TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/27 L511 2239118-1

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Veröffentlicht am 27.05.2021
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Entscheidungsdatum

27.05.2021

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


L511 2239118–1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a JICHA als Vorsitzende und den Richter Dr. DIEHSBACHER sowie den fachkundigen Laienrichter RR PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch KAMMLER & KOLL Rechtsanwälte OG, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice Landesstelle XXXX vom XXXX , Zahl: OB XXXX , betreffend Abweisung des Antrags auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang und Verfahrensinhalt

1.       Verfahren vor dem Sozialministeriumservice [SMS]

1.1.    Die Beschwerdeführerin verfügt zuletzt seit 15.01.2020 über einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 60 vH sowie über einen bis 31.08.2020 befristeten Parkausweis (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [AZ] 2.1, 2.8). Am 15.01.2020 stellte sie einen Antrag auf Neuausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis), welcher auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in den Behindertenpass gilt und legte dazu im Verfahren medizinische Befunde vor (AZ 2.6; 2.7, 2.9-2.12).

1.2.    Das SMS holte ein Sachverständigengutachten aus den Fachgebieten der Orthopädie und der Allgemeinmedizin ein. Dieses Gutachten vom 10.07.2020 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 22.06.2020 unter Einbeziehung des Vorgutachtens vom 11.10.2018 sowie des vorgelegten Entlassungsberichts des Rehabilitationsinstitutes vom Mai 2019 erstattet. Es wurden die Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin und ein Grad der Behinderung von 60 vH festgestellt. Zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin eine Strecke von 400m aus eigener Kraft und ohne Gehbehelf zurücklegen könne und nicht sturzgefährdet sei. Niveauunterschiede zum Ein- bzw. Aussteigen könnten überwunden werden. Die Standhaftigkeit sei nicht eingeschränkt und die Benützung von Haltevorrichtungen sei möglich. Die Schienen hinsichtlich des beeinträchtigten Peroneusnerves (Nerv im Wadenbein) würden nicht mehr benötigt, es komme zu keinen Stürzen (AZ 2.19).

1.3.    Im weiteren Ermittlungsverfahren nahm die Beschwerdeführerin zu diesem Gutachten Stellung (AZ 2.13, 2.16) und legte eine Stellungnahme des praktischen Arztes der Beschwerdeführerin (AZ 2.12) vor, welche der gutachtenserstellenden Ärztin vorgelegt wurde. Diese kam in einer ergänzenden Stellungnahme vom 28.08.2020 zum Ergebnis, dass sich dadurch keine Änderung in Bezug auf das Gutachten vom 10.07.2020 ergebe (AZ 2.20).

1.4.    Mit Bescheid des SMS vom 10.09.2020, Zahl: XXXX , wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 15.01.2020 gemäß §§ 42 und 45 BBG abgewiesen, da bei der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorlägen (AZ 2.22).

Begründend verwies das SMS auf die Ergebnisse des Gutachtens vom 10.07.2020 und der Stellungnahme vom 28.08.2020, welche als schlüssig erkannt wurden. Die Stellungnahme wurde als Beilage zum Bescheid übermittelt.

1.5.    Mit Schreiben vom 23.10.2020 erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde [Bsw] gegen den oben bezeichneten Bescheid des SMS (AZ 1.2).

Darin führt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen aus, sie könne lediglich kurze Wegstrecken bewältigen, Wegstrecken von 400 m könne sich nicht zurücklegen. Die Festlegung von einer möglichen Strecke von 400 m sei vollkommen willkürlich vorgenommen worden. Die Beschwerdeführerin könne jedenfalls zu Fuß nicht zur vom Wohnhaus 1,9 km entfernten Bushaltestelle gelangen. Längere Stehzeiten in öffentlichen Verkehrsmitteln seien mit starken Schmerzen verbunden. Auch beim Ein- und Aussteigen würden Schmerzen auftreten. Aufgrund der belastungsabhängigen Schmerzen die bereits der praktische Arzt in dessen Stellungnahme berichtete, sei der Sachverhalt unvollständig ermittelt worden und die Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens sei erforderlich. Zudem werde die Einholung eines weiteren orthopädischen Gutachtens beantragt, zumal das vorliegende Gutachten unvollständig und falsch sei.

