TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/27 L511 2238571-1

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Veröffentlicht am 27.05.2021
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Entscheidungsdatum

27.05.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


L511 2238571–1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a JICHA als Vorsitzende und den Richter Dr. DIEHSBACHER sowie den fachkundigen Laienrichter RR PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice Landesstelle XXXX vom 24.11.2020, Zahl: OB XXXX , betreffend Abweisung des Antrags auf Ausstellung eines Behindertenpasses, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:

A)

I.       Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf Ausstellung eines Behindertenpasses richtet, gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) als unbegründet abgewiesen.

II.      Die Beschwerde wird soweit sie sich gegen die nicht erfolgte Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass richtet, mangels Vorliegens eines Bescheides als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang und Verfahrensinhalt

1.       Verfahren vor dem Sozialministeriumservice [SMS]

1.1.    Die Beschwerdeführerin stellte am 10.01.2020 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses, sowie für den Fall, dass die Aktenlage die Vornahme von Zusatzeintragungen rechtfertige, die Aufnahme der entsprechenden Zusatzeintragungen in den Behindertenpass (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [AZ] 2.6), und legte dazu im Verfahren medizinische Befunde vor (AZ 2.6).

1.2.    Das SMS holte in der Folge ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin ein. Dieses Gutachten vom 08.08.2020 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 30.07.2020 unter Einbeziehung der vorgelegten aktuellen Befunde erstattet. Als Ergebnis der Begutachtung wurden die vorliegenden Funktionseinschränkungen den entsprechenden Leidenspositionen nach der Einschätzungsverordnung zugeordnet und ein Gesamtgrad der Behinderung [GdB] von 30 vH sowie die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt (AZ 2.17).

1.2.1.  Im Zuge des weiteren Ermittlungsverfahrens nahm die Beschwerdeführerin am 31.08.2020 im Rahmen einer beim SMS aufgenommenen Niederschrift zum Gutachten Stellung und führte zusammengefasst aus, dass sie immer Schmerzen habe, höchstens 100m unter Zuhilfenahme von Stöcken gehen könne, öfters stolpere, nur stufenlose öffentliche Verkehrsmittel betreten könne und dann darin sitzen müsse, da sie sonst stürze. Sitzen könne sie nur mit einem Polster im Rücken (AZ 2.12).

1.2.2.  Das SMS holte in der Folge ein Sachverständigengutachten aus den Fachgebieten der Allgemeinmedizin und der Anästhesie ein. Dieses Gutachten vom 24.11.2020 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin und unter Berücksichtigung des Vorgutachten sowie aller vorgelegten Befunde erstattet. Erneut wurden als Ergebnis ein GdB von 30 vH und die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt (AZ 2.18).

1.3.    Mit Bescheid des SMS vom 24.11.2020, Zahl: XXXX , wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 10.01.2020 gemäß §§ 40, 41 und 45 BBG abgewiesen, da sie mit einem Grad der Behinderung von 30 vH die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle (AZ 2.20).

Begründend verwies das SMS auf die Ergebnisse des Gutachtens vom 24.11.2020, welches als schlüssig erkannt wurde. Das Gutachten wurde als Beilage zum Bescheid übermittelt.

1.4.    Mit Schreiben vom 11.01.2021 erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde [Bsw] gegen den Bescheid des SMS vom 24.11.2020 (AZ 1.2).

Darin führt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen aus, der MRT-Befund vom 14.08.2019 sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Sie habe seit einer Operation im Mai 2019 gravierende, ständige Beschwerden. Sie könne auch nicht mehr weit zu Fuß gehen und selbst das nur mit Gehhilfen. Das Ein- und Aussteigen in öffentliche Verkehrsmittel bereite ihr große Probleme.

2.       Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] am 13.01.2021 die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vor (Ordnungszahl des gegenständlichen Gerichtsaktes OZ 1 [=AZ 1.1-1.2, 2.1 -2.20]).

II.      Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       entscheidungswesentliche Feststellungen

1.1.    Die Beschwerdeführerin ist in Österreich wohnhaft und stellte am 10.01.2020 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses.

1.2.    Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Degenerative Wirbelsäulenveränderungen.

Bandscheibenschäden, Z.n. Deckplatteneinbrüchen LWK1 und BWK10. Trotz radiologisch deutlicher degenerativer Veränderungen geringe Funktionseinschränkungen erfassbar. Keine aktuellen Fachbefunde (orthop.). Keine Schmerzmedikation laut eigenen Angaben. Gang auch ohne Hilfsmittel ausreichend sicher.

02.01.02

30

2

Einschränkung des Hörvermögens.

Aktuelles Audiogramm nicht vorliegend, daher dem Vorgutachten folgend bei dort angeführter Hörminderung rechts 38%, links 35%.

12.02.01

20

3

Hypertonie.

Trotz Kombinationstherapie nur unzufriedenstellend eingestellt bei deutlichem Übergewicht.

05.01.02

20

4

Gelenksabnützungen.

