TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/31 I401 2232974-1

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Veröffentlicht am 31.05.2021
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Entscheidungsdatum

31.05.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I401 2232974-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch die Eltern XXXX und XXXX als gesetzliche Vertreter, diese vertreten durch MMag. Dr. Stefan PECHMANN, Rechtsanwalt, Prinz Eugen Straße 70/2/1.1, 1040 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, Außenstelle Graz, vom 25.06.2020, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX , zu Recht:

A)

1. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird als unbegründet abgewiesen.

2. In Erledigung der Beschwerde wird XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit § 34 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

3. Gemäß § 8 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 5 AsylG 2005 wird ihr eine Aufenthaltsberechtigung befristet bis 31.05.2023 erteilt.

4. Die Spruchpunkte III. bis VI. werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin wurde am 19.02.2020 in Wien geboren und stellte der in Österreich subsidiär schutzberechtigte Vater als gesetzlicher Vertreter am 16.03.2020 für sie einen Antrag auf internationalen Schutz. Es wurden keine eigenen Fluchtgründe für die Beschwerdeführerin angegeben; diese würden sich auf die Gründe des Vaters bzw. der Mutter beziehen. Am 08.06.2020 wurde die Mutter als gesetzliche Vertreterin niederschriftlich einvernommen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als Bundesamt bezeichnet) wies diesen Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten sowie des Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt I. und II.) ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolzeigesetz (FPG) (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gewährte für die freiwillige Ausreise eine Frist von zwei Wochen gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG.

Dagegen richtet sich die Beschwerde vom 07.07.2020.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin:

Die im Februar 2020 in Wien geborene, nunmehr ca. 15 Monate alte Beschwerdeführerin ist irakische Staatsangehörige, sunnitisch-moslemischen Glaubens und die gemeinsame Tochter der in Österreich subsidiär schutzberechtigten XXXX und XXXX . Die Eltern sind die gesetzlichen Vertreter der Beschwerdeführerin, die mit ihren Eltern im gemeinsamen Haushalt in Wien lebt.

Im Irak bzw. in Bagdad leben mütterlicherseits eine Großmutter sowie eine Tante der Beschwerdeführerin, weitere Verwandte väterlicherseits halten sich in der Türkei, Indien, in den Vereinigten Staaten von Amerika und Jordanien auf.

1.2. Zum Antrag auf internationalen Schutz und zu den Aufenthaltsgrundlagen der Eltern:

Für die Beschwerdeführerin wurden keine eigenen Fluchtmotive geltend gemacht. Sie beziehen sich auf die Fluchtgründe der Eltern. Auch die Mutter hat keine eigenen Fluchtgründe in ihrem Asylverfahren geltend gemacht, sondern auf jene des Ehemannes verwiesen.

Dieser gab an, in einem Ärztezentrum gearbeitet zu haben und aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensgemeinschaft mit dem Umbringen bedroht worden zu sein. Mit rechtskräftigen Bescheiden vom 04.07.2016 und vom 26.03.2018 wies das Bundesamt den Antrag des Vaters bzw. jenen der Mutter auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, ihnen jedoch der Status der subsidiär Schutzberechtigten gewährt. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes jeweils vom heutigen Tag (zu I401 2126245-2 und zu I401 2220912-1) wurde den Beschwerden der Eltern der Beschwerdeführerin gegen die den subsidiären Schutz aberkennenden Bescheide des Bundesamtes jeweils vom 31.05.2019 stattgegeben, ihnen weiterhin der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihnen die Aufenthaltsberechtigung für weitere zwei Jahre erteilt.

Die Beschwerdeführerin wird bei einer Rückkehr in den Irak nicht einer Verfolgung oder Bedrohung aufgrund ihrer Glaubensrichtung ausgesetzt sein.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten. Im angefochtenen Bescheid wurde auf das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zum Irak (Stand März 2020) Bezug genommen. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens sind keine Änderungen bekannt geworden, so dass das Bundesverwaltungsgericht sich diesen Ausführungen anschließt und auch zu den seinen erhebt.