1.6.    Im Zuge des vom SMS weitergeführten Ermittlungsverfahrens holte das SMS ein weiteres Sachverständigengutachten aus den Fachgebieten der Neurologie und der Allgemeinmedizin ein. Dieses Gutachten vom 28.12.2020 wurde ebenfalls auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 15.12.2020 erstattet. Neue Befunde im Vergleich zum Vorgutachten lagen dabei nicht vor (AZ 2.21). Als Ergebnis der Begutachtung wurde zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zusammengefasst ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei trotz der ausgedehnten Narben- und Defektbildungen im Bereich beider Unterschenkel und im Kniebereich zu einer eingeschränkten Wegstrecke von 300-400 Metern aus eigener Kraft ohne fremde Hilfe, Pause und Gehbehelf befähigt. Von neurologischer Seite bestehe eine ausreichende Standsicherheit, auch bestehe die Fähigkeit zur Selbstabsicherung während des Transports. Auch von psychischer Seite bestünden keine Einschränkungen in Bezug auf die Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel. Die Beschwerdeführerin nehme keine Schmerzmedikamente, verwende Stützstrümpfe und erhalte eine Lymphdrainage. Zum Zeitpunkt der Untersuchung sei die Beschwerdeführerin in der 34. Woche schwanger gewesen.

1.7.    Mit Parteiengehör vom 28.12.2020 brachte das SMS dieses Gutachten der Beschwerdeführerin zu Kenntnis und räumte ihr die Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme dazu ein (AZ 2.17).

2.       Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] am 29.01.2020 die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vor (Ordnungszahl des gegenständlichen Gerichtsaktes OZ 1 [=AZ 1.1-1.5, 2.1 -2.23]).

2.1.    Eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin zum Gutachten vom 28.12.2020 wurde bis dato nicht eingebracht.

II.      Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       entscheidungswesentliche Feststellungen

1.1.    Die Beschwerdeführerin ist in Österreich wohnhaft und verfügt über einen gültigen Behindertenpass mit einem eingetragenen Gesamtgrad der Behinderung von 60 vH (AZ 2.1).

1.2.    Im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sind folgende Feststellungen zu treffen:

Die Beschwerdeführerin ist trotz ausgedehnter Narben- und Defektbildungen im Bereich beider Unterschenkel und im Kniebereich zu einer eingeschränkten Wegstrecke von 300 bis 400 Meter aus eigener Kraft ohne fremde Hilfe, Pause und Gehbehelf befähigt. Von neurologischer Seite besteht eine ausreichende Standsicherheit, auch besteht die Fähigkeit zur Selbstabsicherung während des Transports. Die Beschwerdeführerin ist nicht sturzgefährdet. Die Beschwerdeführerin kann höhere Niveauunterschiede überwinden, sodass ihr das Ein- und Aussteigen in ein bzw. aus einem öffentlichen Verkehrsmittel möglich ist. Die Beschwerdeführerin nimmt keine Schmerzmedikamente, verwendet Stützstrümpfe und erhält Lymphdrainage. Die nach dem erlittenen Trauma erforderlichen Peroneusstützen werden von der Beschwerdeführerin nicht mehr benötigt. Es besteht keine Peroneuslähmung mehr, sondern inzwischen nur noch eine Schwäche des Peroneus beidseits. Die Beschwerdeführerin kann Haltegriffe und -stangen in öffentlichen Verkehrsmitteln benützen. Auch von psychischer Seite bestehen keine Einschränkungen in Bezug auf die Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel.

