TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/2 I421 2195023-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.06.2021
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Entscheidungsdatum

02.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I421 2195023-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin STEINLECHNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch Migrantinnenverein St. Marx, Pulverturmgasse 4/2/R1, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX vom 03.04.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.04.2021 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der BF stellte am 25.09.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde dazu den darauffolgenden Tag einer Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen. Befragt nach seinen Fluchtgründen führte der BF aus, dass er zur Gruppe der IPOB gehöre und die Soldaten schon einige Personen ihrer Gruppe umgebracht hätten und wenn er zurückkehre, würde er auch umgebracht werden.

2. Der BF gab bei seiner Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes an, dass er illegal von Nigeria, über Kamerun nach Frankreich und dann über ein unbekanntes Land nach Österreich weitergereist sei. Nach einem Abgleich der Fingerabdrücke des BF im AFIS wurde keine Überstimmung gefunden. In weiterer Folge wurde am 28.09.2017 an Frankreich ein Antrag auf Zurücknahme des BF gestellt. Die Zurücknahme des BF wurde jedoch von Frankreich abgelehnt.

3. Eine weitere niederschriftliche Einvernahme vor der belangten Behörde erfolgte am 30.03.2018. Ergänzend führte der BF zu seinen Fluchtgründen aus, dass die Gruppe IPOB, der er angehöre und dessen Koordinator er in seiner Zone sei, am 12.09.2017 am Weg zu einem Meeting in der Residenz ihres Anführers XXXX von der nigerianischen Armee, der Operation Python Dance, auf der Straße angegriffen und geschlagen worden sei. Dabei seien sie in schmutziges Wasser neben der Straße gedrängt worden und jeder, der sich geweigert hätte, sich darin zu wälzen, sei erschossen worden. Als die Soldaten Gas freigesetzt hätten, sei er wegen seines Asthmas weggelaufen und nach Kamerun geflohen. Im Falle einer Rückkehr bestehe für den BF die Gefahr, dass sie ihn umbringen würden.

4. Mit Bescheid vom 03.04.2018, Zl. XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass die Abschiebung des BF nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht durch die Rechtsvertretung des BF erhobene Beschwerde vom 02.05.2018, bei der belangten Behörde eingelangt am selbigen Tag. Im Wesentlichen wurde darin ausgeführt, dass die vom BF vorgebrachten Fluchtgründe real, zumindest teilweise noch verifizierbar und authentisch seien und er aufgrund seiner politischen Einstellung und seiner Bekanntheit bei den Behörden mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit wieder von den nigerianischen Behörden verfolgt werden würde. Es seien keine ausreichenden Erhebungen und insbesondere keine geeignete Würdigung der Fakten durchgeführt worden, die Zurückweisung zur ordnungsgemäßen Bearbeitung des Antrages an die erste Instanz erscheine daher unvermeidbar. Es gebe keine innerstaatliche Fluchtalternative, weil aufgrund der persönlichen Situation des BF seine Gegner ein ernsthaftes Interesse hätten, ihn innerhalb des gesamten Gebietes Nigerias und auch in Nachbarstaaten aufzuspüren. Die belangte Behörde habe sich nicht mit der persönlichen Situation des BF und den Bindungen zu Österreich auseinandergesetzt, der BF sei aber bereit sich zu integrieren, Arbeit anzunehmen und auf jede andere Weise zum Gemeinwohl in Österreich beizutragen. Beantragt werde daher, nach mündlicher Verhandlung und Durchführung der beantragten Beweise die bekämpfte Entscheidung zu beheben, festzustellen, dass die Nichtgewährung von Asyl und subsidiären Schutz, die Nichterteilung des Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria nicht rechtmäßig sind, die Sache zur nochmaligen Bearbeitung an das BFA zurückzuverweisen und vor einer inhaltlichen Entscheidung durch die Kontrollinstanz eine mündliche Verhandlung anzuberaumen und schließlich festzustellen, dass Asyl, in eventu subsidiärer Schutz oder ein Aufenthaltstitel zu gewähren ist und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet auf Dauer unzulässig ist.

6. Mit Schriftsatz vom 04.05.2018, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 11.05.2018, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

7. Am 20.04.2021 wurde eine mündliche Beschwerdeverhandlung am Bundesverwaltungsgericht durchgeführt, zu der der BF trotz ordnungsgemäßer Ladung und Kenntnis des Verhandlungstermins nicht erschienen ist. Das Erkenntnis wurde mündlich verkündet und die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Mit Schreiben vom 30.04.2021 wurde von der Rechtsvertretung des BF fristgerecht eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF wurde zur Verhandlung ordnungsgemäß geladen. Der volljährige BF ist nigerianischer Staatsbürger, ledig, christlichen Glaubens, Richtung katholische Kirche, und gehört der Volksgruppe Igbo/Ibo an. Seine Identität steht nicht fest. Er bezieht die staatliche Grundversorgung (GVS), ist in Österreich strafrechtlich unbescholten sowie mit Hauptwohnsitz gemeldet. Er hält sich seit mindestens 25.09.2017 in Österreich auf.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er fällt nicht unter die Risikogruppe gemäß der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Definition der allgemeinen COVID-19-Risikogruppe (COVID-19-Risikogruppe-Verordnung), BGBl. II Nr. 203/2020.

