TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/4 I421 2230019-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.06.2021
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Entscheidungsdatum

04.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs2
IntG §11 Abs2
IntG §9 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I421 2230019-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin STEINLECHNER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch Rechtsanwältin XXXX gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.06.2021, zu Recht erkannt:

A)

I.       Der Beschwerde wird stattgegeben und gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

II.       XXXX wird gemäß §§ 54 Abs 1 Z 1, 55 Abs 1 und 58 Abs 2 AsylG ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

III.    Die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides werden gemäß § 28 Abs 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste (spätestens) am 10.08.2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 29.08.2016 die Anerkennung als Asylberechtigter. Mit Bescheid vom 20.01.2017 des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in XXXX wurde der Asylantrag des BF abgelehnt und der BF aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Ablehnungsbescheides zu verlassen und wurde ihm gleichzeitig die Abschiebung nach Nigeria angedroht. Dagegen erhob der BF Klage, welche das XXXX mit Urteil vom 27.10.2017 abwies. Eine dagegen erhobene Berufung wurde mit Beschluss vom 22.12.2017 zurückgewiesen und erwuchs damit der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge am 22.12.2017 in Rechtskraft.

2.       Mit Schreiben vom 10.01.2020 stellte der BF in Österreich einen Antrag gemäß § 55 Abs 1 AsylG. Begründend wurde ausgeführt, der BF lebe mit einer bosnischen Staatsangehörigen, welche er im Januar 2018 über das Internet kennengelernt habe, im gemeinsamen Haushalt in XXXX und habe er mit dieser eine gemeinsame Tochter, welche am XXXX geboren worden sei. Eine Heirat sei geplant, der BF unterstütze seine Lebensgefährtin sehr bei der Erziehung und Betreuung des Babys sowie auch im Haushalt. Die gemeinsame Tochter habe einen nigerianischen Reisepass und sei im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung “Rot-Weiß-Rot plus“. Der BF habe gute Deutschkenntnisse und die A2-Deutschprüfung in Österreich erfolgreich abgelegt.

3.       Am 13.02.2020 wurde der BF dazu vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde, BFA) niederschriftlich einvernommen.

4.       Mit Bescheid vom 14.02.2020, Zl XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK vom 20.01.2020 ab und erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I.). Weiters wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt II.) und wurde ihm eine 14-tägige Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt III.).

5.       Gegen diesen Bescheid richtet sich die durch die Rechtsvertreterin des BF eingebrachte Beschwerde vom 17.03.2020, bei der belangten Behörde per Fax eingelangt am selbigen Tag. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass der BF sein gesamtes bisheriges Vorbringen zum integrierenden Bestandteil des Beschwerdeschriftsatzes erhebe und bei richtiger rechtlicher Beurteilung eine inhaltlich anders lautende Entscheidung hätte ergehen müssen. Seine Lebensgefährtin habe er bereits im Januar 2018 über das Internet kennengelernt und seien sie seit September 2018 ein Paar. Zu diesem Zeitpunkt habe die Lebensgefährtin den damals in XXXX aufhältigen BF regelmäßig besucht. Schließlich sei am XXXX die gemeinsame Tochter geboren worden, weshalb der BF im Herbst nach Österreich eingereist sei, um seiner Lebenspartnerin in den letzten Monaten der Schwangerschaft beizustehen und sie im alltäglichen Leben zu unterstützen. Diese komme für den Lebensunterhalt des BF zur Gänze auf, wobei sie derzeit ca. EUR 2.000,-- Karenzgeld beziehe und handle es sich um eine nachhaltige, auf Dauer angelegte Beziehung. Die kleine Tochter solle gemeinsam im Familienverband in Österreich aufwachsen und sei es der bosnischen Lebensgefährtin rechtlich und praktisch unmöglich, dem BF nach Nigeria zu folgen. Sie habe den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ und sei vor der Geburt der Tochter ihrem Beruf als XXXX nachgegangen, wobei sie ihre Tätigkeit nach ihrer Karenz wieder aufnehmen wolle. Ab diesem Zeitraum kümmere sich der BF um die Betreuung der gemeinsamen Tochter. Die belangte Behörde lasse außer Acht, dass entsprechend höchstgerichtlicher Judikatur die Aufrechterhaltung des Kontaktes mittels moderner Kommunikationsmittel mit einem Kleinkind kaum möglich sei und dem Vater eines Kindes sowie auch umgekehrt grundsätzlich das Recht auf persönlichen Kontakt zukomme. Zudem sei eine Trennung von einem in Österreich dauerhaft niedergelassenen Ehepartner nur gerechtfertigt, wenn dem öffentlichen Interesse an einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen sei, wie insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden. Gegenständlich sei jedenfalls zu berücksichtigen, dass der BF nur deshalb illegal nach Österreich weitergereist sei, um bei seiner bosnischen Lebenspartnerin und Mutter des gemeinsamen Kindes sein zu können.

