TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/25 I410 2195441-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.05.2021
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Entscheidungsdatum

25.05.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I410 2195441-2/26E
I410 2228281-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Eva LECHNER LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerden der XXXX , geb. am XXXX und ihrer minderjährigen Tochter XXXX , geb. am XXXX , gesetzlich vertreten durch die Kindsmutter, beide nigerianische Staatsbürger und vertreten durch Dr. Harald Burmann em., Dr. Peter Wallnöfer LL.M., Mag. Eva Suitner BSc, MMMag. Nadja Auer, Rechtsanwälte, Meraner Straße 1 in 6020 XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 27.12.2019, Zl. XXXX und Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.05.2021, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.

II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide wird stattgeben. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird XXXX , geb. am XXXX und XXXX , geb. am XXXX , jeweils der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird Maris ENEBO, geb. XXXX und XXXX , geb. am XXXX , jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. bis VI. und VIII. der angefochtenen Bescheide werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin, XXXX , reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 09.10.2016 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Bei ihrer Erstbefragung gab sie befragt nach ihren Fluchtgründen an, dass ihr Vater und ihr Bruder gestorben seien und es niemand geben würde, der sich um sie kümmere.

Am 20.02.2018 und am 21.03.2018 wurde die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Die Erstbeschwerdeführerin führte aus, dass sie Nigeria wegen Krankheiten, wegen des Todes ihres Vaters und ihres Bruders, wegen der unzureichenden medizinischen Versorgung und wegen Problemen mit ihrer Stiefmutter verlassen habe. Mit ihrer Mutter stehe sie noch in Kontakt. Etwa im Alter von 14 Jahren habe sie Nigeria verlassen; in Libyen sei sie von einem Mann vergewaltigt worden. Italien habe sie verlassen, weil die Mädchen dort „verrückte Sachen" machen würden, sie würden sich prostituieren und „Madames" haben.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 09.04.2018 wurde der Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.).

Gegen diesen Bescheid erhob die Erstbeschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Am 13.08.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt. Dabei gab die Erstbeschwerdeführerin an, Opfer von Frauenhandel gewesen zu sein.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.09.2018, I403 2195441-1/14E, wurde die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen und für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass die Erstbeschwerdeführerin Opfer von Menschenhandel gewesen sei, jedoch in Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht in Gefahr wäre, von den Menschenhändlern gegen ihren Willen erneut nach Europa verbracht bzw. von diesen anderweitig verfolgt zu werden. Weiters ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass für die Erstbeschwerdeführerin keine reale Gefahr bestünde, im Falle einer Rückkehr nach Nigeria in eine existenzbedrohende Situation zu geraten.

Am 16.11.2018 stellte die Erstbeschwerdeführerin erneut einen Antrag auf internationalen Schutz. In der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes danach gefragt, weshalb sie erneut einen Antrag auf internationalen Schutz stelle und was sich seit der Rechtskraft der vorangegangenen Entscheidung in persönlicher Hinsicht und im Hinblick auf die Gefährdung in Nigeria geändert habe, gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass es ihr körperlich nicht gut gehe, sie viel Stresse habe und nicht schlafen könne, da sie in Österreich vergewaltigt worden sei. Dazu legte die Erstbeschwerdeführerin die Niederschrift einer Zeugenvernehmung vom 30.10.2018 vor. Eine Änderung der Lage in Nigeria behauptete sie nicht. Zu den Rückkehrbefürchtungen gab sie an, dass sie in Nigeria nur noch ihre Mutter habe, mit welcher sie jedoch seit ihrer Vergewaltigung nicht mehr gesprochen habe. Die Erstbeschwerdeführerin wies insbesondere auf psychische Probleme hin und auf Schwierigkeiten, für sich und das Kind, das sie in Folge der Vergewaltigung erwartete, in Nigeria zu sorgen.

Am XXXX wurde die Zweitbeschwerdeführerin geboren.

Die Erstbeschwerdeführerin stellte für die Zweitbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Erstbeschwerdeführerin bracht für ihre Tochter keine eigenen Fluchtgründe vor.

Am 08.04.2019 wurde die Erstbeschwerdeführerin vor der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Befragt zu ihren Fluchtgründen wiederholte die Erstbeschwerdeführerin ihre Angaben, welche sie bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 13.08.2018 vorgebracht hatte. Befragt zu den Fluchtgründen ihrer Tochter (Zweitbeschwerdeführerin) gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie für diese keine eigenen Fluchtgründe vorbringe.

Mit den gegenständlich angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde vom 27.12.2019 wurden die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurden die Anträge auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt V. der angefochtenen Bescheide). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI. der angefochtenen Bescheide). Darüber hinaus wurde den Beschwerden gemäß § 18 Abs. 1 Z 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII. der angefochtenen Bescheide) und gegen die Beschwerdeführerinnen gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG zweijähriges Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII. der angefochtenen Bescheide).

Mit Schriftsatz vom 24.01.2020 erhoben die Beschwerdeführerinnen rechtszeitig Beschwerden gegen die Bescheide der belangten Behörde vom 27.12.2019 in vollem Umfang.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.02.2020, I405 2195441-2/4Z und I405 2228281-1/4Z, wurde den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.04.2020 wurden die Rechtssachen der Gerichtsabteilung I410 neu zugeteilt.