Der BF ist nicht selbsterhaltungsfähig und geht keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nach. In Nigeria besuchte der BF 6 Jahre die Grundschule und weitere 6 Jahre die Mittelschule. Er war als Elektrogerätehändler beschäftigt. Aufgrund seiner Arbeitserfahrung in Nigeria hat er eine Chance auch zukünftig am nigerianischen Arbeitsmarkt unterzukommen.

Familiäre Anknüpfungspunkte in Nigeria bestehen dahingehend, dass seine Kernfamilie, nämlich Mutter, zwei Brüder und eine Schwester noch in Nigeria leben.

In Österreich verfügt der BF über keine familiären Anknüpfungspunkte oder maßgeblichen privaten Beziehungen, es leben keine Familienangehörigen oder Verwandten des BF in Österreich.

Der BF weist keine maßglichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.

Der BF hat in Frankreich keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Entgegen seinem Fluchtvorbringen kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Nigeria aufgrund politischer Verfolgung verlassen hat und im Falle einer Rückkehr aufgrund einer Zugehörigkeit zu IPOB verfolgt werde. Der Beschwerdeführer befindet sich auch nicht aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden außerhalb von Nigeria.

Er wird im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:

Hinsichtlich der Organisation IPOB ist vorweg schon anzumerken, dass eine IPOB-Mitgliedschaft für sich alleine genommen, ohne ein führendes Mitglied zu sein, keine staatliche Verfolgung nach sich zieht. Der Österreichischen Botschaft in Abuja sind Festnahmen oder Verhaftungen von IPOB-Mitgliedern einzig aufgrund der Zugehörigkeit zu der Organisation bislang nicht bekannt geworden.

Darüber hinaus gestaltet sich die aktuelle Situation in Nigeria laut dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria (Stand 23.11.2020) wie folgt:

1.3.1. Sicherheitslage

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 16.1.2020). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020); sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 16.1.2020; vgl. EASO 11.2018a) und Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a; vgl. Garda 23.6.2020). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten (EASO 11.2018a; vgl. AA 16.1.2020), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a) bzw. kommt es seit Jänner 2018 zu regelmäßigen Protesten des IMN in Abuja und anderen Städten, die das Potential haben, in Gewalt zu münden (UKFCDO 26.9.2020). Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz. Im „Middlebelt“ kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen und der Staatsgewalt. Die Lage im Südosten des Landes („Biafra“) bleibt jedoch latent konfliktanfällig. Die separatistische Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) ist allerdings derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).

Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nassarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten betroffen. Weiterhin bestimmen immer wieder gewalttätige Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie gut organisierten Banden die Sicherheitslage. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 forderten diese in Abuja auch wiederholt Todesopfer (AA 8.10.2020).

Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden. Die Protestwelle hielt jedoch an (DS 16.10.2020). Mit Stand 26.10.2020 war das Ausmaß der Ausschreitungen stark angestiegen. Es kam zu Gewalt und Plünderungen sowie zur Zerstörung von Geschäften und Einkaufszentren. Dabei waren bis zu diesem Zeitpunkt 69 Menschen ums Leben gekommen - hauptsächlich Zivilisten, aber auch Polizeibeamte und Soldaten (BBC News 26.10.2020).

In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt (AA 8.10.2020).

In der Zeitspanne September 2019 bis September 2020 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (3.085), Kaduna (894), Zamfara (858), und Katsina (644). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (3), Kebbi (4), Kano (6), Jigawa (15) (CFR 2020).

1.3.2. Allgemeine Menschenrechtslage

Die am 29.5.1999 in Kraft getretene Verfassung Nigerias enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Dieser ist zum Teil jedoch weitreichenden Einschränkungen unterworfen. Das in Art. 33 der Verfassung gewährte Recht auf körperliche Unversehrtheit wird z.B. unter den Vorbehalt gestellt, dass die betroffene Person nicht bei der Anwendung legal ausgeübter staatlicher Gewalt zur „Unterdrückung von Aufruhr oder Meuterei“ ihr Leben verloren hat. In vielen Bereichen bleibt die Umsetzung der zahlreich eingegangenen menschenrechtlichen Verpflichtungen weiterhin deutlich hinter internationalen Standards zurück. Zudem wurden völkerrechtliche Verpflichtungen zum Teil nur lückenhaft in nationales Recht umgesetzt. Einige Bundesstaaten haben Vorbehalte gegen einige internationale Vereinbarungen geltend gemacht und verhindern regional eine Umsetzung. Selbst in Bundesstaaten, welche grundsätzlich eine Umsetzung befürworten, ist die Durchsetzung garantierter Rechte häufig nicht gewährleistet (AA 16.1.2020).