6.       Mit Schriftsatz vom 26.03.2020, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 30.03.2020, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

7.       Mit Einlangen 09.02.2021 wurde eine Heiratsurkunde des Standesamtes XXXX vom 23.01.2021 in Vorlage gebrachte und mit Einlangen 21.05.2021 Lohnabrechnungen und eine Arbeitsbestätigung der Ehegattin des BF.

8.        Am 01.06.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle XXXX , eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des BF, seiner Rechtsvertreterin und einer Dolmetscherin für englische Sprache abgehalten, zudem wurde die Zeugin XXXX einvernommen. Entschuldigt fern blieb ein Vertreter der belangten Behörde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige BF ist nigerianisches Staatsangehöriger, dessen Identität feststeht.

Er ist gesund und arbeitsfähig. Er ging bis dato im Bundesgebiet noch keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nach. Der BF bezieht keine Leistungen der staatlichen Grundversorgung.

In Nigeria besuchte der BF zwölf Jahre lang die Schule, davon jeweils sechs Jahre die Grundschule und sechs Jahre die Mittelschule, übte den Beruf des XXXX aus und konnte damit seinen Lebensunterhalt verdienen. Die Eltern des BF sowie vier seiner Geschwister leben nach wie vor in Nigeria, ein weiterer Bruder in XXXX , ein anderer in XXXX . Zu seinen in Nigeria befindlichen Verwandten sowie zu seinen Brüdern pflegt der BF den Kontakt via Internet, Telefon bzw. Videocall.

Sein Asylantrag vom 29.06.2016 wurde seitens des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in XXXX mit Bescheid vom 20.01.2017 abgelehnt. Dagegen erhob der BF Klage, welche das XXXX mit Urteil vom 27.10.2017 abwies. Eine dagegen erhobene Berufung wurde mit Beschluss vom 22.12.2017 zurückgewiesen, weshalb der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge mit selbigen Tag in Rechtskraft erwachsen ist.

Im Januar 2018 lernte der BF über das Internet die in Österreich aufhältige bosnische Staatsangehörige XXXX , nunmehr XXXX , welche über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ verfügt, kennen und wurden die beiden mit September 2018 ein Paar. Seit 04.04.2019 ist der BF mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet durchgehend melderechtlich an derselben Adresse wie seine Ehegattin erfasst. Am XXXX wurde die gemeinsame Tochter geboren, welche über eine Aufenthaltsberechtigung „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ und über die nigerianische Staatsbürgerschaft verfügt. Mit 10.01.2020 stellte der BF den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK „Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens“ gemäß § 55 Abs 1 AsylG (Aufenthaltsberechtigung plus). Am 23.01.2021 heirateten der BF und XXXX vor dem Standesamt XXXX .

Die Ehegattin des BF ist bereits seit Februar 2000 durchgehend mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet erfasst und hat in Österreich die Pflichtschule besucht. Danach hat sie eine Lehre zur XXXX positiv abgeschlossen, ca. eineinhalb Jahre bei einem XXXX gearbeitet, weitere sechs Jahre im Schichtbetrieb in einer Firma in XXXX und war anschließend in der XXXX tätig. Daraufhin besuchte sie die XXXX in XXXX und ist nun seit Oktober 2016 als XXXX in der XXXX beschäftigt. Ob der Geburt der gemeinsamen Tochter bezog sie im Zeitraum vom 04.08.2019 bis 28.11.2019 Wochengeld und war anschließend bis 02.10.2020 in Karenz. Seit dem 03.10.2020 ist sie wieder in Vollbeschäftigung im XXXX berufstätig und übernimmt dort auch Nacht-, Sonn- und Feiertagsdienste. Im April 2021 betrug ihre Nettogehaltsauszahlung EUR XXXX , wobei vom Dienstgeber bereits für Konsumation Cafe/Shop EUR XXXX , Parkplatz EUR XXXX , Betriebsratsumlage XXXX , Miete Wohnung EUR XXXX und BK Wohnung EUR XXXX einbehalten wurden. Ihr obliegt die Sicherung des finanziellen Lebensunterhalts der Familie zur Gänze alleine. Seit Oktober 2020 ist der BF für die Versorgung und Betreuung der gemeinsamen Tochter ob der Berufstätigkeit seiner Ehegattin zuständig. Während die Ehegattin arbeitet, kümmert sich ausschließlich der BF um die gemeinsame Tochter, sorgt sich um ihre Körperpflege, bereitet ihr Essen zu, spielt, geht spazieren und verbringt Zeit mit ihr im Freien. Zudem macht der BF den gemeinsamen Haushalt, kocht, putzt und wäscht die Wäsche.