Mit Stellungnahme vom 11.02.2021 teilten die Beschwerdeführerinnen einen Wechsel in der Rechtsvertretung mit. Gleichzeitig wurde ein Konvolut von Unterlagen betreffend den Gesundheitszustand der Erstbeschwerdeführerin, ihrer bisher gesetzten Integrationsschritte, Medienberichte zur Entführung von Kindern in Nigeria und der Mutter-Kind-Pass in Kopie vorgelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 07.05.2021 in Anwesenheit der Erstbeschwerdeführerin, ihrer Rechtsvertretung und einer Vertreterin der belangten Behörde eine mündliche Verhandlung durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der im Verfahrensgang dargestellte Sachverhalt wird festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1. Die volljährige Erstbeschwerdeführerin hält sich seit (spätestens) 09.10.2016 im Bundesgebiet auf. Sie ist ledig, Staatsangehörige von Nigeria, Mutter einer zweijährigen Tochter, stammt aus Uromi, gehört zur Volksgruppe der Edo und bekennt sich zum christlichen Glauben. Ihre Identität steht nicht fest. Die Erstbeschwerdeführerin besuchte sieben Jahre die Grundschule, bevor sie aus Armut als Minderjährige Nigeria verließ und Opfer von Menschenhandel wurde. Sie ist von Nigeria über Niger, Libyen – wo sie Opfer sexueller Gewalt wurde – und Italien – wo sie sich mehrere Monate aufhielt – nach Österreich gelangt. Vor ihrer Ausreise lebte die Erstbeschwerdeführerin bei ihrer Mutter – welche mittlerweile verstorben ist – in wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen. Die Erstbeschwerdeführerin wurde schon mehrmals Opfer sexueller Gewalt. In der Folge einer Vergewaltigung im Sommer 2018 wurde sie schwanger und brachte am XXXX ihre Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin, zur Welt. Die Zweitbeschwerdeführerin ist gesund. Sie wurde in Österreich geboren, ist Staatsangehörige von Nigeria und die Tochter der Erstbeschwerdeführerin. Der Vater der Zweitbeschwerdeführerin ist nicht bekannt.

Die Beschwerdeführerinnen wohnen seit zwei Jahren im SOS-Kinderdorf in XXXX und werden im Rahmen des Projektes ‚Eltern-Kind-Wohnen’ sozialpädagogisch betreut und umfassend unterstützt. Vor der Geburt der Zweitbeschwerdeführerin wohnte die Erstbeschwerdeführerin im SOS-Kinderdorf „ XXXX “ in XXXX .

Die Erstbeschwerdeführerin ist gesundheitlich beeinträchtigt. Sie leidet an einer depressiven Anpassungsstörung und einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung. Sie war zuletzt vom 08.03.2021 bis zum 25.03.2021 sowie vom 06.04. bis zum 08.04.2021 in einer tagesklinischen Behandlung in der Abteilung Psychiatrie-Allgemein des Krankenhauses XXXX . Die Entlassung aus der tagesklinischen Behandlung konnte ohne Hinweis auf Selbst- und/oder Fremdgefährdung erfolgen. Die Erstbeschwerdeführerin zeigte jedoch laut Arztbrief vom 25.03.2021 auch bei der Entlassung wiederholt Traumafolgesymptome. Die Medikation der Erstbeschwerdeführerin umfasst aktuell die Medikamente Mutan 20mg, Mirtazapin 30mg, Pergabalin 25 mg sowie Xanor 0,5mg bei Bedarf im Notfall. Zudem wird laut Arztbrief des Krankenhauses XXXX vom 25.03.2021 eine weiterführende ambulante Psychotherapie dringend empfohlen. Auch in der Vergangenheit erforderte der psychische Gesundheitszustand der Erstbeschwerdeführerin wiederkehrende (fach)ärztliche Betreuung. Von 04.10.2018 bis 25.10.2018 etwa wurde die Erstbeschwerdeführerin in der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie A des Landeskrankenhauses XXXX wegen einer Anpassungsstörung sowie posttraumatischen Belastungsstörung stationär behandelt. Die Erkrankung der Erstbeschwerdeführerin steht in engen Zusammenhang mit sexuellen Traumatisierungen, erlebten Belastungen in traumatisierenden Ausmaß in Nigeria und der Angst, wieder dorthin zurück kehren zu müssen.

Die psychische Erkrankung der Erstbeschwerdeführerin schränkt diese in ihrem Alltag ein und beeinträchtigt auch die Entwicklung der Zweitbeschwerdeführerin. Die Zweitbeschwerdeführerin wird mehrmals in der Woche von einer Tagesmutter betreut.

Die Beschwerdeführerinnen verfügen über keine Verwandten im Bundesgebiet. In Nigeria lebt die jüngere, wahrscheinlich noch minderjährige Schwester der Erstbeschwerdeführerin. Zu dieser steht sie in telefonischem Kontakt. Die Beschwerdeführerinnen verfügen in Nigeria jedoch über kein tragfähiges soziales Netz von welchem sie im Falle der Rückkehr mit verlässlicher Unterstützung rechnen können. Sie können auch nicht mit ausreichender Unterstützung durch nicht-staatliche und staatliche Organisationen rechnen.

Die Erstbeschwerdeführerin ist in Österreich nicht vorbestraft.

Die Erstbeschwerdeführerin geht in Österreich keiner Beschäftigung nach und bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

1.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerinnen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen sie gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder (von staatlichen Organen geduldet:) durch Private, sei es vor dem Hintergrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen) zu erwarten hätten. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Zweitbeschwerdeführerin die reale Gefahr einer Genitalverstümmelung im Falle einer Rückkehr nach Nigeria droht.