Die Menschenrechtssituation hat sich seit Amtsantritt einer zivilen Regierung 1999 zum Teil erheblich verbessert (AA 24.5.2019a; vgl. GIZ 9.2020a), vor allem im Hinblick auf die Freilassung politischer Gefangener und die Presse- und Meinungsfreiheit (GIZ 9.2020a). Allerdings kritisieren Menschenrechtsorganisationen den Umgang der Streitkräfte mit Boko Haram-Verdächtigen, der schiitischen Minderheit, Biafra-Aktivisten und Militanten im Nigerdelta. Schwierig bleiben die allgemeinen Lebensbedingungen, die durch Armut, Analphabetismus, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, ein ineffektives Justizwesen und die Scharia-Rechtspraxis im Norden des Landes beeinflusst werden. Die Gleichstellung von Angehörigen sexueller Minderheiten wird gesetzlich verweigert, homosexuelle Handlungen sind mit schweren Strafen belegt (AA 24.5.2019a). Es gibt viele Fragezeichen hinsichtlich der Einhaltung der Menschenrechte, wie z.B. die Praxis des Scharia-Rechts (Tod durch Steinigung), Entführungen und Geiselnahmen im Nigerdelta, Misshandlungen und Verletzungen durch Angehörige der nigerianischen Polizei und Armee sowie Verhaftungen von Angehörigen militanter ethnischer Organisationen (GIZ 9.2020a). Zu den schwerwiegendsten Menschenrechtsproblemen gehören zudem u.a. rechtswidrige und willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter und willkürliche Inhaftierung sowie substanzielle Eingriffe in die Rechte auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit (USDOS 11.3.2020).

Die in den Jahren 2000/2001 eingeführten strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia in zwölf nördlichen Bundesstaaten führten zu Amputations- und Steinigungsurteilen. Die wenigen Steinigungsurteile wurden jedoch jeweils von einer höheren Instanz aufgehoben; auch Amputationsstrafen wurden in den vergangenen Jahren nicht vollstreckt (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Die Regierung bekennt sich ausdrücklich zum Schutz der Menschenrechte, und diese sind auch in der Verfassung als einklagbar verankert. Dessen ungeachtet bleiben viele Probleme ungelöst, wie etwa Armut, Analphabetentum, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, die Scharia-Rechtspraxis, Entführungen und Geiselnahmen sowie das Problem des Frauen- und Kinderhandels. Daneben ist der Schutz von Leib und Leben der Bürger gegen Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht keineswegs verlässlich gesichert und besteht weitgehend Straflosigkeit bei Verstößen der Sicherheitskräfte und bei Verhaftungen von Angehörigen militanter Organisationen. Das hohe Maß an Korruption auch im Sicherheitsapparat und der Justiz wirkt sich negativ auf die Wahrung der Menschenrechte aus (ÖB 10.2019).

Es setzten sich nigerianische Organisationen wie z.B. CEHRD (Centre for Environment, Human Rights and Development), CURE-NIGERIA (Citizens United for the Rehabilitation of Errants) und HURILAWS (Human Rights Law Services) für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Land ein. Auch die Gewerkschaftsbewegung Nigeria Labour Congress (NLC) ist im Bereich von Menschenrechtsfragen aktiv (GIZ 9.2020a).

1.3.3. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Die Versammlungsfreiheit wird durch die Verfassung garantiert. Allerdings wird sie bisweilen durch das Eingreifen der Sicherheitsorgane gegen politisch unliebsame Versammlungen (z.B. von Schiiten oder Biafra-Aktivisten) in der Praxis eingeschränkt (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020; FH 4.3.2020). Die Regierung verbietet Versammlungen, welche ihrer Ansicht nach zu Unruhen führen könnten. In Gebieten, in denen es zu gesellschaftlicher Gewalt kommt, entscheiden Polizei und Sicherheitskräfte über die Genehmigung von öffentlichen Versammlungen und Demonstrationen von Fall zu Fall. Bei der Auflösung von Demonstrationen wenden Sicherheitskräfte manchmal übermäßige Gewalt an (USDOS 11.3.2020).

Die Vereinigungsfreiheit wird durch die Verfassung ebenso garantiert wie das Recht, einer politischen Partei oder einer Gewerkschaft anzugehören (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019); es wird auch praktiziert (ÖB 10.2019). Dies hat zur Herausbildung einer lebendigen Zivilgesellschaft mit zahlreichen NGOs geführt. Gleichzeitig gibt es verschiedene Versuche der Regierung, zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraum durch repressive Gesetzgebung und Verwaltungspraxis einzuschränken (AA 16.1.2020). Gewerkschaften können sich grundsätzlich frei betätigen (AA 16.1.2020).

Opposition inkl. MASSOB, IPOB und IMN

Verfassung und Gesetze erlauben die freie Bildung politischer Parteien, Gewerkschaften oder Interessengruppen. Es liegen keine Erkenntnisse über die Verfolgung von Exilpolitikern durch die nigerianische Regierung vor. Auch in Nigeria kann sich die politische Opposition grundsätzlich frei betätigen. Das gilt nicht nur für die parlamentarische Opposition, sondern auch für außerparlamentarische Parteien und Gruppen. Bislang sind auch – meist marginale – Gruppen mit sezessionistischen Zielen (etwa Biafra) weitgehend toleriert worden (AA 16.1.2020).