Der BF spricht gut Deutsch und ist in der Lage auf Deutsch gestellte Fragen zu verstehen und zu beantworten. Am 13.09.2019 bestand er die Integrationsprüfung bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz auf dem Niveau A2 und zu Werte- und Orientierungswissen. Er verfügt über einen entsprechenden Freundes- und Bekanntenkreis im Bundesgebiet und brachte zudem eine aufrechte Einstellungszusage des XXXX , datiert mit 13.05.2019 in Vorlage. Ansonsten haben sich jedoch keine maßgeblichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer tiefgreifenden Integration des BF in Österreich ergeben.

Der BF ist strafgerichtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1.    Zum Verfahrensgang

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2.    Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF vor dieser, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz samt ergänzender Urkundenvorlage. Darüber hinaus wurden Auskünfte aus dem Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister, der Grundversorgung und dem Strafregister eingeholt, zudem auch ein Sozialversicherungsdatenauszug zur Person der BF. Des Weiteren wurden Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister und ein Sozialversicherungsdatenauszug zur Ehegattin XXXX eingeholt, zudem ein Auszug aus dem Zentralen Melderegister sowie ein Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister zur gemeinsamen Tochter.

Des Weiteren fand am 01.06.2021 eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck statt, in dessen Zuge auch XXXX als Zeugin einvernommen wurde.

2.3.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Zumal der BF im Zuge seiner Antragstellung seinen nigerianischen Reisepass mit der Nummer XXXX am 13.02.2018 bei der belangten Behörde in Vorlage brachte, wobei auch eine Kopie desselben dem Behördenakt beiliegt (AS 5) und solche auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgewiesen wurde, steht die Identität, das Geburtsdatum sowie die Staatsangehörigkeit des BF eindeutig fest.

Der BF gab im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme selbst zu Protokoll, gesund zu sein (Protokoll vom 13.02.2020, AS 124), was er vor dem erkennenden Richter im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung bestätigte (Protokoll vom 01.06.2021, S 3) und haben sich auch aus dem unstrittigen Akteninhalt keine gegenteiligen Hinweise ergeben. Ob des Gesundheitszustandes des BF in Zusammenschau mit dem erwerbsfähigen Alter desselben war auf die Arbeitsfähigkeit des BF zu schließen. Zumal der Sozialversicherungsdatenauszug zur Person des BF keine Eintragungen aufweist und er auch dazu übereinstimmend selbst ausgeführt hat, nicht in Österreich gearbeitet zu haben (Protokoll vom 13.02.2020, AS 124) und auch derzeit keiner regelmäßigen Beschäftigung nachzugehen (Protokoll vom 01.06.2021, S 8) konnte die diesbezügliche Feststellung getroffen werden. Die Feststellung, dass der BF keine Leistungen der staatlichen Grundversorgung bezieht, basiert auf seinen eigenen Angaben vor dem erkennenden Gericht (Protokoll vom 01.06.2021, S 8) sowie auf einem aktuellen Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem.

Der Umstand, dass der BF in Nigeria zwölf Jahre lang die Schule besuchte sowie den Beruf des XXXX ausgeübt hat und damit seinen Lebensunterhalt verdienen konnte, war den eigenen Angaben des BF zu entnehmen (Protokoll vom 13.02.2020, AS 122; Protokoll vom 01.06.2021, S 4), selbiges stellt sich auch hinsichtlich der in Nigeria lebenden Familienangehörigen des BF samt Kontakt zu denselben dar (Protokoll vom 13.02.2020, AS 123; Protokoll vom 01.06.2021, S 6 f).

Hinsichtlich des Asylverfahrens in Deutschland kann auf die diesbezüglichen in Vorlage gebrachten Urkunden verwiesen werden (AS 31 ff), zudem führte der BF Entsprechendes auch im Zuge seiner Antragstellung nach § 55 Abs 1 AsylG aus (AS 96 f) sowie im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde (Protokoll vom 13.02.2020, AS 122) und vor dem erkennenden Richter aus (Protokoll vom 01.06.2021, S 5).