1.3. Allerdings führt die Summe der im Falle einer Rückkehr nach Nigeria eintretenden Umstände wie die schwierigen Arbeitsmarktverhältnisse für Frauen ohne Berufsausbildung, die psychischen Probleme der Erstbeschwerdeführerin, ihr junges Alter, die zusätzliche psychische Belastung im Fall einer Abschiebung nach Nigeria, sowie die Notwendigkeit, sich auf sich allein gestellt, ohne unterstützende Netzwerke Hilfe etwa hinsichtlich der Behandlung ihrer Erkrankung und der Betreuung der zweijährigen Zweitbeschwerdeführerin zu organisieren und in einer wirtschaftlich sehr schwierigen Umgebung mit sehr schwierigen Arbeitsmarktverhältnissen sowie als aus Europa zurückkehrende mittellose Frau mit einem Kind ohne Vater in einer schwierigen sozialen Lage eine Unterkunft und Mittel zur Existenzsicherung sowie für die notwendigen Medikamente finden zu müssen, im individuellen Fall der Beschwerdeführerinnen zu Bedingungen, bei denen nicht bloß eine Möglichkeit, sondern die reale Gefahr besteht, dass ihre Grundbedürfnisse nicht gedeckt werden können und sie in eine ausweglose Situation geraten.

1.4. Zur Lage in Nigeria:

Zur Lage in Nigeria werden die für das gegenständliche Verfahren relevanten Auszüge aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria festgestellt:

„Länderspezifische Anmerkungen

Letzte Änderung: 15.06.2020

Im vorliegenden Länderinformationsblatt erfolgt keine ausführliche Berücksichtigung der aktuellen COVID-19-PANDEMIE, weil die zur Bekämpfung der Krankheit eingeleiteten oder noch einzuleitenden Maßnahmen ständigen Änderungen unterworfen sind und zu deren Auswirkungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt Informationen fehlen.

Insbesondere können zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine seriösen Informationen zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitswesen, auf Versorgungslage sowie auf Bewegungs- und Reisefreiheit der Bürgerinnen und Bürger sowie generell zu politischen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen Folgen zusammengestellt werden.

COVID-19

Letzte Änderung: 23.11.2020

Die COVID-19-Situation in Nigeria ist nach wie vor angespannt. Die veröffentlichten absoluten Zahlen an bisherigen Infizierten (rund 62.000) geben angesichts der geringen Durchtestung der 200-Millionen-Bevölkerung ein verzerrtes Bild. Aussagekräftiger ist der Anteil der positiven Fälle gemessen an der Zahl der durchgeführten Tests. Dieser lag im Oktober 2020 landesweit bei mehr als drei Prozent, in der Metropole Lagos hingegen bei etwa 30 Prozent. Die Zahlen berücksichtigen noch nicht die Auswirkung der #EndSARS-Proteste, bei denen von den Demonstrierenden praktisch keine Schutzvorkehrungen gegen COVID-19 getroffen worden sind. Ein Anstieg an positiven Fällen ist hauptsächlich in der Südwestzone des Landes zu beobachten. In einigen Bundesstaaten herrscht überhaupt Skepsis an der Notwendigkeit von COVID-19-Maßnahmen. Die allgemeine Risikowahrnehmung und die Nachfrage nach Tests sind gering (ÖB 10.2020).

In Nigeria gibt es wie in anderen afrikanischen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 13.10.2020). Anfang September 2020 wurde die Phase 3 der Restriktionen im Zusammenhang mit der Coronakrise in Kraft gesetzt. Die Ausgangssperre gilt im ganzen Land nun von Mitternacht bis vier Uhr. Meetings bis zu maximal 50 Personen sind gestattet. In Lagos dürfen Restaurants, Klubs und Kirchen etc. unter bestimmten Auflagen öffnen (WKO 25.9.2020).

Seit 2020 ist die nigerianische Wirtschaft aufgrund des erneuten Verfalls des Rohölpreises sowie der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie wieder geschwächt. Wie hoch der wirtschaftliche Schaden sein wird, ist bislang noch nicht abzuschätzen (GIZ 6.2020). Für 2020 wird aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf Nigeria und der drastisch gesunkenen Erdölpreise mit einer Schrumpfung des nigerianischen BIP um Prozent gerechnet. In der 2. Jahreshälfte 2020 ist jedoch ein Wiederanziehen der Konjunktur feststellbar und für 2021 wird ein Wachstum von 2,2 Prozent erwartet (WKO 14.9.2020).

Anm.: Diese Informationen zu COVID-19 sind zum Teil ebenfalls in den Kapiteln Bewegungsfreiheit, medizinische Versorgung und Grundversorgung eingepflegt.

Quellen:

•        Africa CDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (13.10.2020): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/, Zugriff 13.10.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2020): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 5.10.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (25.9.2020): Coronavirus: Situation in Nigeria - Aktuelle Informationen und Info-Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-nigeria.html, Zugriff 13.10.2020

•        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (14.9.2020): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html, Zugriff 13.10.2020

Politische Lage

Letzte Änderung: 17.11.2020

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020; GIZ 9.2020a) mit insgesamt 774 LGAs/Bezirken unterteilt (GIZ 9.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) und eines Landesparlamentes (State House of Assembly) geführt (GIZ 9.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 16.1.2020).

Nigeria ist eine Bundesrepublik mit einem starken exekutiven Präsidenten (Präsidialsystem nach US-Vorbild) (AA 24.5.2019a). Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die am System der USA orientierte Verfassung enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog, Gewaltenteilung). Dem starken Präsidenten - zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte - und dem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber. Die Verfassungswirklichkeit wird von der Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und von den direkt gewählten Gouverneuren dominiert. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität, häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 16.1.2020).

Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen, ethnischer Zugehörigkeit und vor allem strategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 16.1.2020). Gewählte Amtsträger setzen im Allgemeinen ihre Politik um. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch Faktoren wie Korruption, parteipolitische Konflikte, schlechte Kontrolle über Gebiete, in denen militante Gruppen aktiv sind, und die nicht offengelegten Gesundheitsprobleme des Präsidenten beeinträchtigt (FH 4.3.2020).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 9.2020a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten des Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 9.2020a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten. Wahlbeobachter und Vertreter der Zivilgesellschaft kritisierten außerdem Organisationsmängel bei der Durchführung der Wahlen, die Einschüchterung von Wählern sowie die Zerstörung von Wahlunterlagen an einigen Orten des Landes. Die Opposition sprach von Wahlmanipulation. Abubakar focht das Ergebnis vor dem Obersten Gerichtshof aufgrund von Unregelmäßigkeiten an (GIZ 9.2020a).