Mit Verbot der Indigenous People of Biafra (IPOB) im September 2017 und der schiitischen Islamischen Bewegung Nigerias (IMN) im August 2019 sind jetzt aber klare Grenzen markiert worden (AA 16.1.2020). Neben der IPOB ist im Südosten Nigerias als zweite sezessionistische Bewegung das Movement for the Actualization of the Sovereign State of Biafra (MASSOB) aktiv (EASO 2.2019; vgl. ÖB 10.2019). Beide werden von der Igbo-Volksgruppe beherrscht, konkurrieren aber miteinander (ÖB 10.2019).

Nach der vorübergehenden Freilassung des seit Herbst 2015 inhaftierten Anführers der IPOB, XXXX , im Frühjahr 2017 spitzte sich die Lage rund um den 50. Jahrestag des Beginns des Biafra-Kriegs [Anm.: 6.7.2017] neuerlich zu. Zur Sicherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wurden Truppen entsandt (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020) und die IPOB zur terroristischen Organisation erklärt (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020). Die Polizei geht gegen Mitglieder der IPOB und der IMN mittels Inhaftierungen vor (HRW 17.1.2019). Die Sicherheitskräfte nahmen im Verlauf des Jahres 2019 mindestens 200 Mitglieder und Unterstützer der IPOB fest, zehn Personen wurden getötet (AI 8.4.2020). In Abia wurden mutmaßliche IPOB-Mitglieder etwa wegen Mordes, Brandstiftung und anderen Verbrechen verhaftet. Seither hat es seitens IPOB und MASSOB nur noch vereinzelt Versuche gegeben, in der Öffentlichkeit für die (verfassungswidrige) Unabhängigkeit eines fiktiven Staates „Biafra“ zu werben. Diese wurden von den nigerianischen Sicherheitsbehörden regelmäßig unterbunden. Insgesamt können diese Bewegungen als relativ unbedeutende Randgruppen angesehen werden (ÖB 10.2019). Im August 2020 kam es bei einem Treffen der IPOB in der Stadt Enugu zu Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. Gemäß IPOB wären 21 Mitglieder getötet und 47 verhaftet worden, laut Polizeichef wären vier IPOB-Mitglieder verhaftet und vier getötet worden (BAMF 24.8.2020).

Der IPOB-Führer XXXX , der seit September 2017 spurlos verschwunden gewesen war, trat überraschend im Oktober 2018 in Jerusalem wieder öffentlich in Erscheinung (ÖB 10.2019; vgl. BBC 22.10.2018). Seit Anfang 2019 hielt er sich in Großbritannien auf (AFP 17.2.2019). Der Federal High Court in Abuja erließ am 28.3.2019 einen Haftbefehl gegen ihn. Gleichzeitig widerrief das Gericht die Kanu im April 2017 aus gesundheitlichen Gründen gewährte Freilassung auf Kaution, da er seither mehreren Vorladungen des Gerichts nicht Folge geleistet hatte (BAMF 1.4.2019). Im September 2019 kündigte Kanu an, eine IPOB-Delegation zur Generalversammlung der UNO führen zu wollen, und beschuldigte Nigeria in einer Petition an die UNO in Genf der Menschenrechtsverletzungen gegen die Unterstützer der Biafra-Bewegung (ÖB 10.2019). In Nigeria selbst ist IPOB derzeit nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).

Die Sicherheitskräfte setzen das harte Vorgehen gegen Mitglieder der schiitischen IMN fort, die gegen die Inhaftierung ihres Führers Scheich Ibrahim El Zakzaky und seiner Frau seit Dezember 2015 protestieren. Trotz gerichtlicher Anordnungen zu ihrer Freilassung bleiben sie in Haft (HRW 14.1.2020). Nach gewaltsamen Protesten der IMN in Abuja im Juli 2019 wurde die Gruppierung durch die Regierung im ganzen Land zu einer illegalen Organisation erklärt. Noch immer sitzen dutzende IMN-Anhänger ohne Anklage in Haft (AA 16.1.2020).

1.3.4. Todesstrafe

An der Todesstrafe hält Nigeria weiter fest (AA 16.1.2020; vgl. AI 8.4.2020). Sie kann durch ordentliche Gerichte und erstinstanzliche Scharia-Gerichte für bestimmte Tatbestände (Mord, Hochverrat, Verrat, Quälerei mit Todesfolge, schwerer Raub) verhängt werden. Gegenwärtig ist in einigen südlichen Bundesstaaten der Trend zu beobachten, den Anwendungsbereich der Todesstrafe auf weitere Straftatbestände (v.a. Entführung) auszuweiten (AA 16.1.2020; vgl. AI 8.4.2020). Der Bundesstaat Rivers verabschiedete im März 2019 das novellierte Gesetz Nr. 6 von 2019 über das Verbot geheimer Kulte und ähnlicher Aktivitäten sowie das Gesetz Nr. 7 von 2019 über das Verbot von Entführungen in der Neufassung Nr. 2; beide Gesetze schreiben die Todesstrafe nun bei Entführungen und Sektiererei vor (AI 8.4.2020). Der 2012 überarbeitete Terrorism (Prevention) Act 2011 sieht die Todesstrafe für terroristische Verbrechen vor (AA 16.1.2020).