2.       Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

2.1.    Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt (OZ 1), aus denen sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt. Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:

?        Sachverständigengutachten aus den Fachgebieten der Orthopädie und Allgemeinmedizin vom 10.07.2020 (AZ 2.19) und aus den Fachgebieten der Neurologie und Allgemeinmedizin vom 28.12.2020 (AZ 2.21); Stellungnahme vom 28.08.2020 (AZ 2.20)

?        Bescheid des SMS vom 10.09.2020 (AZ 2.22)

?        Beschwerde vom 23.10.2020 (AZ 1.4)

?        Datenstammblatt Behindertenpass (AZ 2.1)

?        Einsicht in das Zentrale Melderegister [ZMR] (OZ 1)

2.2.    Beweiswürdigung

2.2.1.  Die allgemeinen Feststellungen (Punkt 1.1.) ergeben sich aus der Antragstellung, dem Datenstammblatt des SMS und dem ZMR und sind unstrittig (AZ 2.1, OZ 1).

2.2.2.  Die Feststellungen zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ergeben sich aus den Sachverständigengutachten aus dem Fachgebieten der Orthopädie und der Neurologie (AZ 2.19, 2.21).

2.2.3.  Das zunächst eingeholte Gutachten ist eines aus dem Fachgebiet der Orthopädie, dem die Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin vorrangig zuzuordnen sind. Der Kritik der Beschwerdeführerin hinsichtlich des Nichtvorliegens eines neurologischen Gutachtens wurde durch Einholung eines Gutachtens eines Facharztes für Neurologie Rechnung getragen.

2.2.3.1. Ergänzend ist zum Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie habe belastungsabhängige Schmerzen und könne vor allem keine Wegstrecke im Ausmaß von 400 Metern schmerzfrei zurücklegen, auszuführen, dass sie zum Zeitpunkt der letzten Untersuchung beide Kniegelenke selbst frei bewegen konnte, ein unauffälliges Gangbild bei normaler Schrittlänge und Tempo vorwies, sowie im Push-und-Pull Test eine ausreichende Standstabilität zeigte. Sie kommt ohne Schmerzmedikation aus.

2.2.4.  Die Feststellungen der beiden Gutachten sind somit nachvollziehbar, schlüssig und in sich widerspruchsfrei und basieren jeweils auf persönlichen Untersuchungen der Beschwerdeführerin. Die Gutachten berücksichtigen jeweils alle (neu) vorgelegten Befunde (AZ 2.9 – 2.12) und die jeweiligen Vorgutachten (AZ 2.18 – 2.20) und stehen mit diesen auch nicht in Widerspruch (vgl. dazu VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004). Den im jüngsten Gutachten getroffenen Feststellungen sind weder die Beschwerdeführerin noch das SMS entgegengetreten (AZ 1.1).

3.       Entfall der mündlichen Verhandlung

3.1.    Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).

3.2.    Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der sich aus dem Akteninhalt ergebende Sachverhalt basiert zur Gänze aus den der Beschwerdeführerin bekannten vorliegenden Aktenteilen und ist in den entscheidungswesentlichen Punkten weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig (vgl. dazu VwGH 19.09.2018, Ra2018/11/0145).

4.       Rechtliche Beurteilung

4.1.1.  Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Senat ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 45 Bundesbehindertengesetz [BBG]. Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das SMS im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).

4.1.2.  Die Beschwerde gegen den Bescheid ist rechtzeitig und zulässig (§§7, 9 VwGVG).

4.1.3.  Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten auszugsweise:

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen […].

§ 42. (1) […] Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. […]

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

§ 1 der Verordnung über die Ausstellung von [VO] Behindertenpässen und Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idF BGBl. II Nr. 263/2016, lautet auszugsweise:

§ 1 (4) Z 3: Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen: [...] die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten (Teilstrich 1) oder erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit (Teilstrich 2) oder erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen (Teilstrich 3) oder eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems (Teilstrich 4) oder eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d (Teilstrich 5) vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

4.2.    Abweisung der Beschwerde

4.2.1.  Die Beschwerdeführerin verfügt über einen gültigen Behindertenpass mit einem eingetragenen Gesamtgrad der Behinderung von 60 vH, womit die grundsätzliche Voraussetzung für die Vornahme einer Zusatzeintragung gemäß § 42 BBG erfüllt ist.