Übereinstimmend schilderte der BF das Kennenlernen sowie die Anfänge der Beziehung mit der bosnischen Staatsangehörigen XXXX , nunmehr XXXX , im Zuge seiner Antragstellung (AS 97), seiner niederschriftlichen Einvernahme (Protokoll vom 13.02.2020, AS 122) und in seinem Beschwerdeschriftsatz (AS 243). Gleiches wurde auch von der Ehegattin im Rahmen ihrer Einvernahme als Zeugin in der mündlichen Beschwerdeverhandlung glaubhaft wiedergegeben (Protokoll vom 01.06.2021, S 10). Der Umstand, dass diese über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ verfügt, ist in einem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister zu ihrer Person dokumentiert. Hinsichtlich der melderechtlichen Erfassung des BF im Bundesgebiet kann auf einen Auszug aus dem Zentralen Melderegister zu seiner Person verwiesen werden, welcher sich mit jener der XXXX deckt. Zur am XXXX geborenen Tochter brachte der BF die entsprechende Geburtsurkunde in Vorlage. Deren Aufenthaltstitel wird in einem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister zu ihrer Person, ihre nigerianische Staatsbürgerschaft aus einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister ersichtlich. Hinsichtlich der Antragstellung des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK bleibt auf den im Akt befindlichen Antrag vom 10.01.2020 zu verweisen (AS 95 ff). In Zusammenhang mit der standesamtlichen Hochzeit des BF mit XXXX wurde die diesbezügliche Heiratsurkunde mit Einlangen 09.02.2021 in Vorlage gebracht.

Hinsichtlich der melderechtlichen Erfassung der XXXX kann auf einen Auszug aus dem Zentralen Melderegister zu ihrer Person verwiesen werden. Die Feststellungen zur Tätigkeit der Ehegattin des BF werden durch den Sozialversicherungsdatenauszug zu ihrer Person dokumentiert, aus welchem sowohl der Arbeitgeber als auch die Zeiten des Wochengeldbezuges sowie die Beschäftigung seit 03.10.2020 hervorgehen. Zudem wurde diesbezüglich eine Arbeitsbestätigung der XXXX in Vorlage gebracht. Das Nettogehalt für die Monate Jänner bis April 2021 konnte den beigelegten Lohn- und Gehaltsabrechnungen entnommen werden. Im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung führte der BF ergänzend aus, dass die Ehegattin Vollzeit arbeite, oft Nachtschichten übernehme und auch am Wochenende ab und zu arbeiten müsse (Protokoll vom 01.06.2021, S 5). Auch die Ehegattin selbst führte aus, dass sie oft zehn bis zwölf Stunden arbeiten müsse oder auch Nachtdienste oder „Einspringdienste“ habe (Protokoll vom 01.06.2021, S 11). Sowohl der BF als auch seine Gattin gaben zu Protokoll, dass dieser alleine die Sicherung des Lebensunterhaltes der Familie obliegt und der BF die Versorgung und Betreuung der gemeinsamen Tochter übernimmt, was sich auch in Ermangelung einer Berufstätigkeit des BF als plausibel darstellt (Protokoll vom 01.06.2021, S 5 ff). Dem Umstand, dass der BF die Betreuung und Versorgung der gemeinsamen Tochter übernimmt, war auch deshalb Glauben zu schenken, zumal er vom erkennenden Richter dazu nachgefragt, genau schildern konnte, wie die Körperpflege aussieht, was das Kind gerne esse und wie der Alltag aussieht (Protokoll vom 01.06.2021, S 6 f).

Die Feststellung betreffend die früheren Tätigkeiten der Ehegattin konnte aufgrund ihrer glaubhaften Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung getroffen werden (Protokoll vom 01.06.2021, S 9 f).

Ob der Einvernahme des BF im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung war die Feststellung zu dessen guten Deutschkenntnissen zu treffen, zumal der BF die vom erkennenden Richter auf Deutsch gestellten Fragen verstanden hatte und beantworten konnte und in der Lage war diesem einen Alltag aus seinem Leben in verständlicher deutscher Sprache zu schildern (Protokoll vom 01.06.2021, S 7).