Ein seit 2006 faktisches Vollstreckungsmoratorium, das zuletzt im Februar 2009 durch den Außenminister gegenüber dem UN-Menschenrechtsrat bestätigt worden war, wurde vom Bundesstaat Edo im Juni 2013 mit vier und im Dezember 2016 mit drei Hinrichtungen durchbrochen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). 2019 gab es keine Berichte über Hinrichtungen, doch mussten immer noch mehr als 2.000 Menschen mit einer Vollstreckung ihres Todesurteils rechnen (AI 8.4.2020), darunter Täter, die zum Tatzeitpunkt noch Jugendliche waren. Viele wurden nach unfairen Prozessen verurteilt oder nachdem sie mehr als zehn Jahre im Gefängnis auf ihren Prozess gewartet hatten (ÖB 10.2019). Auch im Jahr 2018 hat es keine Exekutionen gegeben, allerdings wurden mindestens 46 Todesurteile verhängt (AI 10.4.2019).

1.3.5. Bewegungsfreiheit

Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Allerdings schränken Sicherheitsbeamte die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein, vor allem in Gebieten, in denen es Terroranschläge oder ethnisch motivierte Gewalt gibt. Dies betrifft aufgrund der Operationen gegen Boko Haram und ISIS-WA v.a. die Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe. Auch in anderen Bundesstaaten kommt es in Reaktion auf gewaltsame Auseinandersetzungen in ländlichen Regionen mitunter zu Ausgangssperren. Bei Operationen von Sicherheitskräften in Städten und an Hauptverkehrsstraßen werden gelegentlich Checkpoints eingerichtet. Zahlreiche von Militär und Polizei betriebene Checkpoints bleiben aufrecht (USDOS 11.3.2020).

Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen (USDOS 11.3.2020). Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (AA 16.1.2020). Prinzipiell sollte es einer Person, die von nicht-staatlichen Akteuren verfolgt wird oder die sich vor diesen fürchtet, in einem großen Land wie Nigeria möglich sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen. Natürlich müssen die jeweiligen persönlichen Umstände beachtet werden (UKHO 3.2019).

In den vergangenen Jahrzehnten hat durch Wanderungsbewegungen und interethnische Ehen eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der „Kern“-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa-Fulani, Yoruba, Igbo) stattgefunden. So ist insbesondere eine starke Nord-Süd-Wanderung feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen (ÖB 10.2019). Ein innerstaatlicher Umzug kann allerdings mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem keine Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 16.1.2020).

Bundesstaats- und Lokalregierungen diskriminieren regelmäßig ethnische Gruppen, die in ihrem Gebiet nicht einheimisch sind. Dies nötigt gelegentlich Personen dazu, in jene Regionen zurückzukehren, aus denen ihre ethnische Gruppe abstammt, obwohl sie dort über keine familiäre Bindung mehr verfügen (USDOS 11.3.2020).

Für Überlandfahrten stehen mehrere Busunternehmen zur Verfügung, so z.B. ABC Transport, Cross Country Limited, Chisco und GUO Transport. Die Busse bieten Komfort, sind sicher, fahren planmäßig und kommen i.d.R. pünktlich am Zielort an. Die nigerianische Eisenbahn gilt als preisgünstiges, aber unzuverlässiges Transportmittel. Günstige Inlandflüge zwischen den Städten werden von mehreren nigerianischen Fluggesellschaften angeboten. Um innerhalb einer der Städte Nigerias von einem Ort zum anderen zu gelangen, stehen Taxis, Minibusse, Dreirad, die Keke und Motorradtaxis, die Okada genannt werden, zur Verfügung (GIZ 9.2020d).

Anfang September 2020 wurde die Phase 3 der Restriktionen im Zusammenhang mit der Coronakrise in Kraft gesetzt. Die Ausgangssperre gilt im ganzen Land nun von Mitternacht bis 4 Uhr. Meetings bis zu maximal 50 Personen sind gestattet. In Lagos dürfen Restaurants, Klubs und Kirchen etc. unter bestimmten Auflagen öffnen (WKO 25.9.2020).

Meldewesen

Ein Meldewesen ist nicht vorhanden (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020; EASO 24.1.2019), wie u.a. zahlreiche Quellen bei EASO angeben. Nur eine Quelle behauptet, dass es eine Art Meldewesen gibt. Es bestehen gesetzliche Voraussetzungen, damit Bundesstaaten ein Meldewesen einrichten können. Bislang hat lediglich der Bundesstaat Lagos davon Gebrauch gemacht (EASO 24.1.2019). Auch ein funktionierendes nationales polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Daraus resultiert, dass eine Ausforschung einmal untergetauchter Personen kaum mehr möglich ist. Das Fehlen von Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung unterzutauchen (ÖB 10.2019).

Im Sheriffs and Civil Process Act Chapter 407, Laws of the Federation of Nigeria 1990 sind Ladungen vor Gericht geregelt. Der Sheriff oder von ihm bestellte Bailiffs müssen die Ladungen in ganz Nigeria persönlich zustellen (ÖB 10.2019).