Abnützungen an den Knien und geringer auch den Sprunggelenken sowie den Fingergelenken bds. ohne wesentliche Funktionseinschränkung. Keine Fachbefunde, keine Schmerzmedikation.

02.02.01

10

1.3.    Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt 30 vH. Führend ist das Leiden der Position 1, die übrigen Positionen sind geringfügig weshalb sie den Grad der Behinderung nicht erhöhen.

1.4.    Keinen Grad der Behinderung erreichen die Sehstörung sowie die klinisch subdepressive Stimmungslage der Beschwerdeführerin, da dazu keine Befunde vorliegen oder Medikation besteht.

1.5.    Es handelt sich um einen Dauerzustand, eine Nachuntersuchung ist nicht vorgesehen.

2.       Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

2.1.    Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt (OZ 1), aus denen sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt. Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:

?        Sachverständigengutachten aus den Fachgebieten der Allgemeinmedizin und der Anästhesie vom 24.11.2020 (AZ 2.18)

?        Niederschrift vom 31.08.2020 (AZ 2.12)

?        Beschwerde vom 11.01.2021 (AZ 1.2)

?        Einsicht in das Zentrale Melderegister [ZMR] (OZ 1)

2.2.    Beweiswürdigung

2.2.1.  Die allgemeinen Feststellungen (Punkt 1.1.) ergeben sich aus der Antragstellung und dem ZMR und sind unstrittig (AZ 2.6, OZ 1).

2.2.2.  Die festgestellten Funktionseinschränkungen deren Ausmaß und medizinische Einschätzung sowie deren Dauer ergeben sich aus dem Sachverständigengutachten aus den Fachgebiet der Allgemeinmedizin und Anästhesie vom 24.11.2020 (AZ 2.18). Dieses beinhaltet alle von der Beschwerdeführerin vorgelegten aktuellen Befunde und berücksichtigt auch die in der aufgenommenen Niederschrift vorgebrachten Einwände. Die Feststellungen im Gutachten sind nachvollziehbar, schlüssig und in sich widerspruchsfrei. Es basiert auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin und beinhaltet sämtliche von der Beschwerdeführerin vorgebrachten gesundheitlichen Umstände (vgl. dazu VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004).

2.2.2.1. Soweit die Beschwerdeführerin einen Zusammenhang ihrer Schmerzen des Bewegungsapparates mit einer Operation im Mai 2019 herstellte, weil sie seit dieser Operation gravierende Beschwerden der Wirbelsäule habe, dazu Nervenschmerzen und „Schmerzpunkte“, ist zunächst festzuhalten, dass es sich bei der Operation laut Ihren eigenen Angaben im Rahmen der Untersuchung zur Gutachtenserstellung vom 24.11.2020 dabei um eine Augenoperation gehandelt hat (AZ 2.18:GA S1 „Man habe ihr bei der Augen-OP das Kreuz zusammengehaut“).

2.2.2.2. Zum nach der Operation liegenden MRT-Befund vom August 2019, welcher aus Sicht der Beschwerdeführerin ebenfalls nicht entsprechend berücksichtigt wurde, ist festzuhalten, dass dieser im Gutachten unter „Zusammenfassung relevanter Befunde“ erfasst wurde (AZ 2.18 GA S2). Im Zuge des Gutachtens wurde (über die Aufnahme von Vorbefunden hinaus) der klinische Status der unteren Extremitäten erhoben sowie das Gangbild und die Gesamtmobilität der Beschwerdeführerin ermittelt und die radiologisch deutlich degenerativen Veränderungen berücksichtigt. Im Rahmen der Untersuchung ging die Beschwerdeführerin ohne Hilfsmittel frei, symmetrisch, breitspurig und zügig; zur Untersuchung kam sie mit Nordic-Walking-Stöcken. Hüften und Knie sowie Schultern der Beschwerdeführerin sind lediglich endlagig in der Bewegung eingeschränkt. Ergänzend kommt hinzu, dass die Beschwerdeführerin laut eigenen Angaben keine Schmerzmittel einnimmt, keine aktuellen orthopädischen Befunde vorliegen und die Therapieoptionen nicht ausgeschöpft wurden.

2.2.2.3. Da somit nur geringe Funktionseinschränkungen erfassbar waren und selbst bei Bedarf an Schmerzmitteln und andauerndem Therapiebedarf wie Heilgymnastik oder physikalischer Therapie noch eine mit 30 vH zu bewertende Funktionseinschränkung mittleren Grades vorliegt (EVO-Anlage PosNr. 02.01.02: 30 %: Rezidivierende Episoden (mehrmals pro Jahr) über Wochen andauernd, maßgebliche radiologische Veränderungen andauernder Therapiebedarf wie Heilgymnastik, physikalische Therapie, Analgetika), erweist sich die vorgenommene Einschätzung mit 30 vH als korrekt.

2.2.3.  Die vorgenommene Einschätzung der Leiden unter den laufenden Nummern 2 bis 4 (Einschränkung des Hörvermögens, Hypertonie, Gelenksabnützungen) wurden von der Beschwerdeführerin nicht kritisiert und erweisen sich aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes als richtig.