4.2.2.  Die Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist im verfahrensgegenständlichen Fall gemäß § 1 Abs. 5 VO Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen. Das eingeholten Sachverständigengutachten vom 02.03.2020 und vom 24.01.2021 sind (wie bereits im Zuge der Beweiswürdigung dargelegt) richtig, vollständig und schlüssig und die Art und Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung sowie deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sind in nachvollziehbarer Weise dargestellt worden (vgl. VwGH 19.12.2017, Ra2017/11/0288; 21.06.2017, Ra2017/11/0040 mwN).

4.2.3.  In den Erläuterungen zur Stammfassung der VO Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen wird hinsichtlich der hier maßgeblichen Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 (vormals: § 1 Abs. 2 Z 3) – soweit im gegenständlichen Fall relevant – insbesondere Folgendes ausgeführt: Durch die Verwendung des Begriffes 'dauerhafte Mobilitätseinschränkung' hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses. [...] Die Begriffe ‚erheblich' und ‚schwer' werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen. Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder: Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr; hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten; schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen; nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.

4.2.4.  Bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel kommt es entscheidend auf die Art und Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel an, nicht hingegen auf andere Umstände, etwa jene der Entfernung zwischen der Wohnung und der nächstgelegenen Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel (VwGH 19.12.2017, Ra2017/11/0288; 21.06.2017, Ra2017/11/0040 mwN).

Der Verweis der Beschwerdeführerin auf die fast zwei Kilometer lange Strecke zwischen ihrem Wohnhaus der nächstgelegenen Haltestelle ist somit nicht entscheidungsrelevant. Die Beschwerdeführerin kann sich im öffentlichen Raum selbständig fortbewegen und das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke zu Fuß, die Judikatur geht hier von 300 bis 400 Metern aus (VwGH 27.05.2014, Ro2014/11/0013), aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe ist ebenso gegeben wie das Überwinden üblicher Niveauunterschiede zum sicheren Ein- und Ausstieg in bzw. aus öffentliche/n Verkehrsmittel/n und die sichere Beförderung im öffentlichen Verkehrsmittel.

4.2.5.  Da somit die Voraussetzungen zur Vornahme der beantragten Zusatzeintragung in den Behindertenpass nicht vorliegen, ist die Beschwerde spruchgemäß abzuweisen.

4.3.    Im Hinblick auf den gestellten Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO wird der Vollständigkeit halber angemerkt, dass es zwar zutrifft, dass dem Begehren der Beschwerdeführerin auf Ausfolgung eines Parkausweises nach § 29b StVO erst dann entsprochen werden könnte, wenn im Behindertenpass die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung“ vorgenommen wurde. Dennoch kann die bescheidmäßige Erledigung dieses Antrags nicht dadurch ersetzt werden, dass (lediglich) am Ende des nunmehr angefochtenen Bescheides angemerkt wird, dass die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen würden. Da der Antrag somit noch offen ist, wird er unter Berücksichtigung des nunmehrigen Verfahrensergebnisses zu behandeln sein.

III.    ad B) Unzulässigkeit der Revision:

Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf eine umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum BBG. Die angewendeten Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind - soweit für den vorliegenden Fall maßgeblich - eindeutig. Zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage (trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) etwa VwGH 28.05.2014, Ro2014/07/0053. Zur Schlüssigkeit von Gutachten VwGH 27.06.2018, Ra2018/09/0079; 28.06.2017, Ra2017/09/0015; zur Form der Auseinandersetzung mit dem Gutachten insbesondere VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004. Zu den Voraussetzungen zur Vornahme der verfahrensgegenständlichen Zusatzeintragung VwGH 19.12.2017, Ra2017/11/0288; 21.06.2017, Ra2017/11/0040 mwN.

Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.

Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L511.2239118.1.00

Im RIS seit

10.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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