1.3.6. Medizinische Versorgung

Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden. Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 3.2020b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 9.2020b; vgl. ÖB 10.2019). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch (AA 7.9.2020). Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2019). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 9.2020b). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 100,2 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten (ÖB 10.2019).

Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 16.1.2020). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern der Maximalversorgung (z.B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard. Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über moderne Ausstattung (ÖB 10.2019).

In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 16.1.2020).

Stigmatisierung und Missverständnisse über psychische Gesundheit, einschließlich der falschen Wahrnehmung, dass psychische Erkrankungen von bösen Geistern oder übernatürlichen Kräften verursacht werden, veranlassen die Menschen dazu, religiöse oder traditionelle Heiler zu konsultieren; eine Rolle spielt hier auch der Mangel an qualitativ hochwertiger psychiatrischer Versorgung und die unerschwinglichen Kosten (HRW 11.11.2019). Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 16.1.2020). Nigeria verfügt derzeit über weniger als 150 Psychiater (AJ 2.10.2019), nach anderen Angaben sind es derzeit 130 für 200 Millionen Einwohner (Österreich 2011: 20 Psychiater/100.000 Einwohner). Bei Psychologen ist die Lage noch drastischer, hier kamen im Jahr 2014 auf 100.000 Einwohner 0,02 Psychologen (Österreich 2011: 80 Psychologen/100.000 Einwohner). Aufgrund dieser personellen Situation ist eine regelrechte psychologische/psychiatrische Versorgung für die große Mehrheit nicht möglich, neben einer basalen Medikation werden die stationären Fälle in öffentlichen Einrichtungen im Wesentlichen „aufbewahrt“. Die Auswahl an Psychopharmaka ist aufgrund der mangelnden Nachfrage sehr begrenzt (VAÖB 23.1.2019). Die WHO schätzt, dass weniger als 10 Prozent der Nigerianer jene psychiatrische Behandlung bekommen, die sie brauchen (AJ 2.10.2019; vgl. HRW 11.11.2019).

Nach anderen Angaben gibt es insgesamt für die inzwischen annähernd (VAÖB 23.1.2019) 180-200 Millionen (Punch 22.12.2017: 180 Mio; VAÖB 23.1.2019: 200 Mio) Einwohner 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Die Behandlungskosten sind jedoch je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich. Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 16.1.2020).

Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 16.1.2020). Nur weniger als sieben Millionen (Punch 22.12.2017) der 180-200 Millionen (Punch 22.12.2017: 180 Mio; VAÖB 23.1.2019: 200 Mio) Einwohner Nigerias sind beim National Health Insurance Scheme leistungsberechtigt (Punch 22.12.2017). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).

Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 9.2020b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 16.1.2020). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein (ÖB 10.2019). Eine medizinische Grundversorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019). Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (AA 16.1.2020). Gemäß Angaben einer anderen Quelle werden Tests und Medikamente an staatlichen Gesundheitseinrichtungen dann unentgeltlich abgegeben, wenn diese überhaupt verfügbar sind. Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2019).

In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 16.1.2020). Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2019).

Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte – meist aus asiatischer Produktion – vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 16.1.2020). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2019).

Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ 9.2020b). Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists“ und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2019).

In Nigeria gibt es wie in anderen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 13.10.2020).

1.3.7. Rückkehr

Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 16.1.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2019). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 16.1.2020).

Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 16.1.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2019). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 16.1.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2019) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2019).

Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 16.1.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2019).

Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 16.1.2020).

1.3.8. COVID-19 in Nigeria:

(Nigeria: WHO Coronavirus Disease (COVID-19) Dashboard With Vaccination Data | WHO Coronavirus (COVID-19) Dashboard With Vaccination Data)

Basierend auf den Daten der WHO (Stand: 10.05.2021) ergeben sich 165.419 bestätigte COVID-19 Fälle mit 2.065 Verstorbenen.

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF vor dieser sowie vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria (Stand Gesamtaktualisierung am 23.11.2020). Auskünfte aus dem Strafregister, dem Fremdenregister (IZR), dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt, ebenso ein Sozialversicherungsdatenauszug. Zudem wurde Einsicht in das Dashboard der WHO zur COVID-19-Situation in Nigeria genommen.

2.3. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu den Lebensumständen des BF, seiner Glaubens- und seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volksgruppenzugehörigkeit basieren auf den übereinstimmenden Ausführungen des BF sowohl vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Protokoll vom 26.09.2017, AS 1 ff) als auch vor der belangten Behörde (Protokoll vom 30.03.2018, AS 62 ff).

Da der BF den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus dem aktuellen Strafregisterauszug der Republik Österreich zur Person des BF vom 14.04.2021, der aktuelle Hauptwohnsitz aus der ZMR-Abfrage vom 14.04.2021.

Der BF hat behauptet an Asthma zu leiden, dies konnte mangels vorliegender Befunde nicht festgestellt werden. Letztlich war es aber für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes insofern nicht von Relevanz, weil auch unter der hypothetischen Annahme, dass der BF unter Asthma leide, der BF selbst angab, dass dieses Leiden bereits in Nigeria mit Medikamenten (Asthmaspray) behandelt worden sei (Protokoll vom 30.03.2018, AS 63). Es liegt daher keine Erkrankung vor, die in seinem Herkunftsland nicht behandelt werden könnte.

