzen nach dem Essen. Keine Erleichterung nach dem Stuhlgang.“ Ähnlich stellte die BF ihre diesbezügliche Situation im Übrigen auch anlässlich ihrer Untersuchung am 12.11.2019 betreffend das Vorgutachten dar: „Es ‚vergeht keine Woche ohne 2 x Durchfälle im Minimum‘, ganz ohne Durchfälle würde es ‚nur mit Cortison gehen‘. Nächtliche Durchfälle werden negiert.“
Die BF legte zur Untermauerung ihres Antrags nur das oben dargestellte „Begleitschreiben“ des Landesklinikums A. vom 10.6.2020 vor, wonach sie – soweit hier relevant - „weiterhin aufgrund des verkürzten Darmes zu einer erhöhten Stuhlfrequenz [neigt]“, wobei sei „aber auch weiterhin Raucherin“ sei. Diese Ausführungen stehen gänzlich im Einklang mit dem bereits zuvor erstatteten Gutachten von Dr. U. S. vom 26.3.2020 und hat Dr. U. S. mit Stellungnahme vom 7.9.2020 auch zutreffend darauf hingewiesen, dass sich durch das vorgelegte „Begleitschreiben“ vom 10.6.2020 keinerlei Änderung ergebe (arg. insbesondere „weiterhin … einer erhöhten Stuhlfrequenz“). Wenn die BF in ihrer Stellungnahme vom 11.10.2020 nun lapidar anmerkt, dass aus dem „Begleitschreiben“ vom 10.6.2020 eine Verschlechterung ihres Zustands seit der Begutachtung abzuleiten sei, so trifft dies gerade nicht zu.
Aber auch in ihrer Beschwerde tritt die BF dem Gutachten von Dr. U. S. vom 26.3.2020 in keiner Weise substantiiert entgegen, sondern die BF bringt lediglich vor, dass eine konkrete Beurteilung der Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht erfolgt sei und dass sie einer COVID-19 Risikogruppe angehöre und sie verweist schließlich auf „Präzedenzfälle“, bei denen die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel anerkannt worden sei.
Dem erstgenannten Einwand ist jedoch entgegen zu halten, dass sich Dr. U. S. sehr wohl mit den konkreten Auswirkungen der Leiden der BF, soweit sie für die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel relevant sind, auseinandergesetzt hat. So geht aus dem Gutachten klar hervor, dass von Durchfällen ungefähr an zwei Tagen in der Woche, abhängig von der Ess-und Trinkmenge, auszugehen ist. Weiters führt die Gutachterin aus, dass die Durchfallneigung bei Bedarf mit Medikamenten kontrollierbar und eine leichte Einlagenversorgung ausreichend sei, zumal keine größere Inkontinenz vorliege.
Zum zweitgenannten Einwand (Zugehörigkeit zur COVID-19-Risikogruppe) ist zunächst anzumerken, dass das von der BF vorgelegte COVID-19-Risiko-Attest ausschließlich davon spricht, dass die BF „aufgrund der individuellen gesundheitlichen Situation“ ein erhöhtes Risiko habe, ohne die hierfür relevanten Erkrankungen auch nur zu erwähnen, sodass diesem Attest kein Beweiswert – etwa im Hinblick auf die Frage, ob die BF an einer „schweren anhaltende Erkrankung des Immunsystems“ im Sinne von § 1 Abs 4 Z 3 vierter Teilstrich der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen leidet – zukommt. Im Gutachten von Dr. U. S. vom 26.3.2020 wird im Übrigen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der BF ungeachtet ihrer Morbus Crohn Erkrankung keine schwere Erkrankung des Immunsystems vorliegt und hat die BF keinerlei gegenteilige Befunde in Vorlage gebracht oder ein gegenteiliges, substantiiertes Vorbringen erstattet. Vor allem ist sodann aber darauf hinzuweisen, dass nach § 1 Abs 4 Z 3 Einleitungssatz der erwähnten Verordnung die begehrte Zusatzeintragung (nur) dann vorzunehmen ist, wenn „der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist“. Externe Umstände wie z. B. Pandemien sind davon nicht umfasst.
