TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/7 I403 2242650-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.06.2021
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Entscheidungsdatum

07.06.2021

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §66 Abs1
FPG §66 Abs2
FPG §70 Abs3
NAG §51 Abs1 Z1
NAG §51 Abs1 Z2
NAG §55 Abs3
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I403 2242650-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Kroatien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.04.2021, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 08.04.2021, zugestellt am 20.04.2021, wurde die Beschwerdeführerin, eine kroatische Staatsbürgerin, gemäß § 66 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 iVm § 55 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihr ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.). Der Beschwerdeführerin wurde vorgeworfen, weder der Niederlassungsbehörde noch der belangten Behörde Nachweise über ihre Existenzmittel und ihren Krankenversicherungsschutz vorgelegt zu haben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin gehe im Bundesgebiet keiner Beschäftigung nach und befinde sich in keinem Ausbildungsverhältnis. Weiters verfüge sie weder über einen Krankenversicherungsschutz noch über ausreichende Existenzmittel. Somit erfülle sie nicht die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht für mehr als drei Monate.

Gegen den Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Inhaltich wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin im Sommersemester 2021 ihr Masterstudium begonnen habe. Das Bachelorstudium der Volkswirtschaftslehre habe sie bereits erfolgreich abgeschlossen und habe sie auch nie Sozialleistungen des österreichischen Staates erhalten. Sie verfüge über ausreichende Existenzmittel und werde finanziell von ihrer Mutter unterstützt. Seit 01.05.2021 sei sie in Form eines Praktikums bei einer Versicherung beschäftigt. Zudem lebe sie in einer Eigentumswohnung. Das Schreiben der Niederlassungsbehörde sei ihr nie zugestellt worden, das Schreiben der belangten Behörde habe sie erst nach ihrer Rückkehr nach Österreich Ende März 2021 vorgefunden, zu diesem Zeitpunkt sei die Frist für die Stellungnahme aber bereits abgelaufen gewesen. Die Beschwerdeführerin habe sich aufgrund der Covid-19-Pandemie von November 2020 bis Ende März 2021 in Kroatien aufgehalten.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 21.05.2021 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt.

Die volljährige Beschwerdeführerin ist kroatische Staatsangehörige und somit EWR-Bürgerin. Ihre Identität steht fest. Sie ist ledig und kinderlos sowie gesund und erwerbsfähig. Sie ist seit dem 05.11.2012 mit einem Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet, seit dem 23.09.2014 in einer in ihrem Eigentum stehenden Wohnung in XXXX . Am 02.12.2013 wurde der Beschwerdeführerin eine Anmeldebescheinigung für den Zweck „Ausbildung“ ausgestellt.

Die Beschwerdeführerin hat in Österreich ein Bachelorstudium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften absolviert und ist aktuell zu einem Masterstudium der Betriebswirtschaft zugelassen. Seit 01.05.2021 befindet sie sich in einem Beschäftigungsverhältnis mit der XXXX VersicherungsGmbH. Das Arbeitsverhältnis ist mit dem 31.12.2021 befristet. Das Entgelt beträgt jährlich 24.000 Euro brutto für 38,5 Wochenstunden. Zudem wird die Beschwerdeführerin finanziell von ihrer Mutter unterstützt.

Sie ist strafgerichtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Identität der Beschwerdeführerin steht aufgrund ihres in Kopie im Akt einliegenden kroatischen Reisepasses fest. Dass die Beschwerdeführerin seit 01.05.2021 angestellt ist, ergibt sich aus einem Sozialversicherungsdatenbankauszug und dem mit der Beschwerde vorgelegten „Praktikantenvertrag“; aus letzterem ergeben sich auch Befristung und Entgelt. Der Abschluss des Bachelorstudiums und die Zulassung zum Masterstudium ergeben sich aus den mit der Beschwerde vorgelegten Studiennachweisen und dem Bescheid über die Zulassung zum Masterstudium der Universität XXXX vom 23.02.2021. Dass sie von ihrer Mutter finanziell unterstützt wird, ergibt sich aus einem Schreiben ihrer Mutter vom 30.04.2021. Ihr Wohnungseigentum ergibt sich aus dem ebenfalls mit der Beschwerde vorgelegten Grundbuchsauszug. Ihre Wohnsitzmeldungen in Österreich wurden dem Zentralen Melderegister entnommen, ihre Unbescholtenheit dem Strafregister der Republik. Die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für den Aufenthaltszweck "Ausbildung" ergibt sich aus einer Abfrage im Informationsverbund zentrales Fremdenregister

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zu den Rechtsgrundlagen:

Der mit "Ausweisung" betitelte § 66 FPG lautet:

„(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.“

3.2. Zur Ausweisung der Beschwerdeführerin:

Mit Spruchpunkt I. des gegenständlich angefochtenen Bescheides wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen und dies damit begründet, dass ihr kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukomme.

§ 51 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) regelt in Umsetzung der Richtlinie 2004/38 Fälle der Freizügigkeit von EWR-Bürgern aus anderen EWR-Staaten, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen und sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten.

Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" überschriebene § 51 NAG lautet:

„(1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“

Aufgrund des am 01.05.2021 angetretenen Beschäftigungsverhältnisses ist die Beschwerdeführerin nunmehr Arbeitnehmerin und kommt ihr bereits dadurch das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nach § 51 Abs. 1 Z 1 NAG zu. Dadurch erübrigt sich die Prüfung, ob sie über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Versicherungsschutz verfügt (wodurch ihr aufgrund des Studiums auch nach § 51 Abs. 1 Z 3 iVm Z 2 ein Aufenthaltsrecht zukäme).

Die Ausweisung der Beschwerdeführerin mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides erfolgte daher nicht zu Recht, was auch die Gegenstandslosigkeit des ihr mit Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gewährten Durchsetzungsaufschubes bedingt.

In Stattgabe der Beschwerde war der angefochtene Bescheid daher ersatzlos aufzuheben.

4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Aufgrund des vorgelegten Dienstvertrages und des Sozialversicherungsdatenbankauszuges steht eindeutig fest, dass die Beschwerdeführerin Arbeitnehmerin ist. Es waren keine weiteren Beweise aufzunehmen und wurde zudem dem Beschwerdebegehren stattgegeben.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht Ausweisung aufgehoben Ausweisung nicht rechtmäßig Ausweisungsverfahren Behebung der Entscheidung Beschäftigung Durchsetzungsaufschub ersatzlose Behebung EU-Bürger EWR-Bürger finanzielle Mittel Interessenabwägung Kassation Krankenversicherung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Unionsbürger Unionsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I403.2242650.1.00

Im RIS seit

14.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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