Hinsichtlich der Integrationsprüfung wurde im Zuge der Antragstellung die entsprechende Urkunde dargetan (AS 11). Weiters wurde auch die mit 13.05.2019 datierte Einstellungszusage des XXXX na in Vorlage gebracht (AS 15) und gab der BF dazu befragt, ob diese noch aufrecht oder bereits verfallen sei, folgendes zu Protokoll: „Als ich dort um eine Stelle gefragt habe, wurde mir gesagt, dass ich jederzeit kommen kann, wenn ich eine Bewilligung habe.“

Es ergibt sich zwar der Umstand, dass der BF im Bundesgebiet über einen entsprechenden Freundes- und Bekanntenkreis verfügt, diesbezüglich kann auch auf das Empfehlungsschreiben der Schwiegermutter und der Trauzeugen hingewiesen werden (Beilage ./A und ./B). Dies erscheint in Anbetracht seines knapp zweijährigen Aufenthalts im Bundesgebiet ob des Sozialnetzes seiner Ehegattin auch nachvollziehbar, jedoch gereichen solch privaten Kontakte, selbst wenn sie objektiv vorhanden und für den BF auch subjektiv von Bedeutung sind, nicht den Anforderungen an ein schützenswertes Privatleben im Sinne der EMRK, sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch in Bezug auf die erforderliche Intensität, insbesondere, da kein Abhängigkeitsverhältnis zu selbigen dargetan wurde. In Ermangelung weiterer entsprechender Urkunden und auch basierend auf den Ausführungen des BF im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme (Protokoll vom 13.02.2020, AS 124) und jenen im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung (Protokoll vom 01.06.2021, S 8 f) waren darüber hinaus jedoch keine weiteren maßgeblichen Anhaltspunkte gegeben, welche eine tiefgreifende Integration des BF in Österreich bekunden würden. Weder brachte er vor Mitglied in einem Verein zu sein, noch einen Kurs zu besuchen (Protokoll vom 01.06.2021, S 8).

Aus einem Strafregisterauszug zur Person des BF wird ersichtlich, dass dieser im Bundesgebiet unbescholten ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 2 Abs 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt. Gemäß § 2 Abs 4 Z 10 FPG gilt ein Fremder, der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist, als Drittstaatsangehöriger. Nach § 2 Abs 4 Z 11 FPG gilt (unter anderem) als begünstigter Drittstaatsangehöriger der Ehegatte eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, der sein unionsrechtliches oder das ihm auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hat. Gemäß § 2 Abs 4 Z 8 FPG sind EWR-Bürger Fremde, die Staatsangehörige einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) sind.

Der BF als Staatsangehöriger von Nigeria ist Drittstaatsangehöriger und folglich Fremder iSd. soeben angeführten Bestimmung. Zumal es sich bei der Ehegattin des BF um eine bosnische Staatsangehörige handelt und Bosnien und Herzegowina nicht Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ist, sind die rechtlichen Bestimmungen in Zusammenhang mit begünstigten Drittstaatsangehörigen in Bezug auf den BF nicht in Anwendung zu bringen.

Zu A)

3.1.    Zur Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK und
zur Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1.  Rechtslage

Gemäß § 55 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird (Z 2). Gemäß § 55 Abs 2 AsylG ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vorliegt.

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR sowie des VfGH und VwGH jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

3.1.2   Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Die BF hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs 1 AsylG aus Gründen des Art 8 EMRK beantragt, weswegen gegenständlich eine Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern des BF und den öffentlichen Interessen vorzunehmen ist und anhand derer es zu überprüfen gilt, ob sich die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des Art 8 EMRK als geboten darstellt.

Dabei setzt die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, insbesondere einer Rückkehrentscheidung, nach § 9 Abs 1 BFA-VG unter dem dort genannten Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben voraus, dass ihre Erlassung zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Im Zuge dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0362 mit Hinweis auf VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Im Zuge der Interessenabwägung gilt es nun, unter anderem die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt der Fremden rechtswidrig war, zu berücksichtigen. Bereits mit 22.12.2017 wurde in Deutschland das Asylverfahren des BF negativ entschieden und gestaltet sich der Aufenthalt des seit 04.04.2019 im Bundesgebiet melderechtlich erfassten BF in Ermangelung eines entsprechenden Aufenthaltstitels bzw. Visums von Anbeginn an als unrechtmäßig. Daran vermag auch die Antragstellung gemäß § 55 AsylG keine Änderung zu erwirken, zumal eine solche entsprechend § 58 Abs 13 AsylG kein Aufenthalts- oder Bleiberecht begründet. Dem BF war auch bei seiner Einreise nach Österreich klar, dass sich sein Aufenthalt als unrechtmäßig gestaltet.

In Zusammenhang mit der Entscheidung der Behörde bleibt auszuführen, dass der Antrag des BF seitens des BFA rasch entschieden wurde, zumal zwischen der Antragstellung am 10.01.2020 und dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 14.02.2020 nur knapp ein Monat vergangen und damit eine zurechenbare, überlange Verzögerung nicht gegeben ist.