Anlassbezogen werden nachstehende Feststellungen aus dem Länderinformationsblatt (auszugsweise) hervorgehoben:

15 Minderheiten

Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten faktisch unter weitreichender Diskriminierung und Existenzgefährdung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 12.1.2019). Mitglieder bestimmter ethnischer oder religiöser Gruppen erleiden in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen, häufig Diskriminierung oder Verfolgung, was viele dazu veranlasst, Sicherheit in anderen Stadtteilen oder Gouvernements zu suchen (FH 4.3.2020). Es gibt Berichte über rechtswidrige Verhaftungen, Erpressung und Entführung von Angehörigen von Minderheiten, wie Kurden, Turkmenen, Christen und anderen, durch PMF-Milizen, in den umstrittenen Gebieten, insbesondere im westlichen Ninewa und in der Ninewa-Ebene (USDOS 11.3.2020).

Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60-65% der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17-22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15-20%) (AA 12.1.2019). Genaue demografische Aufschlüsselungen sind jedoch mangels aktueller Bevölkerungsstatistiken sowie aufgrund der politisch heiklen Natur des Themas nicht verfügbar (MRG 5.2018). Zahlenangaben zu einzelnen Gruppen variieren oft massiv (siehe unten).

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Kurdischen Region im Irak (KRI), oft benachteiligt. Zudem ist nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins die irakische Gesellschaft teilweise in ihre (konkurrierenden) religiösen und ethnischen Segmente zerfallen – eine Tendenz, die sich durch die IS-Gräuel gegen Schiiten und Angehörige religiöser Minderheiten weiterhin verstärkt hat. Gepaart mit der extremen Korruption im Lande führt diese Spaltung der Gesellschaft dazu, dass im Parlament, in den Ministerien und zu einem großen Teil auch in der nachgeordneten Verwaltung, nicht nach tragfähigen, allgemein akzeptablen und gewaltfrei durchsetzbaren Kompromissen gesucht wird, sondern die zahlreichen ethnisch-konfessionell orientierten Gruppen oder Einzelakteure ausschließlich ihren individuellen Vorteil suchen oder ihre religiös geprägten Vorstellungen durchsetzen. Ein berechenbares Verwaltungshandeln oder gar Rechtssicherheit existieren nicht (AA 12.1.2019).

Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäer-Sabäern, Kaka‘i, Schabak und Christen. Aus dieser Zeit liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 12.1.2019).

In der KRI sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 12.1.2019; vgl. KAS 8.2017). Mit der Verabschiedung des Gesetzes zum Schutze der Minderheiten in der KRI durch das kurdische Regionalparlament im Jahr 2015 wurden die ethnischen und religiösen Minderheiten zumindest rechtlich mit der kurdisch-muslimischen Mehrheitsgesellschaft gleichgestellt. Dennoch ist nicht immer gewährleistet, dass die bestehenden Minderheitsrechte auch tatsächlich umgesetzt werden (KAS 8.2017). Es gibt auch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Schabak und Christen) durch KRI-Behörden in den sogenannten umstrittenen Gebieten (USDOS 13.3.2019). Darüber hinaus empfinden dort Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte und v.a. der schiitischen Milizen (AA 12.1.2019).

Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden problematische Versuche einer ethnisch-konfessionellen Neuordnung unternommen, besonders in dem ethnisch-konfessionell sehr heterogenen Gouvernement Diyala (AA 12.1.2019). Im Gouvernement Ninewa wurden alle Distriktverwaltungen angeordnet, dem Bundesgesetz von 2017 Folge zu leisten und den Familien von PMF-Märtyrern, die im Kampf gegen den IS gefallen sind (zumeist Schiiten), Land zuzuweisen. Diese Anordnung schloss auch Distrikte mit sunnitischer und nicht-muslimischer Mehrheit ein. Es kam zu Widerstand unter Verweis auf das in der Verfassung verankerte Verbot eines erzwungenen demografischen Wandels, insbesondere im mehrheitlich christlichen Distrikt Hamdaniya (USDOS 21.6.2019).