Was die von der BF in ihrer Beschwerde erwähnten „Präzedenzfälle“ anbelangt, so sei auf die folgenden Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung verwiesen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde
3.1. Allgemeine rechtliche Grundlagen
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gemäß § 45 Abs 4 BBG hat bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs 3 eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
Gegenständlich liegt somit die Zuständigkeit eines Senats vor.
Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache gem. § 28 Abs 1 VwGVG durch Erkenntnis zu erledigen.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.2. Die hier einschlägigen Bestimmungen des BBG lauten:
§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, […]
§ 42. (1) […] Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
[…]
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. […]
§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.
3.3. § 1 Abs 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idF BGBl. II Nr. 263/2016, lautet:
[…] (4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen: […]
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
[…]
3.4. Im konkreten Fall bedeutet dies:
3.4.1. Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich bereits wiederholt mit der Frage zu beschäftigen, ob Inkontinenz zur Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führt und eine entsprechende Zusatzeintragung in den Behindertenpass rechtfertigt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 23. Februar 2011, Zl. 2007/11/0142, vom 17. Juni 2013, Zl. 2010/11/0021, und zuletzt vom 21. April 2016, Zl. Ra 2016/11/0018; vgl. auch aus jüngster Zeit das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 23. September 2016, E 439/2016). In den genannten Erkenntnissen hielt der Verwaltungsgerichtshof die Annahme der dort belangten Behörden, die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel durch den Betroffenen sei zumutbar, im Hinblick auf Art und Ausmaß der Inkontinenz für nicht nachvollziehbar. Es wurde ausgeführt, dass es zur Beantwortung dieser Frage - sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt - eines ärztlichen Sachverständigengutachtens bedarf, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden (VwGH vom 9.11.2016, Zl. Ra 2016/11/0137).
3.4.2. Eine offenkundige Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erblickte der VwGH etwa in einem Fall, in dem die Revisionswerberin an einer Durchfallerkrankung „mit häufigem und imperativem Stuhlgang“ (nach ihren unwidersprochenen Angaben mindestens 20mal pro Tag und mit Flatulenzen verbunden) litt, wobei die Zeitpunkte des Stuhlganges für sie in der Regel weder vorhersehbar noch beeinflussbar waren (VwGH 21.4.2016, Zl. Ra 2016/11/0018). Eine offenkundige Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erblickte der VfGH etwa auch in einem Fall, in dem der Beschwerdeführer infolge einer Morbus Crohn Erkrankung an chologener Diarrhö mit 5-10 täglichen, auch nächtlichen Stühlen bei Dranginkontinenz, litt (VfGH vom 23.9.2016, Zl. E 439/2016). In diesem Sinne bemängelte etwa auch der VwGH in seinem Erkenntnis vom 9.11.2016, Zl. Ra 2016/11/0137, die Abweisung des Antrags auf Vornahme der Zusatzeintragung bei 5 bis 8 täglichen, nicht kontrollierbaren Stuhlgängen.