Dass der BF nicht selbsterhaltungsfähig ist und keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgeht, wurde der AJ-Webabfrage vom 14.04.2021 entnommen.

Die Feststellungen bezüglich seiner Familie, seiner Schulausbildung sowie seiner letzten Erwerbstätigkeit als Elektrohändler konnten aufgrund den übereinstimmenden Angaben des BF vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Protokoll vom 26.09.2017, AS 1) und der belangten Behörde (Protokoll vom 30.03.2018, AS 61 ff) getroffen werden.

Der Umstand, dass der BF in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte aufweist, ergibt sich sowohl aus den Ausführungen des BF in der Erstbefragung (Protokoll vom 26.09.2017, AS 3) als auch aus der niederschriftlichen Einvernahme (Protokoll vom 30.03.2018, AS 62).

Dass der BF keine maßglichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht aufweist, ergibt sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde (Protokoll 30.03.2018, AS 62) sowie aus dem Umstand seines erst relativ kurzen Aufenthaltes in Österreich seit September 2017. Auch das Verfahren hat nicht ergeben, dass der BF intensive Integrationsbemühungen gesetzt hat. In der Beschwerde wurde lediglich ausgeführt, dass der BF bereit sei sich zu integrieren, gerne Fußball spiele und sich für Freiwilligenarbeit interessiere, eine diesbezügliche Bestätigung oder ein Nachweis wurde aber nicht vorgelegt.

2.4. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der BF hat Nigeria nicht aufgrund seiner politischen Verfolgung verlassen. Die diesbezüglichen Angaben des BF im erstinstanzlichen Verfahrens waren widersprüchlich und nicht glaubwürdig.

Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.

Zur generellen Unglaubwürdig des BF gilt es vorab bereits auf die Widersprüchlichkeiten hinsichtlich seiner Fluchtroute Nigeria-Kamerun-Frankreich-Österreich - wie auch von der belangten Behörde im Bescheid dargestellt – zu verweisen. So gab der BF vor der belangten Behörde an, er sei von Umuahia nach Aba zwei bis zweieinhalb Stunden durch den Busch gegangen und habe dann dort um 13 Uhr den Bus nach Calabar, ein Ort an der nigerianischen Grenze, genommen (Protokoll vom 30.03.2018, AS 73,78 f). Dass der BF behauptet, per Fußweg in so kurzer Zeit nach Aba gegangen zu sein, erschien dem Bundesverwaltungsgericht nicht glaubwürdig, zumal die Entfernung von Umuahia nach Aba 55 km beträgt. Als der BF unter Vorhalt der belangten Behörde, dass ein Marathonläufer 42 km in zwei Stunden schafft, schließlich noch erklärte, dass man von Umuahia nach Ngwa kommt und das näher sei, war für das Bundesverwaltungsgericht klar ersichtlich, dass sich der BF eines Konstrukts bedient (Protokoll vom 30.03.2018, AS 79).

Folgt man den Angaben des BF, ist dieser von Kamerun mit dem Flugzeug nach Paris gereist und war ihm auch bewusst, dass er in Frankreich angekommen ist. Tatsächlich hat der BF in Frankreich keinen Antrag auf internationalen Schutt gestellt. Es wäre anzunehmen, dass wenn der BF tatsächlich aus einem asylrelevanten Grund Nigeria verlassen hätte, er unmittelbar in Frankreich, in einem Land, das schutzwillig und schutzfähig ist, internationalen Schutz beantragt hätte. Auch widerspricht es jeglicher Lebenserfahrung, dass der Schlepper mit dem BF von Kamerun nach Paris mitgeflogen ist (Protokoll vom 30.03.2018, AS 75).

Wesentlich im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit bzw. Mitgliedschaft des BF zu IPOB erscheint, dass der BF im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme zuerst berichtet hat, dass er XXXX persönlich kenne und jedes Mal bei einem Treffen gesehen habe, also bei drei oder vier Meetings im Jahr 2015 und Anfang 2016. In weiterer Folge gab der BF an, dass XXXX 2015 festgenommen und erst Ende 2016 freigelassen worden sei. Dabei widerspricht sich der BF in seinen eigenen Angaben, zumal der BF nicht in Meetings mit XXXX sein konnte, während dieser inhaftiert war (Protokoll vom 30.03.2018, AS 70 f).

Auch den Namen des Generalsekretärs der IPOB zum Zeitpunkt seiner Ausreise sowie das Gründungsjahr von IPOB vermochte der BF nicht richtig wiederzugeben (Protokoll vom 30.03.2018, AS 79, 66). Diesbezüglich verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Ausführungen der belangten Behörde im Bescheid und führt diese an dieser Stelle nicht mehr weiter aus.

In einer Gesamtschau war dem BF aufgrund seiner vagen und widersprüchlichen Angaben nicht zu glauben, dass er Koordinator der IPOB in seinem Bezirk gewesen sein sollte. Selbst wenn er Koordinator gewesen sein sollte, hat er nach seinen eigenen Angaben nur Informationen von den „Anführern“ weitergeben müssen (Protokoll vom 30.03.2018, AS 68) und selbst keine „Anführerposition“ innegehabt. Da eine IPOB Mitgliedschaft an sich noch keine staatliche Verfolgung nach sich zieht, ist der BF keiner Gefahr durch die nigerianischen Soldaten ausgesetzt und hat sein Herkunftsland nicht aus diesem Grund verlassen.