Die Nationalversammlung besteht aus zwei Kammern: Senat mit 109 Mitgliedern und Repräsentantenhaus mit 360 Mitgliedern (AA 24.5.2019b). Aus den letzten Wahlen zur Nationalversammlung im Februar 2019 ging die Regierungspartei „All Progressives‘ Congress" (APC) siegreich hervor. Sie konnte ihre Mehrheit in beiden Kammern der Nationalversammlung vergrößern. Die größte Oppositionspartei, die „People’s Democratic Party" (PDP) hatte von 1999-2015 durchgehend den Präsidenten gestellt. 2015 musste sie zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung seitdem geschwächt (AA 16.1.2020).

Auf subnationaler Ebene regiert die APC in 20 der 36 Bundesstaaten (AA 16.1.2020). Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 9.2020a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 17 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 9.4.2020). Regionalwahlen haben großen Einfluss auf die nigerianische Politik, da die Gouverneure die Finanzen der Teilstaaten kontrollieren und für Schlüsselsektoren wie Gesundheit und Bildung verantwortlich sind (DW 11.3.2019).

Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen nicht zu unterschätzenden, wenn auch weitgehend informellen Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein. Dieser Einfluss wird von der jüngeren Generation aber zunehmend in Frage gestellt (AA 24.5.2019a).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 30.9.2020

•        AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019b): Nigeria - Überblick, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeria/205786, Zugriff 30.9.2020

•        BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3, Zugriff 12.4.2019

•        DW - Deutsche Welle (11.3.2019): EU: Nigerian state elections marred by ’systemic failings’, https://www.dw.com/en/eu-nigerian-state-elections-marred-by-systemic-failings/a-47858131, Zugriff 9.4.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 30.9.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        Stears News (9.4.2020): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng.com/governor/2019, Zugriff 9.4.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 23.11.2020

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 16.1.2020). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020); sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 16.1.2020; vgl. EASO 11.2018a) und Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a; vgl. Garda 23.6.2020). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten (EASO 11.2018a; vgl. AA 16.1.2020), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a) bzw. kommt es seit Jänner 2018 zu regelmäßigen Protesten des IMN in Abuja und anderen Städten, die das Potential haben, in Gewalt zu münden (UKFCDO 26.9.2020). Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz. Im „Middlebelt" kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen und der Staatsgewalt. Die Lage im Südosten des Landes („Biafra") bleibt jedoch latent konfliktanfällig. Die separatistische Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) ist allerdings derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).

Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nassarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten betroffen. Weiterhin bestimmen immer wieder gewalttätige Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie gut organisierten Banden die Sicherheitslage. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 forderten diese in Abuja auch wiederholt Todesopfer (AA 8.10.2020).

Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden. Die Protestwelle hielt jedoch an (DS 16.10.2020). Mit Stand 26.10.2020 war das Ausmaß der Ausschreitungen stark angestiegen. Es kam zu Gewalt und Plünderungen sowie zur Zerstörung von Geschäften und Einkaufszentren. Dabei waren bis zu diesem Zeitpunkt 69 Menschen ums Leben gekommen - hauptsächlich Zivilisten, aber auch Polizeibeamte und Soldaten (BBC News 26.10.2020).

In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt (AA 8.10.2020).

In der Zeitspanne September 2019 bis September 2020 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (3.085), Kaduna (894), Zamfara (858), und Katsina (644). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (3), Kebbi (4), Kano (6), Jigawa (15) (CFR 2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/lo-cal/2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl _und_ abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_ 2019%29%2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        AA-Auswärtiges Amt (16.4.2020): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria node/nigeriasicherheit/205788#content_5,16.4.2020

•        BBC News (26.10.2020): Nigeria protests: Police chief deploys ’all resources’ amid street violence, https://www.bbc.com/news/world-africa-54678345, Zugriff 28.10.2020

•        CFR - Council on Foreign Relations (2020): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 8.10.2020

•        DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte „Sars“-Polizeieinheit in Nigeria nach Protesten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte sars polizeieinheit-in-nigeria-nach-protesten-abgeschafft, Zugriff 28.10.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report – Nigeria Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 16.4.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

•        Garda - Gardaworld (23.6.2020): Nigeria: Gunmen attack village in Zamfara State on June 20, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/353501/nigeria-gunmen-attack-viNage-in-zamfara-state-on-june-20, Zugriff 8.10.2020 (siehe „context“)

•        Guardian, The (11.10.2020): Nigeria to disband Sars police unit accused of killings and brutality, https://www.theguardian.com/world/2020/oct/11/nigeria-to-disband-sars-police-unit-accused-of-killings-and-brutality, Zugriff 28.10.2020

•        UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office (26.9.2020): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 8.10.2020
Nigerdelta

Letzte Änderung: 17.11.2020

Im Nigerdelta, dem Hauptgebiet der Erdölförderung, bestehen zahlreiche bewaffnete Gruppierungen, die sich neben Anschlägen auf Öl- und Gaspipelines auch auf Piraterie im Golf von Guinea und Entführungen mit Lösegelderpressung spezialisiert haben (ÖB 10.2019).