Grundsätzlich nehmen nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH die persönlichen Interessen des Fremden an seinem Verbleib in Österreich mit der Dauer seines bisherigen Aufenthalts zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (VwGH 05.10.2020, Ra 2020/19/0330). Da der BF erst seit April 2019, somit knapp zwei Jahre, im Bundesgebiet aufhältig ist, ist alleine ob seiner Aufenthaltsdauer nichts gewonnen, zumal entsprechend der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bei einer Aufenthaltsdauer im Bereich von drei Jahren es sich jedenfalls um eine "außergewöhnliche Konstellation" handeln muss, um die Voraussetzungen für die Erteilung eines "Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 MRK" zur Aufrechterhaltung eines Privat- und Familienlebens gemäß § 55 AsylG zu erfüllen (VwGH vom 23.01.2020, Ra 2019/21/0306 mit Hinweis auf VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101; VwGH 10.4.2019, Ra 2019/18/0049; VwGH 10.4.2019, Ra 2019/18/0058) und selbst einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zu kommt (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0289 mit Hinweis auf VwGH 21.01. 2016, Ra 2015/22/0119; VwGH 10.05.2016, Ra 2015/22/0158, VwGH 15.03.2016, Ra 2016/19/0031). Abgesehen von einer sprachlichen Integration, welche jedoch bereits dem – im Ergebnis unrechtmäßigen – Aufenthalt des BF in der Bundesrepublik Deutschland geschuldet ist, hat sich eine derart „außergewöhnliche Konstellation“, wie vom VwGH gefordert, nicht ergeben.

Es gilt nun in der Folge, unter dem Gesichtspunkt der vorzunehmenden Interessenabwägung Erwägungen in Zusammenhang mit dem Privat- und Familienleben des BF im Bundesgebiet zu treffen.

Dabei sind unter dem „Privatleben“ nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua gg Lettland, Nr. 60654/00, EuGRZ 2006, 554). Zugunsten des BF kann diesbezüglich die Einstellungszusage des XXXX vom 13.05.2019 in Anschlag gebracht werden (vgl. VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005), welche laut den Angaben des BF noch immer aufrecht ist. Zugunsten des BF gilt es auch, seine – trotz seines erst kurzen Aufenthaltes - bestehenden guten Deutschkenntnisse zu berücksichtigen, weiters den bestehenden Freundes- und Bekanntenkreis im Bundesgebiet. Sämtliche integrativen Momente sind jedoch aufgrund des Umstandes, dass diese in einem Zeitraum gesetzt wurden, zu dem sich der BF seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste, maßgeblich zu relativieren (vgl. VwGH 22.01.2021, Ra 2020/20/0426).

Der Begriff des Familienlebens in Art 8 EMRK umfasst jedenfalls die Beziehung von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten und schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13. 6. 1979, Marckx, EuGRZ 1979).

Ein solches Familienleben ist im Bundesgebiet unstrittig gegeben: So lernte der BF im Januar 2018 seine nunmehrige Ehegattin kennen, mit welcher er ab April 2019 einen gemeinsamen Haushalt begründet hat, wobei mit XXXX auch die gemeinsame Tochter geboren wurde. Am 23.01.2021 erfolgte schließlich die Eheschließung vor dem Standesamt XXXX . Maßgeblich relativierend wirkt dabei jedoch, dass selbiges zu einem Zeitpunkt entstanden ist, zu dem sowohl dem BF als auch seiner nunmehrigen Gattin bewusst sein musste, dass sich der Aufenthalt des BF ob seines in Deutschland negativ entschiedenen Asylverfahrens und ob seines unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet als unsicher darstellt. Diese Überlegungen gelten insbesondere auch für eine Eheschließung mit einer in Österreich aufenthaltsberechtigten Person, wenn dem Fremden zum Zeitpunkt des Eingehens der Ehe die Unsicherheit eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich in evidenter Weise klar sein musste und daher umso mehr für eine in einer solchen Situation begründeten Lebensgemeinschaft (vgl. VwGH 21.12.2020, Ra 2020/14/0518 mit Hinweis auf VwGH 14.10.2019, Ra 2019/18/0396; VwGH 29.8.2019, Ra 2019/19/0187).