[…]

Die territoriale Niederlage des IS im Jahr 2017 beendete dessen Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes. Viele Schiiten und religiöse Minderheiten, die vom IS vertrieben wurden, sind bis heute nicht in ihre Häuser zurückgekehrt. Die Rückkehr irakischer Streitkräfte in Gebiete, die seit 2014 von kurdischen Streitkräften gehalten wurden, führte Ende 2017 zu einer weiteren Runde demografischer Veränderungen, wobei manche kurdischen Bewohner auszogen, und Araber zurückkehrten. In Gebieten, die von schiitischen Milizen befreit wurden, gab es wiederum Berichte von der Vertreibung sunnitischer Araber (FH 4.3.2020). Aufgrund der konfliktbedingten internen Vertreibungen und Rückkehrbewegungen hat sich seit 2014 die Demographie einiger Gebiete von mehrheitlich sunnitisch zu mehrheitlich schiitisch bzw. zu konfessionell gemischt entwickelt, insbesondere in den Gouvernements Bagdad, Basra und Diyala. Im Distrikt Khanaqin in Diyala ist die Anzahl der Orte mit einer sunnitischen Mehrheit von 81 auf 73 gesunken, jene mit einer kurdisch-sunnitischen Mehrheit von 20 auf 17. Im Gouvernement Babil sind vormals arabisch-sunnitisch-schiitische Mischstädte wie Jurf al-Sakhr und Musayab vollständig schiitisch geworden. In der KRI hat die Präsenz sunnitischer Araber zugenommen, sodass die Anzahl der Orte mit einer sunnitisch-arabischen Mehrheit seit 2014 von 2 auf 25 angewachsen ist (IOM 2019).

Ebenso wurde ein Rückgang von assyrischen Christen in vormals gemischt-konfessionellen Regionen im Gouvernement Ninewa verzeichnet, sowie von vormals ethnisch-konfessionell gemischten Orten in den Distrikten Mossul, Sinjar und Telfar, in denen die Zahl der kurdischen Sunniten, Jesiden und Schabak zurückging. Im Gouvernement Diyala sind turkmenisch-sunnitische Mischgebiete verschwunden, während sich die turkmenische Präsenz in der Region um Kirkuk verstärkt zu haben scheint (IOM 2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        BMI - Bundesministerium für Inneres; BMLVS - Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport (2016 – Stand Irak: 2014): Atlas: Middle East & North Africa, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1487770786_2017-02-bfa-mena-atlas.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

-        IOM - International Organization for Migration (2019): Integrated Location Assessment IV, IOM Iraq, https://publications.iom.int/system/files/pdf/integrated_location_assessment_4.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (8.2017): Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten in Kurdistan-Irak, http://www.kas.de/wf/doc/kas_50065-1522-1-30.pdf?170918113417, Zugriff 13.3.2020

-        Lattimer, Mark in EASO - European Asylum Support Office (26.4.2017): Minorities and Vulnerable Groups - EASO COI Meeting Report Iraq: Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        MRG - Minority Rights Group International (5.2018): Iraq - Minorities and indigenous peoples, http://minorityrights.org/country/iraq/, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

16 Relevante Bevölkerungsgruppen

16.1 Frauen

16.2 Kinder

Die Hälfte der irakischen Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt. Kinder waren und sind Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Sie sind einerseits in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage, andererseits durch Gewaltakte gegen sie selbst oder gegen Familienmitglieder stark betroffen (AA 12.1.2019). Laut UNICEF machen Kinder fast die Hälfte der durch den Konflikt vertriebenen Iraker aus (USDOS 11.3.2020). Im Dezember 2019 waren noch mehr als 1,4 Millionen Menschen, darunter 658.000 Kinder, IDPs, vor allem im Norden und Westen des Landes (UNICEF 31.12.2019).