Von 2000 bis 2010 agierten im Nigerdelta militante Gruppen, die den Anspruch erhoben, die Rechte der Deltabewohner zu verteidigen und die Forderungen auf Teilhabe an den Öleinnahmen auch mittels Gewalt (Sabotage der Ölinfrastruktur) durchzusetzen. 2009 gelang dem damaligen Präsidenten Yar’Adua mit einem Amnestieangebot eine Beruhigung des Konflikts. Unter Buhari lief das Programm am 15.12.2015 aus. Es kam zur Wiederaufnahme der Attacken gegen die Ölinfrastruktur (AA 16.1.2020; vgl. ACCORD 17.4.2020). Im Herbst 2016 konnte mit den bewaffneten Gruppen ein neuer Waffenstillstand vereinbart werden, der bislang großteils eingehalten wird (ÖB 10.2019). Das Amnestieprogramm ist bis 2019 verlängert worden. Auch wenn Dialogprozesse zwischen der Regierung und Delta-Interessengruppen laufen und derzeit ein „Waffenstillstand“ zumindest grundsätzlich hält, scheint die Regierung nicht wirklich an Mediation interessiert zu sein, sondern die Zurückhaltung der Aufständischen zu „erkaufen“ und im Notfall mit militärischer Härte durchzugreifen (AA 16.1.2020).

Die Lage bleibt aber sehr fragil, da weiterhin kaum nachhaltige Verbesserung für die Bevölkerung erkennbar ist (AA 16.1.2020). Angriffe auf Erdöleinrichtungen stellen weiterhin eine Bedrohung für die Stabilität und die Erdölproduktion dar (ACCORD 17.4.2020). Der Konflikt betrifft die Staaten des Nigerdeltas, darunter Abia, Akwa, Ibom, Bayelsa, Cross River, Delta, Edo, Imo, Ondo und Rivers (EASO 2.2019).

Das Militär hat auch die Federführung bei der zivilen Bürgerwehr Civilian Joint Task Force inne, die u.a. gegen militante Gruppierungen im Nigerdelta eingesetzt wird. Auch wenn sie stellenweise recht effektiv vorgeht, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 16.1.2020).

Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta handelte es sich sowohl um einen Konflikt zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Partikularinteressen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund, im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen (AA 16.1.2020).

Das Risiko von Entführungen ist hoch und besteht landesweit (AA 8.10.2020), so wurden auch im Jahr 2019 Zivilisten entführt um Lösegeld zu erhalten (USDOS 11.3.2020; vgl. ACCORD 17.4.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (8.10.2020): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria node/nigeriasicherheit/205788#content_5, Zugriff 8.10.2020

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (17.4.2020): ecoi.net-Themendossier zu Nigeria: Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/de/dokument/2028159.html, Zugriff 17.4.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf, Zugriff 17.4.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020
Middle-Belt inkl. Jos/Plateau

Letzte Änderung: 17.11.2020

In Zentralnigeria bestehen Konflikte zwischen Hirten und Bauern um Land und Ressourcen. In einzelnen Fällen forderten diese Auseinandersetzungen mehrere hundert Tote. Der Konflikt nimmt durch die fortschreitende Wüstenbildung in Nordnigeria, Bevölkerungswachstum und die angespannte wirtschaftliche Lage zu (AA 24.5.2019a).

Seit Jahrzehnten kommt es in Nigeria - vorwiegend im Middle-Belt - zu religiös motivierter Gewalt zwischen christlichen, sesshaften Bauern und nomadisch lebenden, muslimischen Viehhirten. Ursprünglich ein Konflikt um natürliche Ressourcen wie Wasser und Land, hat der Konflikt zunehmend eine ethnisch-religiöse Dimension bekommen (EASO 2.2019). Der Konflikt lädt sich immer stärker ideologisch auf und verstärkt den Antagonismus zwischen Christen und Muslimen bzw. verschiedenen Ethnien (AA 16.1.2020).

2019 gab es weniger Berichte über religiös motivierte interkommunale Gewalt im Middle Belt als im Jahr 2018. Es gab jedoch Berichte über Angriffe von kommunalen oder ethnischen Milizen auf ganze Gemeinden, wie in Kaduna zwischen christlichen Adara und muslimischen Fulani Gruppen, sowie in Zamfara und Taraba (USCIRF 4.2020). Bei bewaffneten Zusammenstößen zwischen Bauern und Viehhirten über immer knapper werdende Ressourcen wurden 2019 mindestens 96 Menschen getötet (AI 8.4.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria: Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/innenpolitik/205844, Zugriff 30.9.2020

•        AI - Amnesty International (8.4.2020): Amnesty Report, Nigeria, 2019, https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/nigeria-nigeria-2019#section-11669032, Zugriff 16.4.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf, Zugriff 17.4.2020

•        USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2020): United States Commission on International Religious Freedom 2020: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028970/Nigeria.pdf, Zugriff 9.10.2020
Nordnigeria - Boko Haram

Letzte Änderung: 23.11.2020

Boko Haram ist seit Mitte 2010 für zahlreiche schwere Anschläge mit Tausenden von Todesopfern verantwortlich (AA 24.5.2019a). Im August 2016 spaltete sich Boko Haram als Folge eines Führungsstreits in Islamic State West Africa (ISIS-WA) und Jama’atu Ahlis Sunna Lidda’awati wal-Jihad (JAS) auf (EASO 11.2018a).

Dem Konflikt fielen bisher unterschiedlichen unabhängigen Schätzungen zufolge zwischen 20.000 und 30.000 Menschen zum Opfer (AA 24.5.2019a; vgl. HRW 14.1.2020; EASO 11.2018a). Milizen der Boko Haram und der an Einfluss gewinnende ISIS-WA terrorisieren die Zivilbevölkerung weiterhin durch Mord, Raub, Zwangsverheiratungen, Vergewaltigung und Menschenhandel (AA 16.1.2020). Diese Gruppen sind auch weiterhin für Angriffe auf militärische und zivile Ziele in Nordnigeria verantwortlich (USDOS 24.6.2020).