Gegenständlich bleibt noch auf die Rechtsprechung des EGMR zu verweisen, wonach sich ein BF im Kontext des Art 8 EMRK nicht auf eine Beziehung zu einer neuen Freundin und die Geburt eines Kindes aus dieser Beziehung berufen kann, wenn sie zu einem Zeitpunkt zustande kam, als der Aufenthalt unsicher war (vgl. VwGH 21.12.2020, Ra 2020/14/0518 mit Hinweis auf EGMR 16.4.2013, Udeh/Schweiz, 12020/09, Z 50).

Was der Bescheid der belangten Behörde dessen ungeachtet jedoch vermissen lässt ist, dass laut ständiger Rechtsprechung auch die Auswirkungen der Entscheidung auf das Kindeswohl zu bedenken sind und dieser Umstand bei der Interessenabwägung nach Art 8 Abs 2 MRK bzw. § 9 BFA-VG hinreichend berücksichtigt werden muss (VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0456 mit Hinweis auf VfGH 11.6.2018, E 343/2018, mwN; VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0235, 31.8.2017, Ro 2017/21/0012, 20.9.2017, Ra 2017/19/0163, 5.10.2017, Ra 2017/21/0119, 28.11.2019, Ra 2019/19/0359, u.a.), wobei ein Kind grundsätzlich Anspruch auf „verlässliche Kontakte“ zu beiden Elternteilen hat (vgl. VwGH 06.10.2020, Ra 2019/19/0332 mit Hinweis auf VwGH 30.4.2020, Ra 2019/21/0134). Eine Rückkehrentscheidung, die zwangsläufig zu einer Trennung eines Kleinkindes von Mutter oder Vater (die in Lebensgemeinschaft leben) führt, stellt in jedem Fall eine maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls dar (VwGH 24.10.2019, Ra 2018/21/0246). Dabei können Kontakte über Telefon oder E-Mail die durch die Trennung von Mutter oder Vater verursachte maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls nicht wettmachen (VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0134 mit Hinweis auf VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0108).

Wird ein Kind durch die Rückkehrentscheidung gegen den Vater gezwungen, ohne diesen aufzuwachsen, so bedarf diese Konsequenz einer besonderen Rechtfertigung. Eine derartige Rechtfertigung ist nicht schon deshalb gegeben, weil die Beziehung zur Kindesmutter und die Geburt des Kindes während des unsicheren Aufenthaltsstatus des Revisionswerbers erfolgte. Sie kann aber etwa dann bejaht werden, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie insbesondere bei – relevanter – Straffälligkeit des Fremden. In solchen Fällen kann es auch gerechtfertigt sein, Personen mit unterschiedlicher Staatsangehörigkeit zu trennen (VwGH 16.07.2020, Ra 2020/18/0226 mit Hinweis auf VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282; VwGH 30.4.2020, Ra 2019/21/0134, mwN).

Wie bereits in den Feststellungen ausgeführt, lebt der BF seit April 2019 in einem gemeinsamen Haushalt mit XXXX , welche er am 23.01.2021 geheiratet hat und welche über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ verfügt. Dabei gilt zu beachten, dass auch der Bindung zu einem in Österreich dauerhaft niedergelassenen Ehepartner im Rahmen der Abwägung nach Art 8 EMRK große Bedeutung zukommt (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271) und eine Trennung von demselben nur dann gerechtfertigt ist, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit (vgl. VwGH 20.11.2020, Ra 2020/19/0032). Ein Familienleben zwischen seiner Ehefrau und der gemeinsamen, am XXXX geborenen Tochter ist unstrittig gegeben und weist dieses auch die erforderliche Intensität im Sinne des Art 8 EMRK auf, insbesondere, da der BF nunmehr auch seit Oktober 2020 ob der Erwerbstätigkeit seiner Gattin zum überwiegenden Teil die Versorgung und Erziehung der Tochter übernimmt. Zumal die Mutter auch 12-Stunden-Dienste und Nachtschichten übernimmt und die Schwiegermutter Mindestpension bezieht und noch berufstätig ist, ist eine Betreuung und Erziehung der Tochter ohne den Vater schwer möglich. Damit würde eine gegen den BF verhängte Rückkehrentscheidung jedenfalls eine maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls darstellen.