Artikel 29 und 30 der irakischen Verfassung enthalten Kinderschutzrechte. Der Irak ist dem Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten beigetreten (AA 12.1.2019). Nach Artikel 41, Absatz 1 des Strafgesetzbuches haben Eltern das Recht, ihre Kinder innerhalb der durch Gesetz oder Gewohnheit vorgeschriebenen Grenzen zu disziplinieren (HRW 14.1.2020).

Im Falle einer Nichtregistrierung der Geburt eines Kindes werden diesem staatliche Leistungen, wie Bildung, Lebensmittelbeihilfe und Gesundheitsversorgung vorenthalten. Alleinstehende Frauen und Witwen hatten oft Probleme bei der Registrierung ihrer Kinder. Kinder, die nicht die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, haben ebenfalls keinen Anspruch auf staatliche Leistungen. Humanitäre Organisationen berichten von einem weit verbreiteten Problem bezüglich Kindern, die im Gebiet des Islamischen Staates (IS) geboren worden sind und keine von der Regierung ausgestellte Geburtsurkunden erhalten. Etwa 45.000 Kinder sind davon betroffen (USDOS 11.3.2020). [siehe Abschnitt 16.7]

Nach dem Gesetz ist der Vater der Vormund der Kinder, auch wenn eine geschiedene Mutter das Sorgerecht für ihre Kinder bis zum Alter von zehn Jahren erhalten kann. Dies kann per Gerichtsentscheid auch bis zum Alter von 15 Jahren verlängert werden, zu welchem Zeitpunkt das Kind wählen kann, mit welchem Elternteil es leben möchte (USDOS 11.3.2020). Das irakische Familienrecht unterscheidet zwischen zwei Arten der Vormundschaft (wilaya und wasiya), sowie der Pflege bzw. Sorge (hanada). Dem Vater kommt immer die Vormundschaft (wilaya) zu. Wenn dieser nicht mehr lebt, dem Großvater bzw. nach Entscheidung eines Shari‘a-Gerichts einem anderen männlichen Verwandten. Nur ein Mann kann demnach wali sein. Die Fürsorgeberechtigung (hanada), d.h. die Verantwortung für die Erziehung, Sicherheit und Betreuung eines Kindes, kommt im Falle einer Scheidung der Mutter zu. D.h. die Kinder leben bei der Mutter, im Falle von Knaben bis zum 13. Lebensjahr und im Falle von Mädchen bis zum 15. Lebensjahr (Migrationsverket 15.8.2018).

Einem Bericht aus 2018 zufolge sind fast alle irakischen Kinder (92%) in der Grundschule eingeschrieben, aber nur etwas mehr als die Hälfte der Kinder aus ärmeren Verhältnissen absolvieren die Grundschule (UNICEF 19.11.2018). Dabei ist die Grundschulbildung für Kinder mit irakischer Staatsbürgerschaft in den ersten sechs Schuljahren verpflichtend und wird für diese kostenfrei angeboten. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) besteht die Schulpflicht bis zum Alter von 15 Jahren; auch dort kostenfrei. Der gleichberechtigte Zugang von Mädchen zu Bildung bleibt eine Herausforderung, insbesondere in ländlichen und unsicheren Gebieten (USDOS 11.3.2020). Die Sicherheitslage und die große Zahl zerstörter Schulen verhindern allerdings mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren drastisch gefallen ist (aktuell bei 79,7%), besonders in ländlichen Gebieten. Im Unterschied dazu sind in der KRI fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig (AA 12.1.2019). Mindestens 70% der Kinder von IDPs haben mindestens ein Jahr Schulunterricht verpasst (USDOS 11.3.2020). Mehr als 3,3 Millionen Kinder im Irak benötigen Unterstützung im Bildungsbereich (UNICEF 31.12.2019).