3.4.3. Was nun den vorliegenden Fall anbelangt, so bejahte (unter anderem) die Letztgutachterin in ihrem Gutachten vom 26.3.2020 zwar, dass bei der BF eine erhöhte Durchfallneigung bestehe, wobei aus dem Gutachten näher hervorgeht, dass diese erhöhte Durchfallneigung an etwa zwei Tagen pro Woche – abhängig von der Ess- und Trinkmenge – zu Tage tritt. Gleichzeitig betont die Gutachterin aber auch, dass die Durchfallneigung bei Bedarf gut mit Medikamenten kontrollierbar sei – wobei die von der BF erwähnten Nebenwirkungen wie insbesondere Verstopfungen keinesfalls verkannt werden -, und dass bei der BF keine größere Inkontinenz vorliege und eine leichte Einlagenversorgung ausreichend sei. Auch das von der BF in diesem Zusammenhang ins Treffen geführte „Begleitschreiben“ des Landesklinikums A. vom 10.6.2020 spricht insofern lediglich von „erhöhter Stuhlfrequenz“. Es finden sich keine Hinweise darauf, dass bei der BF im Sinne der dargestellten Rechtsprechung des VwGH eine Vielzahl von – unkontrollierbaren – Stuhlgängen vorliegen würde und bringt die BF im Übrigen auch in ihrer Beschwerde Derartiges nicht vor. In dieser Hinsicht ist somit – ohne die Leiden der BF zu verkennen - noch von der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auszugehen. Darüber hinaus liegen auch keine sonstigen Umstände vor, die Zweifel an der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel durch die BF aufkommen lassen würden; so blieb unbestritten, dass die BF eine Wegstrecke von etwa 300 bis 400 Meter ohne fremde Hilfe zurückzulegen kann, was in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich als ausreichend angesehen wird, um von einer Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auszugehen (vgl. etwa VwGH vom 21.6.2017, Zl. Ra 2017/11/0040, mit zahlreichen weiteren Judikaturhinweisen).
3.4.4. Was im Übrigen das Vorbringen der Zugehörigkeit der BF zur COVID-19-Risikogruppe anbelangt, so wurde bereits oben ausgeführt, dass nach § 1 Abs 4 Z 3 Einleitungssatz der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen die begehrte Zusatzeintragung (nur) dann vorzunehmen ist, wenn „der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist“. Externe Umstände wie z. B. Pandemien sind davon nicht umfasst.
3.5. Das SMS kam somit zutreffend zum Ergebnis, dass der BF die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht unzumutbar im Sinne von § 1 Abs 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen ist; folglich ist die Beschwerde spruchgemäß als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Gemäß Art 133 Abs 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen. Das BVwG konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des VwGH bzw. klare Rechtslage betreffend Vornahme der Zusatzeintragung „Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar“ stützen.
Absehen von einer Beschwerdeverhandlung:
Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.
Gemäß § 24 Abs 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC] entgegenstehen.
Die Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung ist am Maßstab des Art 6 EMRK zu beurteilen. Dessen Garantien werden zum Teil absolut gewährleistet, zum Teil stehen sie unter einem ausdrücklichen (so etwa zur Öffentlichkeit einer Verhandlung) oder einem ungeschriebenen Vorbehalt verhältnismäßiger Beschränkungen (wie etwa das Recht auf Zugang zu Gericht). Dem entspricht es, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung für gerechtfertigt ansieht, etwa wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Stellungnahmen der Parteien angemessen entschieden werden kann (vgl. EGMR 12.11.2002, Döry / S, RN 37). Der Verfassungsgerichtshof hat im Hinblick auf Art 6 EMRK für Art 47 GRC festgestellt, dass eine mündliche Verhandlung vor dem Asylgerichtshof im Hinblick auf die Mitwirkungsmöglichkeiten der Parteien im vorangegangenen Verwaltungsverfahren regelmäßig dann unterbleiben könne, wenn durch das Vorbringen vor der Gerichtsinstanz erkennbar werde, dass die Durchführung einer Verhandlung eine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlagen nicht erwarten lasse (vgl. VfGH 21.02.2014, B1446/2012; 27.06.2013, B823/2012; 14.03.2012, U466/11; VwGH 24.01.2013, 2012/21/0224; 23.01.2013, 2010/15/0196).
Im gegenständlichen Fall ergab sich aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung des Sachverhalts zu erwarten war. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt erweist sich aufgrund der Aktenlage als geklärt.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:L503.2238042.1.00Im RIS seit
15.09.2021Zuletzt aktualisiert am
15.09.2021