Seit der Angelobung von Präsident Buhari im Mai 2015 wurden effektivere Maßnahmen gegen die Aufständischen ergriffen (ACCORD 17.4.2020). Die von Boko Haram betroffenen Staaten (v.a. Kamerun, Tschad, Niger, Nigeria) haben sich im Februar 2015 auf die Aufstellung einer circa 10.000 Mann starken Multinational Joint Task Force (MNJTF) zur gemeinsamen Bekämpfung von Boko Haram verständigt (AU-EU o.D.). In den vergangenen Jahren wurde die Militärkampagne gegen die Islamisten auf Druck und unter Beteiligung der Nachbarstaaten intensiviert und hat laut Staatspräsident Buhari zu einem von der Regierung behaupteten „technischen Sieg" geführt (ÖB 10.2019). Tatsächlich gelang es dem nigerianischen Militär und Truppen aus den Nachbarländern Tschad, Niger und Kamerun, Boko Haram aus einigen Gebieten zu verdrängen (GIZ 9.2020a). Nach dem Rückzug in unwegsames Gelände und dem Treueeid einer Splittergruppe gegenüber dem sogenannten Islamischen Staat ist Boko Haram mittlerweile zur ursprünglichen Guerillataktik von Überfällen auf entlegenere Dörfer und Selbstmordanschlägen - oft auch durch Attentäterinnen - zurückgekehrt (ÖB 10.2019; vgl. ACCORD 17.4.2020). Insgesamt hat sich die Sicherheitslage im Nordosten nach zeitweiliger Verbesserung (2015-2017) seit 2018 wieder verschlechtert. Die nigerianischen Streitkräfte sind nicht in der Lage, ländliche Gebiete zu sichern und zu halten und beschränken sich auf das Verteidigen einiger urbaner Zentren im Bundesstaat Borno (AA 16.1.2020).

Einige Gebiete stehen immer noch unter der Kontrolle der verschiedenen Fraktionen der Gruppe. JAS scheint im Nordosten in Richtung Kamerun am aktivsten zu sein, während ISIS-WA hauptsächlich in der Nähe der Grenze zu Niger operiert (EASO 2.2019). Im Jahr 2019 führten Boko Haram und ISIS-WA Angriffe auf Bevölkerungszentren und Sicherheitskräfte im Bundesstaat Borno durch. Boko Haram führte zudem in eingeschränktem Ausmaß Anschläge im Bundesstaat Adamawa durch, während ISIS-WA Ziele im Bundesstaat Yobe angriff. Boko Haram kontrolliert zwar nicht mehr so viel Territorium wie zuvor, jedoch ist es beiden Gruppen im Nordosten des Landes weiterhin möglich, Anschläge auf militärische und zivile Ziele durchzuführen (ACCORD 17.4.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

ISIS-WA scheint im Juni 2020 im nordöstlichen Nigeria wieder an Stärke zu gewinnen. Im Juni 2020 wurden mehr als 120 Menschen innerhalb einer Woche von der Gruppe getötet (AP 26.6.2020). Allein im Jahr 2019 sind ca. 640 Zivilisten bei Kämpfen zwischen Sicherheitskräften und Boko Haram getötet worden. Außerdem entführte die Gruppe mindestens 16 Menschen (HRW 14.1.2020). Laut einer anderen Quelle wurden bei mindestens 31 bewaffneten Angriffen der Boko Haram im Jahr 2019 mindestens 378 Zivilpersonen getötet (AI 8.4.2020). Im Jahr 2018 kamen beim Konflikt im Nordosten zumindest 1.200 Personen ums Leben, knapp 200.000 Personen wurden intern vertrieben (HRW 17.1.2019).

IOM zählt derweil etwa 1,6 Millionen IDPs, ca. 200.000 nigerianische Flüchtlinge befinden sich in den Nachbarländern (AA 24.5.2019a). Andere Quellen berichten von circa zwei Millionen IDPs und mehr als 240.000 nigerianischen Flüchtlingen in den angrenzenden Staaten (USDOS 11.3.2020).

Auch wenn die zivile Bürgerwehr Civilian Joint Task Force stellenweise recht effektiv gegen Boko Haram vorging, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 16.1.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/localy2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl _und_abschieberelevante_LageJn_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29 %2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria: Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/innenpolitik/205844, Zugriff 30.9.2020

•        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (17.4.2020): ecoi.net-Themendossier zu Nigeria: Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/de/dokument/2028159.html, Zugriff 17.4.2020

•        AI - Amnesty International (8.4.2020): Amnesty Report, Nigeria, 2019, https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/nigeria-nigeria-2019#section-11669032, Zugriff 16.4.2020

•        AP - The Associated Press (26.6.2020): In Nigeria, an Islamic State-linked group steps up attacks, https://apnews.com/article/d72560593efce0a51e15190c95ac3705, Zugriff 9.10.2020

•        AU-EU - African Union-EU Partnership (o.D.): Multinational Joint Task Force (MNJTF) against Boko Haram, https://www.africa-eu-partnership.org/en/projects/multinational-joint-task-force-mnjtf-against-boko-haram, Zugriff 9.10.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf, Zugriff 17.4.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/nigeria/geschichte-staat/, Zugriff 30.9.2020

•        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022679.html, Zugriff 17.4.2020

•        HRW - Human Rigths Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2002184.html, Zugriff 11.4.2019

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

•        USDOS - U.S. Department of State (24.6.2020): Country Report on Terrorism 2019 - Chapter 1 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032436.html, Zugriff 9.10.2020