Eine Million Kinder unter 18 Jahren hatte Ende 2019 humanitären Bedarf an Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygiene (UNICEF 31.12.2019). Über ein Viertel aller Kinder im Irak lebt in Armut. Dabei waren, über die letzten Jahrzehnte, Kinder im Süden des Landes und in ländlichen Gebieten am stärksten betroffen (UN News 19.1.2018; vgl. UNICEF 31.1.2017). 22,6% der Kinder im Irak sind unterernährt (AA 12.1.2019). Ein Viertel aller Kinder unter fünf Jahren sind physisch unterentwickelt bzw. im Wachstum zurückgeblieben (UNICEF 31.1.2017).

Gewalt gegen Kinder bleibt ein großes Problem (USDOS 11.3.2020). Berichten zufolge verkaufen Menschenhändlernetze irakische Kinder zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung. Letztere erfolgt im In- und Ausland. Verbrecherbanden sollen Kinder zwingen, im Irak zu betteln und Drogen zu verkaufen (USDOS 20.6.2019). Auch Kinderprostitution ist ein Problem, insbesondere unter Flüchtlingen. Da die Strafmündigkeit im Irak in den Gebieten unter der Verwaltung der Zentralregierung neun Jahre beträgt und in der KRI elf, behandeln die Behörden sexuell ausgebeutete Kinder oft wie Kriminelle und nicht wie Opfer (USDOS 11.3.2020).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten die schlimmsten Formen von Kinderarbeit. In den Gebieten, die unter die Zuständigkeit der Zentralregierung fallen, beträgt das Mindestbeschäftigungsalter 15 Jahre. Versuche der Regierung Kinderarbeit z.B. durch Inspektionen zu überwachen, blieben erfolglos. Kinderarbeit, auch in ihren schlimmsten Formen, kam im ganzen Land vor (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020

-        HRW - Human Rights Watch (6.3.2019): “Everyone Must Confess” Abuses against Children Suspected of ISIS Affiliation in Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458729/4792_1552027742_iraq0319-web-1.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Migrationsverket (Schweden) (15.8.2018): Irak - familjerätt och vårdnad, https://www.ecoi.net/en/file/local/1442095/4792_1535708243_180815601.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        New Arab, The (8.3.2019): The Iraq Report: Thousands of children tortured by Iraqi authorities, https://www.alaraby.co.uk/english/indepth/2019/3/8/the-iraq-report-thousands-of-children-tortured-by-authorities, Zugriff 13.3.2020

-        UN General Assembly (30.7.2019): Children and armed conflict; Report of the Secretary-General [A/73/907–S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (31.12.2019): Iraq 2019 Humanitarian Situation Report, https://www.unicef.org/appeals/files/Iraq_Humanitarian_Situation_Report_End_of_Year_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (19.11.2018): Deep inequality continues to shape the lives of children in Iraq, https://www.unicef.org/press-releases/deep-inequality-continues-shape-lives-children-iraq, Zugriff 13.3.2020

-        UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (31.1.2017): Child Poverty in Iraq: An Analysis of Child Poverty Trends and Policy Recommendations for the National Poverty Reduction Strategy 2017-202, https://reliefweb.int/report/iraq/child-poverty-iraq-analysis-child-poverty-trends-and-policy-recommendations-national, Zugriff 13.3.2020

-        UN News – United Nations News (19.1.2018): One in four Iraqi children impacted by conflict, poverty; education key for lasting peace – UNICEF, https://news.un.org/en/story/2018/01/1000811, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - United States Department of State (20.6.2019): 2019 Trafficking in Persons Report: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2010829.html, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html, Zugriff 13.3.2020

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt des Bundesamtes unter zentraler Berücksichtigung des Asylantrages (AS 1 ff). Herangezogen wurden auch die Angaben der Eltern in ihren Asyl- und Beschwerdeverfahren (zu I401 2126245-2 und I401 2220912-1). Der maßgebliche Sachverhalt ergibt sich außerdem aus dem bekämpften Bescheid, dem Beschwerdeschriftsatz und dem aktuellen „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zum Irak mit Stand 17.03.2020.