Auch geht der erkennende Richter davon aus, dass eine Fortführung des Familienlebens aller Betroffenen in Nigeria angesichts des Umstandes, dass es sich bei der Ehegattin des BF um eine seit mehr als 20 Jahren in Österreich aufhältige bosnische Staatsangehörige handelt, welche über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ verfügt und seit vielen Jahren durchgehend einer Tätigkeit im Bundesgebiet, seit 2016 als XXXX , nachgeht, sich als nicht zumutbar darstellt, selbst ungeachtet des (unbedenklichen) Gesundheitszustandes, des erwerbsfähigen Alters und der Tatsache, dass sich die gemeinsame Tochter in einem Alter befindet, in dem die Sozialisation außerhalb des engen Familienkreises noch gar nicht begonnen hat (vgl. VwGH 23.11.2017, Ra 2015/22/0162). Festzuhalten gilt, dass die Ehegattin in ihrer Einvernahme vermerkte, dass sie als nächstes den Antrag auf die österreichische Staatsbürgerschaft in Angriff nehmen möchte (Protokoll vom 01.06.2021, S 10).

Es wird nicht verkannt, dass der BF erst im Januar 2021 XXXX geheiratet hat, somit zu einem Zeitpunkt, zu dem ihm bereits der ablehnende Bescheid der belangten Behörde fast ein Jahr bekannt war und ihm bzw. auch seiner Gattin bewusst sein musste, dass sich sein Aufenthalt sowie sein Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet als unsicher gestaltet und er nicht auf ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bzw. ein dauerhaftes Familienleben im Gastland vertrauen durfte (vgl. VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721; 30.04.2009, 2009/21/0086; VfSlg. 18.382/2008 mHa EGMR 24.11.1998, 40.447/98, Mitchell; EGMR 11.04.2006, 61.292/00, Useinov). Auch wird nicht verkannt, dass dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt (zB VwGH 07.09.2016, Ra 2016/19/0168). Gegenständlich überwiegen jedoch die familiären Interessen des BF an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung aufgrund der dargestellten Umstände und ist eine Rückkehrentscheidung gegen den BF unzulässig, zumal auch in Anbetracht der strafgerichtlichen Unbescholtenheit des BF keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu erkennen ist. Es ist im Sinne des § 9 Abs 3 BFA-VG davon auszugehen, dass die drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend, sondern auf Dauer sind.

Daran mag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der BF zu seinem Herkunftsland, in dem er geboren und aufgewachsen ist sowie den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hat, nach wie vor über sprachliche und kulturelle Verbindungen verfügt und auch mit seiner dort ansässigen Familie nach wie vor in Kontakt steht.

Der Vollständigkeit halber bleibt noch anzumerken, dass gegenständlich keine von Anfang an beabsichtigte Umgehung der Regeln über den Familiennachzug vorliegt zumal beim BF zu Beginn seiner Beziehung noch kein Familienleben im Bundesgebiet bestanden hat bzw. auch kein Antrag auf internationalen Schutz missbräuchlich zur von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug gestellt worden ist (vgl. VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0235).

3.1.3   Zur Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs 1 AsylG

Die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung plus“ sieht ein kumulatives Vorliegen der Voraussetzungen nach Z 1 und Z 2 des § 55 Abs 1 AsylG vor, wie bereits durch das Wort „und“ indiziert wird und bedarf es daher neben einem Privat- und Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK auch der Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017. Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs 2 AsylG zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.

Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 9 Abs 4 IntG erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt (Z 1), über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht (Z 3), einen Aufenthaltstitelt "Rot-Weiß-Rot Karte" gemäß § 41 Abs 1 oder 2 NAG besitzt (Z 4) oder als Inhaber eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung Künstler" gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen (Z 5).

§ 11 Abs 2 IntG lautet:

Die Prüfung umfasst Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolg ist mit "Bestanden" oder "Nicht bestanden" zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden. Wiederholungen von nicht bestandenen Prüfungen sind zulässig. Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig.

Der BF erlangte am 13.09.2019 sein Zeugnis zur Integrationsprüfung des Österreichischen Integrationsfonds bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz auf dem Niveau A2 und zu Werte- und Orientierungswissen, weswegen die Voraussetzungen des § 11 Abs 2 IntG ihre Erfüllung erfahren haben. Dem BF ist daher eine "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 55 Abs 1 AsylG für die Dauer von 12 Monaten zu erteilen.

Ausschlussgründe iSd § 60 AsylG liegen nicht vor.

3.2.    Zur Behebung der Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides:

Aufgrund der Erteilung eines Aufenthaltstitels und der Unzulässigerklärung der Rückkehrentscheidung waren auch die Spruchpunkte II. und III. ersatzlos zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK befristete Aufenthaltsberechtigung Ersatzentscheidung ersatzlose Teilbehebung Integration Integrationsvereinbarung Interessenabwägung Kassation mündliche Verhandlung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Rückkehrentscheidung behoben Spruchpunktbehebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I421.2230019.1.00

Im RIS seit

15.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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