Letztlich ist noch anzumerken, dass der BF ausführte, wegen seiner Gesundheit nicht in Kamerun geblieben zu sein und dass es in Afrika keine Medikamente gebe, die so gut wie in Europa seien (Protokoll vom 30.03.2018, AS 79). Aufgrund dieser Ausführungen erscheint dem Gericht, dass der BF nur wegen der Gesundheit und nicht wegen einem asylrechtlichen Grund den Weg nach Europa auf sich genommen hat.

Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass selbst unter der theoretischen Annahme, dass das Vorbringen des BF, nämlich, dass er wegen seiner Zugehörigkeit zu IPOB verfolgt werde, real wäre, müsste das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingsgemeinschaft wegen des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative verneint werden. Es gibt in Nigeria kein funktionierendes Meldesystem und kein funktionierendes nationales polizeiliches Fahndungssystem. Es steht dem BF im Falle seiner Rückkehr frei, sich an einem anderen Ort in Nigeria niederzulassen und wird ihm dies auch vom Bundesverwaltungsgericht für zumutbar gehalten.

Es ist für das Bundesverwaltungsgericht schlüssig nachvollziehbar, dass die belangte Behörde das Fluchtvorbringen des BF als widersprüchlich und daher unglaubwürdig einstuft. Für das Bundesverwaltungsgericht besteht kein Grund, an der Würdigung der belangten Behörde zu zweifeln.

Außer dem als unglaubwürdig einzustufenden Fluchtvorbringen haben sich keine weiteren Anhaltspunkte ergeben, die eine Bedrohung des BF glaubhaft machen.

2.5. Zum Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ für Nigeria vom 23.11.2020 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieses Länderinformationsblatt stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen wie beispielsweise von Amnesty International, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Die Feststellung, dass eine IPOB-Mitgliedschaft für sich alleine genommen, ohne ein führendes Mitglied zu sein, keine staatliche Verfolgung nach sich zieht, ergibt sich insbesondere aus der aktuellen Länderinformation der Staatendokumentation (S. 35 f), dem Country Information Report vom Dezember 2020, Außenministerium Australien und dem Asylländerbericht Nigeria der österreichischen Botschaft Abuja (DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade: DFAT Country Information Report Nigeria, 3. Dezember 2020
https://www.dfat.gov.au/sites/default/files/dfat-country-information-report-nigeria-3-december-2020.pdf (Zugriff am 10. Mai 2021); Österreichische Botschaften: Asylländerbericht Nigeria, Oktober 2019
https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf (Zugriff am 10. Mai 2021)).

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die Feststellungen zu den aktuell bestätigten COVID-19-Fällen samt Verstorbenen entstammen mit Stand 10.05.2021 dem Dashboard der Website der WHO.

Der Beschwerdeführer trat diesen Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland nicht substantiiert entgegen, sodass die der Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichte nicht in Zweifel zu ziehen waren.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1. Rechtslage

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art 1 Absch A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, 99/01/0279).

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Wie in der Beweiswürdigung unter Punkt II. 2.4. bereits ausführlich dargestellt, konnten keine konkreten, gegen den BF persönlich gerichteten Verfolgungshandlungen festgestellt werden, zumal sich das Fluchtvorbringen des BF in Zusammenhang mit Bedrohungen und Verfolgungen durch die nigerianischen Soldaten als nicht glaubhaft herausstellte.

Die vom BF behauptete Verfolgung konnte nicht festgestellt werden, daher wurde dem BF zurecht der Status des Asylberechtigen nicht zuerkannt.

Außerdem besteht in Nigeria – selbst bei Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgung in einem Teil des Landes – grundsätzlich in anderen Teilen des Landes eine innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 11 AsylG, die im Allgemeinen auch zumutbar ist. Da in Nigeria kein funktionierendes Meldesystem und kein funktionierendes nationales polizeiliches Fahndungssystem existiert und es keine Einschränkungen in der Reisefreiheit gibt, ist für den BF im Falle einer Rückkehr ein Ortswechsel ohne weiteres möglich.

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 3 Abs 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

3.2.1. Rechtslage

Gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs 2 AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden. Gemäß § 8 Abs 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 leg. cit. offen steht.

Im Rahmen der Prüfung des Einzelfalls ist die Frage zu beantworten, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein – über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes – "real risk" einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (vgl VwGH 28.06.2011, 2008/01/0102). Die dabei aufgrund konkreter vom Fremden aufgezeigter oder von Amts wegen bekannter Anhaltspunkte anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 15.12.2010, 2006/19/1354; 31.05.2005, 2005/20/0095, 31.03.2005, 2002/20/0582).

Die Abschiebung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also bezogen auf den Einzelfall die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art 3 EMRK ist nicht ausreichend (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174; 19.11.2015, Ra 2015/20/0174 ua). Das Vorliegen so

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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