Der vom Bundesamt festgestellte Sachverhalt wurde nicht substantiiert bestritten und in der Beschwerde auch kein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet, sodass das Bundesverwaltungsgericht den maßgeblichen Sachverhalt als ausreichend ermittelt ansieht.

2.2. Zur Person und den Asylverfahren der Eltern sowie ihren Aufenthaltsstatus:

Die Feststellungen zur Person ergeben sich aus der vorgelegten Geburtsurkunde (AS 5). Die Familienbande ergibt sich aus dem Ehevertrag der Eltern (AS 13). Die Lebensumstände sind durch Auszüge aus dem Zentralen Melderegister (AS 7) und dem Zentralen Fremdenregister (IZR) ersichtlich. In der niederschriftlichen Einvernahme bestätigte die Mutter als gesetzliche Vertreterin die Gesundheit der Beschwerdeführerin (AS 186) sowie die Glaubenszugehörigkeit (AS 187). Aus den Gerichtsakten zu den Eltern ergeben sich die verbliebenen Verwandten im Irak und in den verschiedenen Drittstaaten sowie deren unveränderten Stati als subsidiär Schutzberechtigte.

Aufgrund der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin ca. 15 Monate alt ist, musste eine maßgebliche private Verfestigung in Österreich verneint werden.

2.3. Zum Fluchtgrund:

Für die Beschwerdeführerin wurde am formularmäßigen Vordruck betreffend den Antrag auf internationalen Schutz von einem in Österreich nachgeborenen Kind gemäß § 17 Abs. 3 AsylG unmissverständlich die Option angekreuzt, dass das Kind bzw. die Beschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe hat. Die gesetzliche Vertreterin wiederholte diese Angaben auch vor dem Bundesamt und gab zu Protokoll: „Meine Tochter hat die gleichen Gründe wie mein Ehemann. Sie hat keine eigenen Gründe. […]“ (AS 187).

Mit Bescheid vom 04.07.2016 wurde über das Vorbringen ihres Vaters, er sei aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensgemeinschaft bedroht worden, rechtskräftig negativ entschieden. Somit bestand keine Verfolgungsgefahr des Vaters und kann daher auch die Beschwerdeführerin keiner asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt sein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an (VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274, mwN). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Vater bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde. Es ist entscheidend, ob die Beschwerdeführerin aufgrund des Vorbringens des Vaters, aufgrund der Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sunniten bedroht zu werden, aktuell mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (VwGH 25.09.2018, Ra 2017/01/0203, mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hat daher zu prüfen, ob der Beschwerdeführerin zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ihrem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten hat.

Vor dem Hintergrund der oben zitierten Länderfeststellungen ist ausdrücklich zu betonen, dass eine landesweite und systematische Verfolgung von Angehörigen der sunnitischen Glaubensgemeinschaft, welche mit einem Anteil von ca. 35 % bis 40 % der Gesamtbevölkerung die größte Gruppe der Minderheiten des Irak darstellen und in allen Gesellschaftsbereichen als auch in der Politik vertreten sind, im Irak nicht existiert (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/18/0014, in welchem einer behaupteten Gruppenverfolgung von Sunniten in einer Revisionssache nicht nähergetreten wurde, oder VwGH 29.06.2018, Ra 2018/18/0138, wo eine Gruppenverfolgung von Sunniten in Bagdad ausdrücklich verneint wurde). Es stünde der Beschwerdeführerin sohin offen, sich etwa in einem mehrheitlich sunnitisch geprägten Stadtteil von Bagdad, der Heimatstadt der Eltern, niederzulassen.

Insgesamt ist es nicht gelungen, eine wohlbegründete Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, glaubhaft zu machen.