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 23.11.2020

Die am 29.5.1999 in Kraft getretene Verfassung Nigerias enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Dieser ist zum Teil jedoch weitreichenden Einschränkungen unterworfen. Das in Art. 33 der Verfassung gewährte Recht auf körperliche Unversehrtheit wird z.B. unter den Vorbehalt gestellt, dass die betroffene Person nicht bei der Anwendung legal ausgeübter staatlicher Gewalt zur „Unterdrückung von Aufruhr oder Meuterei" ihr Leben verloren hat. In vielen Bereichen bleibt die Umsetzung der zahlreich eingegangenen menschenrechtlichen Verpflichtungen weiterhin deutlich hinter internationalen Standards zurück. Zudem wurden völkerrechtliche Verpflichtungen zum Teil nur lückenhaft in nationales Recht umgesetzt. Einige Bundesstaaten haben Vorbehalte gegen einige internationale Vereinbarungen geltend gemacht und verhindern regional eine Umsetzung. Selbst in Bundesstaaten, welche grundsätzlich eine Umsetzung befürworten, ist die Durchsetzung garantierter Rechte häufig nicht gewährleistet (AA 16.1.2020).

Die Menschenrechtssituation hat sich seit Amtsantritt einer zivilen Regierung 1999 zum Teil erheblich verbessert (AA 24.5.2019a; vgl. GIZ 9.2020a), vor allem im Hinblick auf die Freilassung politischer Gefangener und die Presse- und Meinungsfreiheit (GIZ 9.2020a). Allerdings kritisieren Menschenrechtsorganisationen den Umgang der Streitkräfte mit Boko Haram-Verdächtigen, der schiitischen Minderheit, Biafra-Aktivisten und Militanten im Nigerdelta. Schwierig bleiben die allgemeinen Lebensbedingungen, die durch Armut, Analphabetismus, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, ein ineffektives Justizwesen und die Scharia-Rechtspraxis im Norden des Landes beeinflusst werden. Die Gleichstellung von Angehörigen sexueller Minderheiten wird gesetzlich verweigert, homosexuelle Handlungen sind mit schweren Strafen belegt (AA 24.5.2019a). Es gibt viele Fragezeichen hinsichtlich der Einhaltung der Menschenrechte, wie z.B. die Praxis des Scharia-Rechts (Tod durch Steinigung), Entführungen und Geiselnahmen im Nigerdelta, Misshandlungen und Verletzungen durch Angehörige der nigerianischen Polizei und Armee sowie Verhaftungen von Angehörigen militanter ethnischer Organisationen (GIZ 9.2020a). Zu den schwerwiegendsten Menschenrechtsproblemen gehören zudem u.a. rechtswidrige und willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter und willkürliche Inhaftierung sowie substanzielle Eingriffe in die Rechte auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit (USDOS 11.3.2020).

Die in den Jahren 2000/2001 eingeführten strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia in zwölf nördlichen Bundesstaaten führten zu Amputations- und Steinigungsurteilen. Die wenigen Steinigungsurteile wurden jedoch jeweils von einer höheren Instanz aufgehoben; auch Amputationsstrafen wurden in den vergangenen Jahren nicht vollstreckt (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Die Regierung bekennt sich ausdrücklich zum Schutz der Menschenrechte, und diese sind auch in der Verfassung als einklagbar verankert. Dessen ungeachtet bleiben viele Probleme ungelöst, wie etwa Armut, Analphabetentum, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, die Scharia-Rechtspraxis, Entführungen und Geiselnahmen sowie das Problem des Frauen- und Kinderhandels. Daneben ist der Schutz von Leib und Leben der Bürger gegen Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht keineswegs verlässlich gesichert und besteht weitgehend Straflosigkeit bei Verstößen der Sicherheitskräfte und bei Verhaftungen von Angehörigen militanter Organisationen. Das hohe Maß an Korruption auch im Sicherheitsapparat und der Justiz wirkt sich negativ auf die Wahrung der Menschenrechte aus (ÖB 10.2019).

Es setzten sich nigerianische Organisationen wie z.B. CEHRD (Centre for Environment, Human Rights and Development), CURE-NIGERIA (Citizens United for the Rehabilitation of Errants) und HURILAWS (Human Rights Law Services) für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Land ein. Auch die Gewerkschaftsbewegung Nigeria Labour Congress (NLC) ist im Bereich von Menschenrechtsfragen aktiv (GIZ 9.2020a).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/localZ2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl _und_abschieberelevante_LageJn_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29%2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria node/ /205844http://www.auswaertiges amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html, Zugriff 30.9.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 30.9.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 17.11.2020

Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit (GIZ 9.2020b; vgl. ÖB 10.2019; AA 16.1.2020) und Freiheit der Religionsausübung (ÖB 10.2019). Laut Verfassung darf die Regierung keine Staatsreligion beschließen, ist religiöse Diskriminierung verboten und hat jeder die Freiheitseine Religion zu wählen, auszuüben, zu propagieren und zu ändern (USDOS 10.6.2020; vgl. USCIRF 4.2020). Im Vielvölkerstaat Nigeria ist die Religionsfreiheit ein Grundpfeiler des Staatswesens. Die Bundesregierung achtet auf die Gleichbehandlung von Christen und Muslimen, z.B. bei der Finanzierung von Gotteshäusern und Wallfahrten. Sie unterstützt den Nigerian Inter-Religious-Council, der paritätisch besetzt ist und die Regierung in Religionsangelegenheiten berät. Ähnliche Einrichtungen wurden auch in mehreren Bundesstaaten erfolgreich eingeführt (AA 16.1.2020).