2.2.4.  Zusammenfassend sind die Feststellungen im Gutachten schlüssig und die Subsumtion unter die jeweiligen Positionsnummern der Einschätzungsverordnung [EVO] nachvollziehbar. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Kritik an der Einstufung der Wirbelsäulenveränderungen hat, wie dargelegt, keine begründeten Widersprüche oder eine Ergänzungsbedürftigkeit aufgezeigt (vgl. VwGH 24.10.2013, 2013/07/0088). Das SMS ist den Feststellungen im Gutachten nicht entgegengetreten (AZ 1.1). Der erkennende Senat legt daher die im Gutachten getroffenen Feststellungen der rechtlichen Beurteilung zu Grunde.

3.       Entfall der mündlichen Verhandlung

3.1.    Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).

3.2.    Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der sich aus dem Akteninhalt ergebende Sachverhalt basiert zur Gänze aus den der Beschwerdeführerin bekannten vorliegenden Aktenteilen und ist in den entscheidungswesentlichen Punkten weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig (vgl. dazu VwGH 19.09.2018, Ra2018/11/0145).

4.       Rechtliche Beurteilung

4.1.1.  Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Senat ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 45 Bundesbehindertengesetz [BBG]. Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das SMS im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).

4.1.2.  Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig (§§ 7, 9 VwGVG).

4.1.3.  Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten auszugsweise:

§ 1. (2) Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen […].

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) […] Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn […] ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt (Z3).

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird. [...]

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

§§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.


(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt (Teilstrich 1) oder zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen (Teilstrich 2).

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

4.2.    ad Spruchpunkt I – Festgestellter Grad der Behinderung

4.2.1.  Die bei der Beschwerdeführerin festgestellten Funktionseinschränkungen sind nicht nur vorübergehend, weshalb eine Behinderung im Sinne des § 1 BBG vorliegt. Der Grad der Behinderung ist im verfahrensgegenständlichen Fall gemäß § 40 und § 41 Abs. 1 BBG unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen (VwGH 21.06.2017, Ra201 7/11/0040).

4.2.2.  Das vom SMS eingeholte Sachverständigengutachten vom 24.11.2020 ist (wie bereits im Zuge der Beweiswürdigung dargelegt) richtig, vollständig und schlüssig und die aktuellen Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin wurden gemäß der Einschätzungsverordnung eingestuft. Der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt somit zum Entscheidungszeitpunkt 30 vH und sie erfüllt somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 vH ein Behindertenpass auszustellen ist.

4.2.3.  Da die Voraussetzungen zur Ausstellung eines Behindertenpasses somit nicht vorliegen, ist die Beschwerde spruchgemäß abzuweisen.

4.3.    ad Spruchpunkt II – beantragte Zusatzeintragung

4.3.1.  Hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin in Beschwer gezogenen nicht erfolgten Feststellung der Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist festzuhalten, dass der angefochtene Bescheid ausschließlich die Feststellung des Grades der Behinderung [GdB] zum Gegenstand hatte.


4.3.2.  Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist "Sache" des Rechtsmittelverfahrens vor dem Verwaltungsgericht (ungeachtet des durch § 27 VwGVG vorgegebenen Prüfumfangs) jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl. dazu für viele VwGH 30.06.2016, Ra2016/11/0044 RS3 mwN). Aufgrund dieser Beschränkung der Sache des Beschwerdeverfahrens ist das Verwaltungsgericht nicht befugt, über von der Behörde nicht behandelte Anträge abzusprechen. Ebenso wenig darf das Verwaltungsgericht ein zusätzliches Begehren zum Gegenstand seiner Entscheidung machen, welches über den bei der belangten Behörde gestellten und entschiedenen Antrag hinausginge (vgl. VwGH 31.01.2017, Ra2015/03/0066 mwN).

4.3.3.  Das BVwG ist daher verfahrensgegenständlich nicht berechtigt, über die Vornahme der beantragten Zusatzeintragungen abzusprechen, da das SMS bis dato noch keine Entscheidung über diese getroffen hat. Die Beschwerde gegen die nicht erfolgte Vornahme der Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in den Behindertenpass ist daher, mangels Vorliegens eines Bescheides gegen den sie sich richtet, spruchgemäß als unzulässig zurückzuweisen

III.    ad B) Unzulässigkeit der Revision:

Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf eine umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum BBG. Die angewendeten Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind (soweit für den vorliegenden Fall maßgeblich) eindeutig. Zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage (trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) etwa VwGH 28.05.2014, Ro2014/07/0053. Zur Schlüssigkeit von Gutachten VwGH 27.06.2018, Ra2018/09/0079; 28.06.2017, Ra2017/09/0015; zur Form der Auseinandersetzung mit dem Gutachten insbesondere VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004. Zur Sache des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht VwGH 31.01.2017, Ra2015/03/0066 mwN und VwGH 30.06.2016, Ra2016/11/0044 RS3 mwN


Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten Verfahrensgegenstand Zurückweisung Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L511.2238571.1.00

Im RIS seit

10.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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