2.4. Zum Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für den Irak vom 17.03.2020 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie bspw. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die Beschwerdeführerin trat diesen Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland nicht substantiiert entgegen. Es wurde ohne näher darauf einzugehen nur angeführt, dass sich das Bundesamt näher mit den herkunftsspezifischen Informationen beschäftigen hätte müssen.

Aufgrund der Kürze der verstrichenen Zeit zwischen der Erlassung des bekämpften Bescheides und der vorliegenden Entscheidung ergeben sich keine Änderungen zu den im bekämpften Bescheid getroffenen Länderfeststellungen. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich daher diesen Feststellungen vollinhaltlich an.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A):

3.1. Zum Status der Asylberechtigten:

3.1.1. Rechtslage

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, 99/01/0279).

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinaus geht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Wie sich aus den beweiswürdigenden Ausführungen ergibt, stützte die Beschwerdeführerin ihr Fluchtvorbringen auf die bereits rechtskräftig als nicht asylrelevant bzw. nicht glaubhaft angesehenen Fluchtgründe ihres Vaters und konnte sie somit eine Verfolgung oder Bedrohung gegen sich nicht glaubhaft machen. Für sie selbst wurden keine eigenen oder anderen Fluchtgründe angegeben.

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 3 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zum Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.):

§ 34 AsylG 2005 lautet auszugsweise:

„Sonderbestimmungen für das Familienverfahren

Familienverfahren im Inland

§ 34. (1) […]

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1.       dieser nicht straffällig geworden ist;

3.       gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4.       dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht. […]“

3.2.1. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag (zu I401 2126245-2 und I401 2220912-1) wurden den Eltern der Beschwerdeführerin jeweils der Status als subsidiär Schutzberechtigte gewährt und die Aufenthaltsberechtigung um weitere zwei Jahre verlängert. Der Beschwerdeführerin ist als leibliche Tochter der subsidiär schutzberechtigten Bezugsperson bzw. des Vaters (I401 2126245-2) gemäß § 34 Abs. 3 AsylG 2005 derselbe Schutzumfang zuzuerkennen. Das Aberkennungsverfahren des Vaters ist mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht mehr anhängig und liegt Straffälligkeit nicht vor.

Spruchgemäß war der Beschwerdeführerin daher der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 AsylG 2005 zu erteilen.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist der Beschwerdeführerin gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert.

Im Falle eines Familienverfahren - wie im gegenständlichen Fall - endet gemäß dem Abs. 5 leg. cit. die zu erteilende Aufenthaltsberechtigung gleichzeitig mit der des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird.

Die Aufenthaltsberechtigung des Vaters wurde um weitere zwei Jahre, somit bis 31.05.2023, verlängert, und endet damit die der Beschwerdeführerin zu erteilende Aufenthaltsberechtigung gleichzeitig mit diesem Datum.

3.3. Behebung der übrigen Spruchpunkte III. bis VI.:

Mit Spruchpunkten III. bis VI. wurde der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (evident gemeint: eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“) nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak festgestellt und eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

Die darauf aufbauenden übrigen Spruchpunkte waren ersatzlos zu beheben, zumal den in den Spruchpunkten III. bis VI. getroffenen Aussprüchen infolge der Zuerkennung subsidiären Schutzes die rechtliche Grundlage entzogen wurde.

4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Im gegenständlichen Fall konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 1 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass dem Vater der Beschwerdeführerin und - von ihm abgeleitet - ihrer Mutter der Status des Asylberechtigten (rechtskräftig) nicht zukommt.

Daher konnte aufgrund der Aktenlage entschieden werden.

Zu Spruchunkt B) - (Un-) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung zur Glaubhaftmachung von Asylgründen und der Anwendung des § 34 AsylG 2005 in Familienverfahren, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung ersatzlose Teilbehebung Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Kassation real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung behoben Spruchpunktbehebung subsidiärer Schutz Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I401.2232974.1.00

Im RIS seit

15.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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