Die Regierung achtet Religionsfreiheit in der Praxis, obwohl von lokalen politischen Akteuren geschürte Gewalt in der Regel straflos bleibt. Die Verfassung verbietet es, ethnischen oder religiösen Gruppen Vorrechte einzuräumen. In der Praxis bevorzugen Bundesstaaten jedoch die jeweils durch die lokale Mehrheitsbevölkerung ausgeübte Religion (ÖB 10.2019). Manche Gesetze von Landes- und Lokalregierungen diskriminieren Mitglieder religiöser Minderheiten (USDOS 10.6.2020). Außerdem gestaltet sich die Umsetzung der verfassungsmäßig gesicherten Religionsfreiheit in der Praxis aufgrund religiöser Spannungen schwierig (GIZ 9.2020b).

Die Toleranz gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften und religiösen Gruppen ist auf lokaler Ebene und in der Bevölkerung teilweise nur unzureichend ausgeprägt. Eine Ausnahme sind die Yoruba im Südwesten Nigerias, unter denen seit Generationen auch Mischehen zwischen Moslems und Christen verbreitet sind. In einigen Bundesstaaten ist die Lage der jeweiligen christlichen bzw. muslimischen Minderheit dagegen problematisch, insbesondere im Middle-Belt, wo der Kampf um Land und Lebensraum zunehmend religiös aufgeladen wird (AA 16.1.2020). Lokale und internationale NGOs sowie religiöse Organisationen kritisieren die Unfähigkeit der Regierung die Gewalt zwischen religiösen Gruppen, namentlich zwischen christlichen und muslimischen Gemeinden im Middle-Belt, effektiv zu verhindern oder zu verringern (USDOS 10.6.2020).

Auch die Lage zwischen den Moslems der sunnitischen Mehrheit und der schiitischen Minderheit ist teilweise stark angespannt. Versammlungen und Märsche der schiitischen Minderheit gelten als Provokation. Diesbezüglich kam es immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen. Nach gewaltsamen Protesten des IMN (Islamic Movement of Nigeria) in Abuja im Juli 2019 wurde die Gruppierung durch die Regierung im ganzen Land zu einer illegalen Organisation erklärt (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 10.6.2020). Die islamistisch-terroristischen Organisationen Boko Haram und Islamischer Staat in Westafrika sind weiterhin aktiv und führen zahlreiche Angriffe auf Bevölkerungszentren oder religiöse Ziele durch [Anm. Siehe Abschnitt 3. Sicherheitslage] (USDOS 10.6.2020).

Generell können jene Personen, die sich vor Problemen hinsichtlich der Religionsfreiheit oder vor Boko Haram fürchten, entweder staatlichen Schutz oder aber eine innere Relokationsmöglichkeit in Anspruch nehmen, Fälle sind jedoch individuell zu prüfen. Staatlicher Schutz ist wahrscheinlicher außerhalb der nordöstlichen Staaten verfügbar, ist aber auch dort lokalen Ressourcen entsprechend unterschiedlich ausgeprägt (UKHO 1.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 2.10.2020

•        UKHO - United Kingdom Home Office (1.2019): Country Policy and Information Note Nigeria: Boko Haram, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005749/Nigeria_-_BH_-_v3_-_January_2019.pdf, Zugriff 21.9.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        USCIRF - U.S. Commission on International Religous Freedom (4.2020): USCIRF - Re- commended for Countries of particular concern (CPC), https://www.ecoi.net/en/file/local/2028970/Nigeria.pdf, Zugriff 4.2020

•        USDOS - U.S. Department of State (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2031289.html, Zugriff 21.9.2020
Religiöse Gruppen

Letzte Änderung: 17.11.2020

Nigeria ist von drei unterschiedlichen Religionen geprägt: dem Islam, dem Christentum, und den indigenen Religionen (GIZ 9.2020b). 53,5 Prozent sind Moslems, 10,6 Prozent sind Katholiken und 35,3 Prozent gehören anderen christlichen Glaubensrichtungen an. Der Rest gehört anderen Religionen an (CIA 1.10.2020). Nach anderen Angaben besteht die Bevölkerung zu etwa gleichen Teilen aus Christen und Muslimen, während die verbleibenden zwei Prozent anderen oder keinen Religionen angehören. Viele Menschen verbinden indigene Überzeugungen und Praktiken mit dem Islam oder dem Christentum (USDOS 10.6.2020).

Der Norden ist überwiegend muslimisch, der Süden überwiegend christlich (AA 16.11.2020; vgl. GIZ 9.2020b; USDOS 10.6.2020). Allerdings gibt es im Norden, wo die muslimischen Hausa- Fulani überwiegen, auch signifikante christliche Bevölkerungsteile. In Zentralnigeria, Abuja und den südwestlichen Yoruba-Bundesstaaten halten sich die Anteile an Muslimen und Christen die Waage (USDOS 10.6.2020; vgl. GIZ 9.2020b).

2010 gaben 38 Prozent der Muslime an, Sunniten zu sein, 12 Prozent Schiiten; der Rest sah sich als „etwas anderes" (5 Prozent) oder einfach als „Muslime" (42 Prozent). Unter den Sunniten finden sich mehrere Sufi-Strömungen (USDOS 10.6.2020), im Norden des Landes v.a. die Bruderschaften der Qadiriyya und der Tijaniyya. Seit der nigerianischen Unabhängigkeit sind viele islamische Gemeinschaften entstanden, d.h. wie bei den Christen auch, passte sich der Islam den afrikanischen Traditionen u.a. mit der Entstehung neuer islamischer Sekten an (GIZ 9.2020b).

Das Christentum unterteilt sich in Katholiken, Protestanten und synkretistische afrikanische Kirchengemeinschaften. Bei letzteren handelt es sich um eine Vermischung von traditionellen Religionen mit Freievangelisten - meist Mitglieder evangelikaler und pentekostaler Kirchen. Es gibt im Land bereits über tausend dieser - meist stark profitorientierten - neuen afrikanischen Kirchengemeinden mit mehreren Millionen Mitgliedern, Tendenz steigend (GIZ 9.2020b).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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